LG Berlin geht im Berliner Raserfall erneut von Mord aus
Die 32. Kammer des LG Berlin hat mit Urt. v. 26.03.2018 – 532 Ks 9/18, nachdem das erste Mordurteil der 35. Kammer des LG Berlin gegen zwei Raser, die bei einem illegalen Autorennen mit ihren Sportwagen einen unbeteiligten Verkehrsteilnehmer getötet hatten, vor dem BGH durchgefallen war, abermals Mord angenommen und dabei sogar noch weitere Mordmerkmale bejaht. Ein durchaus mutiges Urteil! Angesichts der Einführung der neuen Norm im StGB zu illegalen Kraftfahrzeugrennen (§ 315d StGB) sowie der großen gesellschaftlichen wie medialen Debatte um den Berliner Raserfall, lohnt sich ein Blick auf das instanzgerichtliche Urteil. Denn auch wenn dieses sicherlich nicht den Schlusspunkt des Falles bilden wird: Für das Examen interessant ist es allemal.
I. Karlsruhe vs. Berlin Moabit: Bedingter Vorsatz doch gegeben!
Im Hinblick auf die entscheidende Frage, ob Eventualvorsatz feststellbar ist, hat das Gericht keine Zweifel. Die Angeklagten hätten das Risiko, dass andere Verkehrsteilnehmer zu Tode kommen könnten, erkannt und dennoch entsprechend gehandelt; es sei ihnen schlicht gleichgültig gewesen. Hierbei habe dieses Bewusstsein schon in dem Zeitpunkt vorgelegen, in dem die Möglichkeit des Bremsens und damit die volle Kontrolle über das Fahrzeug noch vorhanden war. Der BGH hatte angenommen, der Tötungsvorsatz habe erst nach der Tat im Sinne eines unbeachtlichen dolus subsequens vorgelegen, was daran lag, dass die 35. Kammer des LG Berlin auf die unmittelbar letzte Sekunde vor dem Aufprall abgestellt hatte, in der jedoch – und das war der Fehler – keine Kontrollmöglichkeit mehr bestand. Mit der neuen Begründung versucht die 32. Kammer des LG Berlin nun, dem Koinzidenzprinzip des § 16 Abs. 1 S. 1 StGB gerecht zu werden.
Die überdies von den Verteidigern vorgebrachte Argumentation, die Angeklagten hätten darauf vertraut, dass schon nichts passieren werde, weshalb von bewusster Fahrlässigkeit auszugehen sei, wertete das Gericht ob der großen Gefährlichkeit des Tuns als Schutzbehauptung (PM Nr. 18/2019): „Bei diesen Geschwindigkeiten, der technischen Ausstattung der Fahrzeuge und den schlechten Sichtverhältnissen am Tatort hätten die Angeklagten keinerlei Anhaltspunkte dafür gehabt, auf einen positiven Ausgang hoffen zu können.“ Und das leuchtet unmittelbar ein: Denn wer mit durchgedrücktem Gaspedal mit über 170 km/h über den Berliner Ku’damm rast, kann schlicht nicht annehmen, dass alles gut gehen werde – fahrerisches Können hin oder her.
Gegen die Annahme von dolus eventualis spricht nach dem LG Berlin ferner auch nicht, dass die Angeklagten sich selbst (bzw. die Beifahrerin des einen Angeklagten) dem Risiko des Todes ausgesetzt hätten; dieses hätten sie vielmehr „um des Rennens Willen“ hingenommen. Eine Selbstgefährdung spreche nicht gegen den an sich gegebenen Vorsatz. Sowohl die Selbstgefährdung als auch der Umstand, dass Menschen zu Tode kommen könnten, sei „Teil des Kicks“ gewesen, den sich die Angeklagten durch das Rennen hätten verschaffen wollen. Zumal nach den Überzeugungen der 32. Kammer des LG Berlin nicht einmal sicher sei, ob die Angeklagten ihren eigenen Tod überhaupt in Kauf genommen hätten, schließlich seien ihre Sportwagen durch Airbags und eine starke Front gegen einen Aufprall geschützt gewesen; zudem verringere die Geschwindigkeit des eigenen Fahrzeugs die Lebensgefahr für einen selbst tendenziell eher als sie zu erhöhen.
Insgesamt geht das LG Berlin damit – soweit aus der Pressemitteilung ersichtlich – nicht auf alle Bedenken des BGH ein. Man denke nur an die mittäterschaftliche Begehung, die der BGH kritisch beäugt hatte – gleichwohl wird man auf die Urteilsgründe warten müssen. Für die gemeinschaftliche Deliktsbegehung reiche es nicht aus, wenn die Täter sich zu einer gemeinsamen Handlung entschließen, in deren Folge ein Mensch zu Tode kommt, es müsse vielmehr um die Tötung eines Menschen durch arbeitsteiliges Zusammenwirken gehen, so damals die Karlsruher Richter. Kein Wunder also, dass eine abermalige Revision überaus wahrscheinlich ist und durch die Verteidiger bereits angekündigt wurde.
II. Verwirklichung gleich dreier Mordmerkmale
Neben dem Eventualvorsatz müsste aber noch mindestens ein Mordmerkmal feststellbar sein. Das LG Berlin sieht nunmehr gleich drei derer als verwirklicht an.
