BGH: Das deutsche Strafrecht und der islamische Terrorismus – Juristische Fragestellungen
Wie geschaffen für eine mündliche Prüfung ist ein aktueller Fall des BGH (StB 9/17), der sich sowohl mit Fragen der Mordmerkmale als auch mit diversen sehr bedeutenden prozessualen Besonderheiten befasst und am 19.4.2017 entschieden wurde. Ferner ist der Fall auch an eine sehr interessante und medial vielbeachtete Situation im Zusammenhang mit der Flüchtlingsdiskussion angeknüpft und sollte daher dringend näher behandelt werden.
I. Sachverhalt
Folgender Sachverhalt lag vor:
Der Beschuldigte war Mitglied der Taliban in Afghanistan, die sich zum Ziel gesetzt hat „von radikal-religiösen Anschauungen geleitet – zum Ziel gesetzt, alle ausländischen Streitkräfte vom Gebiet Afghanistans zu vertreiben und auf dem gesamten Staatsgebiet einen islamischen Staat unter Geltung der Scharia als einziger Rechtsgrundlage zu errichten“. Zur Umsetzung ihrer Ziele begehen die „Taliban“ – räumlich auf das Staatsgebiet von Afghanistan beschränkt – Selbstmordattentate, Minen- und Bombenanschläge, Entführungen, Geiselnahmen und gezielte Tötungen. Angriffsziele sind sowohl die ausländischen „Invasoren“, insbesondere die früheren ISAF-Kräfte, als auch die politischen und religiösen Führer des afghanischen Staates, die afghanische Armee sowie die Polizei. Bei den Aktionen der „Taliban“, die über moderne Waffen und Kommunikationsmittel verfügen, kommt es häufig auch zu zahlreichen Opfern unter der Zivilbevölkerung, die von den „Taliban“ zu Propagandazwecken genutzt werden.
In den Jahren 2013 und 2014 nahm der Beschuldigte in mindestens zwei Fällen jeweils im Auftrag des örtlichen „Taliban“-Kommandanten mit weiteren Angehörigen seiner „Taliban“-Gruppe sowie Kämpfern anderer Gruppen an Kampfeinsätzen gegen afghanische Regierungstruppen und amerikanische Soldaten teil. Dabei gab er jeweils – versteckt hinter Bäumen – auf den nahenden Konvoi zahlreiche Schüsse mit dem Schnellfeuergewehr des Typs AK 47 (Kalaschnikow) in die Richtung der Angegriffenen ab. Bei einem Angriff wurde mindestens ein amerikanischer Soldat getötet; zwei weitere wurden verletzt.
Der Beschuldigte flüchtete 2015 nach Deutschland und stellte hier einen Asylantrag. Grund hierfür ist, dass er auch als Informant für den afghanischen Geheimdienst tätig war.
Aufgrund der vorgeworfenen Taten wurde am 9. Februar 2017 ein Haftbefehl gegen den Beschuldigten erlassen, gegen den er am 22. März 2017 Haftbeschwerde eingelegt hat.
II. Juristische Implikationen
Zahlreiche Fragen drängen sich hier förmlich auf:
Zum einen natürlich die Frage nach der materiellen Rechtslage, zum anderen aber – noch relevanter – die Frage, ob überhaupt deutsche Gerichte für eine Verfolgung dieser vermeintlichen in Afghanistan begangenen Straftaten zuständig sind.
1. Materielle Einordnung der vermeintlichen Taten
Fraglich ist zum einen, ob hier ein Mord, bzw. vielfacher versuchter Mord (in Mittäterschaft) oder allein ein Totschlag/versuchter Totschlag vorliegen. Entscheidend dafür – die Mittäterschaft ist hier unproblematisch und sollte demnach auch nur knapp dargestellt werden, ist das Vorliegen von Mordmerkmalen, insbesondere das heimtückische Handeln. Dies liegt dann vor, wenn die Wehr- und Arglosigkeit des Opfers ausgenutzt wird, wobei die Wehrlosigkeit aus der Arglosigkeit resultieren muss. Fraglich ist aber, ob bei einer Tätigkeit als Soldat im Krisengebiet Afghanistan überhaupt eine Arglosigkeit vorliegen kann, oder ob dies nicht generell ausscheiden muss, da mit jederzeitigen Angriffen auf Soldaten zu rechnen ist. Dies lehnt der BGH hier aber gemeinsam mit der Literatur ab:
Dem steht nicht entgegen, dass die Überfallenen als in Afghanistan stationierte Soldaten mit einem Angriff rechnen konnten oder mussten; denn ein berufs- bzw. rollenbedingtes „generelles Misstrauen“ führt als solches noch nicht zum dauerhaften Ausschluss der Arglosigkeit (vgl. Fischer, StGB, 64. Aufl., § 211 Rn. 37a mwN).
Darüber hinaus besteht auch der dringende Tatverdacht einer Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 S. 1 und 2 StGB).
