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Schlagwortarchiv für: Mord

Alexandra Ritter

Mord (§ 211 StGB)

Karteikarten, Strafrecht, Uncategorized

Tatbezogene Mordmerkmale (2. Gruppe)

Heimtückisch:

Bewusstes Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers

Arglos ist, wer sich im Zeitpunkt der Ausführungshandlung keines tatsächlichen Angriffs auf sein Leben oder seine körperliche Unversehrtheit versieht.

(P): Fähigkeit zum Argwohn

 – Kleinkinder, Bewusstlose (-)

 – Schlafende (+), insofern „Arglosigkeit mit in den Schlaf genommen“ wurde

(P): Arglosigkeit schutzbereiter Dritter

Wehrlos ist, wer sich infolge der Arglosigkeit nicht oder nur eingeschränkt verteidigen kann.

(P): Weitere Einschränkungen erforderlich?

 – e.M.: Tückisch-verschlagenes Vorgehen

 – a.A.: Besonders verwerflicher Vertrauensbruch

 – Rspr.: Handeln in feindlicher Willensrichtung

Grausam:

Wer dem Opfer besondere Schmerzen oder Qualen körperlicher oder seelischer Art aus gefühlloser und unbarmherziger Gesinnung zufügt, die nach Stärke oder Dauer über das für die Tötung unvermeidliche Maß hinausgehen.

Gemeingefährliches Mittel:

Mittel deren Wirkung auf Leib oder Leben einer Mehrzahl anderer Menschen der Täter nach den konkreten Umständen nicht beherrschen kann.

Täterbezogene Mordmerkmale (1. und 3. Gruppe)

Mordlust:

 Der Antrieb zur Tat entspringt dem Wunsch, einen Menschen sterben zu sehen.

Befriedigung des Geschlechtstriebs:

Wer Befriedigung im Tötungsakt selbst sucht; Töten, um seine sexuelle Lust an der Leiche zu befriedigen oder wer die Tötung zur Durchführung des Sexualakts zumindest in Kauf nimmt.

Habgier:

Ungezügeltes und rücksichtsloses Gewinnstreben um jeden Preis.

Niedrige Beweggründe:

Solche Beweggründe, die auf sittlich tiefster Stufe stehen, durch hemmungslose Eigensucht bestimmt und menschlich nicht nachvollziehbar sind.

  • Auffangtatbestand
  • Maßgebend ist die Vorstellung der Wertegemeinschaft Deutschlands

Ermöglichungsabsicht:

Wenn die Tötungshandlung notwendiges Mittel zur Ermöglichung einer Straftat ist.

  • Ermöglichung einer gegenüber der Tötung anderen, nicht notwendig eigenen Tat
  • Bzgl. Tötung genügt dolus eventualis

Verdeckungsabsicht:

 Wenn es dem Täter auf die Nichtentdeckung einer Straftat ankommt.

  • Nach h.M. auch bei Vermeidung außerstrafrechtlicher Konsequenzen
  • Verdeckung durch Unterlassen nach h.M. möglich
17.10.2022/von Alexandra Ritter
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Alexandra Ritter https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Alexandra Ritter2022-10-17 15:23:262022-12-23 08:50:34Mord (§ 211 StGB)
Alexandra Ritter

Heimtücke bei einem Erpresser als Tatopfer (BGH, Beschl. v. 18.11.2021 – 1 StR 397/21)

Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Startseite, Strafrecht, Strafrecht BT

Dieser Beitrag beschäftigt sich mit neueren Tendenzen des BGH zur Auslegung und Anwendung des Mordmerkmals der Heimtücke.

Die Prüfung der Mordmerkmal muss von allen Jurastudierenden beherrscht werden. Das prüfungsrelevante Wissen beschränkt sich dabei jedoch nicht auf die jeweilige Definition, sondern es wird vorausgesetzt, die Tendenzen von Literatur und Rechtsprechung zur Auslegung darlegen zu können. In diesem Beitrag wird daher der Beschluss des BGH v. 18.11.2021 (Az. 1 StR 397/21) näher betrachtet, in dem der BGH sich mit der Auslegung des Mordmerkmals der Heimtücke befasst.

I. Sachverhalt (Schilderung nach BGH, Beschl. v. 18.11.2021 – 1 StR 397/21)

Der Sachverhalt, der dem Beschluss des BGH zugrunde lag, gestaltete sich wie folgt: A erwirbt von O regelmäßig Kokain. Nach einiger Zeit kündigt O dem A jedoch eine Vereinbarung, nach der A die erworbenen Rauschmittel erst zum Monatsende zu bezahlen hatte und fordert den Geldbetrag nunmehr sofort. A kann die Summe nicht aufbringen, was O dazu veranlasst „Strafzinsen“ zu verlangen. In der folgenden Zeit verlangt O von A auf diese Weise immer höhere und aus Sicht des A ungerechtfertigte Beträge. Dabei verleiht O seinen Forderungen mit gelegentlichen Schlägen und Drohungen gegenüber A Nachdruck. In der Folge übergibt A dem O wiederholt Beträge in dreistelliger Höhe.

So kommt es, dass O von A nun 8.000 Euro verlangt. A spiegelt dem O vor, dass seine Mutter einen Kredit aufgenommen und er die Forderung begleichen könne und sie verabreden sich zu einem Treffen für den nächsten Tag. Bei dem Treffen wird die Stimmung des O immer aggressiver. Schließlich fahren sie zum Haus des A und dessen Mutter. Allerdings muss O das Treffen unterbrechen, da er etwas zu erledigen hat. Bevor er geht, schlägt er A mit voller Wucht in den Bauch. Unterwegs kündigt er dem A telefonisch an, er werde alles auseinandernehmen, wenn A bei der Rückkehr des O nicht zahle.

A nimmt während der Abwesenheit des O eine Selbstladepistole vom Dachboden und steckt sie in seine Jackentasche. Später geht er so zum mit O verabredeten Standort, wo O in seinem Pkw auf A wartet. Dort setzt A sich auf die Hinterbank, sodass O dem A die Pistole nicht entreißen kann. Als O nach dem Geld fragt, erwidert A, seine Mutter sei noch nicht da. Dann zieht A die Waffe und erklärt O er brauche mehr Zeit zur Beschaffung des Geldes. O lacht den A daraufhin aus, fragt, was A mit dem „Spielzeug“ wolle und sagt: „Schieß doch, Hurensohn, ich lasse Dich nicht so einfach in Ruhe.“ Zudem macht er eine Handbewegung in Richtung des A. Darauf schießt A dreimal aus kurzer Distanz schnell hintereinander in den Kopf des O. O hatte sich in der Situation keines Angriffs auf Leib oder Leben versehen und konnte sich deshalb nicht effektiv gegen den Angriff durch A wehren. O verstarb. Den Umstand, dass O sich keines Angriffs auf Leib oder Leben versah, nutze A zur Tötung aus.

II. Entscheidung des BGH

Anders als die Vorinstanz hat der BGH in dem Verhalten des A keine heimtückische Tötung erkannt. Die Erwägungen des BGH sollen im Folgenden dargestellt werden.

1. Keine Notwehr gem. § 32 StGB

Zunächst beschäftigt sich der BGH mit der Frage, ob A aus Notwehr i.S.v. § 32 StGB und damit gerechtfertigt gehandelt haben könnte. Er bejaht das Vorliegen einer Notwehrlage durch einen andauernden und damit gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff auf die freie Willensentschließung und das Vermögen des A,

„weil die von gewalttätigen Übergriffen begleiteten fortlaufenden Drohungen des Tatopfers zwecks Durchsetzung der von ihm erstrebten rechtsgrundlosen Zahlungen ununterbrochen fortwirkten und sich sogar zunehmend intensivierten.“ (BGH, Beschl. v. 18.11.2021 – 1 StR 397/21, NStZ 2022, 288 Rn. 7)

Allerdings war die Notwehrhandlung, wenn auch geeignet, nicht geboten, da es dem Täter zumutbar gewesen wäre, das erpresserische Verhalten des O durch Einschaltung der Strafverfolgungsbehörden zu beenden. Dem stehe auch nicht das Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung („nemo tenetur“) entgegen, da A die Anzeige ohne Preisgabe seiner Beteilung an Drogengeschäften hätte aufgeben können (BGH, Beschl. v. 18.11.2021 – 1 StR 397/21, NStZ 2022, 288 Rn. 8).

A handelte demnach nicht gerechtfertigt gem. § 32 StGB.

2. Kein § 33 StGB

Zudem liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Täter das Notwehrrecht aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken überschritten habe, sodass auch § 33 StGB ausscheidet (BGH, Beschl. v. 18.11.2021 – 1 StR 397/21, NStZ 2022, 288 Rn. 9).

3. Kein entschuldigender Notstand

Auch die Voraussetzungen des § 35 StGB liegen, wegen der zumutbaren Möglichkeit der Einschaltung der Strafverfolgungsbehörden, nicht vor (BGH, Beschl. v. 18.11.2021 – 1 StR 397/21, NStZ 2022, 288 Rn. 10).

4. Kein § 211 StGB

Nachdem der BGH festgestellt hat, dass A weder gerechtfertigt noch entschuldigt gehandelt hat, beschäftigt er sich mit der Frage, ob A durch sein Verhalten das Mordmerkmal der Heimtücke verwirklicht hat.

a) Heimtücke i.S.v. § 211 Abs. 2 StGB

„Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Wesentlich ist dabei, dass der Mörder sein Opfer, das keinen Angriff erwartet, also arglos ist, in einer hilflosen Lage überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren.“ (BGH, Beschl. v. 18.11.2021 – 1 StR 397/21, NStZ 2022, 288 Rn. 12)

Problematisch ist in der hiesigen Fallkonstellation insbesondere die Arglosigkeit des O.

aa) Zunächst könnte es an der Arglosigkeit des O dadurch fehlen, dass A dem O die Waffe offen gezeigt hat. Aber:

„Heimtückisches Handeln erfordert jedoch kein „heimliches“ Vorgehen. Nach ständiger Rspr. des BGH kann das Opfer vielmehr auch dann arglos sein, wenn der Täter ihm zwar offen feindselig entgegentritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, dass ihm keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff zu begegnen. Maßgebend für die Beurteilung ist die Lage bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs (stRspr; vgl. nur BGH Urt. v. 6.1.2021 – 5 StR 288/20 Rn. 28 mwN.).“  (BGH, Beschl. v. 18.11.2021 – 1 StR 397/21, NStZ 2022, 288 Rn. 13, Hervorhebung durch d. Verf.)

bb) Sodann eröffnet der BGH die Möglichkeit der normativen Auslegung des Mordmerkmals der Heimtücke.

„Begeht der Täter seine Tat als Opfer einer Erpressung in einer bestehenden Notwehrlage, kann dies – unbeschadet der weiteren Voraussetzungen dieses Rechtfertigungsgrundes – Auswirkungen auf die Beantwortung der Frage heimtückischen Handelns haben (vgl. BGH Urt. v. 12.2.2002 – 1 StR 403/02, BGHSt 48, 207 ff. Rn. 9). Das Mordmerkmal der Heimtücke ist insoweit einer – auch normativ orientierten – einschränkenden Auslegung zugänglich, die dem Wortsinn des Begriffs der Heimtücke mit dem ihm innewohnenden Element des Tückischen Rechnung zu tragen hat (BGHSt, aaO, Rn. 12; kritisch hierzu – nicht tragend – BGH Urt. v. 10.5.2007 – 4 StR 11/07 Rn. 20; und v. 10.11.2004 – 2 StR 248/04 Rn. 19; vgl. im Übrigen BGH Urt. v. 19.8.2020 – 5 StR 219/20 Rn. 11 f., 18).“(BGH, Beschl. v. 18.11.2021 – 1 StR 397/21, NStZ 2022, 288 Rn. 14, Hervorhebung durch d. Verf.)

Weiter beschäftigt der BGH sich mit der Frage, ob in derartigen Konstellationen, in denen eine normativ einschränkende Auslegung in Betracht kommt, das Opfer überhaupt arglos sein kann.  Dazu führt er aus:

„Die Beurteilung, ob ein Mensch arglos ist, richtet sich dabei grundsätzlich nach seiner tatsächlichen Einsicht in das Bestehen einer Gefahr; maßgeblich sind hierfür jeweils die Umstände des konkreten Einzelfalls (vgl. BGHSt, aaO Rn. 11 [BGH Urt. v. 12.2.2002 – 1 StR 403/02, BGHSt 48, 207 ff.]). Ein Erpresser mag in der von ihm gesuchten Konfrontation mit dem Erpressten im Hinblick auf einen etwaigen abwehrenden Gegenangriff des Opfers auf sein Leben regelmäßig dann nicht arglos sein, wenn er in dessen Angesicht im Begriff ist, seine Tat zu vollenden oder zu beenden und damit den endgültigen Rechtsgutsverlust auf Seiten des Erpressten zu bewirken. Das sich wehrende Erpressungsopfer handelt hiernach in einem solchen Fall in aller Regel nicht heimtückisch (BGHSt, aaO Rn. 10). Denn in einer Konstellation, in der sich das Erpressungsopfer gegen einen gegenwärtigen rechtswidrigen erpresserischen Angriff durch Tötung seines Erpressers wehrt, ist regelmäßig der Erpresser der Angreifer, weil er durch sein Verhalten den schützenden oder trutzwehrenden Gegenangriff herausgefordert hat, mag dieser Gegenangriff sich nun im Rahmen des durch Notwehr Gerechtfertigten halten oder die Grenzen der Notwehr überschreiten (BGHSt, aaO Rn. 11). Da der Erpresser mit einer Ausübung des Notwehrrechts durch sein Opfer grundsätzlich jederzeit rechnen muss, spricht bereits die Grundkonstellation gegen dessen Arglosigkeit (vgl. BGHSt, aaO, vgl. auch Urt. v. 9.1.1991 – 3 StR 205/90; BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 13); deren Vorliegen ist aber dennoch aufgrund einer Gesamtwürdigung der konkreten Tatumstände im Einzelfall festzustellen (BGHSt, aaO).“ (BGH, Beschl. v. 18.11.2021 – 1 StR 397/21, NStZ 2022, 288 Rn. 15, Hervorhebung durch d. Verf.)

Daraus schlussfolgert der BGH, dass die sich nach den Umständen des konkreten Einzelfalls richtende Feststellung, ob das Opfer arglos war, oder es die Arglosigkeit durch den Angriff auf die Willensfreiheit des späteren Täters verloren hat, dahinstehen kann,

„weil es [das Opfer bzw. der Erpresser] in einer von ihm geschaffenen Notwehrlage schon nach der gesetzlichen Wertung jederzeit mit einem Gegenangriff des Erpressten rechnen muss (vgl. BGHSt, aaO)“, (BGH, Beschl. v. 18.11.2021 – 1 StR 397/21, NStZ 2022, 288 Rn. 16).

Der (tödlichen) Gegenwehr des Erpressungsopfers wohne das Tückische nicht in dem Maße inne, „welches den gesteigerten Unwert des Mordmerkmals der Heimtücke kennzeichnet (BGHSt, aaO.)“ (BGH, Beschl. v. 18.11.2021 – 1 StR 397/21, NStZ 2022, 288 Rn. 16). Aufgrund der vom Erpresser geschaffenen Notwehrlage, sei dieser der „wirkliche Angreifer“, der wegen der gesetzlichen Wertung des § 32 StGB mit Gegenwehr rechnen müsse (BGH, Beschl. v. 18.11.2021 – 1 StR 397/21, NStZ 2022, 288 Rn. 16). Handelt das sich wehrende Opfer in dieser Situation im Randbereich der erforderlichen und gebotenen Verteidigung oder exzessiv,

„erscheint es bei wertender Betrachtung nicht systemgerecht, dem sich wehrenden Opfer […] das Risiko aufzubürden, bei Überschreitung der rechtlichen Grenzen der Rechtfertigung oder auch der Entschuldigung sogleich das Mordmerkmal der Heimtücke zu verwirklichen (BGHSt, aaO).“(BGH, Beschl. v. 18.11.2021 – 1 StR 397/21, NStZ 2022, 288 Rn. 16)

In dem vorliegenden Fall hat der BGH daher ein heimtückisches Verhalten des A verneint.

b) Rückausnahmen möglich?

Im Anschluss an diese Feststellung trifft der BGH Ausführungen dazu, dass das Verhalten des A im konkreten Fall nicht planmäßig auf die Tötung des O gerichtet war und er die Situation auch nicht gezielt vorbereitet hatte (BGH, Beschl. v. 18.11.2021 – 1 StR 397/21, NStZ 2022, 288 Rn. 17 f.). Diese Ausführungen haben den Anklang, dass der BGH sich Rückausnahmen vorbehalten möchte, in denen trotz der obigen Erwägungen in ähnlichen Situationen die Bejahung der Heimtücke möglich sein soll (s. hierzu auch Holznagel, RÜ 5/2022, 301, 305 Randbemerkung).

III. Bewertung

Die Entscheidung des BGH wurde in der Literatur aus verschiedenen Gründen kritisiert.

1. Dogmatische Anknüpfung

Zunächst eröffnet Nettersheim in seiner Anmerkung zu dem Beschluss (NStZ 2022, 288, 290 ff.), die Frage, ob die Tücke ein geeigneter Anknüpfungspunkt ist, um die vom BGH vorgenommenen Wertungen einzubringen. Dem stehe entgegen, dass der Arg- und Wehrlosigkeit nach stetiger Rechtsprechung ein rein faktisches Verständnis zugrunde liege (Nettersheim, NStZ 2022, 288, 290 f.; auch i.E. dies als nicht überzeugend einordnend Jäger, JA 2022, 697, 699). Nach der Rechtsprechung ist es grundsätzlich unbeachtlich, ob das Opfer mit einer Attacke hätte rechnen müssen (BGH, Urt. v. 13.11.1985 – 3 StR 273/85; Eisele, JuS 2022, 370, 372; Jäger, JA 2022, 697, 699).

Die Wertung des BGH, dass einer Tötung bei bestehender Notwehrlage das Tückische fehle – auch wenn die Grenzen der gebotenen Verteidigung überschritten werden – entspricht im Ergebnis der von der Literatur bereits vertretenen negativen Typenkorrektur (Jäger, JA 2022, 697, 699 m.w.N.). Nach der negativen Typenkorrektur ist in Fällen wie dem hier behandelten das Merkmal der Heimtücke zunächst zu bejahen, schließlich sind seine Voraussetzungen nach der Definition erfüllt. Im Anschluss ist dann zu prüfen, ob im Einzelfall Umstände vorliegen, welche der besonderen Verwerflichkeit, die die Mordmerkmale auszeichnet, entgegenstehen. Befindet der Täter sich in einer Notwehrlage und erwehrt er sich eines Angriffs, kann es dann an der besonderen Verwerflichkeit fehlen und die Annahme der Heimtücke ist dann nicht gerechtfertigt.

2. Abweichung von der Rechtsfolgenlösung

Ein weiterer Kritikpunkt lautet, dass der BGH die Tötung des Erpressers anders als die Tötung im sog. Haustyrannenfall (BGH, Urt. v. 25.3.2003 – 1 StR 483/02) beurteile (Nettersheim, NStZ 2022, 288, 290 f.). Hier wurde die Täterin wegen Mordes verurteilt, die Strafe jedoch nach §§ 35 II, 49 I Nr. 1 StGB gemildert (Stichwort: Rechtsfolgenlösung).

Hierbei bedarf es jedoch eines genaueren Blicks: Die korrigierende Wertung, die den BGH im vorliegenden Fall dazu veranlasste, die Heimtücke zu verneinen, beruht auf der Erwägung, dass eine Notwehrlage in der Tötungssituation gegeben war. In den sog. Haustyrannenfällen liegt im Tatzeitpunkt lediglich eine Dauergefahr vor, die keinen gegenwärtigen Angriff i.S.v. § 32 StGB begründet. Hierin unterscheiden sich die Fallkonstellationen (s. auch Jäger, JA 2022, 697, 699).

IV. Hinweise für die Fallbearbeitung

Der Fall eignet sich sowohl für die Prüfung der Heimtücke im schriftlichen als auch im mündlichen Examen. Studierende, die mit den Ansätzen der Literatur und Rechtsprechung zur Auslegung der Mordmerkmale vertraut sind, können hier ihr Verständnis davon beweisen und auch die Tendenzen der Rechtsprechung hin zur negativen Typenkorrektur, die bislang von (Teilen) der Literatur vertreten wurde, aufzeigen. Dabei muss jedoch der Sachverhalt präzise subsumiert werden, um die Wertungen bei der Tötung des Erpressers nicht mit denen der sog. Haustyrannenfälle zu vermischen oder zu verwechseln.

Für den Prüfungsaufbau bietet es sich an, nicht mit dem schwersten Delikt (§ 211 StGB) zu beginnen, sondern mit dem Totschlag gem. § 212 StGB. Dadurch können Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe auf der Rechtfertigungsebene geprüft und eine Inzidentprüfung auf Tatbestandsebene vermieden werden (s. hierzu auch Jäger, JA 2022, 697, 698; Holznagel, RÜ 5/2022, 301 ff.). In der zweiten Prüfung kann dann bei der Bearbeitung des Mordmerkmals der Heimtücke auf die Ausführungen zur Notwehrlage Bezug genommen werden.

25.07.2022/1 Kommentar/von Alexandra Ritter
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Alexandra Ritter https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Alexandra Ritter2022-07-25 07:26:112022-09-23 07:41:45Heimtücke bei einem Erpresser als Tatopfer (BGH, Beschl. v. 18.11.2021 – 1 StR 397/21)
Tobias Vogt

Neue Wendung im Kudamm-Raser-Fall

Examensvorbereitung, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Startseite, Strafrecht, Strafrecht AT, Strafrecht BT

Es war ein Paukenschlag, als das Landgericht Berlin zum ersten Mal Raser wegen Mordes verurteilte. Rechtskräftig ist die Entscheidung hinsichtlich eines der beiden Angeklagten immernoch nicht. Nach mehreren Zurückweisungen des BGH erging nun das dritte Urteil des LG Berlin (Urt. v. 02.03.2021, Az. 529 Ks 6/20) in diesem Verfahren. Statt wie noch in seinen beiden ersten Urteilen befand das LG Berlin den Angeklagten, der nicht selbst mit dem Wagen des Opfers kollidierte, nicht wegen gemeinschaftlichem Mord, sondern wegen versuchten Mordes für schuldig. Diese erneute Entscheidung dürfte abermals Prüfer dazu animieren, diesen höchst examensrelevanten Fall mit seinen zahlreichen Tücken etwa im Bereich der Abgrenzung des Eventualvorsatzes zur bewussten Fahrlässigkeit, der Mittäterschaft und der Mordmerkmale als Klausursachverhalt zu nutzen.
 
I. Bisheriger Verfahrensgang:
 
Den ersten Aufschlag lieferte das LG Berlin (Urteil vom 27.2.2017, Az. 535 Ks 8/16). Dieses verurteilte die beiden Raser, die sich an einer roten Ampel haltend mit Gestiken und dem Spiel mit dem Gas zu einem spontanen Autorennen hochschaukelten, in dessen Fortgang sie mit Geschwindigkeiten von über 160 km/h mehrere rote Ampeln überfuhren, wegen gemeinschaftlichen Mordes, nachdem einer der beiden Angeklagten während dieses Rennens mit dem Wagen eines anderen Verkehrsteilnehmers kollidierte, der an den Folgen des Unfalls starb.
 
Der BGH hat mit Urteil vom 1.3.2018 (Az. 4 StR 399/17) das Urteil des LG Berlin aufgehoben und zurückverwiesen (siehe dazu ausführlich unser Beitrag). Der BGH bemängelte hier zum einen, dass das LG den Tötungsvorsatz nur zu einem Zeitpunkt festgestellt hat, in dem die Täter die Kollision nicht mehr verhindern konnten. Die Feststellungen trugen daher keinen Tötungsvorsatz zum Tatzeitpunkt. Des Weiteren habe das LG den Tötungsvorsatz nicht ausreichend begründet, sich insbesondere nicht hinreichend mit der möglichen Eigengefährdung der Täter auseinandergesetzt. Schließlich bemängelte der BGH auch die Bejahung von Mittäterschaft.
 
Das LG Berlin kam mit Urteil vom 26.03.2018 (Az. 532 Ks 9/18) aber auch nach der Zurückverweisung abermals zum gleichen Ergebnis: Gemeinschaftlicher Mord (siehe ausführlich unser Beitrag).
 
Da das LG nun jedoch den Tötungsvorsatz eingehend auch unter Berücksichtigung der Eigengefährdung begründete – aufgrund der gut ausgestatteten Sportwagen sei schon nicht sicher, ob die Täter sich selbst derart gefährdet sahen, jedenfalls nahmen sie den Tod anderer Verkehrsteilnehmer in Kauf, da sie das Rennen um jeden Preis gewinnen wollten – bestätigte der BGH (Urteil vom 18.6.2020 – 4 StR 482/19) nun die Verurteilung des Angeklagten, der den tödlichen Unfall verursachte, wegen Mordes. Hierbei bejahte der BGH jedoch entgegen dem LG Berlin lediglich die Mordmerkmale der Heimtücke und der Tötung aus niedrigen Beweggründen, lehnte jedoch das Mordmerkmal des gemeingefährlichen Mittels ab. Denn erforderlich ist nicht nur, dass das Mittel objektiv in der konkreten Tatsituation eine Mehrzahl von Menschen an Leib und Leben gefährden kann, weil der Täter die Ausdehnung der Gefahr nicht in seiner Gewalt hat. Es bedarf auch eines entsprechenden Vorsatzes des Täters. Diesem konnte jedoch im vorliegenden Fall nicht nachgewiesen werden, dass er über den Primäraufprall hinausgehende weitere Unfallfolgen für sich oder Dritte für möglich hielt und in Kauf nahm.
 
Hinsichtlich des weiteren Angeklagten verwies der BGH die Sache wieder an das LG Berlin zurück. Es bemängelte wie schon in seiner Entscheidung aus 2018 die Bejahung eines für die Mittäterschaft notwendigen gemeinsamen Tatplans. Denn ein mittäterschaftlich begangenes Tötungsdelikt setzt voraus, dass der gemeinsame Tatentschluss auf die Tötung eines Menschen durch arbeitsteiliges Zusammenwirken gerichtet ist; es genügt nicht, dass sich die Täter lediglich zu einem gemeinsamen Unternehmen entschließen, durch das ein Mensch zu Tode kommt, so der BGH.
 
II. Aktuelle Entscheidung des LG Berlin:
 
Nachdem der BGB nun wiederholt die fehlerhafte Bejahung eines gemeinsamen Tatplans gerügt hatte, geht auch das LG Berlin nicht mehr von einer Mittäterschaft aus. Der Todeserfolg ist dem Angeklagten, der selbst nicht mit dem Wagen des Verstorbenen kollidierte, demnach nicht nach § 25 Abs. 2 StGB zurechenbar.
 
Das LG verurteilte ihn jedoch folgerichtig wegen versuchten Mordes. Denn schließlich habe er ebenso wie der andere Fahrer um das Rennen zu gewinnen bewusst in Kauf genommen, dass er selbst derart mit einem anderen Verkehrsteilnehmer kollidiert, dass dieser stirbt. Es hat lediglich vom Zufall abgehangen, dass nicht er, sondern der Fahrer, mit dem er sich ein Rennen lieferte, unmittelbar den Tod herbeigeführt hat.
 
Da bei der riskanten Rennfahrt auch die Beifahrerin des Angeklagten verletz wurde, wurde dieser auch wegen tateinheitlich begangener fahrlässiger Körperverletzung nach § 229 StGB verurteilt. In einer Klausur ist zunächst auf eine in Betracht kommende vorsätzliche Körperverletzung nach § 223 StGB einzugehen und an dieser Stelle ebenfalls ausführlich zu prüfen, ob ein Verletzungsvorsatz vorliegt. Hier spielt die mögliche Eigengefährdung eine noch größere Rolle als bei der Frage nach dem Tötungsvorsatz in Bezug auf andere Verkehrsteilnehmer. Denn wenn der Täter eine Verletzung seiner Beifahrerin bewusst in Kauf genommen hätte, müsste er auch eine eigene Verletzung in Kauf genommen haben. Da er aber aufgrund der Ausstattung seines Wagens darauf vertraute, selbst bei einer Kollision nicht verletzt zu werden, galt dies auch in Bezug auf seine Beifahrerin. Gibt es im Klausursachverhalt dagegen Hinweise darauf, dass der Angeklagte eine eigene Verletzung und die seiner Beifahrerin ebenfalls in Kauf nahm, könnte dagegen eine vorsätzliche Körperverletzung bejaht werden.
 
Ebenfalls schuldig gesprochen wurde der Angeklagte wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs nach § 315c Abs. 1 Nr. 2 a) und d) StGB, da er die durch Ampelzeichen geregelte Vorfahrt des Geschädigten nicht beachteten, an einer Straßenkreuzung zu schnell fuhren und dadurch Leib und Leben des Geschädigten gefährdete.
 
In einem Klausurgutachten ebenfalls zu prüfen ist eine Strafbarkeit nach den weiteren Verkehrsdelikten § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB und § 315d Abs. 1, Abs. 2 StGB. Eine Strafbarkeit nach § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB ist jedoch zu verneinen, da das Fahrzeug zur Fortbewegung und nicht primär als Waffe eingesetzt wurde und es daher an einer pervertierten Nutzung fehlt, die für die Bejahung eines verkehrsfremden Eingriffs in den Straßenverkehr notwendig wäre.
 
III. Fazit:
 
– Zunächst einmal zeigt die aktuelle Entscheidung, dass die Täter zwingend getrennt zu prüfen sind. Zu beginnen ist mit dem tatnächsten Täter, der mit dem Wagen des Opfers kollidierte.
 
– Bei der Prüfung des Vorsatzes ist zunächst einmal darauf zu achten, dass der Vorsatz zu einem Zeitpunkt vorliegen muss, in dem der Täter noch einen Tatbeitrag leisten konnte, nicht also erst in dem Zeitpunkt, als die Kollision ohnehin unausweichlich war.
 
– Sodann ist anhand aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen, ob der Täter mit Eventualvorsatz handelte oder nur mit bewusster Fahrlässigkeit. Hierbei ist auch auf die mögliche Eigengefährdung einzugehen, die zwar gegen einen Tötungsvorsatz sprechen kann, diesen jedoch auch nicht per se ausschließt.
 
– In Betracht kommen die Mordmerkmale Heimtücke, niedrige Beweggründe und gemeingefährliches Mittel. Insbesondere bei letzterem kann jedoch der Vorsatz in Bezug auf die Gefährdung einer Mehrzahl an Menschen problematisch sein.
 
– Dem Mitangeklagten, der selbst nicht mit dem verstorbenen Opfer kollidierte, ist der Todeserfolg nur über § 25 Abs. 2 StGB zuzurechnen, wenn ein gemeinsamer auf die Tötung eines Menschen durch arbeitsteiliges Zusammenwirken gerichteter Tatplan vorlag. Sich zu einem gemeinsamen, riskanten Straßenrennen zu entschließen, reicht hierfür nicht aus, auch wenn hierdurch letztendlich ein Mensch zu Tode kam. Daher hat der Mitangeklagte sich nur wegen versuchtem Mord strafbar gemacht.
 
– Von dem bedingten Tötungsvorsatz in Bezug auf andere Verkehrsteilnehmer kann nicht auf einen Verletzungsvorsatz der Beifahrerin geschlossen werden, so dass bei einer Verletzung dieser ggf nur eine fahrlässige Körperverletzung vorliegt.
 
– Nicht zu vergessen ist in einer Klausur zudem die Prüfung der Straßenverkehrsdelikte §§ 315b, 315c 315d StGB.
 
Hinzuweisen ist an dieser Stelle auch auf unsere Besprechung zu einem etwas anders gelagerten Raser-Fall, in dem der BGH (Beschluss vom 16.1.2019, 4 StR 345/18) eine Verurteilung wegen Mordes bestätigte.
 
