Wirkungen des Strafantrags
Wir freuen uns heute erneut einen Gastbeitrag von Marvin Granger veröffentlichen zu können. Nach seinem letzten Beitrag zu Streiks in kirchlichen Einrichtungen befasst er sich diesmal mit einem auch im Referendariat sehr relevanten Problem: der Bedeutung des Strafantrags. Hierzu zeigt er wichtige Konstellationen und Problemschwerpunkte auf.
Wirkungen des Strafantrags
I. Vorwort
Während meines Studiums und meiner derzeitigen Tätigkeit als Klausurenkorrektor bin ich immer wieder auf Themen und Probleme sowie Lösungen derselben gestoßen, die offenbar nicht nur mir oft Kopfzerbrechen bereiten, sondern auch vielen anderen. Vielleicht geht euch das auch so. Freilich gibt es in der Juristerei viele verzwickte Rechtsfragen, bei deren Lösung man auf Dutzende Streitigkeiten und noch mehr Meinungen stößt. Welcher Student will das bestreiten? Diese Streitigkeiten machen einem die Falllösung nicht unbedingt leichter. Dazu kommen dann noch durch das ganze Studium hindurch etliche Hinweise von Dozenten, was man bis zum Examen unbedingt alles können und sich merken müsse. Am Ende – gerade vor dem Examen – meint man dann, den ganzen Stoff mit all den Einzelheiten bis zu den Klausuren doch nie beherrschen zu können. Und das stimmt auch. Man kann nicht alles wissen! Dies ist mir während meiner Examensvorbereitung schnell klar geworden. Man muss auch gar nicht alles wissen, denn viele Probleme und ihre Lösung lassen sich in der Klausur herleiten, wenn insbesondere die juristischen Grundlagen verstanden wurden.
Leider geht das, glaube ich, erst ab der Examensvorbereitung so richtig, da sich der Stoff aus den vorherigen Semestern erstmal gesetzt haben muss. Ab dieser Zeit sollte man sich ein Systemverständnis aber auch wirklich versuchen anzueignen, um sich das Examen zu erleichtern. Denn erst durch das Systemverständnis versteht man viele Dinge (v.a. Streitigkeiten) tatsächlich und kann sie in eine Fallprüfung sinnvoll einbauen. Der eine oder die andere mag sich, wie ich, schließlich auch zu fragen beginnen, ob bestimmte Streitigkeiten überhaupt „notwendig“ sind oder ob sie einem das Leben nur schwerer machen als es sein müsste. Ich denke, dass in diversen Fällen schon ein – nicht zu unterschätzender – Blick ins Gesetz genügt, um sachgerechte Antworten zu bekommen.
Noch ein genereller Tipp für das Examen, was Streitfragen angeht
Die Mehrzahl der Examensaufgaben wird mittlerweile von Praktikern gestellt sowie korrigiert und diese wollen in erster Linie vertretbare Ergebnisse sehen. Dabei stützen sie sich meistens auf die h.M., insbesondere auf die Rechtsprechung. Man darf freilich im Examen von der h.M. abweichen, sollte dies jedoch nur mit einer guten und konsequenten Begründung, um Punktabzüge zu vermeiden.
II. Warum das Thema „Wirkungen des Strafantrags“?
Jeder Student hatte in einer Strafrechtsklausur wahrscheinlich schon einmal mit einem Strafantragserfordernis zu tun. Im Sachverhalt steht dann z.B.: „Etwaige erforderliche Strafanträge sind gestellt“. Aber wozu sind Strafanträge eigentlich erforderlich? Erst kürzlich habe ich, wie schon häufiger, in einer offiziellen (!) Klausurlösung, nachdem Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Schuld festgestellt worden waren, gelesen: „Da der erforderliche Strafantrag nicht gestellt ist, hat der Täter sich nicht strafbar gemacht“.
Ist ein Strafantrag also ein Strafbarkeitserfordernis? – Nein, ist er nicht!
III. Begründung
1. Straftat und Strafbarkeit
Zunächst ist es sinnvoll, sich die Ausgangsfragen jeder materiell-rechtlichen Strafrechtsklausur zu stellen:
- Wann macht eine Person sich strafbar? – Wenn sie eine Straftat begeht.
- Und was ist eine Straftat? – Eine rechtswidrig und schuldhaft begangene Handlung, die den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllt.[1]
Eine Straftat ist also durch drei Elemente gekennzeichnet:
- Tatbestand
- Rechtswidrigkeit
- Schuld
Die Voraussetzungen dafür, wann ein Straftatbestand erfüllt ist und der Täter rechtswidrig sowie schuldhaft handelt, sind alle im materiellen Recht, insbesondere im StGB,geregelt
2. Strafantrag und Strafverfolgung
Zwar enthält das StGB auch Vorschriften zum Strafantrag (v.a. §§ 77 ff. StGB), doch dies darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein Strafantrag keine materiell-rechtliche Funktion und damit keine strafbarkeitsbegründende Wirkung hat.
Welche Delikte des StGB sog. Antragsdelikte sind, ist im StGB abschließend geregelt. Beispielsweise bestimmt § 194 I 1 StGB: „Die Beleidigung wird nur auf Antrag verfolgt.“ oder § 230 I 1 StGB: „Die vorsätzliche Körperverletzung nach § 223 und die fahrlässige Körperverletzung nach § 229 werden nur auf Antrag verfolgt, es sei denn, dass die Strafverfolgungsbehörde (…) ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält.“ Weitere Beispiele sind §§ 123 II, 303c StGB.
