BVerfG: § 362 Nr. 5 StPO ist nichtig
Wohl zähneknirschend unterzeichnete Bundespräsident Steinmeier das „Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit“, um anschließend seine verfassungsrechtlichen Bedenken zu äußern, die sich nunmehr als berechtigt herausstellten:
„[…] Für den Bundespräsidenten ergibt sich keine abschließende Gewissheit über die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes, die die Versagung der Ausfertigung rechtfertigen würde. Angesichts der erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken rege ich allerdings an, das Gesetz einer erneuten parlamentarischen Prüfung und Beratung zu unterziehen“ (Hier zur Wiederholung des Klassikers „Prüfungsrecht des Bundespräsidenten“)
Der Zweite Senat des BVerfG hat durch Urteil vom 31.10.2023 den erst am 30.12.2021 in Kraft getretenen § 362 Nr. 5 StPO für verfassungswidrig und nichtig erklärt. Bereits vor Verabschiedung des „Gesetzes zur Herstellung materieller Gerechtigkeit“ zweifelte der Gesetzgeber die Verfassungskonformität des § 362 Nr. 5 StPO aus zwei Gründen an: Ein möglicher Verstoß gegen das Mehrfachverfolgungsverbot („ne bis in idem“), gem. Art. 103 Abs. 3 GG, und gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Rückwirkungsverbot, gem. Art. 20 Abs. 3 GG.
Folgender Beitrag widmet sich zunächst den juristischen Grundlagen des Urteils und fasst sodann die wesentlichen Entscheidungsgründe und Argumente des BVerfG zusammen. Die zitierten Randnummern entsprechen der Nummerierung der elektronischen Urteilsveröffentlichung des BVerfG.
I. Verfassungsbeschwerde eines von Mord und Vergewaltigung Freigesprochenen
Anlass, zu dieser Frage Stellung zu beziehen, bot die Verfassungsbeschwerde eines Betroffenen, der im Jahr 1983 von Mord und Vergewaltigung an einer Schülerin freigesprochen wurde. Im Nachhinein tauchten Beweismittel auf, die einen erneuten Tatverdacht begründeten. Deswegen wurde 2022 ein Haftbefehl gegen den Betroffenen erlassen und es drohte eine Wiederaufnahme des vergangenen Verfahrens zuungunsten des Freigesprochenen: Diese Wiederaufnahme stützte sich auf § 362 Nr. 5 StPO, der einen der fünf Wiederaufnahmegründe des § 362 StPO normiert(e) und erst jüngst durch das „Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit“ vom 21.12.2021, in Kraft getreten am 30.12.2021, eingeführt wurde. Gegen die Maßnahme erhob der Betroffene eine Verfassungsbeschwerde, in welcher er die Verletzung seiner Rechte aus Art. 103 Abs. 3 GG und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG rügte.
II. Crashkurs: „ne bis in idem“, § 362 Nr. 5 StPO und das Rückwirkungsverbot
Bevor wir uns den Entscheidungsgründen des BVerfG widmen, frischen wir schnell unser Wissen zu den drei wichtigsten Themen der Entscheidung auf:
1. Grundsatz „ne bis in idem“
Der Grundsatz „ne bis in idem“, welcher seinen Ursprung im römischen Recht hat (lat. nicht zweimal in derselben Sache), statuiert das Verbot mehrfacher Strafverfolgung bzw. das Verbot mehrfacher Bestrafung wegen derselben Tat. Das in Art. 103 Abs. 3 GG normierte grundrechtsgleiche (Prozess-)Recht dient der Rechtssicherheit des Betroffenen, indem es die Strafverfolgung wegen derselben Tat auf einen einzigen Versuch beschränkt (v. Mangoldt/Klein/Starck/Nolte/Aust, 7. Aufl. 2018, GG Art. 103 Rn. 179). Dabei sind mehrere Konstellationen denkbar: So soll ein bereits Bestrafter nicht erneut wegen derselben Tat verfolgt oder bestraft werden können, ebenso wie ein Betroffener, der rechtskräftig freigesprochen wurde, nicht erneut wegen desselben Verdachts belangt werden kann. Ein Strafverfahren dürfe nicht unendlich lang sein – das Urteil am Ende eines Strafverfahrens hat Zäsurwirkung. Der Grundsatz „ne bis in idem“ solle die materielle Gerechtigkeit zugunsten der Rechtssicherheit zurückdrängen.
