La dolce vita – Rechtspflegepraktikum in Rom
Um zum ersten Staatsexamen zugelassen zu werden, muss man während der Semesterferien eine praktische Studienzeit – ein Praktikum – jeweils in der Rechtspflege und in der Verwaltung ableisten. Während einer ausgiebigen Recherche nach Praktikumsstellen kam mir die Idee: Warum eigentlich nicht im Ausland? In diesem Erfahrungsbericht zeige ich, wie sich eine Auslandserfahrung gestalten lässt und teile einige wissenswerte Fakten und Tipps rund um die Organisation und den Ablauf eines Auslandspraktikums in der Rechtspflege.
I. Organisation und Vorbereitung
Nach drei Corona-Semestern, in denen man mit Kontaktbeschränkungen und schwarzen Zoom-Kacheln auskommen musste, war die Reiselust größer denn je. Während sich viele meiner Kommilitonen für ein Auslandssemester entschieden, war mir schnell klar, dass zu mir ein Auslandspraktikum besser passt: Es bietet die Möglichkeit, in einem Zuge das Pflichtpraktikum zu absolvieren, Auslandserfahrung zu sammeln und dabei das Semester wie gewohnt abzuschließen, ohne verpasste Vorlesungen im nächsten Semester nachholen zu müssen.
1. Praktikumsplatz
Die Kanzlei, in der ich das Praktikum absolvierte, entdeckte ich über eine amtliche Liste für italienische Stellen, die deutsche Rechtsreferendare annehmen. Jährlich bietet auch die Uni Bonn eine Messe rund um das Thema Auslandsaufenthalt an (nächster Termin: 24.05.2023 im Hauptgebäude), bei der man sich mit auslandserfahrenen Studierenden vernetzen und über alle Anliegen, sei es über den Praktikumsplatz oder die Finanzierung, austauschen kann.
Über eine Initiativbewerbung ca. 8 Monate vor dem Wunschzeitraum kam ich an einen Praktikumsplatz bei der Kanzlei Patti Avvocati & Rechtsanwälte. Zeitnah gab mir die Kanzlei eine positive Rückmeldung und wir waren schnell in Kontakt. Eine möglichst frühzeitige Bewerbung ist zwar zu empfehlen, aber nicht zwingend notwendig. So gab es auch Praktikanten, die sich 2-3 Monate vor dem Wunschzeitraum beworben und ebenfalls einen Praktikumsplatz bekommen haben. Dennoch rate ich dazu, sich früh darum zu kümmern, da einige Kanzleien sehr früh im Voraus (teilweise 1 Jahr) ihre Praktikantenstellen besetzen und ohnehin auch Fragen wie Anreise und Unterkunft so früh es geht geklärt werden wollen.
2. Unterkunft
Sobald es feststand, dass ich nach Rom gehen werde, und ich mich auf Wohnungssuche begab, stellte ich schnell fest, dass die Wohnraumsituation in Rom noch kritischer als in Köln und Bonn ist: So kann die Miete – je nach Lage – bis zu 1000 Euro pro Monat betragen, insbesondere, wenn man nur für einen kürzeren Zeitraum dorthin reist. Über Airbnb, idealista, etc. schrieb ich Vermieter an und traf letztendlich auf eine sehr nette WG, die mir mit einem günstigen Angebot entgegenkam. Eine sehr hilfreiche finanzielle Entlastung erhielt ich über das Programm Erasmus+, das bei mindestens zweimonatigen Auslandsaufenthalten einen finanziellen Zuschuss in Höhe von 480 bis 600 Euro pro Monat vorsieht. Aus diesem Grund unter anderem habe ich die obligatorischen 6 Wochen Pflichtpraktikum um 2 Wochen verlängert. Die Bewerbung um eine Förderung von Erasmus+ ist ganz unkompliziert, der geringe Aufwand lohnt sich daher sehr!
3. Parli italiano?
In der Schule hatte ich damals nur zwei Jahre Italienischunterricht und habe mir erst ein Praktikum in einer ausländischen Kanzlei nicht zugetraut. In Rom kam das Wissen aber schnell wieder. Es war sehr wichtig, sich ständig in die Kommunikation mit anderen Leuten zu stürzen und früh viel zu sprechen, auch wenn es außerhalb der eigenen Komfortzone liegt.