Zudem noch einmal die Links zu den Besprechungen des ersten BGH-Entscheidung und dem zweiten LG Berlin-Urteil in dem hiesigen Verfahren: hier und hier

04.03.2021/1 Kommentar/von Tobias Vogt
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tobias Vogt https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tobias Vogt2021-03-04 13:00:502021-03-04 13:00:50Neue Wendung im Kudamm-Raser-Fall
Dr. Lena Bleckmann

BGH: Neues zur Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs bei Versterben des Opfers

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Äußert sich der Bundesgerichtshof zu grundlegenden Fragen des Strafrechts, so sollte das Studenten und Examenskandidaten gleichermaßen aufhorchen lassen. So verdient auch die Entscheidung vom 17. März 2020 (Az. 3 StR 574/19) besondere Aufmerksamkeit. Sie beantwortet entscheidende Fragen zum spezifischen Gefahrzusammenhang beim Raub mit Todesfolge (§ 251 StGB) und gibt so Anlass, die objektive Zurechnung allgemein sowie die Voraussetzungen erfolgsqualifizierter Delikte zu wiederholen.
I. Was ist passiert?
Eine 84 Jahre alte Frau, die nicht mehr bei guter Gesundheit war, hatte bei ihrer Bank 600 Euro abgehoben und diese in ihrer Handtasche verstaut. Die Handtasche legte sie wiederum in den Korb ihres Rollators und wickelte den Gurt um den Rollatorgriff. So machte sie sich zu Fuß auf den Heimweg, als der Täter von hinten mit dem Fahrrad an ihr vorbeifuhr und die Handtasche ergriff. Dies tat er, obwohl er sah, dass die Tasche am Rollator befestigt war und sich so aufdrängen musste, dass die Gefahr bestand, dass das Opfer den Halt verlieren und schwer stürzen würde. So kam es auch: Der Frau entglitt der Rollator, sie stürzte und schlug mit dem Kopf auf dem Gehweg auf. Sie erlitt schwerste Schäden. Nach einer Operation erlangte sie aufgrund des während dieser erlittenen Blutverlustes das Bewusstsein nicht wieder. In Übereinstimmung mit der bestehenden Patientenverfügung der Frau stellten die Ärzte die Behandlung ein, sodass die Frau schließlich verstarb.
II. Hat der Täter sich wegen Raubes mit Todesfolge nach § 251 StGB strafbar gemacht?
Mit dieser Frage setzte sich der BGH auseinander. Bevor man sich in einer vergleichbaren Klausur mit den im Mittelpunkt stehenden Fragen des Zurechnungszusammenhangs auseinandersetzen kann, sind die übrigen Tatbestandsvoraussetzungen dieses erfolgsqualifizierten Delikts zu prüfen.

  1. Verwirklichung des Grunddelikts

Der Anfang ist schnell gefunden: Zunächst muss das Grunddelikt des § 249 StGB verwirklicht sein. Hierzu muss der Täter ein qualifiziertes Nötigungsmittel eingesetzt haben. In Betracht kommt hier allein die Anwendung von Gewalt gegen eine Person, d.h. die Zufügung eines gegenwärtigen, auf den Körper bezogenen Übels von einiger Erheblichkeit.

Anmerkung:  In einer Klausur kann an dieser Stelle durchaus diskutiert werden, ob das Wegreißen der Tasche ausreicht, um das Merkmal der Gewalt gegen eine Person zu erfüllen. Bloße Sachgewalt reicht nicht aus, ebenso darf der eingesetzte Kraftaufwand nicht allein der Ergreifung der Sache dienen. Der Täter muss in zur Überwindung eines zumindest erwarteten Widerstandes handeln.

Der BGH ging vorliegend davon aus, dass das Wegreißen der Tasche als Gewalt gegen eine Person eingeordnet werden kann. Bei der Tasche als Raubobjekt handelt es sich auch um eine fremde bewegliche Sache. Diese muss der Täter weggenommen, d.h. fremden Gewahrsam gebrochen und neuen, nicht notwendigerweise eigenen Gewahrsam begründet haben. Zwar kann man das Bestehen fremden Gewahrsams aufgrund der Platzierung der Tasche in dem offenen Korb des Rollators kurz problematisieren, im Ergebnis ist dies jedoch eindeutig zu bejahen, zumal das Opfer den Gurt der Tasche zusätzlich am Rollator befestigt hatte. Die übrigen Merkmale der Wegnahme sind ebenfalls zu bejahen – insbesondere bedarf es hier keiner breiten Auseinandersetzung mit der typischen Problematik der Abgrenzung von Raub und räuberischer Erpressung. Nach dem äußeren Erscheinungsbild der Tat liegt eindeutig ein „Nehmen“ vor und auch eine Mitwirkung des Opfers ist zur Erlangung des Gewahrsams nicht erforderlich, sodass die Ansichten der Literatur und Rechtsprechung zu demselben Ergebnis kommen. Auch der notwendige räumlich-zeitliche Zusammenhang sowie der subjektive Finalzusammenhang zwischen Einsatz des Nötigungsmittels und Wegnahme liegen vor. Der Täter handelte vorsätzlich hinsichtlich des Einsatzes des Nötigungsmittels sowie der Wegnahme und auch in der Absicht rechtswidriger Bereicherung.

  1. Erfolgsqualifikation

Neben den Merkmalen des Raubes muss auch der qualifizierte Erfolg des § 251 StGB eingetreten sein. Mit dem Tod des Opfers ist das der Fall. Ohne die Gewaltausübung zur Wegnahme der Tasche wäre die Frau auch nicht gestürzt und schließlich nicht verstorben, sodass der notwendige Kausalzusammenhang zwischen Grunddelikt und Erfolg nach der Äquivalenztheorie vorliegt.
Der Tod muss nach § 251 StGB „wenigstens leichtfertig“ herbeigeführt worden sein. Da sich dem Täter der Geschehensablauf ebenso aufdrängen musste, dass ein solch schwerer Sturz einer älteren Person gravierende Gesundheitsschäden oder den Tod zur Folge haben könnte, kann die Leichtfertigkeit bejaht werden (zu den Anforderungen der Leichtfertigkeit siehe MüKoStGB/Sander, 3. Aufl. 2017, § 251 Rn. 12).
Dies allein reicht jedoch nicht aus, um die Voraussetzungen des gegenüber dem bloßen Raub wesentlich höher bestraften Tatbestands des § 251 StGB zu erfüllen. Erforderlich ist – wie bei jedem erfolgsqualifizierten Delikt – das Vorliegen eines spezifischen Gefahrzusammenhangs. Der BGH führt hierzu aus:

„Die deutlich erhöhte Strafdrohung für den Raub mit Todesfolge gebietet eine einschränkende Auslegung des § 251 StGB. Eine wenigstens leichtfertige Todesverursachung durch die Tat ist danach nur dann anzunehmen, wenn nicht nur der Ursachenzusammenhang im Sinne der Bedingungstheorie gegeben ist, sondern sich im Tod des Opfers tatbestandsspezifische Risiken verwirklichen, die typischerweise mit dem Grundtatbestand einhergehen. Dem speziellen Unrechtsgehalt des § 251 StGB ist nur genügt, wenn sich die dem Raub innewohnende Gefahr für die betroffenen Rechtsgüter in einer über den bloßen Ursachenzusammenhang hinausgehenden Weise in der Todesfolge niedergeschlagen hat. Dieser qualifikationsspezifische Zusammenhang ist allerdings auch dann gegeben, wenn die den Tod des Opfers herbeiführende Handlung zwar nicht mehr in finaler Verknüpfung mit der Wegnahme steht, sie mit dem Raubgeschehen aber derart eng verbunden ist, dass sich in der Todesfolge die der konkreten Raubtat eigene besondere Gefährlichkeit verwirklicht.“ (BGH, Beschl. v. 17.3.2020 – 3 StR 574/19, Rn. 7)

Es bietet sich an, in zwei Schritten vorzugehen: Zunächst ist zu prüfen, ob der Todeserfolg nach allgemeinen Kriterien objektiv zurechenbar ist. In einem zweiten Schritt ist zu hinterfragen, ob sich die dem Raub typischerweise anhaftende Gefahr, d.h. die Gefahr der qualifizierten Nötigung, verwirklicht hat. Vorliegend liegt das Problem bereits auf der Stufe der objektiven Zurechnung: Der Zusammenhang kann unterbrochen sein, wenn der Todeserfolg erst durch Handeln eines Dritten oder des Opfers selbst eintritt. Allerdings genügt nicht jedes Dazwischentreten des Opfers oder eines Dritten: Nach dem BGH sind „das Gewicht und die Bedeutung des Eingriffs für den weiteren Geschehensablauf in Betracht zu ziehen. Insoweit ist etwa von Belang, ob die Realisierung der spezifischen Todesgefahr durch das Eingreifen des Opfers nur beschleunigt oder durch diese erst geschaffen wurde.“ (BGH, Beschl. v. 17.3.2020 – 3 StR 574/19, Rn. 8)
a. Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs durch die Operation
Als den Zurechnungszusammenhang unterbrechende Umstände kommen die Operation des Opfers sowie der Behandlungsabbruch aufgrund der Patientenverfügung in Betracht.
Die Operation stellte einen Versuch dar, das Leben des Opfers zu retten. Als solcher unterbricht sie den Zurechnungszusammenhang nicht:

„Der im Krankenhaus unternommene Behandlungsversuch wurde mit dem Ziel durchgeführt, der mit der Tat in Gang gesetzten Risikoverwirklichung Einhalt zu gebieten. Dass diese Bemühungen fehlschlugen, beruhte nicht auf einem eigenständigen, von den behandelnden Ärzten verantworteten neuen Risiko für das Leben der dann Verstorbenen. Vielmehr war ein möglicher tödlicher Ausgang der medizinisch indizierten und lege artis durchgeführten Operation bereits zum Zeitpunkt der Tat in der Konstitution des Raubopfers angelegt.“ (BGH, Beschl. v. 17.3.2020 – 3 StR 574/19, Rn. 13)

b. Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs durch den Behandlungsabbruch
Und auch die Patientenverfügung als solche bzw. der ihr nachfolgende Behandlungsabbruch kann nicht dazu führen, dass die objektive Zurechenbarkeit des Todeserfolgs verneint wird. Anerkannt ist, dass ein bloßes Unterlassen des Opfers oder eines Dritten nicht geeignet ist, den Zurechnungszusammenhang zwischen einer aktiven Handlung des Täters und dem Erfolg zu unterbrechen – vielmehr verwirklicht sich allein das vom Täter gesetzte Risiko. Nimmt das Opfer also keine ärztliche Hilfe in Anspruch, obwohl ihm dies möglich wäre, und verstirbt in der Folge, bleibt dies dem Täter zurechenbar. Nichts anderes kann gelten, wenn das Opfer sich nicht erst nach der Tat, sondern bereits zuvor im Rahmen einer Patientenverfügung gegen die Inanspruchnahme bestimmter ärztlicher Behandlungsmöglichkeiten, insbesondere lebensverlängernder Maßnahmen entschieden hat. Dies muss umso mehr gelten, als dass das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben als Ausprägung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts besonders geschützt ist (siehe hierzu auch unsere Besprechung der wichtigen BVerfG-Entscheidung zum Grundrecht auf Suizid). Der BGH führt hierzu aus:

„Zudem vermag die in der Patientenverfügung der Verstorbenen zum Ausdruck kommende eigenverantwortliche Entscheidung, auf eine „Maximaltherapie“ im Sinne einer apparategestützten Lebensverlängerung verzichten zu wollen, bei wertender Betrachtung auch aus rechtlichen Gründen eine zurechnungsunterbrechende Wirkung nicht zu entfalten. Der eigenverantwortlich in der Patientenverfügung niedergelegte Wille der Verstorbenen ist als Ausdruck ihres verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrechts zu werten, wonach ein Patient in jeder Lebensphase, auch am Lebensende, das Recht hat, selbstbestimmt zu entscheiden, ob er ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen will.“ (BGH, Beschl. v. 17.3.2020 – 3 StR 574/19, Rn. 15)

An dieser Wertung ändert sich auch nichts durch die Tatsache, dass die Ärzte die Behandlung einstellten:

„Der Arzt, der in Umsetzung einer Patientenverfügung einen moribunden Zustand nicht durch intensivmedizinische Maßnahmen verlängert, beugt sich damit in Übereinstimmung mit den rechtlichen Vorgaben lediglich dem Patientenwillen. Eine Zurechnungsunterbrechung folgt hieraus nicht.“ (BGH, Beschl. v. 17.3.2020 – 3 StR 574/19, Rn. 17)

Es handelt sich auch nicht um einen inadäquaten Geschehensverlauf: Sowohl die Schwere der Verletzung, als auch die Möglichkeit des Bestehens einer Patientenverfügung waren vorhersehbar (so auch BGH, Beschl. v. 17.3.2020 – 3 StR 574/19, Rn. 18). Mithin verwirklicht sich in dem Tod des Opfers das vom Täter durch die gewaltsame Wegnahme der Tasche gesetzte Risiko, der Erfolg ist ihm objektiv zurechenbar.
Die übrigen Prüfungspunkte sind schnell abgehandelt: Neben der objektiven Zurechnung verwirklicht sich auch die spezifische Gefahr der Gewaltanwendung, sodass der gefahrspezifische Zusammenhang gegeben ist. Der Täter handelte auch rechtswidrig und schuldhaft – wobei im Rahmen der Schuldprüfung auf die subjektive Leichtfertigkeit des Täters einzugehen ist – und hat sich somit gemäß § 251 StGB strafbar gemacht.
III. Ausblick
Der vom BGH zu beurteilende Sachverhalt könnte ohne große Veränderung als Klausur gestellt werden. Trotz der Einkleidung in eine Prüfung des § 251 StGB liegt der Schwerpunkt der Problematik vielmehr im Allgemeinen Teil des Strafrechts. Die aufgeworfenen Fragen können nicht nur im Zusammenhang mit erfolgsqualifizierten Delikten relevant werden, sondern betreffen grundlegend die objektive Zurechenbarkeit des Erfolgs. Durch das Spezialproblem der Patientenverfügung erfordert die Prüfung ein gewisses Argumentationsgeschick. Wer sich indes die Grundlagen der objektiven Zurechnung vergegenwärtigt und die grundrechtliche Wertung hinsichtlich des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben berücksichtigt, wird diesen und ähnliche Fälle ohne Probleme bewältigen können.

23.11.2020/1 Kommentar/von Dr. Lena Bleckmann
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Lena Bleckmann https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Lena Bleckmann2020-11-23 08:30:062020-11-23 08:30:06BGH: Neues zur Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs bei Versterben des Opfers
Dr. Sebastian Rombey

BGH: Verwirklichung von Mordmerkmalen vor der Tötungshandlung?

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Der BGH hat sich jüngst in einer überaus examensrelevanten Entscheidung (Beschluss vom 26.03.2020 – 4 StR 134/19, NStZ 2020, 609) mit einer ganz grundsätzlichen Problematik befasst, die sich im Kern auf folgende Frage reduzieren lässt: Können Mordmerkmale bereits mehrere Tage vor dem späteren Totschlag verwirklicht werden, sodass dieser zum Mord avanciert?
I. Sachverhalt (leicht abgewandelt und vereinfacht)
Der Sachverhalt liest sich wie ein Hollywood-Krimi:
Der Täter T mietete eine Lagerhalle, die er mit Schallisolierung ausstattete und abdunkelte, um wohlhabende Geschäftsleute dorthin entführen zu können und so an hohe Bargeldbeträge zu gelangen. Der Tatplan sah wie folgt aus: Die Opfer sollten unter einem falschen Vorwand in die betreffende Lagerhalle gelockert, dann überwältigt und unter Todesandrohung zur Beschaffung hoher Bargeldmengen bewegt werden, bevor sie nach Erhalt des Bargeldes schließlich getötet werden sollten, um die Straftataufdeckung zu verhindern und somit im Besitz des Bargeldes bleiben zu können.
T spiegelte im Umsetzung eben dieses Plans dem wohlhabenden Geschäftsmann G wahrheitswidrig vor, die Lagerhalle verkaufen zu wollen, als er sich mit diesem in der Stadt traft; es handele sich um eine lohnende Immobilieninvestition. Um die Lagerhalle sodann zu begutachten, fuhren T und G gemeinsam zur besagten Lagerhalle. Dort angekommen brachte T den G in seine Gewalt, indem er plötzlich eine Pistole aus seinem Mantel zog und dem G drohte, ihn umzubringen. Er fesselte ihn, zerrte ihn in den unter der Lagerhalle liegenden Keller und forderte 1 Mio. Euro Lösegeld. G solle, so T, seine Freunde, Bekannten und Familienmitglieder anrufen und diesen vorspiegeln, er wolle die Lagerhalle erwerben und benötige hierzu eine große Summe Bargeld. G tat wie ihm geheißen; T hielt ihn zu diesem Zweck mehrere Tage unter weiteren Todesdrohungen in dem Keller gefangen, damit G glaubhaft mehrere Anrufe tätigen konnte. Die Summe von 1 Mio. Euro kam tatsächlich zusammen. T fuhr mit einem Transporter, in dessen Ladefläche der gefesselte G saß, zu einem mit den Geldgebern vereinbarten Treffpunkt in der Stadt. T gab sich als Geschäftspartner des G aus und nahm das gesammelte Bargeld entgegen. Danach tötete er den G. Strafbarkeit des T?
II. Gutachterliche Vorüberlegungen
T hat durch das geschilderte Verhalten recht eindeutig eine schwere räuberische Erpressung mit Todesfolge nach §§ 253, 255, 250 Abs. 1 Nr. 1 lit. b), 251 StGB in Tateinheit (§ 52 StGB) mit einem räuberischen Menschenraub mit Todesfolge gemäß §§ 239a Abs. 1, 3 StGB begangen. Im Hinblick auf die schwere räuberische Erpressung wäre in einer Examensklausur auf die Konstellation einer Dreieckserpressung einzugehen (schließlich erhält T das Bargeld nicht von G selbst, sondern von Menschen, die in einem Näheverhältnis zu G stehen, sodass möglicherweise eine Dreieckspressung vorliegt, dafür Reitzig, RÜ 2020, 573, 574; a.A. mit überzeugender Begründung Jäger, JA 2020, 867, 869: G sei sowohl Genötigter als auch selbst Geschädigter, weil ihn ein Darlehensrückzahlungsanspruch seiner Gläubiger treffen, sodass eine Dreieckserpressung ausscheide), im Hinblick auf den räuberischen Menschenraub auf die Strafbarkeit im Zwei-Personen-Verhältnis (Notwendigkeit einer stabilen Bemächtigungslage). Bzgl. der jeweils verwirklichten Erfolgsqualifikation wäre auf den notwendigen Risikozusammenhang und die Leichtfertigkeit hinzuweisen. Zu erwägen wäre ferner noch ein eigennütziger Eingehungsbetrug zu Lasten der Geldgeber in mittelbarer Täterschaft, §§ 263 Abs. 1, 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB (näher Jäger, JA 2020, 867, 869 f.).
Weiterführender Hinweis: Da der obige Sachverhalt um die in dem BGH-Fall zusätzlich vorliegende Mittäterschaft bereinigt wurde, kann der Sachverhalt ohne weitere Mühen um Probleme der Zurechnung objektiver Tatbeiträge nach § 25 Abs. 2 StGB erweitert werden.
Die rechtliche Beurteilung der Tötung des G nach § 211 StGB stellt sich jedoch als besonders problembehaftet dar. Als Mordmerkmale kommen Heimtücke, Verdeckungsabsicht und Habgier in Betracht. Bevor sich der Begutachtung genähert werden kann, ist daran zu erinnern, dass die genannten Mordmerkmale grundsätzlich im Zeitpunkt der Tatbegehung vorliegen müssen, so verlangt es das Koinzidenzprinzip. Hier handelte T im Zeitpunkt der Tötungshandlung aber möglicherweise gar nicht mehr heimtückisch, schließlich war G schon mehrere Tage im Keller der Lagerhalle gefangen und musste mit einem Angriff auf seine körperliche Unversehrtheit rechnen. Möglicherweise handelte T auch nicht mit Verdeckungsabsicht, denn den Entschluss zur Tötung des G zur Spurenbeseitigung fasste er schon vorher, als er die Lagerhalle präparierte; und auch eine etwaige Habgier des T ist fraglich, denn im Zeitpunkt der Tötung des G war T ja schon längst im Besitz des Bargeldes. Im Einzelnen:
III. Die Entscheidung des BGH in wertender Betrachtung
1. Zunächst bejaht der Senat Heimtücke, also das bewusste Ausnutzen der auf der Arglosigkeit des Opfers beruhenden Wehrlosigkeit in feindlicher Willensrichtung. Maßgeblicher Zeitpunkt der Arglosigkeit ist eigentlich der erste mit Tötungsvorsatz geführte Angriff, bei dem das Opfer hier aber auf Grund der angewendeten Gewalt und fortwährenden Todesdrohungen nicht mehr arglos war. Der BGH macht hiervon indes eine Ausnahme, indem er seine Vorverlagerungsrechtsprechung bestätigt und partiell weiterentwickelt, wonach es ausnahmsweise ausreicht, wenn der Täter das Opfer in eine Falle lockt, sich so eine günstige Gelegenheit zur Tötung schafft und eben diese günstige Gelegenheit noch bis zur Tötung fortwirkt (ausführlich hierzu Schauf, NStZ 2019, 585). Die Fortwirkung der eingeschränkten Verteidigungsmöglichkeit bis zur Tat begründet also die Heimtücke im Tatzeitpunkt. Zur Arglosigkeit führt der 4. Strafsenat des BGH aus:
„Wird das Tatopfer in einen Hinterhalt gelockt oder ihm eine raffinierte Falle gestellt, kommt es daher nicht mehr darauf an, ob es zu Beginn der Tötungshandlung noch arglos war. Ausreichend ist, dass der Täter das Tatopfer unter Ausnutzung von dessen Arglosigkeit im Vorbereitungsstadium der Tat in eine wehrlose Lage bringt, er bereits in diesem Moment mit Tötungsvorsatz handelt und die so geschaffene Wehrlosigkeit bis zur Tatausführung ununterbrochen fortbesteht.“
Dies führt indes unmittelbar zum Folgeproblem der Wehrlosigkeit:
„Infolge seiner Arglosigkeit wehrlos ist dann auch derjenige, der in seinen Abwehrmöglichkeiten fortdauernd so erheblich eingeschränkt ist, dass er dem Täter nichts Wirkungsvolles mehr entgegenzusetzen vermag […]. Hiervon ist auszugehen, wenn das Opfer in eine Situation gebracht wird, in der es gehindert ist, sich zu verteidigen, zu fliehen, Hilfe herbeizurufen oder den Täter durch verbale Einwirkung noch von seinem Plan abzubringen.“
Der Umstand, dass G sich zunächst wehrte und später bei seinen zahlreichen Telefonaten theoretisch die Möglichkeit hatte, Hilfe herbeizurufen, reicht nicht aus, weil er fortdauernd per vorgehaltener Schusswaffe mit dem Tod bedroht wurde.
Damit steht nach der Rechtsprechung des BGH fest: „Wer sein argloses Opfer in Tötungsabsicht in eine Falle lockt und es dadurch in eine andauernde wehrlose Lage bringt, tötet auch dann heimtückisch, wenn er die durch die Arglosigkeit herbeigeführte Wehrlosigkeit tatplangemäß vor der Umsetzung seines Tötungsvorhabens zu einem Raub oder einer räuberischen Erpressung ausnutzt.“
Das mag man kritisieren, nicht nur, da sich der BGH damit von dem eigentlichen Wortgehalt der Heimtücke entfernt (so Jäger, JA 2020, 867, 870) und damit Bestimmtheitsbedenken nach Art. 103 Abs. 2 GG nährt, sondern auch, weil er zur Begründung des angesichts der absoluten Strafandrohung restriktiv auszulegenden Mordmerkmals auf eine Hilfskonstruktion zurückgreift, die die Heimtücke letztlich extensiv interpretiert (kritisch auch Schauf, NStZ 2019, 585, 593, wenngleich zu einem leicht anderes gelagerten Fall). Diese Vorverlagerungsrechtsprechung führt streng genommen dazu, dass nicht mehr die heimtückische Tötungshandlung, sondern die heimtückische Vorbereitungshandlung Anknüpfungspunkt des Mordmerkmals ist (Schiemann, NJW 2020, 2421, 2424) – was Zweifel an der Wahrung des Koinzidenzprinzips keimen lässt. Dabei ist es gerade bei so zentralen Mordmerkmalen wie der Heimtücke wichtig, dass es einen verlässlichen zeitlichen Bezugspunkt gibt (das mahnt auch Drees, NStZ 2020, 609, 612 an).
Andererseits können nur auf diese Weise Fälle erfasst werden, in denen der Täter bewusst eine Lage schafft, in der das Opfer sich nicht mehr verteidigen kann, und eben diese Lage später zur Tötung ausnutzt – etwas, das der Gesetzgeber als so verwerflich ansieht, dass er hierfür eigens das Mordmerkmal der Heimtücke geschaffen bzw. beibehalten hat. Warum also sollte man den Zeitpunkt der Arglosigkeit nicht mit dem BGH vorverlagern können und es ausreichen lassen, dass der Täter bei der Tötung die fortbestehende Wehrlosigkeit ausnutzt? Das Gerechtigkeitsgefühl mag hierfür streiten, die Dogmatik eher dagegen. Kurzum: Hier besteht viel Argumentationspotenzial.
2. Die Annahme von Verdeckungsabsicht ist dagegen weit weniger problematisch. Verdeckungsabsicht liegt vor, wenn der Täter jedenfalls mit Eventualvorsatz tötet, um hierdurch absichtlich eine vorangegangene Straftat als solche oder auch Spuren zu verdecken, die bei einer näheren Untersuchung Aufschluss über bedeutsame Tatumstände, insbesondere zur Täterschaft, geben könnten. Aber kann auch eine weit vor der Tötungshandlung gebildete Verdeckungsabsicht genügen? Der BGH antwortet ganz klar mit Ja:
„Der Umstand, dass die spätere Tötung im Zeitpunkt der Begehung der zu verdeckenden Tat bereits geplant war, steht der Annahme eines Verdeckungsmordes nicht entgegen, wenn es sich bei der zu verdeckenden Vortat und der Tötung um ein zweiaktiges Geschehen handelt.“
Dass die Tötung zur Verdeckung der anderen Tat (hier der schweren räuberischen Erpressung bzw. des erpresserischen Menschenraubs) von langer Hand geplant war, steht dem Mordmerkmal richtigerweise nicht entgegen, liegt darin doch ein deutlich verwerflicheres Verhalten als in einem affektiv-situativen Entschluss zur Verdeckung (einen höheren Unrechtsgehalt sieht hierin auch Jäger, JA 2020, 867, 870), zumal der Entschluss zur Verdeckungsabsicht im vorliegenden Fall über Tage hinweg immer wieder aktualisiert wurde (instruktiv Drees, NStZ 2020, 609, 612). Bei der Verdeckungsabsicht kann mithin auf den Zeitpunkt der Tötungshandlung abgestellt werden, ohne auf Hilfskonstruktionen zurückgreifen zu müssen. Probleme bereiten nur anders gelagerte Fälle, in denen es um ein einaktiges Geschehen geht, der Täter also die Spuren der Tötung selbst verwischt (Schiemann, NJW 2020, 2421, 2424).
3. Ebenso wenig dürfte es überraschen, dass in der hiesigen Konstellation Habgier, also rücksichtsloses Gewinnstreben um jeden Preis, zu vereinen ist. Denn die Summe von 1 Mio. Euro Bargeld hatte T im maßgeblichen Zeitpunkt der Tötungshandlung längst erhalten. Die Sicherung eines bereits erhaltenen Gewinns aber kann nur dann zur Annahme von Habgier führen, wenn das zu Grunde liegende Vermögensdelikt noch unbeendet ist; ist es dagegen – so wie die räuberische Erpressung hier – beendet, kann die Tötung zur Gewinnsicherung allein von der Verdeckungsabsicht erfasst werden. Denn dann kann der Grund für das Mordmerkmal nicht mehr abgebildet werden, der darin liegt, dass der Täter selbst um den Preis eines Menschenlebens nach materiellen Vorteilen strebt.
IV. Fazit
Wegen der Vielzahl der argumentativ aufzuarbeitenden Probleme, sowohl bei den Vermögens-, als auch bei den Nicht-Vermögensdelikten, bietet sich die Entscheidung geradezu für eine Examensklausur an. Ein Wiederholung und Vertiefung der aufgezeigten Fragestellungen ist daher anzuraten.
Merken sollte man sich zu § 211 StGB jedenfalls:

  • Heimtücke liegt nach dem BGH ausnahmsweise auch dann vor, wenn die vom Täter geschaffene, günstige Lage, die die Verteidigungsmöglichkeiten des Opfers einschränkt, bis zur Tat fortwirkt. Oder anders: Der Zeitpunkt der Arglosigkeit wird auf den (noch nicht tödlichen) Erstangriff vorverlagert, während die hierbei geschaffene Wehrlosigkeit bis zum tödlichen Angriff fortwirkt.
  • Der Annahme von Verdeckungsabsicht steht es nicht entgegen, wenn der Täter die Tötung zur Spurenbeseitigung und Verhinderung der späteren Aufdeckung des Vermögensdelikts schon von langer Hand geplant hat.
  • Und zuletzt: Habgier liegt nicht vor, wenn der Täter den Gewinn bereits vor der Tat erlangt hat, die spätere Tötung also nicht mehr dem Gewinnstreben, sondern der Gewinnsicherung gilt – schließlich gibt es gerade hierfür das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht.

26.10.2020/4 Kommentare/von Dr. Sebastian Rombey
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Sebastian Rombey https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Sebastian Rombey2020-10-26 08:35:272020-10-26 08:35:27BGH: Verwirklichung von Mordmerkmalen vor der Tötungshandlung?
Charlotte Schippers

Rechtsprechungsübersicht Strafrecht und Strafprozessrecht 1. Halbjahr 2020

Examensvorbereitung, Lerntipps, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?, Startseite, Strafrecht, Strafrecht

Bei der Vorbereitung auf die schriftliche und vor allem mündliche Examensprüfung, aber auch auf Klausuren des Studiums, ist die Kenntnis aktueller Rechtsprechung unbedingt erforderlich. Neue Urteile und Beschlüsse werden immer wieder als ein Teil der Prüfung herangezogen oder bei besonders wichtigen Entscheidungen ausdrücklich abgefragt. Der folgende Überblick soll für die examensrelevanten Entscheidungen in Strafsachen des Jahres 2020 (und Ende 2019) als Stütze dienen und Ausgangspunkt für eine tiefere Auseinandersetzung sein.
 
Strafrecht

BGH, Urt. v. 26.11.2019 – 2 StR 557/18: Strafrechtliche Verantwortlichkeit von JVA-Beamten für den Mord eines Häftlings während eines Freigangs

Zu folgendem Fall urteilte der BGH Ende letzten Jahres: T, Häftling in einer JVA, beging während eines Freigangs mehrere Straftaten, u.a. tötete er bei einer Flucht vor der Polizei, indem er mit rasanter Geschwindigkeit als „Geisterfahrer“ auf die Gegenfahrbahn fuhr, eine im Gegenverkehr befindliche junge Frau. Wegen dieser Tat wurde er wegen Mordes rechtskräftig zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Relevant war hier nun die Strafbarkeit der zuständigen JVA-Beamten.
Die Vorinstanz hatte eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung gem. § 222 StGB angenommen, der BGH sprach die Beamten nun frei: In ihrer Entscheidung, den Strafgefangenen in den offenen Vollzug zu verlegen und ihm weitere Lockerungen in Form von Freigängen zu gewähren, liege keine Sorgfaltspflichtverletzung; den Beamten stehen Beurteilungsspielraum und Ermessen zu, sodass

„die getroffene Entscheidung bis zur Grenze des Vertretbaren hinzunehmen [ist]. Bei der Beurteilung der Sorgfaltswidrigkeit darf sich das Gericht weder von einer aus dem späteren Kenntnisstand rückschauenden Wertung (ex post) leiten lassen, dass sich eine Prognoseentscheidung im Ergebnis als ,falsch‘ erwiesen hat, noch seine eigene, abweichende Prognoseentscheidung als Maßstab anlegen. Maßgebend ist vielmehr die fachliche und rechtliche Vertretbarkeit der Entscheidung aus der Perspektive der Lockerungsentscheidung (ex ante). Eine im Ergebnis falsche Prognose erweist sich als pflichtwidrig, wenn die Missbrauchsgefahr aufgrund relevant unvollständiger oder unzutreffender Tatsachengrundlage oder unter nicht vertretbarer Bewertung der festgestellten Tatsachen verneint worden ist.“ (Rn. 25)

Der BGH erläutert in der Folge, die Angeklagten hätten sich aus der maßgeblichen ex-ante-Sicht den Anforderungen entsprechend verhalten.
Diese examensrelevante Entscheidung hat Tobias Vogt besprochen.
 