2. Regelungsgehalt des § 362 Nr. 5 StPO
Eine Ausnahme von dem Grundsatz bildet der Katalog des § 362 StPO, welcher verschiedene Gründe zur Wiederaufnahme eines abgeschlossenen Strafverfahrens zuungunsten des Betroffenen auflistet. Der Wiederaufnahmegrund des § 362 Nr. 5 StPO bezog sich auf Straftaten, die mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht, unverjährbar und damit besonders schwerwiegend sind. Die Wiederaufnahme wäre dann einzuleiten, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel beigebracht würden, die im damaligen, abgeschlossenen Verfahren keine Berücksichtigung fanden. Die neuen Indizien sollten ferner eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine Verurteilung (wegen der benannten Delikte) in der neuen Hauptverhandlung mit sich bringen. Ziel der Wiederaufnahme nach Nr. 5 war es, durch Beseitigung des Freispruchs materielle Gerechtigkeit herzustellen und die strafverfahrensrechtliche Entscheidung zu korrigieren.
3. Rückwirkungsverbot
Das Rückwirkungsverbot findet seine gesetzliche Verankerung in Art. 103 Abs. 2 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG. Das Verbot dient dem Vertrauensschutz des Bürgers, welcher sich darauf verlassen können soll, dass die Rechtslage, die er seinem Handeln zugrunde gelegt hat, sowie die Rechtsfolgen, die sich aus seinem Handeln ergeben haben, nicht rückwirkend geändert werden.
Allerdings ist zwischen der „echten Rückwirkung“ und der „unechten Rückwirkung“ zu unterscheiden, denn nur erstere unterfällt dem Rückwirkungsverbot, während letztere verfassungsrechtlich unbedenklich und damit auch zulässig ist.
Eine echte Rückwirkung liegt vor, wenn sich das neue Gesetz auf bereits abgeschlossene Sachverhalte belastend auswirkt: Ein in der Vergangenheit liegender Sachverhalt wurde nach der alten Rechtslage in der Weise X behandelt und wird nunmehr rückwirkend durch das neue Gesetz in der Weise Y behandelt und es treten andere, den Betroffenen belastende Rechtsfolgen ein, die bei Fortgeltung der alten Rechtslage nicht eingetreten wären. Aufgrund des erreichten Grades der Abgeschlossenheit des Sachverhalts entsteht ein schutzwürdiges Vertrauen in die abschließende Wirkung der Rechtslage. Ausnahmsweise ist eine echte Rückwirkung zulässig, z.B., wenn aufgrund der Unklarheit und Verworrenheit der Rechtslage erst gar kein Vertrauen entstehen konnte; wenn ein nur unbedeutsamer Eingriff in den abgeschlossenen Sachverhalt entsteht; oder wenn zwingende Gründe des Allgemeinwohls keine andere Entscheidung zulassen können.
Von einer unechten Rückwirkung hingegen spricht man, wenn sich das Gesetz auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte auswirkt, die schon vor Inkrafttreten des Gesetzes in Gang gesetzt worden sind. Zwar sind auch hierbei Fälle denkbar, in denen eine unechte Rückwirkung zu unverhältnismäßigen Ergebnissen führen kann, allerdings ist im Grundsatz zunächst von ihrer Zulässigkeit auszugehen.
Beispiel: Wenn etwa eine Neuerung des JAG veränderte Examensvoraussetzungen für das Jurastudium vorsehen würde, so darf keine „echte“ Rückwirkung dahingehend erzeugt werden, dass denjenigen, die ihr Staatsexamen bereits haben, der Abschluss aberkannt wird, weil sie die neuen Voraussetzungen nicht erfüllen. Diese sind aufgrund der Abgeschlossenheit des Sachverhalts („fertiges Staatsexamen“) schutzwürdig und sollen auf die Verbindlichkeit der alten Rechtslage vertrauen können. Anders sieht es allerdings für diejenigen aus, die zwar das Jurastudium begonnen haben, das Staatsexamen aber noch nicht unmittelbar ansteht: Hierbei handelt es sich um einen bereits begonnenen Sachverhalt („auf dem Weg zum Staatsexamen“), der noch nicht abgeschlossen ist. Die betroffenen Studenten können ihr Verhalten noch anpassen und nach der neuen Rechtslage ausrichten, sodass eine Änderung der Rechtslage keinen unzulässigen Eingriff darstellt, die Rückwirkung ist in diesem Fall eine „unechte“!
