BVerfG: Rechtsprechungsüberblick im Verfassungsrecht (2. und 3. Quartal/2013)
BVerfG: Rechtsprechungsüberblick im Verfassungsrecht
Gerne präsentieren wir euch hiermit wieder eine Reihe von Entscheidungen, die das Bundesverfassungsgericht in der jüngsten Zeit getroffen hat und die Anlass zum aufmerksamen Studieren geben sollten. Gerade im Hinblick auf die Vorbereitung zur Mündlichen Prüfung ist ein aktueller Kenntnisstand der Rechtsprechung unerlässlich. Daneben fließen Entscheidungen dieses hohen Gerichtes regelmäßig in Anfangssemester- oder Examensklausuren ein. Dargestellt wird in diesem Beitrag insofern – gerade anhand der betreffenden Leitsätze , Pressemitteilungen oder kurzen Ausführungen aus den Gründen – eine überblicksartige Auswahl aktueller Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, welche ihr nachschlagen solltet.
BVerfG vom 24.04.2013 – 1 BvR 1215/07:
1. Die Errichtung der Antiterrordatei als Verbunddatei verschiedener Sicherheitsbehörden zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus, die im Kern auf die Informationsanbahnung beschränkt ist und eine Nutzung der Daten zur operativen Aufgabenwahrnehmung nur in dringenden Ausnahmefällen vorsieht, ist in ihren Grundstrukturen mit der Verfassung vereinbar.
2. Regelungen, die den Austausch von Daten der Polizeibehörden und Nachrichtendienste ermöglichen, unterliegen hinsichtlich des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung gesteigerten verfassungsrechtlichen Anforderungen. Aus den Grundrechten folgt ein informationelles Trennungsprinzip, das diesen Austausch nur ausnahmsweise zulässt.
3. Eine Verbunddatei zwischen Sicherheitsbehörden wie die Antiterrordatei bedarf hinsichtlich der zu erfassenden Daten und ihrer Nutzungsmöglichkeiten einer hinreichend bestimmten und dem Übermaßverbot entsprechenden gesetzlichen Ausgestaltung. Das Antiterrordateigesetz genügt dem nicht vollständig, nämlich hinsichtlich der Bestimmung der beteiligten Behörden, der Reichweite der als terrorismusnah erfassten Personen, der Einbeziehung von Kontaktpersonen, der Nutzung von verdeckt bereitgestellten erweiterten Grunddaten, der Konkretisierungsbefugnis der Sicherheitsbehörden für die zu speichernden Daten und der Gewährleistung einer wirksamen Aufsicht.
4. Die uneingeschränkte Einbeziehung von Daten in die Antiterrordatei, die durch Eingriffe in das Brief- und Fernmeldegeheimnis und das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung erhoben wurden, verletzt Art. 10 Abs. 1 und Art. 13 Abs. 1 GG.
BVerfG vom 07.05.2013 – 2 BVR 909/06:
Die Ungleichbehandlung von Verheirateten und eingetragenen Lebenspartnern in den Vorschriften der §§ 26, 26b, 32a Abs. 5 EStG zum Ehegattensplitting ist mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar.
Siehe auch unser Artikel vom 06.06.2013.
BVerfG vom 08.05.2013 – 1 BvL 1/08:
Allgemeine Studiengebühren sind mit dem Teilhaberecht auf Zulassung zum Hochschulstudium aus Art. 12 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip der Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG vereinbar, solange sie nicht prohibitiv wirken und sozial verträglich ausgestaltet sind.
Die Bremische Landesregelung, die bei der Auferlegung von Studiengebühren nach der Wohnung zugunsten von Landeskindern unterscheidet, verstößt gegen Art. 12 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG, weil sie den danach notwendigen freien und gleichen Hochschulzugang in einem bundesweit zusammenhängenden System ohne hinreichenden Sachgrund beeinträchtigt.
BVerfG vom 14.05.2013 – 2 BvR 547/13
Der Präsident des Deutschen Bundestages wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin (Anm.: Nationaldemokratische Partei Deutschlands, NPD)die vom Bund zu leistenden Abschlagszahlungen zum 15. Mai 2013 und zum 15. August 2013 entsprechend seinem Schreiben an die Antragstellerin vom 31. Januar 2013 in Höhe von jeweils 303.414,05 Euro ohne Verrechnung mit dem im Bescheid vom 26. März 2009 festgesetzten Zahlungsanspruch zu zahlen.
BVerfG vom 19.06.2013 – 2 BvR 1960/12:
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob der Bürger das Risiko des Nichtzugangs einer an ihn adressierten Mitteilung des Gerichts trägt.