BGH, Beschl. v. 17.12.2019 – 1 StR 364/18: Unvermeidbarer Verbotsirrtum bei Auskunft eines Rechtsanwalts und einer unzuständigen Behörde?

Mit Betäubungsmitteldelikten beschäftigte der BGH sich Ende letzten Jahres und erhielt hierbei auch die Gelegenheit, sich zu den Anforderungen an die Unvermeidbarkeit eines Verbotsirrtums zu äußern. Kurz gefasst ging es um den Apotheker A, der mit anderen zusammen einen Versandhandel mit über das Internet bestellten verschreibungspflichtigen Medikamenten, die Abhängigkeitserkrankungen verursachen können, führte. Diese wurden an Kunden aus dem Ausland, überwiegend in die USA, geliefert. Über die für die Ausfuhr nach dem BtMG erforderliche Erlaubnis verfügte keiner der Beteiligten. Rechtsanwalt R, der A an die anderen vermittelt hatte, hatte ihm mitgeteilt, das Vertriebssystem sei von weiteren Rechtsanwälten geprüft. Dazu zeigte er ihm mehrere Blätter, die er als Gutachten bezeichnete, ohne sie ihm aber zum Lesen zu überlassen. Zudem erhielt A von der Landesapothekerkammer Rheinland-Pfalz die telefonische Auskunft, gegen den Versand von Medikamenten ins Ausland auf der Grundlage von Rezepten bestünden keine Bedenken.
Festgestellt wurde ein Verbotsirrtum gem. § 17 S. 1 StGB des A. Fraglich war nun, ob dieser vermeidbar war oder nicht. Zu den Anforderungen an die Unvermeidbarkeit führt der BGH aus:

„Unvermeidbar ist ein Verbotsirrtum erst dann, wenn der Täter alle seine geistigen Erkenntniskräfte eingesetzt und etwa aufkommende Zweifel durch Nachdenken oder erforderlichenfalls durch Einholung verlässlichen und sachkundigen Rechtsrats beseitigt hat. Dabei müssen sowohl die Auskunftsperson als auch die Auskunft aus der Sicht des Täters verlässlich sein; die Auskunft selbst muss zudem einen unrechtsverneinenden Inhalt haben. Eine Auskunft ist in diesem Sinne nur dann verlässlich, wenn sie objektiv, sorgfältig, verantwortungsbewusst und insbesondere nach pflichtgemäßer Prüfung der Sach- und Rechtslage erteilt worden ist. Bei der Auskunftsperson ist dies der Fall, wenn sie die Gewähr für eine diesen Anforderungen entsprechende Auskunftserteilung bietet, sie muss insbesondere sachkundig und unvoreingenommen sein und mit der Erteilung der Auskunft keinerlei Eigeninteresse verfolgen. Zudem darf der Täter nicht vorschnell auf die Richtigkeit eines ihm günstigen Standpunkts vertrauen und seine Augen nicht vor gegenteiligen Ansichten und Entscheidungen verschließen. Maßgebend sind die jeweils konkreten Umstände, insbesondere seine Verhältnisse und Persönlichkeit; daher sind zum Beispiel sein Bildungsstand, seine Erfahrung und seine berufliche Stellung zu berücksichtigen.“ (Rn. 21)

Daher ist auch der Rat eines Rechtsanwalts nicht ohne weiteres vertrauenswürdig. Der Rat muss, von notwendiger Sachkenntnis getragen, nach eingehender sorgfältiger Prüfung erfolgen. Sind die Auskünfte offenkundig mangelhaft, reicht das nicht zur Entlastung, notwendig ist bei komplexen Sachverhalten ein detailliertes, schriftliches Gutachten. Die durch R erteilten Hinweise, ohne die Möglichkeit, die Blätter durchzulesen, hätten durch A hinterfragt werden müssen, subsumiert der BGH.
Hinsichtlich der telefonischen Auskunft ist zu berücksichtigen, dass unzutreffende Auskünfte unzuständiger Behörden nur dann zur Unvermeidbarkeit des Irrtums führen können, wenn sich für den Täter die fehlende Zuständigkeit und Beurteilungskompetenz nicht aufdrängt (s. dazu BGH, Beschl. v. 2.2.2000 – 1 StR 597/99).

„Bei [A] handelt es sich um einen approbierten Apotheker mit langjähriger Berufserfahrung. Zur Ausbildung eines Apothekers gehören auch Grundkenntnisse im Betäubungsmittel- und Arzneirecht. Gerade aufgrund seiner beruflichen Stellung und der hiermit verbundenen Verpflichtungen war von [A] zu erwarten, dass ihm bekannt ist, dass der Handel mit Benzodiazepinen und NonBenzodiazepinen wegen der erhöhten Gefahr einer Abhängigkeitserkrankung bei dauerhaftem Konsum einer besonderen betäubungsmittelrechtlichen Kontrolle unterliegt und daher einer betäubungsmittelrechtlichen Erlaubnis bedarf. Jedenfalls hätte er dies bei gebotener Anstrengung von Verstand und Gewissen erkennen können. Gleichermaßen hätte er – unter Berücksichtigung seiner beruflichen Stellung und Erfahrung – erkennen können, dass er sich an das für die Erteilung von Erlaubnissen und Genehmigungen im Betäubungsmittelrecht zuständige BfArM [Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte] hätte wenden müssen.“ (Rn. 21)

Schließlich verneint der BGH, dass das BfArM ebenfalls dieselbe Auskunft gegeben hätte:

„Hat der Täter einer Erkundigungspflicht nicht genügt, so setzt die Feststellung von Vermeidbarkeit voraus, dass die Erkundigung zu einer richtigen Auskunft geführt hätte.“ (Rn. 21)

Insbesondere wegen der Ausführungen zu den Anforderungen an die Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums handelt es sich hierbei somit um eine wichtige und examensrelevante Entscheidung.
 

BGH, Beschl. v. 8.1.2020 – 4 StR 548/19: Erpressung bei Nötigung zur Begehung von Eigentumsdelikten?

T brauchte dringend Geld, um sich Marihuana kaufen zu können. Deswegen bedrohte er zwei 13-jährige Jungen mit einem Messer und forderte sie auf, für ihn in der Innenstadt Wertgegenstände zu stehlen. Wie beabsichtigt, hatten die beiden Jungen Angst vor ihm und waren von dem vorgehaltenen Messer so beeindruckt, dass sie sich nicht zu widersetzen wagten. Auf dem Weg in die Innenstadt konnten sie aber weglaufen.
Der BGH beschäftigte sich mit der Strafbarkeit des T wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung gem. §§ 253 Abs. 1, 255, 250 Abs. 2 Nr. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB. Die Erpressung scheitert am Vermögensnachteil der Genötigten – das abverlangte Verhalten liegt „nur“ in der Begehung strafbarer Handlungen, ein Vermögensschaden auf Seiten des Nötigungsopfers fehlt. Weiterhin wäre für eine Dreieckserpressung ein Näheverhältnis zwischen dem Genötigten und dem zu Schädigenden erforderlich, an dem es hier, wie der BGH knapp feststellt, fehlte (vgl. auch BGH,  Urt. v.  20. 4.1995 ‒ 4 StR 27/95). Somit kam hier nur eine Strafbarkeit wegen versuchter Nötigung in zwei tateinheitlichen Fällen gem. §§ 240 Abs. 1, 2, 3, 22, 23 Abs. 1 StGB infrage.
 

BGH, Beschl. v. 22.1.2020 – 3 StR 526/19: Wohnungen i.S.d. § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB

Der BGH beschäftigte sich zur Klärung der Frage, ob die Wohnung eines Verstorbenen auch eine Wohnung i.S.d. § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB ist, mit folgendem (leicht abgewandeltem und gekürztem) Sachverhalt: Einbrecher E beschloss, vorrangig in die Häuser von Verstorbenen einzubrechen. Über entsprechende Todesfälle informierte er sich durch Traueranzeigen in der Tageszeitung. In der Folgezeit brach er, entsprechend seines Plans, unter Aufhebeln von Fenstern und Terassentüren in verschiedene Wohnungen von Verstorbenen ein.
In dem Beschluss bejahte der BGH, dass es sich bei den Immobilien, die noch voll eingerichtet und funktionsfähig waren, um Wohnungen im Sinne des § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB handelte mit einer lehrbuchartigen Gesetzesauslegung:

„Dafür spricht zunächst der Wortlaut der Vorschrift. Der Begriff „Wohnung“ bezeichnet eine für die private Lebensführung geeignete und in sich abgeschlossene Einheit von gewöhnlich mehreren Räumen. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch ist somit der Zweck der Stätte maßgebend, nicht deren tatsächlicher Gebrauch. […].
Diese Betrachtungsweise erfährt ihre Bestätigung in der Gesetzessystematik. Das Strafgesetzbuch sieht bei Einbruchdiebstählen eine Staffelung in Deliktsschwere und Strafmaß vor, die vom besonders schweren Fall des Diebstahls gemäß § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StGB über den Wohnungseinbruch im Sinne des § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB bis zum Einbruch in eine dauerhaft genutzte Privatwohnung nach § 244 Abs. 4 StGB reicht. Spätestens mit Einführung der letztgenannten Vorschrift im Jahr 2017 hat der Gesetzgeber deutlich gemacht, dass er die (dauerhafte) Nutzung der Wohnung nicht als tatbestandliche Voraussetzung des einfachen Wohnungseinbruchdiebstahls nach § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB verstanden wissen will. Die sprachliche Betonung dieses zusätzlichen Tatbestandsmerkmals in § 244 Abs. 4 StGB wäre sonst nicht geboten gewesen.“ (Rn. 16 f.)

Er argumentiert an dieser Stelle mit weiteren Delikten, namentlich § 123 Abs. 1 StGB, § 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB und § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB, die sich auch in der Klausur gut zur Begründung heranziehen lassen!

„Schließlich gebieten Sinn und Zweck der Qualifikation aus § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB die Einbeziehung von unbewohnten Immobilien, jedenfalls so lange sie nicht als Wohnstätte entwidmet sind. Die Vorschrift soll das Eigentum an höchstpersönlichen Gegenständen und die häusliche Integrität an sich schützen. Diese Rechtsgüter können auch dann verletzt sein, wenn sie neben den aktuellen Bewohnern weiteren Personen zuzuordnen sind, die einen Bezug zu den Räumlichkeiten aufweisen – etwa, weil sie sich häufig in ihnen aufhalten, weil es sich um ihr Elternhaus handelt oder weil sie in dem Haus private Gegenstände lagern.“

Somit bejahte der BGH den Wohnungseinbruchsdiebstahl.
 

OLG Hamm, Beschl. v. 7.4.2020 – 4 RVs 12/20: Verwendung einer fremden EC-Karte zum kontaktlosen Zahlen

Ein Dauerbrenner im Examen sind die EC-Karten-Fälle, sodass sich ein Blick auf die aktuelle Entscheidung des OLG Hamm zum kontaktlosen Zahlen mit einer fremden EC-Karte lohnt. Folgender Fall (leicht abgewandelt und gekürzt) wurde entschieden: T erhielt von seiner Bekannten B die auf der Straße gefundene Geldbörse des O, in der sich neben ein wenig Bargeld und diversen Papieren und Karten auch eine EC-Karte befand. Mit dieser Karte tätigte T Einkäufe, u.a. im H-Markt, durch kontaktloses Bezahlen – also Auflegen der Karte auf das Lesegerät –, die jeweils einen Wert von unter 25 Euro hatten, sodass die Eingabe der PIN nicht erforderlich war. Diese Tatsache war T bekannt und er nutzte sie bewusst aus.
Eine Strafbarkeit wegen Betrugs gem. § 263 StGB lehnte das OLG ab, denn eine Täuschung liege bei der Zahlung ohne PIN-Abfrage nicht vor. Nach lesenswerten Ausführungen zu den Elementen der kontaktlosen Zahlung, folgert das OLG:

„Vor dem Hintergrund dieser Zahlungsmodalitäten hatten die Kassenkräfte des H-Marktes vorliegend keinerlei Anlass, sich Vorstellungen über die Berechtigung des Angeklagten zur Kartenverwendung zu machen. Im Gegenteil liefen sie vielmehr Gefahr, bei positiver Kenntnis von der Nichtberechtigung wegen kollusiven Zusammenwirkens mit dem Kartenverwender ihren Zahlungsanspruch gegen die […] kartenausgebende[…] Bank zu verlieren, weshalb aus Händlersicht gerade kein Anreiz bestand, über die Berechtigung des Angeklagten nachzudenken und so womöglich bösgläubig zu werden. Auch traf den Betreiber des H-Marktes bzw. seine Kassenmitarbeiter nach den Händlerbedingungen gegenüber der […] kartenausgebende[n] Bank keine Pflicht, die Berechtigung des Angeklagten anderweitig zu überprüfen, etwa durch Ausweiskontrolle. Damit aber fehlt es an einer Grundlage für die Annahme, dass der Angeklagte als Kunde seine Berechtigung zur Kartennutzung nach der Verkehrsanschauung fälschlich konkludent erklärt hätte und dass die Kassenmitarbeiter wenigstens im Sinne eines sachgedanklichen Mitbewusstseins einer entsprechenden irrigen Vorstellung unterlegen wären.“ (Rn. 14)

Gleichfalls scheidet auch ein Computerbetrug nach § 263a StGB aus, insbesondere wird nicht die einzig in Betracht kommende Variante der unbefugten Verwendung von Daten erfüllt – die h.M. setzt nämlich für das Merkmal „unbefugt“ voraus, dass die Verwendung gegenüber einer natürlichen Person Täuschungscharakter hätte. Das scheidet hier aber aus, denn geprüft werden mit dem Vorhalten der Karte vor das Lesegerät nur die Einhaltung des Verfügungsrahmens, die Nicht-Eintragung in eine Sperrdatei und das Vorliegen der Voraussetzungen für das Absehen von der starken Kundenauthentifizierung.
In Betracht zieht das OLG nach Verneinung einiger anderer Delikte schließlich noch eine Urkundenunterdrückung nach § 274 I Nr. 2 StGB: Die Verwendung der Karte im kontaktlosen Bezahlvorgang stellt eine Löschung/Veränderung beweiserheblicher Daten dar:

„Der noch bestehende Verfügungsrahmen sowie die Umstände der bisherigen Kartennutzung seit der letzten PIN-Abfrage stellen Gedankenerklärungen dar, die durch die Speicherung im Autorisierungssystem bzw. auf dem Chip der ec-Karte perpetuiert sind. Weiterhin sind diese Daten auch beweiserheblich, weil sie für die Autorisierung weiterer Bezahlvorgänge mit der ec-Karte relevant sind. Nur wenn der Verfügungsrahmen noch nicht ausgeschöpft ist und in Bezug auf die Umstände der bisherigen Kartennutzung die Voraussetzungen […] für das Absehen von der PIN-Abfrage erfüllt sind, erteilt die kartenausgebende Bank im POS-Verfahren die Autorisierung der Zahlung (ohne PIN-Abfrage). Anders als im Hinblick auf die Transaktionsdaten ist in Bezug auf den Verfügungsrahmen und die Umstände der bisherigen Kartennutzung auch die Garantiefunktion des Urkundenbegriffs erfüllt. Es ist nämlich die kartenausstellende Bank als Aussteller dieser Daten ohne Weiteres erkennbar.“ (Rn. 37)

Verwirklicht wurde darüber hinaus auch § 303a Abs. 1 StGB.
Insgesamt ist das hier also eine wichtige und examensrelevante Entscheidung, die man sich genauer anschauen sollte!
 

BGH, Beschl. v. 14.4.2020 – 5 StR 93/20: Mordmerkmal der gemeingefährlichen Mittel in Abgrenzung zur „Mehrfachtötung“

Im April hat der BGH die Anforderungen an das Mordmerkmal der gemeingefährlichen Mittel (speziell für den Fall naturgemäß gemeingefährlicher Mittel) konkretisiert. Folgender Sachverhalt (gekürzt) lag dem zugrunde: T zündete in dem von ihm bewohnten Zimmer im 1. OG eines Wohnkomplexes eine auf seinem Bett liegende Wolldecke an, schloss die Zimmertür und verließ das Haus. Es war ihm bewusst, dass A und B sich im 1. OG aufhielten und C sich möglicherweise im Dachgeschoss befand. Mögliche Verletzungen oder den Tod der anderen nahm T in Kauf. A entdeckte den Brand und alarmierte B und C. Sie flüchteten und alarmierten die Feuerwehr. A und C erlitten Rauchgasvergiftungen. Die Feuerwehr konnte ohne Atemschutz nur bis zur Hälfte der Holztreppe ins OG vordringen; ab dort bestand akute Lebensgefahr. Der im Zimmer des T lodernde Vollbrand konnte schließlich gelöscht werden.
Maßgeblich war zunächst die Frage, ob ein gemeingefährliches Mittel vorliegt, wobei die Tatsache, dass T den Brand in seinem Zimmer gelegt hat, die Gemeingefährlichkeit des Mittels nicht grundsätzlich ausschließt, vielmehr wohnt Handlungen wie der vorliegenden aufgrund ihrer naturgemäß fehlenden Beherrschbarkeit die Gemeingefährlichkeit bereits inne:

„Es gibt nach ihrer Eigenart grundsätzlich gemeingefährliche Mittel, bei denen allenfalls im Einzelfall die Beherrschbarkeit bejaht oder bei der speziellen Art ihrer Handhabung die Gefahr für eine Vielzahl von Menschen ausnahmsweise verneint werden kann. Dazu zählen Brandsetzungsmittel und Explosionsstoffe. Bei ihnen hat der Täter die Folgen seines Tuns typischerweise nicht in der Hand […]. An der gemeingefährlichen Verwendung fehlt es bei an sich nicht beherrschbaren Mitteln nur dann, wenn der Täter im konkreten Fall davon ausgeht, es könne dadurch nur die zur Tötung ins Auge gefasste Person getroffen werden.“ (Rn. 9)

Wichtig war außerdem die Abgrenzung zu „Mehrfachtötungen“, wobei es nach früherer Rspr. darauf ankam, ob sich die Tat trotz Einsatzes eines naturgemäß gemeingefährlichen Mittels gegen einen individualisierten Kreis von Personen richtet – dann war das Vorliegen dieses Mordmerkmals zu verneinen (s. BGH, Beschl. v. 18.7.2018 – 4 StR 170/18). Daran zweifelte der BGH aber nun:

„Es erscheint wertungswidersprüchlich, den Täter, der von vornherein eine konkrete Vielzahl von Opfern durch ein in seinem Gefahrenpotential nicht beherrschbares Mittel tötet, gegenüber demjenigen zu privilegieren, der ohne diese Konkretisierung aufgrund der Gemeingefahr des Tötungsmittels auch nicht bereits individualisierte Opfer in Kauf nimmt. Ausgehend von der bisherigen Rechtsprechung müsste in Fällen nicht weiterer Aufklärbarkeit der Tätervorstellung der Zweifelssatz für die Annahme sprechen, dem Täter sei es gerade auf die Tötung aller in die Gefahrenlage einbezogenen Personen angekommen. Weder die Formulierung noch der Sinn und Zweck des Mordmerkmals gebieten nach Ansicht des Senats eine solche Auslegung. Das gesetzliche Tatbestandsmerkmal stellt lediglich auf die vom Vorsatz umfasste Art des Tatmittels, nicht auf die Konkretisierung des Opfers in der Vorstellung des Täters ab. Die Unbestimmbarkeit des Opferkreises folgt vielmehr aus der besonderen Art des Tötungsmittels, das nach Freisetzung der in ihm ruhenden Kräfte für den Täter nicht mehr beherrschbar ist. Entscheidend muss es deshalb darauf ankommen, ob für den Angeklagten nicht mehr berechenbar ist, wie viele Menschen durch das Tatmittel verletzt und getötet werden können, weil er den Umfang der Gefährdung nicht beherrscht […]. Hat es der Täter bewusst nicht in der Hand, wie viele Menschen in den von ihm geschaffenen Gefahrenbereich geraten und durch sein Verhalten gefährdet werden, tötet er nach Ansicht des Senats auch dann mit gemeingefährlichen Mitteln, wenn er mit dem für ihn unbeherrschbaren Mittel eigentlich nur eine bestimmte Zahl konkreter Menschen töten will […].“ (Rn. 11 f.)

Im vorliegenden Fall fehlte aber sowieso die Individualisierung des Opferkreises, sodass die Frage i.E. nicht abschließend beurteilt werden musste.
Für weitere Details sei auf die ausführliche Besprechung von Melanie Jänsch verwiesen.
 

BGH, Beschl. vom 19.5.2020 – 4 StR 140/20: Habgier bei angestrebter staatlicher Versorgung in einer JVA?

Einen versuchten Mord aus Habgier nahm der BGH in vorliegendem Fall an: Der vermögenslose und nicht krankenversicherte A nahm sich vor, eine schwere Straftat begehen, um langfristig Unterkunft, Verpflegung und Krankenversorgung in einer JVA zu erhalten. In dieser Absicht fuhr er mit seinem Fahrzeug mit mindestens 80 km/h gezielt von hinten auf den auf einem Fahrradweg radelnden B auf. A wollte ihn erheblich verletzen. Zudem hielt er den Eintritt seines Todes ernsthaft für möglich und nahm ihn billigend in Kauf. B wurde von seinem Fahrrad geschleudert und erlitt durch den Aufprall und den Sturz schwere Verletzungen.
Zur Erinnerung:

„Habgier bedeutet ein Streben nach materiellen Gütern oder Vorteilen, das in seiner Hemmungslosigkeit und Rücksichtslosigkeit das erträgliche Maß weit übersteigt und das in der Regel durch eine ungehemmte triebhafte Eigensucht bestimmt ist. Voraussetzung hierfür ist, dass sich das Vermögen des Täters ‒ objektiv oder zumindest nach seiner Vorstellung ‒ durch den Tod des Opfers unmittelbar vermehrt oder dass durch die Tat jedenfalls eine sonst nicht vorhandene Aussicht auf eine Vermögensvermehrung entsteht.“ (2. a))

A wollte nun durch seine Tat lediglich eine langfristige Versorgung durch eine staatliche Einrichtung und dadurch eben auch eine Verbesserung seiner Vermögenslage i.S.e. rücksichtslosen Gewinnstrebens erreichen. Dass sich hiermit eine Begehung aus Habgier begründen lässt, wird auch nicht durch die Nachteile der Inhaftierung widerlegt, da diese für A nicht maßgeblich waren und er vornehmlich aufgrund der Vermögensvorteile handelte. Weiter begründet der BGH das Mordmerkmal der Habgier:

„Für die Annahme einer Tötung aus Habgier ist ferner unerheblich, dass der erstrebte Vermögensvorteil nicht unmittelbar aus dem Vermögen des Opfers stammen sollte. Ebenso steht einem Mordversuch aus Habgier nicht entgegen, dass der Angeklagte eine staatliche Versorgung auch auf legale Weise durch Beantragung von Sozialleistungen hätte erreichen können. Einen funktionalen Zusammenhang zwischen Tötung und Vermögensvermehrung in dem Sinne, dass der Angriff auf das Leben aus Sicht des Täters unerlässliches Mittel zur Zielerreichung ist, setzt das Mordmerkmal nicht voraus; entscheidend ist vielmehr die Motivation des Täters.“ (2. b)).

 

BGH, Beschl. v. 19.5.2020 – 6 StR 85/20: Erpresste Bankkarte und leeres Bankkonto

Der BGH traf ebenfalls am 19. Mai dieses Jahres einen Beschluss, wobei er die Anforderungen an einen Vermögensnachteil i.S.d. § 253 StGB darstellte. Der Sachverhalt ist schnell erzählt: T bedrohte O mit einer Schreckschusspistole und forderte ihn auf, am Automaten Geld abzuheben. Das gelang O aber nicht, da sein Konto nicht ausreichend gedeckt war. Daraufhin zwang T ihn unter Drohung mit der Waffe zur Aushändigung der EC-Karte und der PIN. Eine Strafbarkeit wegen Erpressung scheitert aber am Vermögensschaden:

„Zwar ist der Nachteil für das Vermögen i.S. des § 253 StGB gleichbedeutend mit der Vermögensbeschädigung beim Betrug, so dass auch schon eine bloße Vermögensgefährdung einen Vermögensnachteil darstellt. Dabei kommt es aber entscheidend darauf an, ob im Einzelfall durch die Verfügung das Vermögen konkret gefährdet, also mit wirtschaftlichen Nachteilen ernstlich zu rechnen ist. Durch die Kenntnis der geheimen Zugangsdaten zu einem Bankkonto ist das Vermögen des Opfers grundsätzlich beeinträchtigt, wenn sich der Täter zudem im Besitz der zugehörigen Bankkarte befindet und ihm deshalb die jederzeitige Zugriffsmöglichkeit auf den Auszahlungsanspruch des Berechtigten gegenüber der die Karte akzeptierenden Bank eröffnet ist.“ (Rn. 4)

Das setzt aber voraus, dass tatsächlich mit wirtschaftlichen Nachteilen zu rechnen ist, was hier jedoch mangels Deckung des Kontos nicht der Fall ist.
Auch hierbei handelt es sich also um eine Entscheidung, die man sich in Anbetracht der Examensrelevanz der einschlägigen Delikte zu Gemüte führen sollte.
 

BGH, Beschl. v. 23.6.2020 – 5 StR 164/20: Mehrfacher Einsatz einer fremden EC-Karte an demselben Geldautomaten

Noch ein EC-Karten-Fall hat den BGH diesen Juni beschäftigt, in konkurrenzrechtlicher Hinsicht: T erlangte EC-Karte und PIN des O. Daraufhin hob er an einem Geldautomaten der örtlichen Sparkasse zunächst 400 € und etwa eine Minute später weitere 600 € ab.

„Bei mehrfachem unberechtigtem Einsatz einer fremden ec-Karte an demselben Geldautomaten innerhalb kürzester Zeit – mit von vornherein auf die Erlangung einer möglichst großen Bargeldsumme gerichtetem Vorsatz – stellen die einzelnen Zugriffe eine einheitliche Tat nach § 263a StGB im materiellrechtlichen Sinne dar.“ (Rn. 3)

 
Strafprozessrecht

BGH, Beschl. v. 11.3.2020 – 4 StR 307/19: Kein Strafklageverbrauch durch Einstellung durch die Staatsanwaltschaft gem. § 153 Abs. 1 StPO

In einem Beschluss dieses Jahr stellte der BGH klar, dass eine Verfahrenseinstellung der Staatsanwaltschaft nach § 153 Abs. 1 StPO ohne Zustimmung des Gerichts kein Verfahrenshindernis begründet und der Aburteilung der Tat daher nicht entgegensteht, es kommt nicht mal ein begrenzter Strafklageverbrauch infrage. Das ist insofern anders als bei einer gerichtlichen Verfahrenseinstellung nach § 153 Abs. 2 StPO, nach der eine Verfahrensfortführung nur unter den Voraussetzungen des § 153a Abs. 1 S. 5 StPO möglich ist.

„Denn anders als bei einem gerichtlichen Beschluss nach § 153 Abs. 2 StPO, der auf der Grundlage einer auch für ein Urteil ausreichenden Sachverhaltsaufklärung ergehen kann, handelt es sich bei der staatsanwaltschaftlichen Einstellung nach § 153 Abs. 1 StPO strukturell um eine Entscheidung, der unter dem Gesichtspunkt des Verfahrensschutzes nicht die einem Urteilsverfahren ähnliche Verlässlichkeit zuzumessen ist. […] Da die Staatsanwaltschaft die von ihr […] verfügte Wiederaufnahme des Verfahrens auf neue Erkenntnisse und Tatsachen, die den Verdacht einer vorsätzlichen Tatbegehung begründeten, gestützt hat, liegt auch kein Verstoß gegen das Willkürverbot vor.“ (Rn. 4)

Alles in allem also eine Entscheidung, die sich gut in einer StPO-Zusatzfrage z.B. abfragen lässt, da man hier gut den Vergleich der Einstellung nach § 153 Abs. 1 StPO und der nach Abs. 2 ziehen kann.
 

BGH, Beschl. v. 27.5.2020 – 5 StR 166/20: Entzug des letzten Wortes bei Missbrauch

Kurz gehalten ist der Beschluss des BGH zu dem Fall, dass der Angeklagte eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragte, weil ihm nicht ausreichend Gelegenheit zum letzten Wort (§ 258 StPO) gegeben worden sei, als ihm nach fünf Tagen das Wort entzogen wurde:

„Nach zehn Tagen Beweisaufnahme konnte er fünf Tage lang Ausführungen zu seiner Verteidigung machen. Dass er durch die Vorsitzende dabei 31 mal darauf hingewiesen wurde, dass seine Ausführungen Wiederholungen und Weitschweifigkeiten enthalten, und ihm schließlich eine Frist zur Beendigung seiner Ausführungen gesetzt wurde, lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Denn ein Vorsitzender darf nach § 238 Abs. 1 StPO einschreiten, wenn sich die Ausführungen des Angeklagten in seinem letzten Wort mit nicht zur Sache gehörenden Umständen befassen, fortwährende Wiederholungen oder andere unnütze Weitschweifigkeiten enthalten oder sonst einen Missbrauch seines letzten Wortes darstellen. Nach mehrmaligen erfolglosen Ermahnungen ist auch der Entzug des letzten Wortes möglich.“ (Rn. 7)

 

Weitere Beiträge

Folgende Beiträge beschäftigen sich nicht mit Entscheidungen aus dem hier betrachteten Zeitraum, sind aber dieses Jahr erschienen und behandeln Examensrelevantes:
 
Unsere ausführliche Besprechung des Beschlusses des OLG Karlsruhe vom 13.3.2019 (1 Rv 3 Ss 691/18) zur Manipulation von Warenetiketten, wobei das Gericht über einen examensrelevanten Fall entschied, der sich im Kontext der Vermögens- und auch Urkundendelikte bewegt: Der Täter tauschte zwei Warenetiketten aus und zahlte an der Kasse in der Folge einen „falschen“ geringeren Preis, was der Kassiererin nicht auffiel. Er machte sich dadurch strafbar wegen Betrugs, woran sich im Hinblick auf den Vermögensschaden auch nichts dadurch ändert, dass er von einer Ladendetektivin beobachtet und vor Verlassen des Ladens aufgehalten wurde:

„Dass der von dem Täter erstrebte Vermögensvorteil erlangt oder auch nur erreichbar ist, ist hingegen wegen der überschießenden Innentendenz zur Tatbestandsvollendung nicht erforderlich. Danach ist erst recht dann von Vollendung auszugehen, wenn der Täter die rechtswidrig erstrebte Vermögensposition – wie hier Eigentum und Besitz an der Schlauchtrommel – bereits erlangt hat, diese aber noch nicht gegen die unmittelbar drohende Erhebung berechtigter Rückgabeansprüche des Geschädigten sichern konnte, weil er sich noch in dessen Herrschaftsbereich aufhält und seine Tat von einem im Auftrag des Geschädigten handelnden, eingriffsbereiten Dritten beobachtet wurde.“ (Rn. 22)

Eine Urkundenunterdrückung hat der Täter ebenfalls verwirklicht, denn das Etikett i.V.m. der Ware stellt eine zusammengesetzte Urkunde dar, die durch das Abreißen des Etiketts, um das Austauschen zu ermöglichen, vernichtet wurde. Eine Urkundenfälschung kam im konkreten Fall aber nicht in Betracht.
 
Der Beitrag von Dr. Lorenz Bode, in dem er klausurtaktische Hinweise zu dem Beschluss des BGH vom 6.6.2019 (STB 14/19) zu Beweisverwertungsverboten und Widerspruchslösung gibt. Hier wurde die Pflicht, dass Beweisverwertungsverbote im Ermittlungsverfahren „unabhängig von einem Widerspruch des Beschuldigten von Amts wegen zu beachten“ sind, „auch wenn der zugrundeliegende Verfahrensmangel eine für ihn disponible Vorschrift betrifft“, festgeschrieben.
 