Vor Praktikumsbeginn bietet es sich ergänzend an, einen Sprachkurs oder einen Kurs für ausländische Rechtsterminologie zu besuchen und sich mit der Sprache bewusst zu konfrontieren, sei es über Filme, Bücher oder Apps. Es gibt auch Sprachaustauschplattformen (z.B. mylanguageexchange), auf denen man mit fremdmuttersprachlichen Gesprächspartnern in Kontakt treten kann – auf diese Weise fand ich einen sehr herzlichen Sprachpartner aus Rom, mit dem ich Deutsch sprach und der mir im Gegenzug mit meinem Italienisch half und viele großartige Tipps rund um Rom gab. So lassen sich sehr wertvolle Freundschaften schließen!
Und auch wenn man anfängliche Schwierigkeiten hat, freuen sich, meiner Erfahrung nach, die Italiener über jeden Anlauf, den man in ihrer Sprache wagt. Wenn es doch nicht so gut läuft, sind sie jederzeit bereit zu helfen – die Offenheit und Gutherzigkeit der Menschen dort ist wirklich beeindruckend. Sprachlich bedingte Unsicherheiten sollten daher kein Hindernis für ein Auslandspraktikum sein, wobei es für die Kanzleiarbeit natürlich von wesentlichem Vorteil ist, wenn man schon Grundkenntnisse mitbringt, da man sich damit automatisch für ein größeres Spektrum an interessanten Aufgaben qualifiziert.
II. Das Praktikum
An meinem ersten Tag wurde ich sehr herzlich empfangen und allen Anwälten und Mitarbeitern der Kanzlei vorgestellt. Nach einem Rundgang erhielten mein Mitpraktikant aus Deutschland und ich ein gemeinschaftliches Büro. Ich habe es sehr genossen, dass ich nicht alleine war und mich immer mit jemandem beraten und austauschen konnte.
Da mein Praktikumsmentor und Leiter der Kanzlei, Herr Prof. Avv. Salvatore Patti, Deutsch spricht und meine Praktikumstutorin, Frau Rain Britta Landahl, selbst auch aus Deutschland kommt, wurde mir der sprachliche Einstieg deutlich erleichtert – und auf meine italienischen Sprachkenntnisse haben die Anwälte stets viel Rücksicht genommen. In enger Zusammenarbeit mit den Associates, RAin Britta Landahl und Avv. Maria Pagliara, tauschten wir uns in einem direkten und offenen Dialog täglich über Ideen aus, die wir im Rahmen unserer Projekte erarbeiteten. Mein Praktikumsmentor, Prof. Avv. Salvatore Patti, stand uns bei jeglichen Fragen immer zur Verfügung und hatte jeden Tag etwas Spannendes zu erzählen: Er bereiste unglaublich viele Städte und Länder und hat viele Jahre an verschiedensten Universitäten gelehrt und bildet mit seiner Arbeit ein wichtiges, wenn nicht sogar das wichtigste Fundament für deutsch-italienische (Rechts-) Beziehungen – nicht zuletzt deshalb fühlt man sich als deutscher Praktikant in seiner Kanzlei besonders wohl.
Meine Arbeit in der Kanzlei war sehr vielseitig – zunächst durfte ich mich an die deutsch/englisch-italienische Übersetzung von rechtlichen Dokumenten wagen, woraufhin mir schon bald auch Rechercheprojekte, die Erstellung von Schriftsätzen und richtige Aktenarbeit an aktuellen, im Übrigen prominenten Fällen anvertraut wurden. Nach dem Prinzip learning by doing kam ich stets gut zurecht, konnte aber auch, da es sehr viele Parallelen zur deutschen Kanzleiarbeit gibt, auf dem eigenen juristischen Wissen aufbauen. Die Kanzlei deckt, was sich in meinen Projekten widerspiegelte, viele Rechtgebiete ab, sodass ich einen umfangreichen Einblick in das italienische Zivilrecht, aber auch – und das verdankt die Kanzlei ihren multilingual und international ausgerichteten Anwälten – in das IPR erhielt. Herr Prof. Avv. Salvatore Patti organisierte für uns im Rahmen des Praktikums regelmäßig spannende Aktivitäten außerhalb der Kanzleiräumlichkeiten, darunter etwa die Teilnahme an einem rechtlichen Diskurs am nah gelegenen Kassationsgerichtshof oder auch ausführliche Besuche des Verfassungsgerichtshofs und des Quirinalspalasts in Rom.
