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Schlagwortarchiv für: Klausur

Redaktion

Gedächtnisprotokoll Öffentliches Recht I April 2025 NRW

Examensreport, Nordrhein-Westfalen, Öffentliches Recht, Polizei- und Ordnungsrecht, Uncategorized, Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht

Wir freuen uns sehr, ein Gedächtnisprotokoll zur ersten Klausur im Öffentlichen Recht des April-Durchgangs 2025 in Nordrhein-Westfalen veröffentlichen zu können und danken Tim Muñoz Andres erneut ganz herzlich für die Zusendung. Selbstverständlich kann juraexamen.info keine Gewähr dafür geben, dass die in Gedächtnisprotokollen wiedergegebene Aufgabenstellung auch der tatsächlichen entspricht. Dennoch sollen Euch die Protokolle als Anhaltspunkt dienen, was euch im Examen erwartet.

Sachverhalt

In der nordrhein-westfälischen Stadt K befindet sich ein insbesondere bei jungen Menschen beliebtes Ausgehviertel mit mehreren Bars und Diskotheken. Seit mehreren Jahren kommt es in dem Viertel in den Abendstunden jedoch vermehrt zu Gewalttaten durch teils alkoholisierte Besucher des Viertels. Im Wege dieser zunehmend auch unter dem Einsatz von Messern, in einzelnen Fällen sogar Waffen, begangenen Straftaten, in deren Folge mehrere Personen teils erhebliche Verletzungen erlitten haben. Im Juni 2024 kommt es schließlich zu einer weiteren  unter dem Einsatz eines Messers begangenen Straftat bei der das Opfer aufgrund der erlittenen Verletzungen zu Tode kommt.

Die Stadt K möchte der als unerträglich empfundenen eskalierenden Gewalt in dem Viertel in Reaktion auf das jüngste Ereignis schließlich begegnen. Eine vonseiten der Stadt in Auftrag gegebene Untersuchung zeigt dabei, dass auch in Zukunft in dem Ausgehviertel mit Straftaten unter dem Einsatz von Waffen und Messern zu rechnen ist. Der Rat der Stadt K erlässt daraufhin gestützt auf § 42 V WaffG eine Verordnung, die eine Waffen- und Messerverbotszone (WM-VO) für das betreffende Viertel vorsieht. Zuvor hatte die Landesregierung ihre Ermächtigung aus § 42 V WaffG durch eine ordnungsgemäß erlassene und rechtswirksame Verordnung (Delegationsverordnung) auf den Landesinnenminister übertragen. Dieser hatte seinerseits die Gemeinden in einer ebenfalls ordnungsgemäß erlassene und rechtswirksame Verordnung (Subdelegationsverordnung) zum Erlass einer entsprechenden Verordnung ermächtigt. Die Verordnung wird dabei vom Rat in einer Sitzung in Juli 2024 ordnungsgemäß mehrheitlich beschlossen und tritt im August 2024 in Kraft.

Als die in den Geltungsbereich der WM-VO wohnhafte A von dem Erlass der WM-VO erfährt ist sie empört. Die A ist selbstständig als Köchin tätig. Im Wege ihrer Tätigkeit bietet sie Kochkurse an, bei denen sie ihren Kunden insbesondere Schneidetechniken für exotische Früchte und Fleisch vorführt. Da sie über keine eigenen Räumlichkeiten verfügt bietet sie die Kurse ausschließlich in den Wohnungen ihrer Kunden an. Zu den Kochkursen bringt die A neben den von ihr genutzten auch hochwertige Küchenmesser für ihre Kunden mit. Diese können die so genutzten Messer im Anschluss an die Kochkurse jeweils auch bei A erwerben. A sieht nach dem Inkrafttreten der WM-VO keine Möglichkeit mehr, mitsamt ihrer Küchenmesser aus ihrer in dem räumlichen Geltungsbereich der WM-VO belegenen Wohnung zu ihren Kunden zu gelangen, von denen viele ebenfalls in dem in der WM-VO benannten Stadtviertel wohnen. Daraufhin kontaktiert A die Kunden, die in dem Monat nach dem Inkrafttreten der WM-VO Kochkurse bei ihr gebucht haben und weist diese daraufhin, dass sie sich angesichts der WM-VO außer Stande sehe, ihre Messer zu den Kochkursen mitzubringen. Daraufhin stornieren sämtliche Kunden die bereits gebuchten Kochkurse. Der A entgeht hierdurch ein aus den Kochkursen erzielter Gewinn von 5000€. Die durch den Inhalt der WM-VO ohnehin schon verärgerte A sieht sich durch diese in ihrer beruflichen Freiheit verletzt. Sie will die aus ihrer Sicht rechtswidrige Verordnung nicht einfach hinnehmen und wendet sich zunächst an die Stadt. Nachdem diese ihr Vorbringen abgewiesen hat wendet sie sich an einen Rechtsanwalt, der in ihrem Namen im September 2024 einen formgerechten Antrag auf Rechtsschutz vor dem OVG Münster erhebt.

Das Verfahren vor dem OVG Münster findet Anfang 2025 statt. Der Rechtsanwalt der A führt darin aus, dass die Stadt K für den Erlass einer solchen Verordnung  schon nicht zuständig gewesen sei. Die Verordnung sei aber auch schon rechtswidrig, weil sie entgegen § 42 V 3 WaffG auch keine Ausnahmen von dem Verbot des Mitführens von Waffen- und Messern vorsehe. Die WM-VO verletze die A zudem in ihren Grundrechten.

Der von der Stadt K ebenfalls ordnungsgemäß bestellte Rechtsanwalt erwidert daraufhin, dass die Stadt K durch den Landesinnenminister zum Erlass einer entsprechenden Verordnung ermächtigt gewesen sei. Die Verordnung sei auch rechtmäßig gewesen. Der Antrag der A sei aber schon unzulässig, da der Rat der Stadt die WM-VO bereits vor der mündlichen Verhandlung im Januar 2025 wieder aufgehoben habe. Auch werde die Stadt K keine weitere Verordnung gleichen Inhalts erlassen. Der Kontrollaufwand habe sich für die Stadt als nicht darstellbar erwiesen. Der Antrag sei daher abzuweisen.

Auszug aus der WM-VO:

§ 1 [Geltungsbereich]

Das Mitführen von Waffen nach § 1 Abs. 2 WaffG und Messern ist auf den in den nachfolgend bestimmten Straßen, Wegen oder Plätzen des benannten Stadtteils von 18:00 bis 04:00 Uhr verboten.

§ 2 [Anwendungsbereich]
Der Anwendungsbereich wird hinreichend bestimmt beschrieben. Ausnahmen sind nicht vorgesehen.

§ 3 [Begriffe]
Die für die WM-VO relevanten Begriffe werden definiert. Ausnahmen sind nicht vorgesehen.

§ 4 []

§ 5 [Ordnungswidrigkeiten]

Das Mitführen von Waffen nach § 1 Abs. 2 WaffG und Messern in dem Geltungsbereich dieser Verordnung stellt eine Ordnungswidrigkeit nach § 52 Abs. Nr. 23 WaffG dar, die entsprechend nach § 52 Abs. 2 WaffG mit einer Geldbuße bis zu 10.000€  geahndet werden kann.

Frage 1:

Ist der Antrag der A vor dem OVG Münster zulässig?

Frage 2:

Unterstellt der Antrag ist zulässig, wäre er auch begründet?

Frage 3:

Verletzte die Verordnung die A während der Zeit ihrer Geltung in ihrem Grundrecht aus Art. 12 GG?

Bearbeitervermerk:
  1. § 42 WaffG ist verfassungsgemäß.
  2. Auf die § 42 V Nr. 2-4 WaffG ist bei der Bearbeitung nicht zu einzugehen.
  3. Auf die Durchführungsverordnung zum WaffG ist nicht einzugehen.
  4. Die Rechtmäßigkeit der Delegations- und Subdelegationsverordnung ist bei der Bearbeitung nicht zu prüfen.
09.05.2025/0 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2025-05-09 08:30:382025-05-12 15:15:39Gedächtnisprotokoll Öffentliches Recht I April 2025 NRW
Redaktion

Gedächtnisprotokoll Zivilrecht I April 2025 NRW

Deliktsrecht, Examensreport, Familienrecht, Nordrhein-Westfalen, Uncategorized, Zivilrecht

Wir freuen uns sehr, ein Gedächtnisprotokoll zur ersten Klausur im Zivilrecht des April-Durchgangs 2025 in Nordrhein-Westfalen veröffentlichen zu können und danken Tim Muñoz Andres erneut ganz herzlich für die Zusendung. Selbstverständlich kann juraexamen.info keine Gewähr dafür geben, dass die in Gedächtnisprotokollen wiedergegebene Aufgabenstellung auch der tatsächlichen entspricht. Dennoch sollen Euch die Protokolle als Anhaltspunkt dienen, was euch im Examen erwartet.

Sachverhalt

M und F leben als Ehegatten seit dem wirksamen Schluss der Ehe im Jahr 2015 im gesetzlichen Güterstand. Einen Ehevertrag haben beide nicht abgeschlossen. M und F sind beide erwerbstätig und erledigen die im Haushalt anfallenden Aufgaben gemeinsam. Eines Tages beschließt M eine neue Küchenmaschine für den gemeinsamen Haushalt anzuschaffen. M hatte bereits zuvor mehrfach Gegenstände für den ehelichen Haushalt gekauft ohne dass F dem widersprochen hat. Er begibt sich zu dem Elektronik-Geschäft des V und wählt dort eine entsprechende Küchenmaschine aus. Diese bringt er sodann zur Kasse des V um den Kaufpreis in Höhe von 1000€ zu bezahlen. Eine Zahlung scheitert jedoch an einem Defekt des EC-Kartenlesegeräts des V. Da V den M jedoch als langjährigen Kunden kennt erklärt er sich jedoch bereit, dem V die Küchenmaschine bereits sofort zu überlassen und M auch unmittelbar Eigentum an der Maschine einzuräumen. Von der Ehe zwischen M und F hat V dabei keine Kenntnis. Den Kaufpreis solle M an einem anderen Tag entrichten. M verlässt daraufhin mit der Küchenmaschine das Geschäft des V.

M begibt sich sodann mit der Küchenmaschine auf den Heimweg. Nach einer Weile erreicht er einen Fußgängerüberweg nach § 26 StVO (Ordnungsnummer 35a Habersack) und will diesen passieren. Dabei hält er die in einem Karton verpackte Küchenmaschine weiterhin in seinen Armen, so dass sie seine Sicht auf die Straße nicht einschränkt. Als er sich gerade auf dem Fußgängerüberweg befindet um die Straße zu passieren steuert der A, der auch Halter des von ihm gesteuerten PKW ist  mit der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf den Fußgängerüberweg zu. Auch erkennt er den gerade den Fußgängerüberweg passierenden M. Er glaubt, dass dieser angesichts seines herannahenden Autos schon über den Fußgängerüberweg rennen werde. Er ist dabei der Meinung, dass er ja nicht für jeden Fußgänger anhalten könne. Dass es zu einem Zusammenstoß mit dem A kommen könnte nimmt er dabei billigend in Kauf. Auch erkennt A, dass M ein Paket mit für ihn unbekannten Inhalt in den Armen hält. Obwohl M versucht noch rechtzeitig über den Fußgänger zu gelangen schafft er es nicht rechtzeitig, den Fußgängerüberweg zu passieren. Es kommt zu einer Kollision mit dem PKW des A. Infolge der Kollision  erleidet der M einen Bruch seines rechten Beins. Die in dem Paket befindliche Küchenmaschine muss M infolge der Kollision ebenfalls fallenlassen. Diese wird durch den Aufprall auf der Straße auch vollständig zerstört. M begibt sich nach der Kollision in das nächstgelegene Krankenhaus. Dort schließt er einen auf Heilbehandlung gerichteten Behandlungsvertrag (3000€) ab, vereinbart jedoch auf eine Behandlung durch den zuständigen Chefarzt. Hierdurch entstehen gegenüber dem normalen Behandlungsvertrag Mehrkosten in Höhe von 1500€. Die Behandlung durch den Chefarzt gibt dem M dabei „ein sichereres Gefühl“. Eine solche Chefarztbehandlung hat M bei vorherigen Krankenhausaufenthalten nicht in Anspruch genommen. Auch hätte eine Behandlung durch einen normalen Arzt ebenfalls zur vollständigen Heilung des nicht komplizierten Bruchs geführt.

M und F verlangen nun von A Zahlung von 1000€ für die zerstörte Küchenmaschine. F erklärt, sie habe jedenfalls Miteigentum an der Küchenmaschine gehabt. E erwidert, dass die Küchenmaschine allein im Eigentum des M gestanden habe. F habe der Küchenmaschine nichts zu tun.

Weiterhin verlangt M von A Zahlung von insgesamt 4500€ wegen der angefallenen Heilbehandlungskosten aus dem Vertrag mit dem Krankenhaus. E hält dem entgegen, dass ein Anspruch allenfalls in Höhe der im Falle der Behandlung durch einen normalen Arzt angefallenen Behandlungskosten in Höhe von 3000€ bestehe. Dass M darüber hinaus auf eine Chefarztbehandlung bestanden habe liege doch nur darin begründet, dass er (M) für den Schaden aufkommen müsse.

Frage (1):

Hat M einen Anspruch gegen A auf Zahlung von 1000€ wegen der Küchenmaschine, auf Zahlung von 3000€ für die Behandlungskosten sowie auf Zahlung der Mehrkosten der Chefarztbehandlung von weiteren 1500€ gegen den A?

Frage (2):

Hat F einen Anspruch gegen A auf Zahlung von 1000€ wegen der Zerstörung der Küchenmaschine?

Bearbeitungsvermerk:

Ansprüche aus § 823 sind im Rahmen der Bearbeitung von Frage (2) nicht zu prüfen.

Fallfortsetzung:

M und F haben im Februar 2015 geheiratet. Zu diesem Zeitpunkt hatte M sich ein Vermögen von 200.000€ erspart. Verbindlichkeiten hatte er nicht. Die F hatte zum Zeitpunkt der Eheschließung ein Vermögen von 100.000€, offene Verbindlichkeiten hatte auch sie nicht. In der Anfangs glücklichen Ehe kam es in den vergangenen Jahren jedoch immer häufiger zu Streitigkeiten.

Zuletzt entbrannten auch noch heftige Streitigkeiten über die Zerstörung der Küchenmaschine auf dem Heimweg des M von dem Geschäft des F. M reichte daraufhin Anfang 2025 ordnungsgemäß den Antrag auf Scheidung bei dem zuständigen Gericht ein. Einen Zugewinnausgleich beantragte der M in dem Scheidungsantrag dabei nicht. Die Ehe wird nach der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags im Februar 2025 später durch das Entscheidung des zuständigen Gerichts wirksam geschieden.

Zur Zeit der Rechtshängigkeit hatte M sein Vermögen von 200.000€ im Jahr 2015 auf nunmehr 50.000€ mehren können. Die F hatte zu diesem Zeitpunkt die anfänglichen 100.000€ weiter in ihrem Vermögen. In ihrem Vermögen befand sich darüber hinaus eine wertvolle Oldtimer-Sammlung, die ihre Eltern ihr im Jahr 2017 anlässlich eines Geburtstages geschenkt hatten. Der Wert der Oldtimer-Sammlung betrug zum damaligen Zeitpunkt 300.000€. Zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags im April 2025 hatte die Oldtimer-Sammlung nunmehr einen Wert von 400.000€. In der Zwischenzeit hatte F ihr Vermögen von zunächst 100.000€ um weitere 50.000€ gemehrt. Diese hatte sie im Juni 2024 jedoch für eine kostspielige Luxus-Weltreise aufgewendet, von der F bereits ihr gesamtes Leben geträumt hatte.

M verlangt nun von F Zahlung des ihr zustehenden Zugewinnausgleichs. F beruft sich darauf, dass die für die Weltreise aufgewandten 50.000€ nicht mehr in ihrem Vermögen vorhanden seien. M will dies nicht gelten lassen, schließlich habe F das Geld für die teure Reise einfach so „verschwendet“. Dies dürfe jedenfalls nicht zu seinen Lasten gehen.

Frage 3:

(In welcher Höhe) Hat M einen Anspruch auf Zugewinnausgleich gegen die F?

Bearbeitungsvermerk für alle Aufgaben:
  1. Es ist davon auszugehen, dass andere als die im Sachverhallt erwähnten Wertminderungen bzw. Wertsteigerungen nicht eingetreten sind.
  2. Es ist davon auszugehen, dass das nicht in dem Scheidungsantrag aufgeführte Verlangen nach einem Zugewinnausgleich nicht ausgeschlossen ist.
  3. Die §§ 223-229 und § 303 StGB sind nicht zu prüfen
08.05.2025/0 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2025-05-08 08:00:002025-05-12 15:15:52Gedächtnisprotokoll Zivilrecht I April 2025 NRW
Redaktion

Gedächtnisprotokoll Strafrecht April 2025 NRW

Examensreport, Nordrhein-Westfalen, Strafrecht, Uncategorized

Wir freuen uns sehr, ein Gedächtnisprotokoll zur Klausur im Strafrecht des April-Durchgangs 2025 in Nordrhein-Westfalen veröffentlichen zu können und danken Tim Muñoz Andres ganz herzlich für die Zusendung. Selbstverständlich kann juraexamen.info keine Gewähr dafür geben, dass die in Gedächtnisprotokollen wiedergegebene Aufgabenstellung auch der tatsächlichen entspricht. Dennoch sollen Euch die Protokolle als Anhaltspunkt dienen, was euch im Examen erwartet.

Sachverhalt:

V verbringt seinen Freitagabend wie üblich in seiner Stammkneipe. Als er gerade an seinem ersten Bier nippt hört er den polternden Gast G, der sich selbst ohne Grund in Rage redet. Der ihm unbekannte G erhebt seine Stimme bis er den V schließlich mit seinem Blick fixiert und sich auf diesen zubewegt. Dabei hebt er drohend seine zur Faust geballte Hand. Geistesgegenwärtig erblickt V den neben ihm stehenden Barhocker. Er erkennt, dass er den heranstürmenden und nur noch wenige Meter von ihm entfernten G durch einen Wurf mit dem Hocker abwehren kann. Hinter dem G steht allerdings der Wirt W der wie V zutreffend erkennt durch den Barhocker ebenfalls getroffen werden könnte. V erkennt zugleich, dass er den Angriff des G auch durch einen Schlag mit dem Barhocker ebenso sicher abwehren könnte. Auch würde ein solcher Einsatz den heranstürmenden G nicht stärker verletzen. Gleichwohl könnte hierdurch eine Verletzung des W vermieden werden. V entschließt sich indes, den Barhocker in Richtung der Schulter des G zu werfen. Dass W, dessen Statur jener des G entspricht ebenfalls auf Schulterhöhe getroffen werden nimmt er billigend in Kauf. Der so von V geworfene Barhocker trifft denn auch den G, wie von V erwartet, an dessen Schulter. G erleidet hierdurch eine schmerzhafte Prellung seiner Schulter und verlässt mit schmerzverzehrtem Gesicht die Kneipe. Der Barhocker wird durch den Wurf nicht beschädigt. W hingegen konnte sich durch einen beherzten Sprung hinter die Theke in Sicherheit bringen. Er verbleibt auch nach dem Wurf hinter dieser und ist für den V so unerreichbar.

Während V sich in der Kneipe befand verblieb seine Ehefrau M mit dem gemeinsamen sieben Monate alten Kleinkind K in der ehelichen Wohnung. Die M litt seit längerem an manischen Depressionen. Infolge ihrer Depression fehlte ihr auch die zu einer wirksamen Einwilligung erforderliche Einsichtsfähigkeit. Kurze Zeit nachdem V zur Kneipe aufgebrochen war mischte M eine jeweils tödliche Dosis Gift in ihr Abendessen sowie jenes des K. Beide verstarben unmittelbar nach dessen Einnahme noch vor der Rückkehr des V. M hatte ihre Absicht, aus dem Leben zu scheiden in den vorangegangenen Wochen mehrfach gegenüber V bekundet und auch geäußert K ebenfalls töten zu wollen — sie wolle ihn nach ihrem Tod keinesfalls zurücklassen. Auch hatte sie zum Ausdruck gebracht, ihr Sterbeverlangen vollziehen zu wollen, wenn der V außer Haus sei. Noch bevor er in die Kneipe aufbrach erkannte V, dass dieser Freitagabend M die Gelegenheit zur Tötung ihrer selbst sowie des K ermöglichen würde. Letzteres kam im aber gerade recht, da er sich so seiner ihm lästigen Unterhaltspflichten für das Kind entziehen könne. Mit dem „ersparten“ Geld könne er sich eine von ihm seit langem ersonnene Weltreise finanzieren. Den von ihm erwarteten Tod der M bedauerte er zwar, fand sich damit jedoch ab und brach schließlich in die Kneipe auf. M und K hätten gerettet werden können, wenn V seinerseits die zuständigen Stellen unterrichtet hätte.

M befand sich dabei seit mehreren Monaten wegen ihrer Depression in Behandlung durch ihre Ärztin A. Auch gegenüber A hatte M zuvor mehrfach ihren Wunsch, aus dem Leben zu scheiden bekundet. Dabei hatte sie zugleich erklärt, auch K mit in den Tod nehmen zu wollen. Am Morgen des Tags ihres Todes befand sich M ein weiteres Mal in der Behandlung der A. M erklärte A gegenüber ihren fortbestehenden Sterbewunsch und dass sie diesen in der Abwesenheit ihres Ehemannes V vollziehen wolle. Auch erzählte sie A von dem geplanten Kneipenbesuch des V am selben Tag. A erkannte zwar, dass sich der M an diesem Abend eine Gelegenheit zum Vollzug der Selbsttötung bieten würde. Sie schob das in ihr aufkommende schlechte Gefühl allerdings beiseite. Da M auch in den vorangegangenen Wochen entsprechende Ankündigungen nicht vollzogen hatte vertraute sie vielmehr ernsthaft darauf, dass es auch an diesem Freitagabend nicht hierzu kommen würde. M und K hätten erneut gerettet werden können, wenn A ihrerseits die zuständigen Stellen informiert hätte.

Aufgabe 1:

Wie haben sich V und A nach dem StGB strafbar gemacht? In Bezug auf A ist lediglich eine Strafbarkeit wegen Taten zulasten der M zu prüfen.

Aufgabe 2:

A soll nach dem Tod von M und K vor Gericht im Strafverfahren des V als Zeugin aussagen. In der Zwischenzeit ist auch gegen sie ein Ermittlungsverfahren eröffnet worden. Ist die A in diesem Verfahren als Zeugin zur Aussage verpflichtet? Erläutern Sie ob und wenn ja in welchem Umfang sich die A auf Zeugnisverweigerungsrechte berufen kann.

Bearbeitungshinweise:
  1. Unterstellen Sie, dass die M trotz ihrer manischen Depression zu jedem Zeitpunkt schuldfähig war.
  2. Auf § 203 StGB wird hingewiesen.
  3. Die §§ 223-226 StGB sind zulasten von M und K ist nicht zu prüfen.
07.05.2025/0 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2025-05-07 14:53:412025-05-07 14:53:41Gedächtnisprotokoll Strafrecht April 2025 NRW
Monika Krizic

Die spezielle Nichtleistungskondiktion gemäß § 816 BGB

Aktuelles, Bereicherungsrecht, Examensvorbereitung, Lerntipps, Schon gelesen?, Startseite, Uncategorized, Zivilrecht

Der Beitrag behandelt den examensrelevanten § 816 BGB. Welche Konstellationen regelt er? Was ist wichtig beim Umgang mit dem Nichtberechtigten im Bereicherungsrecht? Diesen Fragen geht unsere Gastautorin Monika Krizic in diesem Beitrag nach. Die Autorin studiert Rechtswissenschaften an der Universität Bonn.

Die speziellen Nichtleistungskondiktionen von § 816 BGB finden Eingang in zahlreiche Thematiken zivilrechtlicher Sachverhalte. Angesichts ihrer Spezialität zur allgemeinen Nichtleistungskondiktion, lohnt es sich ihre besonderen Voraussetzungen und Problematiken näher zu betrachten.

I. § 816 Abs. 1 S. 1 BGB

1. Grundlegendes

Die Norm regelt den Fall, dass ein Nichtberechtigter über eine Sache verfügt. Es handelt sich folglich um einen gesetzlich geregelten Sonderfall der Eingriffskondiktion und damit um eine lex specialis (Peifer, Schuldrecht, 4. Aufl. 2014, § 10 Rn. 10). § 816 Abs. 1 S. 1 BGB ist die Kehrseite der Tatsache, dass das BGB einen Gutglaubenserwerb zulässt. Während sich der Erwerber aus Gründen des Verkehrsschutzes auf die §§ 932 ff. BGB berufen können soll, ist die vorliegende Norm damit beschäftigt dem Berechtigten einen Ausgleich für seinen erlittenen Rechtsverlust zu ermöglichen (Röthel, JURA 2015, 574). Vor dem Hintergrund, dass § 816 Abs. 1 S. 1 BGB auf jegliche Verschuldens- und Kenntniselemente verzichtet, gewährleistet er einen hohen Güterschutz (Peifer, Schuldrecht, 4. Aufl. 2014, § 10 Rn. 11).

2. Tatbestandsvoraussetzungen
a) Verfügung

Zunächst bedarf es einer Verfügung. Dies ist jedes dingliche Rechtsgeschäft, durch das ein Recht aufgehoben, übertragen, belastet oder inhaltlich verändert wird (Staake, Gesetzliche Schuldverhältnisse, 2. Aufl. 2022, § 4 Rn. 42). Dazu gehören u.a. die Übertragung des Eigentums nach den §§ 873 ff., 929 ff. BGB, aber auch die Belastung des Eigentums mit beschränkt dinglichen Rechten wie etwa dem Pfandrecht (Staake, Gesetzliche Schuldverhältnisse, 2. Aufl. 2022, § 4 Rn. 42).

aa) Schuldrechtliche Rechtsgeschäfte

Vor dem Hintergrund der teleologsichen Zweckrichtung, dass der Eigentümer sein Eigentum nach den §§ 932 ff. an einen redlichen Dritten verlieren kann und folglich schutzbedürftig ist, sind schuldrechtliche Rechtsgeschäfte grundsätzlich nicht von § 816 Abs. 1 S. 1 BGB erfasst. Gleichwohl wurde dies in den Fällen der sog. unberechtigten Untervermietung öfter problematisiert. Dabei wird immer wieder die analoge Anwendung der Norm als Lösungsversuch angebracht.

Eine Analogie setzt eine planwidrige Regelungslücke bei Vergleichbarkeit der Interessenlage voraus. Beide Voraussetzungen erscheinen hier fraglich. So stehen dem Eigentümer gegen den unberechtigten Untervermieter eine Reihe an vertraglichen Ansprüche sowie die zusätzlichen Regelungen der §§ 987 ff. BGB zur Seite, was eine planwidrige Regelungslücke zweifelhaft erscheinen lässt. Daneben fehlt es aber auch an einer vergleichbaren Interessenlage: Der Eigentümer erleidet durch die Untervermietung keinen Rechtsverlust, sodass es auch nicht des von der Norm intendierten Substanzwertausgleichs bedarf (Wandt/Schwarz, Gesetzliche Schuldverhältnisse, 10. Aufl. 2020, § 11 Rn. 37). Zudem handelt es sich bei dem Untermietzins auch nicht um eine Vermögensposition, die der Untervermieter anstelle des Eigentümers erzielt. Während eine Verfügung dazu führt, dass jegliche Verwertungs- und Gebrauchsmöglichkeit aufgehoben wird, ist der Eigentümer im Hinblick auf die vorliegende Konstellation begrifflich schon nicht in der Lage den Untermietzins zu erzielen. Mit Abschluss des Mietvertrags entscheidet allein der Vermieter über den Gebrauch der Sache (Petersen, JURA 2015, 459, 462). Daher scheidet auch eine analoge Anwendung aus.

bb) Faktisches Handeln – „Einbaufälle“

Die Analogiefähigkeit des § 816 Abs. 1 S. 1 BGB wird ebenfalls in den sog. Einbaufällen diskutiert. In diesen baut der Nichtberechtigte Baumaterial derart in das Grundstück eines Dritten ein, dass dieser kraft Gesetzes gem. §§ 946 ff. BGB Eigentum erwirbt. Der Nichtberechtigte erhält dabei einen Erlös.

Der Einbau als solcher stellt einen Realakt dar, sodass es grundsätzlich an einem dinglichen Rechtsgeschäft fehlt. Dies hätte letztendlich aber zur Folge, dass die Geltendmachung des Anspruchs für den Berechtigten von der Zufälligkeit eines originären oder derivativen Eigentumserwerbs abhinge. Da sowohl im Fall einer Verfügung als auch im Fall eines Einbaus dieselben Rechtsfolgen eintreten, kann eine vergleichbare Interessenlage und damit auch eine Analogie bejaht werden (Wieling/Finkenauer, Bereicherungsrecht, 5. Aufl. 2020, § 4 Rn. 36).

b) Anspruchsgegner: Nichtberechtigter

Der Verfügende müsste auch Nichtberechtigter sein. Dies ist zum einen, wer nicht Inhaber des fraglichen Rechts und zum anderen, wer aus anderweitigen Gründen nicht verfügungsbefugt ist. Letzteres ist u.a. der Fall, wenn die Verfügungsbefugnis an einen Insolvenzverwalter gem. § 80 Abs. 1 InsO verloren wurde (Röthel, JURA 2015, 574, 575).

c) Wirksamkeit der Verfügung gegenüber dem Berechtigten

Des Weiteren müsste die Verfügung wirksam sein, d.h. der ursprünglich Berechtigte müsste sein Recht verloren haben. Die Wirksamkeit einer Verfügung kann sich insbesondere aus der Möglichkeit eines Gutglaubenserwerbs sowie einer Genehmigung ergeben. Hinsichtlich des gutgläubigen Erwerbs ist neben den §§ 932 ff. BGB vor allen Dingen auch an §§ 892 f., § 2366 (Erbschein) und § 366 HGB zu denken (Lorenz, JuS 2018, 654).

Scheitert eine Verfügung – etwa aufgrund von Bösgläubigkeit oder Abhandenkommens – kann der Berechtigte die Verfügung immer noch genehmigen. Gem. § 182 Abs. 1 BGB kann die Genehmigung sowohl gegenüber dem Nichtberechtigten als auch gegenüber dem Erwerber erklärt werden. Nach § 184 Abs. 1 BGB wirkt die Genehmigung auf den Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts zurück, soweit nicht ein anderes bestimmt ist. Angesichts dessen könnte angenommen werden, dass die Norm zu einer Art Zirkelschluss führt: Wirkt die Genehmigung zurück, so agierte der Anspruchsgegner doch von vornherein als Berechtigter? Allerdings bezieht sich die Rückwirkungsfunktion der Norm nur auf die auf die Rechtsfolge, nicht aber auf die Berechtigung selbst (Wandt/Schwarz, Gesetzliche Schuldverhältnisse, 10. Aufl. 2020, § 11 Rn. 37).

d) Rechtsfolge: Herausgabe des durch die Verfügung Erlangten

Auf der Rechtsfolgenseite sind stets zwei Kernprobleme im Kopf zu behalten.

aa) Begriff des Erlangten

Zunächst sollte problematisiert werden, was überhaupt unter dem Begriff des „Erlangten“ zu verstehen ist. Zum einen wird hier auf die Befreiung von der Verbindlichkeit abgestellt und zum anderen auf den Veräußerungserlös selbst. Gegen das Abstellen auf Letzteres könnte angeführt werden, dass der Nichtberechtigte den Veräußerungserlös nicht durch die Verfügung, sondern vielmehr durch den Vertrag mit dem Dritten erhält (Lorenz, JuS 2018, 654, 655). Für diese Sichtweise spricht somit die Dogmatik des Bereicherungsrechts.

Allerdings könnte es eine systematische Betrachtung nahe legen, den Veräußerungserlös als tauglichen Herausgabegegenstand zu qualifizieren. § 816 Abs. 1 S. 2 BGB gewährt im Falle einer unentgeltlichen Verfügung eine Durchgrifffskondiktion gegen den Erwerber. Diese Differenzierung zwischen entgeltlicher und unentgeltlicher Verfügung impliziert, dass der Veräußerungserlös das maßgeblich Erlangte ist. Zumal diese Ansicht auch den Vorteil hat, dass keine unbilligen Ergebnisse entstehen, wenn das schuldrechtliche Kausalgeschäft unwirksam ist und somit auch keine wirksame „Befreiung von der Verbindlichkeit“ erfolgen konnte (Finkenauer/Wieling, Bereicherungsrecht, 5. Aufl. 2020, § 4 Rn. 44).

bb) Herausgabe eines Gewinns?

Weiterhin stellt sich auch die Frage, ob die Norm nur eine Wert- oder darüber hinaus eine Gewinnhaftung mit sich zieht. Für eine bloße Werthaftung könnte sprechen, dass die Norm ein Unterfall der allgemeinen Nichtleistungskondiktion nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB ist und damit der allgemeine Rechtsgedanke nach § 818 Abs. 2 BGB greift (Wandt/Schwarz, Gesetzliche Schuldverhältnisse, 10. Aufl. 2020, § 11 Rn. 37).