III. Entscheidungsgründe des Bundesverfassungsgerichts
1. Verstoß gegen das Mehrfachverfolgungsverbot, Art. 103 Abs. 3 GG
In seiner Entscheidung tenoriert das BVerfG, dass Art. 103 Abs. 3 GG („ne bis in idem“) dem Prinzip der Rechtssicherheit Vorrang vor dem Prinzip der materiellen Gerechtigkeit verleiht und diese grundgesetzliche Entscheidung absolut wirke. Dies bedeute, so das BVerfG, dass Art. 103 Abs. 3 GG einer Abwägung mit anderen Verfassungsgütern nicht zugänglich sei. Das Gericht spricht insofern von einer Abwägungsfestigkeit.
Arg. 1: Systematik
Diese Wertung ergebe sich bereits aus der systematischen Nähe zu Art. 103 Abs. 2 GG, welcher gegenüber dem Gesetzgeber das ausdrückliche und ausnahmslose Verbot, rückwirkende Strafgesetze zu erlassen, statuiert. Das Verbot des Art. 103 Abs. 2 GG wirke absolut, weswegen ein gleichlaufendes Verständnis des Art. 103 Abs. 3 GG als gleichermaßen absolutes Verbot angebracht sei (vgl. Rn. 84).
Arg. 2: Telos der Norm
Art. 103 Abs. 3 GG dient der Rechtssicherheit des Einzelnen in Bezug auf die Endgültigkeit eines strafgerichtlichen Urteils (s.o.). Das dahingehend entwickelte Vertrauen würde ausgehebelt werden, wenn es stets der freien Abwägung zugunsten des Strafanspruchs des Staates zugänglich wäre und damit nicht mehr endgültige, sondern nur noch vorläufige Wirkung hätte. Art. 103 Abs. 3 GG diene zugleich dem Schutz der Freiheit und der Menschenwürde des Betroffenen, welcher im Rahmen eines faktisch unendlichen Prozesses sonst zu einem „bloßen Objekt der Ermittlung der materiellen Wahrheit herabgestuft“ werden würde (Rn. 88). Dabei sei zu beachten, dass gerade das Strafrecht einer der intensivsten Bereiche staatlicher Macht darstelle und der Staat sich mit der Einführung des Art. 103 Abs. 3 GG eine Selbstbeschränkung auferlegt habe, die er einzuhalten hat.
Arg. 3: Rechtsfrieden
Ein weiteres Argument stelle der Rechtsfrieden dar. In der Gesellschaft bestehe das „vom Einzelnen unabhängige Bedürfnis an einer endgültigen Feststellung der Rechtslage“ (Rn. 89) – die moderne Rechtsordnung hat sich zur Befriedigung eben jenes Bedürfnisses gegen die Erreichung des „Ideals absoluter Wahrheit“ (Rn. 89), und vielmehr für die relative Wahrheit entschieden. Eine Erforschung der Wahrheit „um jeden Preis“ beabsichtige das Strafrecht nicht. Im Sinne des Rechtsfriedens seien daher auch unrichtige Entscheidungen in Kauf zu nehmen. Dem Geltungsanspruch eines Urteils entspreche es nicht, stets die Möglichkeit zu eröffnen, den Urteilsspruch anzuzweifeln – ansonsten würde das Vertrauen in die Effektivität der Streitentscheidung durch die Rechtsprechung, mithin der Rechtsfrieden, beeinträchtigt werden (vgl. Rn. 89).
Arg. 4: Belange der Opfer und der Angehörigen
Zu denken ist allerdings auch an die Belange der Opfer der mutmaßlichen Täter und der Angehörigen, deren Interesse an der Verfolgung der Straftat zunächst als hoch erscheinen dürfte. Ihr Anspruch auf effektive Strafverfolgung gegen den Staat folgt aus der staatlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 und S. 2 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG. Durch dieses Leistungsgrundrecht sollen eine Erschütterung des Vertrauens in das Gewaltmonopol des Staates und ein allgemeines Klima der Rechtsunsicherheit und Gewalt ausgeräumt werden. Allerdings steht dies im Konflikt mit der seelischen Belastung der Opfer bzw. der Hinterbliebenen, welche aufrechterhalten bleibt, wenn ein Strafprozess wegen des „grundsätzlich stets möglichen Auftauchens neuer Tatsachen oder Beweismittel faktisch nie ende“ (Rn. 134). Die Interessen und das Wohlbefinden der Opfer und der Angehörigen können daher, laut BVerfG, nicht zugunsten der Zulässigkeit der Wiederaufnahme i.S.d. Nr. 5 herangezogen werden.