Alle diese Normen beinhalten ein besonderes Wörtchen: „verfolgt“. Ein Strafantrag ist demnach eine Strafverfolgungsvoraussetzung[2] und keine Strafbarkeitsvoraussetzung.
Anmerkung: Wenn ein Delikt ausschließlich auf Antrag verfolgbar ist (vgl. bspw. § 194 I 1 StGB), handelt es sich um ein sog. absolutes Antragsdelikt. Kann die Staatsanwaltschaft die Verfolgung dagegen auch von Amts wegen vornehmen (vgl. bspw. § 230 I 1 StGB), liegt ein sog. relatives Antragsdelikt vor.
Als Strafverfolgungsvoraussetzung hat der Strafantrag nur eine prozessrechtliche Funktion. Er ist eine Prozessvoraussetzung, also grds. Bedingung dafür, dass ein Strafverfahren gegen den Täter stattfinden darf. Ist kein Strafantrag gestellt, obwohl er nötig wäre, liegt ein Prozesshindernis vor, sodass das Strafverfahren in der Folge zwingend eingestellt werden muss. Gleiches gilt übrigens für die Verjährung der Tat: Auch sie ist ein Prozesshindernis, obschon sie in den §§ 78 ff. StGB (also im materiellen Strafrecht) geregelt ist (siehe § 78 I 1 StGB).
Anmerkung: Auch wenn ein Antragsdelikt gegeben, der Strafantrag aber nicht gestellt ist, darf die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren einleiten (arg. ex § 127 III StPO).[3] Das ist auch logisch, denn im Ermittlungsverfahren wird gerade erst erforscht, welche verfolgbaren Straftaten wahrscheinlich begangen worden sind. Erst wenn das feststeht, kann man überhaupt beurteilen, ob darunter Antragsdelikte fallen. Der Staatsanwaltschaft ist allerdings, wenn ein erforderlicher Strafantrag nicht gestellt wird, insoweit die Anklageerhebung verwehrt.[4]
Man stelle sich mal vor, ein Strafantrag wäre eine Strafbarkeitsvoraussetzung. Dann hätte es der Antragsteller in der Hand darüber zu entscheiden, ob der Täter sich strafbar gemacht hat oder nicht; wenn er den Antrag stellt, ja, wenn er den Antrag nicht stellt, nein. Das kann nicht sein! Man macht sich vielmehr nur strafbar aufgrund seines eigenen, selbstbestimmten Verhaltens[5] und nicht deswegen, weil andere etwas tun oder unterlassen. Die Strafe hat der Täter sich allein durch seine Tat „verdient“.
IV. Für die Klausur
In der Klausur ist ein Satz wie der oben aus der Klausurlösung präsentierte, der Täter habe sich mangels Strafantrags nicht strafbar gemacht, nicht zu empfehlen. Der Täter hat sich strafbar gemacht, weil er einen Straftatbestand rechtswidrig und schuldhaft erfüllt hat (vgl. o.). Er darf wegen dieser Tat nur nicht (per Durchführung eines Strafverfahrens) bestraft werden.
Zwar halte ich es für verfehlt, das Strafantragserfordernis in einer materiell-rechtlichen Klausur anzusprechen, weil dies mit dem materiellen Recht eben nichts zu tun hat, also die Strafbarkeit des Täters nicht beeinflusst, doch sowohl an der Universität als auch im Examen wird erwartet, dass man darauf eingeht. Man sollte das in der Klausur jedoch inhaltlich korrekt tun. Etwa: „Der Täter hat sich gem. § 223 I StGB wegen Körperverletzung strafbar gemacht. Zur Verfolgung der Tat ist nach § 230 I 1 StGB allerdings grds. ein Strafantrag erforderlich.“
Warum geht der Autor hier nicht auf die Abgrenzung zum prozessualen Strafantrag und die Strafanzeige nach § 158 Abs. 1 S.1 Alt 1. bzw. 2 StPO ein?
Dies würde wesentlich zum Verständnis beitragen.
Hallo Justus,
vielen Dank für deine Anfrage!
In dem Artikel wollte ich nicht die Abgrenzung des Strafantrags von der Strafanzeige darstellen, sondern es ging mir darum, zu verdeutlichen, dass ein Strafantrag ausschließlich prozessuale, aber keine
materiell-rechtliche Bedeutung hat.
Zu deiner Frage zur Abgrenzung des Strafantrags von der Strafanzeige:
Die Strafanzeige (§ 158 I 1 Var. 1 StPO), die von jedermann formlos gestellt werden kann, ist eine bloße Anregung an die Strafverfolgungsbehörden, zu überprüfen, ob ein Ermittlungsverfahren
einzuleiten ist oder nicht.
Beim Strafantrag muss man unterscheiden: Es gibt den Strafantrag i.w.S. (§ 158 I 1 Var. 2 StPO) und den Strafantrag i.e.S. (§ 158 II StPO). Der Strafantrag i.w.S. ist das Verlangen des Verletzten oder eines
anderweitig Berechtigten, dass die Tat auch wirklich verfolgt wird. Wenn das Strafverfahren eingestellt wird, hat der Antragsteller bestimmte Rechte (insbes. muss er gem. § 171 StPO über die Einstellung unterrichtet und über die Möglichkeit eines Klageerzwingungsverfahrens belehrt werden; ggf. auch Belehrung über ein Privatklageverfahren, vgl. § 374 II StPO).
Der Strafantrag i.e.S. ist der oben im Artikel angesprochene Antrag. Ohne ihn darf grds. kein Strafverfahren stattfinden.
Ich hoffe, dass ich deine Frage beantworten konnte.
Beste Grüße
Marvin Granger