Gleichwohl streiten mehrere Aspekte für eine Gewinnhaftung. Zunächst einmal differenziert das Gesetz in § 818 Abs. 2 BGB selbst zwischen dem Erlangten und dem Wert. Der Wortlaut von § 816 Abs. 1 S. 1 wiederum gibt keine Begrenzung auf den objektiven Sachwert her (Finkenauer/Wieling, Bereicherungsrecht, 5. Aufl. 2020, § 4 Rn. 41). Zudem könnte eine Gewinnhaftung auch mit dem Telos der Norm korrespondieren. Als Unterfall der Eingriffskondiktion soll § 816 Abs. 1 S. 1 BGB vor Eingriffen in den Zuweisungsgehalt einer eigenen Rechtsposition schützen: Die Gewinnerzielungsmöglichkeit steht aber gerade nur dem Eigentümer zu (Röthel, JURA 2015, 574, 577).

cc) Entreicherung in Form eines gezahlten Kaufpreises

Gem. § 818 Abs. 2 BGB ist die Verpflichtung zur Herausgabe oder zum Ersatz des Wertes ausgeschlossen, soweit der Empfänger nicht mehr bereichert ist. Eine Entreicherung liegt vor, wenn der Vermögensvorteil nicht mehr vorhanden ist (Peifer, Schuldrecht, 4. Aufl. 2014, § 8 Rn. 15). In diesem Kontext ist auch umstritten, ob ein vom Nichtberechtigten entrichteter Kaufpreis als Entreicherung gewertet werden kann.

Beispiel: E ist Eigentümer einer Sache. Dieb D stiehlt diese Sache und veräußert sie für 100 Euro an A, welcher die Sache wiederum für 150 Euro an B weiterveräußert.

Ein Eigentumserwerb nach den §§ 932 ff. BGB scheidet aufgrund Abhandenkommens aus. Genehmigt E die Verfügung von A an B, so hätte er gegen A einen Anspruch auf Herausgabe der 150 Euro aus § 816 Abs. 1 S. 1 BGB. Möglicherweise könnte sich A aber aufgrund des entrichteten Kaufpreises i.H.v. 100 Euro auf Entreicherung berufen.

Gegen eine solche Abzugsfähigkeit lassen sich indes teleologische Erwägungen anführen. § 816 Abs. 1 S. 1 BGB ist seiner Natur ein Rechtsverfolgungsanspruch, der anstelle des verlorenen Vindikationsanspruchs aus § 985 tritt. Diesem Herausgabeanspruch könnte der Anspruchsgegner aber auch nicht einen etwaig gezahlten Kaufpreis entgegenhalten (Lorenz, JuS 2018, 654, 655).

II. § 816 Abs. 1 S. 2 BGB

1. Grundlegendes

§ 816 Abs. 1 S. 2 BGB stellt ebenfalls eine spezielle Nichtleistungskondiktion dar. Hinzu kommt aber auch noch, dass die Norm eine Durchgriffshaftung gegen den unentgeltlichen Erwerber ermöglicht (Wandt/Schwarz, Gesetzliche Schuldverhältnisse, 10. Aufl. 2020, § 11 Rn. 39). Entgegen dem Grundsatz des Vorrangs der Leistungskondiktion -wonach grundsätzlich das Leistungsverhältnis zwischen Nichtberechtigtem und Erwerber vorrangig wäre – wird dem Berechtigten hier ein direkter Anspruch gegen den Dritten (Erwerber) gewährt. Teleologisch wird diese Ausnahme vom grundlegenden bereicherungsrechtlichen Prinzip des Vorrangs der Leistungskondiktion damit begründet, dass der Erwerber aufgrund mangelnden Vermögensopfers nicht schutzwürdig ist (Lorenz, JuS 2018, 654, 655).

2. Tatbestandsvoraussetzungen
a) Verfügung eines Nichtberechtigten
b) Wirksam gegenüber dem Berechtigten
c) Unentgeltlich

Zentraler Dreh- und Angelpunkt der Norm ist das Tatbestandsmerkmal der Unentgeltlichkeit. Die Frage nach der (Un-)Entgeltlichkeit beurteilt sich danach, ob der Erwerber eine Gegenleistung erbracht hat, wobei dies Vermögensopfer jeglicher Art sein können (Wandt/Schwarz, Gesetzliche Schuldverhältnisse, 10. Aufl. 2020, § 11 Rn. 33).

aa) Gemischte Schenkung

Problematischer gestaltet sich die Situation in Fällen der sog. gemischten Schenkung. Hier wird zum Teil darauf abgestellt, wo der Schwerpunkt liegt. Andere wiederum wollen § 816 Abs. 1 S. 2 BGB so weit anwenden, wie die Unentgeltlichkeit reicht. Ist auf der Rechtsfolgenseite die Teilbarkeit des Gegenstandes nicht möglich, wird nach § 818 Abs. 2 BGB dafür plädiert, den objektiven Schenkungswert zu ersetzen (Lorenz, JuS 2018, 654, 656).

bb) Rechtsgrundlose Verfügung

Darüber hinaus umstritten ist die Frage, ob die Norm auf entgeltliche, aber rechtsgrundlose Verfügungen analog anzuwenden ist. Die Tatsache, dass der Erwerber in beiden Fällen nicht zur Gegenleistung verpflichtet ist, lässt eine vergleichbare Interessenlage nahelegen (Röthel, JURA 2015, 574, 577). Allerdings berücksichtigt eine solche Sichtweise nicht hinreichend, dass der Dritte schutzwürdig ist, gerade weil er eine Gegenleistung an den Nichtberechtigten erbracht hat und bei einer Direktkondiktion ein Einwendungsabschnitt drohen würde. In einer solchen Situation ist vielmehr nach den grundlegenden bereicherungsrechtlichen Regeln „über’s Eck“ zu kondizieren, womit auch eine planwidrige Regelungslücke zu verneinen ist (Lorenz, JuS 2018, 654, 656).

III. § 816 Abs. 2 BGB

1. Grundlegendes

Im Gegensatz zu § 816 Abs. 1 BGB, erfasst Abs. 2 nicht Verfügungen von einem Nichtberechtigten, sondern schuldrechtliche Leistungen an einen Nichtberechtigten. Geschützt werden die Interessen des Forderungsinhabers, wenn ein Dritter an seiner Stelle die geschuldete Leistung entgegennimmt. Folglich liegt in der Entgegennahme einer fremden Leistung der maßgebliche Eingriff (Jacoby/von Hinden, Studienkommentar BGB, 18. Aufl. 2022, § 816 Rn. 6).

2. Tatbestandsvoraussetzungen
a) Bewirken einer Leistung an einen Nichtberechtigten

Nichtberechtigter i.d.S. ist jede Person, die nicht Forderungsinhaber ist oder nicht zur nicht zur Annahme der Leistung berechtigt ist (Peifer, Schuldrecht, 4. Aufl. 2014, § 10 Rn. 20).

b) Leistung gegenüber dem Berechtigten wirksam

Das Erlöschen einer Leistung durch Erfüllung nach § 362 Abs. 1 BGB setzt u.a. voraus, dass an den richtigen Gläubiger geleistet wird. Daher erlischt eine Forderung gerade nicht bereits dann, wenn sie von einem Dritten eingezogen wird (Finkenauer/Wieling, Bereicherungsrecht, 5. Aufl. 2020, § 4 Rn. 47).

aa) Gesetzliche Bestimmungen

Etwas anderes kann sich aber aus gesetzlichen Ausnahmevorschriften ergeben. Zu den wichtigsten Anwendungsfällen gehören u.a. die Zahlung an den Zedenten (Altgläubiger) gem. § 407 Abs. 1 BGB, die Zahlung an den Inhaber eines Namenspapiers mit Inhaberklausel nach § 808 BGB oder die Zahlung an den Inhaber eines Erbscheins gem. §§ 2367 Var. 1, 2366 BGB.

bb) Möglichkeit der Genehmigung

Ergibt sich keine Wirksamkeit aufgrund gesetzlicher Bestimmungen, so stellt sich die Frage, ob auch im Rahmen von § 816 Abs. 2 BGB eine nachträgliche Genehmigung in Betracht kommt. Der Wortlaut des § 362 Abs. 2 BGB stellt aber uneingeschränkt auf § 185 BGB und damit auf eine Genehmigungsmöglichkeit ab (Staake, Gesetzliche Schuldverhältnisse, 2. Aufl. 2022, § 4 Rn. 62).

c) Rechtsfolge:  Herausgabe des Geleisteten
26.08.2024/0 Kommentare/von Monika Krizic
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Monika Krizic https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Monika Krizic2024-08-26 08:00:002025-05-12 10:48:49Die spezielle Nichtleistungskondiktion gemäß § 816 BGB
Dr. Lena Bleckmann

Die Urkundenfälschung, § 267 StGB (Teil 1: Der Urkundsbegriff)

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Die Urkundenfälschung ist ein Delikt, dass für Klausursteller ganz besondere Potentiale bietet und Studierende zuweilen zur Verzweiflung bringen kann. Das liegt weniger an der besonderen Komplexität der Prüfung als daran, dass sie geschickt in Sachverhalten versteckt werden und von den Prüflingen allzu leicht übersehen werden kann. Der mehrteilige Grundlagenbeitrag nennt daher zahlreiche Beispiele, die zwar nicht auswendig gelernt werden müssen, aber Klausur- und Examenskandidaten und -kandidatinnen ein Gespür dafür geben sollen, wann an § 267 BGB zu denken ist.

In diesem ersten Teil soll es zunächst um den Begriff der Urkunde gehen. Hieran hängt viel, sodass sich ein wenig Auswendiglernen am Ende doch nicht vermeiden lässt. Die Definition muss sitzen.

I. Definition und Funktionen

Eine Urkunde ist jede verkörperte, aus sich heraus verständliche, menschliche Gedankenerklärung, die ihren Aussteller erkennen lässt und geeignet und bestimmt ist, im Rechtsverkehr Beweis zu erbringen.  

Zentral sind dabei drei Funktionen, die jede Urkunde erfüllen muss und die sich aus dieser Definition herauslesen lassen: Die Perpetuierungsfunktion (in der Definition anlegt im Merkmal der verkörperten, menschlichen Gedankenerklärung), die Beweisfunktion (in der Definition angelegt im Merkmal der Eignung und Bestimmung zum Beweis im Rechtsverkehr) sowie die Garantiefunktion (in der Definition angelegt im Merkmal der Erkennbarkeit des Ausstellers). Der Reihe nach:

1. Perpetuierungsfunktion

Die Urkunde muss eine menschliche Gedankenerklärung mit einer körperlichen Sache verbinden und dadurch gewissermaßen fassbar machen. Zunächst ist daher eine menschliche Gedankenerklärung notwendig. Aus ihr müssen sich menschliche Gedanken erkennen lassen. Durch dieses Merkmal ist die Urkunde insbesondere von einem bloßen Augenscheinsobjekt abzugrenzen (Schönke/Schröder/Heine/Schuster, § 267 StGB Rn. 4).

  • Keine Gedankenerklärungen sind Spuren oder Fingerabdrücke
  • Technische Aufzeichnungen sind nur dann Gedankenerklärungen, wenn sie einem Menschen oder einer juristischen Person zugerechnet werden können, etwa weil die Aufzeichnung von der Person veranlasst wurde und/oder sie sich die enthaltene Erklärung zu Eigen gemacht hat. Die Aufzeichnungen eines Fahrtenschreibers selbst sind beispielsweise noch keine Gedankenerklärung (OLG Karlsruhe, NStZ 2002, 653), der Parkschein aus dem Parkscheinautomaten ist demgegenüber als Erklärung des Betreibers darüber zu werten, dass jemand eine Parkgebühr entrichtet hat (OLG Köln, NJW 2002, 527 f.)
  • Strittig ist die Einordnung von Wertzeichen wie Rabattmarken und Bons (die Urkundseigenschaft ablehnend BayObLG, NJW 1980, 196; a.A. Schönke/Schröder/Heine/Schuster, § 267 StGB Rn. 4 m.w.N.)

Die Gedankenerklärung muss nicht so abgefasst sein, dass sie aus sich heraus für jedermann verständlich ist; der Inhalt der Erklärung muss sich nicht vollständig und offensichtlich aus der Urkunde selbst ergeben. Sonst könnten letztlich nur ausführliche Schriftstücke Urkunden sein. Es genügt vielmehr, dass irgendjemand neben dem Aussteller den Erklärungsgehalt nachvollziehen kann. Unter dieser Voraussetzung (der Verständlichkeit der Urkunde jedenfalls für Eingeweihte) genügt etwa auch die Verwendung von Symbolen (siehe auch Schönke/Schröder/Heine/Schuster, § 267 StGB Rn. 7).

Neben einer Erklärung erfordert die Urkunde eine gewisse Fixierung, eine Dauerhaftigkeit des „Datenträgers“, also der körperlichen Sache. Es ist aber nicht erforderlich, dass die Erklärung unveränderlich bzw. unaufhebbar mit der körperlichen Sache verbunden ist.

  • Beispiele, in denen die hinreichende Verkörperung fehlt: Nachrichten in Schnee oder Sand, nur lose mit einer Klarsichtfolie verbundene Kaufsache (OLG Köln, NJW 1979, 729), Tonträger, elektronische Daten
  • Grenzfälle, in denen eine hinreichende Verkörperung noch vorliegt: Mit Bleistift geschrieben Erklärungen, auf eine Kaufsache aufgeklebtes Preisschild
2. Beweisfunktion

Die verkörperte Erklärung muss objektiv beweisgeeignet für eine rechtserhebliche Tatsache sein. Rechtserheblichkeit liegt vor, wenn die Erklärung „allein oder in Verbindung mit anderen Beweismitteln für die Entstehung, Erhaltung, Veränderung oder das Erlöschen eines Rechts oder Rechtsverhältnisses öffentlicher oder privater Natur von Bedeutung ist“ (so Schönke/Schröder/Heine/Schuster, § 267 StGB Rn. 12).

  • Problematisch sind hier insbesondere formnichtige Erklärungen. Wenn durch einen Verstoß gegen die vorgeschriebene Form offensichtlich ist, dass die Erklärung im Rechtsverkehr keine Bedeutung entfaltet, fehlt ihr insoweit die Beweiseignung. Das heißt nicht, dass die Erklärung nicht beweisgeeignet für etwas anderes als den Abschluss des gewollten Rechtsgeschäfts sein kann. Auch kann ein Interesse an dem Beweis des Abschlusses des nichtigen Vertrags bestehen. Ein heilbarer Formverstoß steht der Beweiseignung grds. nicht entgegen (Schönke/Schröder/Heine/Schuster, § 267 StGB Rn. 9).

Daneben muss die Erklärung subjektiv beweisbestimmt sein. Der Aussteller oder Dritte muss die Erklärung also als Beweismittel im Rechtsverkehr einsetzen wollen. Ob es hierzu allein auf den inneren Willen oder aber auf den objektiven Empfängerhorizont ankommt, ist umstritten, in der Klausur aber selten relevant.

  • Hier wird zwischen Absichts- und Zufallsurkunden differenziert. Absichtsurkunden werden mit dem Ziel der Nutzung als Beweismittel hergestellt, so z.B. eine Quittung für einen Zahlungsvorgang. Zufallsurkunden erhalten ihre Beweisbestimmung erst später durch den Aussteller oder Dritte. Der BGH nennt als Beispiel einen Brief des Ehegatten an eine dritte Person als Beweismittel im Scheidungsprozess, BGH, NJW 1959, 2174.

Problematisch ist die Abgrenzung von Beweis- und Kenn- bzw. Unterscheidungszeichen. Letztere sollen allein der Individualisierung oder Unterscheidbarkeit dienen und die Urkundseigenschaft nicht erfüllen. In der Literatur wird die Differenzierung vielfach für ihre Undurchsichtigkeit kritisiert (BeckOK StGB/Weidemann, § 267 Rn. 8; Schönke/Schröder/Heine/Schuster, § 267 StGB Rn. 20). Für Studierende ist das natürlich misslich, letztlich ist in der Prüfungssituation hierdurch aber häufig auch viel vertretbar. Einige Beispiele zur Sensibilisierung:

  • Kennzeichen ohne Beweisfunktion sollen sein: Garderobenmarken, Autogramme, abgelöste und gestempelte Briefmarken
  • Beweiszeichen sollen sein: Kreidezeichen auf Strandkorb als Markierung für bezahlte Miete, Siegelabdruck eines Weinprüfers, Künstlerzeichen auf Gemälde
  • Siehe diese und weitere Beispiele auch bei BeckOK StGB/Weidemann, § 267 Rn. 8 f.
3. Garantiefunktion

Um die sog. Garantiefunktion zu erfüllen, muss die Erklärung die Person ihres Ausstellers erkennen lassen. Wer Aussteller ist, war früher einmal umstritten. Die Körperlichkeitstheorie, nach der Aussteller derjenige ist, der den Herstellungsakt selbst vollzogen hat, wird heute allerdings soweit ersichtlich nicht mehr vertreten. Vielmehr ist die sog. Geistigkeitstheorie anerkannt, nach der Aussteller derjenige ist, der geistig für die Erklärung einsteht. Anders gesagt: Aussteller ist der, von dem die Erklärung geistig herrührt (BeckOK StGB/Weidemann, § 267 Rn. 13). Die Urkunde muss den Anschein erwecken, dass eine individualisierbare Person für die Erklärung einsteht. Wichtig: Das setzt nicht voraus, dass diese Person tatsächlich existiert!

Die Garantiefunktion ist dann nicht erfüllt, wenn der (scheinbare) geistige Urheber der Erklärung anonym bleibt, also nicht ermittelbar ist.

  • Sog. offene Anonymität liegt vor, wenn der Aussteller sich gar nicht zu erkennen gibt oder offensichtlich hinter einem Decknamen o.ä. versteckt
  • Versteckte Anonymität liegt vor, wenn zwar ein Name angegeben wird, es sich aber um einen Allerweltsnamen handelt und offensichtlich ist, dass die Identität verborgen bleiben soll
  • Das heißt natürlich nicht, dass Menschen mit häufigen Namen keine Urkunden erstellen können. Verstecke Anonymität liegt nur vor, wenn deutlich wird, dass der verwendete Name ein persönliches Einstehen für die Erklärung verhindern soll

II. Sonderformen der Urkunde

Neben der „klassischen“ Urkunde, bei der die verkörperte Gedankenerklärung für sich steht und aus sich heraus alle Merkmale und Funktionen der Urkunde erfüllt (klassisches Beispiel: Zeugnis mit Unterschrift), ist als Sonderform die sog. zusammengesetzte Urkunde anerkannt. Bei der zusammengesetzten Urkunde wird die verkörperte Gedankenerklärung i.d.R. durch ein Bezugsobjekt ergänzt, das selbst nicht die Urkundseigenschaften erfüllt, durch eine räumlich feste Verbindung mit der Gedankenerklärung aber zu einer Beweiseinheit verschmilzt.

  • Beispiele: Aufgeklebtes Preisschild auf Kaufsache, Kennzeichen auf KFZ bzw. TÜV-Prüfplakette auf KFZ-Kennzeichen, Foto im Personalausweis
  • Diskutiert, aber abgelehnt etwa auch für ein Verkehrszeichen in Verbindung mit einem räumlich nicht überschaubaren Straßenabschnitt (OLG Köln, NJW 1999, 1042). Das ist ein Beispiel, das besonders anschaulich zeigt, dass die Urkundenfälschung in der Strafrechtsklausur auch mal an ungewöhnlichen Stellen auftauchen kann.

Das Entfernen oder Auswechseln des Bezugsobjekts kann bei Vorliegen einer zusammengesetzten Urkunde auch schon den Tatbestand der Urkundenfälschung erfüllen, auch wenn die Erklärung selbst streng genommen nicht angetastet wird.

Auch mehrere Urkunden können gemeinsam eine zusammengesetzte Urkunde bilden, wenn eine auf die andere inhaltlich verweist und die Urkunden räumlich fest verbunden sind (Schönke/Schröder/Heine/Schuster, § 267 StGB Rn. 36b).

Demgegenüber liegt eine weitere Sonderform der Urkunde, nämlich eine sog. Gesamturkunde vor, wenn mehrere Urkunden körperlich so zusammengefasst sind, dass sich aus der Zusammenfassung ein neuer Erklärungs- und Beweisinhalt i.S.e. Vollständigkeits- und Abgeschlossenheitserklärung ergibt.

  • Beispiele sind die Personalakte, die Handelsbücher eines Kaufmanns, Strafprozessregister oder Einwohnermeldeverzeichnisse (MüKoStGB/Erb, § 267 Rn. 57).

Entfernt man aus einer Gesamturkunde eine Einzelurkunde, so kann das also unter § 267 StGB fallen, weil aus der Zusammenfassung der einzelnen Urkunden wiederum eine eigenständige Urkunde mit neuem Erklärungswert entsteht.

III. Beliebtes Sonderproblem: Fotokopien und Collagen

Häufiges Klausurproblem ist die Einordnung von Fotokopien. Bei Kopien, die als solche erkennbar sind, ist der Aussteller grundsätzlich nicht erkennbar, sodass sie nach herrschender Ansicht keine Urkundsqualität haben. Man kann darüber hinaus erwägen, ob die Kopie überhaupt eine selbstständige Gedankenerklärung enthalten (Schönke/Schröder/Heine/Schuster, § 267 StGB Rn. 42a) oder ob sie beweisgeeignet sind (Beweisbedeutung und Garantiefunktion ablehnend etwa OLG Düsseldorf, NJW 2001, 167).

Dass es sich nicht um Urkunden handelt, heißt aber nicht, dass als solche erkennbare Kopien im Rahmen des § 267 StGB irrelevant sind. So kann beispielsweise das Vorlegen einer Kopie einer unechten Urkunde ein Gebrauchmachen eben dieser darstellen und so wiederum strafrechtlich relevant sein (zu den Tathandlungen des § 267 StGB siehe den zweiten Teil dieses Beitrags).

Ist die Kopie allerdings nicht als Kopie erkennbar, sondern erweckt vielmehr den Eindruck eines Originals und soll auch gerade als falsches Original verwendet werden, ist die Urkundseigenschaft zu bejahen (OLG Stuttgart, NJW 2006, 2869).

Feingefühl können KlausurbearbeiterInnen auch beim Umgang mit Collagen beweisen. Wenn der Täter etwa mehrere einzelne Schriftstücke zusammenklebt, dann dürfte das „Kunstwerk“ selbst in aller Regel als selbst zusammengesetzt erkennbar sein, es handelt sich hierbei nicht um eine Urkunde (Kindhäuser/Schramm, Strafrecht BT I, § 55 Rn. 69). Ebenso ist die Kopie der Collage (dasselbe gilt für lose zusammengelegte und kopierte Blätter) keine Urkunde, soweit sie als Kopie erkennbar ist (s.o.). Erweckt sie hingegen selbst den Eindruck, es handle sich um ein Original, wird durch den Kopiervorgang eine Urkunde hergestellt (Kindhäuser/Schramm, Strafrecht BT I, § 55 Rn. 43).

Aufgrund des Sachzusammenhangs sei hier auf ein Problem hingewiesen, dass sich nach Lektüre des zweiten Teils dieses Beitrags, der sich mit den Tathandlungen des § 267 StGB befasst, noch besser erschließen dürfte: Die fehlende Urkundseigenschaft der Collage selbst führt dazu, dass es von vorneherein an einer Urkunde fehlt, die gebraucht werden könnte. Während die Vorlage einer erkennbaren Kopie eines Dokuments, das selbst die Anforderungen an eine unechte oder gefälschte Urkunde erfüllt, wie bereits erwähnt als Gebrauchen eben dieses Dokuments eingeordnet werden kann, kann dieser Kunstgriff bei Collagen nicht gelingen (siehe auch Kindhäuser/Schramm, Strafrecht BT I, § 55 Rn. 69).

In Teil 2 des Beitrags, der bald erscheint, geht es um die Tathandlungen des § 267 StGB sowie den subjektiven Tatbestand der Norm.

09.09.2022/2 Kommentare/von Dr. Lena Bleckmann
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Lena Bleckmann https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Lena Bleckmann2022-09-09 08:23:072022-09-23 07:40:56Die Urkundenfälschung, § 267 StGB (Teil 1: Der Urkundsbegriff)
Dr. Yannick Peisker

Masernimpfpflicht verfassungsmäßig – Klausurlösung

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Mit Beschluss vom 21. Juli 2022 hat das BVerfG entschieden, dass die Masernimpfpflicht nach § 20 IfSG verfassungsmäßig ist. Angesichts der noch ausstehenden Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit der Corona-Impfpflicht besitzt die Entscheidung nicht nur Bedeutung für Examenskandidaten, sondern eine weit darüberhinausgehende Relevanz für die Gesamtgesellschaft, womöglich auch mit nicht zu unterschätzender sozialer Sprengkraft. Ein Blick in die Entscheidungsgründe lohnt sich daher umso mehr.

Der hiesige Beitrag setzt sich mit der Entscheidung technisch auseinander und beinhaltet eine klausurmäßige Aufbereitung für Examenskandidaten, damit die Bausteine der Entscheidung im juristischen Gutachten auch an der richtigen Stelle verortet werden. Dort wo Ausführungen in der Klausurlösung nicht unbedingt erwartet werden können oder wo davon auszugehen ist, dass der Sachverhalt hierzu keine Angaben macht oder machen kann, werden einige Passagen der Entscheidungsbegründung ausgelassen. Diese lassen sich natürlich hier aber noch einmal in der gesamten Länge nachlesen. Angesichts der Ausführlichkeit der Entscheidung wird hier auf eine Darstellung der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde verzichtet. Stattdessen wird sich auf eine Prüfung der Begründetheit konzentriert.

A. Der Sachverhalt

Die Beschwerdeführer richten sich gegen mehrere Regelungen des § 20 IfSG, im Einzelnen gegen § 20 Abs. 8 S. 1-3; Abs. 9 S. 1 und 6; Abs. 12 S. 1 und 3 sowie gegen Abs. 13 S. 1 IfSG.

Abs. 8 der Vorschrift regelt, dass Personen, die in einer bestimmten Gemeinschaftseinrichtung betreut werden, einen ausreichenden Impfschutz gegen Masern, oder aber eine Immunität aufweisen müssen. Diese Pflicht gilt auch dann, wenn ausschließlich sogenannte Kombinationsimpfstoffe zur Verfügung stehen, die also mehrere Impfstoffkomponenten gegen verschiedene Krankheiten beinhalten. Für Personen, die in einer solchen Einrichtung tätig werden, gilt dies nach § 20 Abs. 9 ebenso. Kann eine betreute oder beschäftigte Person einen entsprechenden Nachweis nicht vorlegen, darf sie nach § 20 Abs. 9 S. 6 und 7 weder in der Einrichtung tätig werden, noch dort betreut werden. Es handelt sich also um eine sogenannte mittelbare Impfpflicht, da kein unmittelbarer Impfzwang ausgeübt wird, sondern lediglich nachteilige Maßnahmen an die Nichtimpfung geknüpft werden. Zu einer Impfung selbst zwingt das Gesetz nicht unmittelbar. Der Nachweis ist nach Abs. 12 S. 1 dem zuständigen Gesundheitsamt vorzulegen, ist das Kind minderjährig, trifft diese Pflicht die Eltern (§ 20 Abs. 13 S. 1).

Die hiesigen Beschwerdeführer waren die Eltern mehrerer Kinder, die in einer solchen Gemeinschaftseinrichtung untergebracht werden sollten. Die minderjährigen Kinder sind nicht geimpft und verfügen auch über keine Immunität gegen Masern. Gerügt wird die Verletzung des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit der Kinder (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) sowie eine Verletzung des Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG. Die Entscheidung setzt sich damit ausschließlich mit der Impfpflicht für betreute Personen, nicht aber für Beschäftigte auseinander. Die Erwägungen des BVerfG lassen sich aber übertragen. Sollte der Klausursachverhalt auf die Beeinträchtigung der Grundrechte der dort Beschäftigten abzielen, kann daher ähnlich verfahren werden. Zu prüfen wäre dann eine Verletzung des Art. 12 GG neben einer Verletzung des Art. 2 GG.

B. Begründetheit der Verfassungsbeschwerde

Die Verfassungsbeschwerde ist begründet, wenn die behauptete Grundrechtsverletzung besteht und der Beschwerdeführer in seinen Grundrechten verletzt ist.

I. Verletzung von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG

Zunächst könnte das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG vorliegen. Dies wäre der Fall, wenn ein nicht gerechtfertigter Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts vorliegt.

1. Schutzbereich

Der Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG müsste eröffnet sein:

„Das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG schützt die körperliche Integrität des Grundrechtsträgers […]. Träger dieses Rechts ist „jeder“, mithin auch ein Kleinkind […]. Kindern kommt außerdem ein eigenes Recht auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit zu (Art. 2 Abs. 1 GG). Dabei bedürfen sie des Schutzes und der Hilfe, um sich zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten innerhalb der sozialen Gemeinschaft entwickeln zu können. Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit verpflichtet den Gesetzgeber, die hierfür erforderlichen Lebensbedingungen des Kindes zu sichern. Diese im grundrechtlich geschützten Entfaltungsrecht der Kinder wurzelnde besondere Schutzverantwortung des Staates erstreckt sich auf alle für die Persönlichkeitsentwicklung wesentlichen Lebensbedingungen. Die vom Gesetzgeber näher auszugestaltende Schutzverantwortung für die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes teilt das Grundgesetz zwischen Eltern und Staat auf. Nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG ist sie in erster Linie den Eltern zugewiesen […].“

BVerfG, Beschl. v. 21.07.2022 – 1 BvR 469/20 u.a., Rn. 78-79.

Der Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ist mithin eröffnet.

2. Eingriff

Es müsste ein Eingriff in dieses Grundrecht vorlegen. Nach dem klassischen Eingriffsbegriff liegt ein Eingriff vor, wenn durch zielgerichtetes staatliches Handeln in Form eines Rechtsaktes, welcher mit Befehl und Zwang durchsetzbar ist, unmittelbar in grundrechtlich geschützte Positionen eingegriffen wird. Nach dem modernen Eingriffsbegriff kann ein Eingriff auch dann vorliegen, wenn ein grundrechtlich geschütztes Verhalten ganz oder teilweise unmöglich gemacht wird, unabhängig davon, ob die Wirkung final, unmittelbar, rechtlich erfolgt und mit Befehl und Zwang durchsetzbar ist, sofern die Grundrechtsbeeinträchtigung einer grundrechtsgebundenen Gewalt zugerechnet werden kann und nicht unerheblich ist. Nach diesen Maßstäben liegt hier ein Eingriff vor:

„Nach Art und Gewicht wirken die beanstandeten Vorschriften in einer Weise auf die den sorgeberechtigten Eltern anvertraute Sorge über die körperliche Unversehrtheit ihrer Kinder ein, dass sie als zielgerichteter mittelbarer Eingriff in das Recht der Kinder aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu bewerten sind. Die Masernschutzimpfung wirkt durch das Einbringen eines Stoffes und die damit verbundenen Nebenwirkungen auf die körperliche Integrität der Kinder ein. Zwar hindert das Infektionsschutzgesetz Eltern nicht daran, auf die Masernschutzimpfung bei ihren Kindern zu verzichten. Dadurch wäre eine gegenständliche Einwirkung auf die körperliche Integrität vermieden. Allerdings sind mit dieser Disposition über die körperliche Unversehrtheit der Kinder erhebliche nachteilige Folgen für diese verbunden. Wegen des in § 20 Abs. 9 Satz 6 IfSG angeordneten Betreuungsverbots verlieren sie ihren eingeräumten Anspruch auf frühkindliche oder vorschulische Förderung nach § 24 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 SGB VIII oder können diesen jedenfalls nicht mehr durchsetzen […]. Diesen Förderformen misst der Gesetzgeber aber selbst erhebliche Bedeutung für die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte kindliche Persönlichkeitsentwicklung zu. Wird eine solche Betreuung und Förderung ‒ wie vorliegend ‒ von den sorgeberechtigten Eltern gewünscht, geht von den bei Ausbleiben des Impfnachweises eintretenden Folgen ein starker Anreiz aus, die Impfung vornehmen zu lassen und damit auf die körperliche Unversehrtheit der Kinder durch die Verabreichung des Impfstoffs einzuwirken. Dieser vom Gesetzgeber intendierte Druck auf die Eltern, die Gesundheitssorge für ihre Kinder in bestimmter Weise auszuüben, kommt in seiner Wirkung dem unmittelbaren Eingriff in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gleich. Da insbesondere der von dem Betreuungsverbot ausgehende Druck auf die entscheidungsbefugten Eltern nach den Vorstellungen des Gesetzgebers die Gestattung der Impfungen befördern soll, handelt es sich ebenfalls um einen zielgerichteten mittelbaren Eingriff in die körperliche Unversehrtheit der Kinder.“

BVerfG, Beschl. v. 21.07.2022 – 1 BvR 469/20 u.a., Rn. 81

Mithin liegt ein Eingriff in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG vor.

3. Rechtfertigung

Eine Verletzung des Grundrechts liegt nicht vor, wenn der Eingriff gerechtfertigt ist, dies wäre der Fall, wenn das Gesetz formell und materiell verfassungsmäßig ist.

a) Wahrung des Gesetzesvorbehalts

In Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG darf nach S. 2 nur aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden, um ein solches handelt es sich bei den angegriffenen Regelungen des § 20 IfSG.

b) Formelle Verfassungsmäßigkeit

§ 20 IfSG müsste formell verfassungsmäßig sein.

aa) Zuständigkeit

Es handelt sich um ein Bundesgesetz, der Bund ist nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG zuständig, es handelt sich um eine Maßnahme gegen gemeingefährliche oder übertragbare Krankheiten bei Menschen und Tieren.

bb) Verfahren

Die Anforderungen an ein ordnungsgemäßes Gesetzgebungsverfahren wurden eingehalten.

cc) Wahrung des Zitiergebots

Das Zitiergebot nach Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG wurde für Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG in § 20 Abs. 4 GG gewahrt.

c) Materielle Verfassungsmäßigkeit

Das Gesetz müsste materiell verfassungsmäßig sein.

aa) Verstoß gegen Art. 20 GG

Die Regelung des IfSG wäre nur dann verfassungsmäßig, wenn sie nicht gegen die Grundsätze des Art. 20 GG verstößt. In Betracht kommt vorliegend ein Verstoß gegen das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip in Gestalt des Vorbehaltes des Gesetzes. Diese gebieten konkret, dass der Gesetzgeber die wesentlichen Fragen selbst regelt. Zum einen ist der Gesetzgeber geboten die Fragen zu regeln, die wesentlich für die Verwirklichung der Grundrechte sind, zum anderen die Regelungen, die für Staat und Gesellschaft von wesentlicher Bedeutung sind.