Keine Gerichtsentscheidung, aber eine brandaktuelle Frage wird im Beitrag von Tobias Vogt behandelt: Es geht um die Strafbarkeit durch Ansteckung mit dem Coronavirus, die im Kontext einer Anzeige gegen eine Strafrichter wegen versuchter Körperverletzung, nachdem dieser auf die Durchführung einer Gerichtsverhandlung bestand, auch im Grundsatz betrachtet wird. Hierbei kommt die Möglichkeit einer Strafbarkeit wegen gefährlicher Körperverletzung, §§ 223, 224 StGB, in Betracht, die aber wohl häufig am fehlenden Vorsatz scheitern wird. Dann ist aber an eine fahrlässige Körperverletzung, § 229 StGB, denkbar. Bei tödlichem Verlauf ist natürlich an die Tötungsdelikte zu denken, auch ist immer der Versuch zu berücksichtigen.

03.08.2020/1 Kommentar/von Charlotte Schippers
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Charlotte Schippers https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Charlotte Schippers2020-08-03 08:16:002020-08-03 08:16:00Rechtsprechungsübersicht Strafrecht und Strafprozessrecht 1. Halbjahr 2020
Dr. Melanie Jänsch

BGH: Mordmerkmal der gemeingefährlichen Mittel in Abgrenzung zur „Mehrfachtötung“

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Mit aktuellem Beschluss vom 14.04.2020 hat der BGH (Az.: 5 StR 93/20) die Anforderungen an das Mordmerkmal der gemeingefährlichen Mittel gem. § 211 Abs. 2 Gr. 2 Var. 4 StGB speziell für den Fall naturgemäß gemeingefährlicher Mittel – wie der Brandstiftung – abermals konturiert. Eine sichere Prüfung dieses Tatbestandsmerkmals gehört zu den absoluten Basics, die von jedem Examenskandidaten beherrscht werden sollten. Das Mordmerkmal der gemeingefährlichen Mittel hat zudem insbesondere infolge der Raserfälle in jüngerer Vergangenheit erhöhte Aufmerksamkeit erfahren (s. hierzu LG Berlin v. 27.02.2017 − (535 Ks) 251 Js 52/16 (8/16); offen gelassen in der Revisionsinstanz: BGH v. 16.01.2019 – 4 StR 345/18), sodass von einer gesteigerten Prüfungsrelevanz auszugehen ist. Die Entscheidung soll daher zum Anlass genommen werden, sich – unter Berücksichtigung der bisherigen Rechtsprechung des BGH zur Abgrenzung von der „schlichten Mehrfachtötung“ – eingehender mit dem Mordmerkmal der gemeingefährlichen Mittel auseinanderzusetzen.
 
A) Sachverhalt (vereinfacht und leicht abgewandelt)
Der Sachverhalt ist schnell erzählt: Der Täter T zündete in dem von ihm bewohnten Zimmer im ersten Obergeschoss eines Wohnkomplexes aus Unzufriedenheit mit seiner Wohnsituation eine auf seinem Bett liegende Wolldecke an, schloss die Zimmertür und verließ anschließend das Haus. Dabei war dem T bewusst, dass sich im ersten Obergeschoss zwei weitere Bewohner aufhielten. Zudem rechnete er damit, dass sich im Dachgeschoss mindestens eine weitere Person befand. Ihm war das hohe Gefahrenpotential eines Feuers in einem Wohnhaus bewusst und er erkannte die naheliegende Möglichkeit einer körperlichen Verletzung oder des Todes der im Wohnhaus anwesenden Personen durch das Feuer oder entstehende Rauchgase und fand sich mit dem möglichen Eintritt dieser Folgen ab. Das Feuer entwickelte sich zunächst unbemerkt. Als ein im selben Geschoss wohnender Bewohner den Brand entdeckte, stand bereits das ganze Bett des T in Flammen. Er machte einen weiteren im ersten Obergeschoss wohnenden Zeugen auf den Brand aufmerksam, beide alarmierten einen im Dachgeschoss wohnenden Bewohner; sie flüchteten gemeinsam ins Freie und alarmierten die Feuerwehr. Zwei der drei Bewohner erlitten leichte bis mittelschwere Rauchgasvergiftungen. Als die Feuerwehr eintraf, konnte sie ohne Atemschutz nur bis zur Hälfte der Holztreppe ins Obergeschoss vordringen. Aufgrund der Hitze, des Rauchgases und des fehlenden Sauerstoffs bestand ab dort akute Lebensgefahr. Erst zwölf Minuten später konnten mit Atemschutzgeräten und Wärmeschutzanzügen ausgestattete Feuerwehrtrupps das Gebäude betreten und in die Obergeschosswohnung vordringen. Der im Zimmer des T lodernde Vollbrand konnte gelöscht werden.
 
B) Rechtsausführungen
Der Fokus der Prüfung soll auf der Frage liegen, ob sich T wegen versuchten Mordes mit gemeingefährlichen Mitteln in drei tateinheitlichen Fällen gemäß §§ 211 Abs. 1, Abs. 2 Gr. 2 Var. 3, 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1, 12 Abs. 1 StGB strafbar gemacht hat.
 
Anmerkung: Das Landgericht Saarbrücken hatte den Angeklagten in erster Instanz wegen versuchten Mordes in drei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit versuchter besonders schwerer Brandstiftung, schwerer Brandstiftung und gefährlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen verurteilt. Aus didaktischen Gründen wird im Rahmen dieses Beitrags von der Prüfung der weiteren Delikte abgesehen; sie sollten in einer Klausur aber zwingend bedacht werden.
 
I. Vorprüfung
Mangels Erfolgseintritts wurde die Tat nicht vollendet. Die Strafbarkeit des Versuchs ergibt sich aus dem Verbrechenscharakter des Mordes, §§ 211 Abs. 1, 12 Abs. 1 StGB.
 
II. Tatentschluss
T müsste mit Tatentschluss gehandelt haben. Dies setzt Vorsatz hinsichtlich der Verwirklichung des objektiven Tatbestandes sowie das Vorliegen etwaiger subjektiver Tatbestandsmerkmale voraus. Zweifelsohne kann nach den Feststellungen der Tötungsvorsatz bejaht werden. Fraglich ist allein, ob es sich bei der Brandstiftung um eine Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln i.S.v. § 211 Abs. 2 Gr. 2 Var. 3 StGB handelt.
 
1. Präzisierung der Gemeingefährlichkeit
Ein Tötungsmittel ist nach ständiger Rechtsprechung des BGH gemeingefährlich, „wenn es in der konkreten Tatsituation eine unbestimmte Anzahl von Menschen an Leib oder Leben gefährden kann, weil der Täter die Ausdehnung der Gefahr nicht in seiner Gewalt hat. Dabei ist nicht allein auf die abstrakte Gefährlichkeit eines Mittels abzustellen, sondern auf seine Eignung und Wirkung in der konkreten Situation unter Berücksichtigung der persönlichen Fähigkeiten und Absichten des Täters.“ (S. etwa BGH, Beschl. v. 18.07.2018 – 4 StR 170/18, NStZ 2019, 607 mwN). Für die Gemeingefährlichkeit ist mithin entscheidend, inwieweit das spezifische Mittel infolge seines Einsatzes nicht mehr beherrschbar und aufgrund dessen im Allgemeinen in seiner Wirkung geeignet ist, mehrere Menschen an Leib und Leben zu verletzen. Dabei kommt es – so ausdrücklich der BGH in seiner aktuellen Entscheidung – auf den Umfang des konkreten Gefährdungsbereichs nicht an:

„Seine Beschränkung auf eine Räumlichkeit schließt die Eigenschaft als gemeingefährliches Mittel nicht aus, denn jede auch noch so allgemeine Gefahr hat der Natur der Sache nach irgendeine örtliche Grenze.“ (Rn. 8)

Mit anderen Worten: Dass der T den Brand in seinem Zimmer gelegt hat, schließt die Gemeingefährlichkeit des Mittels nicht grundsätzlich aus. Im Gegenteil wohnt bestimmten Handlungen, zu denen der Einsatz von Brandsetzungsmitteln oder Explosionsstoffen zählen, aufgrund ihrer naturgemäß fehlenden Beherrschbarkeit die Gemeingefährlichkeit bereits inne. Ausdrücklich formuliert der BGH:

„Es gibt nach ihrer Eigenart grundsätzlich gemeingefährliche Mittel, bei denen allenfalls im Einzelfall die Beherrschbarkeit bejaht oder bei der speziellen Art ihrer Handhabung die Gefahr für eine Vielzahl von Menschen ausnahmsweise verneint werden kann. Dazu zählen Brandsetzungsmittel und Explosionsstoffe. Bei ihnen hat der Täter die Folgen seines Tuns typischerweise nicht in der Hand (…). An der gemeingefährlichen Verwendung fehlt es bei an sich nicht beherrschbaren Mitteln nur dann, wenn der Täter im konkreten Fall davon ausgeht, es könne dadurch nur die zur Tötung ins Auge gefasste Person getroffen werden.“ (Rn. 9)

Kurzum: Es kommt also darauf an, dass der Täter gerade aufgrund der Unbeherrschbarkeit des von ihm gewählten Mittels nicht ausschließen kann, eine Mehrzahl von Personen zu töten. Wählt er ein Mittel, das – wie hier die Brandstiftung – schon seiner Art nach im Regelfall nicht beherrscht werden kann, fehlt es an der Gemeingefährlichkeit nur in Ausnahmefällen.
 
2. Eine Abgrenzung zu „Mehrfachtötungen“
Die Gemeingefährlichkeit des Mittels war aber nach bisheriger Rechtsprechung des BGH auch bei ihrer Eigenart nach unbeherrschbaren Mitteln dann abzulehnen, wenn es sich bei der konkreten Tat um eine „bloße Mehrfachtötung“ handelte (vgl. BGH, Beschl. v. 18.07.2018 – 4 StR 170/18, NStZ 2019, 607, und v. 12.11.2019 – 2 StR 415/19; MüKo-StGB/Schneider, 3. Aufl., § 211 Rn. 127 mwN). Die Abgrenzung erfolge danach, ob sich der Täter mit Tötungsvorsatz gegen eine bestimmte Anzahl individualisierter Opfer wende – dann liege eine Mehrfachtötung und keine Gemeingefährlichkeit vor – oder ob er auch die Tötung von Zufallsopfern billigend in Kauf nehme (s. hierzu auch Altvater, NStZ 2006, 86, 90). Konnte also festgestellt werden, dass sich die Tat trotz Einsatzes eines naturgemäß gemeingefährlichen Mittels gegen einen individualisierten Kreis von Personen richtet, war das Vorliegen dieses Mordmerkmals zu verneinen (s. hierzu insbesondere die lesenswerte Entscheidung des BGH v. 18.07.2018 – 4 StR 170/18, NStZ 2019, 607).
In seiner aktuellen Entscheidung äußert der BGH hingegen zu Recht begründete Zweifel an der Aufrechterhaltung dieser Rechtsprechung:

„Es erscheint wertungswidersprüchlich, den Täter, der von vornherein eine konkrete Vielzahl von Opfern durch ein in seinem Gefahrenpotential nicht beherrschbares Mittel tötet, gegenüber demjenigen zu privilegieren, der ohne diese Konkretisierung aufgrund der Gemeingefahr des Tötungsmittels auch nicht bereits individualisierte Opfer in Kauf nimmt (vgl. näher Schneider, aaO Rn. 127). Ausgehend von der bisherigen Rechtsprechung müsste in Fällen nicht weiterer Aufklärbarkeit der Tätervorstellung der Zweifelssatz für die Annahme sprechen, dem Täter sei es gerade auf die Tötung aller in die Gefahrenlage einbezogenen Personen angekommen. Weder die Formulierung noch der Sinn und Zweck des Mordmerkmals gebieten nach Ansicht des Senats eine solche Auslegung. Das gesetzliche Tatbestandsmerkmal stellt lediglich auf die vom Vorsatz umfasste Art des Tatmittels, nicht auf die Konkretisierung des Opfers in der Vorstellung des Täters ab. Die Unbestimmbarkeit des Opferkreises folgt vielmehr aus der besonderen Art des Tötungsmittels, das nach Freisetzung der in ihm ruhenden Kräfte für den Täter nicht mehr beherrschbar ist. Entscheidend muss es deshalb darauf ankommen, ob für den Angeklagten nicht mehr berechenbar ist, wie viele Menschen durch das Tatmittel verletzt und getötet werden können, weil er den Umfang der Gefährdung nicht beherrscht (…). Hat es der Täter bewusst nicht in der Hand, wie viele Menschen in den von ihm geschaffenen Gefahrenbereich geraten und durch sein Verhalten gefährdet werden, tötet er nach Ansicht des Senats auch dann mit gemeingefährlichen Mitteln, wenn er mit dem für ihn unbeherrschbaren Mittel eigentlich nur eine bestimmte Zahl konkreter Menschen töten will (…).“ (Rn. 11 f.)

 
III. Im konkreten Fall ohnehin fehlende Individualisierung des Opferkreises
Ob die Rechtsprechung, die bei der Abgrenzung zur Mehrfachtötung auf die Individualisierung des Personenkreises beim Einsatz per se unbeherrschbarer Mittel abstellt, aufrechterhalten werden kann, konnte jedoch letztlich offenbleiben, da dem T nach den Urteilsfeststellungen jedenfalls bewusst war, dass weitere, nicht näher konkretisierte Bewohner des Hauses an Leib und Leben gefährdet werden konnten. Er hatte weder kontrolliert, welche Personen sich in dem Wohnkomplex aufhielten, noch sichergestellt, dass weitere Bewohner oder Besucher das Haus nach der Brandlegung nicht mehr betreten. Zwar bezog sich sein bedingter Tötungsvorsatz auf zwei konkrete Hausbewohner, er rechnete aber auch damit, dass mindestens eine weitere, nicht konkretisierte Person im Haus war. Zudem wurden mit den Rettungskräften der Feuerwehr auch weitere Personen gefährdet. Der Kreis der potentiell durch die Brandlegung an Leib und Leben Gefährdeten war durch die Eigenart des Brandobjekts und die Dauer des Brandes letztlich unbestimmbar. (Rn. 15) Damit ist selbst nach der einschränkenden bisherigen Rechtsprechung des BGH der Einsatz gemeingefährlicher Mittel in diesem Fall anzunehmen. Der T hatte Vorsatz in Bezug auf die Begehung eines Mordes mit gemeingefährlichen Mitteln i.S.v. § 211 Abs. 2 Gr. 2 Var. 3 StGB.
 
Achtung: Liegt die Sachverhaltskonstellation anders, ist dem T etwa versehentlich eine Zigarette auf die Decke gefallen und verlässt er daraufhin das Haus, kommt lediglich ein versuchter Mord durch Unterlassen gem. §§ 211, 212, 13 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB in Betracht (Garantenstellung durch Ingerenz). Nach zweifelhafter Ansicht des BGH (Grundlegend BGHSt 34, 13; zutr. a.A. Fischer, StGB, 67. Aufl. 2020, § 211 Rn. 61) kann die Variante der Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln aber nicht durch Unterlassen verwirklicht werden. Nach diesen Maßstäben würde sich die hiesige Problematik (Gemeingefährlichkeit nur bei fehlender Individualisierung des Personenkreises) gar nicht stellen – so fragwürdig das sein mag. 
 
Anmerkung: In Betracht könnte man zudem das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe gemäß § 211 Abs. 2 Gr. 1 Var. 4 StGB ziehen. Hierunter fällt die Tötung aus solchen Motiven, die nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und deshalb als besonders verwerflich anzusehen sind. Beurteilt wird dies nach der gesellschaftlich anerkannten und gelebten Sozialmoral, wobei die Umstände der Tat, ihre Vorgeschichte, die Lebensverhältnisse des Täters sowie seine Persönlichkeit in einer Gesamtschau zu bewerten sind (ausführlich MüKo-StGB/Schneider, 3. Aufl. 2017, § 211 Rn. 70 ff.). Aufgrund der restriktiven Handhabe des Merkmals wird man im vorliegenden Fall das Motiv des T – die Unzufriedenheit mit seiner Wohnsituation – aber mangels weiterer Informationen wohl nicht als in besonderem Maße verwerflich einordnen können.
 
III. Unmittelbares Ansetzen
Gemäß § 22 StGB liegt der Versuch einer Straftat aber erst dann vor, wenn der Täter nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar angesetzt hat. Zwar ist dies nach ständiger Rechtsprechung des BGH bereits dann der Fall, wenn eine vorgelagerte Handlung „nach der Vorstellung des Täters bei ungestörtem Fortgang ohne Zwischenakte zur Tatbestandsverwirklichung führt oder im unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang in sie einmündet (s. exemplarisch BGH, Urt. v. 16.09.1975 – 1 StR 264/75, BGHSt 26, 201, 203; v. 16.01.1991 – 2 StR 527/90, BGHSt 37, 294, 297 f. und v. 20.03.2014 – 3 StR 424/13, NStZ 2014, 447; Besch. v. 29.01.2014 – 1 StR 654/13, JR 2014, 299, 300 und v. 20.09.2016 – 2 StR 43/16, NStZ 2017, 86 f.).“ Jedenfalls aber ist der Eintritt ins Versuchsstadium dann erfolgt, wenn der Täter bereits mit der tatbestandlichen Ausführungshandlung dergestalt begonnen hat, dass bereits ein Tatbestandsmerkmal verwirklicht wurde. Dies ist hier der Fall: Durch das Anzünden der Decke und das anschließende Verlassen des Hauses hat der T die Tathandlung vorgenommen. Damit hat er unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt.
 
IV. Rechtswidrigkeit und Schuld
Er handelte auch rechtswidrig und schuldhaft.
 
V. Ergebnis
T hat sich wegen versuchten Mordes gemäß §§ 211 Abs. 1, Abs. 2 Gr. 2 Var. 3, 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1, 12 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
 
C) Fazit
Zusammenfassend kommt es für die Qualifikation eines Tötungsmittels als gemeingefährlich darauf an, ob das Mittel – wegen seiner abstrakten Gefährlichkeit, aber auch wegen seiner Eignung und Wirkung in der konkreten Situation unter Berücksichtigung der persönlichen Fähigkeiten und Absichten des Täters – eine unbestimmte Anzahl von Menschen an Leib oder Leben gefährden kann, gerade weil der Täter die Ausdehnung der Gefahr nicht beherrschen kann. Bestimmte Mittel wie beispielsweise der Einsatz von Sprengstoff sind dabei schon ihrer Art nach typischerweise nicht zu kontrollieren, sodass sie nur in besonderen Fällen nicht als gemeingefährlich einzuordnen sind. Nach bisheriger BGH-Rechtsprechung kommt gleichwohl eine Verneinung der Gemeingefährlichkeit dann in Betracht, wenn sich der Täter mit Tötungsvorsatz gegen eine bestimmte Anzahl individualisierter Opfer richtet. Ob diese Rechtsprechung gerade in Fällen der Brandlegung in einem Wohnhaus künftig aufrechterhalten bleibt, wird man indes abwarten müssen; in der hier besprochenen Entscheidung hat der BGH dies mit überzeugenden Argumenten in Zweifel gezogen.
 
 

29.06.2020/1 Kommentar/von Dr. Melanie Jänsch
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Melanie Jänsch https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Melanie Jänsch2020-06-29 09:00:462020-06-29 09:00:46BGH: Mordmerkmal der gemeingefährlichen Mittel in Abgrenzung zur „Mehrfachtötung“
Tobias Vogt

Strafbarkeit durch Ansteckung mit dem Coronavirus

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Es gibt wohl kein Thema, dass in den letzten Jahren derart die Schlagzeilen bestimmt hat wie das neuartige Coronavirus. Daher dürfte es auch nicht verwunderlich sein, falls rechtliche Probleme rund um das Coronavirus künftig Gegenstand juristischer Prüfungen sein werden.
In München kam es vergangene Woche bereits zum Eklat: Ein Münchener Rechtsanwalt zeigte einen Strafrichter wegen versuchter Körperverletzung an, nachdem dieser auf die Durchführung einer Gerichtsverhandlung bestand. Anwesend waren über 50 Personen. Nach Ansicht des beteiligten Anwalts sei die Verhandlung daher eine Hochrisikoveranstaltung, bei der ein erhöhtes Ansteckungsrisiko bewusst in Kauf genommen werde.
Dies bietet Anlass, die prüfungsrelevanten Probleme der Strafbarkeit durch Infizierung Anderer mit dem Coronavirus zu erläutern:
I. Strafbarkeit wegen gefährlicher Körperverletzung §§ 223, 224 StGB
Wer eine andere Person mit dem Coronavirus infiziert, der erfüllt den objektiven Tatbestand der Körperverletzung – und dies selbst dann, wenn der Infizierte über keinerlei Symptome klagt. Zwar erfordert eine körperliche Misshandlung spürbare Folgen der Infektion. Eine Gesundheitsschädigung liegt aber bereits in der Infektion mit einer nicht ganz unerheblichen Krankheit selbst, in deren Folge der betroffene auch selbst infektiös sein kann (vgl. BGH, Urteil vom 04-11-1988 – 1 StR 262/88).
Ggf. kann auch eine Strafbarkeit nach § 224 StGB wegen gefährlicher Körperverletzung vorliegen. In Betracht kommt die Beibringung eines anderen gesundheitsschädlichen Stoffes (Nr. 1, 2. Alt.) sowie eine lebensgefährliche Behandlung (Nr. 5).
Nach hM. sind Erreger von Krankheiten als gesundheitsschädliche Stoffe iSd. § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB anzusehen (statt vieler Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, 30. Aufl. 2019, StGB § 224 Rn. 2c). Um in Bagatellfälle unangemessen hohen Strafe und einen Wertungswiderspruch mit den Nr. 2-5 zu vermeiden, ist über den Wortlaut hinaus erforderlich, dass die Substanz nach ihrer Art und dem konkreten Einsatz zur Verursachung einer erheblichen Gesundheitsschädigung geeignet ist. Nur so kann die gegenüber dem Grundtatbestand des § 223 StGB massive Strafrahmenerhöhung gerechtfertigt werden. Auch wenn einige die Erkrankung mit dem neuartigen Coronavirus in einigen Fällen milde verläuft, so ist der Virus dennoch jedenfalls geeignet, eine erhebliche Gesundheitsschädigung hervorzurufen.
Zudem kann eine lebensgefährdende Behandlung gemäß Nr. 5 vorliegen. Nach hM. ist keine konkrete Lebensgefahr erforderlich, sondern eine abstrakte Lebensgefahr ausreichend. Schließlich setzten auch die Nr. 1-4 abstrakte Gefahren unter die erhöhte Strafe. Zudem steht im Fokus des Wortlauts gerade die lebensgefährliche Behandlung, also nicht der konkrete Erfolg. An der abstrakten Lebensgefährlichkeit der Ansteckung mit dem Coronavirus kann gezweifelt werden, weil die Krankheit nur in Ausnahmefällen tödlich verläuft. Dies ist bislang in der Regel nur bei älteren Menschen, sowie Personen mit Vorerkrankungen der Fall – sog. Risikogruppe. Ob eine Strafbarkeit nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StBG vorliegt, kann daher nur anhand des konkreten Einzelfalls beurteilt werden. Maßgeblich ist die individuelle Schädlichkeit der Einwirkung gegen den Körper des Verletzten (BGH, Beschluss vom 16. 1. 2013 – 2 StR 520/12) unter Berücksichtigung von Alter und Vorerkrankung des Opfers (Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, 30. Aufl. 2019, StGB § 224 Rn. 12). Die Infizierung einer Person, die zur Risikogruppe zählt, stellt somit eine lebensgefährliche Behandlung dar, die Infizierung einer sonstigen Person dagegen nicht.
Eine Strafbarkeit wegen vorsätzlicher Körperverletzung wird in der Praxis oftmals am fehlenden Vorsatz scheitern. Ausreichend ist jedoch – wie sonst auch – dolus eventualis. Es kommt also in einer Klausur auf den Klassiker, die Abgrenzung des bedingten Vorsatzes zur bewussten Fahrlässigkeit, an (siehe dazu ausführlich unser Beitrag hier). Erkennt der Täter das Risiko einer Ansteckung anderer Personen und nimmt er dieses Risiko billigend in Kauf, so ist der Vorsatz zu bejahen. Vertraut er aber darauf, niemanden zu infizieren, ist ihm mangels Vorsatz nur ein Fahrlässigkeitsvorwurf zu machen.
II. Fahrlässige Körperverletzung § 229 StGB
Eine fahrlässige Körperverletzung dürfte jedenfalls dann zu bejahen sein, wenn der Täter von seiner eigenen Infektion wusste, oder zumindest aufgrund von engen Kontakt zu einer infizierten Person oder eigener Symptome mit der ernsthaften Möglichkeit einer Erkrankung rechnen musste, und dennoch in Kontakt mit anderen Personen trat, die er infolge dessen ansteckte. Ohne konkreten Anhaltspunkt bezüglich einer eigenen Erkrankung dürfte eine Strafbarkeit wohl ausscheiden.
III. Strafbarkeit bei tödlichem Krankheitsverlauf
Führt die Infektion zum Tod des Opfers, so hat sich der Täter bei Vorsatz sogar wegen Totschlag nach § 212 StGB oder sogar wegen Mord  nach § 211 StGB strafbar gemacht. Als Mordmerkmale kommen insbesondere Heimtücke und gemeingefährliche Mittel in Betracht. Letzteres könnte anzunehmen sein, wenn sich der Täter trotz eigener Infektion in eine Menschenmenge begibt, bspw. an einer Party teilnimmt, wo er zugleich mit einer Vielzahl an Personen engen Kontakt hat. Ob eine Heimtücke trotz der aktuellen, allgemein bekannten Gefährdungslage angenommen werden kann, ist fraglich. Es könnte an der Arglosigkeit fehlen, wenn bei einer derart weit verbreiteten Pandemie grundsätzlich jederzeit mit dem Risiko einer Infektion gerechnet werden muss.
Fehlt es wiederum am Vorsatz, so kann er sich nach § 222 StGB wegen fahrlässiger Tötung strafbar gemacht haben. Handelt der Täter vorsätzlich bezüglich einer Körperverletzung, nicht hingegen hinsichtlich des tödlichen Verlaufs, so ist er strafbar wegen Körperverletzung mit Todesfolge gemäß § 227 StGB.
IV. Strafbarkeit wegen Versuch
Selbst wenn der Täter tatsächlich keine andere Person infiziert, so scheidet dadurch seine Strafbarkeit nicht von vorneherein aus. Rechnete er damit, andere anzustecken oder nahm er dies billigend in Kauf, so ist er mindestens wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung strafbar. Nahm er zudem auch den möglichen Tod einer anderen Person in Kauf, liegt eine Strafbarkeit wegen versuchtem Totschlag (oder sogar Mord) vor.
V. Strafbarkeit eines Richters wegen Durchführung der Verhandlung während Corona-Pandemie
In dem prominenten Fall der Anzeige gegen den Münchener Richter wird die denkbare Strafbarkeit wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung wohl mangels nachweisbaren Vorsatzes ausscheiden. In einer Klausur wäre in einem solchen Fall zudem die objektive Zurechnung einer Infektion zu thematisieren, wenn diese nicht von dem Täter (hier dem Richter) selbst ausgeht. Diese könnte aufgrund des Dazwischentretens Dritter – dem bereits infizierten Teilnehmer der Verhandlung – ausscheiden. Dies dürfte ebenso zu diskutieren sein, wenn es um die Strafbarkeit der Veranstalter sonstiger Massenzusammenkünfte (bspw. Corona-Partys) geht, bei der es zur Infizierung zwischen den Teilnehmern kommt. Zudem könnte im Fall des Richters die objektive Zurechnung aufgrund sozialadäquaten Verhaltens scheitern. Darüber, inwiefern eine Verhandlung während der aktuellen Pandemie noch sozialadäquat ist, kann aber durchaus gestritten werden. Zwei Münchener Anwälte scheiterten mit einem Eilantrag vor dem BVerfG, mit dem sie weitere Verhandlungen verhindern wollten.
VI. Summa
Die Ansteckung anderer Personen mit dem Coronavirus erfüllt den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung §§ 223, 224 Nr. 1, 2. Alt. (bei Personen der Risikogruppe zusätzlich Nr. 5), bei tödlichem Verlauf kommt sogar eine Strafbarkeit wegen Todschlag § 212 StGB oder Mord § 211 StGB in Betracht.
Auch wer sich dieser Folge – etwa mangels Kenntnis der eigenen Infektion – nicht bewusst ist, kann sich wegen fahrlässiger Körperverletzung oder Tötung § 229 StGB bzw. § 222 StGB strafbar machen.
Nahm der Täter billigend in Kauf, andere Personen anzustecken, so ist er dann, wenn er tatsächlich niemanden infiziert, aus Versuch zu bestrafen.
In diesem Sinne #stayhome und alles Gute.
 
 

25.03.2020/von Tobias Vogt
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tobias Vogt https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tobias Vogt2020-03-25 09:40:542020-03-25 09:40:54Strafbarkeit durch Ansteckung mit dem Coronavirus
Gastautor

Rechtsprechungsüberblick Strafrecht und Strafprozessrecht 2019

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Wir freuen uns, heute einen Beitrag von Charlotte Schippers veröffentlichen zu können. Die Autorin hat an der Universität Bonn Jura studiert und ist derzeit wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Institut für Arbeitsrecht und Recht der Sozialen Sicherheit an der Universität Bonn (Lehrstuhl Thüsing).
 
Bei der Vorbereitung auf die schriftliche und vor allem mündliche Examensprüfung, aber auch auf Klausuren des Studiums, ist die Kenntnis aktueller Rechtsprechung unbedingt erforderlich. Neue Urteile und Beschlüsse werden immer wieder als ein Teil der Prüfung herangezogen oder bei besonders wichtigen Entscheidungen ausdrücklich abgefragt. Der folgende Überblick soll für die examensrelevanten Entscheidungen in Strafsachen des Jahres 2019 als Stütze dienen und Ausgangspunkt für eine tiefere Auseinandersetzung sein.
 
Strafrecht
 
BGH, Beschl. v. 8.1.2019 – 1 StR 356/18: Bestätigung der Verurteilung gegen Waffenverkäufer im Fall des Amoklaufs in Münchener Olympia-Einkaufszentrum
Der BGH hat Anfang des Jahres das Urteil des LG München (19.1.2018 – 12 KLs 111 Js 239798/16) gegen den Verkäufer der Waffe, die der Amokläufer im Münchener Olympia-Einkaufszentrum verwendete, bestätigt, indem er die Rechtsmittel von Verteidigung und Nebenklage zurückwies: Der Verkäufer wurde durch das LG München wegen fahrlässiger Tötung in neun Fällen und wegen fahrlässiger Körperverletzung in fünf Fällen verurteilt. Eine Strafbarkeit wegen Beihilfe zum Mord, wie sie auch die Nebenkläger forderten, lehnte das LG München ab, denn der notwendige doppelte Beihilfevorsatz fehle. Es liege aber eine Sorgfaltspflichtverletzung durch den illegalen Verkauf von Schusswaffen und Munition, der sogar selbst den Straftatbestand des § 52 Abs. 1 Nr. 2c WaffG verwirklicht, vor. Darüber hinaus sei der Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs erkennbar und vorhersehbar. Das Dazwischentreten eines Dritten, also des Täters, stehe der Strafbarkeit nicht entgegen:

„[E]ine Mitverantwortung Dritter [führt] nur dann zum Wegfall des Zurechnungszusammenhangs zwischen dem pflichtwidrigen Verhalten des Täters und dem eingetretenen Erfolg, wenn das für den Erfolg ebenfalls kausale Verhalten des Dritten außerhalb jeder Lebenserfahrung liegt. Erforderlich ist demnach, dass die vom Täter ursprünglich gesetzte Ursache trotz des in den Kausalverlauf eingreifenden Verhaltens des Dritten wesentlich fortwirkt, der Dritte also hieran anknüpft. Hiervon ist jedenfalls in solchen Fallgestaltungen auszugehen, in denen sich in dem pflichtwidrigen Handeln des Dritten gerade das Risiko der Pflichtwidrigkeit des Täters selbst verwirklicht.“

Vgl. hier unsere ausführliche Besprechung.
 
