Das Betäubungsmittelstrafrecht – Ein Überblick über Begriff, Menge und Straftatbestände
Wir freuen uns, nachfolgenden Gastbeitrag von Sabrina Prem veröffentlichen zu können. Die Autorin ist Volljuristin. Ihr Studium und Referendariat absolvierte sie in Düsseldorf.
Ist das Betäubungsmittelstrafrecht – zumindest als Lehrmaterie – im Studium noch völlig unbekannt, so erhält es spätestens im Referendariat eine große Relevanz. Denn nicht zuletzt in der Strafstation, in der als Referendarin plötzlich die Rolle einer Staatsanwältin oder eines Staatsanwaltes zu übernehmen ist, kommt es zu einer Konfrontation mit genau diesem strafrechtlichen Nebengebiet. Vor den Strafrichterinnen finden sich gerne verschiedenste Ausprägungen von Täterinnen, die mit dem Betäubungsmittelstrafrecht in Berührung gekommen sind. Sei es ein einmaliger Erwerb zur Erprobung, seien es Hobby-Kifferinnen oder sogar Kleindealer*innen, die am jeweiligen Hauptbahnhof ihre Runden drehen.
I. Der Begriff des „Betäubungsmittels“
Um in die Materie einzusteigen, drängt sich jedoch zunächst eine erste Frage auf: Wie wird überhaupt der Begriff des „Betäubungsmittels“ im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) bestimmt? Welche Substanzen dürfen denn gerade nicht hergestellt, verkauft oder erworben werden? Auf eine Legaldefinition hofft man hier vergeblich; es gibt keine abstrakt-generellen Merkmale, anhand derer eine Begriffsdefinition stattfindet (vgl. BeckOK BtMG/Exner BtMG § 1 Rn. 1). Um dieses Rätsel zu lösen, lohnt sich jedoch ein Blick in § 1 Abs. 1 BtMG und davon gleich weiter in die Anlagen I bis III. Denn: Betäubungsmittel im Sinne des BtMG sind die in den Anlagen I bis III aufgeführten Stoffe und Zubereitungen. Um die Schnelligkeit der Drogenszene hinsichtlich der Kreation neuer Suchtstoffe aber nicht außer Acht zu lassen, gibt es in § 1 BtMG noch die Abs. 2- 4, die eine Verordnungsermächtigung enthalten und die Bundesregierung ermächtigen, noch kurzfristig den Begriff des Betäubungsmittels über die Positivliste der Anlagen I-III hinaus zu weiten (vgl. JuS 2019, 211f.).
Mit Blick auf diese Anlagen fallen nun mehrere Dinge auf: Was viele erleichtern mag, sogenannte Genussdrogen (womit Alkohol, Koffein und Nikotin gemeint sind) sind keine Betäubungsmittel und nicht von der Positivliste umfasst. Ebenso nicht umfasst, sind solche Mittel des täglichen Lebens, die auf zweckentfremdende Weise wie beispielsweise mittels Inhalierens zum Rauschmittel gemacht werden. Man denke hier an das bekannte Phänomen des „Klebstoff-Schnüffelns“. Die Positivliste zeigt auf, nur besonders gefährliche psychotrop wirksame Stoffe und Zubereitungen sind als Betäubungsmittel erfasst (vgl. BeckOK BtMG/Exner BtMG § 1 Rn. 6). Diese werden wiederum in einer Dreiteilung aufgeführt: In Anlage I nicht verkehrsfähige, mithin medizinisch ungeeignete, gesundheitsschädliche Stoffe (zB Psilobycin-Pilze), in Anlage II verkehrsfähige, aber nicht verschreibungsfähige Stoffe (zB Metamphetamin), in Anlage III verkehrsfähige und verschreibungsfähige Stoffe (zB Tilidin).
II. Die Mengenbegriffe des BtMG
Ist nun die Einordnung als Betäubungsmittel erfolgreich vorgenommen, stellt sich auch schon die zweite große Frage: In welcher Menge liegt das Betäubungsmittel im konkreten Fall vor? Denn das Betäubungsmittelstrafrecht ist nicht nur von der Art, sondern auch von der Menge des Rauschgiftes geprägt. Die jeweilige Menge gilt als Indikator für den Unrechtsgehalt der Tat (vgl. BeckOK BtMG/Schmidt BtMG Vorb. zu § 29 Rn 14) und wirkt sich somit auf die tatbestandliche Einordnung und die Rechtsfolgen aus. Dabei wird zwischen drei Mengenbegriffen differenziert: die geringe Menge, die nicht geringe Menge und die normale Menge. Die geringe Menge findet in den § 29 Abs. 5 und § 31a BtMG Erwähnung und ermöglicht unter Umständen das Absehen von Verfolgung oder Bestrafung. Unter der geringen Menge versteht man eine solche, die zum einmaligen bis höchstens dreimaligen Gebrauch geeignet ist (vgl. BeckOK BtMG/Schmidt BtMG Vorb. zu § 29a Rn.16). Die Grenzwerte sind je nach Betäubungsmittel verschieden und richten sich vorrangig nach dem Wirkstoffgehalt. Für einige Betäubungsmittel haben die Obergerichte entsprechende Grenzwerte festgelegt; im Übrigen ermittelt sich dieser regelmäßig aus dem Dreifachen einer Konsumeinheit des jeweiligen Betäubungsmittels für durchschnittliche Konsument*innen (vgl. BeckOK BtMG/Schmidt BtMG Vorb. zu § 29a Rn.17). Die nicht geringe Menge liegt bei sichtlichem Überschreiten der geringen Menge vor und katapultiert den Deliktscharakter von einem Vergehen auf ein Verbrechen. Das zeigen die §§ 29a ff. BtMG.Auch hierzu haben die Obergerichte einige Grenzwerte festgelegt. Die normale Menge erfasst den Raum zwischen der geringen und der nicht geringen Menge. Sie ist gesetzlich nicht normiert, findet sich aber in § 29 BtMG wieder (vgl. JA 2011, 613f.).
