Öffentliches Recht – Ö I – Juli 2012 – 1. Staatsexamen Schleswig-Holstein
Vielen Dank an Josephine für die Zusendung eines Gedächtnisprotokolls zu der im Juli 2012 in Schleswig-Holstein gelaufenen Klausur im Öffentlichen Recht Ö I. Ergänzungen oder Korrekturanmerkungen sind wie immer gern gesehen.
Unser Examensreport lebt von Eurer Mithilfe. Deshalb bitten wir Euch, uns Gedächtnisprotokolle Eurer Klausuren zuzuschicken, damit wir sie veröffentlichen können. Nur so können Eure Nachfolger genauso von der Seite profitieren, wie Ihr es getan habt. Vorab vielen Dank!
Sachverhalt
Die Stadt Kiel hat ein neues Hallenbad eröffnet. Gemäß § 1 der Hallenbad-Satzung (die in einem ordnungsgemäßen Verfahren erlassen wurde) ist das Bad als nicht rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts organisiert und wird als öffentliche Einrichtung betrieben. Das Hallenbad soll der Erholung und dem körperlichen Wohlbefinden dienen. Gemäß § 4 Abs. 2 der Satzung ist die Nutzung des Hallenbades nur in üblicher Badebekleidung gestattet. Zur Begründung wird angeführt, dass die Hygiene im Hallenbad sowie die Verkehrssicherheit und Funktionsfähigkeit der technischen Einrichtungen zur Wasserreinhaltung zu gewährleisten seien.
Gemäß § 4 Abs. 2 Satz 2 der Satzung gilt innerhalb der Frauenschwimmzeiten auch der „Burkini“ als übliche Badebekleidung. Der „Burkini“ ist eine Art Badeanzug, der mit langen Armen und Beinen, einem Kopftuch sowie einer Tunika den gesamten Körper bedeckt. Dies ist in der Satzung so vorgesehen, weil so die Toleranz gegenüber Andersgläubigen zum Ausdruck gebracht werden soll. Das Hallenbad verstehe sich als multikulturelles Wesen und möchte den Andersgläubigen ebenso eine Teilhabe am Badesport und Badespaß ermöglichen. Dass der „Burkini“ den funktionsspezifischen Anforderungen entsprechen müsse, verstehe sich von selbst. Daher ist es üblich, dass stichprobenartige Kontrollen der „Burkinis“ von den Bademeisterinnen durchgeführt werden. Dadurch soll überprüft werden, ob die Kleidung in Bezug auf das Material und die Verarbeitung funktionsadäquat ist und die Frau darunter keine Unterwäsche mehr trägt.
Im März 2011 besucht die muslimische 20-jährige Fatma M. (M) das Hallenbad. Im Zuge der stichprobenartigen Kontrolle soll ihr „Burkini“ von der Bademeisterin (B) überprüft werden. Diese möchte bei M diese Kontrolle durchführen. M verweigert die Kontrolle mit der Begründung – und das zu recht –, dass ihr aufgrund ihres Glaubens nicht erlaubt sei, vor anderen als zur Familie gehörigen Personen ihren Körper zu zeigen, unabhängig vom Geschlecht der anderen Person und vom Zweck. Auch nach mehrmaligem Auffordern durch B und der Ankündigung, dass B sie anderenfalls unter Hinweis auf die Satzung und dem ihr zustehenden Hausrecht des Hallenbades verweisen müsste, lässt sich M nicht umstimmen. Daher wird M nach einiger Zeit des Hallenbades verwiesen.
Im Juni 2011 klagt sie nach anwaltlicher Beratung vor dem zuständigen Verwaltungsgericht. Sie meint, der Verweis der B sei rechtswidrig. Der Anwalt der M verweist darauf, dass – was zutrifft – eine ausdrückliche Ermächtigung für Kontroll- und Sanktionsmaßnahmen in der Satzung nicht ausgesprochen wurde. Die M meint, ihr stehe ein verfassungsrechtlich garantierter Anspruch auf Ausübung ihrer Religion und eine dementsprechende Nutzung des Hallenbades zu. Sie möchte nicht auf die Nutzung des Hallenbades in Zukunft verzichten müssen.
Frage: Hat die Klage der M Erfolg?
Hallo,
könnte vielleicht jemand eine ganz kurze stichwortartige Lösungsskizze einstellen?
vielen Dank
Ist das der Original-Wortlaut? m.E. wird nicht deutlich, ob sie sich bloß gegen Verweis richten will (wohl AnfKl.) oder aber die Anstalt verpflichten will, sie ohne Leibesvisitation einzulassen (Abgrenzung Verpfl.Kl / Leistungkl. gg Gemeinde auf Einwirken).
Nein, es ist wie immer nur ein Gedächtnisprotokoll.