Raserfälle: Relevant waren dieses Jahr auch die Verurteilungen von Rasern. Dies ist gerade mit Blick auf die Neueinführung des § 315d StGB ein hoch examensrelevantes Themengebiet, aber auch das mediale Interesse um die Verurteilungen wegen Mordes rückt entsprechende Urteile auch in den Fokus der Examensprüfer.
BGH, Beschl. v. 16.1.2019 – 4 StR 345/18: Bestätigung des Mordurteils gegen einen Raser
Anfang des Jahres hat der BGH ein Mordurteil gegen einen Raser bestätigt. Vorangegangen war die Entscheidung des LG Hamburg (Az.: 621 Ks 12/17) zu folgendem Sachverhalt: Bei einer Verfolgungsfahrt mit der Polizei in einem gestohlenen Taxi und fuhr der alkoholisierte A in der Innenstadt bewusst auf die Gegenfahrbahn. Diese war leicht kurvig und baulich von der übrigen Fahrbahn abgetrennt. A fuhr mit einer Geschwindigkeit von bis zu 155 km/h, bis er wegen Kollisionen mit dem Kantstein der Fahrbahn und einer Verkehrsinsel die Kontrolle über das Fahrzeug verlor und nach Überqueren einer Kreuzung mit einer Geschwindigkeit von mindestens 130 km/h frontal mit einem ihm mit nur ca. 20 km/h entgegenkommenden Taxi zusammenstieß. Einer der Insassen verstarb, zwei weitere wurden schwer verletzt.
Das LG ging bei seiner Entscheidung davon aus, dass A mit bedingtem Vorsatz gehandelt habe, was auch der BGH bestätigte:

„[A war] bewusst, ,dass es mit hoher, letztlich unkalkulierbarer und nur vom Zufall abhängender Wahrscheinlichkeit zu einem frontalen Zusammenstoß mit entgegenkommenden Fahrzeugen kommen würde.‘ Ihm war auch ,bewusst, dass ein Frontalunfall mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zum Tod eines oder mehrerer direkter Unfallbeteiligter sowie eventuell zur Schädigung weiterer Personen führen würde.‘ All dies, auch der eigene Tod, wurde vom Angekl. gebilligt, weil er ,kompromisslos das Ziel, der Polizei zu entkommen‘, verfolgte.“

Das Vorliegen eines Mordmerkmals mag mit Blick auf die Verwendung eines gemeingefährlichen Mittels einschlägig sein, das ließ der BGH aber offen. Erfüllt sei vorliegend jedenfalls die Verdeckungsabsicht, da es A maßgeblich darauf ankam, zu entkommen.
Zu mehr Einzelheiten vgl. auch unsere Besprechung.
 
LG Berlin, Urt. v. 26.3.2019 – 532 Ks 9/18: Bedingter Tötungsvorsatz bei Autorennen
Im medialen Fokus stand bereits letztes Jahr das Urteil des LG Berlin, mit dem es zwei Raser, die bei einem illegalen Autorennen einen unbeteiligten Verkehrsteilnehmer getötet hatten, wegen Mordes verurteilte. Dieses erste Urteil hatte der BGH zwar aufgehoben, sodass das LG Berlin erneut entscheiden musste. Es blieb aber dabei, die Angeklagten wegen Mordes zu verurteilen: Zunächst maßgeblich war der Vorsatz. Die Angeklagten hätten das Risiko des Todes anderer Verkehrsteilnehmer erkannt, hätten aber – aus Gleichgültigkeit – dennoch entsprechend gehandelt. Dieses Bewusstsein habe schon in dem Zeitpunkt vorgelegen, in dem die volle Kontrolle über das Fahrzeug noch vorhanden gewesen sei – zur Erinnerung: Der BGH war davon ausgegangen, dass der Tötungsvorsatz erst nach der Tat gegeben sei und demnach unbeachtlich war.
An Mordmerkmalen bejahte das LG das Auto als gemeingefährliches Mittel, die Heimtücke, da das Opfer die Ampel bei Grün überquert habe und damit arglos gewesen sei, sowie niedrige Beweggründe.
Zu weiteren Details sei auf unsere ausführliche Besprechung verwiesen.
 
OLG Karlsruhe, Beschl. v. 17.1.2019 – 2 Ws 341/18: Beendigung einer Beziehung als empfindliches Übel
Das OLG Karlsruhe hatte dieses Jahr darüber zu entscheiden, ob die Ankündigung der Beendigung einer Beziehung als ein empfindliches Übel bei der Strafbarkeit wegen (sexueller) Nötigung verstanden werden kann. Nachdem der Täter T die 17 Jahre alte O über ein soziales Netzwerk kennengelernt und mit dem falschen Profil X eine Internet-Beziehung aufgenommen hatte, traf er sich selbst als T mit O und kündigte an, dass, sollte sie sich weigern, mit ihm in sexuellen Kontakt zu treten, die Internet-Beziehung mit X beendet werde.
Das OLG entschied, dass T hierdurch den Tatbestand der sexuellen Nötigung gem. § 177 Abs. 2 Nr. 5 StGB verwirklicht habe, da bei der Frage, ob eine Drohung mit einem empfindlichen Übel vorliege, ein individuell-objektiver Maßstab zugrunde zu legen sei:

„Danach ist das angedrohte Übel dann empfindlich, wenn der in Aussicht gestellte Nachteil von solcher Erheblichkeit ist, dass seine Ankündigung geeignet erscheint, den Bedrohten im Sinn des Täterverlangens zu motivieren, und von dem Bedrohten in seiner Lage nicht erwartet werden kann, dass er der Bedrohung in besonnener Selbstbehauptung standhält. Mithin kommt es auf eine den Opferhorizont berücksichtigende Sichtweise und nicht auf einen besonnenen Durchschnittsmenschen an. Auch unter Berücksichtigung des Schutzgutes der Nötigungsdelikte – die Freiheit der Willensentschließung und -betätigung – kommt deshalb der Individualität des Bedrohten und der Frage, weshalb gerade von ihm in seiner konkreten Situation ein Standhalten gegenüber der Drohung erwartet werden kann, entscheidende Bedeutung. Danach kann auch ein angedrohter Beziehungsabbruch ein empfindliches Übel darstellen, wenn dieser Beziehung für den Bedrohten ein hoher Stellenwert zukommt.“

Das OLG Karlsruhe ging mithin im Ergebnis von der Strafbarkeit des T wegen sexueller Nötigung aus, s. auch unsere Besprechung.
 
OLG Köln, Beschl. v. 4.4.2019 – 2 Ws 122/19: Strafbarkeit eines gedopten Profiboxers nach § 223 StGB
Das OLG Köln beschäftigte sich im April mit der Strafbarkeit eines gedopten Profiboxers wegen Körperverletzung gem. § 223 Abs. 1 StGB. Profiboxer T besiegte in einem Boxkampf seinen Kontrahenten; allerdings war die nachfolgende Dopingprobe im Hinblick auf das synthetische anabole Steroid Stanozolol positiv. Nach Bejahung des objektiven Tatbestandes der einfachen Körperverletzung – ein Verwenden eines gefährlichen Werkzeugs wegen der eingesetzten Boxhandschuhe lehnte des OLG ausdrücklich ab – ist maßgeblich nach der rechtfertigenden Einwilligung zu fragen, die bei einem Sportwettkampf regelmäßig konkludent vorliegt. Hierbei ist ein Irrtum des Einwilligenden denkbar, denn der Gegner geht regelmäßig von einem anderen Leistungsniveau aus, als von dem, welches erst durch das Doping erzielt wird. So führt das OLG Köln aus:

„Die vom Teilnehmer eines Boxkampfes zumindest konkludent erteilte Einwilligung erstreckt sich ausschließlich auf solche Verletzungen, die bei regelkonformem Verhalten des Gegners üblich und zu erwarten sind. Doping als schwere Missachtung der anerkannten Sport- und Wettkampfregeln, die der Gegner nicht zu erwarten braucht, kann der wirksamen Einwilligung entgegenstehen.“

All dies steht unter dem Vorbehalt, dass das Doping dem Täter sicher nachgewiesen wird, was im konkreten Fall noch aussteht. Sollte dies jedenfalls der Fall sein, handelte er ohne Rechtfertigung und hat sich mithin wegen Körperverletzung gem. § 223 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
Vgl. hierzu unsere ausführlichere Besprechung.
 
BGH, Urt. v. 6.4.2019 – 5 StR 593/18: Konkretisierung des Gewahrsamswechsels bei kleinen, leicht transportablen Sachen
Im Frühjahr dieses Jahres hat der BGH eine Konkretisierung des Gewahrsamswechsels beim Diebstahl vorgenommen, wobei es insbesondere um die examensrelevante Frage der Begründung neuen Gewahrsams durch Verbringen der Sache in eine Gewahrsamsenklave ging. Der Sachverhalt ist schnell erzählt: Es ging um die Mitnahme von sechs Flaschen Alkohol, die der Täter T in einen Einkaufskorb und dann in seine Sporttasche legte, welche er verschloss, um die Flaschen ohne Bezahlung für sich zu behalten. Er wurde aber vor Verlassen des Ladens vom Ladendetektiv aufgehalten.
Zur Bestimmung, ob eine Wegnahme vorliegt, stellt der BGH auf die Gesamtumstände des konkreten Falls unter Berücksichtigung von Größe, Gewicht und Transportmöglichkeit der jeweiligen Sache ab:

„Danach macht es einen entscheidenden Unterschied, ob es sich bei dem Diebesgut um umfangreiche, namentlich schwere Sachen handelt, deren Abtransport mit besonderen Schwierigkeiten verbunden ist, oder ob es nur um kleine, leicht transportable Gegenstände geht. Bei unauffälligen, leicht beweglichen Sachen […] lässt die Verkehrsauffassung für die vollendete Wegnahme schon ein Ergreifen und Festhalten der Sache genügen. Steckt der Täter einen Gegenstand in Zueignungsabsicht in seine Kleidung, so schließt er allein durch diesen tatsächlichen Vorgang die Sachherrschaft des Bestohlenen aus und begründet eigenen ausschließlichen Gewahrsam.“

Das gilt unabhängig davon, wenn sich die handelnde Person noch im Gewahrsamsbereich des Berechtigten – hier des Supermarktes befindet. Für Fälle wie den Vorliegenden gilt daher:

„Für ohne Weiteres transportable, handliche und leicht bewegliche Sachen kann jedenfalls dann nichts anders gelten, wenn der Täter sie in einem Geschäft – wie hier – in Zueignungsabsicht in eine von ihm mitgeführte Hand-, Einkaufs-, Akten- oder ähnliche Tasche steckt; hierdurch bringt er sie in ebensolcher Weise in seinen ausschließlichen Herrschaftsbereich wie beim Einstecken in seine Kleidung.“

Die Strafbarkeit wegen vollendeten Diebstahls ist im vorliegenden Fall somit gegeben. S. zu diesem Urteil unsere Besprechung.
 
BGH, Beschl. v. 7.5.2019 – 1 StR 150/19: Niedrige Beweggründe bei Tötung des Intimpartners
Zu folgendem Fall (gekürzt) erging im Mai dieses Jahres ein Beschluss des BGH: Zwischen T und seiner Ehefrau F kam es vor allem wegen des täglichen Alkoholkonsums des T zu Streit, wobei sich F von T trennte und ihn aufforderte, aus ihrer Wohnung auszuziehen. Auch am nächsten Morgen beharrte sie auf ihrem Entschluss. Als sie das Haus verließ, um zur Arbeit zu gehen, folgte T ihr mit einem Messer in der Jackentasche und dem Vorhaben, sie zu töten, sollte sie ihm keine weitere Chance geben. F verneinte das Ansinnen des T und wandte sich von ihm ab, sodass T ihr, die sich keines Angriffs versah, von hinten vier Mal in den Rücken stach. F drehte sich überrascht um und ging infolge weiterer gegen die Brust geführter Stiche zu Boden. T setzte sich sodann auf die auf dem Rücken liegende F und stach weiter wuchtig auf ihren Brustbereich ein, wobei ihre Versuche, die Stiche abzuwehren, erfolglos blieben. T ließ erst von ihr ab, als sie regungslos liegenblieb. F starb durch die Blutungen.
Die Überlegungen des LG München, es handle sich um einen Mord, bei welchem die Mordmerkmale der Heimtücke und der niedrigen Beweggründe vorliegen, stimmte der BGH nur teilweise zu: Während das Merkmal der Heimtücke gegeben sei, sei hinsichtlich der niedrigen Beweggründe, anders als vom LG vorgenommen, weder maßgeblich darauf abzustellen,

„ob der Täter tatsachenfundiert auf den Fortbestand der Verbindung zum Opfer vertrauen durfte, noch darauf, wie der Zustand der Beziehung war, ob sich das Tatopfer aus nachvollziehbaren Gründen zur Trennung entschlossen hat, ob der Täter seinerseits maßgeblich verantwortlich für eine etwaige Zerrüttung der Partnerschaft war und ob er – dies ist ohnehin stets der Fall – ,die Trennungsentscheidung‘ des Partners ,hinzunehmen‘ hatte. Derartige Erwägungen sind zwar für die entscheidende Frage, ob die – stets als verwerflich anzusehende – vorsätzliche und rechtswidrige Tötung eines Menschen jeglichen nachvollziehbaren Grundes entbehrt, nicht ohne jede Bedeutung; allein der Umstand, dass sich die Trennung des Partners wegen des Vorverhaltens des Täters und des Zustands der Beziehung als „völlig normaler Prozess“ darstellt und (daher) von diesem hinzunehmen ist, ist aber nicht geeignet, die Tötung des Partners, die wie jede vorsätzliche und rechtswidrige Tötung verwerflich ist, als völlig unbegreiflich erscheinen zu lassen.“

Zu beachten ist bei der Prüfung auch, dass nach Auffassung des BGH der Umstand, dass die Trennung vom Tatopfer ausgegangen ist, als gegen die Niedrigkeit des Beweggrundes sprechender Umstand beurteilt werden darf.
 
BGH, Urt. v. 3.7.2019 – 5 StR 132/18 und 5 StR 393/18: Grundsatzurteile zur Sterbehilfe
Medial auch im Fokus standen zwei Urteile zur Sterbehilfe, die der BGH diesen Sommer erlassen hat. Es ging um die Strafbarkeit zweier Ärzte: Der im Hamburger Verfahren angeklagte Facharzt erstellte für zwei Frauen, die sich an einen Sterbehilfeverein gewandt hatten, neurologisch-psychiatrische Gutachten zu ihrer Einsichts- und Urteilsfähigkeit. Hierbei hatte er an der Festigkeit und Wohlerwogenheit ihrer Suizidwünsche keine Zweifel. Auf ihr Verlangen wohnte er auch der Einnahme der tödlich wirkenden Medikamente bei und unterließ Rettungsmaßnahmen. Eine Strafbarkeit nach §§ 216 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB und nach § 323c StGB wurde bereits in der Vorinstanz aufgrund der Tatherrschaft der Frauen über die Todesherbeiführung verneint. Der andere Arzt, um dessen Strafbarkeit es im Berliner Verfahren ging, war Hausarzt der Suizidwilligen, die an einer nicht lebensbedrohlichen, aber stark krampfartige Schmerzen verursachenden Krankheit litt und bereits mehrere Suizidversuche unternommen hatte. Er besorgte ihr ein tödlich wirkendes Medikament und betreute sie, als sie nach der Einnahme des Medikaments bewusstlos wurde. Auch er nahm keine Rettungsmaßnahmen vor. Auch hier wurde die Strafbarkeit abgelehnt, denn die Beschaffung des Medikaments eine straflose Beihilfe zur eigenverantwortlichen Selbsttötung.
Zwar lagen die Voraussetzungen für eine Strafbarkeit durch Unterlassen im Grundsatz wohl vor, wenn auch die Frage nach der Garantenstellung weitestgehend offen gelassen wurde. Allerdings verneinte der BGH die Pflicht zur Abwendung des Todeserfolgs:

„Beide Angeklagte waren nach Eintritt der Bewusstlosigkeit der Suizidentinnen auch nicht zur Rettung ihrer Leben verpflichtet. Der Angeklagte des Hamburger Verfahrens hatte schon nicht die ärztliche Behandlung der beiden sterbewilligen Frauen übernommen, was ihn zu lebensrettenden Maßnahmen hätte verpflichten können. Auch die Erstellung des seitens des Sterbehilfevereins für die Erbringung der Suizidhilfe geforderten Gutachtens sowie die vereinbarte Sterbebegleitung begründeten keine Schutzpflicht für deren Leben. Der Angeklagte im Berliner Verfahren war jedenfalls durch die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts der später Verstorbenen von der aufgrund seiner Stellung als behandelnder Hausarzt grundsätzlich bestehenden Pflicht zur Rettung des Lebens seiner Patientin entbunden.“ (Pressemitteilung Nr. 90/2019)

Konsequenterweise war daher auch nicht von einer Strafbarkeit wegen unterlassener Hilfeleistung gem. § 323c StGB auszugehen. Im Ergebnis verneinte der BGH daher insgesamt die Strafbarkeit der Ärzte. Da sich im Rahmen der Sterbehilfe jedenfalls komplizierte Fälle stellen lassen, sind diese Entscheidungen besonders (examens-)relevant.
Vgl. hierzu auch unsere umfassende Besprechung.
 
Strafprozessrecht
 
BVerfG, Beschl. v. 5.7.2019 – 2 BvR 167/18: Neues zur Wahlfeststellung
Das BVerfG hat sich im Sommer mit der echten Wahlfeststellung beschäftigt. Zur Erinnerung: Die echte Wahlfeststellung kommt infrage, wenn sicher ist, dass der Täter einen von mehreren möglichen Straftatbeständen erfüllt hat, aber nicht klar ist, welches Delikt er tatsächlich vorliegt. Daher erfolgt nach Auffassung der Rechtsprechung bei rechtsethischer und physiologischer Vergleichbarkeit oder nach der h. L. bei Identität des Unrechtskerns eine wahlweise Bestrafung. Teilweise bestehen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Wahlfeststellung, insbesondere da es an einer gesetzlichen Grundlage fehle, die aber wegen ihrer strafbarkeitsbegründenden Wirkung erforderlich sei, vgl. Art. 103 Abs. 2 GG. Das BVerfG hat nun jedoch die Verfassungsmäßigkeit bejaht. Zunächst stellte es heraus, dass es sich um eine Entscheidungsregel des Strafverfahrens handle, die nicht den Schutzbereich des Art. 103 Abs. 2 GG berühre. Darüber hinaus sei auch kein Verstoß gegen den Grundsatz „nulla poena sine lege“ festzustellen:

„In der Wahlfeststellungssituation hat das Tatgericht aufgrund des jeweils anwendbaren Straftatbestands zu prüfen, auf welche Strafe zu erkennen wäre, wenn eindeutig die eine oder die andere strafbare Handlung nachgewiesen wäre. Von den so ermittelten Strafen ist dann zugunsten des Angeklagten die mildeste zu verhängen. Dass sich hiernach die zu verhängende Strafe durch einen Vergleich (der für jede Sachverhaltsvariante konkret ermittelten Strafen) bestimmt, ändert nichts daran, dass das Tatgericht Art und Maß der Bestrafung einem gesetzlich normierten Straftatbestand entnimmt, genauer dem Gesetz, das für den konkreten Fall die mildeste Bestrafung zulässt.“

Auch der Unschuldsvermutung sei Genüge getan: Zwar könne dem Angeklagten eine konkrete, schuldhaft begangene Straftat nicht nachgewiesen werden, dennoch stünde zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Angeklagte sicher einen von mehreren alternativ in Betracht kommenden Straftatbeständen schuldhaft verwirklicht habe. Demnach ist die echte Wahlfeststellung als verfassungsgemäß zu betrachten.
Diesen Beschluss haben wir ebenfalls ausführlich besprochen.
 
 

11.11.2019/2 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2019-11-11 09:51:002019-11-11 09:51:00Rechtsprechungsüberblick Strafrecht und Strafprozessrecht 2019
Dr. Sebastian Rombey

LG Berlin geht im Berliner Raserfall erneut von Mord aus

Examensvorbereitung, Lerntipps, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Strafrecht, Strafrecht AT, Strafrecht BT

Die 32. Kammer des LG Berlin hat mit Urt. v. 26.03.2018 – 532 Ks 9/18, nachdem das erste Mordurteil der 35. Kammer des LG Berlin gegen zwei Raser, die bei einem illegalen Autorennen mit ihren Sportwagen einen unbeteiligten Verkehrsteilnehmer getötet hatten, vor dem BGH durchgefallen war, abermals Mord angenommen und dabei sogar noch weitere Mordmerkmale bejaht. Ein durchaus mutiges Urteil! Angesichts der Einführung der neuen Norm im StGB zu illegalen Kraftfahrzeugrennen (§ 315d StGB) sowie der großen gesellschaftlichen wie medialen Debatte um den Berliner Raserfall, lohnt sich ein Blick auf das instanzgerichtliche Urteil. Denn auch wenn dieses sicherlich nicht den Schlusspunkt des Falles bilden wird: Für das Examen interessant ist es allemal.
I. Karlsruhe vs. Berlin Moabit: Bedingter Vorsatz doch gegeben!
Im Hinblick auf die entscheidende Frage, ob Eventualvorsatz feststellbar ist, hat das Gericht keine Zweifel. Die Angeklagten hätten das Risiko, dass andere Verkehrsteilnehmer zu Tode kommen könnten, erkannt und dennoch entsprechend gehandelt; es sei ihnen schlicht gleichgültig gewesen. Hierbei habe dieses Bewusstsein schon in dem Zeitpunkt vorgelegen, in dem die Möglichkeit des Bremsens und damit die volle Kontrolle über das Fahrzeug noch vorhanden war. Der BGH hatte angenommen, der Tötungsvorsatz habe erst nach der Tat im Sinne eines unbeachtlichen dolus subsequens vorgelegen, was daran lag, dass die 35. Kammer des LG Berlin auf die unmittelbar letzte Sekunde vor dem Aufprall abgestellt hatte, in der jedoch – und das war der Fehler – keine Kontrollmöglichkeit mehr bestand. Mit der neuen Begründung versucht die 32. Kammer des LG Berlin nun, dem Koinzidenzprinzip des § 16 Abs. 1 S. 1 StGB gerecht zu werden.
Die überdies von den Verteidigern vorgebrachte Argumentation, die Angeklagten hätten darauf vertraut, dass schon nichts passieren werde, weshalb von bewusster Fahrlässigkeit auszugehen sei, wertete das Gericht ob der großen Gefährlichkeit des Tuns als Schutzbehauptung (PM Nr. 18/2019): „Bei diesen Geschwindigkeiten, der technischen Ausstattung der Fahrzeuge und den schlechten Sichtverhältnissen am Tatort hätten die Angeklagten keinerlei Anhaltspunkte dafür gehabt, auf einen positiven Ausgang hoffen zu können.“ Und das leuchtet unmittelbar ein: Denn wer mit durchgedrücktem Gaspedal mit über 170 km/h über den Berliner Ku’damm rast, kann schlicht nicht annehmen, dass alles gut gehen werde – fahrerisches Können hin oder her.
Gegen die Annahme von dolus eventualis spricht nach dem LG Berlin ferner auch nicht, dass die Angeklagten sich selbst (bzw. die Beifahrerin des einen Angeklagten) dem Risiko des Todes ausgesetzt hätten; dieses hätten sie vielmehr „um des Rennens Willen“ hingenommen. Eine Selbstgefährdung spreche nicht gegen den an sich gegebenen Vorsatz. Sowohl die Selbstgefährdung als auch der Umstand, dass Menschen zu Tode kommen könnten, sei „Teil des Kicks“ gewesen, den sich die Angeklagten durch das Rennen hätten verschaffen wollen. Zumal nach den Überzeugungen der 32. Kammer des LG Berlin nicht einmal sicher sei, ob die Angeklagten ihren eigenen Tod überhaupt in Kauf genommen hätten, schließlich seien ihre Sportwagen durch Airbags und eine starke Front gegen einen Aufprall geschützt gewesen; zudem verringere die Geschwindigkeit des eigenen Fahrzeugs die Lebensgefahr für einen selbst tendenziell eher als sie zu erhöhen.
Insgesamt geht das LG Berlin damit – soweit aus der Pressemitteilung ersichtlich – nicht auf alle Bedenken des BGH ein. Man denke nur an die mittäterschaftliche Begehung, die der BGH kritisch beäugt hatte – gleichwohl wird man auf die Urteilsgründe warten müssen. Für die gemeinschaftliche Deliktsbegehung reiche es nicht aus, wenn die Täter sich zu einer gemeinsamen Handlung entschließen, in deren Folge ein Mensch zu Tode kommt, es müsse vielmehr um die Tötung eines Menschen durch arbeitsteiliges Zusammenwirken gehen, so damals die Karlsruher Richter. Kein Wunder also, dass eine abermalige Revision überaus wahrscheinlich ist und durch die Verteidiger bereits angekündigt wurde.
II. Verwirklichung gleich dreier Mordmerkmale
Neben dem Eventualvorsatz müsste aber noch mindestens ein Mordmerkmal feststellbar sein. Das LG Berlin sieht nunmehr gleich drei derer als verwirklicht an.
1. Das Auto als gemeingefährliches Mittel
Die Gemeingefährlichkeit des Mittels ist dabei wohl das noch am wenigsten problematische Merkmal: Das Rennen sei, so die 32. Kammer, durch die fehlende Kontrolle über die Sportwagen gekennzeichnet gewesen, die bei dem Zusammenprall mit dem Opfer „wie Geschosse“ gewirkt und überdies Passanten und andere Verkehrsteilnehmer gefährdet hätten. Ob eine große Anzahl an Menschen zu schaden komme oder nicht, hätten die Angeklagten daher allein dem Zufall überlassen. Insbesondere Trümmerteile hätten zu einer deutlich höheren Opferzahl führen können. Summa summarum ist die Bejahung dieses Mordmerkmals damit verständlich, und doch hinkt jedenfalls der in der mündlichen Begründung gezogene Vergleich des Vorsitzenden Richters, der davon spricht, am Tatort habe es ausgesehen „wie nach einem Terroranschlag“.
2. Heimtücke
Überdies nimmt das LG Berlin nun auch Heimtücke an: Auf Grund der Tatsache, dass das Opfer bei Grün die Ampel überquerte habe, habe es sich keines Angriffs auf sein Leben versehen und sei darüber hinaus in der Verteidigungs- bzw. hier der Ausweichmöglichkeit stark eingeschränkt, mit anderen arg- und deshalb auch wehrlos gewesen. Ob die Angeklagten dies indes auch bewusst ausgenutzt haben, bleibt bei näherer Betrachtung im Hinblick auf die Tötung mehr als fraglich.
3. Niedrige Beweggründe
Zudem führe der Umstand, dass die Angeklagten das Autorennen um jeden Preis gewinnen wollten, zur Annahme eines niedrigen Beweggrundes, da sie so den Gewinn des Rennens um jeden Preis über das Leben der anderen Menschen auf dem stark frequentierten Ku’damm gestellt hätten, was sittlicher auf tiefster Stufe stehe. Gleichwohl bleibt offen, ob es dieses Mordmerkmals bei restriktiver Auslegung hier überhaupt bedurft hatte, da es letztlich eine Art Auffangtatbestand bildet und für derartige Fälle eher weniger passend scheint. Einerseits ist zuzugeben, dass ein besonders krasses Missverhältnis von Anlass und Tat bestand und eine größere Selbstsuch eines Täters, der überdies autoverliebt ist, kaum denkbar scheint. Andererseits reiht sich der Gewinn eines Autorennens nicht gerade in die typischen Beweggründe niedriger Art wie etwa Eifersucht oder Hass ein.
III. Vertiefungshinweise
Das Urteil bietet durchaus Angriffsfläche und Argumentationsspielraum. Wer sich näher mit der Thematik auseinandersetzen will, sei auf unsere ausführlichen Beiträge hingewiesen:
Berliner Raserfall: LG Berlin fällt Mordurteil, BGH hebt es auf

  • https://red.ab7.dev/bgh-aufhebung-des-mordurteils-fuer-kudamm-raser

hamburger Raserfall: BGH bestätigt Mordurteil, der Fall liegt aber in den Details anders

  • https://red.ab7.dev/bgh-bestaetigt-erstmals-mordurteil-gegen-raser/

Basics zur Abgrenzung von Eventualvorsatz und bewusster Fahrlässigkeit

  • https://red.ab7.dev/bgh-kriterien-zur-abgrenzung-von-eventualvorsatz-und-bewusster-fahrlaessigkeit/

28.03.2019/1 Kommentar/von Dr. Sebastian Rombey
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Sebastian Rombey https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Sebastian Rombey2019-03-28 10:00:152019-03-28 10:00:15LG Berlin geht im Berliner Raserfall erneut von Mord aus
Dr. Melanie Jänsch

BGH bestätigt erstmals Mordurteil gegen Raser

Examensvorbereitung, Lerntipps, Mündliche Prüfung, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Strafrecht, Strafrecht AT, Strafrecht BT

Erstmals hat der BGH in seinem am vergangenen Freitag veröffentlichten Beschluss vom 16.1.2019 (Az.: 4 StR 345/18) ein Mordurteil gegen einen Raser bestätigt. Das LG Hamburg hatte in seiner Entscheidung vom 19.2.2018 (Az.: 621 Ks 12/17) den Angeklagten unter anderem wegen Diebstahls, wegen Mordes in Tateinheit mit zweifachem versuchten Mord und mit zweifacher gefährlicher Körperverletzung zu einer lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Der BGH hat die gegen die Verurteilung gerichtete Revision nun verworfen. Die extrem hohe Examensrelevanz ist offensichtlich: Es ist nicht nur das erste Mal, dass der BGH in einem Raser-Fall eine Strafbarkeit wegen Mordes annimmt; die Entscheidung bildet auch einen Kontrast zum medial sehr präsenten Ku’damm-Raser-Fall, in dem der BGH mit Urteil vom 1.3.2018 (Az.: 4 StR 399/17) das Mordurteil des LG Berlin vom 27.2.2017 (Az.: 535 Ks 8/16) gegen zwei Raser aufgehoben hat (s. hierzu unsere ausführliche Besprechung). Raser-Fälle sind Paradebeispiele für die Problematik der Abgrenzung des bedingten Vorsatzes von der bewussten Fahrlässigkeit, auf die im Rahmen dieses Beitrags noch einmal eingegangen werden soll. Insbesondere ist herauszustellen, auf welche Weise sich der hier darzustellende Hamburger Raser-Fall vom Ku’damm-Raser-Fall unterscheidet und inwieweit dies eine unterschiedliche Beurteilung des Vorsatzes rechtfertigen kann. Ebenso bedarf es – sofern vorsätzliches Handeln angenommen wird – anschließend der Auseinandersetzung mit der Frage, ob in solchen Fällen Mordmerkmale vorliegen oder ob eine Strafbarkeit wegen Totschlags anzunehmen ist.
 
A. Sachverhalt (der Pressemitteilung entnommen und vereinfacht):
Der alkoholisierte Angeklagte hatte am Morgen des 4.5.2017 ein Taxi gestohlen und war in der Hamburger Innenstadt auf der Flucht vor der ihn verfolgenden Polizei bewusst auf die dreispurige Gegenfahrbahn gefahren. Den Streckenabschnitt der leicht kurvig verlaufenden und baulich von der übrigen Fahrbahn abgetrennten Gegenfahrbahn befuhr er mit hoher Geschwindigkeit von bis zu 155 km/h. Aufgrund von Kollisionen mit dem Kantstein der Fahrbahn und einer Verkehrsinsel verlor er die Kontrolle über das Fahrzeug und stieß nach Überqueren einer Kreuzung mit einer Geschwindigkeit von mindestens 130 km/h frontal mit einem ihm mit ca. 20 km/h entgegenkommenden Taxi zusammen. Einer der Insassen dieses Taxis verstarb noch an der Unfallstelle, zwei weitere Personen wurden schwer verletzt.
 
B. Entscheidung
Der Fall beinhaltet zwei Schwerpunktprobleme: Zunächst muss diskutiert werden, ob der Angeklagte vorsätzlich handelt, um dann in einem folgenden Schritt das Vorliegen etwaiger Mordmerkmale zu erörtern.
 
