Strafrecht SI – Oktober 2015 – 1. Staatsexamen Niedersachsen
Vielen Dank auch für die Zusendung eines Gedächtnisprotokolls der Strafrechtsklausur des 1. Staatsexamens in Niedersachsen im Oktober 2015. Ergänzungen und Korrekturanmerkungen sind wie immer gerne gesehen.
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Sachverhalt
T ist leitender Arzt in einem Universitätsklinikum. Er ist spezialisiert auf die Transplantation von Lebern. Für jede Transplantation erhält er eine Leistungsprämie von 2.500 Euro.
Die Organe werden dabei über Eurotransplant, ein privater Verein mit Sitz in Leiden (Niederland), verteilt. Als Grundlage für die Verteilung wird für jeden Patieten ein sogenannter MELD-Score festgestellt und auf Basis dessen eine Reihenfolge bestimmt, nach welcher die Organe verteilt werden. Die MELD-Score wird von verschiedenen medizinischen Kriterien beeinflusst und gibt letztlich an, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass der Patient in näherer Zeit verstirbt. Dabei erhalten die Patienten zuerst ein Organ, welche einen hohen MELD-Score, also eine hohe Todeswahrscheinlichkeit haben. Dabei haben empirische Studien gezeigt, das 90% der transplantierte Patienten innerhalb des ersten Jahres nach der Transplantation nicht versterben.
Bei T wird Anfang August Patient P vorstellig. Dieser hat eine Leberzirrhose. T erkennt nach ersten Untersuchungen schnell, dass der P kaum Chancen hat, in näherer Zeit ein Organ zugeteilt zu bekommen. Da er P aber unbedingt helfen will und weil er außerdem durch eine weitere Transplantation seine Reputation steigen sieht, entschließt er sich nachzuhelfen. Auch kann er die Leistungsprämie gut gebrauchen.
Er versetzt daher eine Blutprobe des P mit einer Substanz, die P kränker erscheinen lässt, als er tatsächlich ist. Dadurch wird der MELD-Score des P erhöht. Diese Probe wird sodann an ein Labor geschickt, mittels automatisiertem Verfahren untersucht und ausgewertet und dass Messergebnis in einen geschützen Bereich im Internet eingetragen, welcher von Eurotransplant verwaltet wird.
Bei der Manipulation der Blutprobe wird T jedoch von Assistenzarzt A beobachtet, der eigentlich bei T seine Dissertation schreiben will. A stellt T zur Rede. Dieser sagt gegenüber A: „Wenn sie hier noch etwas werden wollen und wenn sie ihre Dissertation bei mir schreiben möchten, dann behalten sie das besser für sich.“. A unterlässt es daraufhin die Manipulation gegenüber anderen zu erwähnen.
Außerdem trägt T wahrheitswidrig in die Patienakte des P ein, dass dieser eine Dialysebehandlung erhält. Diesen Eintrag zeichnet er mit seinem Kürzel ab. Auch dies führt letzlich dazu, dass der MELD-Score des P erhöht wird.
Bereits nach einer Woche teilt Eurotransplant dem P eine Leber zu. Diese wird von T implantiert. Dabei weiß P nichts von der Manipulation durch T. P geht es daraufhin besser und er verlässt bald schon das Krankenhaus.
Jedoch erhält auf Grund der Manipulation der O stattdessen kein Organ. Er verstirbt sodann Ende August. Mit Blick auf seinen Gesundheitszustand stellt der behandelnde Arzt fest, dass O die Implantation mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit überlebt hätte.
Frage 1: Hat sich T nach dem StGB strafbar gemacht? Auf alle aufgeworfenen Rechtsfragen ist ggf. hilfsgutachterlich einzugehen. Straftaten zu Lasten des P sind nicht zu prüfen.
Frage 2: Ändert sich etwas an der strafrechtlichen Bewertung, wenn sich nicht feststellen ließe, wer das in P verpflanzte Organ erhalten hätte?
Außerdem wird W bei T vorstelling. W leidet ebenfalls an einer Lebererkrankung. T erkennt aber, dass W keine Lebertransplantation in den nächsten zwei Jahren benötigen wird. Trotzdem manipuliert er erneut den MELD-Score um dem W ein Organ zu verschaffen. Auch W gegenüber macht er wahrheitswidrig die Notwendigkeit einer zeitnahen Operation glaubhaft. Als W dann ein Organ von Eurotransplant zugewiesen wird, klärt T den W ordnungsgemäß über die Risiken auf. Insbesondere klärt er ihn über das Abstoßungsrisiko auf. Anschließend nimmt T die Operation vollkommen fachgerecht vor. Trotzdem stößt W das Organ ab und verstirbt kurz darauf.