Ok, dann lasse ich an dieser Stelle die Zulässigkeit offen. P auf jeden Fall 2-Stufen-Theorie bei VerwRW; Klageart.
In der Begründetheit würde ich nach den SV-Angaben als Anfechtungsklage prüfen:
I. EGL
Hier streiten, ob überhaupt eine über die Satzung selbst, die auf §§ 7, 8 GO NRW bzw. anderem LandesR beruht, hinausgehende EGL erforderlich. Im Ergebnis wohl wie Hausverbot als Natur der Sache, um eben Betrieb gerade sicherzustellen, also weitergehende EGL nicht erforderlich. (Schwerpunkt)
II. Formelle RM
Zuständigkeit der eingesetzten Person
III.Materielle Rm
Voraussetzungen von § 8 II GO NRW
also insbesondere Prüfung, ob Verstoß vorliegt: + da Nutzung nur in ordnungsgemäßer Bekleidung. Dies dann auch überprüfbar durch Personal (s. P bei EGL)
IV. Ermessen
Grenzen des Ermessens: VHM: inbesondere Art. 4 vs. Art. 2, 12
m.E. keine schwere Belastung, wenn doch mit Unterwäsche; sollten Verunreinungen auftreten –> dann erst Stichproben möglich. Außerdem werden m.W. nach auch sonstige Solange Betrieb funktioniert überwiegt Art. 4 anlasslose Kontrolle (Schwerpunkt)
Wie hast du es gemacht?
Spontan würde ich sagen geht es nicht um die 2-Stufen Theorie, da die Klägerin die Anstalt nicht verpflichten will, ihr die Nutzung zu gestatten.
Sie wird ja auch in Zukunft das bad betreten dürfen, muss halt nur wieder mit dem Rauswurf rechnen.
Gleichwohl liegt wohl ein Problem bei der öffentlich-rechtlichen Streitigkeit (§ 40 I 1 VwGO), da das besagte Handeln der B funktional dem öffentlichen oder dem Privatrecht zugeordnet werden muss.
Klageart sieht nach dem Protokoll eher wie Fortsetzungsfeststellungsklage aus. Das Interesse ergäbe sich wenigstens aus der Wiederholungsgefahr.
Dann wie du sagst fraglich ob EGL besteht, wenn man auf das Hausverbot verweist, kommt man damit i.E. wohl durch, schließlich natürlich Prüfung der Maßnahme als solcher.
Das würde ich wahrscheinlich trennen. Zum einen gucken, ob die Regelung als solche verhältnismäßig ist (also die Bekleidungsanforderungen) und dann, ob die Maßnahme selber es auch ist.
Warum wiegst du Art. 4 mit Art. 4, 2 ab? Wessen Berufsfreiheit soll denn eingreifen, die der Anstalt des öff. Rechts?
Anfechtungsklage??
Sie ist doch gar nicht mehr beschwert, die gute Fatma….
In meinen Augen zwei FFsK, einmal gegen die konkludente Duldungsverfügung durch die Aufforderung die Kontrolle über sich ergehen zu lassen und einmal gegen den Verweis.
In Bezug auf ersteres Klage unbegründet, gegen den Verweis hingegen schon, da unverhältnismäßig.
Man hätte ihr auch lediglich das Betreten der Becken verbieten können.
Hallo ihr Lieben,
m.E. ist in der Tat nach einer FFK gefragt, je nach Formulierung der Fallfrage auch nach zweien. Geht man von einer Klage aus („ist die Klage…“, nicht „sind die Klagen…“) könnte die Prüfung in der Begründetheit hinsichtlich des Verweises folgendermaßen aussehen:
Obersatz: Die Klage der M ist begründet, wenn der Verweis aus dem Hallenbad rechtswidrig war und sie in ihren Rechten verletzt, § 113 I 4 VwGO analog.
I. EGL: Hier stellt sich zum einen das Problem der Verwaltungsaktbefugnis -> Hausrecht, nicht die Hallenbadsatzung selbst, weil sich hieraus die Rechtsfolge Verweis nicht ergibt.
II. Formelle Rechtmäßigkeit des Verweises (+), insb. Anhörung nach § 28 VwVfG erfolgt
III. Materielle Rechtmäßigkeit
1. Voraussetzungen für einen Verweis: Es braucht einen Grund für die Ausübung des Hausrechts. Hier: Nichteinhalten der Satzung
2. Rechtmäßigkeit der Hallenbadsatzung
a) Rechtsgrundlage für den Erlass der Satzung in der GO (z.B. § 7 I GO NRW)
b) Formelle Rechtmäßigkeit der Satzung laut SV (+)
c) Materielle Rechtmäßigkeit der Satzung
aa) Nach GO regelungsfähiger Gegenstand (+)
bb) Verletzung von Art. 4 I GG?