Im Übrigen merkt das BVerfG an, dass der Anspruch auf eine effektive Strafverfolgung nicht den Anspruch auf ein bestimmtes Ergebnis, etwa eine Verurteilung, beinhaltet. Dem Staat obliegt jedenfalls das effektive Tätigwerden. Solange eine Verfolgung erfolgt und der durchgeführten Strafverfolgung oder dem Strafverfahren keine schwerwiegenden Mängel anhaften, so ist dem Staat kein Vorwurf zu machen; auch nicht, wenn das Verfahren mit einem Freispruch endet.
2. Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot, Art. 103 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG
Regelungsgegenstand des § 362 Nr. 5 StPO bildeten sowohl Strafverfahren, die vor Inkrafttreten, wie auch nach Inkrafttreten der Norm ihren Abschluss in Form eines Freispruchs gefunden haben (Rn. 148). Freispruch bedeutet, dass der dem Verfahren zugrundeliegende Tatverdacht sich nicht bestätigen konnte, und er schließt das Strafverfahren mit eben diesem Aussagegehalt ab. Ein Strafverfahren, das durch einen rechtskräftigen Freispruch beendet ist, stellt einen in der Vergangenheit liegenden, abgeschlossenen Sachverhalt dar. Sofern auf Grundlage des § 362 Nr. 5 StPO ein Verfahren, das vor Inkrafttreten der Norm abgeschlossen wurde, wiederaufgenommen würde, entfielen die Rechtswirkungen des Freispruchs und es läge eine echte Rückwirkung vor. Die Wiederaufnahmeregelung des § 362 Nr. 5 StPO verstoße mithin gegen das Rückwirkungsverbot. Eine Ausnahme von der Unzulässigkeit der echten Rückwirkung liegt, laut BVerfG, jedenfalls auch nicht vor.
IV. Sondervotum zur Vereinbarkeit mit dem Grundsatz „ne bis in idem“
Im Sondervotum äußern zwei Richter des BVerfG ihre abweichende Meinung zur Unvereinbarkeit des § 362 Nr. 5 StPO mit dem Grundsatz „ne bis in idem“.
1. Art. 103 Abs. 3 GG einschränkbar
Zunächst sei, laut Sondervotum, Art. 103 Abs. 3 GG abwägungsoffen. Der Grundsatz „ne bis in idem“ sei zwar eine Grundentscheidung zugunsten der Rechtssicherheit, doch könne er ausnahmsweise unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes durchbrochen werden. Dies zeigt etwa das Vorliegen anderer, verfassungskonformer Wiederaufnahmegründe (wie § 362 Nr. 1-4 StPO).
Ferner sei Art. 103 Abs. 3 GG zwar vorbehaltlos, nicht aber schrankenlos gewährleistet und unterliegt damit zumindest den verfassungsimmanenten Schranken: Dass ein Grundrecht oder grundrechtsgleiches Recht gar nicht eingeschränkt werden kann, bliebe eine Ausnahme und erfordere eine unmittelbare Ableitbarkeit aus dem Grundrecht der Menschenwürde, Art. 1 Abs. 1 GG. Eine taugliche verfassungsimmanente Schranke wäre etwa die staatliche Schutzpflicht gegenüber seinen Bürgern aus Art. 2 Abs. 2 S. 2, 3 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG, die sich konkretisieren lässt auf das rügefähige Recht auf wirksame Verfolgung schwerster Straftaten.
2. Vergleich zu anderen Wiederaufnahmegründen
Die Wiederaufnahmegründe der § 362 I Nr. 1-4 StPO zeigen, dass das Vertrauen in den Bestand rechtskräftiger Entscheidungen bei Vorliegen schwerer Verfahrensmängel, bei Verstößen gegen rechtsstaatliche Grundanforderungen im Verfahren oder bei einem glaubwürdigen Geständnis des Freigesprochenen sehr wohl weichen kann. Diesen Wiederaufnahmegründen liegt sinngemäß zugrunde, dass niemand wegen eines nachträglich bekannt gewordenen Defizits die „Früchte einer strafbaren Handlung genießen“ können soll (Rn. 13). Insbesondere durch die Einführung des in Nr. 4 benannten Wiederaufnahmegrundes sollte vermieden werden, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die Rechtsordnung dadurch erschüttert werden kann, dass sich ein Straftäter im Nachhinein seiner Straftat ohne Konsequenzen berühmen könnte. Nicht weniger problematisch verhalte es sich im Falle der von Nr. 5 erfassten Sachverhalte, dass jemand, der wegen schwersten Verbrechen dringend verdächtigt wird, endgültig straflos bliebe (Rn. 14).