„Diesen Anforderungen genügte § 20 Abs. 8 Satz 3 IfSG nicht, wenn er so zu verstehen wäre, dass § 20 Abs. 8 Satz 1 IfSG auch gilt, wenn nur Kombinationsimpfstoffe zur Verfügung stehen, die weitere Impfstoffkomponenten als die bei Verabschiedung des Gesetzes verfügbaren Impfstoffe enthielten […]. Der Wortlaut von § 20 Abs. 8 Satz 3 IfSG enthält keine ausdrücklichen Beschränkungen von Impfstoffkomponenten „gegen andere Krankheiten“ als Masern, die in auch zur Masernimpfung verwendeten Kombinationsimpfstoffen enthalten sind. So verstanden, wirkte § 20 Abs. 8 Satz 3 IfSG ähnlich wie eine dynamische Verweisung, nach der die Pflicht zum Auf- und Nachweis einer Masernimpfung auch zukünftig bei ausschließlicher Verfügbarkeit von Mehrfachimpfstoffen mit beliebig vielen weiteren Impfstoffkomponenten gegen andere Krankheiten als Masern gölte. Die tatsächlichen Bedingungen der Erfüllung der Auf- und Nachweispflicht wären dann davon abhängig, welche Impfstoffe mit welchen Komponenten nach der jeweiligen Marktlage verfügbar sind. Dann fänden die tatsächlich vorhandenen Möglichkeiten, den Pflichten aus § 20 Abs. 8 Satz 1 IfSG nachzukommen, jedoch keine hinreichende Grundlage mehr im Gesetz […]. Das Gewicht des Eingriffs in die hier betroffenen Grundrechte der Kinder und ihrer Eltern wird aber durch die Anzahl der in einem Kombinationsimpfstoff enthaltenen Impfstoffkomponenten mitbestimmt. Die Frage, durch welche Impfstoffe die Pflicht erfüllt werden kann, eine Masernimpfung auf- und nachzuweisen, ist daher wesentlich für die Grundrechte und grundsätzlich durch den Gesetzgeber zu klären. Inwieweit er darin den Verordnungsgeber einbeziehen kann, bestimmt sich nach Art. 80 Abs. 1 GG.“

BVerfG, Beschl. v. 21.07.2022 – 1 BvR 469/20 u.a., Rn. 96

Ein Verstoß kommt jedoch dann nicht in Betracht, wenn § 20 Abs. 8 S. 3 IfSG verfassungskonform ausgelegt werden kann:

„§ 20 Abs. 8 Satz 3 IfSG kann verfassungskonform so auslegt werden, dass die Pflicht aus § 20 Abs. 8 Satz 1 IfSG bei ausschließlicher Verfügbarkeit von Kombinationsimpfstoffen nur dann gilt, wenn es sich dabei um solche handelt, die keine weiteren Impfstoffkomponenten enthalten als die gegen Masern, Mumps, Röteln oder Windpocken. Allein auf Mehrfachimpfstoffe gegen diese Krankheiten beziehen sich die vom Gesetzgeber des Masernschutzgesetzes getroffenen grundrechtlichen Wertungen […]. Damit werden die Grenzen verfassungskonformer Auslegung nicht überschritten. Zwar enthält der Wortlaut von § 20 Abs. 8 Satz 3 IfSG keine Beschränkung derjenigen Krankheiten, bezüglich derer Impfstoffkomponenten in einem Mehrfachimpfstoff enthalten sein dürfen. Durch die verfassungskonforme Beschränkung auf die vorgenannten Mehrfachimpfstoffkombinationen wird jedoch dem Gesetz weder ein entgegengesetzter Sinn verliehen, noch der normative Gehalt der Norm grundlegend neu bestimmt, oder das gesetzgeberische Ziel in einem wesentlichen Punkt verfehlt […].

So bietet die Entstehungsgeschichte der Vorschrift ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber die Erfüllung der Pflichten aus § 20 Abs. 8 Satz 1 IfSG bei ausschließlicher Verfügbarkeit von Mehrfachimpfstoffen auf die genannten Kombinationen beschränken wollte. Die Begründung des Gesetzentwurfs nennt allein Kombinationsimpfstoffe gegen Masern-Mumps-Röteln oder Masern-Mumps-Röteln-Windpocke […] und geht von der Anwendbarkeit von Satz 1 bei Verfügbarkeit nur dieser Kombinationsimpfstoffe aus. […] Die vom Paul-Ehrlich-Institut geführte Liste zugelassener Kombinationsimpfstoffe weist zudem aus, dass es sich bei den auch masernwirksamen Kombinationsimpfstoffen seit langem ausschließlich um solche mit den weiteren Komponenten gegen Mumps, Röteln und Windpocken handelt. Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber davon ausgegangen wäre, dass sich die seit Jahren unveränderte Lage dahingehend verändern könnte, dass sich Wirkstoffkombinationen der in Deutschland zugelassenen Masernimpfstoffe in absehbarer Zeit ändern und zu den Mumps-, Röteln- und Windpocken-Impfstoffkomponenten weitere hinzukommen könnten.“

BVerfG, Beschl. v. 21.07.2022 – 1 BvR 469/20 u.a., Rn. 98-100

Berücksichtigt man diese Möglichkeit der verfassungskonformen Auslegung, liegt kein Verstoß gegen den Vorbehalt des Gesetzes vor. Dieses Ergebnis der verfassungskonformen Auslegung ist auch für die nachfolgenden Ausführungen zu unterstellen, die Norm besitzt ausschließlich diesen Rechtsgehalt.

bb) Verhältnismäßigkeit der Regelung

Die angegriffenen Normen müssten auch verhältnismäßig sein. Dies ist der Fall, wenn der Gesetzgeber einen legitimen Zweck verfolgt, die Regelung zur Verfolgung dieses Zwecks geeignet und erforderlich ist und die Regelung angemessen ist, das heißt die Schwere des Eingriffs nicht außer Verhältnis zu den ihn rechtfertigenden Gründen steht.

(1) Legitimer Zweck

Der Gesetzgeber müsste einen legitimen Zweck verfolgen:

 „Die angegriffenen Vorschriften des Masernschutzgesetzes bezwecken einen verbesserten Schutz vor Maserninfektionen, insbesondere bei Personen, die regelmäßig in Gemeinschafts- und Gesundheitseinrichtungen mit anderen Personen in Kontakt kommen […]. Das soll nicht nur die Einzelnen gegen die Erkrankung schützen, sondern gleichzeitig die Weiterverbreitung der Krankheit in der Bevölkerung verhindern, was eine ausreichend hohe Impfquote in der Bevölkerung erfordert. So können auch Personen geschützt werden, die aus medizinischen Gründen selbst nicht geimpft werden können, bei denen aber schwere klinische Verläufe im Fall einer Infektion drohen. […] Zudem will der Gesetzgeber das von der Weltgesundheitsorganisation verfolgte Ziel unterstützen, die Masernkrankheit in den Mitgliedstaaten sukzessiv zu eliminieren, um die Krankheit schließlich weltweit zu überwinden […]. […] Damit kommt der Gesetzgeber erkennbar seiner in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG wurzelnden Schutzpflicht nach. Lebens- und Gesundheitsschutz sind bereits für sich genommen überragend wichtige Gemeinwohlbelange und daher verfassungsrechtlich legitime Gesetzeszwecke. Die Schutzpflicht des Staates aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG greift nicht erst dann ein, wenn Verletzungen bereits eingetreten sind, sondern ist auch in die Zukunft gerichtet. Aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, der den Schutz Einzelner vor Beeinträchtigungen ihrer körperlichen Unversehrtheit und ihrer Gesundheit umfasst, kann daher auch eine Schutzpflicht des Staates folgen, Vorsorge gegen Gesundheitsbeeinträchtigungen zu treffen […].“

BVerfG, Beschl. v. 21.07.2022 – 1 BvR 469/20 u.a., Rn. 106-107.

Die Impfpflicht verfolgt daher einen legitimen Zweck.

(2) Geeignetheit

Die gesetzliche Regelung müsste geeignet zur Erreichung dieses Zwecks sein, das heißt sie müsste in der Lage sein, diesen Zweck zu fördern:

„Sie können sowohl dazu beitragen, die Impfquote in der Gesamtbevölkerung zu erhöhen als auch dazu, diejenige in solchen Gemeinschaftseinrichtungen zu steigern, in denen vulnerable Personen betreut werden oder zumindest regelmäßig Kontakt zu den Einrichtungen und den dort betreuten und tätigen Personen haben. Werden dort künftig grundsätzlich nur noch Kinder mit Impfschutz oder Immunität betreut, trägt das ‒ ebenso wie das Betreuungsverbot des § 20 Abs. 9 Satz 6 IfSG ‒ zu einer Reduzierung der Ansteckungsgefahr mit dem Masernvirus bei. Angesichts einer Betreuungsquote in Kindertagesbetreuung von 34,3 % bei unter 3-Jährigen und von 93 % bei 3- bis 5-Jährigen […] erhöht sich hierdurch auch insgesamt die Impfquote in der Bevölkerung. Bei einer von § 20 Abs. 8 Satz 2 IfSG vorgegebenen zweifachen Impfung gegen Masern wird nach gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen von einer Impfeffektivität von 95 bis 100 % im Mittel ausgegangen. Das gilt auch bei der Verwendung eines von § 20 Abs. 8 Satz 3 IfSG erfassten Kombinationsimpfstoffs […] Der Impfschutz wirkt lebenslang.“

BVerfG, Beschl. v. 21.07.2022 – 1 BvR 469/20 u.a., Rn. 114-115

Die Impfpflicht ist zur Zielerreichung geeignet.

(3) Erforderlichkeit

Dies gesetzliche Regelung müsste erforderlich sein, das heißt es dürften keine gleich geeigneten, milderen Mittel zur Zweckerreichung zur Verfügung stehen. Dem Gesetzgeber steht dabei grundsätzlich eine Einschätzungsprärogative zu, die umso weiter reicht, je komplexer die zu regelnde Materie ist.

„Aus den ihm vorliegenden wissenschaftlich gesicherten Erkenntnissen konnte der Gesetzgeber daher […] den Schluss ziehen, dass diese Maßnahmen bislang nicht genügt haben, um eine Herdenimmunität gegen Masern herzustellen. […] Der Erforderlichkeit der angegriffenen Regelungen steht nicht entgegen, dass § 20 Abs. 8 Satz 3 IfSG den Aufweis einer durch Impfung erlangten Masernimmunität auch dann verlangt, wenn lediglich Kombinationsimpfstoffe zur Verfügung stehen und es im Inland seit einigen Jahren auch keine zugelassenen Monoimpfstoffe mehr gibt. […] Denn die Frage der gleichen Eignung muss anhand des Gesetzeszwecks beurteilt werden. Die Bekämpfung sonstiger Krankheiten ist aber nicht Zweck der allein gegen Masern gerichteten Regelung. Gegen die gleiche Eignung einer nur auf Monoimpfstoffe gerichteten Regelung spricht jedoch, dass es im Inland mittlerweile keine Masernmonoimpfstoffe mehr gibt, für früher angebotene Monoimpfstoffe inzwischen mangels Nutzung sogar die Zulassung entfallen ist. Vor diesem Hintergrund wäre der Zweck des Gesetzes mit einer auf Monoimpfstoffe beschränkten Verpflichtung weniger gut zu erreichen, weil alle Kinder ungeimpft blieben, deren Eltern der Verwendung eines Kombinationsimpfstoffs nicht freiwillig zustimmen. Auch eine gesetzliche Verpflichtung zuständiger staatlicher Stellen, solche Monoimpfstoffe herstellen zu lassen oder sonst für deren Verfügbarkeit im Inland zu sorgen, wäre keine gleich geeignete Maßnahme im Sinne der verfassungsrechtlichen Erforderlichkeit […] Ist allerdings der von § 20 Abs. 8 Satz 1 IfSG geforderte Impfschutz durch einen, etwa auf der Grundlage von § 73 Abs. 3 Halbsatz 1 AMG aus dem Ausland eingeführten, Monoimpfstoff erlangt worden, ist dies regelmäßig als zur Erreichung des Gesetzeszwecks ebenso geeignetes Mittel anzusehen […]. Die Impfung mit einem im Inland zur Verfügung stehenden Mehrfachimpfstoff ist dann nicht erforderlich und darf zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit nicht gefordert werden.“

BVerfG, Beschl. v. 21.07.2022 – 1 BvR 469/20 u.a., Rn. 125-128

Die Impfpflicht ist daher zur Zielerreichung erforderlich.

(4) Angemessenheit

Die gesetzliche Regelung müsste angemessen sein, das heißt die Schwere des Eingriffs darf nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der verfolgten Zwecke stehen:

(aa) Eingriffsintensität

Fraglich ist, als wie gewichtig die Eingriffsintensität der Impfpflicht zu beurteilen ist.

„Der Eingriff in das Grundrecht der Kinder aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG erfolgt mittelbar durch die Einwirkung auf die Ausübung des die Gesundheitssorge betreffenden Elternrechts. Entscheiden sich die sorgeberechtigten Eltern zwecks Meidung des Betreuungsverbots aus § 20 Abs. 9 Satz 6 IfSG, ihr in einer betroffenen Einrichtung betreutes Kind impfen zu lassen, geht dies mit einer Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit des Kindes einher. Allerdings ist dieser mittelbare Eingriff weder nach der Art der sich anschließenden körperlichen Einwirkung selbst noch aufgrund der Beeinträchtigung der Dispositionsfreiheit über die körperliche Unversehrtheit besonders schwerwiegend. Zwar kann selbst eine Impfung mit erprobten, weitgehend komplikationslosen Impfstoffen […] nicht ohne Weiteres als unbedeutender vorbeugender ärztlicher Eingriff eingeordnet werden […]. Die Wahrscheinlichkeit gravierender, mitunter tödlicher Komplikationen im Falle einer Maserninfektion ist jedoch um ein Vielfaches höher als die Wahrscheinlichkeit schwerwiegender Impfkomplikationen. Etwas häufiger vorkommende harmlose Impfreaktionen erhöhen das Gewicht des Eingriffs in die körperliche Unversehrtheit nicht maßgeblich […]. […] Zwar gewährleistet das auf die körperliche Integrität bezogene Selbstbestimmungsrecht im Grundsatz auch, Entscheidungen über die eigene Gesundheit nicht am Maßstab objektiver Vernünftigkeit auszurichten […]. Zur Wahrnehmung dieser Autonomie ist ein Kind anfangs allerdings zunächst entwicklungsbedingt nicht in der Lage. […] Mit dem Grundrecht des Kindes aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verbindet sich darum kein ebenso weitreichendes Recht auf medizinisch unvernünftige Entscheidung wie bei Erwachsenen, die über den Umgang mit ihrer eigenen Gesundheit nach eigenem Gutdünken entscheiden können […]. Dem stärker an medizinischen Standards auszurichtenden körperlichen Kindeswohl dienlich ist regelmäßig die Vornahme empfohlener Impfungen, nicht ihr Unterbleiben. Das gilt auch für die Verabreichung von Kombinationsimpfstoffen […]. Daher kann den angegriffenen, gerade zur Vornahme einer empfohlenen Impfung anreizenden gesetzlichen Regelungen kein besonders hohes Gewicht des Eingriffs in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG beigemessen werden. Dabei wird das Gewicht des Eingriffs in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG auch dadurch abgemildert, dass die angegriffenen Maßnahmen die Freiwilligkeit der Impfentscheidung der Eltern als solche nicht aufheben und diesen damit die Ausübung der Gesundheitssorge für ihre Kinder im Grundsatz belassen. Sie ordnen keine mit Zwang durchsetzbare Impfpflicht an […]. Vielmehr verbleibt den für die Ausübung der Gesundheitssorge zuständigen Eltern im Ergebnis ein relevanter Freiheitsraum […].“

BVerfG, Beschl. v. 21.07.2022 – 1 BvR 469/20 u.a., Rn. 142-145

Die Eingriffe wiegen nicht besonders schwer.

(bb) Überwiegen die verfolgten Interessen diese Intensität?

Die verfolgten Interessen müssten diese Eingriffsintensität überwiegen.

„Trotz der nicht unerheblichen Eingriffe in das Abwehrrecht der Kinder aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und das Grundrecht der Eltern aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG konnte der Gesetzgeber der Schutzpflicht für die körperliche Unversehrtheit durch eine Masernerkrankung gefährdeter Personen den Vorrang einräumen. Für die Schutzpflicht streiten die hohe Übertragungsfähigkeit und Ansteckungsgefahr sowie das nicht zu vernachlässigende Risiko, als Spätfolge der Masern eine für gewöhnlich tödlich verlaufende Krankheit (die subakute sklerosierende Panenzephalitis, SSPE) zu erleiden. Bei Kindern unter fünf Jahren liegt dieses Risiko bei etwa 0,03 und bei Kindern unter einem Jahr bei etwa 0,17 % […].

Demgegenüber treten bei einer Impfung nur milde Symptome und Nebenwirkungen auf; ein echter Impfschaden ist extrem unwahrscheinlich […]. Die Gefahr für Ungeimpfte, an Masern zu erkranken, ist deutlich höher als das Risiko, einer auch nur vergleichsweise harmlosen Nebenwirkung der Impfung ausgesetzt zu sein. Hinzu kommt, dass die realistische Möglichkeit der Eradikation der Masern die staatliche Schutzpflicht stützt, weshalb selbst bei einer sinkenden Inzidenz von Krankheitsfällen – zu einem Sinken dürfte es kommen, je näher das Ziel der Herdenimmunität durch eine steigende Impfquote rückt – das Abwehrrecht der Beschwerdeführenden, in das die Auf- und Nachweispflicht zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit Impfunfähiger mittelbar eingreift, aufgrund geringerer Gefahrennähe weniger Gewicht für sich beanspruchen kann, als der vom Gesetzgeber verfolgte Schutz impfunfähiger Grundrechtsträger. Es ist verfassungsrechtlich auch nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber im Rahmen seiner Prognose die Gefahren in der Weise bewertet, dass das geringe Restrisiko einer Impfung im Vergleich zu einer Wildinfektion mit Masern bei gleichzeitiger Beachtung der – auch den betroffenen Kindern zugutekommenden – Impfvorteile zurücksteht. Im Ergebnis führt die Masernimpfung daher zu einer erheblich verbesserten gesundheitlichen Sicherheit des Kindes. […]

Die Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit der Kinder und das Elternrecht ihrer sorgeberechtigten Eltern sind auch nicht insoweit unzumutbar, als § 20 Abs. 8 Satz 3 IfSG eine Auf- und Nachweispflicht selbst dann vorsieht, wenn zur Erlangung des Masernimpfschutzes – wie es derzeit in Deutschland der Fall ist – ausschließlich Kombinationsimpfstoffe zur Verfügung stehen […]. Zwar führt dies faktisch dazu, dass die Kinder bei entsprechender Entscheidung ihrer Eltern die Impfung mit zusätzlichen Wirkstoffen hinnehmen müssen, derer es zum Erfüllen der Auf- und Nachweispflicht aus § 20 Abs. 8 und 9 IfSG nicht bedarf und auf deren Schutzeffekte das Gesetz nicht zielt. Das führt jedoch nicht zur Unangemessenheit der angegriffenen Regelungen. Sofern Impfschutz durch einen, etwa auf der Grundlage von § 73 Abs. 3 Halbsatz 1 AMG aus dem Ausland eingeführten, Monoimpfstoff erlangt wurde, ist die Impfung mit einem im Inland zur Verfügung stehenden Kombinationsimpfstoff ohnehin nicht erforderlich und darf dessen Verwendung nicht gefordert werden.

Aber selbst wenn dies nicht der Fall ist, überwiegen im Ergebnis die für den Aufweis anhand eines Mehrfachimpfstoffs sprechenden Argumente. Denn die aktuell in den Mehrfachimpfstoffen enthaltenen weiteren Wirkstoffe betreffen ebenfalls von der Ständigen Impfkommission empfohlene, also eine positive Risiko-Nutzen-Analyse aufweisende Impfungen. Sie sind deshalb ihrerseits grundsätzlich kindeswohldienlich, wenngleich insoweit weder ein mit Masern vergleichbar hohes Infektionsrisiko besteht noch entsprechende schwere Krankheitsverläufe eintreten können. Ausweislich der Stellungnahmen des Paul-Ehrlich-Instituts und der Ständigen Impfkommission besteht zwischen dem Nebenwirkungsprofil eines Monoimpfstoffs und den in Deutschland zugelassenen Kombinationsimpfstoffen jedenfalls kein wesentlicher Unterschied. Dem steht die Dringlichkeit gegenüber, diejenigen Personen, die sich nicht selbst durch Impfung schützen können, mittels Gemeinschaftsschutz zu schützen. Für diesen bedarf es der genannten Impfquote von 95 %, die gerade auch in den Altersgruppen nicht erreicht ist, die in den hier betroffenen Gemeinschaftseinrichtungen betreut werden. Würde die Pflicht zum Auf- und Nachweis der Masernimpfung auf Situationen beschränkt, in denen ein Monoimpfstoff zur Verfügung steht, würde die erforderliche Impfquote weniger gut erreicht. In der Gesamtabwägung ist es vertretbar, dass der Gesetzgeber den Schutz für vulnerable Personen gegen Masern so hoch gewertet hat, dass dafür auch die Grundrechtsbeeinträchtigungen durch den vom Gesetzgeber mit der Anordnung in § 20 Abs. 8 Satz 3 IfSG in Kauf genommenen Einsatz der aktuell einzig verfügbaren Kombinationsimpfstoffe hinzunehmen sind. Auch weil damit objektiv ein Schutz gegen die weiteren durch Kombinationsimpfstoffe erfassten Krankheiten verbunden ist, ist das Interesse, dass mangels verfügbarer Monoimpfstoffe Kombinationsimpfstoffe zum Einsatz kommen, höher zu gewichten als die Interessen der betroffenen Kinder und Eltern, diese nicht verwenden zu müssen. Angesichts des die Beeinträchtigungen deutlich überwiegenden Interesses am Schutz vulnerabler Personen gegen Masern erscheint zudem derzeit auch zur Wahrung der Angemessenheit nicht geboten, dass der Staat durch Beschaffung, Herstellung oder Marktintervention die Verfügbarkeit von Monoimpfstoff sichert.“

BVerfG, Beschl. v. 21.07.2022 – 1 BvR 469/20 u.a., Rn. 149-152
(cc) Zwischenergebnis

Die verfolgten Zwecke überwiegen damit das Gewicht des Eingriffs, die verfassungskonform ausgelegte Regelung ist angemessen.

(5) Zwischenergebnis

Die Regelung ist verhältnismäßig.

cc) Zwischenergebnis

Die Regelung ist materiell verfassungsmäßig.

4. Ergebnis

Die Regelung ist nach verfassungskonformer Auslegung sowohl formell als auch materiell verfassungsmäßig. Der Eingriff in das Grundrecht ist mithin gerechtfertigt. Die Beschwerdeführer sind in ihrem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG nicht verletzt.

II. Verletzung von Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG

Es könnte jedoch eine Verletzung des Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG vorliegen. Dies wäre der Fall, wenn ein nicht gerechtfertigter Eingriff in den Schutzbereich vorliegt.

1. Schutzbereich

Der Schutzbereich des Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG müsste eröffnet sein:

„Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG garantiert Eltern das Recht auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder. Eltern können grundsätzlich frei von staatlichen Einflüssen und Eingriffen nach eigenen Vorstellungen darüber entscheiden, wie sie die Pflege und Erziehung ihrer Kinder gestalten und damit ihrer Elternverantwortung gerecht werden wollen […]. Das Elternrecht unterscheidet sich allerdings von den anderen Freiheitsrechten des Grundrechtskatalogs wesentlich dadurch, dass es keine Freiheit im Sinne einer Selbstbestimmung der Eltern, sondern eine solche zum Schutze des Kindes und in dessen Interesse gewährt […]. Dazu gehört im Grundsatz die Sorge für das körperliche Wohl, worunter die Gesundheitssorge insgesamt und damit auch die Entscheidung über medizinische Maßnahmen fällt […]. Schon wegen der möglichen Auswirkungen von Impfungen auf die weitere Entwicklung des Kindes ([…] handelt es sich bei der elterlichen Entscheidung darüber um ein wesentliches Element des Sorgerechts.“

BVerfG, Beschl. v. 21.07.2022 – 1 BvR 469/20 u.a., Rn. 67-69

Der Schutzbereich des Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG ist mithin eröffnet.

2. Eingriff

Es müsste ein Eingriff in dieses Grundrecht vorlegen:

„Wollen Eltern ihren vorhandenen Wunsch nach solcher Betreuung umsetzen, ist dies rechtlich grundsätzlich nur dann möglich, wenn sie einen Nachweis über die Masernimpfung ihrer Kinder vorlegen (§ 20 Abs. 13 Satz 1 IfSG). Die Entscheidung selbst, Kinder impfen zu lassen, ist wiederum wesentlicher Teil des durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG garantierten elterlichen Sorgerechts, das die Entscheidungsbefugnis über die körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) der Kinder umfasst. Bei Ausbleiben des Nachweises wirken die angegriffenen Vorschriften erheblich auf die Entschließungsfreiheit der Eltern bei der Ausübung des Elternrechts in beiden Komponenten ein. Die gesetzlichen Regelungen über die Pflicht zum Auf- und Nachweis einer Masernimpfung sowie das Betreuungsverbot bei Ausbleiben dieses Nachweises kommen in Zielsetzung und Wirkung als funktionales Äquivalent dem direkten Eingriff gleich, der durch eine rechtlich durchsetzbare Impfpflicht bewirkt würde.“

BVerfG, Beschl. v. 21.07.2022 – 1 BvR 469/20 u.a., Rn. 74-75

Auch ein Eingriff in Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG liegt mithin durch § 20 IfSG vor.

3. Rechtfertigung

Der Eingriff in das Grundrecht ist nicht verfassungswidrig, wenn er gerechtfertigt ist. Dies ist der Fall, wenn das Gesetz formell und materiell verfassungsmäßig ist.

a) formelle Verfassungsmäßigkeit

Hinsichtlich Zuständigkeit und Verfahren wird auf die obigen Ausführungen verwiesen. Fraglich ist jedoch, ob auch in Bezug auf Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG das Zitiergebot eingehalten wurde.

Dafür müsste es für Art. 6 Abs. 2 S. 1 jedoch überhaupt Anwendung finden.

„Das Zitiergebot dient der Sicherung derjenigen Grundrechte, die aufgrund eines spezifischen, vom Grundgesetz vorgesehenen Gesetzesvorbehalts über die im Grundrecht selbst angelegten Grenzen hinaus eingeschränkt werden können […]. Von solchen Grundrechtseinschränkungen grenzt es andersartige grundrechtsrelevante Regelungen ab, die der Gesetzgeber in Ausführung ihm obliegender, im Grundrecht vorgesehener Regelungsaufträge, Inhaltsbestimmungen oder Schrankenziehungen vornimmt […]. Kommt es danach für die Anwendbarkeit von Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG maßgeblich auf das Vorhandensein grundrechtsspezifischer Gesetzesvorbehalte an, fällt das Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG nicht in den Anwendungsbereich. Es unterliegt gerade keinem solchen Gesetzesvorbehalt und ist deshalb lediglich sich aus der Verfassung selbst ergebenden Einschränkungen zugänglich […].“

BVerfG, Beschl. v. 21.07.2022 – 1 BvR 469/20 u.a., Rn. 92

Das Zitiergebot musste daher nicht gewahrt werden, es kann der Verfassungsmäßigkeit nicht entgegenstehen.

b) materielle Verfassungsmäßigkeit

Ein Verstoß gegen Art. 20 GG liegt bei verfassungskonformer Auslegung der Regelung nicht vor. Es handelt sich um ein vorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht, welches nur durch verfassungsimmanente Schranken im Wege der praktischen Konkordanz eingeschränkt werden kann. Eine Rechtfertigung des Eingriffs im Wege der praktischen Konkordanz setzt voraus, dass ein kollidierendes Verfassungsgut vorliegt und ein verhältnismäßiger Ausgleich der kollidierenden Güter gewählt wurde. Dies ist der Fall, wenn die Maßnahme zum Ausgleich geeignet, erforderlich und angemessen ist.

aa) Verfolgung des Schutzes eines anderen Verfassungsgutes.

In Gestalt der staatlichen Schutzpflicht verfolgt die gesetzliche Regelung den Schutz eines anderen Verfassungsgutes.

bb) Eignung

Die Maßnahme ist zur Herstellung praktischer Konkordanz geeignet, siehe oben.

cc) Erforderlichkeit

Selbiges gilt für die Erforderlichkeit

dd) Angemessenheit

Der Interessenausgleich müsste angemessen erfolgt sein, dies ist der Fall, wenn die Einschränkung des einen Verfassungsgutes nicht außer Verhältnis zum Gewicht des den Eingriff rechtfertigenden Verfassungsgutes steht.

(1) Eingriffsgewicht

Fraglich ist, wie gewichtig der Eingriff ist.

„Die angegriffenen Regelungen greifen in das vom Elternrecht umfasste Recht auf Gesundheitssorge ein, da sie gebieten, dass Eltern einer Impfung ihrer Kinder zustimmen. Zwar sind sie letztlich nicht unausweichlich verpflichtet, einer Impfung zuzustimmen. Tun sie dies aber nicht, ist dies jedoch mit spürbaren Nachteilen für sie selbst und ihre Kinder verbunden. […] Mit der angegriffenen Nachweispflicht verengt das Infektionsschutzrecht die Wahlmöglichkeit der Eltern nicht unbeträchtlich, indem der Betreuungsanspruch ohne Impfnachweis entfällt oder zumindest nicht durchgesetzt werden kann […]. Dabei dient die Nachweispflicht nicht ihrerseits der Förderung der Persönlichkeitsentwicklung von Kindern im Alter vor Schuleintritt, sondern bezweckt neben deren Eigenschutz gegen eine Maserninfektion vor allem den Gemeinschaftsschutz vor den Gefahren von Maserninfektionen […]. Das verstärkt die Intensität des Eingriffs in das Elternrecht, weil die betroffenen Eltern im fremdnützigen Interesse des Schutzes der Bevölkerung entgegen den eigenen Vorstellungen zu einer Disposition über die körperliche Unversehrtheit ihrer Kinder gedrängt werden. Da die Wahrnehmung des Betreuungsanspruchs aus § 24 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 IfSG an den Auf- und Nachweis der Masernimpfung geknüpft ist (vgl. § 20 Abs. 9 Satz 6 IfSG), wirken die beanstandeten Vorschriften auch auf das auf die Gesundheitssorge bezogene Elternrecht ein. […] (135) Bei den hier zu beurteilenden Regelungen ist das Gewicht des die Gesundheitssorge treffenden Eingriffs in das Elternrecht dadurch reduziert, dass die Impfung nach medizinischen Standards gerade auch dem Gesundheitsschutz der auf- und nachweisverpflichteten Kinder selbst dient. Nach fachgerichtlicher Einschätzung bilden die Impfempfehlungen der Ständigen Impfkommission den medizinischen Standard ab, und der Nutzen der jeweils empfohlenen „Routineimpfung“ überwiegt das Impfrisiko […]. Regelmäßig ist damit die Vornahme empfohlener Impfungen dem Kindeswohl dienlich. Davon geht auch die fachgerichtliche Rechtsprechung für Sorgerechtsentscheidungen bei Streitigkeiten über empfohlene Schutzimpfungen zwischen gemeinsam sorgeberechtigten Eltern aus […]. Das lässt den Eingriff in das Gesundheitssorgerecht der Eltern zwar nicht entfallen. Deren Entscheidungen in Fragen der Gesundheitssorge für ihr Kind bleiben auch bei entgegenstehenden medizinischen Einschätzungen im Ausgangspunkt verfassungsrechtlich schutzwürdig. Da das Grundgesetz ihnen aber die Gesundheitssorge wie alle anderen Bestandteile der elterlichen Sorge im Interesse des Kindes ‒ insoweit zum Schutz seiner durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geschützten Gesundheit ‒ überträgt, ist es jedoch für die Eingriffstiefe von Bedeutung, wenn die Einschränkung der Gesundheitssorge ihrerseits nach medizinischen Standards gerade den Schutz der Gesundheit des Kindes fördert. […] Das Elternrecht bleibt ein dem Kind dienendes Grundrecht. Ein nach medizinischen Standards gesundheitsförderlicher Eingriff in die elterliche Gesundheitssorge wiegt weniger schwer als ein Eingriff, der nach fachlicher Einschätzung die Gesundheit des Kindes beeinträchtigte. Dieser objektiv vorhandene Impfvorteil für die Kinder mindert daher das Gewicht des Eingriffs in die elterliche Gesundheitssorge durch das Betreuungsverbot. […]

Eingriffsintensivierend wirkt dagegen unter einem anderen Aspekt des Elternrechts das bei ausbleibendem Impfnachweis geltende Betreuungsverbot aus § 20 Abs. 9 Satz 6 IfSG. Denn dadurch wird die Vereinbarkeit von Familie und Elternschaft mit der Erwerbstätigkeit der Eltern […] beeinträchtigt. […] Betroffene Eltern müssen daher entweder auf Betreuung außerhalb von Einrichtungen nach § 33 Nr. 1 und 2 IfSG ausweichen oder die eigene Erwerbstätigkeit umgestalten, um die Kinderbetreuung selbst wahrnehmen zu können. Daher geht mit dem Betreuungsverbot wegen der durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleisteten Freiheit von Eltern, ihr familiäres Leben nach ihren Vorstellungen zu planen und zu verwirklichen, ein nicht unerhebliches Eingriffsgewicht einher. Das Gewicht des Eingriffs in Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG unter diesem Aspekt wird durch die Beeinträchtigung damit korrespondierender Rechtspositionen der Kinder verstärkt. […] Das Betreuungsverbot aus § 20 Abs. 9 Satz 6 IfSG versperrt aber betroffenen Kindern, auch den jeweiligen Beschwerdeführenden zu 3), die Wahrnehmung ihres Anspruchs, wenn die Eltern eine das Verbot auslösende Entscheidung zur Gesundheitssorge getroffen haben. Dem kommt Gewicht auch deshalb zu, weil nicht allein der dargestellte fachrechtlich eingeräumte Förderanspruch von Kindern betroffen ist, sondern wegen der in § 24 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 SGB VIII erfolgten Ausgestaltung auch das in Art. 2 Abs. 1 GG wurzelnde, gegen den Staat gerichtete Recht von Kindern auf Unterstützung und Förderung bei ihrer Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen Person in der sozialen Gemeinschaft […].“

BVerfG, Beschl. v. 21.07.2022 – 1 BvR 469/20 u.a., Rn. 134-139

Der Eingriff ist daher nicht besonders schwerwiegend, aber auch nicht unerheblich.