Frage 3: Wie hat sich W nach dem StGB strafbar gemacht? Es sind nur Straftaten zu Lasten des W zu prüfen.
Spontane Gedanken:
1.) Zunächst würde ich aufgrund des Sitzes des Vereins in den Niederlanden prüfen, ob deutsches Strafrecht anwendbar ist.
2.) Betrug zulasten des Krankenhauses bzgl der Leistungsprämie empfinde ich als unproblematisch
3.) Beim Einschicken der Probe ans Computerlabor würde ich erst einen Betrug ablehnen und dann einen computerbetrug prüfen.
Verwendung unrichtiger Daten (-), denn bei der Blutprobe handelt es sich nicht um Daten.
(P)unbefugte verwendung von Daten: hier ist dann strittig, wie das Merkmal unbefugt auszulegen ist. nach hM betrugsspezifische Auslegung, die ein täuschungsäquivalentes verhalten verlangt. eine Täuschung kann man hier sehr gut bejahen.
(P) fällt auch das ingangsetzen des datenverarbeitungsprozesses unter §263a? nach hM(+), ansonsten entstünden strafbarkeitslücken und ingangsetzen ist die stärkste form der Beeinflussung.
(P) Unmittelbarkeit: nur durch das eintragen passiert ja zunächst erstmal nichts. die Eintragung führt nicht zu einer vermögensverfügung. diese erfolgt erst nachgelagert in der Zuteilung einer Leber. insofern kann man hier mMn 263a ablehnen und 263a, 22, 23, 12 prüfen.
4.) Durch die Eintragung der Daten in der geheimen Internetseite in jedem fall 268 (+)
5.) Hinsichtlich sonstiger Urkundsdelikte bzgl der Eintragung bin ich mir nicht sicher.
5a) evtl 303 bzgl der blutprobe des P
6.) Bzgl der Äußerungen ggü seinem Promotionsstudenten stellt sich iRd §240 die frage nach Strafbarkeit mit der Drohung mit einem unterlassen.
7.) Hinsichtlich der Krankenakte würde ich §267 problematisieren. Fraglich ist wer der Aussteller der Krankenakte ist. Ich würde sagen hinsichtlich des Kürzels der T. dann ist 267 aber nicht einschlägig, weil eine schriftliche Lüge nicht unter 267 fällt. Kann man bestimmt auch anders sehen. 277-279 scheiden ebenfalls aus.
8.) Hinsichtlich O wohl 212,13. (P) abgrenzung tun/unterlassen. Ebenfalls fraglich erscheint der Tötungsvorsatz.
Frage 2: fällt mir grad nichts zu ein.
Frage 3:
1) bei der manipulation des meld score kann nach oben verwiesen werden.
2) 223,224 wobei zunächst fraglich ist, ob ein lege artis durchgeführter eingriff den Tatbestand einfallen lässt oder nur zur Rechtfertigung führt. dann sicherlich Probleme hinsichtlich der einverständlichen fremdgefährdung/rechtfertigende einwilligung. in der Rechtfertigung würde ich dann ansprechen, ob es auf die irrtumsfreiheit der hypothetischen Einwilligung ankommt. darüber hinaus auch problematisch ob man in den Tod und die Behandlung einwilligen kann.
3) dieselben Probleme stellen sich auch beim Totschlag. hier ist wiederum der tötungsvorsatz problematisch, den würde ich wohl ablehnen.
4) ggf 222, 227
Bitte um Verbesserungen und weitere Vorschläge
Im original Sachverhalt war noch angegeben, dass dem Arzt T bewusst war, dass ein anderer Patient aufgrund seines Handelns nun kein Organ erhalten wird und deshalb sterben könnte.
Zu Frage 1: Ist es nicht deshalb schwerpunktmäßig eine Totschlags- und ggf. Mord Aufgabe? Natürlich sind Betrug/ Urkundendelikte / und Nötigung ggü dem Assistenzarzt auch zu prüfen, aber wesentlich interessanter ist doch die Frage, ob nun ein Totschlag durch T (ggf Qualifikation Mord – Habgier/ Heimtücke) vorliegt, da jedenfalls dolus eventualis bzgl des Todes des O angenommen werden kann, oder übersehe ich etwas?
Bei Frage 2 müsste es doch darum gehen, dass mangels identifizierbaren Opfers kein Anknüpfungspunkt für eine Kausalität und obj. Zurechnung existiert. Denn die Handlung müsste sich ja im Erfolg realisiert haben, was mangels klar erkennbaren Opfer nicht zweifelsfrei überprüfbar wäre…in dubio pro reo müsste die Wertung des StGB also für eine Straflosigkeit sprechen, oder was meint ihr?
Muss es bei Frage 3 nicht „Wie hat T (!) sich strafbar gemacht?