Durch das Beibehalten der Nr. 1-4 stünde nun eine unklare Wertentscheidung im Raum, wie das Sondervotum anhand von zwei Beispielen veranschaulicht (Rn. 15): Ein Freigesprochener, der von einer nicht notwendigerweise durch ihn selbst gefälschten Urkunde profitiert hat, müsste eine erneute Strafverfolgung dulden – ein Freigesprochener hingegen, der wegen Mordes verdächtigt und erst Jahre später durch ein molekulargenetisches Gutachten überführt wird, bliebe straflos. Oder: Ein Täter gesteht ein Kriegsverbrechen und kann nach einem Freispruch erneut angeklagt werden, nicht aber sein ebenfalls freigesprochener Komplize, der sich von einem Geständnis fernhält und damit vor einer erneuten Strafverfolgung geschützt bleibt.
3. Unverjährbarkeit
Der Gesetzgeber habe für einige Straftaten durch die Regelung ihrer Unverjährbarkeit eine Entscheidung zugunsten der lückenlosen Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs getroffen, weswegen sich, laut Sondervotum, die Frage aufdränge, weshalb sich diese Wertentscheidung nicht auch durch Beibehalten der Nr. 5 widerspiegeln kann. Das Anliegen des Strafrechts, eine schuldangemessene Bestrafung schweren Unrechts zu verfolgen, verschärfe sich, je schwerer das Verbrechen und je erdrückender die neuen Tatsachen und Beweismittel sind.
4. Völkerrecht
Ferner sei eine Einschränkung des Mehrfachverfolgungsverbots auch aus dem Völkerrecht bekannt, wie Art. 4 Abs. 2 7. ZP-EMRK und die ausnahmsweise auch belastende Auslegung des Art. 14 VII IPbpR zeigen (Rn. 29).
5. Rechtsstaat
Zu Zeiten des Nationalsozialismus erfuhr der „ne bis in idem“-Grundsatz erhebliche Einbußen, die aber heute nicht mehr zu befürchten seien, zumal der Grundsatz heute in einem rechtsstaatlich abgesicherten Rahmen eingebunden ist. Schon tatbestandlich war eine Mehrfachverfolgung nur unter strengen Bedingungen möglich: Das in Nr. 5 genannte Verbrechen musste als vollendete Tat in täterschaftlicher Begehung vorliegen, während der Betroffene ein Freigesprochener gewesen sein muss, (d.h. ein zu mild Verurteilter war aus dem Täterkreis ausgeschlossen). Während das Sondervotum betont, dass die Verhältnismäßigkeit der Vorschrift im Einzelnen diskutabel sein kann, so ist jedenfalls die Möglichkeit zuzugestehen, § 362 I Nr. 5 StPO verfassungskonform auszulegen und ggfs. eine Korrektur auf Rechtsfolgenseite vorzunehmen. Ein Missbrauch dieser Möglichkeit droht in dem Rechtsstaat, der die BRD geworden ist, nicht mehr.
V. Fazit
Im Hinblick auf die Verfassungswidrigkeit des § 362 Nr. 5 StPO war sich – im Ergebnis – der ganze Senat einig, da sich jedenfalls ein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot aufdrängte. Spannend ist, dass sich bei der Diskussion um den Verstoß gegen das Mehrfachverfolgungsverbot sehr antagonistische Auslegungen offenbarten. Das uneinstimmig ergangene Votum verdeutlicht, dass die Frage um die zu treffende Wertentscheidung zwischen der materiellen Gerechtigkeit auf der einen Seite und der Rechtssicherheit auf der anderen Seite keine einfache war. Das Urteil ruft jedoch zu Recht in Erinnerung, dass gerade in einem Rechtsstaat dem staatlichen Strafanspruch klare Grenzen zu setzen sind – selbst in den Fällen, in denen der Ausgang eines formell wie materiell nicht zu beanstandenden Strafverfahrens dem gesellschaftlichen Gerechtigkeitsgefühl widersprechen mag.
(Zunächst: Unter Nr. 2 zu der Regelungswirkung des § 362 Abs. 5 StPO heißt es am Ende im Beitrag die strafrechtliche Entscheidung solle einer absoluten Wahrheit zugeführt werden. Die Erreichung einer absoluten Wahrheit, wenn tatsächlich möglich vorhanden, sollte im Strafprozess weniger erreichbar scheinen. Es sollte daher im Strafprozess eine Entscheidung eventuell eher nicht einer absoluten Wahrheit zugeführt werden können?)