III. Die wichtigsten Straftatbestände
In den §§ 29 bis 30b BtMG sind die Straftatbestände des BtMG normiert. Dabei ist § 29 BtMG in Form eines Vergehenstatbestandes der Grundtatbestand und enthält eine umfangreiche Aufzählung von Handlungsmodalitäten, die unter Strafe gestellt sind. Dabei umfasst die Norm strafbare Verhaltensweisen für Konsumentinnen (zB „erwirbt“) sowie für Versorgerinnen (zB „veräußert“). Regelmäßig relevant werden dabei die Varianten des § 29 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 BtMG. In diese lohnt sich ein Blick. Die darauffolgenden §§ 29a ff. haben als Qualifikationen Verbrechenscharakter. Dass es eine so umfassende Normierung von Handlungsmodalitäten gibt, ist darauf zurückzuführen, dass Schutzgut der Straftatbestände die menschliche Gesundheit ist und daher möglichst jeder Kontakt zu Betäubungsmitteln strafrechtlich erfasst werden sollte (vgl. JA 2011, 614). Auch aus diesem Grund ist eine extensive Auslegung der Tatbestände vorzunehmen.
IV. Der Grundtatbestand
Da § 29 BtMG ein sehr umfangreicher Grundtatbestand ist, konzentrieren wir uns hier auf die praxisrelevantesten Handlungsmodalitäten: § 29 Abs. 1 Nr. 3, der erlaubnislose Besitz von Betäubungsmitteln, dient als Auffangtatbestand und soll dort Strafbarkeitslücken schließen, wo unklar ist, wie – also durch welche Handlung – es zu dem letztlich feststehenden Besitz gekommen ist. Erforderlich ist nur noch die tatsächliche Verfügungsmacht (vgl. JuS 2019, 214). Mit der Nr. 3 wurde mithin eine Beweiserleichterung für die Strafverfolgungsbehörden geschaffen (vgl. BeckOK BtMG/Wettley BtMG § 29 Rn 472). In allen anderen Fällen, in denen sich die Erlangung der Betäubungsmittel aufschlüsseln lässt, ist Nr. 3 nicht mehr anzuwenden. Weshalb wir uns nun Nr. 1 zuwenden. Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG wird bestraft, wer Betäubungsmittel unerlaubt anbaut, herstellt, mit ihnen Handel treibt, sie, ohne Handel zu treiben, einführt, ausführt, veräußert, abgibt, sonst in den Verkehr bringt, erwirbt oder sich in sonstiger Weise verschafft. Eigentlich ist diese Aufzählung trotz der verschiedensten Varianten sehr einfach: sobald man unerlaubt, also ohne behördliche Erlaubnis, in Kontakt mit Betäubungsmitteln kommt, ist das schlecht. Von besonderer Bedeutung ist aber das Handeltreiben. Denn dieses ist Dreh- und Angelpunkt für die effektive Bekämpfung der Betäubungsmittelkriminalität. Das Handeltreiben setzt nämlich nicht den Erfolg eines Absatzes voraus, sondern umfasst alle Stadien, die einem Absatzgeschäft vorausgehen (vgl. BeckOK BtMG/Becker BtMG § 29 Rn. 53f.). Mit dem Handeltreiben wird damit ein ganzes Bouqet an strafwürdigem Verhalten erfasst, was die Abgrenzung zwischen Vollendung und Versuch sowie Täterschaft und Teilnahme oftmals erschwert. Ausreichend kann so beispielsweise bereits die erfolglose Bemühung um einen Ankauf von Betäubungsmitteln für einen späteren Weiterverkauf sein (JuS 2019, 214).