I. Abgrenzung des Eventualvorsatzes von der bewussten Fahrlässigkeit
Die Abgrenzung zwischen Eventualvorsatz – auch: bedingtem Vorsatz – und bewusster Fahrlässigkeit gehört vermutlich zu den schwierigsten Abgrenzungsproblematiken im Strafrecht. Dabei unterscheiden sich Eventualvorsatz und bewusste Fahrlässigkeit darin, „dass der bewusst fahrlässig Handelnde mit der als möglich erkannten Folge nicht einverstanden ist und deshalb auf ihren Nichteintritt vertraut, während der bedingt vorsätzlich Handelnde mit dem Eintreten des schädlichen Erfolgs in der Weise einverstanden ist, dass er ihn billigend in Kauf nimmt oder dass er sich wenigstens mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet“ (BGH, v. 14.1.2016 – 4 StR 84/15, NStZ-RR 2016, 79 m.w.N.). Mit anderen Worten: Bei bedingtem Vorsatz erkennt der Täter den Erfolgseintritt als mögliche, nicht gänzlich fernliegende Folge seines Handelns (kognitives Element) und nimmt diesen jedenfalls billigend in Kauf (voluntatives Element). Bei der bewussten Fahrlässigkeit erkennt er zwar auch den Erfolg als mögliche Folge seines Handelns (kognitives Element), vertraut aber ernsthaft und nicht nur vage darauf, dass dieser nicht eintritt (fehlendes voluntatives Element). Dies erfordert eine Gesamtbetrachtung der objektiven und subjektiven Tatumstände. Als wesentlicher Indikator für das Wissens- und Wollenselement kann dabei die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung herangezogen werden, was im vorliegenden Fall die Annahme des Vorsatzes nahelegt.
In diesem Zusammenhang ist auch auf die sog. Hemmschwellentheorie hinzuweisen, wonach bei Tötungsdelikten eine gegenüber Körperverletzungsdelikten deutlich höhere Hemmschwelle angenommen wird. Dies bedeutet allerdings nur, dass an den Nachweis des Vorsatzes höhere Anforderungen zu stellen sind. Dagegen soll die Wertung der hohen und offensichtlichen Lebensgefährlichkeit von Gewalthandlungen als ein gewichtiges, auf Tötungsvorsatz hinweisendes Beweisanzeichen nicht in Frage gestellt oder auch nur relativiert werden (BGH v. 5.12.2017 − 1 StR 416/17, NStZ 2018, 206, 207).
Dabei ist es nach Ansicht der Rechtsprechung bei der Würdigung des voluntativen Elements in der Regel auch erforderlich, dass sich das Gericht mit der Persönlichkeit des Täters auseinandersetzt und seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung sowie seine Motivation und die zum Tatgeschehen bedeutsamen Umstände – insbesondere die konkrete Angriffsweise – mit in die Beurteilung einbezieht (BGH, Urt. v. 14.1.2016 – 4 StR 84/15, NStZ-RR 2016, 79 m.w.N.). Insbesondere könne eine mögliche Eigengefährdung des Täters gegen die Annahme eines Vorsatzes sprechen; bei riskantem Verhalten im Straßenverkehr, das nicht von vornherein auf die Verletzung anderer Personen angelegt sei, könne eine vom Täter als solche erkannte Eigengefährdung zu der Beurteilung führen, dass er auf das Ausbleiben des Erfolgs vertraut habe.
Indes – so räumt der BGH in ständiger Rechtsprechung ein – seien die Gefährlichkeit der Tathandlung sowie der Grad der Wahrscheinlichkeit eines Erfolgseintritts keine ausschließlich maßgeblichen Kriterien für die Annahme des bedingten Vorsatzes; vielmehr komme es auch bei in hohem Maße gefährlichen Handlungen auf die Umstände des Einzelfalles an (BGH v. 1.3.2018 – 4 StR 399/17, NStZ 2018, 409, Rn. 19 m.w.N.).
 
Unter Anwendung dieser Grundsätze hat der BGH im Hamburger Raser-Fall in Übereinstimmung mit der Vorinstanz vorsätzliches Handeln angenommen. Dem Angeklagten sei bewusst gewesen,

„dass es mit hoher, letztlich unkalkulierbarer und nur vom Zufall abhängender Wahrscheinlichkeit zu einem frontalen Zusammenstoß mit entgegenkommenden Fahrzeugen kommen würde.“ Ihm war auch „bewusst, dass ein Frontalunfall mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zum Tod eines oder mehrerer direkter Unfallbeteiligter sowie eventuell zur Schädigung weiterer Personen führen würde.“ All dies, auch der eigene Tod, wurde vom Angeklagten gebilligt, weil er „kompromisslos das Ziel, der Polizei zu entkommen“, verfolgte. Der Zurechnung des eingetretenen Todeserfolges zu dem vom Vorsatz des Angeklagten umfassten Kausalverlauf steht daher nicht entgegen, dass der Angeklagte nicht unmittelbar mit einem entgegenkommenden Fahrzeug kollidierte, sondern infolge der Kollisionen mit dem Kantstein am rechten Fahrbahnrand und einer der Verkehrsinseln die Kontrolle über sein Fahrzeug verlor und nach Überqueren des Glockengießerwalls auf der gegenüberliegenden Seite (…) mit einer Geschwindigkeit von „ca. 130 bis 143 km/h“ ungebremst frontal mit dem ihm entgegenkommenden Taxi des Geschädigten Y. kollidierte.“

Die Entscheidung sorgt für Aufsehen, hat der BGH in dem Berliner Raser-Fall einen Tötungsvorsatz abgelehnt. Hier liegt der Fall jedoch anders: Während die Täter im Ku’damm-Raser-Fall ein Kräftemessen in Form eines illegalen Autorennens veranstalteten, befand sich der Täter im Hamburger Raser-Fall auf der Flucht vor der Polizei. Dabei war ihm – so hat es das Landgericht festgestellt – „die Chance auf ein Entkommen wichtiger als das sichere Überleben“. Damit kann aber eine als solche erkannte Eigengefährdung, die im Einzelfall gegen die Annahme eines Tötungsvorsatzes sprechen kann, im vorliegenden Fall gerade nicht als Indiz gegen den Tötungsvorsatz herangezogen werden. Vielmehr sprechen die sonstigen Umstände – wie etwa die hohe Geschwindigkeit im Innenstadtbereich – für vorsätzliches Handeln.
 
II. Vorliegen eines Mordmerkmals
Wird der Vorsatz bejaht, so ist sich in einem zweiten Schritt der Frage zuzuwenden, ob Mordmerkmale vorliegen. Dabei scheint sich das Merkmal des gemeingefährlichen Mittels aufzudrängen, dessen Einschlägigkeit in einer Klausur ausführlich diskutiert werden müsste. Gemeingefährlich ist ein Mittel, das in der konkreten Tatsituation eine Mehrzahl von Menschen an Leib und Leben gefährden kann, weil der Täter die Ausdehnung der Gefahr nicht in seiner Gewalt hat. Maßgeblich ist dabei nicht die abstrakte Wirkung, sondern die Eignung zur Gefährdung Dritter in der konkreten Situation unter Berücksichtigung der persönlichen Fähigkeiten und Absichten des Täters (MüKoStGB/Schneider, 3. Aufl. 2017, § 211 Rn. 127 f.). Dies bedeutet, dass ein Mittel selbst dann gemeingefährlich sein kann, wenn es seiner abstrakten Art nach nicht gemeingefährlich ist – wie ein Auto, das seiner Art nach ein Fortbewegungsmittel ist. Die Gemeingefährlichkeit kann sich dann daraus ergeben, dass bei einer derart hohen Geschwindigkeit eine unkontrollierbar hohe Anzahl an Menschen an Leib und Leben gefährdet wird. Ob eine Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln hier vorliegt, wie es die Vorinstanz angenommen hat, hat der BGH jedoch offengelassen, da jedenfalls das Merkmal der Verdeckungsabsicht gegeben sei:

„Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift steht der vom Landgericht rechtsfehlerfrei festgestellten Verdeckungsabsicht nicht entgegen, dass das Schwurgericht „tatsachenalternativ“ ein Handeln des Angeklagten in suizidaler Absicht festgestellt hätte. Das Schwurgericht hat vielmehr „nicht klären“ können, ob „auch suizidale Gedanken mit motivgebend waren“; „im Ergebnis“ – so das Landgericht weiter – „war ihm die Chance auf ein Entkommen wichtiger als das sichere Überleben“; dies stellt das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht nicht in Frage (vgl. Fischer, StGB, 66. Aufl., § 211 Rn. 68b). Daher kann der Senat offenlassen, ob auch die Voraussetzungen des vom Landgericht weiterhin angenommenen Mordmerkmals der Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln erfüllt sind.“

In Verdeckungsabsicht handelt, wer als Täter das Opfer tötet, um dadurch eine vorangegangene Straftat als solche oder auch Spuren zu verdecken, die bei einer näheren Untersuchung Aufschluss über bedeutsame Tatumstände geben könnten (BGH v. 15.2.2017 − 2 StR 162/16, NStZ 2017, 462 m.w.N.). Im vorliegenden Fall betraf dies den Taxi-Diebstahl, den der Täter zu verdecken versuchte.
 
C. Fazit
Zwar unterscheidet sich der hier dargestellte Fall vom Ku’damm-Raser-Fall insofern, als der Täter vor der Polizei flieht und nicht an einem illegalen Autorennen teilnimmt. Gleichwohl hat der BGH mit dieser Entscheidung klargestellt, dass die rücksichtslose Verwendung eines Fahrzeugs im Straßenverkehr und die bewusste Gefährdung von Leib und Leben anderer Verkehrsteilnehmer die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes rechtfertigen kann, auf den im Einzelfall eine Verurteilung wegen Mordes gestützt werden kann. Maßgeblich sind stets die konkreten Tatumstände. Daher erscheint auch in Autorennen-Fällen eine Strafbarkeit nach § 211 StGB möglich. Diesbezüglich ist aber auch zu bedenken, dass der Gesetzgeber im Oktober 2017 § 315d StGB eingefügt hat, der verbotene Kraftfahrzeugrennen bestraft und in Abs. 5 eine Erfolgsqualifikation für die Verursachung des Todes eines anderen Menschen enthält, die keinen Vorsatz erfordert.
 
 

05.03.2019/2 Kommentare/von Dr. Melanie Jänsch
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Melanie Jänsch https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Melanie Jänsch2019-03-05 09:00:242019-03-05 09:00:24BGH bestätigt erstmals Mordurteil gegen Raser
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Anfängerklausur – Strafrecht: Der mordlustige Erbe

Für die ersten Semester, Rechtsgebiete, Startseite, Strafrecht, Strafrecht AT, Strafrecht BT, Verschiedenes

Wir freuen uns sehr, einen Gastbeitrag von Jasmin Bertlings veröffentlichen zu können. Die Autorin ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Strafrecht und Strafprozessrecht bei Herrn Prof. Dr. Martin Waßmer an der Universität zu Köln. Diese Klausur wurde im Wintersemester 2016/2017 den Studierenden des zweiten Semesters an der Universität zu Köln als Abschlussklausur der Vorlesung „Strafrecht II“ gestellt.
 
Anfängerklausur – Strafrecht: Verhältnis von § 211 und § 212 StGB; restriktive Auslegung der Mordmerkmale; Tatbestandsverschiebung gem. § 28 StGB – Der mordlustige Erbe
Im Rahmen der Tötungsdelikte stellt sich das Problem der Anwendbarkeit des § 28 StGB. Ursprung dieses Problems ist der anhaltende Streit zwischen Rechtsprechung und Literatur um das Verhältnis der Tötungsdelikte zueinander. Dieser Streit ist ein absoluter Klausurklassiker und wird gerne im Rahmen der Abschlussklausur geprüft. Wurden die unterschiedlichen Ansätze der Rechtsprechung und der Literatur einmal verstanden, ist die Thematik jedoch ein dankbares Klausurthema.
Sachverhalt
Oma Otilie (O) hat im Laufe ihres langen Lebens ein Vermögen angehäuft. Einziger Erbe ist ihr Enkel (E). E, der seit Jahren versucht, seine Ausbildung abzuschließen, möchte nicht weiter auf Luxus verzichten und beschließt daher O zu töten, um endlich an das Erbe zu gelangen. Da er keine Waffe besitzt, geht er zu seinem besten Freund (F), der einige alte, nicht registrierte Pistolen hat. Er berichtet F von seinem Plan, O zu töten, um an das Erbe zu gelangen. Über die konkrete Begehungsweise verliert E kein Wort.
F ist das Erbe des E vollkommen gleichgültig. Dennoch heißt er die Tötung gut, da er am Tag zuvor vor dem Haus der O ein Auto gestreift und Fahrerflucht begangen hatte. Er fürchtet, dass O – die einzige Zeugin der Tat – ihn anzeigt.
Gegen 22.00 Uhr begibt sich E im Schutz der Dunkelheit mit der von F geborgten Pistole zum Haus der O. Mit seinem Zweitschlüssel verschafft er sich Zutritt zum Haus. E schleicht in das Schlafzimmer und erschießt dort die friedlich schlummernde O, mit einem Schuss in den Kopf. O ist sofort tot. In freudiger Erwartung des Erbes verlässt E eilig den Ort des Geschehens.
Als E auf die Straße tritt, ist er noch voller Euphorie wegen des bald zu erwartenden Erbes. Er steigt in seinen Golf und macht sich auf den Heimweg. Auf der Rückfahrt kommt E in eine allgemeine Verkehrskontrolle und wird von den Polizisten P1 und P2 angehalten. Diese wollen die Ausweispapiere des E sehen. E, sichtlich genervt von dem Verhalten der Polizisten, entgegnet: „Die beiden Bullen haben offenbar nichts Besseres zu tun…!“
Wie haben sich E und F nach dem 14. und 16. Abschnitt des StGB strafbar gemacht? Ggf. erforderliche Strafanträge sind gestellt.
 
Gliederung:
1. Tatkomplex: Der Tod der Oma

A. Strafbarkeit des E gem. §§ 212 Abs. 1, 211 Abs. 2 Var. 3, Var. 5 StGB durch Abgabe des Schusses auf O

I. Tatbestand

1. Objektiver Tatbestand

a) Tötung eines anderen Menschen

b) Tatbezogene Mordmerkmale: Heimtücke gem. § 211 Abs. 2 Var. 5 StGB

2. Subjektiver Tatbestand

a) Tötungsvorsatz (Bzgl. § 212 StGB und der Heimtücke)

b) Täterbezogene Mordmerkmale: Habgier gem. § 211 Abs. 2 Var. 3 StGB

II. Rechtswidrigkeit und Schuld

III. Ergebnis

B. Strafbarkeit des F gem. §§ 212 Abs. 1, 211 Abs. 2 Var. 3, 5, 9, 27 Abs. 1, 28 Abs. 2 StGB durch Aushändigen des Gewehrs

I. Tatbestand

1. Objektiver Tatbestand

a) Vorsätzliche rechtswidrige Haupttat

b) Hilfeleisten

2. Subjektiver Tatbestand (Doppelvorsatz)

a) Vorsatz bzgl. der Teilnahmehandlung

b) Vorsatz bzgl. der Vollendung der Haupttat

3. Tatbestandsverschiebung nach § 28 Abs. 2 StGB

II. Rechtswidrigkeit und Schuld

III. Ergebnis

2. Tatkomplex: Die Verkehrskontrolle: Strafbarkeit des E gem. § 185 StGB durch Äußerung gegenüber den Polizisten

I. Tatbestand

II. Ergebnis

Gesamtergebnis
 
Lösungsvorschlag:
Der Lösungsvorschlag ist so formuliert, wie er bei einer Bearbeitungszeit von 120 Minuten erwartet werden kann. Die Verweise sind bewusst sparsam gehalten.
1. Tatkomplex: Der Tod der Oma
A. Strafbarkeit des E gem. §§ 212 Abs. 1, 211 Abs. 2 Var. 3, Var. 5 StGB durch Abgabe des Schusses auf O
E könnte sich gem. §§ 212 Abs. 1, 211 Abs. 2 Var. 3, 5 StGB wegen Mordes strafbar gemacht haben, indem er auf die O schoss.

Hinweis:
An dieser Stelle können die Studierenden das Gutachten entweder mit §§ 212, 211 StGB oder § 211 StGB beginnen. Bereits an dem Aufbau wird deutlich, welcher Ansicht der Klausurbearbeiter am Ende bei der streitigen Frage, in welchem Verhältnis § 212 StGB und § 211 StGB zueinander stehen, folgen wird. Wichtig ist an dieser Stelle, dass die Prüfung konsequent durchgeführt wird.

I. Tatbestand
1. Objektiver Tatbestand
a. Tötung eines Menschen
Die O, ein anderer Mensch ist tot. Der Tod wurde kausal und objektiv zurechenbar durch den Schuss des E ausgelöst.
b. Tatbezogene Mordmerkmale
E könnte die Tat heimtückisch gem. § 211 Abs. 2 Var. 5 StGB begangen haben. Heimtückisch handelt, wer die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt (Fischer, StGB, 65. Aufl. 2018, § 211, Rn. 34). Die Wehrlosigkeit muss Folge der Arglosigkeit sein (Fischer, StGB, 65. Aufl. 2018, § 211, Rn. 40). Arglos ist, wer sich zu Beginn des Tötungsversuchs keines Angriffs auf sein Leben oder seine körperliche Unversehrtheit versieht (Fischer, StGB, 65. Aufl. 2018, § 211, Rn. 35). Wehrlos ist, wer infolge seiner Arglosigkeit zur Verteidigung außerstande oder in seiner natürlichen Abwehrbereitschaft eingeschränkt ist (Eschelbach, in: Beck OK StGB, 35. Edition, Stand: 01.08.2017, § 211, Rn. 43 m.w.N.). O schläft friedlich. Da sich O kurz vor dem Zubettgehen, keines Angriffs auf sich versah, war O arglos. Die Arglosigkeit könnte aber in dem Zeitpunkt, als zu Bett ging, entfallen sein. Denn Voraussetzung für die Arglosigkeit ist die Fähigkeit zum Argwohn. Die herrschende Meinung bejaht Fähigkeit zum Argwohn auch bei Schlafenden. Sie gehen arglos zu Bett und nehmen die Arglosigkeit mit in den Schlaf (BGH NJW 2003, 2464; Neumann/Saliger, in: NK-StGB, 5. Aufl. 2017, § 211, Rn. 55). Die O war mithin arglos. Die schlafende O war auch in ihrer Verteidigungsbereitschaft eingeschränkt, sodass O auch wehrlos war. Die Wehrlosigkeit beruhte auf der Arglosigkeit. Die Voraussetzungen der Heimtücke liegen grundsätzlich vor.
Allerdings muss jedem Mord eine besondere Verwerflichkeit anhaften. Aufgrund der lebenslangen Freiheitsstrafe ist eine restriktive Auslegung der Mordmerkmale, insbesondere der Heimtücke, geboten. Ansonsten wäre die absolute Strafandrohung des § 211 StGB nicht mit dem Schuldgrundsatz vereinbar und damit verfassungswidrig. Es gibt eine Vielzahl von Restriktionsansätzen in Rspr. und Schrifttum, die sowohl auf Tatbestands- als auch auf Rechtsfolgenseite ansetzen.
Die Rspr. fordert daher ein Handeln in feindlicher Willensrichtung und die zusätzliche Anwendung des § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB auf der Rechtsfolgenseite (BGHSt 9, 385, 30; siehe auch: Neumann/Saliger,in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 5. Aufl. 2017, § 211, Rn. 73; Schneider, in: MüKo StGB, 3. Aufl. 2017, § 211, Rn. 197). Die feindliche Willensrichtung ist nur in den Fällen zu verneinen, in denen der Täter zum vermeintlich Besten des Opfers handelt (Neumann/Saliger, in: NK-StGB, 5. Aufl. 2017, § 211, Rn. 73; Wenkel, in: Dölling/Duttge/König/Rössner, Gesamtes Strafrecht, 4. Aufl. 2017; § 211, Rn. 14). E wollte die O töten, um das Erbe vorzeitig zu erhalten. Er handelte nicht zum vermeintlich Besten der O. Ein Handeln in feindlicher Willensrichtung liegt vor.
Eine a.A. verlangt eine besonders verwerfliche Gesinnung des Täters. Eine solche liegt vor, wenn der Täter z.B. egoistisch handelt oder von Spaß geleitet ist. E handelte aus einer egoistischen Gesinnung heraus, denn er wollte sich mit dem zu erwartenden Erbe ein schönes Leben machen. Somit ist auch eine verwerfliche Gesinnung zu bejahen.
Eine weitere Ansicht fordert einen besonders verwerflichen Vertrauensbruch (Eser/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl. 2014; § 211, Rn. 26; Neumann/Saliger, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 5. Aufl. 2017, § 211, Rn. 49; Schneider, in: MüKo StGB, 3. Aufl. 2017, § 211, Rn. 204). Das bedeutet, dass das Merkmal der Heimtücke nur in den Fällen angenommen wird, in denen der Täter ein spezielles Vertrauen ausnutzt oder missbraucht, welches das Opfer ihm entgegenbringt (Küper, JuS 2000, 740, 745). E ist der Enkel und ihr einziger Erbe. Darüber hinaus besitzt er einen Schlüssel zu O´s Haus. Einen Zweitschlüssel zu seinem Haus gibt man regelmäßig nur Personen, zu denen man ein enges Verhältnis hat. Es kann daher von einem engen Vertrauensverhältnis zwischen den beiden ausgegangen werden. Ein verwerflicher Vertrauensbruch ist mithin anzunehmen.
Zuletzt wird von manchen ein tückisch-verschlagenes Vorgehen (Schneider, in: MüKo StGB, 3. Aufl. 2017, § 211, Rn. 206) zur Bedingung gemacht. Dieses Vorgehen ist dadurch gekennzeichnet, dass sich der Täter bestimmte Tatumstände planmäßig zunutze macht (Schneider, in: MüKo StGB, 3. Aufl. 2017, § 211, Rn. 204 m.w.N.). E schleicht sich während die O schläft in ihr Schlafzimmer und tötet sie im Schlaf. Den Umstand, dass seine Großmutter schläft, macht sich E zunutze. Ein tückisch verschlagenes Vorgehen ist zu bejahen.
Nach allen Ansichten ist die Heimtücke gegeben. Ein Streitentscheid kann an dieser Stelle dahinstehen.
2. Subjektiver Tatbestand
a. Tötungsvorsatz (hinsichtlich § 212 StGB und der Heimtücke)
E handelte, da er die Tötung der O wollte, vorsätzlich. Ebenso handelte der E mit Vorsatz in Bezug auf die heimtückische Begehungsweise.
b. Täterbezogene Mordmerkmale
E könnte habgierig gem. § 211 Abs. 2 Var. 3 StGB gehandelt haben. Habgier ist das ungezügelte und rücksichtslose Streben nach Vermögensvorteilen um jeden Preis (Wenkel, in: Dölling/Duttge/König/Rössner, Gesamtes Strafrecht, 4. Aufl. 2017, § 211, Rn. 25). E wollte die O töten, um das Erbe zu erhalten. Er stellte folglich sein Streben nach materiellen Vermögenswerten über das Leben seiner Oma. E handelte folglich aus Habgier.
II. Rechtswidrigkeit und Schuld
E handelte auch rechtswidrig und schuldhaft.
III. Ergebnis
E hat sich gem. §§ 212 Abs. 1, 211 Abs. 2 Var. 3, 5 StGB wegen Mordes strafbar gemacht, indem er auf die O schoss.
 
B. Strafbarkeit des F gem. §§ 212 Abs. 1, 211 Abs. 2 Var. 3, 5, 9, 27 Abs. 1, 28 Abs. 2 StGB durch Aushändigen des Gewehrs
F könnte sich gem. §§ 212 Abs. 1, 211 Abs. 2 Var. 3, 5, 9, 27 Abs. 1, 28 Abs. 2 StGB strafbar gemacht haben, indem er dem E das Gewehr aushändigte.
I. Tatbestand
1. Objektiver Tatbestand
Eine vorsätzliche rechtswidrige Haupttat ist mit dem von E begangenen Mord gegeben. §§ 212 Abs. 1, 211 Abs. 2 Var. 3, 5 StGB (s.o).
F müsste dem E Hilfe geleistet haben, also die Haupttat des E gefördert haben. F händigte dem E die Tatwaffe aus. Somit leistete der F Hilfe zur Tat des E.

Hinweis: Es ist strittig, ob der Gehilfenbeitrag kausal geworden sein muss. Da hier die Kausalität des Gehilfenbeitrags des F offensichtlich unproblematisch ist, muss an dieser Stelle auf den Streit nicht eingegangen werden.

2. Subjektiver Tatbestand (Doppelvorsatz)
a. Vorsatz bzgl. der Teilnahmehandlung
F händigte dem E die Tatwaffe aus. Er handelte vorsätzlich in Bezug auf seine Teilnahmehandlung.
b. Vorsatz bzgl. der Vollendung der Haupttat
Weiter müsste F auch Vorsatz hinsichtlich der Vollendung der Haupttat aufweisen. F wollte durch den Tod der O sein eigenes Fehlverhalten verdecken. F handelte mithin vorsätzlich in Bezug auf die Tötung der O. E hatte dem F gegenüber keine Ausführungen zur Art und Weise der Begehung gemacht, weshalb F nicht wusste, dass der E die O heimtückisch töten wollte. Mithin hatte F nach allgemeinen Akzessorietätsregeln lediglich Vorsatz in Bezug auf §§ 212 Abs. 1, 211 Abs. 2 Var. 3 StGB.
3. Tatbestandsverschiebung nach § 28 Abs. 2 StGB
Grundsätzlich richtet sich die Strafbarkeit des Teilnehmers nach der Strafbarkeit der Haupttat (Akzessorietät). Es könnte jedoch zu einer Akzessorietätslockerung nach § 28 Abs. 1 StGB oder einer Akzessorietätsdurchbrechung gem. § 28 Abs. 2 StGB kommen.
Bei dem Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht handelt es sich um ein besonderes persönliches Merkmal iSd. § 14 StGB. § 28 StGB ist mithin in seiner Gesamtheit anwendbar.
Zu einer Akzessorietätslockerung käme es, wenn die Mordmerkmale strafbegründender Natur (Siehe dazu: BGHSt 50, 1, 5; BGHSt 22, 375, 377; BGHSt 1, 368, 372) wären. Eine Akzessorietätsdurchbrechung liegt vor, wenn es sich bei den Mordmerkmalen um strafschärfende Merkmale (Fischer, StGB, 65. Aufl. 2018, § 211, Rn. 88; Neumann/Saliger, in: NK-StGB, 5. Aufl. 2017, § 211, Rn. 117; Schneider, in: MüKo StGB, 3. Aufl. 2017, § 211, Rn. 265, 271; Wessels/Hettinger/Engländer, Strafrecht Besonderer Teil, Bd. 1, 41. Aufl. 2017, Rn. 155) handelt. Ob diese strafschärfend oder strafbegründend sind, richtet sich nach dem Verhältnis der §§ 211, 212, 216 StGB zueinander.
Die Rspr. sieht in §§ 211, 212, 216 StGB selbstständige Tatbestände mit spezifischem Unrechtsgehalt. Mithin sind nach dieser Ansicht die Mordmerkmale strafbegründender Natur und somit ist § 28 Abs. 1 StGB anwendbar. Demnach richtet sich die Strafbarkeit nach den besonderen persönlichen Merkmalen des Haupttäters. Weist der Teilnehmer das Merkmal des Haupttäters nicht auf, käme es zu einer obligatorischen Strafmilderung. Beim Vorliegen von sogenannten gekreuzten Mordmerkmalen versagt die Rechtsprechung die obligatorische Strafmilderung. Sie bedient sich eines Kunstgriffs, wenn der Teilnehmer nicht das Merkmal des Haupttäters, jedoch ein artgleiches Unrecht verwirklicht.
E verwirklichte das Mordmerkmal der Habgier. Beim F liegt das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht vor. Daher wäre grds. die Strafe gem. § 49 Abs. 1 StGB zu mildern. Da hier aber die Situation der gekreuzten Mordmerkmale gegeben ist, versagt die Rspr. die obligatorische Strafmilderung und bestraft den Teilnehmer wegen Beihilfe zum Mord aus Habgier des E.
Die Literatur ist der Ansicht, dass zwischen den §§ 211, 212, 216 StGB ein Qualifikationsverhältnis bestehe. Mord ist mithin die Qualifikation des Totschlags. Tötung auf Verlangen ist eine Privilegierung des Totschlags. Somit kommt den Mordmerkmalen strafschärfende Wirkung zu und § 28 Abs. 2 StGB ist anwendbar. Die Strafe richtet sich demgemäß individuell danach, welche Merkmale beim Teilnehmer vorliegen.
Der E handelte aus Habgier. F hingegen handelte nicht habgierig. Er weist aber selbst das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht auf. Daher kommt es zunächst zu einer Tatbestandsverschiebung von §§ 211, 212, 27 StGB zu §§ 212, 27 StGB. Aufgrund des eigenen Mordmerkmals, der Verdeckungsabsicht, kommt es aber zu einer zweiten Tatbestandsverschiebung von §§ 212, 27 StGB zu §§ 211, 212, 27 StGB. Der Teilnehmer wird folglich wegen Beihilfe zum Mord aus Verdeckungsabsicht bestraft.
Ergebnis/Streitentscheid:
Die beiden Ansichten gelangen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Zwar wird der E nach beiden Ansichten wegen Beihilfe zum Mord bestraft, die Ansichten knüpfen jedoch an unterschiedliche Mordmerkmale an, sodass die Schuldsprüche bei einer Verurteilung differierend sind. Mithin ist ein Streitentscheid erforderlich.
Für die Rspr. lässt sich anführen, dass es sich nach dem Wortlaut der §§ 211 und 212 StGB um jeweils selbstständige Tatbestände handelt. § 211 StGB spricht vom „Mörder“; § 212 StGB spricht vom „Totschläger“. Diese unterschiedliche Bezeichnung ist ein Indiz für das Eigenständigkeitsmodell der Rspr.
Weiter legt die Systematik des Gesetzes nahe, dass es sich um selbstständige Tatbestände handelt: § 211 StGB steht vor § 212 StGB. Wäre § 211 StGB die Qualifikation des § 212 StGB stünde es hinter § 212 StGB. Denn grundsätzlich stehen Qualifikationen hinter dem Grundtatbestand.
Darüber hinaus beschreibt der § 211 StGB arteigenes Unrecht.
Dagegen spricht, dass die Begriffe „Totschläger“ und „Mörder“ nur die bei Neufassung der Tötungsdelikte verbreitete Tätertypenlehre kennzeichnen (Safferling, in: Matt/Renzikowski, StGB, § 211, Rn. 4; Rengier, Strafrecht, Besonderer Teil II, 18. Aufl. 2017, § 4, Rn. 7) und daher kein Indiz für die Eigenständigkeit der Tatbestände sind. Weiter spricht die Systematik für das Qualifikationsmodell der Literatur. Denn alle Tatbestände schützen das gleiche Rechtsgut (Leben). Darüber hinaus sind § 212 StGB und § 211 StGB nicht unselbstständig, sondern beziehen sich aufeinander. Der Totschlag ist eine Tötung ohne Verwirklichung eines Mordmerkmals. Der Mordparagraph ist dem Totschlag nur aufgrund seines besonderen Unrechtsgehalts vorangestellt (Eser/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl. 2014, § 211, Rn. 1). Bei den §§ 249 und 253 StGB geht die Rspr. auch trotz der Reihenfolge der Tatbestände davon aus, dass die Erpressung der Grundtatbestand des Raubes ist, obwohl der Raub vor der Erpressung normiert ist (RGSt 4, 429, 432; BGHSt 14, 386, 390). Außerdem führt das Selbstständigkeitsmodell der Rspr. teilweise zu unbilligen Ergebnissen bei der Teilnahme. Zum Teil kann das Mordmerkmal des Teilnehmers von der Rspr. nicht berücksichtigt werden, wie beispielsweise bei den gekreuzten Mordmerkmalen oder der fehlenden Mitleidmotivation bei § 216 StGB, in denen die Rspr. dann durch Kunstgriffe versucht ihr Ergebnis zu korrigieren.
Im Ergebnis sprechen die überzeugenderen Argumente für die Ansicht der Literatur. Die Literatur gelangt bei allen Konstellationen zu logisch nachvollziehbaren Ergebnissen und muss sich nicht Kunstgriffen bedienen. Selbst die Rspr. hat dies in einem obiter dictum bereits angedeutet und sich der herrschenden Lehre dadurch angenähert (BGH NJW 2006, 1008, 1012).
II. Rechtswidrigkeit und Schuld
F handelte auch rechtswidrig und schuldhaft.
III. Ergebnis
F hat sich gem. §§ 212 Abs. 1, 211 Abs. 2 Var. 3, 5, 9, 27 Abs. 1, 28 Abs. 2 StGB strafbar gemacht, indem er E die Tatwaffe aushändigte.
 