Ein Problem scheint, dass in der im Beitrag erörterten Entscheidung wie selbstverständlich von der subjektiven Rechtsinhaberschaft einer zunächst freigesprochenen Person ausgegangen scheint, selbst wenn ein Freispruch zu Unrecht erfolgte.
Eine These ist, dass theoretisch eine Person, welche die Tat tatsächlich verübt hat, was für eine Person zutreffen muss, nicht schutzwürdig im Vertrauen auf den Bestand eines Urteiles sein kann, wenn für solche Person ein Freispruch erfolgt..Die subjektive Rechtsinhaberschaft von ne bis in idem sollte dabei zweifelhaft scheinen. Die subjektive Rechtsinhaberschaft sollte grundsätzlich voraussetzen, dass ein Freispruch zu Recht erfolgte.Eine unausgesprochene These im Urteil scheint, dass die subjektive Rechtsinhaberschaft von ne bis in dem jeder Person freigesprochenen zukomme, unabhängig davon, ob ein Freispruch zu Recht oder zu Unrecht erfolgt. Es können nämlich für andere nie genügend sicher gewusst sein, ob der Freispruch zu Unrecht oder zu Recht erfolgte. Theoretisch sollte es nur so liegen müssen, dass eine Person die Tat tatsächlich verübt hat oder tatsächlich nicht. Theoretisch sollte eine Person, welcher eine Tat tatsächlich verübt hat und demgegenüber dennoch freigesprochen wurde, nicht im Vertrauen schutzwürdig sein können. Solcher Person sollte keine subjektive Rechtsinhaberschaft von ne bis in idem zukommen können. Indem gesagt wird, die subjektive Rechtsinhaberschaft muss jeder freigesprochenen Person zukommen, unabhängig davon, ob diese die Tat tatsächlich verübt hat, wird das als Ergebnis pauschlisierend vorweggenommen, dass diese die Tat nicht verübt hat. Dies nur, weil diese Person eine Tat wirklich nicht verübt haben könnte und weil niemand das genügend sicher wissen kann.
Ob ein Freispruch zu Recht erfolgte, solte aufgrund neuere Tatsachen in Frage stehen können. Indem gesagt wird, die Frage dürfe nicht neu aufgeworfen werden, weil nicht sicher gesagt werden können, ob ein Freispruch nicht zu Recht oder zu Unrecht erfolgte, weshalb dies stets so zu behandeln sein müsse, als sei ein Freispruch zu Recht erfolgt, sollte dies ein mögliches Ergebnis der neuen Frage zur Begründung dafür nehmen, dass die Frage nicht erst neu aufgeworfen werden darf. Das sollte denklogisch wie ein unzulässiger Zirkelschluss wirken, indem ein mögliches Ergebnis zur Begründung für ein solches mögliches Ergebnis vorwegegnommen wird..
Wenn eine zunächst freigesprochene Person nach Wiederaufnahme verurteilt würde, würde keine freigesprochener Person vorliegen. Bei neuem Freispruch wäre die Wiederaufnahme zu Unrecht erfolgt und sollte zu entschädigen sein können.
Es sollte sich das Ergebnis einer neuen Frage durch Wiederaufnahme nicht durch den Grundsaztz in dubion pro reo pauschal vorwegnehmen lassen, wenn der Grundsatz aufgrund starker neuer Beweismittel genügend erschüttert wirken kann.
Es sollten jedenfalls nur genügend verlässliche neue Beweismittel in Betracht kommen, wie genügend sichere neue DNA-Beweise Einfache Zeugenaussagen sollten dazu weniger zählen usw.
Es solltet nicht besonders wahrscheinlich wirken, dass unbegrenzt neue, entsprechend genügend belastende Beweise vorliegen, welche stets neu zum Freispruch führen. Die Sorge eine freigesprochene Person könne nicht zur Ruhe finden, scheint theoretisch überhöht und wenig begründet.
Warum gerade Wiederaufnahme Druck zu Manipulation begünstigen sollte, scheint nicht belegt.
