Rechtsprechungsüberblick in Strafsachen
Im Folgenden eine Übersicht über im Juli veröffentlichte, interessante Entscheidungen des BGH in Strafsachen (materielles Recht).
I. BGH, Beschluss vom 21. April 2015 – 4 StR 92/15
Die – ggf. mit Gewalt (§ 249 StGB) – erfolgte Wegnahme von in drei Tüten verpacktem Marihuana, nachdem dem Täter dieses kurz zuvor von dem jetzigen Oper selbst gewaltsam abgenommen wurden, ist nicht nach den Vorschriften über die Besitzkehr nach § 859 Abs. 2 BGB gerechtfertigt. Für die Anwendung dieser Vorschrift ist kein Raum, wenn der konkrete Besitz als solcher bei Strafe verboten ist und eine im Anschluss an eine Besitzentziehung geübte Besitzkehr deshalb erneut zu einer strafrechtswidrigen Besitzlage führen würde. Aus dem gleichen Grund kann für den Verlust des Besitzes von Betäubungsmitteln auch kein Schadensersatz durch Wiedereinräumung des Besitzes im Wege einer Naturalrestitution (§ 249 Abs. 1 BGB) verlangt werden.
II. BGH, Urteil vom 2. Juni 2015 – 5 StR 80/15
Werden dem Opfer nach Verbringen in ein entlegenes Waldstück, was ursprünglich nur dessen „Bestrafung“ dienen sollte, aufgrund eines plötzlichen Einfalls der Täter Wertgegenstände abgenommen und dieses dazu gezwungen seine Eltern zu beleidigen, kann hierin sowohl ein erpresserischer Menschenraub (§ 239a StGB) als auch – im Hinblick auf die erzwungene Beleidigung – eine Geiselnahme (§ 239b StGB) liegen. Die für beide Tatbestände erforderliche „Bemächtigungslage“ liegt dabei bereits aufgrund des über einen erheblichen Zeitraum andauernden Geschehens und die fehlende Fluchtmöglichkeit des Tatopfers, welches sich mehreren Tätern gegenübersieht, vor.
III. BGH Urteil vom 3. Juni 2015 – 2 StR 473/14
Das Notwehrrecht nach § 32 StGB ist im Fall eines eskalierenden Nachbarstreits, bei dem der Angeklagte seinen Kontrahenten mit Beleidigungen und Aufforderung dazu veranlasst, ihn mit einem Axtstiel anzugreifen, um ihn sodann mit einem Spaten auf den Kopf zu schlagen, aufgrund der vorangegangenen Tatprovokation eingeschränkt, sodass die Ausübung aggressiver Trutzwehr unzulässig ist. Diese rechtliche Einschränkung führt allerdings nicht dazu, dass sich der Angeklagte bei Vorliegen asthenischer Affekte nicht auf den Entschuldigungsgrund des Notwehrexzesses berufen kann (§ 33 StGB).
IV. BGH, Beschluss vom 3. Juni 2015 – 4 StR 193/15
Dem Bestehen einer Bande im Sinne des § 244 Abs. 1 Nr. 2, § 244a Abs. 1 StGB steht es nicht entgegen, dass sich die potentiellen Mitglieder zum Zeitpunkt ihrer Vereinbarung darauf beschränken wollen Diebstahlstaten für einen überschaubaren Zeitraum zu begehen, solange keine Beschränkung auf wenige, individuell bereits bestimmbare Taten besteht. Die Beschränkung auf eine bestimmte Begehungsart gegen den selben Gewahrsamsinhaber oder auf nach Zeit, Ort und zu erbeutende Gegenstände schließt eine bandenmäßige Begehung demgegenüber nicht aus.
V. BGH, Beschluss vom 9. Juni 2015 – 3 StR 113/15
Die Subsidiaritätsklausel des Unterschlagungstatbestandes gemäß § 246 Abs. 1 StGB bezieht sich auf alle mit einer Unterschlagung tateinheitlich begangenen Delikte. Daher kann die gleichzeitige Entwendung von Zigaretten und Wechselgeld aus einer Tankstelle, wobei einer der Mittäter als Angestellter der Tankstelle an letzterem bereits zuvor Alleingewahrsam hatte, nicht zu einer Verurteilung wegen der tateinheitlichen Verwirklichung von Diebstahl (an den Zigaretten) und Unterschlagung (im Hinblick auf das Wechselgeld) führen.