1. Das Auto als gemeingefährliches Mittel
Die Gemeingefährlichkeit des Mittels ist dabei wohl das noch am wenigsten problematische Merkmal: Das Rennen sei, so die 32. Kammer, durch die fehlende Kontrolle über die Sportwagen gekennzeichnet gewesen, die bei dem Zusammenprall mit dem Opfer „wie Geschosse“ gewirkt und überdies Passanten und andere Verkehrsteilnehmer gefährdet hätten. Ob eine große Anzahl an Menschen zu schaden komme oder nicht, hätten die Angeklagten daher allein dem Zufall überlassen. Insbesondere Trümmerteile hätten zu einer deutlich höheren Opferzahl führen können. Summa summarum ist die Bejahung dieses Mordmerkmals damit verständlich, und doch hinkt jedenfalls der in der mündlichen Begründung gezogene Vergleich des Vorsitzenden Richters, der davon spricht, am Tatort habe es ausgesehen „wie nach einem Terroranschlag“.
2. Heimtücke
Überdies nimmt das LG Berlin nun auch Heimtücke an: Auf Grund der Tatsache, dass das Opfer bei Grün die Ampel überquerte habe, habe es sich keines Angriffs auf sein Leben versehen und sei darüber hinaus in der Verteidigungs- bzw. hier der Ausweichmöglichkeit stark eingeschränkt, mit anderen arg- und deshalb auch wehrlos gewesen. Ob die Angeklagten dies indes auch bewusst ausgenutzt haben, bleibt bei näherer Betrachtung im Hinblick auf die Tötung mehr als fraglich.
3. Niedrige Beweggründe
Zudem führe der Umstand, dass die Angeklagten das Autorennen um jeden Preis gewinnen wollten, zur Annahme eines niedrigen Beweggrundes, da sie so den Gewinn des Rennens um jeden Preis über das Leben der anderen Menschen auf dem stark frequentierten Ku’damm gestellt hätten, was sittlicher auf tiefster Stufe stehe. Gleichwohl bleibt offen, ob es dieses Mordmerkmals bei restriktiver Auslegung hier überhaupt bedurft hatte, da es letztlich eine Art Auffangtatbestand bildet und für derartige Fälle eher weniger passend scheint. Einerseits ist zuzugeben, dass ein besonders krasses Missverhältnis von Anlass und Tat bestand und eine größere Selbstsuch eines Täters, der überdies autoverliebt ist, kaum denkbar scheint. Andererseits reiht sich der Gewinn eines Autorennens nicht gerade in die typischen Beweggründe niedriger Art wie etwa Eifersucht oder Hass ein.
III. Vertiefungshinweise
Das Urteil bietet durchaus Angriffsfläche und Argumentationsspielraum. Wer sich näher mit der Thematik auseinandersetzen will, sei auf unsere ausführlichen Beiträge hingewiesen:
Berliner Raserfall: LG Berlin fällt Mordurteil, BGH hebt es auf
hamburger Raserfall: BGH bestätigt Mordurteil, der Fall liegt aber in den Details anders
Basics zur Abgrenzung von Eventualvorsatz und bewusster Fahrlässigkeit
Dass den Rasern Tötung gleichgültig war, scheint nur interpretierende Unterstellung, ohne objektive Grundlage, aus welcher sicher darauf zu schließen sein kann.
Sonst soll allgemein bei Tötung stets eine Hemmschwelle dagegen mit anzunehmen sein. Hier anscheined ausnahmsweise nicht, ohne Brgündung dafür.
Objektiv festellbares Verhalten, welches auf Kollisonsvermeidung zielte, wie bremsen, Ausweichversuche usw. sollten dagegen sprechen.
Soweit nur eine Hemmschwelle bestanden haben sollte und daher auch Vorstellungen gegen eine Tötung vorgelegen haben können sollten, soll Eventualvorsatz trotzdem eher nur möglich bleiben können, sofern eine Abwendbarkeit objektiv nicht mehr kontrollierbar war und eine Kontrollierbarkeit insoweit objektiv auszuschließen ist o.ä.
Hier lag ein unverantwortlich hohes Risiko vor. Dass jede Kontrollmöglichkeit von vornherin sicher objektiv ausgeschlossen war, sollte allerdings weniger sicher annehmbar scheinen können. Danach sollte Eventualvorsatz eher zweifelhaft und nicht genügend sicher feststellbar scheinen usw.
Bedenken können zudem gegen ein vorsätzlich eingesetztes, gemeingefährliches Mittel bestehen. Das Auto müsste hier vorsätzlich unmittelbar selbst ohne Drittmitwirkung eine größere Personenzahl gefährdet haben. Das sollte nur der Fall sein können, sofern eine größere Personenzahl gleichzeitg ohne Drittmitwirkung so den Kreuzungsweg gequert hätten, dass Gefährdung dieser insgesamt nicht mehr vermeidbar war. Dies schien eher unwahrscheinlich und so kaum genügend sicher vorsätzlich voraussehbar.
Problematisch kann ebenso Heimtücke scheinen.
Die Raser hatten eher nie genügende Tötungskontrolle.
Insofern schien ein Opfer vielleicht arglos, aber nie wehrlos. Das Opfer konnte sich etwa jederzeit frei zufällig o.ä. anders, wie langsamer oder schneller bewegen und dadurch ein Tötung vermeiden.
In Betracht kommen unter umständen eher nur niedrige Beweggründe. Hier kann nur beachtsam sein, dass die mangelnde Bedeutung, welche dem Leben beigemessen schien, im sinne von gleichgültigkeit, nach Ansicht des Gerichtes eventuell bereits beim Tötungsvorsatz mitberücksichtigt sein soll. Nach einem Doppelverwertungsverbot sollen strafbegrünende oder strafschwerdende Umstände nicht mehrfach derart wirkende Berücksichtigung finden. Danach kann hier dieser Umstand von nur ungenügend beigemessener Bedeutung des Lebens eventuell nicht nochmals starfschwerend oder strafbegründend im Rahmen von niedrigen Beweggründen Berücksichtigung finden.
Insofern kann ebenso die Annahme von niedrigen Beweggründen zweifelhaft bleiben.