(2) Ausgleich der Interessen

In Bezug auf den Interessenausgleich lässt sich weitestgehend nach oben verweisen, die dort angeführten Argumente lassen sich hier erneut platzieren.

ee) Zwischenergebnis

Die gesetzliche Regelung stellt einen angemessenen Ausgleich her, der Eingriff ist im Wege praktischer Konkordanz gerechtfertigt.

4. Ergebnis

Auch der Eingriff in das Grundrecht der Eltern aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG ist gerechtfertigt

III. Gesamtergebnis

Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet, die Beschwerdeführer sind nicht in ihren verfassungsrechtlich geschützten Rechten verletzt.

C. Eine kurze und abschließende Summa

Die wesentlichen Kernaussagen lassen sich wie folgt zusammenfassen: Eine Impfpflicht für Masern ist zumutbar, auch wenn nur ein Kombinationsimpfstoff zur Verfügung steht. Die Vorschrift ist verfassungskonform so auszulegen, dass nur die Kombinationsimpfstoffe verwendet werden dürfen, die im Zeitpunkt des Erlasses der Norm vorliegen. Ein Impfstoff, der ausschließlich Wirkstoffe gegen Masern enthält, wäre jedoch ein milderes und gleichgeeignetes Mittel, sobald diese in Deutschland verfügbar sind, müssen diese verimpft werden. Letztlich sind sowohl Eingriffe in das Elternrecht, aber auch Eingriffe in das Recht auf körperliche Unversehrtheit angesichts der staatlichen Schutzpflicht für vulnerable Gruppen – also für Menschen, die nicht durch eine Impfung geschützt werden können – gerechtfertigt. Dies dürfte auch auf eine denkbare Beeinträchtigung der Berufsfreiheit aus Art. 12 GG zu übertragen sein. Auch mit Blick auf die Corona-Impfpflicht der in Gesundheitseinrichtungen tätigen Personen nach § 20a IfSG dürfte das BVerfG die entscheidenden Weichen gestellt haben.

18.08.2022/3 Kommentare/von Dr. Yannick Peisker
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Yannick Peisker https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Yannick Peisker2022-08-18 11:03:272022-08-18 15:18:28Masernimpfpflicht verfassungsmäßig – Klausurlösung
Dr. Yannick Peisker

Schwarzfahren und das Erschleichen von Leistungen – Ein Grundlagenbeitrag

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A. Allgemeine Einführung
Gegenstand des heutigen Grundlagenbeitrags ist der Straftatbestand „Erschleichen von Leistungen“ gemäß § 265a StGB. Die Studierenden zwar im zweiten Semester bereits begegnete, wahrscheinlich aber in Vergessenheit geratene Norm, soll – auch angesichts aktueller Diskussionen – klausurtypisch aufbereitet werden.
In der Praxis erfolgt jedoch in regelmäßigen Abständen die durchaus lebhafte Diskussion, inwiefern das tatbestandlich erfasst Verhalten, insbesondere in Bezug auf das „Schwarzfahren“, einer Entkriminalisierung bedarf.
So hatte die Fraktion DIE LINKE im Jahr 2016 im Deutschen Bundestag beantragt,

„den Tatbestand der Leistungserschleichung aus § 265a StGB so abzuändern, dass die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel ohne gültigen Fahrschein auch im Wiederholungsfall nicht als Straftat geahndet wird. Auch eine Ahndung als Betrug gemäß § 263 StGB ist auszuschließen.“[1]

Selbst Jan Böhmermann nahm sich zuletzt in seiner Satire-Fernsehshow „ZDF Magazin Royale“ vom 3. Dezember 2021 der Strafbarkeit des Fahrens ohne Fahrschein an.[2]
Gegenstand der Diskussionen ist dabei häufig die Frage, ob es an der Erforderlichkeit einer Strafe fehle. Die betroffenen Leistungserbringer hätten bereits ausreichende Möglichkeiten, zivilrechtlich gegen Leistungserschleicher vorzugehen, ebenso bestehe die Möglichkeit, durch technisch präventive Einrichtungen wie Zugangssperren o.ä. – so aus einigen Städten bekannt – die unbefugte Nutzung der Beförderungsmittel zu verhindern.[3]
Geschütztes Rechtsgut des § 265a StGB ist das Vermögen des Leistungserbringers.[4] Es handelt sich um ein Erfolgsdelikt, tatbestandlicher Erfolg ist das Erschleichen der vermögenswerten Leistung selbst, sowie um ein Dauerdelikt, welches mit Beginn der Leistungserbringung vollendet und mit der vollständigen Erbringung beendet ist.[5]
Die Norm fungiert als Auffangtatbestand insbesondere gegenüber § 263 StGB, denn in den heute typischen Fällen der Leistungserschleichung – so auch beim „Schwarzfahren“ – fehlt es aufgrund des reduzierten Personaleinsatzes an zu täuschenden natürlichen Personen.[6] Eine betrugsnahe Auslegung ist daher naheliegend.[7]
 
B. Prüfungsschema:
Die Prüfung des § 265a StGB gestaltet sich wie folgt:

I. Objektiver Tatbestand

1. Taugliches Tatobjekt: Entgeltliche Leistung

a) Eines Automaten

b) Eines öffentlichen Zwecken dienenden Kommunikationsnetzwerks

c) Beförderung durch ein Verkehrsmittel

d) Zutritt zu einer Veranstaltung oder Einrichtung

e) Entgeltlichkeit

2. Tathandlung: Erschleichen

II. Subjektiver Tatbestand

III. Rechtswidrigkeit und Schuld

IV. Strafantrag, § 265a StGB

 
C. Objektiver Tatbestand
Die Verwirklichung des objektiven Tatbestandes erfordert die Erschleichung einer entgeltlichen Leistung, wobei diese Leistung in vier verschiedenen tatbestandlichen Varianten durch den Leistenden erbracht werden kann. Erfasst wird die Leistung eines Automaten (Var. 1), die eines öffentlichen Zwecken dienenden Telekommunikationsnetzes (Var. 2), die Beförderung durch ein Verkehrsmittel (Var. 3) sowie den Zutritt zu Veranstaltungen oder Einrichtungen (Var. 4).
Statistisch am häufigsten erfolgt dabei die Beförderungserschleichung in Form des klassischen „Schwarzfahrens“. Im Jahr 2020 wurden deutschlandweit 179.267 Fälle wegen Verstoßes gegen § 265a StGB erfasst, davon waren 177.037 Fälle Beförderungserschleichungen.[8]
I. Leistung eines Automaten
Ein Automat ist grundsätzlich ein Gerät, welches nach menschlicher Bedienung selbsttätig aufgrund eines (mechanischen oder elektronischen) Steuerungssystems Funktionen erfüllt.[9]
Notwendig ist, dass der Automat die Leistung selbst(tätig) erbringt – nicht erfasst werden daher Automaten, die lediglich zur Unterstützung von menschlichem Personal genutzt werden, oder bei denen die Leistungserbringung erst später erfolgt.[10] Als aus diesem Grund nicht erfasste Beispiele zu nennen sind Fahrkartenautomaten, Pfandautomaten, Parkscheinautomaten. Die Leistung für welche das Entgelt erhoben wird (Beförderung, Anspruch auf Pfandgeld, Parkmöglichkeit) werden nicht durch den Automaten gewährt, sondern nur vermittelt.[11]
Problematisch ist, welche Automatenarten erfasst werden. Differenziert wird zwischen sog. Leistungsautomaten und sog. Warenautomaten.
Leistungsautomaten sind Automaten, bei welchen das Entgelt für die selbsttätig erbrachte Leistung gezahlt wird (Bsp.: Musikbox, Spielautomat, Münztelefon, Münzfernglas), dagegen wird bei sog. Warenautomaten das Entgelt für eine Ware bezahlt, die der Automat wiederum freigibt (Bsp.: Getränkeautomat, Zigarettenautomat, Fahrscheinautomat).[12]
Nach überwiegender Auffassung werden nur die zuvor beschriebenen Leistungsautomaten, nicht jedoch Warenautomaten vom Tatbestand erfasst.[13] Hierfür wird angeführt, dass die Entnahme der Waren regelmäßig von §§ 242, 246 StGB tatbestandlich erfasst werde, sodass es der Auffangfunktion der Norm nicht bedürfe.[14] Ebenso würden auch die anderen Varianten nur unkörperliche Leistungen erfassen.[15] Dem kann entgegengehalten werden, dass der Wortlaut der Norm durchaus offen ist und der Erfassung von Warenautomaten nicht entgegensteht. Ferner bestehe bereits mit der gesetzlichen Subsidiaritätsklausel in § 265a Abs. 1 2. Hs. StGB ein Instrument, um dem Auffangcharakter des § 265a StGB gerecht zu werden, eine Einschränkung bereits auf Tatbestandsebene sei nicht erforderlich.[16] Auch lasse sich nicht trennscharf zwischen Leistungs- und Warenautomaten abgrenzen. Ein Wechselautomat gebe zwar Geld heraus, zivilrechtlich handele es sich jedoch um einen Tauschvertrag, sodass der Leistungscharakter im Vordergrund steht.[17] So gebe auch eine Waschanlage, um den Leistungsvorgang „Waschen“ zu erbringen, Wasser und Seife als Gegenstände ab.[18]
Klausurtaktisch ist es einerlei, welcher Ansicht gefolgt wird, auf der Ebene der Konkurrenzen wird § 265a StGB bei Warenautomaten regelmäßig von konkurrierenden Delikten wie § 242 StGB und § 246 StGB verdrängt.
II. Leistung eines öffentlichen Zwecken dienendes Telekommunikationsnetzwerk
Telekommunikationsnetze sind alle Datenübertragungssysteme im Fernmeldebereich (Breitbandnetz, Kabelnetz, also insbesondere Internet und Telefon).[19]
Der Öffentlichkeit dient dieses, wenn es für die Allgemeinheit errichtet wurde.[20] Irrelevant ist, ob der konkrete Netzzugang nur gegen Entgelt nutzbar ist (Pay-TV-Abo, auch dieses wird über das Internet betrieben, welches allen offensteht).[21] Nicht erfasst werden aber interne Netze, die selbst ohne Entgeltleistung nicht der Nutzung zugänglich sind (Betriebsinterne Netze).[22]
III. Beförderung durch ein Verkehrsmittel
Der Begriff des Verkehrsmittels erfasst nicht nur den öffentlichen Nahverkehr als Massenverkehr, sondern auch Individualverkehr wie z.B. Taxen, wobei im Bereich des Individualverkehrs regelmäßig eine Betrugsstrafbarkeit gemäß § 263 StGB vorliegen wird.[23]
Beförderung meint jede Form des Transports.[24]
IV. Zutritt zu Veranstaltungen oder Einrichtungen
Veranstaltungen werden definiert als ein einmaliges oder zeitlich begrenztes Geschehen, dass sich räumlich gegenständlich von seiner Umwelt abgrenzt (Konzerte, Theater, Sportereignisse).[25] Einrichtungen dagegen sind auf eine gewisse Dauer angelegte, einem bestimmten Zweck dienende Personen- oder Sachgesamtheiten (Museen, Bibliotheken, Zoos, Parkhäuser).[26]
V. Entgeltlichkeit
Erforderlich ist weiterhin, dass die jeweilige Leistung entgeltlich ist. Auch, wenn sich dieses objektive Tatbestandsmerkmal nicht explizit im Wortlaut finden lässt, ist dieses aus dem bezweckten Schutz fremder Vermögensinteressen sowie dem subjektiven Absichtserfordernis des Täters, das Entgelt nicht zu entrichten, abzuleiten.[27]
Der Begriff des Entgelts wird in § 11 Abs. 1 Nr. 9 StGB definiert. Entgelt ist danach jede in einem Vermögenswert bestehende Gegenleistung. Erforderlich ist also, dass die Leistung, die der jeweilige Automat freigibt, entgeltlich ist, also nur gegen einen vermögenswerten Vorteil erworben werden kann.
Damit fallen bereits Geldwechselautomaten aus dem Tatbestand heraus, die das Geld lediglich wechseln, sofern sie hierfür keine Gebühr nehmen.[28] Selbiges gilt für Schließfächer, die nach Benutzung das eingeworfene Münzstück ausspucken.[29]
Nicht notwendig ist, dass das Entgelt direkt am Tatobjekt (Automaten, Telekommunikationsnetz, Verkehrsmittel, Einrichtung, Veranstaltung) entrichtet wird. Ausreichend ist, wenn dieses gegenüber einer anderen Person oder in einer anderen Einrichtung gezahlt wird.[30] Erforderlich und geradezu entscheidend ist jedoch, dass das Entgelt als Gegenleistung für die erbrachte Leistung entrichtet wird.
So stellt der Rundfunkbeitrag keine Gegenleistung für die Möglichkeit des Fernsehens oder Radio Hörens dar, sodass das „Schwarzsehen“ und „Schwarzhören“ tatbestandlich mangels entgeltlicher Leistung nicht erfasst werden.[31]
Unproblematisch bejaht werden kann dieses Merkmal dagegen bei der Beförderungserschleichung, denn nahezu jedes öffentliche Verkehrsmittel darf nur gegen (vorherige) Entrichtung des Ticketpreises genutzt werden.
Selbiges gilt für den Zutritt zu einer Einrichtung oder Veranstaltung. Interessante Konstellation ist hier jedoch der Zutritt zu einem Parkhaus. Da der Zutritt selbst hier nicht entgeltpflichtig ist, sondern erst das Verlassen des Parkhauses, kann sich der Zutritt zum Parkhaus mangels eines zu zahlenden Entgelts nicht tatbestandlich erschlichen werden.[32] Auch das spätere Umgehen der Schranke zur Ausfahrt ist tatbestandlich nicht erfasst, da das Entgelt nicht für das Hochfahren der Schranke, sondern für die Parkmöglichkeit geleistet wird.[33]
Hier gilt daher für die Klausur: Eine präzise Differenzierung und eine Betrachtung unter Berücksichtigung einer Anschauung des täglichen Lebens vermag zu einer deutlich überdurchschnittlichen Note zu führen.
VI. Tathandlung: Erschleichen
Nachdem die tauglichen Tatobjekte bereits ausführlich erläutert wurden, muss sich nun zwingend der Tathandlung Erschleichen zugewendet werden.
Ein Erschleichen setzt jedenfalls ein Handeln gegen den Willen des Berechtigten voraus. Mithin hat ein Einverständnis keine rechtfertigende, sondern bereits tatbestandsausschließende Wirkung.[34] Zudem erfordert der Wortsinn, dass nicht gewalttätig vorgegangen wird.[35]
Allgemein wird unter einem Erschleichen das Erlangen der Leistung unter Überwindung oder Umgehung einer den entgegenstehenden Willen des Leistenden sichernden Vorkehrung verstanden.[36] Aufgrund der inhaltlichen Nähe zum Betrugstatbestand muss die Überwindung oder Umgehung täuschungsähnlich erfolgen.[37]
Tatbestandlich erfasst sind damit:

– Einwerfen von Falschgeld in einen Automaten[38]

– Verwendung von nicht autorisierten Karten zur Entschlüsselung von Pay-TV[39]

– Nutzung gefälschter Handy-Chip-Karten[40]

Bei der Zutrittserschleichung finden sich regelmäßig zumindest automatisierte Kontrollen, sodass auch hier insbesondere das Übersteigen einer Absperrung oder die Benutzung eines Notausgangs oder anderen unbenutzten Eingangs tatbestandlich erfasst sind.[41]
Tatbestandlich nicht erfasst ist:

– Das bloße Ausnutzen eines Gerätedefekts[42]

– Die unberechtigte Inanspruchnahme bei ordnungsgemäßer Bedienung, wie z.B. das Bedienen eines Glücksspielautomaten in Kenntnis des Programms[43]

– Störanrufe mangels Umgehung einer Sicherheitsvorkehrung[44]

Problematisch – und zentraler Problempunkt des § 265a StGB – ist, ob von diesem Verständnis im Rahmen der Beförderungserschleichung abgewichen werden soll.
Nach einer vorwiegend in der Rechtsprechung vertretenen Auffassung soll es bereits ausreichen, wenn der Täter die Leistung in Anspruch nimmt und sich dabei mit dem Anschein der Ordnungsmäßigkeit umgibt – unerheblich ist die Überwindung oder Umgehung eines Hindernisses.[45]
Nach Auffassung des BGH sprechen die folgenden Argumente für ein solch weites Verständnis:

„Der Wortlaut der Norm setzt weder das Umgehen noch das Ausschalten vorhandener Sicherungsvorkehrungen oder regelmäßiger Kontrollen voraus. Nach seinem allgemeinen Wortsinn beinhaltet der Begriff der „Erschleichung” lediglich die Herbeiführung eines Erfolges auf unrechtmäßigem, unlauterem oder unmoralischem Wege [..]. Er enthält allenfalls ein „täuschungsähnliches” Moment dergestalt, dass die erstrebte Leistung durch unauffälliges Vorgehen erlangt wird; nicht erforderlich ist, dass der Täter etwa eine konkrete Schutzvorrichtung überwinden oder eine Kontrolle umgehen muss.
[…] Da das Tatbestandsmerkmal schon im Hinblick auf seine Funktion der Lückenausfüllung eine weitere Auslegung zulässt, ist es von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, unter dem Erschleichen einer Beförderung jedes der Ordnung widersprechende Verhalten zu verstehen, durch das sich der Täter in den Genuss der Leistung bringt und bei welchem er sich mit dem Anschein der Ordnungsmäßigkeit umgibt […].
Die Vorschrift des § 265a StGB geht, soweit sie das „Schwarzfahren” unter Strafe stellt, auf Art. 8 der Strafgesetznovelle vom 28. 6. 1935 zurück (RGBl. I, 839, 842). Sie sollte vor allem die Lücke schließen, die sich bei der Erschleichung von Massenleistungen bezüglich der Anwendung des § 263 StGB ergaben […].
Die im Jahre 1935 eingeführte Vorschrift des § 265a StGB entsprach fast wörtlich dem § 347 StGB (Erschleichen freien Zutritts) des Entwurfs eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs von 1927, in dessen Begründung es u.a. heißt: „Erschleichen ist nicht gleichbedeutend mit Einschleichen. Auch wer offen durch die Sperre geht, sich dabei aber so benimmt, als habe er das Eintrittsgeld entrichtet, erschleicht den Eintritt. Auch ein bloß passives Verhalten kann den Tatbestand des Erschleichens erfüllen; so fällt auch der Fahrgast einer Straßenbahn unter die Strafdrohung, der sich entgegen einer bestehenden Verpflichtung nicht um die Erlangung eines Fahrscheins kümmert” (Materialien zur Strafrechtsreform, 4. Bd., Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches 1927 mit Begr. und 2 Anlagen [Reichstagsvorlage], 1954 [Nachdruck], S. 178, 179; Die Strafrechtsnovellen v. 28. 6. 1935 und die amtl. Begründungen, Amtl. Sonderveröffentlichungen der Deutschen Justiz Nr. 10, S. 41).
Die Vorschrift sollte also gerade diejenigen Fälle erfassen, in denen es unklar bleibt, ob der Täter durch täuschungsähnliches oder manipulatives Verhalten Kontrollen umgeht. Der gesetzgeberische Wille ist nicht etwa deswegen unbeachtlich, weil sich die bei Schaffung des Gesetzes bestehenden Verhältnisse insoweit geändert haben, als heute, auch zu Gunsten einer kostengünstigeren Tarifgestaltung, auf Fahrscheinkontrollen weitgehend verzichtet wird […].“.[46]

Der Rechtsprechung entgegengehalten wird insbesondere, dass ein solcher Wortsinn nicht zwingend sei, vielmehr setze ein Erschleichen ein Ergaunern, Heimlichkeit oder List voraus, wovon bei der bloßen Inanspruchnahme der Leistung nicht ausgegangen werden könne.[47] Ferner könne es keinen Anschein der Ordnungsmäßigkeit geben, da nicht davon ausgegangen werden kann, dass jeder Fahrgast einen Fahrschein mit sich führe. Insofern fehle es bereits an einer Verkehrsanschauung, wie sich ein ordnungsgemäßer Fahrgast verhalte.[48] Im Übrigen werde die Nähe zum Betrug so überdehnt, denn § 263 StGB schütze nicht bereits vor der unberechtigten Inanspruchnahme der Leistung, sondern vor Angriffen gegen die Entscheidungsfreiheit.[49]
Weiterhin bleibt unklar, wann und in welcher Form der Anschein der Ordnungsmäßigkeit durchbrochen werden kann. So reiche nach Auffassung des OLG Hamm selbst das vorherige Senden eines Briefes mit der Ankündigung der Schwarzfahrt an den Verkehrsbetrieb nicht aus, vielmehr sei der Anschein der Ordnungsmäßigkeit gegenüber den eingesetzten Kontrolleuren selbst maßgeblich.[50] Dies erscheint mit Blick auf die Tatsache, dass der Schutz des Vermögens der Leistungserbringer – also der Verkehrsbetriebe – geschützt werden soll, nicht konsistent.
Allerdings soll auch das Anbringen eines Aufnähers oder Kärtchens mit dem Text „Ich fahre umsonst“ an der Kleidung nicht ausreichen, um den Anschein der Ordnungsmäßigkeit zu durchbrechen.[51] Hierdurch würde der Täter nicht in offener und unmissverständlicher Art und Weise zum Ausdruck bringen, den Fahrpreis nicht zu entrichten.[52] Ein solcher Hinweis könne auch als bloße Provokation oder als ein Eintreten für freies Fahren in Bus und Bahn in Form einer politischen Stellungnahme verstanden werden.[53]
Zuletzt wird in systematischer Hinsicht gegen die Auffassung der Rechtsprechung angeführt, dass in allen anderen Varianten ein Erschleichen abgelehnt wird, wenn keine Zugangsbarriere besteht.[54] Dagegen hält der BGH, dass die übrigen Leistungen im Gegensatz zur Beförderung nur auf spezielle Anforderung hin erbracht werden, die Beförderungsleistung aber auch ohne ein konkretes Anfordern bereits vorhanden ist.[55]
Damit fordern weite Teile der Literatur auch innerhalb der Beförderungserschleichung ein Überwinden oder Umgehen präventiver Kontrollen oder sonstiger Vorrichtungen tatbestandlich zu prüfen.[56]
Der zuvor dargestellte Streit kann in der Klausur beliebig entschieden werden. Allerdings sollte, sofern der Sachverhalt Anhaltspunkte dafür liefert, dass der Klausurersteller eine Subsumtion zur Problematik des „offenen und unmissverständlichen zum Ausdruck bringen“ bezwecket, sich zwar argumentativ mit beiden Positionen auseinandergesetzt werden, im Ergebnis jedoch der Rechtsprechung gefolgt werden. Dies gilt erst Recht im Zweiten Staatsexamen.
D. Subjektiver Tatbestand
In subjektiver Hinsicht muss der gesamte objektive Tatbestand zunächst vom Vorsatz umfasst sein, hierfür genügt dolus eventualis.[57] Glaubt der Täter, er habe eine Fahrkarte dabei, handelt er nicht vorsätzlich.[58]
Weiterhin muss der Täter ausweislich des Wortlautes mit der Absicht handeln, dass Entgelt nicht zu entrichten. Hierfür bedarf es eines zielgerichteten Willens des Täters.[59] Entscheidend ist in Klausuren oftmals, dass der Vorsatz gerade zum Zeitpunkt der Tathandlung vorliegen muss (sog. Koinzidenzprinzip). Wer bereits ausreichend zur Bejahung der Absicht ist es jedoch, wenn die Entgeltvermeidung nicht das alleinige Ziel des Täters ist, sondern lediglich notwendiges Zwischenziel, um das eigentliche Ziel zu erreichen.[60]
E. Weiteres
Mit Erbringen der tatbestandlichen Leistung ist die Erschleichung vollendet, hierfür genügt der Beginn der Leistungserbringung.[61] Beendet ist die Tat mit dem Ende der Leistungserbringung.[62] Nicht erforderlich ist, dass der Täter die Leistung selbst entgegennimmt oder beansprucht, auch die Leistungserschleichung für Dritte ist ohne Weiteres erfasst.[63]
Die Strafbarkeit des Versuches ist – aufgrund der Eigenschaft des Deliktes als Vergehen – ausdrücklich in § 265a Abs. 2 StGB normiert.
265a Abs. 1 StGB enthält eine Subsidiaritätsklausel, sodass das Erschleichen von Leistungen formell subsidiär gegenüber ebenfalls verwirklichten Delikten ist, sofern die Tat dort mit schwererer Strafe bedroht ist. Die Subsidiaritätsklausel ist wörtlich zwar nicht beschränkt, nach teilweise vertretener Ansicht ist die Vorschrift jedoch nur gegenüber Delikten mit derselben Angriffsrichtung subsidiär, so etwa zu Vermögens- und Eigentumsdelikten wie z.B. §§ 263, 242, 263a StGB, nicht aber zu §§ 123, 146, 147, 267 StGB, denn Sinn und Zweck ist die Schließung von Strafbarkeitslücken insbesondere in Bezug auf § 263 StGB.[64] Zu anderen Delikten mit abweichender Angriffsrichtung soll daher Tateinheit möglich sein.[65] Andere vertreten, dass die Vorschrift gegenüber sämtlichen schwereren Delikten subsidiär ist.[66]
F. Summa
Der vorangegangene Grundlagenbeitrag zeigt, Diskussionen rund um die Strafwürdigkeit des tatbestandlich erfassten Verhaltens, insbesondere rund um die Beförderungserschleichung, sind durchaus begründet. Durch die weitreichende Position der Rechtsprechung – die sich jedoch aufgrund der vorgebrachten Argumente durchaus auch in der aktuellen Diskussion sehr gut vertreten lässt – wird nahezu jede Inanspruchnahme eines Beförderungsmittels ohne Fahrschein pönalisiert.
Allerdings darf nicht vergessen werden, auch abseits der Beförderungserschleichung besitzt die Norm einen – wenn auch praktisch nur geringen – Anwendungsbereich, der in der Klausur durchaus höher ausfallen kann.
Insgesamt betrachtet hält sich die Examensrelevanz des § 265a StGB in Grenzen, entscheidet das zuvor vermittelte Wissen regelmäßig nur über das Bestehen. Wird über den Klausurschwerpunkt hinaus jedoch auch der § 265a StGB sauber geprüft, sind gute Noten garantiert.
[1] BT-Drs. 18/7374, S. 1.
[2] ZDF Magazin Royal, abrufbar unter: https://www.zdf.de/comedy/zdf-magazin-royale/zdf-magazin-royale-vom-3-dezember-2021-100.html; ab Minute 11:20, letzter Abruf v. 23.12.2021.
[3] MüKo StGB/Hefendehl, 3. Auflage 2019, § 265a StGB Rn. 11 ff.; Hefendehl, JA 2011, 401, 406; Stolle, StudZR 2006, 27, 38.
[4] BayObLG, Urt. v. 18.7.1985 – RReg. 5 St 112/85, NJW 1986, 1504.
[5] MüKo StGB/Hefendehl, 3. Auflage 2019, § 265a StGB Rn. 4.
[6] Mitsch, NZV 2019, 70.
[7] Mitsch, NZV 2019, 70.
[8] Polizeiliche Kriminalstatistik 2020 Bund; abrufbar unter https://www.bka.de/DE/AktuelleInformationen/StatistikenLagebilder/PolizeilicheKriminalstatistik/PKS2020/PKSTabellen/BundFalltabellen/bundfalltabellen.html?nn=145506, letzter Abruf v. 23.12.2021.
[9] Kindhäuser/Böse, Strafrecht BT II, 11. Auflage 2020, § 33 Rn. 3.
[10] Schönke/Schröder/Perron, 30. Auflage 2019, § 265a StGB Rn. 4.
[11] MüKo StGB/Hefendehl, 3. Auflage 2019, § 265a StGB Rn. 26.
[12] Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Hellmann, 5. Auflage 2017, § 265a StGB Rn. 18.
[13] U.a. BGH, Urt. v. 22.4.1952 – 2 StR 101/52, MDR 1952, 563; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 29.7.1999 – 5 Ss 291/98 – 71/98 I, NJW 2000, 158.
[14] Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Heilmann, 5. Auflage 2017, § 265a StGB Rn. 19.
[15] Kudlich, JuS 2001, 20, 21.
[16] MüKo StGB/Hefendehl, 3. Auflage 2019, § 265a StGB Rn. 33.
[17] MüKo StGB/Hefendehl, 3. Auflage 2019, § 265a StGB Rn. 37; Kudlich, JuS 2001, 20, 22.
[18] Kindhäuser/Böse, Strafrecht BT II, 11. Auflage 2020, § 33 Rn. 6.
[19] Lackner/Kühl/ Heger, 29. Auflage 2018, § 265a StGB Rn. 3.
[20] RG, Urt. v. 10.12.1896 – 3777/96, RGSt 29, 244 f.
[21] BeckOK StGB/Valerius, Stand 1.11.2021, § 265a StGB Rn. 13.
[22] Kindhäuser/Böse, Strafrecht BT II, 11. Auflage 2020, § 33 Rn. 7.
[23] MüKo StGB/Hefendehl, 3. Auflage 2019, § 265a StGB Rn. 59.
[24] Schönke/Schröder/Perron, 30. Auflage 2019, § 265a StGB Rn. 6.
[25] Kindhäuser/Böse, Strafrecht BT II, 11. Auflage 2020, § 33 Rn. 9.
[26] Schönke/Schröder/Perron, 30. Auflage 2019, § 265a StGB Rn. 7; Kindhäuser/Böse, Strafrecht BT II, 11. Auflage 2020, § 33 Rn. 9.
[27] BeckOK StGB/Valerius, Stand 1.11.2021, § 265a StGB Rn. 10.
[28] OLG Düsseldorf, Beschl. v. 29.7.1999 – 5 Ss 291/98 – 71/98 II, NJW 2000, 158.
[29] Hichrichs, ZJS 2013, 407, 416.
[30] MüKo StGB/Hefendehl, 3. Auflage 2019, § 265a StGB Rn. 23, 89.
[31] Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Heilmann, 5. Auflage 2017, § 265a StGB Rn. 30.
[32] MüKo StGB/Hefendehl, 3. Auflage 2019, § 265a StGB Rn. 92.
[33] Schönke/Schröder/Perron, 30. Auflage 2019, § 265a StGB Rn. 7; MüKo StGB/Hefendehl, 3. Auflage 2019, § 265a StGB Rn. 92.
[34] Etter, CR 1988, 1021, 2022.
[35] BVerfG, Beschl. v. 9.2.1998 – 2 BvR 1907/97, NJW 1998, 1135, 1136.
[36] Kindhäuser/Böse, Strafrecht BT II, 11. Auflage 2020, § 33 Rn. 10.
[37] Lackner/Kühl/Heger, 29. Auflage 2018, § 265a StGB Rn. 6a.
[38] BGH, Beschl. v. 23.4.1985 – 1 StR 164/85, BeckRS 1985, 05500.
[39] MüKo StGB/ Hefendehl, 3. Auflage 2019, § 265a StGB Rn. 146.
[40] MüKo StGB/ Hefendehl, 3. Auflage 2019, § 265a StGB Rn. 146.
[41] Kindhäuser/Böse, Strafrecht BT II, 11. Auflage 2020, § 33 Rn. 19.
[42] MüKo StGB/ Hefendehl, 3. Auflage 2019, § 265a StGB Rn. 138; Fischer, NJW 1988, 1828, 1829.
[43] LG Freiburg, Beschl. v. 17.4.1990 – IV Qs 33/90, NStZ 1990, 343.
[44] Schönke/Schröder/Perron, 10. Auflage 2019, § 265a StGB Rn. 10.
[45] BGH, Beschl. v. 8.1.2009 – 4 StR 117/08, NStZ 2009, 211; OLG Hamburg, Urt. v. 18.12.1990 – 2a Ss 119/90, NStZ 1991, 587; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 16.10.1991 – 130/91 I, NStZ 1992, 84; OLG Stuttgart, Urt. v. 10.03.1989 – 1 Ss 635/88, NJW 1990, 924; letztlich bestätigt durch BVerfG, Beschl. v. 9.2.1998 – 2 BvR 1907-97, NJW 1998, 1135.
[46] BGH, Beschl. v. 8.1.2009 – 4 StR 117/08, NStZ 2009, 211, Rn. 12 ff.
[47] MüKo StGB/Hefendehl, 3. Auflage 2019, § 265a StGB Rn. 162.
[48] Exner, JuS 2009, 990, 992 f.; MüKo StGB/Hefendehl, 3. Auflage 2019, § 265a StGB Rn. 165.
[49] Exner, JuS 2009, 990, 993.
[50] OLG Hamm, Beschl. v. 10.3.2011 – 5 RVs 1/11, NStZ 3022, 206, 207.
[51] OLG Frankfurt, Urt. v. 23.12.2016 – 1 Ss 253/16, BeckRS 2016, 112425.
[52] OLG Frankfurt, Urt. v. 23.12.2016 – 1 Ss 253/16, BeckRS 2016, 112425 Rn. 9.
[53] KG, Beschl. v. 2.3.2011 – (4) 1 Ss 32/11 (19/11), NJW 2011, 2600.
[54] MüKo StGB/Hefendehl, 3. Auflage 2019, § 265a StGB Rn. 172.
[55] BGH, Beschl. v. 8.1.2009 – 4 StR 117/08, NStZ 2009, 211, Rn. 21.
[56] MüKo StGB/Hefendehl, 3. Auflage 2019, § 265a StGB Rn. 177; Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Heilmann, 5. Auflage 2017, § 265a StGB Rn. 37; Lackner/Kühl/Heger, 29. Auflage 2018, § 265a StGB Rn. 6a; Albrecht, NStZ 1988, 222, 224.
[57] Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Heilmann, 5. Auflage 2017, § 265a StGB Rn. 45.
[58] OLG Koblenz, Beschl. v. 11.10.1999 – 2 Ss 250/99, NJW 2000, 86, 87.
[59] Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Heilmann, 5. Auflage 2017, § 265a StGB Rn. 46.
[60] MüKo StGB/Hefendehl, 3. Auflage 2019, § 265a StGB Rn. 192.
[61] BayObLG, Beschl. v. 4.7.2001 – 5 St RR 169/01, BeckRS 2001, 30190872.
[62] MüKo StGB/Hefendehl, 3. Auflage 2019, § 265a StGB Rn. 205.
[63] MüKo StGB/Hefendehl,3. Auflage 2019, § 265a StGB Rn. 200.
[64] Schönke/Schröder/Perron, 30. Auflage 2019, § 265a StGB Rn. 14.
[65] Kindhäuser/Böse, Strafrecht BT II, 11. Auflage 2020, § 33 Rn 21.
[66] Lackner/Kühl/Heger, 29. Auflage 2018, § 265a StGB Rn. 8; MüKo StGB/Hefendehl, 3. Auflage 2019, § 265a StGB Rn. 213.