VI. BGH, Beschluss vom 30. Juni 2015 – 5 StR 71/15
Zum Begriff der „Asche“ im Sinne des § 168 Abs. 1 StGB (Störung der Totenruhe) gehören sämtliche nach der Einäscherung verbleibenden Rückstände, d.h. auch die vormals mit einem Körper fest verbundenen, nicht verbrennbaren Bestandteile. Daher unterfällt auch die Entnahme von Zahngold aus den Ascheresten eines Verstorbenen, um dieses gewinnbringend weiterzuveräußern, der Tatbestandsalternative der „Wegnahme“ des vorgenannten Tatbestandes (zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).
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Zum Schluss noch drei prozessuale Entscheidung, wobei sich die erste zum Schutzzweck des § 257c Abs. 5 StPO (Belehrungspflicht über Voraussetzung und Folgen des Entfallens der gerichtlichen Bindung an eine Verständigungsvereinbarung) äußert, die zweite die Verwertbarkeit einer nach § 81g StPO fehlerhaft erhobenen Speichelprobe betrifft und die dritte sich mit dem Recht des Angeklagten auf das „letzte Wort“ (§ 258 Abs. 2 StPO) befasst:
VII. BGH, Beschluss vom 6. Mai 2015 – 4 StR 40/15
Auf der Verletzung der Belehrungspflicht nach § 257c Abs. 5 StPO kann ein Urteil nicht beruhen, wenn der Angeklagte kein Geständnis abgegeben hat. Denn der Zweck des § 257c Abs. 5 StPO ist es, den Angeklagte vor Eingehen einer Verständigung, deren Bestandteil ein Geständnis ist, vollumfänglich über die Tragweite seiner Mitwirkung an der Verständigung zu informieren. Nur so ist gewährleistet, dass er autonom darüber entscheiden kann, ob er von seiner Freiheit die Aussage zu verweigern (weiterhin) Gebrauch macht oder sich auf eine Verständigung einlässt. Wird von dem Angeklagten jedoch kein Geständnis abgegeben, wird der vorgenannte Schutzzweck auch nicht berührt.
VIII. BGH, Beschluss vom 20. Mai 2015 – 4 StR 555/14
Die verfahrensfehlerhafte Verwendung einer vom Angeklagten abgegebenen Speichelprobe zur Ermittlung seines DNA-Identifizierungsmusters gemäß § 81g StPO führt nicht in jedem Fall zur Unverwertbarkeit des in der DNA-Analyse-Datei gespeicherten Identifizierungsmusters. Vielmehr ist je nach den Umständen des Einzelfalls unter Abwägung aller maßgeblichen Gesichtspunkte und der widerstreitenden Interessen zu entscheiden (sog. Abwägungslehre). Bedeutsam sind dabei insbesondere die Art und der Schutzzweck des etwaigen Beweiserhebungsverbots sowie das Gewicht des in Rede stehenden Verfahrensverstoßes, das seinerseits wesentlich von der Bedeutung der im Einzelfall betroffenen Rechtsgüter bestimmt wird (im vorliegenden Fall hat der BGH die Verwertbarkeit bejaht).
IX. BGH, Beschluss vom 9. Juni 2015 – 1 StR 198/15
Es stellt keinen Verstoß gegen das Recht des Angeklagten auf das letzte Wort nach § 258 Abs. 2 StPO dar, wenn das Gericht danach noch eine Negativmitteilung nach § 243 Abs. 4 StPO über das Fehlen von Verständigungsgesprächen abgibt. Denn dem Angeklagten ist nach § 258 Abs. 2 StPO nur dann erneut das letzte Wort zu gewähren, wenn nach der Schließung der Beweisaufnahme nochmals in die Verhandlung eingetreten worden ist. Der Wiedereintritt liegt nicht nur in jeder Prozesshandlung, die ihrer Natur nach in den Bereich der Beweisaufnahme fällt, sondern bereits in jeder Handlung, in der sich der Wille des Gerichts zum Weiterverhandeln in der Sache zeigt. Werden nach dem letzten Wort ausschließlich Vorgänge erörtert, die auf die gerichtliche Entscheidung keinen Einfluss haben können, besteht demgegenüber keine Verpflichtung nach § 258 Abs. 2 StPO.
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