Es heißt ein freisprechender Prozess sei in der Vergangeneheit abgeschlossen und dürfe nicht im Sinne echter Rückwirkung neu aufgenommen werden. Dennoch scheint dies schon bislang ebenso zu Lasten eines Freigesprochenen teils möglich. Das sollte nur damit begründet werden können, dass in bestimmten Fällen trotzdem keine Schutzwürdigkeit vorliegen sollte. oder es sollte kein abgeschlossener Vorgang vorliegen, weil eine Rechtskraft noch fortwirkt und nicht abgeschlossen ist.
Es lässt sich kaum sagen, dass ein nicht wieder aufhebbarer Grad von Abgeschlossenheit erreicht ist, wenn von Anfang an vorhandene Beweise anfangs noch nicht verwendet werden konnten.In bestimmten Fällen scheint bereits dennoch kein genügender Grad von Abgeschlossenheit selbst zu Gunsten einer freigesprochenen Person erreicht. Das sollte kaum genügend allein mit Manipulation begründbar scheinen, weil daraus kein Schuldvorwurf unzweifelhaft folgen muss. Vielmehr scheint dem hier ebenso ein Gedanke mangelnder Schutzwürdigkeit hier aufgrund Manipulation oder fehlende echte Rückwirkung vorzuliegen, was nun in dem im Beitrag besprochenen Urteil ungleich abweichend zweifelhafterweise als mögliche Begründung ausscheiden soll.
(Zunächst: Unter Nr. 2 zu der Regelungswirkung des § 362 Abs. 5 StPO heißt es am Ende im Beitrag die strafrechtliche Entscheidung solle einer absoluten Wahrheit zugeführt werden. Die Erreichung einer absoluten Wahrheit, wenn tatsächlich möglich vorhanden, sollte im Strafprozess weniger erreichbar scheinen. Es sollte daher im Strafprozess eine Entscheidung eventuell eher nicht einer absoluten Wahrheit zugeführt werden können?)
Ein Problem scheint, dass in der im Beitrag erörterten Entscheidung wie selbstverständlich von der subjektiven Rechtsinhaberschaft einer zunächst freigesprochenen Person ausgegangen scheint, selbst wenn ein Freispruch zu Unrecht erfolgte.
Eine These ist, dass theoretisch eine Person, welche die Tat tatsächlich verübt hat, was für eine Person zutreffen muss, nicht schutzwürdig im Vertrauen auf den Bestand eines Urteiles sein kann, wenn für solche Person ein Freispruch erfolgt. Die subjektive Rechtsinhaberschaft von ne bis in idem sollte dabei zweifelhaft scheinen. Die subjektive Rechtsinhaberschaft sollte grundsätzlich voraussetzen, dass ein Freispruch zu Recht erfolgte. Eine unausgesprochene These im Urteil scheint, dass die subjektive Rechtsinhaberschaft von ne bis in dem jeder Person freigesprochenen zukomme, unabhängig davon, ob ein Freispruch zu Recht oder zu Unrecht erfolgt. Es können nämlich für andere nie genügend sicher gewusst sein, ob der Freispruch zu Unrecht oder zu Recht erfolgte. Theoretisch sollte es nur so liegen müssen, dass eine Person die Tat tatsächlich verübt hat oder tatsächlich nicht. Theoretisch sollte eine Person, welcher eine Tat tatsächlich verübt hat und demgegenüber dennoch freigesprochen wurde, nicht im Vertrauen schutzwürdig sein können. Solcher Person sollte keine subjektive Rechtsinhaberschaft von ne bis in idem zukommen können. Indem gesagt wird, die subjektive Rechtsinhaberschaft muss jeder freigesprochenen Person zukommen, unabhängig davon, ob diese die Tat tatsächlich verübt hat, wird das als Ergebnis pauschalisierend vorweggenommen, dass diese die Tat nicht verübt hat. Dies nur, weil diese Person eine Tat wirklich nicht verübt haben könnte und weil niemand das genügend sicher wissen kann.
Ob ein Freispruch zu Recht erfolgte, sollte aufgrund neuer Tatsachen in Frage stehen können. Indem gesagt wird, die Frage dürfe nicht neu aufgeworfen werden, weil nicht sicher gesagt werden können, ob ein Freispruch nicht zu Recht oder zu Unrecht erfolgte, weshalb dies stets so zu behandeln sein müsse, als sei ein Freispruch zu Recht erfolgt, sollte dies ein mögliches Ergebnis der neuen Frage zur Begründung dafür nehmen, dass die Frage nicht erst neu aufgeworfen werden darf. Das sollte denklogisch wie ein unzulässiger Zirkelschluss wirken, indem ein mögliches Ergebnis zur Begründung für ein solches mögliches Ergebnis vorweggenommen wird.