BVerfG vom 19.06.2013 – 1 BvR 667/13:
Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine Streitigkeit aus dem Dienst- und Werkvertragsrecht.
BVerfG vom 02.07.2013 – 1 BvR 1751/12 (siehe Pressemitteilung):
Eine Rechtsanwaltskanzlei im Rahmen eines Zivilprozesses als „Winkeladvokatur“ zu bezeichnen, kann von der Meinungsfreiheit gedeckt sein. Dies entschied das Bundesverfassungsgericht in einem heute veröffentlichten Beschluss vom 2. Juli 2013 und hob daher die angegriffenen Unterlassungsurteile auf. Es obliegt nun den Zivilgerichten, das Grundrecht auf Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des kritisierten Anwalts abzuwägen.
BVerfG vom 02.07.2013 – 2 BvR 2392/1:
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die im Anschluss an eine rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung erfolgte Anordnung der Entnahme von Körperzellen und der molekulargenetischen Untersuchung derselben zur Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren.
BVerfG vom 05.07.2013 – 1 BvR 1018/13:
Die Verfassungsbeschwerde betrifft einen Zivilrechtsstreit aus dem Nachbarschaftsrecht.
BVerfG vom 09.07.2013 – 2 BvC 7/10:
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Gültigkeit der Europawahl 2009. Er beanstandet den Verzicht auf das Begründungserfordernis für die Teilnahme an der Briefwahl und rügt die aus seiner Sicht mangelnde Fälschungssicherheit und das erhöhte Risiko der ungewollten Abgabe ungültiger Stimmen bei der Briefwahl.
BVerfG vom 11.07.2013 – BvR 2302/11:
Der Beschwerdeführer wendet sich unmittelbar gegen seine gerichtlich angeordnete Unterbringung nach dem Therapieunterbringungsgesetz. Mittelbar sind die Verfassungsbeschwerden gegen die Vorschriften des Therapieunterbringungsgesetzes selbst gerichtet.
BVerfG vom 16.07.2013 – 1 BvR 3057/11:
1. Wird die Rüge einer Gehörsverletzung weder ausdrücklich noch der Sache nach zum Gegenstand der Verfassungsbeschwerde gemacht oder wird die zunächst wirksam im Verfassungsbeschwerdeverfahren erhobene Rüge einer Gehörsverletzung wieder zurückgenommen, hängt die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde unter dem Gesichtspunkt des Gebots der Rechtswegerschöpfung nicht von der vorherigen Durchführung eines fachgerichtlichen Anhörungsrügeverfahrens ab.
2. Aus Gründen der Subsidiarität müssen Beschwerdeführer allerdings zur Vermeidung der Unzulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde, bei der sie sich nicht auf eine Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG berufen, eine Anhörungsrüge oder den sonst gegen eine Gehörsverletzung gegebenen Rechtsbehelf ergreifen, wenn den Umständen nach ein Gehörsverstoß durch die Fachgerichte nahe liegt und zu erwarten wäre, dass vernünftige Verfahrensbeteiligte mit Rücksicht auf die geltend gemachte Beschwer bereits im gerichtlichen Verfahren einen entsprechenden Rechtsbehelf ergreifen würden.
Siehe auch unser Artikel vom 15.08.2013.
BVerfG vom 24.07.2013 – 1 BvR 444/13:
Die Verfassungsbeschwerden betreffen eine strafgerichtliche Verurteilung der Beschwerdeführer wegen übler Nachrede.
BVerfG vom 13.08.2013 – 2 BvR 2660/06:
Die Verfassungsbeschwerden betreffen die Frage der Schadensersatz- und Entschädigungspflicht der Bundesrepublik Deutschland für die Tötung oder Verletzung von Zivilpersonen als Folge der Zerstörung einer Brücke in der serbischen Stadt Varvarin am 30. Mai 1999 während der gegen die Föderative Republik Jugoslawien geführten Luftoperation „Allied Force“ der Organisation des Nordatlantikvertrags (NATO).
BVerfG vom 26.08.2013 – 2 BvR 371/12 (siehe Pressemitteilung):
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Anordnung der Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus.
Die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat der Verfassungsbeschwerde des Gustl Ferdinand Mollath gegen Beschlüsse des Landgerichts Bayreuth und des Oberlandesgerichts Bamberg stattgegeben. Die in den Beschlüssen des Jahres 2011 aufgeführten Gründe genügen nicht, um die Fortdauer der Unterbringung zu rechtfertigen. Die Beschlüsse verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) in Verbindung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Art. 20 Abs. 3 GG). Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht Bamberg zurückverwiesen.