Rechtsprechungsüberblick in Strafsachen
Im Folgenden eine Übersicht über im September veröffentlichte, interessante Entscheidungen des BGH in Strafsachen (materielles Recht).
I. BGH, Urteil vom 20. Mai 2015 – 2 StR 464/14
Das Erfordernis einer „Zäsur“ beim Verdeckungsmord (§ 211 Abs. 2 Fallgruppe 3 Alt. 2 StGB), die zwischen der verdeckten Tat und der anschließenden Tötungshandlung bestehen muss, gilt nur für einen Handlungsablauf, in dem von vornherein Tötungsvorsatz vorliegt. In Fällen, in denen ein äußerlich ununterbrochenes Handeln (bzw. Unterlassen) zunächst nur mit Körperverletzungsvorsatz beginnt und dann mit Tötungsvorsatz weitergeführt wird, liegt die erforderliche Zäsur in diesem Vorsatzwechsel selbst.
II. BGH, Beschluss vom 16. Juni 2015 – 2 StR 467/14
Wird während eines Raubes das Opfer zu Boden gebracht und der beschuhte Fuß auf den Hals des Opfers gedrückt, so dass diesem Schwarz vor Augen wird, handelt es sich hierbei nicht um einen besonders schweren Raub unter Verwendung eines gefährlichen Werkzeugs (§ 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB). Denn ein gefährliches Werkzeug ist nur ein solches Tatmittel, das nach seiner objektiven Beschaffenheit und nach der Art seiner Benutzung im Einzelfall geeignet ist, dem Opfer erhebliche Körperverletzungen zuzufügen. Wird der Fuß des Täters gegen den Hals des Opfers gedrückt, kommt dem Schuh aber keine besondere Bedeutung dafür zu, ob dem Opfer erhebliche Verletzungen beigebracht werden. Die Wirkung dieser Handlung hängt vielmehr vor allem von dem Druck ab, den der Fuß auf den Hals ausübt.
III. BGH, Urteil vom 4. August 2015 – 1 StR 624/14
Die Tatbestandsvariante des „Quälens“ bei der Misshandlung Schutzbefohlener (§ 225 Abs. 1 StGB) verlangt das Verursachen länger andauernder oder sich wiederholender (erheblicher) Schmerzen oder Leiden. Demgegenüber bedarf es entgegen einer abweichenden Ansicht in der Literatur über den Vorsatz hinaus keiner besonderen subjektiven Beziehung des Täters zur Tat im Sinne einer gefühllos-unbarmherzigen Gesinnung; es reicht eine Tatbegehung aus Gleichgültigkeit oder Schwäche. Dies ergibt sich neben historisch-genetischen Argumenten insbesondere auch aus der unterschiedlichen Formulierung der drei Tathandlungsvarianten in § 225 Abs. 1 StGB: Gerade weil der Gesetzgeber bei der Formulierung ausdrücklich zwischen Begehungsweisen mit besonderer subjektiver Beziehung zur Tat („rohe Misshandlung“, „böswillige Vernachlässigung“) und solchen ohne derartigen Zusatz unterscheidet, ergibt sich im Umkehrschluss, dass bei der Variante des „Quälens“ keine weiteren subjektiven Voraussetzungen vorliegen müssen. Gegenüber den zwei anderen Varianten des § 225 Abs. 1 StGB zeichnet sich die Tatvariante des „Quälens“ durch besondere Anforderungen an den Körperverletzungserfolg aus; dies rechtfertigt es, insoweit keine weiteren einschränkenden subjektiven Elemente zu verlangen (ständige Rspr. des BGH).
IV. BGH, Beschluss vom 4. August 2015 – 3 StR 112/15
Wird der Angeklagte, der mit mehreren Mittätern einen Geldautomaten aufgebrochen hat, hierbei von Beamten des Landeskriminalamtes observiert, bevor er anschließend mit dem Pkw den Tatort verlässt und wird er erst eine halbe Stunde später ca. 35 km vom Tatort entfernt von Beamten eines mobilen Einsatzkommandos gestellt, wobei er einen Beamten mit seinem Pkw bei einem Fluchtversuch verletzt, verwirklicht er hiermit den Tatbestand des räuberischen Diebstahls (§ 252 StGB). Das hierfür erforderliche „Betreffen auf frischer Tat“ liegt dabei zwar nicht mehr zum Zeitpunkt des Zugriffs, wohl aber bei der Observation durch Beamte des Landeskriminalamtes vor. Dabei steht es dem „Betreffen“ nicht entgegen, dass diese Beamten die Tat nicht erst nach ihrer Vollendung entdeckten, sondern sie bereits von Anfang an beobachteten. Ebenfalls ist nach dem Wortlaut der Vorschrift unerheblich, dass sich die in dem Anfahren auf den Polizeibeamten des Sondereinsatzkommandos liegende Gewaltanwendung nicht gegen einen der Polizeibeamten richtete, der den Täter auf frischer Tat angetroffen hat. Es genügt, dass die Nötigungshandlung Folge des Betroffenseins ist, mithin zu diesem in Bezug steht. Ein solcher ist auch gegeben, wenn das Nötigungsmittel im Rahmen der sogenannten Nacheile angewendet wird, also während der sich unmittelbar an das Betreffen auf frischer Tat anschließenden Verfolgung. Liegen diese Voraussetzungen vor, kommt es auf einen engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhang zwischen Vortat und Gewaltanwendung nicht an, solange die Verfolgung ohne Zäsur durchgeführt wird.