In meinem Fall war auch die zeitliche Umstellung von der Universität auf das Praktikum sehr erfreulich, denn die Arbeit begann erst zwischen 09:00 Uhr bis 09:30 Uhr – ohne zeitlichen Druck konnte man so beispielsweise den Arbeitstag mit cornetto e caffè beginnen. Am Ende eines klassischen Praktikumstags war genügend Zeit übrig, um die Stadt zu erkunden. In Rom gibt es ein Metrosystem und ein Bus- und Bahnnetz, die einen sehr gut von A nach B bringen. Dabei bietet das zuständige Verkehrsunternehmen „ATAC“ eine vergünstigte Monatskarte für 35 Euro an, mit der man unbegrenzt im römischen Gebiet fahren kann. Über einen Hobbykurs und über die Erasmus-Organisation „ESN“, die regelmäßig Events für ausländische Studenten veranstaltet, lernte ich sehr schnell Leute kennen, mit denen man etwas unternehmen konnte (es gibt definitiv reichlich Adressen, bei denen man das Studentenleben auskosten kann!). In Rom lohnt es sich außerdem – abgesehen von den beliebtesten Sehenswürdigkeiten wie dem Vatikan oder dem Kolosseum – sehr, sich die Gebiete außerhalb der Innenstadt anzuschauen, z.B. das Stadtviertel EUR oder Tor di Quinto. Eine zuletzt noch nennenswerte Mission, die ich täglich verfolgte, war natürlich auch das Ausprobieren typisch römischer Gerichte. Ohne die originelle Pasta Carbonara oder die Pinsa Romana gegessen zu haben, darf man Rom schlichtweg nicht verlassen!
III. Fazit
Insgesamt hat das Praktikum meine Erwartungen deutlich übertroffen. Schon am ersten Tag verflogen sämtliche Zweifel bezüglich der Sprache und des eigenen (Un)Wissens über das italienische Recht, denn die Anwälte waren sehr verständnisvoll und haben keinesfalls erwartet, dass man als ausländischer Jurastudent bereits „alles weiß“. Das Praktikum hat mich auch deutlich für das weitere Studium und besonders für die bald anstehende Examensvorbereitung motiviert. Eine besondere Lektion, die ich hier gelernt habe, ist, dass die juristische Karriere nicht wie der „typische“ Weg, wie er sonst immer dargestellt wird, aussehen muss. Die beeindruckenden Lebensläufe meines Mentors und meiner Tutorin haben mir für meine Laufbahn gezeigt, dass auch nach einer rein deutschen juristischen Ausbildung der Weg ins Ausland nah ist und dass man viele Möglichkeiten außerhalb der klassischen juristischen Berufe hat – die Gestaltung liegt in der eigenen Hand und es lohnt sich, Dinge, die sonst kaum jemand getan hat, als Erster zu wagen. Auch bestätigte sich, dass es in der heutigen Welt sehr wichtig ist, mehrere Sprachen zu beherrschen, da die Mandantschaft durch die Globalisierung besonders international sein kann und die Kommunikation und die juristische Herangehensweise deutlich an Qualität zunehmen, wenn man die Sprache des Gegenübers verstehen und richtig interpretieren kann.
Ein Auslandspraktikum kann ich daher nur empfehlen. Ich finde es schön, dass man im Jurastudium, in welchem das Anwenden anderer Sprachen eher kurz kommt, die Möglichkeit hat, einen Aufenthalt im Ausland zu realisieren, ohne, dass das Studium und seine Dauer darunter leiden. Außerdem wächst man schnell in seine neuen Aufgaben hinein, auch wenn sie zu Beginn sehr schwierig erscheinen. Rückblickend bin ich sehr stolz auf die Entscheidung und rate anderen Studierenden, auch eine solche Erfahrung zu machen.