06.01.2022/1 Kommentar/von Dr. Yannick Peisker
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Yannick Peisker https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Yannick Peisker2022-01-06 09:00:332022-01-06 09:00:33Schwarzfahren und das Erschleichen von Leistungen – Ein Grundlagenbeitrag
Redaktion

Zivilrecht I – Juli 2020 – Berlin/Brandenburg – 1. Staatsexamen

Berlin, Brandenburg, Examensreport

Nachfolgend erhaltet ihr ein Gedächtnisprotokoll zu einer Examensklausur im Zivilrecht, die im Juli 2020 in Berlin und Brandenburg gestellt wurde. Ergänzungen und Korrekturanmerkungen sind wie immer gerne gesehen. Wir danken sehr herzlich für die Zusendung.
Unser Examensreport lebt von Eurer Mithilfe. Deshalb bitten wir Euch, uns Gedächtnisprotokolle Eurer Klausuren zuzuschicken, damit wir sie veröffentlichen können. Nur so können Eure Nachfolger genauso von der Seite profitieren, wie Ihr es getan habt.
Der 17-Jährige M hat von seinen Eltern ein Handy geschenkt bekommen, welches er ausschließlich nutzen soll. Eines Tages verkauft er es im Geschäft des Händlers H für 250€ (Verkehrswert 300€). Die Eltern des M sind natürlich nicht einverstanden. Der M geht zurück in das Geschäft des H, der meint, dass ja jeder behaupten könne, er sei minderjährig, um ein schlechtes Geschäft rückgängig zu machen. H schmeißt M aus seinem Geschäft. M hatte dabei nur auf die Herausgabe des Verkehrswertes in Geld gepocht, nicht aber auch auf die Herausgabe des Telefons. Jedoch hatte er dem H ggü. offengelegt, dass seine Eltern alles andere als einverstanden sind.
Es kommt wie es kommen muss: In der Nacht wird bei H eingebrochen und das Telefon von gänzlich unbekannten Tätern entwendet. Die Diebe sind nicht auffindbar. Irgendwann taucht das Telefon jedoch wieder auf, und zwar bei G, der das Handy gutgläubig von einem unbekannten Kleinanzeigenhändler erworben hatte. G selbst kennt einen Jurastudenten, der schon mal davon gehört hat, dass das Handy trotzdem als abhanden i.S.d. § 935 BGB geltend könnte. Diese Beurteilung sei jedoch sehr kompliziert und bedürfe längerer Ausführungen.
Frage 1: Hat M gegen G einen Anspruch auf Herausgabe des Telefons?
Frage 2: Welche Ansprüche hätte M gegen H, wenn das Handy nicht bei G auftauchen würde?

26.08.2020/3 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2020-08-26 08:40:092020-08-26 08:40:09Zivilrecht I – Juli 2020 – Berlin/Brandenburg – 1. Staatsexamen
Charlotte Schippers

Rechtsprechungsübersicht Strafrecht und Strafprozessrecht 1. Halbjahr 2020

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Bei der Vorbereitung auf die schriftliche und vor allem mündliche Examensprüfung, aber auch auf Klausuren des Studiums, ist die Kenntnis aktueller Rechtsprechung unbedingt erforderlich. Neue Urteile und Beschlüsse werden immer wieder als ein Teil der Prüfung herangezogen oder bei besonders wichtigen Entscheidungen ausdrücklich abgefragt. Der folgende Überblick soll für die examensrelevanten Entscheidungen in Strafsachen des Jahres 2020 (und Ende 2019) als Stütze dienen und Ausgangspunkt für eine tiefere Auseinandersetzung sein.
 
Strafrecht

BGH, Urt. v. 26.11.2019 – 2 StR 557/18: Strafrechtliche Verantwortlichkeit von JVA-Beamten für den Mord eines Häftlings während eines Freigangs

Zu folgendem Fall urteilte der BGH Ende letzten Jahres: T, Häftling in einer JVA, beging während eines Freigangs mehrere Straftaten, u.a. tötete er bei einer Flucht vor der Polizei, indem er mit rasanter Geschwindigkeit als „Geisterfahrer“ auf die Gegenfahrbahn fuhr, eine im Gegenverkehr befindliche junge Frau. Wegen dieser Tat wurde er wegen Mordes rechtskräftig zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Relevant war hier nun die Strafbarkeit der zuständigen JVA-Beamten.
Die Vorinstanz hatte eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung gem. § 222 StGB angenommen, der BGH sprach die Beamten nun frei: In ihrer Entscheidung, den Strafgefangenen in den offenen Vollzug zu verlegen und ihm weitere Lockerungen in Form von Freigängen zu gewähren, liege keine Sorgfaltspflichtverletzung; den Beamten stehen Beurteilungsspielraum und Ermessen zu, sodass

„die getroffene Entscheidung bis zur Grenze des Vertretbaren hinzunehmen [ist]. Bei der Beurteilung der Sorgfaltswidrigkeit darf sich das Gericht weder von einer aus dem späteren Kenntnisstand rückschauenden Wertung (ex post) leiten lassen, dass sich eine Prognoseentscheidung im Ergebnis als ,falsch‘ erwiesen hat, noch seine eigene, abweichende Prognoseentscheidung als Maßstab anlegen. Maßgebend ist vielmehr die fachliche und rechtliche Vertretbarkeit der Entscheidung aus der Perspektive der Lockerungsentscheidung (ex ante). Eine im Ergebnis falsche Prognose erweist sich als pflichtwidrig, wenn die Missbrauchsgefahr aufgrund relevant unvollständiger oder unzutreffender Tatsachengrundlage oder unter nicht vertretbarer Bewertung der festgestellten Tatsachen verneint worden ist.“ (Rn. 25)

Der BGH erläutert in der Folge, die Angeklagten hätten sich aus der maßgeblichen ex-ante-Sicht den Anforderungen entsprechend verhalten.
Diese examensrelevante Entscheidung hat Tobias Vogt besprochen.
 

BGH, Beschl. v. 17.12.2019 – 1 StR 364/18: Unvermeidbarer Verbotsirrtum bei Auskunft eines Rechtsanwalts und einer unzuständigen Behörde?

Mit Betäubungsmitteldelikten beschäftigte der BGH sich Ende letzten Jahres und erhielt hierbei auch die Gelegenheit, sich zu den Anforderungen an die Unvermeidbarkeit eines Verbotsirrtums zu äußern. Kurz gefasst ging es um den Apotheker A, der mit anderen zusammen einen Versandhandel mit über das Internet bestellten verschreibungspflichtigen Medikamenten, die Abhängigkeitserkrankungen verursachen können, führte. Diese wurden an Kunden aus dem Ausland, überwiegend in die USA, geliefert. Über die für die Ausfuhr nach dem BtMG erforderliche Erlaubnis verfügte keiner der Beteiligten. Rechtsanwalt R, der A an die anderen vermittelt hatte, hatte ihm mitgeteilt, das Vertriebssystem sei von weiteren Rechtsanwälten geprüft. Dazu zeigte er ihm mehrere Blätter, die er als Gutachten bezeichnete, ohne sie ihm aber zum Lesen zu überlassen. Zudem erhielt A von der Landesapothekerkammer Rheinland-Pfalz die telefonische Auskunft, gegen den Versand von Medikamenten ins Ausland auf der Grundlage von Rezepten bestünden keine Bedenken.
Festgestellt wurde ein Verbotsirrtum gem. § 17 S. 1 StGB des A. Fraglich war nun, ob dieser vermeidbar war oder nicht. Zu den Anforderungen an die Unvermeidbarkeit führt der BGH aus:

„Unvermeidbar ist ein Verbotsirrtum erst dann, wenn der Täter alle seine geistigen Erkenntniskräfte eingesetzt und etwa aufkommende Zweifel durch Nachdenken oder erforderlichenfalls durch Einholung verlässlichen und sachkundigen Rechtsrats beseitigt hat. Dabei müssen sowohl die Auskunftsperson als auch die Auskunft aus der Sicht des Täters verlässlich sein; die Auskunft selbst muss zudem einen unrechtsverneinenden Inhalt haben. Eine Auskunft ist in diesem Sinne nur dann verlässlich, wenn sie objektiv, sorgfältig, verantwortungsbewusst und insbesondere nach pflichtgemäßer Prüfung der Sach- und Rechtslage erteilt worden ist. Bei der Auskunftsperson ist dies der Fall, wenn sie die Gewähr für eine diesen Anforderungen entsprechende Auskunftserteilung bietet, sie muss insbesondere sachkundig und unvoreingenommen sein und mit der Erteilung der Auskunft keinerlei Eigeninteresse verfolgen. Zudem darf der Täter nicht vorschnell auf die Richtigkeit eines ihm günstigen Standpunkts vertrauen und seine Augen nicht vor gegenteiligen Ansichten und Entscheidungen verschließen. Maßgebend sind die jeweils konkreten Umstände, insbesondere seine Verhältnisse und Persönlichkeit; daher sind zum Beispiel sein Bildungsstand, seine Erfahrung und seine berufliche Stellung zu berücksichtigen.“ (Rn. 21)

Daher ist auch der Rat eines Rechtsanwalts nicht ohne weiteres vertrauenswürdig. Der Rat muss, von notwendiger Sachkenntnis getragen, nach eingehender sorgfältiger Prüfung erfolgen. Sind die Auskünfte offenkundig mangelhaft, reicht das nicht zur Entlastung, notwendig ist bei komplexen Sachverhalten ein detailliertes, schriftliches Gutachten. Die durch R erteilten Hinweise, ohne die Möglichkeit, die Blätter durchzulesen, hätten durch A hinterfragt werden müssen, subsumiert der BGH.
Hinsichtlich der telefonischen Auskunft ist zu berücksichtigen, dass unzutreffende Auskünfte unzuständiger Behörden nur dann zur Unvermeidbarkeit des Irrtums führen können, wenn sich für den Täter die fehlende Zuständigkeit und Beurteilungskompetenz nicht aufdrängt (s. dazu BGH, Beschl. v. 2.2.2000 – 1 StR 597/99).

„Bei [A] handelt es sich um einen approbierten Apotheker mit langjähriger Berufserfahrung. Zur Ausbildung eines Apothekers gehören auch Grundkenntnisse im Betäubungsmittel- und Arzneirecht. Gerade aufgrund seiner beruflichen Stellung und der hiermit verbundenen Verpflichtungen war von [A] zu erwarten, dass ihm bekannt ist, dass der Handel mit Benzodiazepinen und NonBenzodiazepinen wegen der erhöhten Gefahr einer Abhängigkeitserkrankung bei dauerhaftem Konsum einer besonderen betäubungsmittelrechtlichen Kontrolle unterliegt und daher einer betäubungsmittelrechtlichen Erlaubnis bedarf. Jedenfalls hätte er dies bei gebotener Anstrengung von Verstand und Gewissen erkennen können. Gleichermaßen hätte er – unter Berücksichtigung seiner beruflichen Stellung und Erfahrung – erkennen können, dass er sich an das für die Erteilung von Erlaubnissen und Genehmigungen im Betäubungsmittelrecht zuständige BfArM [Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte] hätte wenden müssen.“ (Rn. 21)

Schließlich verneint der BGH, dass das BfArM ebenfalls dieselbe Auskunft gegeben hätte:

„Hat der Täter einer Erkundigungspflicht nicht genügt, so setzt die Feststellung von Vermeidbarkeit voraus, dass die Erkundigung zu einer richtigen Auskunft geführt hätte.“ (Rn. 21)

Insbesondere wegen der Ausführungen zu den Anforderungen an die Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums handelt es sich hierbei somit um eine wichtige und examensrelevante Entscheidung.
 

BGH, Beschl. v. 8.1.2020 – 4 StR 548/19: Erpressung bei Nötigung zur Begehung von Eigentumsdelikten?

T brauchte dringend Geld, um sich Marihuana kaufen zu können. Deswegen bedrohte er zwei 13-jährige Jungen mit einem Messer und forderte sie auf, für ihn in der Innenstadt Wertgegenstände zu stehlen. Wie beabsichtigt, hatten die beiden Jungen Angst vor ihm und waren von dem vorgehaltenen Messer so beeindruckt, dass sie sich nicht zu widersetzen wagten. Auf dem Weg in die Innenstadt konnten sie aber weglaufen.
Der BGH beschäftigte sich mit der Strafbarkeit des T wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung gem. §§ 253 Abs. 1, 255, 250 Abs. 2 Nr. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB. Die Erpressung scheitert am Vermögensnachteil der Genötigten – das abverlangte Verhalten liegt „nur“ in der Begehung strafbarer Handlungen, ein Vermögensschaden auf Seiten des Nötigungsopfers fehlt. Weiterhin wäre für eine Dreieckserpressung ein Näheverhältnis zwischen dem Genötigten und dem zu Schädigenden erforderlich, an dem es hier, wie der BGH knapp feststellt, fehlte (vgl. auch BGH,  Urt. v.  20. 4.1995 ‒ 4 StR 27/95). Somit kam hier nur eine Strafbarkeit wegen versuchter Nötigung in zwei tateinheitlichen Fällen gem. §§ 240 Abs. 1, 2, 3, 22, 23 Abs. 1 StGB infrage.
 

BGH, Beschl. v. 22.1.2020 – 3 StR 526/19: Wohnungen i.S.d. § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB

Der BGH beschäftigte sich zur Klärung der Frage, ob die Wohnung eines Verstorbenen auch eine Wohnung i.S.d. § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB ist, mit folgendem (leicht abgewandeltem und gekürztem) Sachverhalt: Einbrecher E beschloss, vorrangig in die Häuser von Verstorbenen einzubrechen. Über entsprechende Todesfälle informierte er sich durch Traueranzeigen in der Tageszeitung. In der Folgezeit brach er, entsprechend seines Plans, unter Aufhebeln von Fenstern und Terassentüren in verschiedene Wohnungen von Verstorbenen ein.
In dem Beschluss bejahte der BGH, dass es sich bei den Immobilien, die noch voll eingerichtet und funktionsfähig waren, um Wohnungen im Sinne des § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB handelte mit einer lehrbuchartigen Gesetzesauslegung:

„Dafür spricht zunächst der Wortlaut der Vorschrift. Der Begriff „Wohnung“ bezeichnet eine für die private Lebensführung geeignete und in sich abgeschlossene Einheit von gewöhnlich mehreren Räumen. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch ist somit der Zweck der Stätte maßgebend, nicht deren tatsächlicher Gebrauch. […].
Diese Betrachtungsweise erfährt ihre Bestätigung in der Gesetzessystematik. Das Strafgesetzbuch sieht bei Einbruchdiebstählen eine Staffelung in Deliktsschwere und Strafmaß vor, die vom besonders schweren Fall des Diebstahls gemäß § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StGB über den Wohnungseinbruch im Sinne des § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB bis zum Einbruch in eine dauerhaft genutzte Privatwohnung nach § 244 Abs. 4 StGB reicht. Spätestens mit Einführung der letztgenannten Vorschrift im Jahr 2017 hat der Gesetzgeber deutlich gemacht, dass er die (dauerhafte) Nutzung der Wohnung nicht als tatbestandliche Voraussetzung des einfachen Wohnungseinbruchdiebstahls nach § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB verstanden wissen will. Die sprachliche Betonung dieses zusätzlichen Tatbestandsmerkmals in § 244 Abs. 4 StGB wäre sonst nicht geboten gewesen.“ (Rn. 16 f.)

Er argumentiert an dieser Stelle mit weiteren Delikten, namentlich § 123 Abs. 1 StGB, § 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB und § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB, die sich auch in der Klausur gut zur Begründung heranziehen lassen!

„Schließlich gebieten Sinn und Zweck der Qualifikation aus § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB die Einbeziehung von unbewohnten Immobilien, jedenfalls so lange sie nicht als Wohnstätte entwidmet sind. Die Vorschrift soll das Eigentum an höchstpersönlichen Gegenständen und die häusliche Integrität an sich schützen. Diese Rechtsgüter können auch dann verletzt sein, wenn sie neben den aktuellen Bewohnern weiteren Personen zuzuordnen sind, die einen Bezug zu den Räumlichkeiten aufweisen – etwa, weil sie sich häufig in ihnen aufhalten, weil es sich um ihr Elternhaus handelt oder weil sie in dem Haus private Gegenstände lagern.“

Somit bejahte der BGH den Wohnungseinbruchsdiebstahl.
 

OLG Hamm, Beschl. v. 7.4.2020 – 4 RVs 12/20: Verwendung einer fremden EC-Karte zum kontaktlosen Zahlen

Ein Dauerbrenner im Examen sind die EC-Karten-Fälle, sodass sich ein Blick auf die aktuelle Entscheidung des OLG Hamm zum kontaktlosen Zahlen mit einer fremden EC-Karte lohnt. Folgender Fall (leicht abgewandelt und gekürzt) wurde entschieden: T erhielt von seiner Bekannten B die auf der Straße gefundene Geldbörse des O, in der sich neben ein wenig Bargeld und diversen Papieren und Karten auch eine EC-Karte befand. Mit dieser Karte tätigte T Einkäufe, u.a. im H-Markt, durch kontaktloses Bezahlen – also Auflegen der Karte auf das Lesegerät –, die jeweils einen Wert von unter 25 Euro hatten, sodass die Eingabe der PIN nicht erforderlich war. Diese Tatsache war T bekannt und er nutzte sie bewusst aus.
Eine Strafbarkeit wegen Betrugs gem. § 263 StGB lehnte das OLG ab, denn eine Täuschung liege bei der Zahlung ohne PIN-Abfrage nicht vor. Nach lesenswerten Ausführungen zu den Elementen der kontaktlosen Zahlung, folgert das OLG:

„Vor dem Hintergrund dieser Zahlungsmodalitäten hatten die Kassenkräfte des H-Marktes vorliegend keinerlei Anlass, sich Vorstellungen über die Berechtigung des Angeklagten zur Kartenverwendung zu machen. Im Gegenteil liefen sie vielmehr Gefahr, bei positiver Kenntnis von der Nichtberechtigung wegen kollusiven Zusammenwirkens mit dem Kartenverwender ihren Zahlungsanspruch gegen die […] kartenausgebende[…] Bank zu verlieren, weshalb aus Händlersicht gerade kein Anreiz bestand, über die Berechtigung des Angeklagten nachzudenken und so womöglich bösgläubig zu werden. Auch traf den Betreiber des H-Marktes bzw. seine Kassenmitarbeiter nach den Händlerbedingungen gegenüber der […] kartenausgebende[n] Bank keine Pflicht, die Berechtigung des Angeklagten anderweitig zu überprüfen, etwa durch Ausweiskontrolle. Damit aber fehlt es an einer Grundlage für die Annahme, dass der Angeklagte als Kunde seine Berechtigung zur Kartennutzung nach der Verkehrsanschauung fälschlich konkludent erklärt hätte und dass die Kassenmitarbeiter wenigstens im Sinne eines sachgedanklichen Mitbewusstseins einer entsprechenden irrigen Vorstellung unterlegen wären.“ (Rn. 14)

Gleichfalls scheidet auch ein Computerbetrug nach § 263a StGB aus, insbesondere wird nicht die einzig in Betracht kommende Variante der unbefugten Verwendung von Daten erfüllt – die h.M. setzt nämlich für das Merkmal „unbefugt“ voraus, dass die Verwendung gegenüber einer natürlichen Person Täuschungscharakter hätte. Das scheidet hier aber aus, denn geprüft werden mit dem Vorhalten der Karte vor das Lesegerät nur die Einhaltung des Verfügungsrahmens, die Nicht-Eintragung in eine Sperrdatei und das Vorliegen der Voraussetzungen für das Absehen von der starken Kundenauthentifizierung.
In Betracht zieht das OLG nach Verneinung einiger anderer Delikte schließlich noch eine Urkundenunterdrückung nach § 274 I Nr. 2 StGB: Die Verwendung der Karte im kontaktlosen Bezahlvorgang stellt eine Löschung/Veränderung beweiserheblicher Daten dar:

„Der noch bestehende Verfügungsrahmen sowie die Umstände der bisherigen Kartennutzung seit der letzten PIN-Abfrage stellen Gedankenerklärungen dar, die durch die Speicherung im Autorisierungssystem bzw. auf dem Chip der ec-Karte perpetuiert sind. Weiterhin sind diese Daten auch beweiserheblich, weil sie für die Autorisierung weiterer Bezahlvorgänge mit der ec-Karte relevant sind. Nur wenn der Verfügungsrahmen noch nicht ausgeschöpft ist und in Bezug auf die Umstände der bisherigen Kartennutzung die Voraussetzungen […] für das Absehen von der PIN-Abfrage erfüllt sind, erteilt die kartenausgebende Bank im POS-Verfahren die Autorisierung der Zahlung (ohne PIN-Abfrage). Anders als im Hinblick auf die Transaktionsdaten ist in Bezug auf den Verfügungsrahmen und die Umstände der bisherigen Kartennutzung auch die Garantiefunktion des Urkundenbegriffs erfüllt. Es ist nämlich die kartenausstellende Bank als Aussteller dieser Daten ohne Weiteres erkennbar.“ (Rn. 37)

Verwirklicht wurde darüber hinaus auch § 303a Abs. 1 StGB.
Insgesamt ist das hier also eine wichtige und examensrelevante Entscheidung, die man sich genauer anschauen sollte!
 

BGH, Beschl. v. 14.4.2020 – 5 StR 93/20: Mordmerkmal der gemeingefährlichen Mittel in Abgrenzung zur „Mehrfachtötung“

Im April hat der BGH die Anforderungen an das Mordmerkmal der gemeingefährlichen Mittel (speziell für den Fall naturgemäß gemeingefährlicher Mittel) konkretisiert. Folgender Sachverhalt (gekürzt) lag dem zugrunde: T zündete in dem von ihm bewohnten Zimmer im 1. OG eines Wohnkomplexes eine auf seinem Bett liegende Wolldecke an, schloss die Zimmertür und verließ das Haus. Es war ihm bewusst, dass A und B sich im 1. OG aufhielten und C sich möglicherweise im Dachgeschoss befand. Mögliche Verletzungen oder den Tod der anderen nahm T in Kauf. A entdeckte den Brand und alarmierte B und C. Sie flüchteten und alarmierten die Feuerwehr. A und C erlitten Rauchgasvergiftungen. Die Feuerwehr konnte ohne Atemschutz nur bis zur Hälfte der Holztreppe ins OG vordringen; ab dort bestand akute Lebensgefahr. Der im Zimmer des T lodernde Vollbrand konnte schließlich gelöscht werden.
Maßgeblich war zunächst die Frage, ob ein gemeingefährliches Mittel vorliegt, wobei die Tatsache, dass T den Brand in seinem Zimmer gelegt hat, die Gemeingefährlichkeit des Mittels nicht grundsätzlich ausschließt, vielmehr wohnt Handlungen wie der vorliegenden aufgrund ihrer naturgemäß fehlenden Beherrschbarkeit die Gemeingefährlichkeit bereits inne:

„Es gibt nach ihrer Eigenart grundsätzlich gemeingefährliche Mittel, bei denen allenfalls im Einzelfall die Beherrschbarkeit bejaht oder bei der speziellen Art ihrer Handhabung die Gefahr für eine Vielzahl von Menschen ausnahmsweise verneint werden kann. Dazu zählen Brandsetzungsmittel und Explosionsstoffe. Bei ihnen hat der Täter die Folgen seines Tuns typischerweise nicht in der Hand […]. An der gemeingefährlichen Verwendung fehlt es bei an sich nicht beherrschbaren Mitteln nur dann, wenn der Täter im konkreten Fall davon ausgeht, es könne dadurch nur die zur Tötung ins Auge gefasste Person getroffen werden.“ (Rn. 9)

Wichtig war außerdem die Abgrenzung zu „Mehrfachtötungen“, wobei es nach früherer Rspr. darauf ankam, ob sich die Tat trotz Einsatzes eines naturgemäß gemeingefährlichen Mittels gegen einen individualisierten Kreis von Personen richtet – dann war das Vorliegen dieses Mordmerkmals zu verneinen (s. BGH, Beschl. v. 18.7.2018 – 4 StR 170/18). Daran zweifelte der BGH aber nun:

„Es erscheint wertungswidersprüchlich, den Täter, der von vornherein eine konkrete Vielzahl von Opfern durch ein in seinem Gefahrenpotential nicht beherrschbares Mittel tötet, gegenüber demjenigen zu privilegieren, der ohne diese Konkretisierung aufgrund der Gemeingefahr des Tötungsmittels auch nicht bereits individualisierte Opfer in Kauf nimmt. Ausgehend von der bisherigen Rechtsprechung müsste in Fällen nicht weiterer Aufklärbarkeit der Tätervorstellung der Zweifelssatz für die Annahme sprechen, dem Täter sei es gerade auf die Tötung aller in die Gefahrenlage einbezogenen Personen angekommen. Weder die Formulierung noch der Sinn und Zweck des Mordmerkmals gebieten nach Ansicht des Senats eine solche Auslegung. Das gesetzliche Tatbestandsmerkmal stellt lediglich auf die vom Vorsatz umfasste Art des Tatmittels, nicht auf die Konkretisierung des Opfers in der Vorstellung des Täters ab. Die Unbestimmbarkeit des Opferkreises folgt vielmehr aus der besonderen Art des Tötungsmittels, das nach Freisetzung der in ihm ruhenden Kräfte für den Täter nicht mehr beherrschbar ist. Entscheidend muss es deshalb darauf ankommen, ob für den Angeklagten nicht mehr berechenbar ist, wie viele Menschen durch das Tatmittel verletzt und getötet werden können, weil er den Umfang der Gefährdung nicht beherrscht […]. Hat es der Täter bewusst nicht in der Hand, wie viele Menschen in den von ihm geschaffenen Gefahrenbereich geraten und durch sein Verhalten gefährdet werden, tötet er nach Ansicht des Senats auch dann mit gemeingefährlichen Mitteln, wenn er mit dem für ihn unbeherrschbaren Mittel eigentlich nur eine bestimmte Zahl konkreter Menschen töten will […].“ (Rn. 11 f.)

Im vorliegenden Fall fehlte aber sowieso die Individualisierung des Opferkreises, sodass die Frage i.E. nicht abschließend beurteilt werden musste.
Für weitere Details sei auf die ausführliche Besprechung von Melanie Jänsch verwiesen.
 

BGH, Beschl. vom 19.5.2020 – 4 StR 140/20: Habgier bei angestrebter staatlicher Versorgung in einer JVA?

Einen versuchten Mord aus Habgier nahm der BGH in vorliegendem Fall an: Der vermögenslose und nicht krankenversicherte A nahm sich vor, eine schwere Straftat begehen, um langfristig Unterkunft, Verpflegung und Krankenversorgung in einer JVA zu erhalten. In dieser Absicht fuhr er mit seinem Fahrzeug mit mindestens 80 km/h gezielt von hinten auf den auf einem Fahrradweg radelnden B auf. A wollte ihn erheblich verletzen. Zudem hielt er den Eintritt seines Todes ernsthaft für möglich und nahm ihn billigend in Kauf. B wurde von seinem Fahrrad geschleudert und erlitt durch den Aufprall und den Sturz schwere Verletzungen.
Zur Erinnerung:

„Habgier bedeutet ein Streben nach materiellen Gütern oder Vorteilen, das in seiner Hemmungslosigkeit und Rücksichtslosigkeit das erträgliche Maß weit übersteigt und das in der Regel durch eine ungehemmte triebhafte Eigensucht bestimmt ist. Voraussetzung hierfür ist, dass sich das Vermögen des Täters ‒ objektiv oder zumindest nach seiner Vorstellung ‒ durch den Tod des Opfers unmittelbar vermehrt oder dass durch die Tat jedenfalls eine sonst nicht vorhandene Aussicht auf eine Vermögensvermehrung entsteht.“ (2. a))

A wollte nun durch seine Tat lediglich eine langfristige Versorgung durch eine staatliche Einrichtung und dadurch eben auch eine Verbesserung seiner Vermögenslage i.S.e. rücksichtslosen Gewinnstrebens erreichen. Dass sich hiermit eine Begehung aus Habgier begründen lässt, wird auch nicht durch die Nachteile der Inhaftierung widerlegt, da diese für A nicht maßgeblich waren und er vornehmlich aufgrund der Vermögensvorteile handelte. Weiter begründet der BGH das Mordmerkmal der Habgier:

„Für die Annahme einer Tötung aus Habgier ist ferner unerheblich, dass der erstrebte Vermögensvorteil nicht unmittelbar aus dem Vermögen des Opfers stammen sollte. Ebenso steht einem Mordversuch aus Habgier nicht entgegen, dass der Angeklagte eine staatliche Versorgung auch auf legale Weise durch Beantragung von Sozialleistungen hätte erreichen können. Einen funktionalen Zusammenhang zwischen Tötung und Vermögensvermehrung in dem Sinne, dass der Angriff auf das Leben aus Sicht des Täters unerlässliches Mittel zur Zielerreichung ist, setzt das Mordmerkmal nicht voraus; entscheidend ist vielmehr die Motivation des Täters.“ (2. b)).

 

BGH, Beschl. v. 19.5.2020 – 6 StR 85/20: Erpresste Bankkarte und leeres Bankkonto

Der BGH traf ebenfalls am 19. Mai dieses Jahres einen Beschluss, wobei er die Anforderungen an einen Vermögensnachteil i.S.d. § 253 StGB darstellte. Der Sachverhalt ist schnell erzählt: T bedrohte O mit einer Schreckschusspistole und forderte ihn auf, am Automaten Geld abzuheben. Das gelang O aber nicht, da sein Konto nicht ausreichend gedeckt war. Daraufhin zwang T ihn unter Drohung mit der Waffe zur Aushändigung der EC-Karte und der PIN. Eine Strafbarkeit wegen Erpressung scheitert aber am Vermögensschaden:

„Zwar ist der Nachteil für das Vermögen i.S. des § 253 StGB gleichbedeutend mit der Vermögensbeschädigung beim Betrug, so dass auch schon eine bloße Vermögensgefährdung einen Vermögensnachteil darstellt. Dabei kommt es aber entscheidend darauf an, ob im Einzelfall durch die Verfügung das Vermögen konkret gefährdet, also mit wirtschaftlichen Nachteilen ernstlich zu rechnen ist. Durch die Kenntnis der geheimen Zugangsdaten zu einem Bankkonto ist das Vermögen des Opfers grundsätzlich beeinträchtigt, wenn sich der Täter zudem im Besitz der zugehörigen Bankkarte befindet und ihm deshalb die jederzeitige Zugriffsmöglichkeit auf den Auszahlungsanspruch des Berechtigten gegenüber der die Karte akzeptierenden Bank eröffnet ist.“ (Rn. 4)

Das setzt aber voraus, dass tatsächlich mit wirtschaftlichen Nachteilen zu rechnen ist, was hier jedoch mangels Deckung des Kontos nicht der Fall ist.
Auch hierbei handelt es sich also um eine Entscheidung, die man sich in Anbetracht der Examensrelevanz der einschlägigen Delikte zu Gemüte führen sollte.
 