(1) Eingriff in den Schutzbereich
Jedes glaubensmotivierte Denken, Reden und Handeln -> Diskussion, welche Qualität die Glaubensvorschriften haben müssen, damit das Grundrecht betroffen ist. I.E.(+)
(2) Rechtfertigung
Nicht nach Art. 138 I WRV iVm. Art. 140 GG -> Einheitliches Grundrecht, daher kollidierendes Verfassungsrecht
Gesundheit der anderen Badegäste (Art. 2 II), Schutz staatlicher Veranstaltungen
Eingriff aufgrund eines Gesetzes (+)
Verhältnismäßigkeit:
– Geeignetheit (+)
– Erforderlichkeit (-), denn es würde ausreichen, den Burkini vor Betreten des Hallenbades auf sein Material zu überprüfen
– selbst wenn man die Erforderlichkeit annimmt ist die Untersuchung unangemessen, insbesondere weil sich die Untersuchung auf die Intimsphäre der M bezieht und daher intensiver ist, als nur eine äußere Betrachtung des Materials
cc) Verletzung von Art. 3 I GG
(1) Neue Formel
Ungleichbehandlung: Ist bereits zweifelhaft, kann aber mit guten Gründen angenommen werden: Nur muslimische Gäste müssen Überprüfung über sich ergehen lassen; andere Gäste tragen Burkinis nicht.
(2) Sachliche Gründe liegen vor.
dd) Verletzung von Art. 3 II GG
(1) Ungleichbehandlung: Nur Frauen von Überprüfung betroffen.
(2) Sachliche Gründe liegen vor.
d) Damit ist die Hallenbadsatzung rechtswidrig
3. Rechtsfolge: Aufgrund des § 2 II der Hallenbadsatzung konnte M nicht des Hallenbades verwiesen werden. Damit fehlt es an einem Rechtsgrund für die Ausübung des Hausrechts, so dass M in Art. 2 I GG verletzt ist
Wenn hier grobe Schnitzer drin sind, freue ich mich über Kritik 🙂
Stimme dir größtenteils zu, aber die grundrechtsprüfung ist so m.E falsch: auf normebene musst du die Satzung abstrakt prüfen (ist ok). Dann Verstoß + da Satzung rm. Dann beim Verweis selbst im Ermessen kommen deine GR- Erwägungen bzgl M.
Ja, da habe ich wohl etwas geschlabbert. Die Prüfung der Hallenbadsatzung müsste natürlich abstrakt erfolgen. Kommt man hier zur Unwirksamkeit der Satzung, ist allerdings eine Ermessensprüfung gar nicht mehr notwendig, weil es bereits an einem Tatbestand für die Ausübung es Hausrechts fehlt. Das ist denke ich nicht so problematisch, weil die Abwägungsfragen bereits im Rahmen der abstrakten Prüfung der Satzung angesprochen werden. Die Satzung richtet sich explizit an Muslima, was bereits dazu führt, dass man sich eingehend mit den von M vorgebrachten Gründen (wenn auch auf abstrakter Ebene) befassen muss.
Naja, in Bezug auf die Satzung sehe ich die Probleme nicht, sie sind dieser nicht immanent, sondern folgen hier aus der Anwendung im Einzelfall: Oder denkst du, dass es (abstrakt) grundrechtliche Fragen aufwirft, dass man in einem Schwimmbad übliche Badebekleidung tragen muss und hierunter auch ein Burkini fällt?
Ich würde sagen, dass wenn die Satzung nur allgemein die übliche Badabekleidung vorschreiben würde, Art. 4 nicht im Rahmen der Überprüfung der Satzung anzusprechen wäre. Da aber die Satzung explizit den Burkini aufführt handelt es sich ja nicht nur um eine rechtswidrige Anwendung im Einzelfall. Zumindest wenn man den Burkini als typischerweise von Muslima zur Ausübung ihrer religiösen Ansichten verwendetes Kleidungsstück ansieht. Die Regelung bezweckt also die Einschränkung von Art. 4, die Betroffenheit besteht daher nicht nur „zufällig“ im konkreten Fall.
Vermutlich ist es aber ebenso gut vertretbar, wie von dir vorgeschlagen zu verfahren.
Das Problem ist ja gerade nicht das Tragen des Burkinis, sondern die Kontrolle der Ordnungsgemäßheit des Burkinis. Um die Satzung anzuzweifeln müsste darin schon etwas stehen wie: „Die Ordnungsgemäßheit des Burkinis kann durch stichprobenartige Körperkontrollen sichergestellt werden“
Ahhhh, alles klar 😉 Da habe ich wohl den Sachverhalt zu schnell überflogen und die Info, dass es die Kontrollen gibt in die Satzung rein gequetscht. Nein, du hast natürlich Recht. Prüfung im Einzelakt, die Satzung ist so rechtmäßig.