ÖffRecht ÖI – August 2013 – 1. Staatsexamen BaWü
Vielen Dank an Sven für die Zusendung eines Gedächtnisprotokolls der im August 2013 in Baden-Württemberg gelaufenen ersten Klausur im Öffentlichen Recht. Ergänzungen oder Korrekturanmerkungen sind wie immer gern gesehen.
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Sachverhalt
B beantragt bei der zuständigen Behörde einen Bauvorbescheid für eine genehmigungspflichtige Nutzungsänderung; die bislang als Architekturbüro genutzten Räume seines Hauses in der baden-württembergischen Großstadt s sollen nun der Wohnungsprostitution zugeführt werden. Der Erlass des Bauvorbescheids wird von der zuständigen Baurechtsbehörde allein mit der Begründung abgelehnt, das Vorhaben verstoße gegen die geltende Rechtsverordnung des zuständigen Regierungspräsidiums über das Verbot der Prostitution im Sperrgebiet.
Nach § 1 dieser Verordnung („Verbot“) dürfen Personen, die der Prostitution nachgehen, sich zu diesem Zweck innerhalb des in § 2 bezeichneten Sperrgebiets nicht aufhalten. § 2 (Sperrbezirk“) nimmt eine genaue Bezeichnung der Straßen, Wege und Plätze vor die den Sperrbezirk bilden. § 3 („Ausnahmen“) regelt bestimmte Ausnahmen vom Verbot nach § 1; ausgenommen von Verbot sind unter anderem aus Bestandsschutzgründen die bei Inkrafttreten der Verordnung baurechtliche genehmigte(n) Wohnungsprostitution, Bordelle und bordellartigen Betriebe. Gestützt ist die Sperrgebietsverordnung auf Art. 297 Abs. 1 S.1 Nr.2 EGStGB und auf § 2 der Verordnung der Landesregierung über das Verbot der Prostitution; nach § 2 dieser Verordnung wird die Ermächtigung zu Erlass von Sperrgebietsverordnungen auf den Regierungspräsidenten übertragen.
Nach erfolgloser Durchführung des Widerspruchsverfahrens erhebt B beim zuständigen Verwaltungsgericht (VG) Klage, um den Erlass des Bauvorbescheids gerichtlich zu erzwingen. B macht geltend, seinem Vorhaben stünden rechtliche Vorschriften nicht entgegen, weil das Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostitution (Prostitutionsgesetz- ProstG) die Prostitution vom Makel der Sittenwidrigkeit befreit habe; folglich sei die Sperrgebietsverordnung unwirksam, weil die Ermächtigungsgrundlage des Art. 297 EGStGB gegen die Berufsfreiheit und die Eigentumsgewährleitung verfassungswidrig und damit nichtig sei. Außerdem betreffe Art. 297 EGStGB ein Rechtsgebiet, auf dem der Bund gar keine Regelungskompetenz habe.
Die zuständige Kammer erkennt, dass der von B beantragten Nutzungsänderung lediglich die Sperrgebietsverordnung, in deren Bezirk das Anwesen des B liegt, entgegenstehen kann. Nach gründlicher Prüfung der Sach- und Rechtslage gelangt das Gericht zu dem Ergebnis, dass die Verordnung an sich durch Art. 297 Abs. 1 S.1 Nr.2 EGStGB gedeckt ist, das jedoch Art. 297 Abs.1 S.1 Nr.2 EGStGB selbst gegen das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot sowie gegen die grundgesetzliche Berufsfreiheit und die Eigentumsgarantie verstoße. Im Jahr 1074 mag eine gesetzliche Ermächtigung zum verordnungsrechtlichen Verbot der Prostitution unter Heranziehung bestimmter gesellschaftlicher Moralvorstellungen noch Verfassungskonform gewesen sein, seither –so das VG- hätten sich die Ansichten und Rechtsauffassungen grundlegend gewandelt. So müsse die generalklauselartige Formulierung „des öffentlichen Anstands“ mangels homogener gesellschaftlicher Vorstellungen zu Sitte und Moral als völlig unbestimmt erachtet werden. Zudem verhalte sich der Gesetzgeber widersprüchlich, wenn er einerseits Prostitution legalisiere und andererseits eine Ermächtigungsgrundlage für ein Verbot vorhalte. In grundrechtlicher Hinsicht rechtfertige der Hinweis auf den „öffentlichen Anstand“ im Jahr 2013 keine Beschränkung der Berufsfreiheit mehr, unabhängig davon gebe es im Polizeirecht, Baurecht und Gaststättenrecht ausreichende Eingriffsbefugnisse, um im Einzelfall gegen unerwünschte Prostitution vorgehen zu können; nichts anderes gelte in Bezug auf die Eigentumsgarantie.
Aufgabe 1)
Prüfen Sie gutachterlich die Verfassungsmäßigkeit der Verordnungsermächtigung in Art. 297 EGStGB. Hierbei ist auf alle im Sachverhalt aufgeworfenen Fragen – gegebenenfalls hilfsgutachterlich – einzugehen.
Aufgabe 2)
Wie kann das Verwaltungsgericht eine verbindliche Klärung der verfassungsrechtlichen Fragen zu Art. 297 EGStGB herbeiführen?
Bearbeitungshinweis:
Art. 297 EGStGB ist in der Textsammlung „Schönfelder“ unter 85a abgedruckt. Das ProstG ist in der Textsammlung „Schönfelder Ergänzungsband“ unter 29a abgedruckt.
In anderem Gewand, aber auch zur Verfassungsmäßigkeit von Art. 297 EGStGB: https://www.zjs-online.com/dat/artikel/2012_4_597.pdf