BGH, Beschl. v. 23.6.2020 – 5 StR 164/20: Mehrfacher Einsatz einer fremden EC-Karte an demselben Geldautomaten

Noch ein EC-Karten-Fall hat den BGH diesen Juni beschäftigt, in konkurrenzrechtlicher Hinsicht: T erlangte EC-Karte und PIN des O. Daraufhin hob er an einem Geldautomaten der örtlichen Sparkasse zunächst 400 € und etwa eine Minute später weitere 600 € ab.

„Bei mehrfachem unberechtigtem Einsatz einer fremden ec-Karte an demselben Geldautomaten innerhalb kürzester Zeit – mit von vornherein auf die Erlangung einer möglichst großen Bargeldsumme gerichtetem Vorsatz – stellen die einzelnen Zugriffe eine einheitliche Tat nach § 263a StGB im materiellrechtlichen Sinne dar.“ (Rn. 3)

 
Strafprozessrecht

BGH, Beschl. v. 11.3.2020 – 4 StR 307/19: Kein Strafklageverbrauch durch Einstellung durch die Staatsanwaltschaft gem. § 153 Abs. 1 StPO

In einem Beschluss dieses Jahr stellte der BGH klar, dass eine Verfahrenseinstellung der Staatsanwaltschaft nach § 153 Abs. 1 StPO ohne Zustimmung des Gerichts kein Verfahrenshindernis begründet und der Aburteilung der Tat daher nicht entgegensteht, es kommt nicht mal ein begrenzter Strafklageverbrauch infrage. Das ist insofern anders als bei einer gerichtlichen Verfahrenseinstellung nach § 153 Abs. 2 StPO, nach der eine Verfahrensfortführung nur unter den Voraussetzungen des § 153a Abs. 1 S. 5 StPO möglich ist.

„Denn anders als bei einem gerichtlichen Beschluss nach § 153 Abs. 2 StPO, der auf der Grundlage einer auch für ein Urteil ausreichenden Sachverhaltsaufklärung ergehen kann, handelt es sich bei der staatsanwaltschaftlichen Einstellung nach § 153 Abs. 1 StPO strukturell um eine Entscheidung, der unter dem Gesichtspunkt des Verfahrensschutzes nicht die einem Urteilsverfahren ähnliche Verlässlichkeit zuzumessen ist. […] Da die Staatsanwaltschaft die von ihr […] verfügte Wiederaufnahme des Verfahrens auf neue Erkenntnisse und Tatsachen, die den Verdacht einer vorsätzlichen Tatbegehung begründeten, gestützt hat, liegt auch kein Verstoß gegen das Willkürverbot vor.“ (Rn. 4)

Alles in allem also eine Entscheidung, die sich gut in einer StPO-Zusatzfrage z.B. abfragen lässt, da man hier gut den Vergleich der Einstellung nach § 153 Abs. 1 StPO und der nach Abs. 2 ziehen kann.
 

BGH, Beschl. v. 27.5.2020 – 5 StR 166/20: Entzug des letzten Wortes bei Missbrauch

Kurz gehalten ist der Beschluss des BGH zu dem Fall, dass der Angeklagte eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragte, weil ihm nicht ausreichend Gelegenheit zum letzten Wort (§ 258 StPO) gegeben worden sei, als ihm nach fünf Tagen das Wort entzogen wurde:

„Nach zehn Tagen Beweisaufnahme konnte er fünf Tage lang Ausführungen zu seiner Verteidigung machen. Dass er durch die Vorsitzende dabei 31 mal darauf hingewiesen wurde, dass seine Ausführungen Wiederholungen und Weitschweifigkeiten enthalten, und ihm schließlich eine Frist zur Beendigung seiner Ausführungen gesetzt wurde, lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Denn ein Vorsitzender darf nach § 238 Abs. 1 StPO einschreiten, wenn sich die Ausführungen des Angeklagten in seinem letzten Wort mit nicht zur Sache gehörenden Umständen befassen, fortwährende Wiederholungen oder andere unnütze Weitschweifigkeiten enthalten oder sonst einen Missbrauch seines letzten Wortes darstellen. Nach mehrmaligen erfolglosen Ermahnungen ist auch der Entzug des letzten Wortes möglich.“ (Rn. 7)

 

Weitere Beiträge

Folgende Beiträge beschäftigen sich nicht mit Entscheidungen aus dem hier betrachteten Zeitraum, sind aber dieses Jahr erschienen und behandeln Examensrelevantes:
 
Unsere ausführliche Besprechung des Beschlusses des OLG Karlsruhe vom 13.3.2019 (1 Rv 3 Ss 691/18) zur Manipulation von Warenetiketten, wobei das Gericht über einen examensrelevanten Fall entschied, der sich im Kontext der Vermögens- und auch Urkundendelikte bewegt: Der Täter tauschte zwei Warenetiketten aus und zahlte an der Kasse in der Folge einen „falschen“ geringeren Preis, was der Kassiererin nicht auffiel. Er machte sich dadurch strafbar wegen Betrugs, woran sich im Hinblick auf den Vermögensschaden auch nichts dadurch ändert, dass er von einer Ladendetektivin beobachtet und vor Verlassen des Ladens aufgehalten wurde:

„Dass der von dem Täter erstrebte Vermögensvorteil erlangt oder auch nur erreichbar ist, ist hingegen wegen der überschießenden Innentendenz zur Tatbestandsvollendung nicht erforderlich. Danach ist erst recht dann von Vollendung auszugehen, wenn der Täter die rechtswidrig erstrebte Vermögensposition – wie hier Eigentum und Besitz an der Schlauchtrommel – bereits erlangt hat, diese aber noch nicht gegen die unmittelbar drohende Erhebung berechtigter Rückgabeansprüche des Geschädigten sichern konnte, weil er sich noch in dessen Herrschaftsbereich aufhält und seine Tat von einem im Auftrag des Geschädigten handelnden, eingriffsbereiten Dritten beobachtet wurde.“ (Rn. 22)

Eine Urkundenunterdrückung hat der Täter ebenfalls verwirklicht, denn das Etikett i.V.m. der Ware stellt eine zusammengesetzte Urkunde dar, die durch das Abreißen des Etiketts, um das Austauschen zu ermöglichen, vernichtet wurde. Eine Urkundenfälschung kam im konkreten Fall aber nicht in Betracht.
 
Der Beitrag von Dr. Lorenz Bode, in dem er klausurtaktische Hinweise zu dem Beschluss des BGH vom 6.6.2019 (STB 14/19) zu Beweisverwertungsverboten und Widerspruchslösung gibt. Hier wurde die Pflicht, dass Beweisverwertungsverbote im Ermittlungsverfahren „unabhängig von einem Widerspruch des Beschuldigten von Amts wegen zu beachten“ sind, „auch wenn der zugrundeliegende Verfahrensmangel eine für ihn disponible Vorschrift betrifft“, festgeschrieben.
 
Keine Gerichtsentscheidung, aber eine brandaktuelle Frage wird im Beitrag von Tobias Vogt behandelt: Es geht um die Strafbarkeit durch Ansteckung mit dem Coronavirus, die im Kontext einer Anzeige gegen eine Strafrichter wegen versuchter Körperverletzung, nachdem dieser auf die Durchführung einer Gerichtsverhandlung bestand, auch im Grundsatz betrachtet wird. Hierbei kommt die Möglichkeit einer Strafbarkeit wegen gefährlicher Körperverletzung, §§ 223, 224 StGB, in Betracht, die aber wohl häufig am fehlenden Vorsatz scheitern wird. Dann ist aber an eine fahrlässige Körperverletzung, § 229 StGB, denkbar. Bei tödlichem Verlauf ist natürlich an die Tötungsdelikte zu denken, auch ist immer der Versuch zu berücksichtigen.

03.08.2020/1 Kommentar/von Charlotte Schippers
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Charlotte Schippers https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Charlotte Schippers2020-08-03 08:16:002020-08-03 08:16:00Rechtsprechungsübersicht Strafrecht und Strafprozessrecht 1. Halbjahr 2020
Redaktion

Strafrecht – Dezember 2019 – NRW – 1. Staatsexamen

Examensreport, Examensvorbereitung, Lerntipps, Nordrhein-Westfalen, Rechtsgebiete, Startseite, Strafrecht

Nachfolgend erhaltet ihr ein Gedächtnisprotokoll zur Examensklausur Strafrecht, 1. Staatsexamen, NRW, Dezember 2019. Ergänzungen und Korrekturanmerkungen sind wie immer gerne gesehen. Wir danken sehr herzlich für die Zusendung.
Unser Examensreport lebt von Eurer Mithilfe. Deshalb bitten wir Euch, uns Gedächtnisprotokolle Eurer Klausuren zuzuschicken, damit wir sie veröffentlichen können. Nur so können Eure Nachfolger genauso von der Seite profitieren, wie Ihr es getan habt.
A und V haben einen notariellen Kaufvertrag über ein Grundstück mit Haus zum – dem Wert entsprechenden – Preis von 200.000 € (Wert des Hauses: 150.000 €) geschlossen. Es wird vereinbart, dass A erst nach vollständiger Kaufpreiszahlung Eigentümer werden soll.
Im Haus befinden sich zwei Wohnungen, eine im Untergeschoss und eine im Obergeschoss, die durch ein offenes Treppenhaus ohne besondere Brandschutzsicherung verbunden sind.
A hat bereits 180.000€ an V gezahlt. Mit Einverständnis des V zieht A bereits in die Wohnung im Untergeschoss und vermietet die obere Wohnung – ebenfalls mit Einverständnis des V –  an die Mieterin M. M wird häufig von ihrem Lebensgefährten L besucht, was A weiß.
A kann den restlichen Kaufpreis nicht aufbringen. V fordert ihn auf, auszuziehen, A denkt jedoch nicht daran. Stattdessen beschließt er, bei der Versicherungsgesellschaft G, bei der er einen Gebäudebrandversicherungsvertrag für die Zeit bis zum Eigentumsübergang abgeschlossen hat, einen Einbruch mit Brandstiftung zu melden, um an die Versicherungssumme in Höhe von 40.000 € zu kommen. Er bittet seinen Freund B, dem er erzählt, dass er sonst nicht Eigentümer des Hauses werden kann, einen Brand in der Wohnung des A zu legen. Er will das Geld aus der Versicherung nutzen, um die Wohnung zu renovieren und den restlichen Kaufpreis zu zahlen, was er B auch mitteilt.
Wahrheitswidrig behauptet er gegenüber B, die M sei noch nicht in die Wohnung eingezogen, sondern die Wohnung im Obergeschoss sei leerstehend. B hält das Vorgehen für geeignet, A die Versicherungssumme zu verschaffen. Er erklärt sich mit dem Plan einverstanden, um A einen Gefallen zu tun und auch damit A in der Wohnung bleiben kann.
An einem Samstagabend, an dem A – um ein Alibi zu haben – nicht zu Hause ist, schreibt er B eine SMS und bittet ihn, den Plan umzusetzen. Dabei weiß A, das M und L allein in der Wohnung der M sind und geht davon aus, dass sie zum Tatzeitpunkt schlafen. A hält es für möglich, dass die Brandfolgen auch auf die Wohnung im Obergeschoss übergreifen können und es zu tödlichen Verletzungen für M und L kommen kann. Mit einem Übergreifen des Feuers auf Nachbargebäude rechnet A nicht. Er geht nicht davon aus, dass B bis zur Tat Kenntnis davon erlangt, dass M bereits in der Wohnung wohnt und sich M und L in der Wohnung aufhalten.
B begibt sich zur Wohnung des A. Dort angekommen hört er Stimmen aus dem Obergeschoss. Er geht durch das Treppenhaus nach oben und bemerkt, dass sich außer ihm noch zwei andere Personen im Haus aufhalten. Er hält es für möglich, dass das Feuer auch das Obergeschoss erfassen könnte und es zu tödlichen Verletzungen der dort befindlichen Personen kommen kann. B denkt sich jedoch „Na und wenn schon, Hauptsache dem A ist geholfen“. Er geht davon aus, dass M und L ihn nicht bemerkt haben und daher auch nicht rechtzeitig Rettungsmaßnahmen ergreifen können. Er ist sich jedoch sicher, dass das Feuer keine Nachbargebäude erfassen wird.  Er begibt sich in die Wohnung des A und legt unter Zuhilfenahme eines Kanisters Benzin als Brandbeschleuniger ein Feuer. Nach Verbrennen des Benzins greift das Feuer auf die Bausubstanz des Gebäudes über und erfasst auch das Treppenhaus außerhalb der Wohnung des A. B verlässt das Gebäude und fährt mit dem Auto davon.
M und L bemerken frühzeitig den Rauch und können von der Feuerwehr durch das Fenster gerettet werden, bevor das Feuer auf die Wohnung der M übergreift. Die Wohnung des A brennt – wie von A und B geplant – komplett aus. Die Wohnung der M ist aufgrund der durch die Rauchentwicklung entstandenen Verrußung für die Dauer der dreiwöchigen Renovierungsarbeiten unbewohnbar. Nachbargebäude werden nicht beeinträchtigt.
Am nächsten Tag meldet A den Brand bei der G und gibt gegenüber dem Sachbearbeiter S einen Einbruch mit Brandstiftung als Ursache an. S veranlasst daraufhin die Auszahlung von 40.000 € an A.
Prüfen Sie, ob und ggf. inwiefern sich A und B nach dem StGB strafbar gemacht haben.
Die §§ 223 – 231, 265, 303, 305, 306b und 306c StGB sind nicht zu prüfen.
Auf § 28 StGB ist nicht einzugehen.
Auf § 81 VVG wird hingewiesen.

16.12.2019/0 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2019-12-16 09:00:522019-12-16 09:00:52Strafrecht – Dezember 2019 – NRW – 1. Staatsexamen
Dr. Sebastian Rombey

Zehn Merkposten zur Erstellung eines Rechtsgutachtens

Examensvorbereitung, Fallbearbeitung und Methodik, Lerntipps, Schon gelesen?, Startseite, Verschiedenes

Erst vor kurzem haben wir an dieser Stelle die fünf wichtigsten Schritte zur erfolgreichen Klausur dargestellt (hier abrufbar), die von der Vorbereitung über das richtige Mindset bis hin zur eigentlichen Klausur reichen. Die nachfolgenden Merkposten dagegen sollen allein stichpunktartig die hard facts zusammenfassen, die es in der Klausursituation zu beherzigen gilt.
I. Fallfrage lesen und unbedingt den Bearbeitervermerk beachten
II. Sachverhalt lesen, dabei die relevanten Personen, Daten und Ereignisse markieren
III. Assoziationen an den Rand des Sachverhalts schreiben oder auf einem Ideenzettel vermerken
IV. Personenskizze und ggf. Zeitstrahl erstellen (insbesondere bei mehreren Personen und Daten)
V. Bei Unklarheiten des Sachverhalts: lebensnahe Auslegung, aber nichts hineininterpretieren, was der Sachverhalt nicht hergibt, zudem bei technisch falschen Ausdrücken eine laiengünstige Auslegung vornehmen
VI. Durchblättern des Gesetzes nach maßgeblichen Normen (bei Zweifeln an die „Idiotenwiese, also das Register am Ende des Gesetzbuchs, denken)
VII. Gliederung der Lösung (bei den Gliederungsebenen beachten: „Wer A sagt, muss auch B sagen“), hierbei jedenfalls gedankliche Aufschlüsselung der Anspruchsgrundlagen in das Triumvirat „Anspruch entstanden“, „Anspruch erloschen“ und „Anspruch durchsetzbar“
VIII. Anspruchsgrundlagen („Wer will was von wem woraus?“) in der richtigen Reihenfolge darstellen:
1. Vertraglich
a) aus eigenem Recht
b) aus fremdem Recht (insbesondere an die Abtretung denken)
2. Vertragsähnlich (vor allem culpa in contrahendo, §§ 280 I, 311 II, 241 II BGB, Geschäftsführung ohne Auftrag, §§ 670 ff. BGB, Ansprüche aus § 179 I, II BGB und § 122 I BGB), auch quasi-vertraglich genannt
3. Dinglich (insbesondere an die Sperrwirkung des EBV denken)
4. Bereicherungsrechtlich
5. Deliktsrechtlich
IX. Ausformulieren der Lösung unter

    • Beachtung des Gutachtenstils (Obersatz, Definition, Subsumtion, Ergebnis), bei Anfängerklausuren immer, bei Examensklausuren nur bei problematischen Punkten;
    • Heranziehung der juristischen Auslegungsmethoden;
    • genauem Zitieren der maßgeblichen Normen;
    • Verwendung klarer, präziser Sprache und
    • Nennung der wichtigsten Fachbegriffe (keine Umschreibungen);
    • Verwendung lesbarer Schrift (weder schmieren noch malen, letzteres kostet zu viel Zeit);
    • Beachtung der Schwerpunktsetzung.

Tipp zum Zeitmanagement: Wenn ihr mit dem Ausformulieren der Lösung beginnt, solltet ihr in zweistündigen Anfängerklausuren noch ca. 80-90 Minuten Zeit haben, in einer fünfstündigen Examensklausur noch ca. 2,5-3,5 Stunden.
X. Gegenchecken der Lösung auf Fehler (nur, wenn noch Zeit sein sollte)

21.11.2019/0 Kommentare/von Dr. Sebastian Rombey
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Sebastian Rombey https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Sebastian Rombey2019-11-21 08:37:502019-11-21 08:37:50Zehn Merkposten zur Erstellung eines Rechtsgutachtens
Carlo Pöschke

Klassiker des Strafrechts: Tankstellenfälle

Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Startseite, Strafrecht, Strafrecht BT, Verschiedenes

Zu den Fallkonstellationen, die Jura-Studenten von den ersten Semestern bis zum Examen begleiten, gehören die sog. Tankstellenfälle. Hierbei betankt der Täter sein Fahrzeug an einer Selbstbedienungstankstelle, ohne den Kaufpreis an der Kasse zu entrichten. Die Komplexität dieser Fälle wird bereits deutlich, wenn man das Stichwort in die Google-Suche eingibt. So stellt eine Rechtsratgeber-Seite fest: „Inwieweit hier eine Strafbarkeit vorliegt, ist eine Frage des Einzelfalls und unter Juristen umstritten.“ Und genau deshalb erfreuen sich die Tankstellenfälle sowohl in universitären Klausuren als auch im Examen größter Beliebtheit: Zu prüfen sind Straftatbestände wie Diebstahl (§ 242 StGB), Betrug (§ 263 StGB) und Unterschlagung (§ 246 StGB), die bereits in frühen Semestern zum Standard-Repertoire eines jeden Prüflings gehören (sollten), Vieles ist juristisch umstritten und durch kleine Abwandlungen lassen sich leicht neue Fallkonstellationen erzeugen. Bei genauem Hinsehen stellt man jedoch fest, dass sich solche Prüfungsaufgaben häufig auf einige wenige Grundfälle zurückführen lassen. Wer diese typischen Fallgestaltungen im Hinterkopf behält, kann auch bei unbekannten Abwandlungen mit der entsprechenden Argumentation und einem guten systematischen Verständnis der Vermögensdelikte in der Klausur punkten.
A. Fallgestaltung 1: Von vornherein zahlungsunwilliger Täter wird nicht beobachtet oder geht irrig davon aus, nicht beobachtet zu werden
Beispielsfall: T, der ständig knapp bei Kasse ist, aber trotzdem mit seinem Sportwagen auf der Straße prahlen möchte, betankt an der Selbstbedienungstankstelle des S seinen fast leeren Tank mit Benzin im Wert von 70 Euro mit der zuvor gefassten Absicht, das Tankstellengelände ohne Entrichten des Kaufpreises wieder zu verlassen. T hat bewusst die Tankstelle des S ausgewählt, da diese noch nicht über moderne Überwachungssysteme verfügt und das Kassenpersonal insb. zu Stoßzeiten mit dem Abkassieren so beschäftigt ist, dass das Geschehen im Außenbereich unbeachtet bleibt. So geschieht es:  Tankstellenmitarbeiter M bekommt von dem Tankvorgang zunächst nichts mit und nimmt von dem Vorfall erst Kenntnis, als T bereits unbehelligt davongefahren ist und ein Kunde ihn über die Sperrung der betreffenden Zapfsäule informiert. Strafbarkeit des T?
I. § 242 Abs. 1 StGB
Indem T den Tank seines Sportwagens an der Selbstbedienungstankstelle des S befüllte, könnte er sich gem. § 242 Abs. 1 StGB wegen Diebstahls strafbar gemacht haben.
1. Objektiver Tatbestand
a) In objektiver Hinsicht verlangt der Tatbestand des § 242 Abs. 1 StGB zunächst, dass es sich bei dem Benzin um eine fremde bewegliche Sache handelt. Benzin stellt (unabhängig vom Aggregatzustand) einen körperlichen Gegenstand i.S.d. § 90 BGB dar, der auch tatsächlich fortgeschafft werden kann, mithin eine bewegliche Sache.
Fraglich ist, ob das Benzin für T auch fremd ist. Fremd ist eine Sache, wenn sie zumindest auch im Eigentum eines anderen steht. Insbesondere in der älteren Literatur und Rechtsprechung wurde die Fremdheit des Benzins jedoch abgelehnt: Der Tankstellenbetreiber unterbreite dem sich selbst bedienenden Kunden bereits mit Aufstellen der Tanksäule ein Angebot auf Übereignung des Benzins, das vom Kunden durch Einfüllen des Kraftstoffs in den Tank angenommen werde. Insofern vollziehe sich die Übereignung bereits an der Tanksäule gem. § 929 S. 1 BGB (OLG Düsseldorf NJW 1982, 249; Herzberg, NJW 1984, 896, 898). Nach der Gegenansicht sei die Fremdheit der Sache sehr wohl zu bejahen. Ganz überwiegend wird argumentiert, dass sich – sofern nicht ohnehin ein Eigentumsvorbehalt gem. § 449 BGB vereinbart wurde – die dingliche Einigung wie beim Kauf in Selbstbedienungsläden erst nach § 929 S. 2 BGB an der Kasse vollziehe (OLG Koblenz NStZ-RR 1998, 364; NK-StGB/Kindhäuser, 5. Aufl. 2017, § 242 Rn. 17). Denkbar wäre auch, einen gesetzlichen Eigentumserwerb des Tankenden gem.  § 948 Abs. 1 BGB i.V.m. § 947 Abs. 1 BGB anzunehmen. Da der Tankende über § 948 Abs. 1 BGB i.V.m. § 947 Abs. 1 BGB jedoch bloß Miteigentümer der Sache wird, wäre das Benzin für T immer noch fremd. Die Ansicht, die einen Eigentumsübergang bereits an der Tanksäule nach Maßgabe des § 929 S. 1 BGB annimmt, vermag nicht zu überzeugen, weil sie den Anschauungen des täglichen Lebens zuwiderläuft und mit einer Auslegung von Willenserklärungen nach den Grundsätzen der §§ 133, 157 BGB nicht zu vereinbaren ist. Denn es wird regelmäßig nicht dem Willen des Tankstelleninhabers entsprechen, an seine Kunden vorzuleisten. Vielmehr soll die Leistung Zug-um-Zug, d.h. Ware gegen Geld, erfolgen. Ob sich die Übereignung rechtsgeschäftlich nach § 929 S. 2 BGB an der Kasse oder gesetzlich nach § 948 Abs. 1 BGB i.V.m. § 947 Abs. 1 BGB vollzieht, ist nicht zu entscheiden, da beide Ansichten zu dem Ergebnis kommen, dass das Benzin eine für T fremde Sache ist.
Somit stellt das Benzin ein taugliches Tatobjekt dar.
b) Weiterhin müsste T dem S das Benzin weggenommen haben. Unter Wegnahme versteht man den Bruch fremden und die Begründung neuen, nicht notwendig tätereigenen Gewahrsams. Dabei ist Gewahrsam die tatsächliche Herrschaft eines Menschen über eine Sache, die von einem natürlichen Herrschaftswillen getragen und in ihrer Reichweite von der Verkehrsanschauung begrenzt wird. Vor Beginn des Betankungsvorgangs lag der Gewahrsam am Benzin bei S. Durch Befüllung des Tanks wurde dem S der ungehinderte Zugriff auf das Benzin entzogen, während T fortan – auch unter Zugrundlegung der Verkehrsanschauung – über das Benzin verfügen konnte. Insoweit hat er neuen Gewahrsam am Benzin begründet. Fremder Gewahrsam wird jedoch nur dann gebrochen, wenn der Täter gegen oder ohne den Willen des bisherigen Gewahrsamsinhabers handelt. Dies wäre nicht der Fall, wenn die Begründung des neuen Gewahrsams am Benzin von einem tatbestandausschließenden Einverständnis des bisherigen Gewahrsamsinhabers (hier S) gedeckt wäre. Nach h.M. beinhaltet die Eröffnung einer Selbstbedienungstankstelle das generelle Einverständnis in die Entnahme von Kraftstoff. Wer die Zapfsäule ordnungsgemäß bediene, nehme selbst dann nicht weg, wenn er von vornherein nicht vorhat, das Benzin zu bezahlen (MüKo-StGB/Schmitz, 3. Aufl. 2017, § 242 Rn. 108 m.w.N.). Dies wird von einer Mindermeinung bestritten, die das Einverständnis nicht nur an die ordnungsgemäße Bedienung, sondern zusätzlich an die ordnungsgemäße Bezahlung geknüpft sieht und insofern auf einen rein innerlich gebliebenen Vorbehalt abstellt. Letztgenannte Ansicht führt jedoch dazu, dass die Abgrenzung zwischen Wegnahme i.S.v. § 242 Abs. 1 StGB und Täuschung i.S.v. § 263 Abs. 1 StGB verwischt und ist daher abzulehnen (so auch Schönke/Schröder/Bosch, StGB, 30. Aufl. 2019, § 242 Rn. 36a). Damit ist auch im vorliegenden Fall von einem unbedingten Einverständnis des S in den Gewahrsamsübergang auszugehen, das eine Wegnahme ausschließt.
2. Ergebnis
T hat sich nicht gem. § 242 Abs. 1 StGB wegen Diebstahls strafbar gemacht.
II. § 263 Abs. 1 StGB
Durch dieselbe Handlung könnte sich T gem. § 263 Abs. 1 StGB wegen Betrugs gegenüber M zu Lasten S strafbar gemacht. Der Betrugstatbestand erfordert im objektiven Tatbestand zunächst eine Täuschung über Tatsachen, worunter jedenfalls jedes Verhalten mit Erklärungswert fällt, das irreführend auf das Vorstellungsbild eines anderen einwirkt. Weil T jedoch bis Beendigung des Tankvorgangs vom Tankstellenpersonal unberücksichtigt blieb, konnte er bereits gar nicht auf das Vorstellungsbild eines anderen einwirken. T hat sich nicht gem. § 263 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
Anmerkung: Gäbe es im Sachverhalt nicht den Hinweis darauf, dass die Tankstelle über keine Überwachungssysteme verfügt und die Mitarbeiter regelmäßig nicht das Außengelände überwachen, müsste geprüft werden, ob sich T gem. § 263 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB wegen versuchten Betrugs gegenüber M zu Lasten S strafbar gemacht hat. Hier könnte bspw. angeführt werden, dass bei realitätsnaher Betrachtung stets mit der Möglichkeit der unmittelbaren oder durch Überwachungsanlagen vermittelten Wahrnehmung zu rechnen ist und deshalb mit bedingtem Täuschungsvorsatz gehandelt wurde (OLG Köln NJW 2002, 1059, 1060).
III. § 246 Abs. 1 StGB durch Befüllen des Tanks
Durch dieselbe Handlung könnte sich T gem. § 246 Abs. 1 StGB wegen Unterschlagung strafbar gemacht haben.
1. Objektiver Tatbestand
a) Dass das Benzin eine fremde bewegliche Sache ist, wurde bereits zuvor ausgeführt.
b) Des Weiteren müsste sich T das Benzin zugeeignet haben. Erforderlich ist die objektive Manifestation eines Selbst- oder Drittzueignungswillens. T wollte das Benzin der Einwirkungssphäre des S dauerhaft entziehen, um es selbst zu behalten. Er handelte also mit Zueignungswillen. Problematisch erscheint hingegen, ob auch ein über den bloßen Zueignungswillen hinausgehender objektiver Zueignungsakt vorliegt.
Die sog. enge Manifestationstheorie der h.L. stellt darauf ab, ob ein nach außen erkennbares Verhalten des Täters verlässlich zum Ausdruck bringt, dass der Täter die Sache behalten will. Dies sei aus der Sicht eines objektiven Beobachters zu beurteilen, der abgesehen vom Zueignungswillen des Täters alle tatsächlichen Umstände des Falls kennt. Der Tankvorgang stellt sich dabei als ein „an sich neutrale[r] Vorgang“ (Borchert/Hellmann, NJW 1983, 2799, 2800) dar. Zu diesem Zeitpunkt kann ein objektiver Beobachter ohne Kenntnis des Täterwillens nämlich noch nicht sagen, ob der sich ansonsten unauffällig verhaltende Tankende die Tankstelle ohne Bezahlung des Kaufpreises verlassen wird oder ordnungsgemäß bezahlen wird und an der Kasse das Eigentum am Benzin erwerben wird. Nach dieser Ansicht wurde der Zueignungswille mithin nicht manifestiert.
Nach der sog. weiten Manifestationstheorie, die insb. von der Rspr. vertreten wird, kann hingegen jede beliebige Handlung als Ausdruck des Zueignungsinteresses verstanden werden, soweit ein objektiver Beobachter bei Kenntnis des Täterwillens das Verhalten als Bestätigung des Willens ansieht. Vorliegend würde ein objektiver Beobachter bei Kenntnis des Täterwillens das Betanken des Fahrzeugs bereits als Manifestation des Willens betrachten.
Die vorgestellten Ansichten kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen, sodass der Streit zu entscheiden ist. Würde man der Ansicht der Rspr. folgen, hätte dies zur Konsequenz, dass eine Abgrenzung zwischen Vorbereitung, Versuch und Vollendung nahezu unmöglich würde. Außerdem lässt sich aus § 22 StGB, wonach eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung unmittelbar zu ihr ansetzt, e contrario ableiten, dass die Vorstellungen des Täters im Rahmen des objektiven Tatbestands keine Berücksichtigung finden soll. Die weite Manifestationstheorie führt aber gerade dazu, dass der objektive Tatbestand vom subjektiven Tatbestand her interpretiert wird (vgl. MüKo-StGB/Hohmann, 3. Aufl. 2017, § 246 Rn. 18). Aus den genannten Gründen verdient die enge Manifestationstheorie den Vorzug. T hat durch das Befüllen des Tanks den Zueignungswillen nicht manifestiert hat.
2. Ergebnis
T hat sich durch das Befüllen des Tanks nicht gem. § 246 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
IV. § 246 Abs. 1 StGB durch Wegfahren
Dadurch, dass T unbehelligt davonfuhr, könnte er sich jedoch gem. § 246 Abs. 1 StGB wegen Unterschlagung strafbar gemacht haben.
Das Benzin ist ein taugliches Tatobjekt (s.o.).
Durch das Wegfahren wird vorliegend auch nach der engen Manifestationstheorie der Zueignungswille des T nach außen manifestiert.
T hatte keinen fälligen und einredefreien Anspruch auf das Benzin, sodass die Zueignung rechtswidrig war.
T handelte vorsätzlich.
Die Tat war auch rechtswidrig und schuldhaft.
T hat sich, indem er unbehelligt davonfuhr, gem. § 246 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
IV. Gesamtergebnis
T hat sich gem. § 246 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
B. Fallgestaltung 2: Anfänglich zahlungswilliger Täter fasst mit Abschluss des Tankvorgangs den Entschluss, die Tankstelle ohne Bezahlung des Kraftstoffs zu verlassen
Beispielsfall: T hat im vergangenen Monat mit seinem Geld gut gehaushaltet und hat sich 70 Euro beiseitegelegt, um seinen Sportwagen endlich wieder einmal vollzutanken. Er fährt zu der Selbstbedienungstankstelle des S in der Absicht, den Wagen vollzutanken und den Kaufpreis nach Beendigung des Tankvorgangs zu bezahlen. Er befüllt den Tank seines Sportwagens mit Benzin im Wert von 70 Euro. Auf dem Weg zur Kasse regt er sich jedoch über die Gewinnsucht der großen Ölkonzerne auf und sieht es gar nicht ein, die Reichen noch reicher zu machen. Um nicht aufzufliegen, entnimmt er deshalb aus dem Kühlregal des Tankstellenshops eine Dose Bier und bezahlt diese (aber nicht die Tankfüllung) an der Kasse. Wie von T erhofft geht die Tankstellenmitarbeiterin M irrig davon aus, dass T nur die Dose Bier bezahlen möchte und nicht getankt hat. Daraufhin fährt T unbehelligt davon. Strafbarkeit des T?
I. § 242 Abs. 1 StGB
Indem T den Tank seines Sportwagens an der Selbstbedienungstankstelle des S befüllte, könnte er sich gem. § 242 Abs. 1 StGB wegen Diebstahls strafbar gemacht haben.
Das Benzin ist eine für T fremde bewegliche Sache (s.o.).
T müsste den Kraftstoff auch weggenommen haben. Dass T eigenen Gewahrsam am Benzin begründet hat, steht außer Frage. Jedoch ist die Aufhebung des Gewahrsams des S von einem tatbestandsausschließenden Einverständnis gedeckt, da es Sinn und Zweck einer Selbstbedienungstankstelle ist, Benzin in den eigenen Tank zu füllen. Auch die bereits dargestellte Mindermeinung, die das Einverständnis zusätzlich an die ordnungsgemäße Bezahlung geknüpft sieht und insofern auf einen rein innerlich gebliebenen Vorbehalt abstellt, kommt zu keinem anderen Ergebnis. Denn hier hatte T anfänglich vor, den Kaufpreis an der Kasse zu bezahlen. K hat den Kraftstoff nicht weggenommen.
Er hat sich nicht gem. § 242 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
II. § 263 Abs. 1 StGB
T könnte sich gem. § 263 Abs. 1 StGB wegen Betrugs gegenüber M zu Lasten S strafbar gemacht haben, indem er nur die Bierdose an der Kasse vorlegte.
1. Objektiver Tatbestand
a) T müsste M getäuscht haben. Eine Täuschung ist jedes Verhalten mit Erklärungswert, das irreführend auf das Vorstellungsbild eines anderen einwirkt. Ausdrücklich hat T hier nicht getäuscht. Jedoch hat T dadurch, dass er nur die Bierdose vorlegte, zu erkennen gegeben, dass dies alles sei, was er bezahlen müsse. M wurde also konkludent von T getäuscht.
b) Aufgrund dieser Täuschung müsste bei M ein Irrtum hervorgerufen worden sein. Ein Irrtum liegt bei einem Widerspruch zwischen einer subjektiven Vorstellung und der Wirklichkeit vor. Hier liegt die Abweichung darin, dass M aufgrund des vorangegangenen Verhaltens des T glaubte, T müsse nur die Bierdose und nicht auch für getankten Kraftstoff bezahlen. Es liegt ein Irrtum vor.
c) Dieser Irrtum müsste zu einer Vermögensverfügung geführt haben. Eine Vermögensverfügung wird definiert als jedes rechtliche oder tatsächliche Handeln, Dulden oder Unterlassen, das unmittelbar zu einer Vermögensminderung im wirtschaftlichen Sinn führt. Vorliegend hat es M unterlassen, die Kaufpreisforderung des S i.H.v. 70 Euro gegen T geltend zu machen. Dass Verfügender (M) und Geschädigter (S) nicht übereinstimmen, stellt grds. kein Problem dar, da im Rahmen des § 263 StGB der Dreiecksbetrug allgemein anerkannt ist. Damit M und S eine Zurechnungseinheit bilden, müssten sich die beiden Personen aber in einem besonderen Näheverhältnis befinden. Streitig ist in diesem Zusammenhang, welche Anforderungen an die Qualität der Nähebeziehung zu stellen sind. Die strengste Ansicht, die sog. objektive Ermächtigungstheorie, fordert, dass der Getäuschte zur Vornahme der Verfügung ermächtigt ist. Für gewöhnlich werden Mitarbeiter zu solchen Verfügungen ausdrücklich oder zumindest konkludent bevollmächtigt. Jedenfalls kann aber auf die Vermutung für das Bestehen von Vertretungsmacht aus § 56 HGB („Ladenvollmacht“) abgestellt werden, die sich anhand der Sachverhaltsangaben nicht widerlegen lässt. Da M und S bereits nach der strengsten Ansicht eine hinreichende Nähebeziehung aufweisen, ist nach allen Ansichten eine Vermögensverfügung anzunehmen.
d) Die Vermögensverfügung müsste auch zu einem Vermögensschaden auf Seiten des S geführt haben. Ob ein Vermögensschaden vorliegt, ist durch Vermögensvergleich zu ermitteln und liegt demnach vor, wenn die Vermögensminderung nicht im Wege der Saldierung durch die Gegenleistung ausgeglichen wird. Hier fließt keine Gegenleistung, die die Vermögensleistung kompensieren könnte. Dass S zwar gegen T einen schuldrechtlichen Anspruch hat, ändert daran nichts, da eine Forderung wertlos ist, wenn der Schuldner unbekannt ist. Folglich hat S auch einen Vermögensschaden erlitten.
2. Subjektiver Tatbestand
a) T handelte vorsätzlich bzgl. aller objektiven Tatbestandsmerkmale.
b) T handelte in der Absicht, sich zu bereichern. Der Vorteil des T (ersparte 70 Euro) erweist sich auch als Kehrseite des Schadens (Nichtgeltendmachung der 70 Euro). T handelte in der eigennützigen Absicht stoffgleicher Bereicherung.
3. Objektive Rechtswidrigkeit der erstrebten Bereicherung und entsprechender Vorsatz
Die Bereicherung des T war zudem rechtswidrig, was er auch wusste. T handelte bzgl. der Rechtswidrigkeit der Bereicherung also ebenfalls vorsätzlich.
4. Rechtswidrigkeit und Schuld
Mangels Eingreifen von Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründen war die Tat rechtswidrig und schuldhaft.
5. Ergebnis: Strafbarkeit nach § 263 Abs. 1 StGB
T hat sich gem. § 263 Abs. 1 StGB wegen Betrugs gegenüber M zu Lasten S strafbar gemacht.
III. § 246 Abs. 1 StGB durch das Vorlegen der Bierdose an der Kasse
Durch dieselbe Handlung könnte sich T gem. § 246 Abs. 1 StGB wegen Unterschlagung
Das Benzin ist ein taugliches Tatobjekt (s.o.).
Durch das Vorspiegeln an der Kasse, er müsse nur für die Bierdose bezahlen, hat T (auch nach der engen Manifestationstheorie) nach außen zum Ausdruck gebracht, dass er sich das Benzin zueignen will.
T hatte keinen fälligen und einredefreien Anspruch auf das Benzin, sodass die Zueignung rechtswidrig war.
T handelte vorsätzlich.
Die Tat war auch rechtswidrig und schuldhaft.
T hat sich durch das Vorlegen der Bierdose an der Kasse gem. § 246 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
 IV. § 246 Abs. 1 StGB durch das Wegfahren
Durch das Wegfahren von der Tankstelle könnte sich T gem. § 246 Abs. 1 StGB wegen Unterschlagung strafbar gemacht haben.
Das Benzin ist ein taugliches Tatobjekt (s.o.).
Im Davonfahren ist eine erneute Manifestation des Zueignungswillens zu sehen.
Fraglich ist, wie sich das Verhältnis zur bereits bejahten Strafbarkeit wegen Betrugs und der vorangegangenen Unterschlagung gestaltet. Nach der von Teilen der Literatur vertretenen Konkurrenzlösung (Schönke/Schröder/Bosch, StGB, 30. Aufl. 2019, § 246 Rn. 19) würden wiederholte Manifestationen des Zueignungswillens bezüglich derselben Sache jeweils eine weitere tatbestandsmäßige Zueignungshandlung darstellen, die im Konkurrenzfall als mitbestrafte Nachtat zurücktrete. Als Argument für diese Auffassung wird angeführt, dass auf diese Weise Verurteilungen bei nicht strafbarer Erstzueignungshandlung sowie wegen Teilnahme an späteren Zueignungshandlungen ermöglicht würden. Letztgenanntes Argument vermag jedoch nicht zu überzeugen, wenn man bedenkt, dass Anschlussstraftaten wie §§ 257, 259 StGB abschließende Regelungen für Verwertungshandlungen vorsehen. Diesem Einwand trägt die Tatbestandslösung (BGH NJW 1960, 684, 685; NK-StGB/Kindhäuser, 5. Aufl. 2017, § 246 Rn. 38; Rengier, BT I, 20. Aufl. 2018, § 5 Rn. 51 f.) Rechnung, nach der sich ein Täter nach erfolgter Erstzueignung die Sache schon tatbestandlich nicht noch einmal zueignen kann. Für diese Ansicht streitet schon der Wortsinn des § 246 Abs. 1 StGB: Wer sich eine Sache einmal zugeeignet hat, kann sich die gleiche Sache nicht erneut zueignen. Nicht zuletzt würden durch die Konkurrenzlösung die für die Vortaten geltenden Verjährungsfristen (§§ 78 ff. StGB) faktisch aufgehoben. Es hat sich gezeigt, dass die besseren Argumente für die Tatbestandlösung sprechen, sodass sich im vorliegenden Fall T mangels Erfüllung des Tatbestands nicht erneut gem. § 246 Abs. 1 StGB strafbar gemacht hat.
V. Gesamtergebnis und Konkurrenzen
T hat sich gem. § 263 Abs. 1 StGB wegen Betrugs gegenüber M zu Lasten S strafbar gemacht. Der durch Vorlegen der Bierdose an der Kasse verwirklichte § 246 Abs. 1 StGB tritt im Wege der ausdrücklich in der Vorschrift geregelten Subsidiarität gegenüber § 263 Abs. 1 StGB zurück.
C. Fallgestaltung 3: Von vornherein zahlungsunwilliger Täter wird vom Tankstellenperson beobachtet
Am einfachsten stellt sich der Fall dar, wenn ein von Anfang an zahlungsunwilliger Täter davon ausgeht, beobachtet zu werden und sich deshalb wie ein redlicher Kunde verhält. Hier wäre die Betrugsstrafbarkeit gem. § 263 Abs. 1 StGB lehrbuchmäßig zu prüfen, ohne dass sich neue Probleme ergäben. Durch das Auftreten wie ein redlicher Kunde täuscht der Täter konkludent über seine Zahlungsbereitschaft, wodurch er beim Tankstelleninhaber bzw. dessen Personal den Irrtum hervorruft, er werde den Kaufpreis für den Kraftstoff entrichten. Im Rahmen der Vermögensverfügung wäre dann kurz anzusprechen, dass die Vermögensverfügung nach einer Ansicht in der dinglichen Einigung nach § 929 S. 1 BGB liegt, nach der (überzeugenden) Gegenansicht in der Gestattung des Besitzwechsels, wobei dieser Streit nicht entscheidungserheblich ist. Für den Fall, dass die Täuschung gegenüber einem Angestellten verübt wurde, wäre kurz darauf einzugehen, ob getäuschter Verfügender und Geschädigter eine fiktive Zurechnungseinheit bilden, indem zwischen ihnen eine hinreichende Nähebeziehung besteht. Im Ergebnis ist nach einhelliger Ansicht eine Strafbarkeit wegen Betrugs nach § 263 Abs. 1 StGB oder im Falle fehlender Beobachtung wegen versuchten Betrugs nach §§ 263 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB zu bejahen (zu dieser Fallkonstellation s. auch Borchert/Hellmann, NJW 1983, 2799; NK-StGB/Kindhäuser, 5. Aufl. 2017, § 242 Rn. 46).
D. Fazit
Der eilige Leser wird die längeren Ausführungen wahrscheinlich nur rasch überflogen haben und im Fazit nach der Antwort auf die Frage suchen, wie sich ein Täter strafbar macht, der an einer Selbstbedienungstankstelle tankt ohne zu bezahlen. Die wenig erfreuliche Antwort lautet: Inwieweit hier eine Strafbarkeit vorliegt, ist eine Frage des Einzelfalls und unter Juristen umstritten. Die vorgestellten Fallgruppen können jedoch bei einer Ordnung der ersten Gedanken hilfreich sein und können verhindern, dass wichtige Probleme übersehen werden. Nichtdestotrotz sollte man nicht in ein allzu starres „Schubladendenken“ verfallen. Das kann dazu führen, dass eingebaute Probleme übersehen werden oder schlimmstenfalls ein Fall gelöst wird, der so gar nicht zur Bearbeitung steht. Insgesamt sollte der Bearbeiter bei Tankstellenfällen seinen Blick verstärkt auf die Straftatbestände der §§ 242, 263 sowie 246 StGB einschließlich Versuchsstrafbarkeiten richten.