2. Ggf. Rechtfertigung?
Zu denken ist auch an eine mögliche Rechtfertigung gemäß § 34 StGB, da bei einer Nichtteilnahme der Beschuldigte sonst seine Tätigkeit als Spion offenbart hätte oder diese jedenfalls nicht mehr effektiv hätte ausführen können. Auch dies lehnt der BGH aber zurecht ab:
Der Umstand, dass der Beschuldigte, der sich aus eigenem Antrieb und eigener Überzeugung den „Taliban“ anschloss, an Waffen ausgebildet wurde und später an Kampfhandlungen teilnahm, mit hoher Wahrscheinlichkeit auch als Informant für den afghanischen Geheimdienst tätig war, führt nicht zur Straflosigkeit seiner Handlungen. Nach deutschem Recht vermögen Tätigkeiten für einen Geheimdienst in diesem Zusammenhang begangene Straftaten, sofern keine spezielle Norm eingreift (vgl. etwa § 9a BVerfSchG), allenfalls in einem – hier offensichtlich nicht vorliegenden – Ausnahmefall und sehr engen Grenzen nach § 34 StGB zu rechtfertigen (vgl. Hofmann/Ritzert, NStZ 2014, 177, 180 mwN). Das Vorliegen eines Entschuldigungsgrundes ist ebenfalls nicht ersichtlich.
3. Prozessuale Fragestellungen
Bleibt dann noch die spannende Frage, was denn das deutsche Strafrecht und die deutsche Justiz überhaupt damit zu tun hat – schließlich wurden die Taten in Afghanistan begangen. Hier ist es zwingend notwendig, sich einmal das „IPR“ des Strafrechts – also die §§ 3 – 7 StGB einmal näher anzusehen, die die Anwendung deutschen Strafrechts vorsehen.
Allerdings wird teilweise auch vertreten, dass dies jedenfalls bezüglich der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland (§ 129b StGB) und der damit im Zusammenhang stehenden Taten bereits ausschließlich aus § 129 Abs. 1 StGB folgt und damit die allgemeinen Vorschriften keiner Anwendung bedürfen. Die herrschende Meinung lehnt dies aber zurecht ab. Dennoch bleibt es bei der Anwendung des deutschen Rechts gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB:
Deutsches Strafrecht ist anwendbar. Der Beschuldigte hielt sich vor seiner Festnahme in Deutschland auf. Da zurzeit ein Auslieferungsverkehr mit Afghanistan nicht stattfindet und nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen entsprechend den Ausführungen in dem angefochtenen Haftbefehl, auf die der Senat Bezug nimmt, davon auszugehen ist, dass die Handlungen des Beschuldigten auch nach afghanischem Recht strafbar sind, ohne dass ein Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund eingreift, ergibt sich die Anwendbarkeit des deutschen Rechts für alle in Betracht kommenden Delikte bereits aus § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB.
Entscheidend ist eine genaue Subsumtion des § 7 Abs. 2 S. 2 StGB: Die Tat wurde im Ausland (Afghanistan) begangen, sie ist auch dort mit Strafe bedroht, der Beschuldigte ist Ausländer wurde aber im Inland betroffen (festgenommen), eine Auslieferung wäre zwar im Grundsatz möglich, ist hier aber nicht ausführbar, da zurzeit ein Auslieferungsverfahren mit Afghanistan nicht stattfindet.
Weil also eine Auslieferung nach Afghanistan nicht erfolgt, gilt das deutsche Strafrecht.
4. Sonstiges zur Haftbeschwerde
Die Haftbeschwerde wird voraussichtlich erfolglos sein, da sowohl ein dringender Tatverdacht, als auch Haftgründe (§ 112 StPO) vorliegen. Zudem lässt sich ein solcher auch auf § 112 Abs. 3 StPO stützen.
Vertieft werden kann dies, mit einem älteren Beitrag von uns zu Haftprüfung und Haftbeschwerde
III. Fazit
Der Fall ist in jeglicher Hinsicht besonders: Zum einen lenkt er einen juristischen Blick auf die Fragestellung der Abschiebung und den globalen Terrorismus, zum anderen verknüpft er dies aber an vielen Stellen mit allgemeinen strafrechtlichen Fragestellungen. Er eignet sich also perfekt für mündliche Prüfungen, bei der natürlich gerade auch bei der Subsumtion unter § 129a und b StGB viel Eigenarbeit gefordert werden kann. Eine Wiederholung ist hier zwingend zu empfehlen.
Nur mal so aus dem Bauch: Wenn Soldaten der NATO/UN in Afghanistan Terroristen oder andere verletzen oder töten, scheint teils angenommen, dass dies grundsätzlich eher als Kriegseinsatz in Deutschland nicht justizaibel sein soll, umgkehrt eher unproblematisch schon. Mag auf den ersten Blick eventuell ein wenig „schief“ klingen.