2. Tatkomplex: Die Verkehrskontrolle: Strafbarkeit des E gem. § 185 StGB durch Äußerung gegenüber den Polizisten
E könnte sich gem. § 185 StGB wegen Beleidigung strafbar gemacht haben, indem er die beiden Polizisten „Bullen“ nannte.
I. Tatbestand
Dazu müsste der E die Polizisten beleidigt haben. Eine Beleidigung ist die Kundgabe von Missachtung oder Nichtachtung durch ein ehrrühriges Werturteil.

Hinweis: Ob eine Beleidigung anzunehmen ist, ist durch Auslegung zu ermitteln und abhängig von den konkreten Umständen des Falles.

Fraglich ist, ob der Begriff „Bulle“ einen ehrverletzenden Inhalt hat. Dies ist umstritten. Einerseits wird dem Begriff eine ehrverletzende Bedeutung zugeschrieben (OLG Hamm JMBI NRW 1982, 22; LG Essen NJW 1980, 1639). Große Teile der Bevölkerung meiden den Begriff gegenüber Polizeibeamten. Der Begriff „Bulle“ unterstelle, dass Polizisten leicht reizbar und angriffslustig seien und zu unüberlegter, brutaler Gewalt neigten (LG Essen NJW 1980, 1639). Andererseits können sich Begriffe auch im Laufe der Zeit wandeln (LG Regensburg NJW 2006, 629). Der Begriff „Bulle“ sei früher zwar als Schimpfwort gebraucht worden, mittlerweile sei der Begriff aber umgangssprachlich anerkannt (LG Regensburg NJW 2006, 629). Heute würde der Begriff ohne Hintergedanken als Synonym für Polizisten genutzt. Auch in den Medien ist der Begriff geläufig, wie sich an den Fernsehserien: „Der Bulle von Tölz“ und „Der letzte Bulle“ zeigt (LG Regensburg NJW 2006, 629).
Hier war E sichtlich genervt von der Verkehrskontrolle und sagte zu den Polizisten: „Die beiden Bullen haben offenbar nichts Besseres zu tun…!“. Zwar könnte die Tatsache, dass der E genervt war dafür sprechen, dass die Bemerkung ehrrührig wirkte. Nichts desto trotz schob der E keine Beleidigung vorweg wie beispielsweise „scheiß Bulle“ oder „Drecksbulle“. Sodass nach den Gesamtumständen die besseren Argumente dafür sprechen, den ehrverletzenden Inhalt des Begriffs „Bulle“ im konkreten Fall zu verneinen (a.A. vertretbar).
II. Ergebnis
E hat sich nicht gem. § 185 StGB wegen Beleidigung strafbar gemacht haben, indem er die beiden Polizisten „Bullen“ nannte.
Gesamtergebnis und Konkurrenzen
E hat sich gem. §§ 212 Abs. 1, 211 Abs. 2 Var. 3, 5 StGB wegen Mordes strafbar gemacht. F hat sich gem. §§ 212 Abs. 1, 211 Abs. 2 Var. 5, 9, 27 Abs. 1, 28 Abs. 2 StGB wegen Beihilfe zum Mord strafbar gemacht.

Hinweis: Die „Konkurrenzen“ runden eine gelungene Klausur ab. Fehlen diese, kann dies zu einem Punktabzug führen. (Ausführlich zu den Konkurrenzen: Steinberg/Bergmann, Jura 2009, 905)

11.06.2018/1 Kommentar/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2018-06-11 10:00:312018-06-11 10:00:31Anfängerklausur – Strafrecht: Der mordlustige Erbe
Gastautor

BGH: Aufhebung des Mordurteils für Ku’damm-Raser

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Wir freuen uns sehr, nachfolgend einen Gastbeitrag von Tobias Vogt veröffentlichen zu können. Der Autor ist am Institut für Arbeitsrecht und Recht der sozialen Sicherheit an der Universität Bonn und bei Flick Gocke Schaumburg tätig.
 
Der BGH hat mit Urteil vom 1.3.2018 (Az. 4 StR 399/17, DAR 2018, 216) das Urteil des LG Berlin vom 27.2.2017 (Az. 535 Ks 8/16, NStZ 2017, 471) aufgehoben, in dem die Berliner Richter die beiden Ku´damm-Raser eines gemeinschaftlich begangenem Mordes schuldig erklärten. Nicht nur wegen seiner enormen medialen Präsenz sollte dieses Urteil jedem Examenskandidat bekannt sein. Es eignet sich auch gerade deshalb für Examensklausuren und mündliche Prüfungen, da sich hier allgemeine Probleme des Vorsatzes, insbesondere die Abgrenzung zur bewussten Fahrlässigkeit in der besonderen Konstellation eines riskanten Verhaltens im Straßenverkehr abprüfen lassen und sich Raum für eine ausgiebige Argumentation anhand der Sachverhaltsangaben bietet. Man muss kein Hellseher sein, um voraussehen zu können, dass diese Entscheidung Gegenstand von Examensprüfungen sein wird.
I. Hauptproblem: Vorsatz oder bewusste Fahrlässigkeit bei Tötung durch illegales Straßenrennen?
Die Hauptproblematik des Falls liegt in der Frage, ob die beiden Autofahrer, die sich spontan ein illegales Rennen lieferten und dabei mit immens überhöhter Geschwindigkeit rote Ampeln überfuhren, bei der Tötung eines anderen Verkehrsteilnehmers mit bedingtem Tötungsvorsatz oder nur bewusst fahrlässig handelten. Für die Abgrenzung von bedingtem Vorsatz zur bewussten Fahrlässigkeit gelten allgemein folgende Grundsätze, wie auch der BGH in seiner aktuellen Entscheidung darlegt:
„In rechtlicher Hinsicht ist nach ständiger Rspr. bedingter Tötungsvorsatz gegeben, wenn der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Todes abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (Willenselement).“
„Bewusste Fahrlässigkeit liegt dagegen vor, wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft und nicht nur vage darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten.“
Diese Abgrenzung „erfordert insbesondere bei Tötungs- oder Körperverletzungsdelikten eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände, wobei es vor allem bei der Würdigung des voluntativen Vorsatzelements regelmäßig erforderlich ist, dass sich der Tatrichter mit der Persönlichkeit des Täters auseinandersetzt und dessen psychische Verfassung bei der Tatbegehung, seine Motivation und die für das Tatgeschehen bedeutsamen Umstände – insbesondere die konkrete Angriffsweise – mit in Betracht zieht“
Bisher wurde in ähnlichen Raser-Fällen ein Vorsatz abgelehnt. Das Urteil des LG Berlin sorgte für Aufsehen, da zum ersten Mal ein Schuldspruch gegen rücksichtslose Raser wegen vorsätzlicher Tötung erging. Das LG Berlin entschied dabei sogar auf Mord wegen des Mordmerkmals des gemeingefährlichen Mittels § 211 Abs. 2 StGB. Schließlich hatten die Täter keine Kontrolle mehr über ihre Wagen und gefährdeten Leib und Leben einer Vielzahl von Personen, sodass ihre Wagen im konkreten Fall ein gemeingefährliches Mittel darstellten.
II. Sachverhalt (gekürzt)
Die Angeklagten H und N verabredeten sich gegen 0:30 Uhr, während sie nebeneinander an einer roten Ampel hielten, durch Gesten und dem Spiel mit dem Gaspedal zu einem spontanen Autorennen über den Berliner Kurfürstendamm. Sie überfuhren anschließend mehrere rote Ampeln bis N mit wenigen Metern Vorsprung und einer Geschwindigkeit von mindestens 139 km/h und H mit einer Geschwindigkeit von mindestens 160 km/h trotz roten Ampelsignals in eine Kreuzung einfuhren. Spätestens jetzt war H und N bewusst, dass ein bei grünem Ampelsignal einfahrender Fahrzeugführer bei einer Kollision mit großer Wahrscheinlichkeit sterben würde. In der Kreuzung kollidierte H – absolut unfähig noch zu reagieren – mit dem regelkonform in die Kreuzung einfahrenden W. W verstarb noch am Unfallort. Der Wagen des H drehte sich nach links und kollidierte sodann mit dem neben ihm fahrenden PKW des N. Die Beifahrerin des N wurde dabei erheblich verletzt.
III.  Urteil des BGH
Der BGH hob das Urteil des LG Berlin gleich aus mehreren Gründen auf:
1. Nach Ansicht des BGH konnte aus den tatsächlichen Feststellungen des LAG nicht in schlüssiger Weise ein bedingter Tötungsvorsatz der Angeklagten festgestellt werden. Zwar „ist die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung wesentlicher Indikator sowohl für das Wissens- als auch für das Willenselement des bedingten Vorsatzes“, was hier zunächst für eine Bejahung des Vorsatzes spricht. Der BGH betont, dass „die Gefährlichkeit der Tathandlung und der Grad der Wahrscheinlichkeit eines Erfolgseintritts […] jedoch keine allein maßgeblichen Kriterien“ sind. „Vielmehr kommt es auch bei in hohem Maße gefährlichen Handlungen auf die Umstände des Einzelfalles an.“
Laut BGH spricht insbesondere die mögliche Eigengefährdung der Täter gegen die Annahme eines Tötungsvorsatzes:

„In Fällen einer naheliegenden Eigengefährdung des Täters – wie hier – ist von folgenden Grundsätzen auszugehen: Zwar gibt es keine Regel, wonach es einem Tötungsvorsatz entgegensteht, dass mit der Vornahme einer fremdgefährdenden Handlung auch eine Eigengefährdung einhergeht. Bei riskanten Verhaltensweisen im Straßenverkehr, die nicht von vornherein auf die Verletzung einer anderen Person oder die Herbeiführung eines Unfalls angelegt sind, kann aber eine vom Täter als solche erkannte Eigengefährdung dafür sprechen, dass er auf einen guten Ausgang vertraut hat.“

Wesentliche Indizien sind dabei das täterseitig genutzten Verkehrsmittel und die konkret drohenden Unfallszenarien.

„So kann es sich etwa unterschiedlich auf das Vorstellungsbild des Täters zu seiner Eigengefährdung auswirken, ob er sich selbst in einem Pkw oder auf einem Motorrad befindet und ob Kollisionen mit Fußgängern oder Radfahrern oder mit anderen Pkw oder gar Lkw drohen.“

Das LG Berlin ging davon aus, dass sich Fahrer tonnenschweren, stark beschleunigenden und mit umfassender Sicherheitstechnik ausgestatteten Autos überlegen und sicher fühlen und daher jegliches Eigenrisiko ausblenden. Einen solchen Erfahrungssatz gibt es jedoch nach Ansicht des BGH nicht. Gerade aufgrund der objektiv drohenden Kollision mit anderen PKW oder sogar mit Bussen bei mindestens 139 bzw. 160 km/h verstehe sich das Ausblenden der Eigengefährdung auch nicht von selbst.
Zudem erscheint es widersprüchlich, wenn das LG Berlin davon ausgeht, die Täter schlossen eine Eigengefährdung aus, zugleich aber den Vorsatz in Bezug auf eine gefährliche Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeugs und mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung zu Lasten der eigenen Beifahrerin bejahen. Das LG unterstellt den Tätern damit eine unterschiedliche Gefahreneinschätzung bezüglich desselben Fahrzeugs.
2. Außerdem stellte das LG Berlin den Tötungsvorsatz nicht zum Tatzeitpunkt fest. Die Berliner Richter stellten auf den Zeitpunkt ab, als die Angeklagten trotz roter Ampel in die Kreuzung einfuhren, in der sich die tödliche Kollision ereignete. Dies ergibt sich aus der Formulierung „Spätestens jetzt war beiden Angeklagten bewusst, …“. Zugleich stellte das Gericht fest, dass die Angeklagten zu diesem Zeitpunkt aufgrund der hohen Geschwindigkeit absolut unfähig waren, noch zu reagieren und ihnen eine Vermeidung der Kollision nicht mehr möglich war. Der BGH weist zurecht darauf hin, dass „Voraussetzung für die Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Tat […] nach § 16 Abs. 1 StGB [ist], dass der Täter die Umstände, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören, bei ihrer Begehung kennt“.

„Aus der Notwendigkeit, dass der Vorsatz bei Begehung der Tat vorliegen muss, folgt, dass sich wegen eines vorsätzlichen Delikts nur strafbar macht, wer ab Entstehen des Tatentschlusses noch eine Handlung vornimmt, die in der vorgestellten oder für möglich gehaltenen Weise den tatbestandlichen Erfolg – bei Tötungsdelikten den Todeserfolg – herbeiführt.“

Daraus, dass die Angeklagten zum Zeitpunkt des Tatentschlusses – dem Einfahren auf die Kreuzung – den Erfolgseintritt nicht mehr verhindern konnten, ergibt sich, dass sie die für den Eintritt des Todes kausale Tathandlung bereits vorher getätigt haben. Zum Tatzeitpunkt – dem Autofahren vor dem Einfahren in die Kreuzung – bestand aber kein vom LG festgestellter Vorsatz. Der später gefasste Vorsatz (sog. dolus subsequens) kann keine Strafbarkeit begründen.
3. Auch ging das LG Berlin fehlerhaft von einer mittäterschaftlichen Begehung aus, die für die Strafbarkeit des N wegen Mordes erforderlich ist. Denn festgestellt wurde lediglich der gemeinsame Beschluss zur Durchführung eines spontanen Autorennens. Jedoch setzt ein mittäterschaftlich begangenes Tötungsdelikt voraus, „dass der gemeinsame Tatentschluss auf die Tötung eines Menschen durch arbeitsteiliges Zusammenwirken gerichtet ist“, so der BGH. „Für die Annahme eines mittäterschaftlich begangenen Tötungsdelikts reicht es deshalb nicht aus, dass sich die Täter lediglich zu einem gemeinsamen Unternehmen entschließen, durch das ein Mensch zu Tode kommt.“ Eine gemeinschaftliche Sorgfaltsverletzung ist schließlich noch kein gemeinschaftliches Vorsatzdelikt.
IV. Folgen
Ist mit dem Urteil des BGH eine Verurteilung wegen Mordes in Raser-Fällen ausgeschlossen? Nein! Denn der BGH weist selbst an mehreren Stellen seines Urteils darauf hin, dass es stets auf den Einzelfall ankomme. In dem Fall der Ku´damm-Raser wird das LG Berlin nun aller Voraussicht nach einen Tötungsvorsatz verneinen. Denn es wird ihm wohl nicht gelingen, einen Tötungsvorsatz zum Tatzeitpunkt festzustellen. In ähnlich gelagerten Fällen ist eine Strafbarkeit nach § 211 StGB jedoch je nach Umständen des Einzelfalls denkbar. In einer Klausur oder mündlichen Prüfung ist daher stets auf die konkreten Sachverhaltsangaben zu achten und sich mit dieses argumentativ auseinanderzusetzten. Neben der objektiven Gefährlichkeit und der Wahrscheinlichkeit eines Erfolgseintritts ist auch auf die mögliche Eigengefährdung des Täters einzugehen. Gerade in Fällen, in denen eine Kollision des Täters mit anderen PKW oder sogar Bussen oder LKW droht, spricht die sich daraus ergebende Eigengefährdung dafür, dass der Täter auf einen guten Ausgang vertraut und somit kein bedingter Tötungsvorsatz vorliegt. Dies gilt umso mehr, wenn der Täter statt mit einem PKW mit einem Motorrad fährt, wodurch er weniger geschützt ist. Droht eine Kollision dagegen mit Passanten, Fahrradfahrern oder Motorradfahrern, besteht dagegen objektiv eine geringere Eigengefährdung, sodass dann eher ein bedingter Tötungsvorsatz angenommen werden kann. Es ist zudem darauf zu achten, ob der Täter den nötigen Vorsatz bereits zu einem Zeitpunkt hatte, zu dem er noch den Erfolgseintritt beeinflussen konnte. Auch sollte, falls in einem entsprechenden Fall der Todeserfolg ausbleibt, nicht vergessen werden, einen versuchten Mord zu prüfen.
V. Weitere Straftatbestände
Wenn wie hier neben dem Todesopfer eine weitere Person verletzt wird, ist außer der Strafbarkeit aus vorsätzlichen oder bei Ablehnung des Tötungsvorsatzes aus fahrlässigem Tötungsdelikt eine Strafbarkeit wegen gefährlicher Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2, Nr. 5 StGB (falls ein gemeinschaftliches Handeln vorliegt, auch nach Nr. 3) zu prüfen. Es kommt zudem eine Strafbarkeit nach § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB in Betracht, insbesondere lit. a) und d). § 315b Nr. 3 StGB scheidet mangels pervertierter Nutzung des Autos als Waffe aus, da die Nutzung als Fortbewegungsmittel im Vordergrund steht und ein bloß riskantes Fahren im Rahmen des § 315b StGB nicht ausreicht. Seit dem 13.10.2017 besteht zudem eine Strafbarkeit gemäß dem neu eingeführten § 315d StGB. Bei Verursachung eines Todesfalls greift die Qualifikation des Abs. 5 ein, die keinen Tötungsvorsatz erfordert.

07.06.2018/2 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2018-06-07 10:00:332018-06-07 10:00:33BGH: Aufhebung des Mordurteils für Ku’damm-Raser
Redaktion

Schema: Mord, § 211 StGB

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Schema: Mord, § 211 StGB

I. Tatbestandsmäßigkeit

1. Objektiver Tatbestand

a) Tötung eines anderen Menschen, § 212
– Der Tod erfordert den Hirntod, d.h. den irreversiblen Funktionsausfall des Gehirns.
– Erforderlich ist der Tod eines anderen Menschen. Das Menschsein beginnt dabei erst mit der Geburt. Entscheidend ist der Zeitpunkt der Tötungshandlung.

b)  Tatbezogene Mordmerkmale (2. Gruppe)

– Heimtücke: Heimtückisch handelt, wer in feindseliger Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt.
– Grausam: Grausam handelt, wer dem Opfer in gefühlloser und unbarmherziger Gesinnung Schmerzen körperlicher oder seelischer Art zufügt, die über das zur Tötung unvermeidliche Maß hinausgehen.
– Mit gemeingefährlichen Mitteln: Ein Mittel ist gemeingefährlich, wenn der Täter die Wirkungsweise in der Tatsituation nicht beherrschen kann und dadurch nicht ausschließen kann, eine Vielzahl von Menschen zu töten.

c)  Kausalität

d)  Objektive Zurechenbarkeit

2. Subjektiver Tatbestand

a)  Vorsatz bzgl. aller Merkmale des objektiven Tatbestands, insb. in Bezug auf die tatbezogenen Mordmerkmale.

b)  Täterbezogene Mordmerkmale

aa) 1. Gruppe:

– Mordlust: Aus Mordlust tötet, wer die Tat allein um des Tötens Willen begeht.
– Zur Befriedigung des Geschlechtstriebs: Liegt vor, wenn der Täter durch die Tat oder nach der Tat sexuelle Befriedigung erlangen will.
– Habgier: Habgierig handelt, wer aus triebhafter Eigensucht zur Erlangung eines materiellen Vorteils einen anderen Menschen tötet.
– Sonstige niedrige Beweggründe: Alle Motive, die auf sittliche niedrigster Stufe stehen und geradezu verachtenswert sind.

bb) 3. Gruppe

– Verdeckungsabsicht: Liegt vor, wenn der Täter die Tötung begeht um die Aufdeckung einer anderen Straftat zu verhindern.
– Ermöglichungsabsicht: Liegt vor, wenn der Täter durch die Tötung die Begehung einer anderen Straftat erleichtern oder beschleunigen will.

II. Rechtswidrigkeit
III. Schuld
 
Exkurs: Überblick über die Anwendung von § 28 StGB auf die Mordmerkmale:

  • Nach § 28 StGB bestimmt sich die Strafbarkeit der an der Tat Beteiligten.
  • Eine Zurechnung eines Mordmerkmals kommt stets nur dann in Betracht, wenn der Beteiligte Kenntnis von dem jeweiligen Mordmerkmal des Täters hat.
  • Bei den tatbezogenen Mordmerkmalen der 2. Gruppe ist allein die Kenntnis entscheidend. § 28 StGB findet keine Anwendung.
  • § 28 StGB findet nur Anwendung auf die täterbezogenen Mordmerkmale der 1. und 3. Gruppe.
  • Die Rechtsprechung wendet insofern § 28 I StGB an. Es kommt allein darauf an, ob beim Haupttäter ein Mordmerkmal vorliegt von dem der Teilnehmer (§ 28 I StGB gilt nicht für Mittäter) Kenntnis hat. Ist dies der Fall, ist der Teilnehmer ebenfalls gem. § 211 StGB (iVm § 26 StGB bzw. § 27 StGB) strafbar. Seine Strafe ist jedoch nach § 49 I StGB zu mildern.
  • Die Literatur wendet § 28 II StGB an. Für die Strafbarkeit des Beteiligten (§ 28 II StGB gilt für Teilnehmer und Mittäter) kommt es allein darauf an, ob er ein eigenes Mordmerkmal verwirklicht. Ist dies der Fall, ist er strafbar gem. §§ 212, 211 StGB (iVm § 26 StGB bzw. § 27 StGB bzw. § 25 II StGB).
  • Die Anwendung von § 28 I bzw. II StGB hängt davon ab, ob man § 211 StGB als eigenständiges Delikt betrachtet (Rspr.) oder § 211 StGB als Qualifiaktionstatbestand zu § 212 StGB ansieht (Lit.).

Das Schema ist in den Grundzügen entnommen von myjurazone.de.

29.06.2017/0 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2017-06-29 10:00:122017-06-29 10:00:12Schema: Mord, § 211 StGB
Tom Stiebert

BGH: Das deutsche Strafrecht und der islamische Terrorismus – Juristische Fragestellungen

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Wie geschaffen für eine mündliche Prüfung ist ein aktueller Fall des BGH (StB 9/17), der sich sowohl mit Fragen der Mordmerkmale als auch mit diversen sehr bedeutenden prozessualen Besonderheiten befasst und am 19.4.2017 entschieden wurde. Ferner ist der Fall auch an eine sehr interessante und medial vielbeachtete Situation im Zusammenhang mit der Flüchtlingsdiskussion angeknüpft und sollte daher dringend näher behandelt werden.
I. Sachverhalt
Folgender Sachverhalt lag vor:
Der Beschuldigte war Mitglied der Taliban in Afghanistan, die sich zum Ziel gesetzt hat „von radikal-religiösen Anschauungen geleitet – zum Ziel gesetzt, alle ausländischen Streitkräfte vom Gebiet Afghanistans zu vertreiben und auf dem gesamten Staatsgebiet einen islamischen Staat unter Geltung der Scharia als einziger Rechtsgrundlage zu errichten“. Zur Umsetzung ihrer Ziele begehen die „Taliban“ – räumlich auf das Staatsgebiet von Afghanistan beschränkt – Selbstmordattentate, Minen- und Bombenanschläge, Entführungen, Geiselnahmen und gezielte Tötungen. Angriffsziele sind sowohl die ausländischen „Invasoren“, insbesondere die früheren ISAF-Kräfte, als auch die politischen und religiösen Führer des afghanischen Staates, die afghanische Armee sowie die Polizei. Bei den Aktionen der „Taliban“, die über moderne Waffen und Kommunikationsmittel verfügen, kommt es häufig auch zu zahlreichen Opfern unter der Zivilbevölkerung, die von den „Taliban“ zu Propagandazwecken genutzt werden.
In den Jahren 2013 und 2014 nahm der Beschuldigte in mindestens zwei Fällen jeweils im Auftrag des örtlichen „Taliban“-Kommandanten mit weiteren Angehörigen seiner „Taliban“-Gruppe sowie Kämpfern anderer Gruppen an Kampfeinsätzen gegen afghanische Regierungstruppen und amerikanische Soldaten teil. Dabei gab er jeweils – versteckt hinter Bäumen – auf den nahenden Konvoi zahlreiche Schüsse mit dem Schnellfeuergewehr des Typs AK 47 (Kalaschnikow) in die Richtung der Angegriffenen ab. Bei einem Angriff wurde mindestens ein amerikanischer Soldat getötet; zwei weitere wurden verletzt.
Der Beschuldigte flüchtete 2015 nach Deutschland und stellte hier einen Asylantrag. Grund hierfür ist, dass er auch als Informant für den afghanischen Geheimdienst tätig war.
Aufgrund der vorgeworfenen Taten wurde am 9. Februar 2017 ein Haftbefehl gegen den Beschuldigten erlassen, gegen den er am 22. März 2017 Haftbeschwerde eingelegt hat.
 
II. Juristische Implikationen
Zahlreiche Fragen drängen sich hier förmlich auf:
Zum einen natürlich die Frage nach der materiellen Rechtslage, zum anderen aber – noch relevanter – die Frage, ob überhaupt deutsche Gerichte für eine Verfolgung dieser vermeintlichen in Afghanistan begangenen Straftaten zuständig sind.
1. Materielle Einordnung der vermeintlichen Taten
Fraglich ist zum einen, ob hier ein Mord, bzw. vielfacher versuchter Mord (in Mittäterschaft) oder allein ein Totschlag/versuchter Totschlag vorliegen. Entscheidend dafür – die Mittäterschaft ist hier unproblematisch und sollte demnach auch nur knapp dargestellt werden, ist das Vorliegen von Mordmerkmalen, insbesondere das heimtückische Handeln. Dies liegt dann vor, wenn die Wehr- und Arglosigkeit des Opfers ausgenutzt wird, wobei die Wehrlosigkeit aus der Arglosigkeit resultieren muss. Fraglich ist aber, ob bei einer Tätigkeit als Soldat im Krisengebiet Afghanistan überhaupt eine Arglosigkeit vorliegen kann, oder ob dies nicht generell ausscheiden muss, da mit jederzeitigen Angriffen auf Soldaten zu rechnen ist. Dies lehnt der BGH hier aber gemeinsam mit der Literatur ab:

Dem steht nicht entgegen, dass die Überfallenen als in Afghanistan stationierte Soldaten mit einem Angriff rechnen konnten oder mussten; denn ein berufs- bzw. rollenbedingtes „generelles Misstrauen“ führt als solches noch nicht zum dauerhaften Ausschluss der Arglosigkeit (vgl. Fischer, StGB, 64. Aufl., § 211 Rn. 37a mwN).

Darüber hinaus besteht auch der dringende Tatverdacht einer Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 S. 1 und 2 StGB).
2. Ggf. Rechtfertigung?
Zu denken ist auch an eine mögliche Rechtfertigung gemäß § 34 StGB, da bei einer Nichtteilnahme der Beschuldigte sonst seine Tätigkeit als Spion offenbart hätte oder diese jedenfalls nicht mehr effektiv hätte ausführen können. Auch dies lehnt der BGH aber zurecht ab:

Der Umstand, dass der Beschuldigte, der sich aus eigenem Antrieb und eigener Überzeugung den „Taliban“ anschloss, an Waffen ausgebildet wurde und später an Kampfhandlungen teilnahm, mit hoher Wahrscheinlichkeit auch als Informant für den afghanischen Geheimdienst tätig war, führt nicht zur Straflosigkeit seiner Handlungen. Nach deutschem Recht vermögen Tätigkeiten für einen Geheimdienst in diesem Zusammenhang begangene Straftaten, sofern keine spezielle Norm eingreift (vgl. etwa § 9a BVerfSchG), allenfalls in einem – hier offensichtlich nicht vorliegenden – Ausnahmefall und sehr engen Grenzen nach § 34 StGB zu rechtfertigen (vgl. Hofmann/Ritzert, NStZ 2014, 177, 180 mwN). Das Vorliegen eines Entschuldigungsgrundes ist ebenfalls nicht ersichtlich.

3. Prozessuale Fragestellungen
Bleibt dann noch die spannende Frage, was denn das deutsche Strafrecht und die deutsche Justiz überhaupt damit zu tun hat – schließlich wurden die Taten in Afghanistan begangen. Hier ist es zwingend notwendig, sich einmal das „IPR“ des Strafrechts – also die §§ 3 – 7 StGB einmal näher anzusehen, die die Anwendung deutschen Strafrechts vorsehen.
Allerdings wird teilweise auch vertreten, dass dies jedenfalls bezüglich der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland (§ 129b StGB) und der damit im Zusammenhang stehenden Taten bereits ausschließlich aus § 129 Abs. 1 StGB folgt und damit die allgemeinen Vorschriften keiner Anwendung bedürfen. Die herrschende Meinung lehnt dies aber zurecht ab. Dennoch bleibt es bei der Anwendung des deutschen Rechts gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB:

Deutsches Strafrecht ist anwendbar. Der Beschuldigte hielt sich vor seiner Festnahme in Deutschland auf. Da zurzeit ein Auslieferungsverkehr mit Afghanistan nicht stattfindet und nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen entsprechend den Ausführungen in dem angefochtenen Haftbefehl, auf die der Senat Bezug nimmt, davon auszugehen ist, dass die Handlungen des Beschuldigten auch nach afghanischem Recht strafbar sind, ohne dass ein Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund eingreift, ergibt sich die Anwendbarkeit des deutschen Rechts für alle in Betracht kommenden Delikte bereits aus § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB.

Entscheidend ist eine genaue Subsumtion des § 7 Abs. 2 S. 2 StGB: Die Tat wurde im Ausland (Afghanistan) begangen, sie ist auch dort mit Strafe bedroht, der Beschuldigte ist Ausländer wurde aber im Inland betroffen (festgenommen), eine Auslieferung wäre zwar im Grundsatz möglich, ist hier aber nicht ausführbar, da zurzeit ein Auslieferungsverfahren mit Afghanistan nicht stattfindet.
Weil also eine Auslieferung nach Afghanistan nicht erfolgt, gilt das deutsche Strafrecht.
4. Sonstiges zur Haftbeschwerde
Die Haftbeschwerde wird voraussichtlich erfolglos sein, da sowohl ein dringender Tatverdacht, als auch Haftgründe (§ 112 StPO) vorliegen. Zudem lässt sich ein solcher auch auf § 112 Abs. 3 StPO stützen.
Vertieft werden kann dies, mit einem älteren Beitrag von uns zu Haftprüfung und Haftbeschwerde
III. Fazit
Der Fall ist in jeglicher Hinsicht besonders: Zum einen lenkt er einen juristischen Blick auf die Fragestellung der Abschiebung und den globalen Terrorismus, zum anderen verknüpft er dies aber an vielen Stellen mit allgemeinen strafrechtlichen Fragestellungen. Er eignet sich also perfekt für mündliche Prüfungen, bei der natürlich gerade auch bei der Subsumtion unter § 129a und b StGB viel Eigenarbeit gefordert werden kann. Eine Wiederholung ist hier zwingend zu empfehlen.

13.06.2017/1 Kommentar/von Tom Stiebert
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tom Stiebert https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tom Stiebert2017-06-13 10:00:422017-06-13 10:00:42BGH: Das deutsche Strafrecht und der islamische Terrorismus – Juristische Fragestellungen
Dr. Maximilian Schmidt

Tödliche Raserei: Was ihr jetzt wissen müsst!