25.09.2019/4 Kommentare/von Carlo Pöschke
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Carlo Pöschke https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Carlo Pöschke2019-09-25 09:30:312019-09-25 09:30:31Klassiker des Strafrechts: Tankstellenfälle
Redaktion

Zivilrecht II – Juni 2019 – Hessen – 1. Staatsexamen

Examensreport, Hessen, Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Startseite, Zivilrecht

Nachfolgend erhaltet ihr ein Gedächtnisprotokoll zur Examensklausur Zivilrecht II (Teilaufgabe 1), 1. Staatsexamen, Hessen, Juni 2019. Ergänzungen und Korrekturanmerkungen sind wie immer gerne gesehen. Wir danken sehr herzlich für die Zusendung.
Unser Examensreport lebt von Eurer Mithilfe. Deshalb bitten wir Euch, uns Gedächtnisprotokolle Eurer Klausuren zuzuschicken, damit wir sie veröffentlichen können. Nur so können Eure Nachfolger genauso von der Seite profitieren, wie Ihr es getan habt.
 
Der Abitur-Jahrgang (A) möchte für seinen Abiball am 14.6.2019 T-Shirts bedrucken lassen, um einheitlich aufzutreten. Die 80 T-Shirts wurden von den Eltern eines Schülers gestellt.
Die Stufensprecherin S des A hat sich bereit erklärt, sich um das Bedrucken der T-Shirts zu kümmern.
Hierzu suchte sie am 24. Mai 2019 den Copy-Shop des B auf, der unter anderem auch T-Shirts bedruckte. S einigte sich mit B über das Bedrucken der 80 T-Shirts zum Preis von 240€, wobei das Bedrucken an sich 2€ pro T-Shirt kostet, und 1€ pro T-Shirt für die (notwendige) chemische Fixierung des Drucks. Hierbei gehen 50% für Materialien drauf, 50% sind Gewinn. Die T-Shirts lies S gleich am 24.Mai bei B. Als Abholtermin wurde der 7. Juni festgelegt, die Schüler sollten die T-Shirts noch vor Pfingsten (9. & 10. Juni) erhalten.
Als S am 7. Juni bei B ankam um die T-Shirts abzuholen, teilte dieser ihr mit, dass er aufgrund eines Maschinendefekts noch nicht fertig sei. Es seien erst 20 T-Shirts fertig bedruckt. S ist hierüber verärgert, sieht jedoch keine andere Möglichkeit und gewährt B eine letzte Frist bis zum 11. Juni 2019, dann müssen die T-Shirts aber fertig sein, da der Abiturjahrgang am Abiball am 14. Juni geschlossen und einheitlich auftreten will. B verspricht S, die T-Shirts bis zum 11. Juni fertig zu haben, er werde extra eine Sonderschicht über Pfingsten einlegen.
Als S nun am 11. Juni 2019 die T-Shirts bei B abholen möchte muss sie jedoch feststellen, dass dieser immer noch nicht fertig ist. Er hat nun 40 T-Shirts komplett fertig, 20 weitere sind schon bedruckt, es fehlt jedoch noch die chemische Fixierung. B meint er bräuchte noch zwei weitere Tage um die T-Shirts fertigzustellen, er hatte wieder einige Probleme gehabt. S ist hierüber erbost, sie fordert umgehend alle T-Shirts von B heraus. Die teilweise fertigen T-Shirts bringen dem Abiturjahrgang gar nichts, da dieser einheitlich und geschlossen am Abiball auftreten wolle. B gibt S daraufhin die T-Shirts heraus.
S bringt die T-Shirts zu C, der die 20 angefangenen T-Shirts chemisch fixiert und die restlichen 20 T-Shirts komplett bedruckt. Hierfür verlangt C 120€ (2€ für die chemische Fixierung und 4€ für Fixierung und Druck). C bekommt die T-Shirts bis zum Abend des 12. Juni 2019 fertig. S bezahlt.
Der Abiturjahrgang trägt am Abiball am 14. Juni 2019 die T-Shirts.
B möchte nun den vereinbarten Preis von 240€. S weigert sich im Namen des A, meint, es müssen zumindest die 120€, die bei C angefallen sind, verrechnet werden.
Fallfrage: Hat B einen Vergütungsanspruch gegen A in Höhe von 240€?
Bearbeitervermerk: Es ist davon auszugehen, dass S stets im Namen und mit Vollmacht des A gehandelt hat. Der Abiturjahrgang ist rechtsfähig. Gesellschaftsrecht ist nicht zu prüfen. Zudem ist B hinsichtlich des Maschinendefekts und auch bei den anderen Problemen zumindest fahrlässiges Organisationsverschulden zu unterstellen.

02.08.2019/12 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2019-08-02 11:37:392019-08-02 11:37:39Zivilrecht II – Juni 2019 – Hessen – 1. Staatsexamen
Dr. Matthias Denzer

Karteikarte Versammlungsfreiheit; Art. 8 GG

Karteikarten, Öffentliches Recht


Neue Karteikarten findet ihr regelmäßig auf Instagram:
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06.02.2019/0 Kommentare/von Dr. Matthias Denzer
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Matthias Denzer https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Matthias Denzer2019-02-06 16:38:272019-02-06 16:38:27Karteikarte Versammlungsfreiheit; Art. 8 GG
Dr. Yannik Beden, M.A.

Karteikarte Rücktritt vom Versuch; § 24 I StGB

Karteikarten, Strafrecht

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05.02.2019/0 Kommentare/von Dr. Yannik Beden, M.A.
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Yannik Beden, M.A. https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Yannik Beden, M.A.2019-02-05 17:31:112019-02-05 17:31:11Karteikarte Rücktritt vom Versuch; § 24 I StGB
Dr. Matthias Denzer

In 5 Schritten zur erfolgreichen Klausur

Fallbearbeitung und Methodik, Für die ersten Semester, Schon gelesen?, Verschiedenes

Das Semester ist noch jung, doch es ist nie zu früh, sich schon mal mit dem auseinanderzusetzen, was einen am Ende des Semesters erwartet: Die ersten juristischen Klausuren. Auch wenn diese noch weit entfernt scheinen, schadet es nicht, sich frühzeitig die richtige Herangehensweise anzueignen. Hier sind unsere fünf Schritte für ein erfolgreiches Abschneiden in der Klausur:
1. Schritt: Die richtige Vorbereitung
Ohne eine richtige Vorbereitung ist keine Klausur zu meistern. Eigentlich eine Banalität. Allzu häufig zeigt sich jedoch, dass Studenten den Umfang des Stoffes verkennen: Steht die Abschlussklausur am Ende des Semesters an, so sollte es doch genügen, nach den Weihnachtsferien mit dem Lernen anzufangen. Mehr als ein bis zwei Wochen Vorbereitung seien doch nicht erforderlich. Ein weit verbreiteter Trugschluss. Die Fülle des erwarteten Stoffes in kurzer Zeit zu lernen, wird selbst den Begabtesten kaum gelingen. Doch das soll keineswegs Panik in euch auslösen. Der Stoff ist in der Tat umfangreich, wenn man allerdings von Anfang an „am Ball bleibt“, können auch keine Lücken entstehen und am Ende des Semesters wird man nicht vor einem schier unüberwindbaren Berg stehen. Genug der Metaphern: Wenn ihr die Vorlesung nachbereitet und die Inhalte regelmäßig wiederholt sowie in den Arbeitsgemeinschaften folgen könnt, müsst ihr euch hinsichtlich der Klausuren keinerlei Sorgen machen.
Noch ein, zwei Tipps: Gründet von Anfang an mit ein bis zwei Freundinnen oder Freunden eine Arbeitsgruppe, in der ihr Fälle gemeinsam durchsprecht und löst. Das schärft euer Problembewusstsein. Wenn ihr von Beginn an die Herangehensweise an einen Fall übt, wird euch dies später in der Klausur leichter fallen. Eure Arbeitsgruppe kann euch hier den Einstieg erleichtern – zudem lässt sich in der Gemeinschaft auch leichter Motivation finden, sich mit unbekannten und daher unbequemen Fällen auseinanderzusetzen.
Tipp 2: Besorgt euch vor dem Ernstfall einen Klausurblock. Das hilft dabei, dass die Klausur auf den Korrektor einen ordentlichen Eindruck macht. Niemand will den Korrektor von Anfang an missgelaunt stimmen, indem er ihn dazu verdonnert, seitenweise hingekritzelte Hieroglyphen zu entziffern. Es ist wie so oft im Leben: Der erste Eindruck zählt.
2. Schritt: Erfassen des Sachverhalts und der Fallfrage
Auch Schritt 2 klingt auf den ersten Blick banal. Vielleicht zu banal. Erfahrungen zeigen aber immer wieder: Viele Studenten überfliegen den Sachverhalt und stürzen sich gleich auf bekannte Probleme – und übersehen dabei nur allzu oft die eigentlichen Schwerpunkte des Falles. Bei Sachverhalten, die lediglich aus drei Zeilen bestehen und in denen bloß zwei Personen vorkommen, mag dieser Punkt noch nicht so sehr ins Gewicht fallen. Im Verlauf des Studiums werden die Sachverhalte jedoch tendenziell länger. In der Examensklausur ist es nicht ungewöhnlich, wenn sich ein Sachverhalt über vier bis fünf Seiten erstreckt – irgendwie müssen ja auch die fünf Stunden Bearbeitungszeit gefüllt werden. Doch auch schon der Sachverhalt einer Abschlussklausur im ersten Semester wird regelmäßig eine DIN A4-Seite füllen. Dass oftmals drei, vier, fünf Personen darin vorkommen ist ebenfalls nichts ungewöhnliches, wenn man sich vor Augen führt, dass Stellvertretung im Zivilrecht oder etwa Täterschaft und Teilnahme im Strafrecht typische Problemfelder des BGB AT bzw. des Strafrecht AT sind – eben jene Fächer, die im ersten Semester gelesen werden. Das Ganze soll jetzt jedoch keinesfalls abschreckend wirken. Im Gegenteil: Auch komplex anmutende Sachverhalte verlieren ihren Schrecken, wenn man sich klargemacht hat, was eigentlich passiert ist.
Daher unser Tipp: Ließ den Sachverhalt zunächst einmal völlig unbefangen. Mache dich nun mit der Fallfrage vertraut. Denn eine Lösung zu verfassen nach der gar nicht gefragt ist, ist in etwa so wie an Ostern den Weihnachtsbaum aufzustellen. Ließ nun den Sachverhalt nochmals und markiere dir Schlagwörter sowie wichtige Passagen. Am Rand oder auf einem Schmierzettel kannst du dir bereits erste Ideen notieren. Insbesondere wenn mehrere Personen beteiligt sind, bietet sich die Anfertigung eines Schaubilds an. Nun sollte man soweit sein, den Handlungsablauf chronologisch nachvollziehen zu können. Erst jetzt, wenn man Sachverhalt und Fallfrage vollständig erfasst hat, kann mit dem Anfertigen einer guten Lösungsskizze begonnen werden.
3. Schritt: Die Lösungsskizze
Eine gute Lösungsskizze ist das A und O einer erfolgreichen Klausur. Deshalb sollte man sich für das Erstellen auch genügend Zeit einplanen. Doch Vorsicht: Verwendet man zu viel Zeit auf für das Erstellen der Lösungsskizze, kann es mit der Reinschrift eng werden (siehe dazu auch Schritt 4: Das Zeitmanagement). Es ist daher unumgänglich, die Lösungsskizze bloß stichpunktartig zu fassen und ggf. auch – für einen selbst verständliche – Abkürzungen zu verwenden. Auch das Schriftbild darf hier gerne vernachlässigt werden – solange man selber lesen kann, was man zuvor geschrieben hat (persönliche Erfahrungen zeigen, Letzteres ist nicht selbstverständlich…).
Die Lösungsskizze ist die Schablone für die fertige Lösung; sie gibt die Struktur der späteren Lösung vor: Die Prüfungsreihenfolge der in Betracht kommenden Ansprüche bzw. der zu prüfenden Straftatbestände, die Gliederungsebenen und der zu prüfenden Tatbestandmerkmale, eine Sortierung der Argumente, etc. Es gilt dabei die Grundregel: Die Informationen aus dem Sachverhalt haben auch in der Lösung aufzutauchen. Die Lösungsskizze bietet dabei die Möglichkeit, die Sachverhaltsangaben an den richtigen Stellen zu verordnen.
Und einen weiteren Vorteil bietet die Lösungsskizze: Widersprüche in der eigenen Lösung lassen sich leichter erkennen und somit vermeiden (und im Zweifel nachträglich korrigieren). Und Widersprüche in der eigenen Lösung gilt es unbedingt zu vermeiden! Je knapper man die Lösungsskizze hält, desto mehr Zeit verbleibt für die Reinschrift. Eines sollte man sich jedoch bewusst sein: Fällt einem beim Erstellen der Lösungsskizze ein Fehler auf, den man zuvor gemacht hat, so lässt sich dieser relativ schnell korrigieren. Ist die Lösung jedoch erst einmal ausformuliert, ist die Korrektur eines Fehlers nicht nur mühsam, sondern oftmals auch nicht mehr in der vorgegebenen Zeit zu bewältigen. Daher ist das Erstellen einer Lösungsskizze absolut empfehlenswert!
4. Schritt: Das Zeitmanagement
Im universitären Betrieb scheint ein Zeitparadoxon zu herrschen: Während sich in mancher  Vorlesung der Minutenzeiger nur mit stoischer Ruhe fortbewegt, scheint er während der Klausur zu rasen. Die zwei (bzw. drei) Stunden Bearbeitungszeit vergehen meistens wie im Flug. (Und auch in fünfstündigen Examensklausuren wird man regelmäßig in Zeitdruck geraten.) Ein richtiges Zeitmanagement ist daher besonders wichtig. Oberste Prämisse ist dabei: Fertig werden! Kaum etwas wirkt sich auf die Bewertung der Klausur negativer aus, als eine unfertige Lösung – einen Verstoß gegen das Abstraktionsprinzip oder die Prüfung der Strafbarkeit eines Toten einmal ausgenommen.  
Die Zeiteinteilung muss daher immer darauf ausgerichtet sein, eine vollständige Lösung aufs Papier zu bringen. Dass man dabei unter Zeitdruck gerät, liegt dabei nicht unbedingt nur am eigenen Arbeitstempo: Viele Klausuren sind gerade darauf angelegt, den Prüfling unter Zeitdruck zu setzen. Man sollte sich daher unbedingt genug Zeit für das Ausformulieren der Lösung lassen. Das soll jedoch keineswegs Appell sein, das Erstellen einer Lösungsskizze zu vernachlässigen. Wie viel Zeit man zur Reinschrift benötigt, hängt natürlich auch vom eigenen Schreibtempo ab. Als Faustregel lässt sich festhalten: Mindestens die Hälfte – eher zwei Drittel – der Bearbeitungszeit ist für das Ausformulieren der Lösung zu veranschlagen. Das kann aber auch nur ein grober Richtwert sein – und kann individuell deutlich variieren. Aber keine Sorge: Das richtige Zeitmanagement lässt sich sehr gut üben. Probeklausuren geben einem dazu eine gute Möglichkeit. Aber auch wenn solche nicht angeboten werden, kann man zuhause für sich üben. Tipp: Schaffe dir selber reale Klausurbedingungen, d.h. Laptop, Netflix und Radio aus, Handy auf Flugmodus, Timer an und los geht’s! Eine Probeklausur im Strafrecht findet ihr zum Beispiel hier.
5. Schritt: Übung macht den Meister
„Man muss nicht hundert schlechte Klausuraufgaben zur Übung schreiben, sondern zehn gute, und sie wirklich durchdenken.“[1] Diese Aussage von Thomas Fischer, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof a.D., hat durchaus Diskussionen in der juristischen Welt hervorgerufen. Meines Erachtens völlig zu Recht: Nicht nur, dass man sein Zeitmanagement durch regelmäßiges Klausurenschreiben verbessert, die praktische Anwendung des gelernten Wissens zeigt einem gerade auch, an welcher Stelle noch Lücken bestehen, die es zu schließen gilt. Zudem führt regelmäßiges Klausurenschreiben zu einigen schönen Nebeneffekten: Standardformulierungen und Definitionen „brennen“ sich ins Gedächtnis ein, mit der Folge, dass man in nachfolgenden Klausuren über diese Punkte nicht mehr nachdenken muss. Das spart im Ernstfall kostbare Zeit, die man auf die wirklich interessanten Fragen verwenden kann. Dass mit der Übung auch die Schreibgeschwindigkeit zunimmt, bedarf keiner näheren Ausführung.
Der meines Erachtens jedoch wichtigste Punkt ist folgender: Durch regelmäßiges Klausurenschreiben verliert man die Angst vor der Klausur. Da man die Herangehensweise bereits öfters trainiert hat – und damit auch Situationen kennengelernt hat, in denen man nicht auf Anhieb weiterweiß – kann auch der „Ernstfall“ einen nicht aus der Ruhe bringen. Daher unser Tipp: Schreibt alle Übungsklausuren, die angeboten werden.
Ein letzter Tipp zum Abschluss: Um immer auf dem aktuellen Stand zu bleiben, abonniert juraexamen.info auf Facebook (juraexamen.info) und Instagram (@juraexamen.info), dann kann in den Klausuren gar nichts schiefgehen. 😉
[1] https://www.zeit.de/campus/2014/06/thomas-fischer-jurastudium-vorurteile-auswendig-lernen/seite-2

07.11.2018/1 Kommentar/von Dr. Matthias Denzer
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Matthias Denzer https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Matthias Denzer2018-11-07 09:15:192018-11-07 09:15:19In 5 Schritten zur erfolgreichen Klausur
Dr. Sabine Vianden

Erstsemester-Guide: Die Klausur im BGB AT

BGB AT, Fallbearbeitung und Methodik, Für die ersten Semester, Lerntipps, Rechtsgebiete, Verschiedenes, Zivilrecht