V. Die Verbrechenstatbestände
Was muss nun passieren, damit aus diesem Grundtatbestand ein Verbrechen wird? Das wiederum zeigen die §§ 29a, 30 und 30a BtMG. Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr werden Personen bestraft, die über 21 Jahre alt sind und Betäubungsmittel an solche Personen abgeben, verabreichen oder überlassen die unter 18 Jahre alt sind (§ 29a Abs. 1 Nr. 1 BtMG) sowie Personen, die – unabhängig vom Alter – mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge agieren (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG). Die Qualifizierung zum Verbrechen beruht damit im Falle der Nr. 1 auf der gehobenen Verwerflichkeit, als erwachsene Person Minderjährigen Betäubungsmittel zur Verfügung zu stellen und das unabhängig davon, ob dies in der Funktion als Dealer*in oder im privaten Umfeld erfolgt (vgl. BeckOK BtMG/Schmidt BtMG § 29a Rn. 1,2). Minderjährige sind immer besonders schutzwürdig und dürfen nicht zur Sucht „verführt“ werden. Im Falle der Nr. 2 beruht die Qualifizierung auf der unüblich hohen Menge. Einen weiteren Qualifikationstatbestand normiert § 30 BtMG, der seinen Verbrechenscharakter jedoch aus anderen Umständen erhält: Im Fokus stehen bei § 30 Abs. 1 BtMG eine Bandenmitgliedschaft, Gewerbsmäßigkeit, das leichtfertige Verursachen des Todes (Achtung: hierbei handelt es sich um eine Erfolgsqualifikation) und – hier zeigt sich ein Muster – das Einführen einer nicht geringen Menge an Betäubungsmitteln. Der Strafrahmen steigt im Gegensatz zu § 29a BtMG auf eine Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren. Um sowohl die Bande als auch die Gewerbsmäßigkeit zu definieren, kann einfach auf die Definitionen des allgemeinen Vermögensstrafrechts zurückgegriffen werden (vgl. JuS 2019, 213). Fallen nun Bandenmitgliedschaft und nicht geringe Menge zusammen, wird § 30a Abs. 1 BtMG relevant und der Strafrahmen steigt erneut, nun auf ein Mindestmaß einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren. Wichtig ist, dass sich die Bandenabrede auch auf genau diese nicht geringe Menge beziehen muss (vgl. MüKoStGB/Oğlakcıoğlu BtMG § 30a Rn. 16). § 30a Abs. 2 BtMG ähnelt § 29a Abs. 1 BtMG. So wird in Nr. 1 wieder auf das Erwachsenen-Minderjährigen-Verhältnis abgestellt, allerdings mit dem Unterschied, dass es sich bei § 30a Abs. 2 Nr. 1 BtMG um eine Anstiftungshandlung („bestimmt“) handelt. Die betroffenen Minderjährigen sollen nun auch noch für die erwachsene Person im Drogenmilieu tätig werden. § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG kombiniert nun das Mitsichführen einer Schusswaffe oder sonstiger Gegenstände mit dem Agieren mit einer nicht geringen Menge. § 30b BtMG ist kein eigenständiger Straftatbestand, sondern weitet den Anwendungsbereich des § 129 StGB aus (vgl. BeckOK BtMG/Schmidt BtMG § 30b Vorb.). Relevant wird dies im Bereich der organisierten Betäubungsmittelkriminalität.
Wichtig ist stets, die Normen genau zu lesen, denn die Handlungsmodalitäten, die vom Grundtatbestand übernommen werden, variieren bei den Qualifikationen stets. Nicht immer sind alle Modalitäten erfasst; meist sogar nur eine Auswahl. Außerdem hat der Gesetzgeber ausreichend Gebrauch von minder schweren Fällen gemacht, wie sich meist am Ende der jeweiligen Norm zeigt.
VI. Konkurrenzen
Mit Blick auf die Handlungsmodalitäten des § 29 Abs. 1 BtMG und dabei insbesondere auf das unerlaubte Handeltreiben, ist leicht vorstellbar, dass mehrere Handlungsmodalitäten, die sich auf ein und dasselbe Betäubungsmittel beziehen, hintereinander auftreten können. Dies führt uns zu der Frage: Wie ist dieser Umstand konkurrenzrechtlich zu bewerten? Im Betäubungsmittelstrafrecht existiert die sogenannte Bewertungseinheit, die einen Fall der tatbestandlichen Handlungseinheit darstellt (vgl. BeckOK BtMG/Becker BtMG § 29 Rn 103-105). So wird beispielsweise Anbau, Lagerung, Transport und Verkauf einer bestimmten Rauschgiftmenge zu einer Tat, nämlich dem Handeltreiben zusammengefasst.
Das Betäubungsmittelstrafrecht ist folglich kein zu unterschätzendes strafrechtliches Nebengebiet, das sowohl in seinem Zweck herausragende Bedeutung innehat als auch in seiner Anwendung einige Abgrenzungsschwierigkeiten bereithält. Gerade in der Praxis sind die Strafverfolgungsbehörden einigen Hürden ausgesetzt und nicht stets ist zweifelsfrei zu klären, ob beispielsweise gewerbsmäßig gehandelt wird, wo die Betäubungsmittel versteckt sind und wer alles Teil der Organisationsstruktur ist.