V. BGH, Beschluss vom 18. August 2015 – 3 StR 289/15
Eine vorsätzliche oder fahrlässige Körperverletzung erfordert als Erfolg das Hervorrufen einer körperlichen Auswirkung; seelische Beeinträchtigungen als solche genügen nicht. Daher stellt das Anspucken eines Polizeibeamten, welches bei diesem Ekelgefühle und länger anhaltenden Brechreiz verursacht, zwar nicht hinsichtlich der Ekelgefühle, wohl aber im Hinblick auf den hervorgerufenen Brechreiz einen tauglichen Körperverletzungserfolg dar. Ob danach eine Bestrafung wegen vorsätzlicher (§ 223 Abs. 1 StGB) oder fahrlässiger Körperverletzung (§ 229 StGB) in Betracht kommt, hängt von einem zumindest bedingten Vorsatz des Täters hinsichtlich des Brechreizes ab.
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Zuletzt noch eine prozessuale Entscheidung, die sich mit dem absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO (Mitwirkung eines Richters, dessen Befangenheit zu Unrecht verneint wurde) befasst:
VI. BGH, Urteil vom 17. Juni 2015 – 2 StR 228/14
Eine Ablehnung eines Richters wegen Befangenheit (§ 24 Abs. 2 StPO) ist berechtigt, wenn dieser während einer Beweisaufnahme im Rahmen der Hauptverhandlung vorgefertige private SMS versendet. Denn dies gibt Anlass zu der Befürchtung, der Richter habe sich mangels uneingeschränkten Interesses an der dem Kernbereich richterlicher Tätigkeit unterfallenden Beweisaufnahme bereits auf ein bestimmtes Ergebnis festgelegt. Dabei kommt es nicht darauf an, ob deswegen die Aufmerksamkeit des Richters erheblich reduziert gewesen ist. Denn mit einer von vornherein geplanten, über den Verhandlungszusammenhang hinausreichenden externen Telekommunikation gibt der Richter zu erkennen, dass er bereit ist, in laufender Hauptverhandlung Telekommunikation im privaten Bereich zu betreiben und dieses über die ihm obliegenden dienstlichen Pflichten zu stellen.
Fall IV. (§ 252):
ein räuberischer Diebstahl erfordert „Beuteerhaltungsabsicht“ o.ä. Etwas beabsichtigen idS. soll bedeuten, dass es einem bei seinem Tun gerade auf etwas ankommt. Das könnte verlangen, dass man dies auch wenigstens ernsthaft für möglich halten muss, weil es einem sonst bei seinem Tun nicht gerade darauf ankommen kann.
Wer sich einer Übermacht gegenübersieht, welche ihn überwältigt, auch um die Beute zu erlangen, dem könnte es bei eventuellem Widerstand weniger noch gerade iSv. Absicht auf Beuteerhaltung ankommen. Es könnte dann vielmehr nur eine Art Widerstandsreflex vorliegen, sich der Überwältigung nicht bedingungslos hinzugeben.
Vorliegend könnten sich die Täter entsprechend einer polizeilichen Übermacht gegenübergesehen haben, welche sie überwältigte, auch um die Beute zu erhalten. Dies zumal soweit die Täter es für möglich gehalten haben konnten, schon länger observiert zu worden zu sein.
Damit könnte eventuell im oben dargetan Sinn eine „Beuteerhaltungsabsicht“, d.h., dass es den tätern bei ihrem gewaltsamen Widerstand gerade noch auf Beuteerhaltung ankam, noch problematischer erscheinen, als im Urteil erörtert.
Fall V. („Körperverletzung durch Anspucken“):
Das Hervorrufen eines Brechreizes durch Ansprucken könnte noch mit von dazwischentretenden Dispositionen auf Opferseite entsprechend dem gedanken eigenverantwortlicher Selbstgefährdung abhängen.
Eine Körperverletzung könnte damit noch mit aus dem Gesichtspunkt dazwischentretender eigenverantwortlicher Selbstgefährdung problematischer erscheinen.
etc.