In wenigen Wochen ist es wieder soweit: viele Erstsemester schreiben ihre ersten richtigen Klausuren. Die meisten Universitäten bieten natürlich auch Probeklausuren zur Vorbereitung an, jedoch kann bei den Studenten in Sachen Klausur-Schreiben von Routine nicht die Rede sein! Als AG-Leiterin – aber auch vor einiger Zeit selbst im ersten Semester – habe ich erlebt, dass die Probleme dabei immer wieder ähnlich sind. Was muss ich überhaupt lernen? Wie soll ich die Klausur aufbauen? Wie schaffe ich das alles in zwei Stunden? Zum allgemeinen Vorgehen beim Schreiben einer Klausur kann ich an dieser Stelle auf unseren Grundlagenbeitrag Klausurpraxis im Jurastudium verweisen. Auch für die Klausur im Staatsorganisationsrecht wurden bereits wertvolle Tipps zur Verfügung gestellt.
Dieser Beitrag befasst sich gezielt mit der Erstsemesterklausur im BGB AT. Viele dieser Ratschläge werden sicher bereits aus Vorlesung und AG bekannt sein, sie sollen euch aber die Möglichkeit geben, noch einmal einen Überblick über die wesentlichen Punkte zu erhalten (ohne Anspruch der Vollständigkeit). Dazu sollen zunächst ein paar Grundsätze zum Klausuraufbau dargestellt werden, bevor jeweils kurz auf die wichtigsten Lerninhalte eingegangen wird.
I. Klausuraufbau
In zivilrechtlichen Klausuren sind häufig mehrere Ansprüche zu prüfen. Je umfangreicher der Sachverhalt, desto mehr Personen, Daten und Informationen werden genannt, die es in das Gutachten einzubauen gilt. Hier können eine Zeitleiste und eine Personenskizze Überblick verschaffen. Auch beim Lesen des Sachverhaltes sollten Assoziationen am besten gleich in Vorbereitung der Lösungsskizze am Textrand vermerkt werden.
Vielen Studenten fällt es besonders schwer die richtige Anspruchsgrundlage zu finden. Hier ist von der Fallfrage am Ende des Sachverhaltes auszugehen. Ist nur nach Herausgabeansprüchen gefragt, sind auch nur solche zu prüfen, also z.B. § 985 BGB oder § 812 I 1 1. Var. BGB. Bei einer offenen Fragestellung wie „wie ist die Rechtslage?“ sind grundsätzlich sämtliche in Betracht kommenden Ansprüche zu prüfen, allerdings gibt der Sachverhalt meist Hinweise darauf, auf welche Ansprüche der Klausurersteller es abgesehen hat. Ist z.B. davon die Rede, dass die Kaufsache noch nicht übergeben wurde, ist ein Anspruch auf Übereignung und Übergabe aus § 433 I BGB zu prüfen. Auch § 985 BGB kann angeprüft werden, mangels Übergabe wird der Käufer jedoch noch nicht Eigentümer sein. Man sollte sich immer überlegen, was das jeweilige Begehren eines Beteiligten gegenüber einem anderen ist (WER, WAS, von WEM) und welche Anspruchsgrundlagen man kennt, die diesen Zielen entsprechen (WORAUS).
Keinen guten Eindruck machen Klausuren, in denen Gesetze nicht präzise zitiert oder Abkürzungen verwendet (z.B. WE statt Willenserklärung) werden. Seid ihr euch an einer Stelle des Gutachtens oder bei einem Streitentscheid unsicher, dann argumentiert so gut ihr könnt und trefft eine Entscheidung, anstatt die Prüfung einfach abzubrechen und ohne Ergebnissatz offen zu lassen. Meistens bringt man so zumindest einige brauchbare Sätze zustande. Vorteilhaft ist es auch, wenn ihr eure Klausur durch Überschriften und Zwischenergebnisse strukturiert. Das verschafft euch und dem Korrektor einen besseren Überblick.
II. Lerninhalte
Erster Anhaltspunkt für euch sollte natürlich sein, welche Themen in Vorlesung und AG besonders intensiv behandelt wurden. Manche Professoren legen auch viel Wert auf Themengebiete, die üblicherweise keinen klassischen Schwerpunkt im ersten Semester bilden, z.B. AGB-Recht. Als generell wichtigste Themen kann man aber wohl das Zustandekommen von Verträgen, Geschäftsfähigkeit, Stellvertretung und Willensmängel bezeichnen.
1. Zustandekommen von Verträgen
Nicht nur Kaufverträge kommen durch Angebot und Annahme zustande! Es handelt sich um ein allgemeines Prinzip, weshalb man sich auch nicht erschrecken sollte, wenn in einer BGB AT-Klausur die Frage gestellt wird, ob jemand einen Anspruch aus einem Darlehensvertrag hat. Die speziellen Probleme der einzelnen Vertragsarten spielen im ersten Semester in der Regel keine Rolle, hier wird nur das Zustandekommen eines Vertrages in anderem Gewand geprüft.
a. Willenserklärung
Der erste Schritt ist zu erkennen, bei welchen Verhaltensweisen der Personen es sich um Willenserklärungen handeln könnte und diese anschließend jeweils anhand einer Auslegung angeknüpft an §§ 133, 157 BGB auf ihren Erklärungsgehalt zu untersuchen. Gerade wenn viele Verhaltensweisen in Betracht kommen sollte man diese auch eindeutig benennen, das schafft sowohl für euch als auch für den Korrektor Klarheit.
Willenserklärungen können nicht nur ausdrücklich, sondern auch konkludent (z.B. durch Aufstellen eines Warenautomaten) geäußert werden. Fehlt es aber an einer verbalen Äußerung sollte man immer kurz überlegen, ob es sich nicht um einen Fall des Schweigens im Rechtsverkehr handelt, welches nur unter besonderen Voraussetzungen, z.B. durch Vereinbarung, gesetzliche Fiktion oder beim kaufmännischen Bestätigungsschreiben, als Willenserklärung gewertet werden kann.
Die Willenserklärung hat einen objektiven und einen subjektiven Tatbestand. Alle Bestandteile jeweils zu nennen und zu subsumieren kostet aber viel Zeit und ist in vielen Fällen überflüssig. Häufig relevant ist aber auf der objektiven Seite, ob ein erkennbarer Rechtsbindungswille vorliegt. Das ist nämlich u.a. für die Abgrenzung zwischen der invitatio ad offerendum und der offerte ad incertas personas, sowie Vertrag und Gefälligkeit entscheidend. Auf der subjektiven Seite sollte das Problem des fehlenden Erklärungsbewusstseins bekannt sein.
b. Abgabe und Zugang
Habt ihr die Willenserklärung als solche erkannt und ausgelegt, ist sie auf ihr Wirksamwerden zu untersuchen. Bei nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen genügt es, wenn diese abgegeben werden, also willentlich in den Rechtsverkehr entäußert werden. Empfangsbedüftige Willenserklärungen müssen darüber hinaus auch zugehen, vgl. § 130 I 1 BGB, wobei Fälle des § 151 BGB eine Ausnahme bilden. Der überwiegende Teil der Zugangsprobleme lässt sich mit der Definition des Zugangs als Gelangen der Willenserklärung in den Machtbereich des Empfängers, sodass dieser unter normalen Umständen von ihr Kenntnis nehmen kann, lösen. Weiterhin sollte man mit den Problemen der abhandengekommenen Willenserklärung und der Annahmeverweigerung umgehen können und sich auch vor der Klausur die §§ 145-153 BGB genauer ansehen, damit man die darin enthaltenen Sonderregelungen nicht übersieht.
Ebenfalls häufig geprüft wird der Zugang bei Einschaltung einer Mittelsperson. Hier sollte man zunächst darstellen, dass es für den Zeitpunkt des Zugangs darauf ankommt, um welche Art von Mittelsperson es sich handelt und kurz erläutern wann bei Einschaltung von Erklärungsbote, Empfangsbote und Empfangsvertreter jeweils der Zugang erfolgt. Dann kann man die Definitionen der verschiedenen Mittelspersonen nennen und anschließend diskutieren, um welche es sich konkret handelt.
Handelt es sich bei dem Empfänger um einen Minderjährigen, ist ferner § 131 II BGB zu beachten. Am Schluss sollte man dann noch einmal überlegen, ob kein wirksamer Widerruf i.S.d. § 130 I 2 BGB erfolgt ist. Gibt es jedoch dafür keine Anhaltpunkte, sollte für einen klarstellenden Satz auch keine Zeit verschwendet werden.
c. Konsens und Dissens
Ein Vertrag kann nur zustande kommen, wenn Angebot und Annahme übereinstimmen. Dabei kommt es darauf an, ob der objektive Erklärungswert der Willenserklärungen übereinstimmt. Ausnahme ist die falsa demonstratio: Hier genügt der übereinstimmende subjektive Wille. In den übrigen Fällen liegt bei Auseinanderfallen der objektiven Erklärungswerte ein Dissens vor. Vorrangig ist in jedem Fall zu prüfen, ob die Differenz nicht durch Auslegung beseitigt werden kann. Wichtig ist auch sich den Unterschied zwischen einem Dissens und einer anfechtbaren Willenserklärung deutlich zu machen: Anfechtbar ist eine Willenserklärung bei der Wille und Erklärung auseinanderfallen. Der Dissens betrifft ein Auseinanderfallen des objektiven Erklärungswertes mehrerer Willenserklärungen. Weitere Regelungen über die Wirksamkeit des Vertrages treffen die §§ 154, 155 BGB.
2. Geschäftsfähigkeit
Probleme bei der Geschäftsfähigkeit lassen sich leicht in jede Klausur einbauen und sind deshalb unbedingter Pflichtlernstoff. Bei Geschäftsunfähigen ist darauf zu achten, ob diese sich zum Zeitpunkt der Willenserklärung nicht in einem sog. „lichten Moment“ befanden.
Weitaus häufiger spielen in Klausuren aber beschränkt geschäftsfähige Minderjährige i.S.d. §§ 2, 106 BGB eine Rolle. Ausgangspunkt für die Prüfung der Wirksamkeit einer Willenserklärung des Minderjährigen ist § 107 BGB, wobei insbesondere folgende Fragestellungen und Probleme bekannt sein sollten: Was bedeutet rechtlich lediglich vorteilhaft? Grundstücksgeschäfte von Minderjährigen und rechtlich neutrale Geschäfte. In allen Fällen ist jeweils sorgfältig zwischen Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft zu differenzieren. Ist das Geschäft nicht rechtlich lediglich vorteilhaft, bedarf der Minderjährige grundsätzlich der Einwilligung seiner gesetzlichen Vertreter, §§ 107, 183 BGB (i.d.R. die Eltern, §§ 1626, 1629). Dabei ist auch an den Sonderfall des § 110 BGB zu denken, wobei dieser erst mit Bewirken, also vollständiger Erfüllung i.S.d. § 362 BGB, der Leistung durch den Minderjährigen erfüllt wird.
Fehlt es an der vorherigen Einwilligung kann das zunächst schwebend unwirksame Rechtsgeschäft durch eine nachträgliche Genehmigung, §§ 108, 184 BGB, ex tunc, also von Anfang an wirksam werden. In Einzelfällen (§§ 112, 113 BGB) kann der Minderjährige aber auch ohne weitere Mitwirkung seiner Eltern wirksame Verträge schließen. Dabei ist allerdings daran zu denken, dass die Aufnahme des Dienst- oder Arbeitsverhältnisses bzw. des Erwerbsgeschäftes selbst der Zustimmung der gesetzlichen Vertreter bedarf. Ein weiteres wichtiges Problem stellt die Erfüllung vertraglicher Verpflichtungen gegenüber Minderjährigen dar. Insgesamt sollte man sich in dem System der §§ 107-113 BGB mit allen Ausnahmen gut auskennen.
3. Stellvertretung
Im Rahmen der Stellvertretung sollten natürlich insbesondere deren Voraussetzungen, nämlich deren Zulässigkeit, die eigene Willenserklärung des Vertreters, die Offenkundigkeit und die Vetretungsmacht inklusive aller diese betreffenden Abgrenzungsfragen beherrscht werden. Im Rahmen des letzten Punktes finden sich häufig die meisten Probleme. Bekannt sein sollten hier die Voraussetzungen der Vollmachtserteilung und welche Arten von Vollmachten es gibt, sowie die Gründe für ihr Erlöschen. Dabei ist die Vollmacht grundsätzlich von dem zugrundeliegenden Grundverhältnis zwischen dem Vertreter und dem Vertretenen, z.B. Auftrag, zu unterscheiden (beachte aber § 168 BGB). Weitere wichtige Problemkreise sind Duldungs- und Anscheinsvollmacht, Willensmängel bei der Vollmachterteilung und das Insichgeschäft.
Die Probleme „Missbrauch der Vertretungsmacht“ und „Vertreter ohne Vertretungsmacht“ werden oft durcheinandergebracht. Ersteres beschreibt die Situation, dass der Vertreter im Rahmen der Vertretungsmacht handelt, dabei aber Absprachen im Innenverhältnis mit dem Vertretenen überschreitet. Außer bei Kollusion oder Bösgläubigkeit des Geschäftspartners kommt dennoch ein Rechtsgeschäft mit Wirkung für und gegen den Vertretenen zustande. Bei dem Vertreter ohne Vertretungsmacht hingegen ist das Verhalten des Vertreters schon im Außenverhältnis von keiner Vertretungsmacht gedeckt, sodass der Vertretene nur gebunden wird, wenn er das Geschäft nachträglich genehmigt, § 177 I BGB. Hier kann man sich insgesamt die Systematik des Minderjährigenrechts zu Nutze machen. Zieht der „Vertretene“ das Geschäft nicht an sich, ist an Ansprüche gegen den vermeintlichen Vertreter aus § 179 BGB zu denken. Generell darf man auch nicht vergessen, dass bei der Stellvertretung nicht der Vertreter, sondern der Vertretene Vertragspartner wird und somit gem. § 164 I BGB nur ihn die Rechtsfolgen treffen, deshalb ist auch im Regelfall nur er anfechtungsberechtigt (§ 166 I BGB).
4. Willensmängel
Hin und wieder begegnet man in Klausuren Willensmängeln der §§ 116-118 BGB. In den überwiegenden Fällen geht es aber darum, ob eine Willenserklärung angefochten werden kann. Beim Vertragsschluss wurde festgestellt, dass bei einem der Vertragspartner subjektiver und objektiver Erklärungsgehalt auseinanderfallen. Weil aber der objektive Erklärungsgehalt (nach Auslegung) mit dem des Vertragspartners übereinstimmt, ist ein wirksamer Vertrag zustande gekommen. Danach kann geprüft werden, ob der irrende Vertragspartner seine Willenserklärung anfechten kann. Welche Punkte dabei eine Rolle spielen, könnt ihr unserem Schema zur Anfechtung entnehmen.
5. Sonstiges
Weitere AT-Themen sind u.a. Bedingung und Befristung, Formbedürftigkeit, Sittenwidrigkeit und Verbotsgesetze, Nichtigkeit und Umdeutung. Auch diese Gebiete sollte man insbesondere, wenn sie in der Vorlesung intensiv behandelt wurden, nicht völlig vernachlässigen. Es handelt sich dabei selten um die Hauptprobleme eines Falles, dennoch können sie als „Stolpersteine“ viel Zeit und manchmal leicht zu verdienende Punkte kosten.
Das Auseinanderhalten von Verfügungs- und Verpflichtungsgeschäft (Trennungs- und Abstraktionsprinzip) ist einer der Grundpfeiler des deutschen Zivilrechts, auf welchen auf im ersten Semester bereits großen Wert gelegt wird. Auch im Rahmen von § 985 BGB sind die Eigentumsverhältnisse zu prüfen, sodass auch für die Anfängerklausur die Grundzüge des rechtsgeschäftlichen Erwerbs nach §§ 929 ff. BGB bekannt sein sollten (jedenfalls der Erwerb vom Berechtigten nach § 929 1 BGB).
III. Zum Schluss
Auch wenn es sich um eine „Anfängerklausur“ handelt, bedeutet dies nicht, dass der allgemeine Teil des BGB einfacher Prüfungsstoff ist. Schon im ersten Semester kommt man mit Themen in Berührung, die – wenn auch in anderer Form und in anderem Umfang – auch im Examen noch eine Rolle spielen. Die Probleme zu erkennen reicht  alleine nicht aus – man muss sie auch entsprechend in das Gutachten einbauen können. Deshalb ist neben dem Lernen des reinen Stoffes auch die Teilnahme an Probeklausuren sowie das selbstständige Formulieren von Lösungen alleine oder in der Lerngruppe/AG zu empfehlen.
Viel Erfolg bei den anstehenden Klausuren!

10.01.2017/0 Kommentare/von Dr. Sabine Vianden
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Sabine Vianden https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Sabine Vianden2017-01-10 10:30:062017-01-10 10:30:06Erstsemester-Guide: Die Klausur im BGB AT
Redaktion

Klausurlösung: ÖII – Juni 2014 – 1. Staatsexamen NRW

Lösungsskizzen, Nordrhein-Westfalen

Nachfolgend erhaltet Ihr in Kooperation mit dem Repetitorium Jura Online (www.jura-online.de) eine unverbindliche Lösungsskizze der im Juni 2014 gelaufene ÖII Klausur in NRW (Sachverhalt und auch unten). Mittels der Skizze soll es euch möglich sein, euch noch besser auf eure eigenen Klausuren vorzubereiten und die wesentlichen Problemkreise zu erfassen.

Bitte beachten:
Die Lösungsskizze ist absolut unverbindlich und erhebt keinerlei Anspruch auf inhaltliche Richtigkeit oder Vollständigkeit. Sie beruht allein auf den uns zugesandten Gedächtnisprotokollen und soll allenfalls eine Richtschnur für eure eigenen Überlegungen sein. Bitte habt auch Verständnis dafür, dass wir oder Jura Online evtl. Fragen zu euren eigenen Klausurlösungen nicht beantworten können. Gleichwohl ist jeder herzlich eingeladen, sich im Kommentarbereich mit anderen Lesern auszutauschen. Wir werden versuchen, auf die ein oder andere Frage dort einzugehen.

Sachverhalt

X ist wegen Raub in Tateinheit mit Körperverletzung rechtskräftig zu 7 
Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Bei der Tat hatte er einen Juwelier, den er mit seiner Bande Zuhause überfallen hat, mit einem
Teleskopschlagstock bedroht und ein anderes Opfer mit einem 
Elektroschocker verletzt. Davor war er schon mehrfach wegen 
vorsätzlicher Körperverletzung verurteilt worden. Alle Waffen musste X 
daraufhin abgeben.
Ohne ihn vorher anzuhören, gibt die zuständige Polizeibehörde dem X mit 
Schreiben vom 15.3.14 bekannt, dass sie ihm gemäß § 41 I Nr. 2 WaffG
 untersagen, erlaubnisfreie Waffen zu erwerben oder zu besitzen. Außerdem
 wird ihm gemäß § 41 II WaffG untersagt, erlaubnisbedürftige Waffen zu
 erwerben. Die Polizeibehörde ordnet außerdem, formell ordnungsgemäß 
begründet, den sofortigen Vollzug an. Das Schreiben enthält eine
 ausführliche Begründung. Die Maßnahme sei erforderlich, das ergebe sich
 schon aus den schweren Verletzungen, die X bei seiner letzten Straftat
 seinen Opfern zugefügt habe. Das Schreiben geht X am 18.3.14 
ordnungsgemäß zu.
X ist über das Schreiben erbost. Über die Osterfeiertage wird er
 darüber so wütend, dass er am 22.04.14 ein Schreiben verfasst, dass er 
mit “Klage” überschreibt und in dem er Folgendes geltend macht:
 Die Maßnahme sei schikanös und rechtswidrig. Eine solche Anordnung 
wegen Gefahrenverdachts dürfe nicht einfach ins Blaue hinein geschehen. Er habe
 alle Waffen abgegeben und auch nicht vor sich neue zu beschaffen. Da er
 sich derzeit in Haft befinde, sei ihm das auch gar nicht möglich.
Insbesondere die Anordnung nach § 41 II WaffG sei nicht haltbar,
 schließlich müsse man die Waffen ja ohnehin erst erlaubt bekommen. Die 
Erlaubnis könne dann auch gem. § 45 WaffG widerrufen werden.
 Das Schreiben wird von X am 22.04.14, mit Unterschrift versehen, an das 
zuständige Verwaltungsgericht gesandt. Darin beantragt er auch
 vorläufigen Rechtsschutz.
Die Polizeibehörde hält dem entgegen, es sei dem X immerhin auch in der
 JVA möglich an, notfalls selbst hergestellte, Waffen zu kommen. 
Zudem habe sein Verhalten in der Vergangenheit gezeigt, dass ihm der
 Umgang mit Waffen untersagt werden müsse.
Hat der Antrag Aussicht auf Erfolg?
Im Anhang befindet sich ein Kalender, aus dem hervorgeht, dass der
 18.04.14 Karfreitag und der 21.04.14 Ostermontag ist.
 
Unverbindliche Lösungsskizze
A. Zulässigkeit
I. Verwaltungsrechtsweg, § 40 I 1 VwGO (+)
II. Statthafte Verfahrensart
– Problem: Auslegung des Begehrens (und der Fallfrage), §§ 88, 122 VwGO: X begehrt (auch) einstweiligen Rechtsschutz bei Gericht und gefragt wird nach den Erfolgsaussichten des „Antrages“ (nicht der „Klage“).
– Hier: Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gem. § 80 V 1 2. VwGO; Arg.: beide Untersagungsverfügungen sind Verwaltungsakte, gegen die in der Hauptsache die Anfechtungsklage statthaft wäre, vgl. §§ 123 V, 80 I VwGO.
III. Antragsbefugnis, § 42 II VwGO analog
– Hier: Art. 2 I GG möglicherweise verletzt.
IV. Antragsgegner, § 78 I VwGO analog
V. Rechtsschutzbedürfnis
1. Widerspruch
– In NRW entbehrlich
2. Keine offensichtliche Unzulässigkeit des Hauptsacherechtsbehelfs
– Problem: Verfristung der zeitgleich erhobenen Klage, § 74 I VwGO (-); Arg.: Fristende fällt auf einen gesetzlichen Feiertag (Ostermontag) und endet erst mit Ablauf des nächsten Werktages, vgl. § 41 II VwVfG (3-Tages-Fiktion) und § 57 II VwGO i.V.m. § 222 II ZPO.
3. Entfall der aufschiebenden Wirkung
– Hier: Anordnung der sofortigen Vollziehung, § 80 II 1 Nr. 4 VwGO.
4. Vorheriger Antrag bei der Behörde, § 80 IV VwGO
– Nicht erforderlich; Arg.: effektiver Rechtsschutz und Umkehrschluss aus § 80 VI VwGO.
B. Objektive Antragshäufung, § 44 VwGO analog (+)
C. Begründetheit
Der Antrag ist begründet, wenn die Anordnung der sofortigen Vollziehung rechtswidrig ist.
I. Formelle Rechtmäßigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung
1. Zuständigkeit, § 80 II 1 Nr. 4 VwGO (+)
2. Verfahren
– Anhörung gem. § 28 I VwVfG (analog) nicht erforderlich; Arg.: Anordnung der sofortigen Vollziehung kein VA; keine planwidrige Regelungslücke
3. Form
– Gesonderte, schriftliche, tragfähige Begründung, § 80 II 1 Nr. 4, III VwGO – wohl (+)
II. Materielle Rechtmäßigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung
– Interessenabwägung, die sich maßgeblich an der Erfolgsaussichten in der Hauptsache (Anfechtungsklage) orientiert. Entscheidend: Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit der Verwaltungsakte
1. Rechtmäßigkeit der Verwaltungsakte
a) Untersagung bzgl. erlaubnisfreier Waffen
aa) Ermächtigungsgrundlage: § 41 I Nr. 2 WaffG
bb) Formelle Rechtmäßigkeit
(1) Zuständigkeit (+)
(2) Verfahren
– Anhörung gem. § 28 I VwVfG (-), aber: Heilung gem. § 45 I Nr. 3 VwVfG möglich.
(3) Form (+)
cc) Materielle Rechtmäßigkeit
(1) Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage
– Fehlen der erforderlichen Zuverlässigkeit des Erwerbswilligen, § 41 I Nr. 2 WaffG a.E.
– Hier: Rechtskräftige Verurteilung wegen eines Verbrechens, § 5 I Nr. 1 lit. a WaffG, nämlich u.a. wegen Raubes, §§ 249, 12 StGB
– Bloßer Gefahrenverdacht ausreichend; Arg.: § 5 I WaffG enthält – anders als z.B. § 5 II WaffG – eine unwiderlegliche Vermutung für die Unzuverlässigkeit
(2) Rechtsfolge: Ermessen
– Ermessensüberschreitung/Verhältnismäßigkeit
(a) Zweck
– Hier: Abwendung von Gefahren für Leib und Leben, Art. 2 II GG
(b) Geeignetheit (+)
(c) Erforderlichkeit
– Problem: Verzicht auf Maßnahme als milderes Mittel, da bloßer Verdacht und Beschaffung der Waffen im Gefängnis nicht möglich (-); Arg.: Wertung der §§ 41 I Nr. 2, 5 I Nr. 1 lit. a WaffG; Herstellung/Beschaffung von Waffen im Gefängnis wohl möglich.
(d) Verhältnismäßigkeit i.e.S.
– Hier: Art. 2 II GG/Art. 2 I GG
dd) Ergebnis zu a)
– Untersagungsverfügung bzgl. erlaubnisfreier Waffen rechtmäßig.
b) Untersagungsverfügung bzgl. erlaubnispflichtiger Waffen
aa) Ermächtigungsgrundlage: § 41 II WaffG
bb) Formelle Rechtmäßigkeit (+)
cc) Materielle Rechtmäßigkeit
(1) Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage
– Verhütung von Gefahren für die Sicherheit
– Problem: Bloßer Gefahrenverdacht ausreichend? Wohl (+); Arg.: Würdigung der konkreten Umstände; Sinn und Zweck.
– Bereits vorliegende Erlaubnis nicht erforderlich; Arg.: Wortlaut; Sinn und Zweck.
(2) Rechtsfolge: Ermessen
– Ermessensüberschreitung/Verhältnismäßigkeit
– Sofern die Voraussetzungen bejaht wurden, dann wohl auch Bejahung der Verhältnismäßigkeit.
dd) Ergebnis zu b)
– Untersagungsverfügung bzgl. erlaubnispflichtiger Waffen rechtmäßig.
2. Weitere Interessenabwägung
– Wohl (+); Arg.: Bedeutung der Rechtsgüter Leib und Leben.
D. Gesamtergebnis: (-)
 
 
 
 

12.08.2014/1 Kommentar/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2014-08-12 10:00:132014-08-12 10:00:13Klausurlösung: ÖII – Juni 2014 – 1. Staatsexamen NRW
Redaktion

Klausurlösung: ÖI – Juni 2014 – 1. Staatsexamen NRW

Lösungsskizzen, Nordrhein-Westfalen

Nachfolgend erhaltet Ihr in Kooperation mit dem Repetitorium Jura Online (www.jura-online.de) eine unverbindliche Lösungsskizze der im Juni 2014 gelaufene ÖI Klausur in NRW (Sachverhalt und auch unten). Mittels der Skizze soll es euch möglich sein, euch noch besser auf eure eigenen Klausuren vorzubereiten und die wesentlichen Problemkreise zu erfassen. Am Ende des Beitrags verweist Jura Online abschließend auf eigene Lernangebote.

Bitte beachten:
Die Lösungsskizze ist absolut unverbindlich und erhebt keinerlei Anspruch auf inhaltliche Richtigkeit oder Vollständigkeit. Sie beruht allein auf den uns zugesandten Gedächtnisprotokollen und soll allenfalls eine Richtschnur für eure eigenen Überlegungen sein. Bitte habt auch Verständnis dafür, dass wir oder Jura Online evtl. Fragen zu euren eigenen Klausurlösungen nicht beantworten können. Gleichwohl ist jeder herzlich eingeladen, sich im Kommentarbereich mit anderen Lesern auszutauschen. Wir werden versuchen, auf die ein oder andere Frage dort einzugehen.

Sachverhalt
Im Bundesland B gibt es das Feiertagsgesetz (FTG). Darin heißt es in § 
3, dass an ruhigen Feiertagen nur solche Vergnügungsveranstaltungen 
erlaubt seien, die mit dem Charakter des Feiertages zu vereinbaren 
seien. In § 1 sind als solche ruhige Feiertage z.B. der Karfreitag und
 Totensonntag vermerkt. Außerdem Allerheiligen, der am 1.11. gefeiert
 wird und an dem katholische Christen traditionell der Verstorbenen
gedenken. Sportveranstaltungen sind an diesem Tag ausdrücklich erlaubt.
Der Verein “Mehr Toleranz für internationale Feste in B” (V) aus dem 
Bundesland B hat es sich zur Aufgabe gemacht, Meinungskundgaben und 
Informationsveranstaltungen zu internationalen Festen zu veranstalten.
Der Verein selbst hat 7 Mitglieder.
 Anfang Oktober verlautbart V, dass am 31.10. eine solche
 Meinungsaustausch- und Infoveranstaltung in der Diskothek in der
 Großstadt S stattfinden werde. In der Ankündigung wird darauf
 hingewiesen, dass es den Besuchern offen stehe, in Halloweenverkleidung 
zu erscheinen und es auch nicht verboten sei, sich rhythmisch zu Musik zu
bewegen. V hat zu diesem Zweck bereits eine Diskothek angemietet, die
 Platz für 800 Menschen bietet. Gemietet wurde diese von 31.10. 22 Uhr 
bis 01.11. 07:00 Uhr.
Die zuständige Ordnungsbehörde der Stadt S verbietet nach erfolgter
 Anhörung dem V die Veranstaltung schriftlich per Bescheid. Als
 Begründung führt sie an, alleine die Diskrepanz von der Mitgliederzahl
 des Vereins zu dem Veranstaltungsraum spreche dafür, dass es sich um
 eine Scheinveranstaltung handle, die den Zweck habe, das Feiertagsverbot 
zu umgehen. Dafür spreche auch die Tatsache, dass jeder gegen eine 
Gebühr von 8 € Mitglied des Vereins werden könne. Die Ordnungsbehörde
 erklärt außerdem den sofortigen Vollzug. Dazu führt sie insbesondere 
aus, wegen des unverschämten Umgehungsversuches müsse an V ein Exempel
statuiert werden.
Der V reicht noch am selben Tag, wirksam vertreten durch seinen
 Vorsitzenden, einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz und zugleich
 Klage ein. V führt aus, das FTG sei schon gar nicht anwendbar, da die
 Veranstaltung von V nicht öffentlich sei. Viel erheblicher sei aber die
 Tatsache, dass die Begriffe “ernst” und “öffentlich” aus § 3 FTG mit dem
 Bestimmtheitsgebot nicht zu vereinbaren seien. Außerdem zwinge das FTG
 allen Menschen den christlichen Glauben auf und sei mit dem
 Neutralitätsgebot daher unvereinbar. Außerdem verstoße es gegen das 
Recht auf Versammlungsfreiheit. Aufgrund der Tatsache, dass 
Sportveranstaltungen erlaubt seien, ergebe sich weiterhin ein Verstoß 
gegen den Gleichheitsgrundsatz.
Die V hält dem entgegen, so neutral sei der Staat gar nicht, was sich
aus Art. 140 GG iVm Art. 139 WRV ergebe. Die Versammlungsfreiheit
 erfasse zudem gar nicht die Veranstaltung des V, da davon nicht jede
Vereinsarbeit erfasst sei. Sport diene außerdem der Volksgesundheit und 
sei nicht so eine schrille Albernheit wie Halloween feiern.
Hat der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz des V Aussicht auf
 Erfolg?
Im Anhang wurde darauf hingewiesen, dass Halloween ein Fest ist, das am 
31.10. gefeiert wird und zu dem Menschen Kostüme tragen. Außerdem wurde 
vorgegeben, dass das FTG formell verfassungsgemäß ist und § 110 JustG 
zeitlich gilt. Sofern Landesrecht anzuwenden sei, gelte NRW-Recht.
Unverbindliche Lösungsskizze
A. Zulässigkeit
I. Verwaltungsrechtsweg, § 40 I 1 VwGO (+)
 II. Statthafte Verfahrensart
Hier: Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung, § 80 V 1 2. Fall VwGO; Arg.: Verbot = Verwaltungsakt, gegen den in der Hauptsache die Anfechtungsklage die statthafte Klageart ist.
III. Antragsbefugnis, § 42 II VwGO analog
Hier: Art. 8, 5, 4, 3, 19 III GG
IV. Antragsgegner, § 78 I Nr. 1 VwGO
V. Rechtsschutzbedürfnis
1. Hauptsacherechtsbehelf nicht offensichtlich unzulässig (+)
2. Keine aufschiebende Wirkung
Hier: § 80 II 1 Nr. 4 VwGO
3. Vorheriger Antrag bei der Behörde, § 80 IV VwGO
– Nicht erforderlich; Arg.: § 80 VI VwGO ; effektiver Rechtsschutz
VI. Beteiligten- und Handlungsfähigkeit, §§ 61, 62 II VwGO
– Bzgl. der Vereins: §§ 21, 26 BGB
B. Begründetheit
I. Formelle Rechtmäßigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung
1. Zuständigkeit, § 80 II 1 Nr. 4 VwGO
2. Verfahren
– Anhörung gem. § 28 I VwVfG (analog) nicht erforderlich; Arg.: Anordnung der sofortigen Vollziehung kein Verwaltungsakt
3. Form
– Gesonderte, schriftliche, tragfähige Begründung, § 80 II 1 Nr. 4, III VwGO (-); Arg.: das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung wird nicht deutlich
– Heilung gem. § 45 I Nr. 2 VwVfG nicht möglich; Arg.: Anordnung der sofortigen Vollziehung kein Verwaltungsakt
II. Materielle Rechtmäßigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung
Darüber hinaus könnte die Anordnung der sofortigen Vollziehung auch materiell rechtswidrig sein.
(Problem: Prüfungsumfang – Ist nach Feststellung der formellen Rechtswidrigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung noch die materielle Rechtmäßigkeit/Rechtswidrigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung zu prüfen?
(+); Arg.: Prozessökonomie)
1. Rechtmäßigkeit des zugrundeliegenden Verwaltungsaktes (Verbotsverfügung)
a) Ermächtigungsgrundlage
aa) Feiertagsgesetz (FTG)
(-); Arg.: FTG enthält nur Verbot, keine Ermächtigung
bb) § 5 Versammlungsgesetz
Problem: Versammlung
– aA: Jeder Zweck ausreichend
– aA: Politischer (öffentlicher) Zweck erforderlich
– hM: Kommunikativer Zweck erforderlich, aber auch ausreichend
Hier: wohl bloße Tanzveranstaltung; Arg.: Ort; Uhrzeit, Dauer; Ankündigungen bzgl. der Musik; „Mitgliedsbeitrag“
cc) Generalklausel, § 14 OBG
b) Formelle Rechtmäßigkeit (+)
c) Materielle Rechtmäßigkeit
aa) Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage
(1) Schutzgut
– Öffentliche Sicherheit
– Fallgruppe: Geschriebenes Recht (§ 3 FTG)
(a) Wirksamkeit (Verfassungsmäßigkeit) des § 3 FTG
(aa) Formelle Verfassungsmäßigkeit (+)
(bb) Materielle Verfassungsmäßigkeit
(aaa) Verstoß gegen die Versammlungsfreiheit, Art. 8 GG
(-); Arg.: Wohl keine Versammlung (s.o.)
(bbb) Verstoß gegen Meinungsfreiheit, Art. 5 I 1 GG
(-); Arg.: Wohl keine Meinungsäußerung
(ccc) Verstoß gegen Glaubensfreiheit, Art. 4 I, II GG
– Negative Glaubensfreiheit der Mitglieder
– „Staatliches Neutralitätsgebot“ nicht absolut; Arg.: z.B. Art. 140 GG i.V.m. Art. 139 WRV
(ddd) Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, Art. 3 I GG
– Vergleich mit Sportveranstaltungen, die an Feiertagen ausdrücklich zugelassen sind
– Aber: Unterschiedsbehandlung wohl sachlich gerechtfertigt; Arg.: keine reine „Spaßveranstaltung“
(eee) Bestimmtheitsgebot
– „Öffentlich“ (+); Arg.: hinreichend konkretisiert, vgl. auch § 1 Versammlungsgesetz
– „Ernst“ wohl noch (+)
(b) Vorliegen der Voraussetzungen des § 3 FTG (+)
(2) Gefahr (+)
(3) Ordnungspflichtigkeit
Hier: Verhaltensstörer, § 17 OBG
bb) Rechtsfolge: Ermessen
– Verhältnismäßigkeit (+)
2. Weitere Interessenabwägung (+)
 
C. Gesamtergebnis/Gerichtlich Entscheidung
Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung hat Erfolg. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist zumindest formell rechtswidrig. Das Gericht wird die Anordnung der sofortigen Vollziehung aufheben.
 
 

11.08.2014/2 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2014-08-11 11:35:462014-08-11 11:35:46Klausurlösung: ÖI – Juni 2014 – 1. Staatsexamen NRW
Redaktion

Notiz: Juraprofessor zeigt Studentin wegen Klausur an

Aktuelles, Startseite

Ein kurioser Fall macht aktuell in den Medien die Runde: Ein Potsdamer Juraprofessor hat Strafanzeige gegen eine Studentin wegen Verleumdung bzw. Beleidigung erstattet.
Wie es dazu kam? Die Studentin war mit der gestellten Schuldrechtsklausur unzufrieden und versah sie mit folgender Anmerkung:

„Ich möchte mich hiermit bei Ihnen bedanken, dass Sie mich so sehr in den Arsch gefickt haben. Sie treiben mich in die Prostitution, weil ich sonst nichts anderes kann und ein Studium ich mir nicht mehr leisten kann, da im 4. Semester mein Anspruch auf Bafög wegfällt. Falls wir uns dann in irgendeinem Puff wiedersehen, wissen Sie warum.“

Die ganze Geschichte findet man hier, ein Statement des Professors hier.
Aktuelle Urteile zur Beleidigung lassen sich anhand der nachfolgenden Beispiele gut wiederholen: hier, hier und hier. Zum Strafantrag findet sich eine Darstellung hier.

06.03.2014/19 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2014-03-06 09:54:252014-03-06 09:54:25Notiz: Juraprofessor zeigt Studentin wegen Klausur an
Seite 1 von 3123

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