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Das Landgericht Berlin hat mit Urteil vom 27.2.2017 erstmalig zwei Raser, die bei einem illegalen Autorennen einen unbeteiligten Verkehrsteilnehmer getötet hatten, wegen Mordes verurteilt. Bisher wurde in vergleichbaren Fällen in Ermangelung eines Tötungsvorsatzes auf fahrlässige Tötung entschieden. Die Fallkonstellation sollte für eine bald anstehende mündliche Prüfung gründlich durchdacht werden – zeitunglesende Prüfer (wohl eine Tautologie) werden mit großer Wahrscheinlichkeit das heutige Urteil zur Grundlage ihrer Prüfung im Strafrecht machen. Im Folgenden einige einführende Gedanken. 
I. Abgrenzung von Vorsatz und Fahrlässigkeit
Im Mittelpunkt einer solchen mündlichen Prüfung wird die Abgrenzung von bewusster Fahrlässigkeit und bedingtem Vorsatz stehen. Während bewusste Fahrlässigkeit voraussetzt, dass der Täter die Möglichkeit des Erfolgseintritts erkennt (Wissenselement), sich mit diesem jedoch nicht abfindet und darauf vertraut, es werde schon gutgehen (fehlendes Wollenelement), tritt bei bedingtem Vorsatz neben das Wissen um die Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung ein bedingter Vorsatz hinzu: Der Täter nimmt die Tatbestandsverwirklichung in Kauf um sein erstrebtes Ziel zu erreichen. Was gilt nun, wenn ein PKW-Fahrer mit völlig überhöhter Geschwindigkeit unter Missachtung aller Verkehrsregeln durch die Innenstadt rast, um ein illegales Autorennen zu gewinnen? 
Hierbei handelt es sich in der Rechtswirklichkeit um eine eine der schwierigsten Abgrenzungsfragen des Strafrechts. Grundproblem ist, dass es sich beim Vorsatz, der verkürzt als Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung beschrieben wird, um eine innere Tatsache handelt. Daher ist eine umfassende Gesamtwürdigung aller Tatumstände vorzunehmen, wie auch der BGH (v. 14.1.2016 – 4 StR 84/15 ) ausführt:

Die Prüfung, ob Vorsatz oder (bewusste) Fahrlässigkeit vorliegt, erfordert insbesondere bei Tötungs- oder Körperverletzungsdelikten eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände, wobei es vor allem bei der Würdigung des voluntativen Vorsatzelements regelmäßig erforderlich ist, dass sich der Tatrichter mit der Persönlichkeit des Täters auseinandersetzt und seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung sowie seine Motivation und die zum Tatgeschehen bedeutsamen Umstände – insbesondere die konkrete Angriffsweise – mit in Betracht zieht (Fortführung BGH, 18. Oktober 2007, 3 StR 226/07, NStZ 2008, 93; BGH, 27. Januar 2011, 4 StR 502/10, NStZ 2011, 699; BGH, 22. März 2012, 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183 und BGH, 13. Januar 2015, 5 StR 435/14, NStZ 2015, 216).
Diese Gesamtschau ist insbesondere dann notwendig, wenn der Tatrichter allein oder im Wesentlichen aus äußeren Umständen auf die innere Einstellung eines Angeklagten zur Tat schließen muss (Fortführung BGH, 13. Dezember 2005, 1 StR 410/05, NJW 2006, 386).

Das LG Köln konkretisiert dies in einer Entscheidung aus dem Jahr 2016 (117 KLs 19/15) zu einem illegalen Autorennen mit Todesfolge:

In Abgrenzung zur bewussten Fahrlässigkeit, bei der der Täter die Möglichkeit des Eintritts des tatbestandlichen Erfolgs zwar erkennt, jedoch damit nicht einverstanden ist und ernsthaft darauf vertraut, es werde schon gutgehen, setzt bedingt vorsätzliches Handeln voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet. Da diese beiden Schuldformen im Grenzbereich eng beieinander liegen, müssen bei der Annahme bedingten Vorsatzes beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wissenselement als auch das Willenselement, in jedem Einzelfall besonders geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (BGH, NStZ-RR 2006, 9).

An dieser Stelle kommt es demnach entscheidend auf den konkreten Sachverhalt, also alle Umstände des illegalen Autorennens an. So dürfte bereits die Uhrzeit und die Umgebung der Tatbegehung einen Unterschied machen: Man wird eher von einem bedingten Vorsatz ausgehen, wenn die Fahrt tagsüber auf einer vielbefahrenen Straße mitten in einer Innenstadt stattfindet, als nachts auf einer abgelegenen Landstraße.  Zu berücksichtigen wird auch die in der Rechtsprechung immer wieder betonte außerordentlich hohe Hemmschwelle einer (auch nur bedingt vorsätzlichen) Tötung eines Menschen sein. Ob hingegen – wie vom LG Köln in der zitierten Entscheidung ausgeführt – die Bestürzung nach dem Unfall dafürspricht, dass der Fahrer darauf vertraut hat, er könne sein Fahrzeug auch bei Erreichen hoher Geschwindigkeiten noch beherrschen, ist doch sehr zweifelhaft. Dass bei einer extremen Raserei durch die Innenstadt mit Geschwindigkeiten über 150 km/h und der Missachtung zahlreicher roter Ampeln wirklich jemand ernsthaft auf das Ausbleiben einer Realisierung der Gefahr vertraut, ist doch extrem unwahrscheinlich. Zudem weist der BGH in ständiger Rechtsprechung darauf hin, dass selbst ein unerwünschter Erfolg der billigenden Inkaufnahme nicht entgegensteht (BGH, 14.1.2015 – 5 StR 494/14, NStZ 2015, 460). Die nachträgliche Bestürzung ist damit kein Kriterium der Bestimmung des Vorsatzes zum Tatzeitpunkt. Spannend wird sein, wie der BGH auf die nunmehrige Entscheidung des LG Berlin reagieren wird. Vieles spricht unter Zugrundelegung des bekannten Sachverhalts für die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes.
Ein Schema zur Abgrenzung von vorsätzlichem Begehungsdelikt vs. Fahrlässigkeitsdelikt findet ihr hier.
II. Totschlag oder Mord?
Kommt man zur Annahme eines vorsätzlichen Handelns, stellt sich die Frage nach Mordmerkmalen. Naheliegend ist die Prüfung des gemeingefährlichen Mittels.  Ein solches liegt vor, wenn der Täter ein Mittel zur Tötung einsetzt, das in der konkreten Tatsituation eine Mehrzahl von Menschen an Leib oder Leben gefährdet, wobei der Täter die Gefahr nicht beherrscht (BGHSt 34, 13). Maßgeblich ist nicht allein die abstrakte Gefährlichkeit des Tatmittels, sondern seine Eignung und Wirkung in der konkreten Situation unter Berücksichtigung der persönlichen Fähigkeiten und Absichten des Täters (BGH NStZ-RR 2010, 373 (374)). Ein PKW ist grundsätzlich zwar kein gemeingefährliches Mittel, sondern ein Fortbewegungsmittel. Dennoch hat der BGH bereits entschieden, dass durch die konkrete Verwendung auch ein Auto ein gemeingefährliches Mittel sein kann (BGH NStZ 2007, 330). Kommt man also zur Annahme eines bedinten Vorsatzes, wird man kaum an einer Verurteilung wegen Mordes durch Verwendung eines gemeingefährlichen Mittels vorbeikommen. Auf subjektiver Tatbestandsebene genügt nämlich, dass der Täter die mangelnde Beherrschbarkeit der Wirkung des Tötungsmittels kennt oder jedenfalls ernsthaft für möglich hält und deren Eintritt wünscht oder wenigstens billigend in Kauf nimmt (Eschelbach, in: BeckOKStGB, § 211 Rn. 72).
III. Ausdehnung des Verkehrsstrafrechts auf illegale Autorennen?
Wer rechtspolitisch glänzen möchte, könnte nach der Prüfung des Falles noch die Diskussion um die Einführung eines eigenständigen Straftatbestandes der „Teilnahme an einem illegalen Autorennen“ anstoßen. Die Länder Hessen und NRW haben einen solchen Vorschlag im Bundesrat bereits eingebracht (BR-Drs. 362/16).

§ 315d Verbotene Kraftfahrzeugrennen

(1) Wer im Straßenverkehr

  • 1.ein nicht genehmigtes Kraftfahrzeugrennen veranstaltet oder

  • 2.als Kraftfahrzeugführer an einem nicht genehmigten Kraftfahrzeugrennen teilnimmt,

wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Wer unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 Nummer 2 handelt und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(3) Wer in den Fällen des Absatzes 2 die Gefahr fahrlässig verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(4) Verursacht der Täter in den Fällen des Absatzes 2 oder 3 durch die Tat den Tod oder eine schwere Gesundheitsschädigung eines anderen Menschen oder eine Gesundheitsschädigung einer großen Zahl von Menschen, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.

Im Mittelpunkt steht somit ein abstraktes Gefährdungsdelikt der bloßen Teilnahme an einem illegalen Autorennen (§ 315d Abs. 1). Allein die Durchführung eines solchen illegalen Rennens genügte, eine konkrete Gefährdung von Personen oder Sachen von erheblichem Wert (wie nach § 315c StGB) wäre nicht notwendig. Vergleichbar ist dies den Brandstiftungsdelikten der §§ 306 ff. StGB, die ebenfalls abstrakte Gefährdungsdelikte – und das sogar mit Qualifikationstatbeständen – sind. Daneben soll ein konkretes Gefährdungsdelikt geschaffen werden, wenn bei einem solchen Autorennen Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet werden (§ 315d Abs. 2). § 315d Abs. 3 ist der Vorsatz-Fahrlässigkeitskombination aus § 315c StGB nachgebildet.
Ob ein solcher Tatbestand notwendig ist, kann mit verschiedenen Argumenten diskutiert werden. Sicherlich wird ein explizites strafbewehrtes Verbot die Illegalität von derartigen Autorennen den Bürgern besser vor Augen führen; auch der Abschreckungseffekt einer eigenständigen Strafandrohung – über deren Höhe ebenfalls diskutiert werden kann – dürfte erwähnenswert sein. Andererseits stellt sich die Frage, ob tatsächlich eine Strafbarkeitslücke besteht. ME ist dies für das abstrakte Gefährdungsdelikt anzunehmen, nicht hingegen für die konkreten Gefährdungsdelikte der § 315d Abs. 2 – 4. Hier dürfte wegen § 315c StGB keine Strafbarkeitslücke bestehen. Zur Vertiefung dieser Diskussion ist die Lektüre des Aufsatzes von Piper, NZV 2017, 70 empfehlenswert!
 

28.02.2017/13 Kommentare/von Dr. Maximilian Schmidt
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Maximilian Schmidt https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Maximilian Schmidt2017-02-28 11:00:252017-02-28 11:00:25Tödliche Raserei: Was ihr jetzt wissen müsst!
Redaktion

Spende iHv 1000 Euro für Hinweise auf Täter im Bonner Mordfall Niklas P.

Startseite, Verschiedenes

Lieber Leserinnen und Leser,
der Verein hat sich zu einer Spende in Höhe von 1000 Euro zur Erhöhung der Belohnung im Ermittlungsverfahren Niklas P. entschieden. Der Fall hat nicht nur die Region um Bonn, wo unser Verein seinen Sitz hat, sondern deutschlandweit die Menschen bewegt (sie nur hier und hier). Nach einem Konzertbesuch in der Bonner Rheinaue wurde Niklas P. in Begleitung zweier Freunde unvermittelt Opfer einer körperlichen Attacke mit massiver Gewalteinwirkung, an der er in der letzten Woche, nachdem er im Koma gelegen hatte, verstorben ist.
Das Geld haben wir heute – vermittelt durch die Polizei Bonn – der Rechtsanwältin der Familie des getöteten Niklas zugeleitet. Für den Fall, dass keine entsprechenden Hinweise auf die Täter eingehen, wird das Geld der Familie des Opfers zur Verfügung gestellt. Wir hoffen damit, einen kleinen Beitrag zur Suche nach den Tätern und zur Unterstützung der Familie leisten zu können.
Spenden an die Familie können gerichtet werden an:
Caritaskonto des Kath. Kirchengemeindeverbands Bad Godesberg, Stichwort: Niklas.
IBAN: DE53 3816 0220 4704 6440 14
Hinweise zu dem Fall nimmt zudem die Mordkommission unter der Rufnummer 0228 – 150 entgegen.

 
 

17.05.2016/0 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2016-05-17 14:47:482016-05-17 14:47:48Spende iHv 1000 Euro für Hinweise auf Täter im Bonner Mordfall Niklas P.
Dr. Sebastian Rombey

Reform des Mordparagrafen

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Der Bundesminister für Justiz und Verbraucherschutz, Heiko Maas, hat vor einiger Zeit eine Kommission von 15 Experten einberufen, um ein Konzept für die Neuregelung der Tötungsdelikte erarbeiten zu lassen, genauer gesagt einen Vorschlag für die Überarbeitung des Totschlags- und des Mordparagrafen. Der über 900 Seiten lange Abschlussbericht der Expertenkommission wurde nun vor kurzem veröffentlicht und zeigt vor allem, dass trotz verbreiteten Reformwillens eine Neuregelung alles andere als einfach ist. Folgender Kommentar fasst die Problematik prägnant zusammen:
„Der Versuch, die unbestimmten Unterscheidungsmerkmale zwischen Mord und Totschlag durch klarere und rationalere zu ersetzen, war dem Abschlagen der Köpfe einer Hydra vergleichbar, der jeweils zwei neue (hier: ebenso unbestimmte Merkmale) nachwachsen.“ (Hamm, NJW-Editorial, Heft 30, 2015).
I. Die Ausgangslage
Nationalsozialistisches Gedankengut ist glücklicherweise nur noch äußerst selten in der Bundesrepublik anzutreffen. Umso mehr erstaunt es, dass Wortlaut und Regelungstechnik des deutschen Mordparagrafen nach Ende des Zweiten Weltkrieges nicht geändert wurden, ist doch gerade § 211 StGB zu einer Zeit formuliert worden, in welcher sich das Deutsche Reich unter Adolf Hitler selbst des Mordes schuldig machte. Der über lange Zeit hinweg fehlenden Reformbereitschaft der Politik nach 1945 ist es geschuldet, dass die den Tatbeständen der §§ 211, 212, 213 StGB anhaftenden unbestimmten Rechtsbegriffe durch die Rechtsprechung konkretisiert werden mussten. Und auch die in den genannten Delikten deutlich werdende Tätertypenlehre und der Exklusivitäts-Absolutheits-Mechanismus der lebenslangen Freiheitsstrafe mussten mittels ständiger Korrekturen durch BVerfG, BGH und Schrifttum an die Werteordnung sowie das Rechtsverständnis der freiheitlich-demokratischen Grundordnung des parlamentarischen und repräsentativ-demokratischen Nachkriegsdeutschland angepasst werden. Trotzdem, vielleicht aber auch gerade deswegen, wird weiterhin Kritik an den unbestimmten Mordmerkmalen, der lebenslangen Freiheitsstrafe und den der Nazi-Zeit entstammenden Formulierungen geübt.
So lautet die Formulierung des § 211 Abs. 1 StGB beispielsweise „Mörder ist, wer…“, dem Sprachgebrauch des berüchtigten braunen Strafrichters Roland Freisler folgend, der damit im Jahre 1941 Verbrecherpersönlichkeiten beschreiben wollte. Zudem wenden die Gerichte seit BGHSt 30, 105 die sog. Rechtsfolgenlösung (Strafmilderung nach § 49 Abs. 1 StGB) an, also eine richterrechtlich entwickelte Strafzumessungslösung für Morde, bei denen es aufgrund des verringerten Unrechts unverhältnismäßig wäre, die lebenslange Freiheitsstrafe zu verhängen (so bei tiefem Mitleid, gerechtem Zorn oder starker Provokation; vgl. auch die Fälle des sog. Haustyrannenmordes). Es bleibt fraglich, warum der Tatbestand des Mordes nicht bereits früher vom Gesetzgeber novelliert wurde. Denn spätestens mit einer derartigen (und teilweise fraglichen) Entfernung der Rechtsprechung von dem klaren Gesetzeswortlaut des § 211 Abs. 1 StGB („Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.“) wurde der Rubikon eindeutig überschritten.
II. Die angestrebten Reformen
Auf folgende Eckpunkte, die für die erste Staatsprüfung relevant werden könnten, sollten sie denn später Teil des StGB werden, konnte sich die Expertenkommission einigen:

  • Es wird weiterhin zwischen Mord und Totschlag differenziert.
  • In der Neufassung der §§ 211, 212, 213 StGB werden jedoch die aus der Tätertypenlehre stammenden Begriffe des „Mörders“ bzw. des „Totschlägers“ gestrichen. Stattdessen sollen nun richtigerweise – wie auch im restlichen System des StGB – an tatbezogene Formulierungen angeknüpft werden.
  • Trotzdem sollen die Mordmerkmale und damit die besonders in der Kritik stehenden Merkmale der „Heimtücke“ sowie der „niederen Beweggründe“ beibehalten werden. Dies konterkariert z. T. die Aufhebung der nationalsozialistischen Begriffe des Mörders und Totschlägers, soll doch auch der neue Mordparagraf weiterhin die ideologisch und emotional behafteten Mordmerkmale aus der Zeit des Nationalsozialismus enthalten. Zudem bleibt mit den „niederen Beweggründe“ die Generalklausel des Mordes bestehen, auf der mehr als 50 % aller Urteile im Bereich des Mordes beruhen. Hier wäre eine Überarbeitung wünschenswert gewesen.
  • Die in § 211 StGB genannten Mordmerkmale sollen jedoch zumindest zur Konkretisierung der „niederen Beweggründe“ durch weitere Tötungsbeweggründe ergänzt werden. Dazu zählen die neuen Mordmerkmale der Tötung eines Menschen wegen
    • des Geschlechts,
    • der Abstammung,
    • der Rasse,
    • der Sprache,
    • der Herkunft,
    • des Glaubens.
  • Zudem soll das neue Mordmerkmal der Mutwilligkeit eingeführt werden.
  • Die lebenslange Freiheitsstrafe (Exklusivitäts-Absolutheits-Mechanismus) soll grundsätzlich beibehalten werden. Keiner der 15 Experten sprach sich dafür aus, dass es eine dem Alter des Täters entsprechende zeitige Freiheitsstrafe eingeführt werden solle. Die zuvor in konservativen Kreisen geäußerte Befürchtung, man wolle durch die Reform des Mordparagrafen das lebenslängliche Strafmaß nur noch weiter aufweichen (die Kritik bezieht sich auf die bereits vorhandenen §§ 57a, 57b StGB, welche die Aussetzung des Strafrestes bei lebenslanger Freiheitsstrafe bereits regeln) hat sich folglich vorerst nicht bestätigt. Gleichwohl soll insgesamt die lebenslange Freiheitsstrafe kein absolut zwingendes Strafmaß mehr sein; im Einzelfall die Schuld und den Unrechtsgehalt der Tat mildernde Umstände sollen von den Gerichten berücksichtigt werden können. In dem Bericht existieren dazu verschiedene Lösungs- und Reformvorschläge.
  • 213 StGB (minder schwerer Fall des Totschlags) soll beibehalten werden; allerdings soll die Mindeststrafe auf zwei Jahre Freiheitsstrafe angehoben werden.

Der ausführliche Abschlussbericht der Kommission kann im Detail hier eingesehen werden.
III. Fazit und Ausblick
Zu begrüßen ist, dass sich das Bundesjustizministerium nun endlich dazu entschlossen hat, notwendige und längst überfällige Reformen im Bereich der Tötungsdelikte durchzuführen. Dass die Kommission aus verschiedenen Experten und Meinungsvertretern aus Wissenschaft und Praxis aufgrund vorprogrammierter, divergierender Ansichten keine grundlegend neue Gesetzessystematik einschließlich eines gänzlich neuen Wortlauts vorlegen würde, war zu erwarten. Trotzdem sind die vorgeschlagenen Reformen ein Schritt in Richtung eines von nationalsozialistischen, ideologischen und moralisierenden Wertungen befreiten deutschen Strafrechts im Bereich der Tötungsdelikte.
Die Vorschläge der Kommission werden nun im Bundesjustizministerium geprüft, bevor es zu einem ersten Gesetzentwurf kommt. Gleichwohl hat Heiko Maas bereits durchblicken lassen, dass der Vorschlag der Kommission, ein „modernes“ Recht schaffen und die nationalsozialistische Terminologie des Tätertypen streichen zu wollen, dankbar angenommen werde.Auch zu anderen Vorschlägen der Experten hat er bereits vor Veröffentlichung des Berichtes in der Öffentlichkeit Stellung bezogen; so sagte er beispielsweise, dass es die herausgehobene lebenslange Freiheitsstrafe aufgrund des besonderen Unrechts und unter Beachtung des hohen Wertes des menschlichen Lebens des Opfers weiterhin geben werde (vgl. z. B. den Bericht von Müller-Neuhof, „Mord soll nicht mehr bleiben, was er war“, in „Der Tagesspiegel“ vom 29.06.2015). Es ist demnach anzunehmen, dass sich viele der Beratungsergebnisse in dem späteren Gesetzesentwurf größtenteils unverändert wiederfinden werden. Dort könnte zusätzlich ein „minder schwerer Fall des Mordes“ in den Gesetzestext aufgenommen werden.
Der Bundestag soll noch 2015 über das noch vorzulegende Gesetz abstimmen. Dort kann sich Maas aber bereits auf Gegenwind aus den Reihen des Koalitionspartners CDU/CSU gefasst machen, der insbesondere gegen eine Flexibilisierung des Strafrahmens des Mordes Stellung bezieht. Und auch aus Reihen der Bundestagsfraktion der Linken wird Kritik an den Reformvorschlägen geäußert, dort wird die Beibehaltung der Unterscheidung zwischen Mord und Totschlag für falsch gehalten.
In der Samstagsausgabe der Süddeutschen Zeitung vom 8.2.2014 („Mord und Totschlag, Maas will Strafrecht reformieren.“) antwortete Maas im Interview mit Heribert Prantl auf die Frage, ob er Mord und Totschlag neu beschreiben wolle, wie folgt:
„Zumindest will ich dafür sorgen, dass die Gerichte nicht mehr gezwungen werden, Konstruktionen an der Grenze der erlaubten richterlichen Rechtsfortbildung erfinden zu müssen, um Urteile sprechen zu können, die nicht nur dem Gesetz, sondern auch dem Gerechtigkeitsbedürfnis entsprechen.“
Heiko Maas wird sich an dieser Aussage messen lassen müssen.
Juraexamen.info wird weiterhin über den Verlauf der Reformen informieren, denn sollte eine Gesetzesänderung wirklich erfolgen, wird diese Anlass neuer Rechtsprobleme sein, die sicherlich in Klausuren und Examensarbeiten nicht ungeprüft bleiben werden.

04.08.2015/4 Kommentare/von Dr. Sebastian Rombey
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Sebastian Rombey https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Sebastian Rombey2015-08-04 07:45:322015-08-04 07:45:32Reform des Mordparagrafen
Redaktion

Die Verjährung im Strafrecht

Startseite, StPO, Strafrecht, Strafrecht AT, Verschiedenes


Der Verlag De Gruyter stellt jeden Monat einen Beitrag aus der Ausbildungszeitschrift JURA – Juristische Ausbildung zwecks freier Veröffentlichung auf Juraexamen.info zur Verfügung.
Der heutige Beitrag

“Die Verjährung im Strafrecht” von Prof. Dr. Helmut Satzger

behandelt ein Thema, das zwar nicht im Mittelpunkt der strafrechtlichen Ausbildung steht; Fragen strafrechtlicher Verjährung beschäftigen aber doch immer wieder die Öffentlichkeit. Geht es um die Aufdeckung von in der Vergangenheit liegenden Verbrechen, kann etwa ein Fall der Verfolgungsverjährung vorliegen. Setzen sich Straftäter nach einer Verurteilung ins Ausland ab, steht möglicherweise eine Vollstreckungsverjährung im Raum. Die Unterscheidung zwischen Verfolgungs- und Vollstreckungsverjährung etwa gehört zum Grundlagenwissen im Bereich des strafrechtlichen Verjährungsrechts und sollte jedem Examenskandidaten (nicht zuletzt für die mündliche Prüfung) geläufig sein. Dass Mord und Völkermord nicht verjähren, dürfte ebenfalls bekannt sein. Der heutige Beitrag gibt einen umfassenden Überblick über diese und weitere Grundlagen der Verjährung im Strafrecht.
Ihr findet ihn wie immer hier.

16.05.2013/0 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2013-05-16 13:00:512013-05-16 13:00:51Die Verjährung im Strafrecht
Dr. Christoph Werkmeister

Zur Hemmschwellentheorie bei den Tötungsdelikten – Anmerkung zu BGH NJW 2012, 1524 ff.

Rechtsprechung, Schon gelesen?, Strafrecht, Strafrecht AT

Von Dominik Schnieder
In seinem Urteil vom 22.03.2012 (BGH NJW 2012, 1524 ff.) hatte der Bundesgerichtshof Anlass, sich erneut mit den Anforderungen an den bedingten Tötungsvorsatz auseinander zu setzen. Durch die Studienliteratur und Rechtsprechung geistert dabei immer wieder der Begriff der „Hemmschwellentheorie“. Was darunter zu verstehen ist, erscheint auf den ersten Blick klar: Bei Tötungsdelikten sind höhere Voraussetzungen an den Vorsatz zu stellen (so in aller Schlichtheit: Rengier, BT II, § 4, Rn. 9). Dass dem in dieser Einfachheit nicht so ist, soll im Folgenden dargelegt werden.
I. Sachverhalt
Nachdem es sowohl inner- als auch außerhalb eines Nachtclubs wiederholt zu körperlichen Auseinandersetzungen zwischen dem Angeklagten und seinem späteren Opfer gekommen war, gelang es den Türstehern, den Streit zunächst zu schlichten und die Gruppen zu trennen.
Der Angeklagte, der sich damit nicht abfinden wollte, setzte dem Opfer nach und stach diesem unter dem Ausruf „Verreck‘, du Hurensohn!“  von hinten kommend ein 22 cm langes Messer in den Rücken, wobei er die achte Rippe durchtrennte und mit der Klinge in die Lunge eindrang. Das Opfer befand sich in akuter Lebensgefahr und wäre ohne sofortige Notoperation mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verstorben.
Das LG verurteilte den Angeklagten unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und einem Monat. Die hiergegen gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft war erfolgreich.
II. Erläuterungen
Ansatzpunkt für die Diskussion um die Hemmschwellentheorie ist das voluntative Vorsatzelement beim dolus eventualis. Ist in der Literatur lebhaft umstritten, ob neben das cognitive auch ein voluntatives Element tritt, um insbesondere bewusste Fahrlässigkeit und bedingt vorsätzliches Handeln voneinander abzugrenzen (vgl. Fischer, § 15, Rn. 9 ff.), geht der BGH wie selbstverständlich davon aus:

 „[26] Bedingt vorsätzliches Handeln setzt nach ständiger Rechtsprechung des BGH voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, ferner dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet“

Doch welche Anforderungen sind nun an das vom BGH vorausgesetzte billigende Inkaufnehmen des Todes zu stellen?
So weist das Gericht selbst darauf hin:

 „[35] Der Hinweis [des LG] auf eine „Hemmschwellentheorie“ entbehrt somit jedes argumentativen Gewichts.“

Vielmehr gelte:

 „[34] Im Verständnis des BGH erschöpft sich die „Hemmschwellentheorie“ somit in einem Hinweis auf § 261 StPO.“

III. Würdigung
1. Anforderungen
Ausgangspunkt für die Bestimmung, ob der Täter mit bedingtem Tötungsvorsatz handelte, muss demnach sein, dass es zwar grundsätzlich, aber nicht ohne weiteres möglich ist, von der Gefährlichkeit einer gewalttätigen Handlung auf das Vorliegen des Vorsatzes zu schließen (Verrel, NStZ 2004, 309).
Vielmehr obliegt es dem erkennenden Gericht, umfassende Feststellungen zum Geschehen zu treffen. Es muss eine Gesamtbetrachtung anstellen, die neben der Tat auch den Täter umfasst [BGH NStZ 2003, 431 (432)]. Einzubeziehen sind insbesondere die Motivation des Täters und sein Nachtatverhalten, Äußerungen vor, bei oder nach der Tat sowie die Tatausführung selbst (so: Trück, NStZ 2005, 233 m.w.N.) – kurz: alle objektiven und subjektiven Tatumstände (Fischer, § 212, Rn. 8).
Die anschließende Gesamtbetrachtung geschieht letztlich durch Hypothesenbildung. Das erkennende Gericht kann die den beweisenden Sachverhalt tragende Hypothese als zutreffend belegen, indem es alle dem konkreten Fall entsprechenden Alternativhypothesen aufstellt und für unvereinbar mit dem relevanten Geschehen erklärt (MüKo-Schneider, § 212, Rn. 11).
Es ist also dazu aufgerufen, Gegenindizien zu suchen, die es ermöglichen können, den Schluss von der äußeren Gefährlichkeit der Tathandlung auf das voluntative Vorsatzelement zu entkräften [Verrel, NStZ 2004, 309 (310)]. Findet es solche Gegenindizien nicht oder können sie den äußeren Schluss nicht wiederlegen, so handelte der Täter bedingt vorsätzlich.
An dieser Stelle wird auch der Hinweis des BGH auf § 261 StPO virulent. Dieser verlangt, dass das Gericht über das Ergebnis der Beweisaufnahme nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung entscheidet. Das zur Entscheidung berufene Gericht muss sich subjektive Gewissheit über die entscheidungserheblichen Tatsachen verschaffen (Joecks, StPO, § 261, Rn. 2), gebildet auf einer rational-objektiven Grundlage [BGH NJW 1999, 1562 (1564)]. Sicheres Wissen an sich kann es dabei nicht geben [vgl. BGH NStZ 1995, 590 (591)]. Doch muss das Gericht auf Grund der ermittelten Hypothesen zu der Überzeugung gelangen, dass kein vernünftiger Zweifel an der den Sachverhalt tragenden Hypothese besteht. Diesen Anforderungen genügte das Landgericht nach Ansicht des BGH im vorliegenden Fall nicht.
Es hätte sich vielmehr:

 „[35]… damit auseinandersetzen müssen, dass schon der festgestellte Handlungsablauf, nämlich das wuchtige und zielgerichtete Stechen eines Messers aus schnellem Lauf in den Rücken eines ahnungslosen Opfers, das Überwinden einer etwa vorhandenen Hemmschwelle voraussetzt.“

2. Kritik
Hinter der Konstruktion, die weitläufig als „Hemmschwellentheorie“ bekannt geworden ist, versteckt sich also mehr als ein glitzernder Name für eine plakative Aussage. Natürlich sind die Anforderungen an den Tötungsvorsatz höher als diejenigen, welche an den Diebstahl einer Cola-Flasche gestellt werden. Doch lässt sich dieses Verhältnis sicher nicht in Zahlen fassen. 10% mehr Tötungsvorsatz – so etwas gibt es nicht.
Die „Hemmschwellentheorie“ ist keine naturwissenschaftliche Gegebenheit, die durch bloßes Erwähnen umfassende Rückschlüsse auf die Wirklichkeit zuließe. Hinter ihr verbirgt sich vielmehr ein komplexes Ausschlussmodell, dessen Grundlage auf umfassenden Tatsachenermittlungen und-würdigungen fußt.
Dass diese Tatsachenermittlung in der Instanzenrechtsprechung häufig zu kurz kommt und mit pauschalen Hinweisen auf ebenjene „Theorie“ übergangen wird, moniert der BGH somit zu Recht [BGH NJW 2012, 1524 (1526 f.)]. Nichtsdestotrotz muss sich auch die Rechtsprechungspraxis des BGH in der Literatur Kritik gefallen lassen. Es wird beanstandet, es hinge teils mehr vom Zufall, denn von der tatrichterlichen Auseinandersetzung mit dem Sachverhalt ab,  ob das gefällte Urteil nun „revisionssicher“ sei oder nicht. Dabei wird dem BGH sogar eine gewisse Beliebigkeit unterstellt (so etwa Wojtech, NJW-Spezial 2012, 312).
Solch pauschale Aussagen sind sicherlich nicht richtig. Vielmehr sollte es eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein und nicht extra eines Hinweises des BGH bedürfen, dass die Gerichte eine vollständige Sachverhaltsaufklärung und –würdigung zu betreiben haben. Zutreffender Ansatzpunkt für Kritik dürfte aber einerseits die Spruchpraxis des Bundesgerichtshofs sein, andere (niedrigere)  Maßstäbe für Unterlassungsdelikte anzusetzen (für Nachweise der Praxis vgl. Fischer, § 212, Rn. 14). Warum hier eine Unterscheidung zwischen Begehungs- und Unterlassungsdelikten zu treffen sein soll, erscheint nicht ersichtlich [Puppe, NStZ 1992, 576 (577)].
Zudem macht es wenig Sinn, eine höhere „Hemmschwelle“ dann anzunehmen, wenn es um Gegebenheiten geht, die gerade eher für ein Enthemmen sprechen. Alkohol- und Drogenkonsum oder affektive Erregungszustände sollen nach der Praxis des BGH nämlich noch einmal erhöhte Voraussetzungen an die Vorsatzfeststellung stellen [mit Beispielsfällen: Trück, NStZ 2005, 233 (237)].
Der Autor Dominik Schnieder ist Lehrassistent bei Prof. Dr. Schlehofer an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. Er promoviert zurzeit bei Prof. Dr. Michael zu einem verfassungsschutzrechtlichen Thema.

21.05.2012/0 Kommentare/von Dr. Christoph Werkmeister
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