Wenn eine zunächst freigesprochene Person nach Wiederaufnahme verurteilt würde, würde keine freigesprochene Person vorliegen. Bei neuem Freispruch wäre die Wiederaufnahme zu Unrecht erfolgt und sollte zu entschädigen sein können.
Es sollte sich das Ergebnis einer neuen Frage durch Wiederaufnahme nicht durch den Grundsatz in dubio pro reo pauschal vorwegnehmen lassen, wenn der Grundsatz aufgrund starker neuer Beweismittel genügend erschüttert wirken kann.
Es sollten jedenfalls nur genügend verlässliche neue Beweismittel in Betracht kommen, wie genügend sichere neue DNA-Beweise Einfache Zeugenaussagen sollten dazu weniger zählen usw.
Es solltet nicht besonders wahrscheinlich wirken, dass unbegrenzt neue, entsprechend genügend belastende Beweise vorliegen, welche stets neu zum Freispruch führen. Die Sorge eine freigesprochene Person könne nicht zur Ruhe finden, scheint theoretisch überhöht und wenig begründet.
Warum gerade Wiederaufnahme Druck zu Manipulation begünstigen sollte, scheint nicht belegt.
Es heißt ein freisprechender Prozess sei in der Vergangenheit abgeschlossen und dürfe nicht im Sinne echter Rückwirkung neu aufgenommen werden. Dennoch scheint dies schon bislang ebenso zu Lasten eines Freigesprochenen teils möglich. Das sollte nur damit begründet werden können, dass in bestimmten Fällen trotzdem keine Schutzwürdigkeit vorliegen sollte. oder es sollte kein abgeschlossener Vorgang vorliegen, weil eine Rechtskraft noch fortwirkt und nicht abgeschlossen ist.
Es lässt sich kaum sagen, dass ein nicht wieder aufhebbarer Grad von Abgeschlossenheit erreicht ist, wenn von Anfang an vorhandene Beweise anfangs noch nicht verwandt werden konnten. In bestimmten Fällen scheint bereits dennoch kein genügender Grad von Abgeschlossenheit selbst zu Gunsten einer freigesprochenen Person erreicht. Das sollte kaum genügend allein mit Manipulation begründbar scheinen, weil daraus kein Schuldvorwurf unzweifelhaft folgen muss. Vielmehr scheint dem hier ebenso ein Gedanke mangelnder Schutzwürdigkeit hier aufgrund Manipulation oder fehlende echte Rückwirkung vorzuliegen, was nun in dem im Beitrag besprochenen Urteil ungleich abweichend zweifelhafterweise als mögliche Begründung ausscheiden soll.
Es besteht im Strafrecht ein spezielles Rückwirkungsverbot aus dem verfassungsrechtlich grunsrechtsgleichen Grundsatz keine Strafe ohne vorheriges Strafgesetz. Dies sollte einem allgemeinen Rückwirkungsverbot grundsätzlich vorgehen. Für diieses strafrechtliche Rückwirkungsverbot ist anerkannt entschieden, dass es für strafprozessuale Fragen nicht gelten soll. Dabei scheint mit anerkannt entschieden, dass ein allgemeines Rückwirkungsverbot nicht wieder zur Geltung kommt, wenn ein spezielles strafrechtliches Rückwirkungsverbot bei einer strafprozessualen Frage nicht gilt.
Bei einer strafprozessualen Wiederaufnahme sollte es sich um eine strafpeozessuale Frage handeln, für welche dembach kein Rückwirkungsverbot gelten sollte. Zumindest sollte dies eingehenderer Begründung erfordern. Der gesamte Senat des höchsten deutschen Gerichtes scheint demnach vorliegend geschlossen einen Grund als tragend entscheidend angesehen zu haben, welcher denkbar schlecht und wenig vertretbar haltbar begründet scheint. Es sollte ein Grund sein, für welchen wohl ein Prüfling in jeder gewöhnlichen juristischen Anfängerübung wegen einer derart nicht vertretbar begründeten Lösung durch die Prüfung durchfallen müssen sollte?
(Es fehlt wohl in dem im Beitrag besprochenen Urteil eine überzeugende, nähere Erörterung und Begründung dafür, aus welchem inhaltlichen Grund ein zunächst grundsätzlich vorrangiges strafrechtliches Rückwirkungsverbot bei strafprozessualen Fragen nicht gelten soll, ein allgemeineres Rückwirkungsverbot hingegen unter Umständen schon).