BGH zur Haftung des Halters eines KFZ mit Arbeitsfunktion
Der BGH hatte sich in einem jüngst bekannt gewordenen Urteil mal wieder mit der Frage zu beschäftigen, wann ein nach § 7 Abs. 1 StVG ersatzfähiger Schaden „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs“ entstanden ist (BGH, Urt. v. 18.7.2023 – VI ZR 16/23). Die Halterhaftung nach dem StVG gilt als absoluter Examensklassiker, sodass Prüflingen auch etliche Problemkonstellationen im Zusammenhang mit der Frage, wann ein Schaden „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs“ entstanden ist, bekannt sein müssen.
I. Der Sachverhalt (leicht abgewandelt)
Kläger K betreibt ein Weingut. Da er selbst nicht über die für die Ernte der Trauben notwenigen Maschine verfügt, beauftragte er den Lohnunternehmer und Beklagten B. Dieser soll mit einem sog. Traubenvollautomaten die notwendigen Weinlesearbeiten durchführen, wobei B selbst der Halter der einzusetzenden Maschine ist. Derartige Maschinen fahren zwecks Weinlese in Schrittgeschwindigkeit über die Rebstöcke hinweg und lösen die Trauben durch maschinenverursachte Rüttelbewegungen von den Rebstöcken. Die geernteten Trauben gelangen sodann in ein Auffangbehältnis im Geräteinneren. Um zum jeweiligen Einsatzort zu gelangen, nehmen die Maschinen am Straßenverkehr teil und erreichen dort Geschwindigkeiten von bis zu 40 km/h. Die Ernte erfolgte am 30.9.2018. Geführt wurde die Maschine von M, einem Mitarbeiter des B, obgleich auch K anwesend war und die Ernte verfolgte. Es kam zur Ernte von insgesamt 2,5 Tonnen Trauben, als K und M plötzlich Dieselgeruch bemerkten. M untersuchte daraufhin die Maschine und entdeckte ein Leck in der Dieselleitung. Die Ernte wurde daraufhin eingestellt. Die bereits geernteten Trauben wurden dennoch gepresst und im Anschluss chemisch-analytisch untersucht. Festgestellt werden konnte eine Kontaminierung mit Dieselkraftstoff, die einer Weiterverarbeitung der Trauben entgegensteht. Auch wenn K nicht an ein Verschulden von B oder M glaubt, da die Maschine fast neu war und das Leck in der Dieselleitung nicht auf Anhieb erkennbar war, verlangt er von B Schadensersatz in Höhe von 17.000 EUR nebst Zinsen und Rechtsanwaltskosten. Zu Recht?
II. Die Entscheidung (leicht abgewandelt)
Das erstinstanzlich zuständige Landgericht lehnte Ansprüche des K gegen B aus § 7 Abs. 1 StVG, § 823 Abs. 1 BGB und § 280 Abs. 1 BGB ab. Auf die Berufung des K hin, wurde das erstinstanzliche Urteil jedoch aufgehoben und B dem Grunde nach verurteilt, 100 % des Schadens sowie die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu ersetzen. Der Grund: Die Erntemaschine ist ein KFZ iSd § 7 Abs. 1 StVG und war darüber hinaus in Bewegung, als die Erntearbeiten durchgeführt und die Früchte dabei kontaminiert wurden, sodass der Schaden gerade „bei dem Betrieb“ verursacht worden ist. Die Fortbewegungs- und Transportfunktion habe eine maßgebliche Rolle gespielt, da es sich insoweit um eine „fahrbare Arbeitsmaschine“ handele, der zweckbestimmte Einsatz der Maschine also denklogisch voraussetze, dass sie auch in Bewegung ist. Ohne Fortbewegung kann die Maschine ihren Zweck nicht erfüllen. Da sie überdies, wenn auch nicht bei der Ernte selbst, eine Geschwindigkeit von über 20 km/h erreichen kann, greift der Ausschlussgrund des § 8 Nr. 1 StVG nicht. Der Ausschlusstatbestand des § 8 Nr. 3 StVG komme ebenso wenig in Betracht, da die Trauben nicht zum Zwecke eines Ortswechsels transportiert wurden, sondern sich nur innerhalb des KFZ befanden, weil dies eine automatische Folge des Erntevorgangs sei. Angesichts dessen kann nicht von der gesetzlich verlangten „Beförderung“ gesprochen werden.
Diesen Ausführungen tritt der BGH jedoch nunmehr zuwider. Es fehle an der Schadensherbeiführung „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs“ nach § 7 Abs. 1 StVG. Dies sei Ausfluss des Schutzzwecks der Norm.
„Denn die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG ist der Preis dafür, dass durch die Verwendung eines Kraftfahrzeugs erlaubterweise eine Gefahrenquelle eröffnet wird; die Vorschrift will daher alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten Schadensabläufe erfassen. […]. Erforderlich ist […] stets, dass es sich bei dem Schaden, für den Ersatz verlangt wird, um eine Auswirkung derjenigen Gefahren handelt, hinsichtlich derer der Verkehr nach dem Sinn der Haftungsvorschrift schadlos gehalten werden soll, d.h. die Schadensfolge muss in den Bereich der Gefahren fallen, um derentwillen die Rechtsnorm erlassen worden ist“ (BGH, Urt. v. 18.7.2023 – VI ZR 16/23, Rn. 10).
Entscheidend ist mithin die Verwirklichung der Betriebsgefahr. Handelt es sich um ein KFZ mit Arbeitsfunktion muss differenziert werden. Wird es im Verkehr bewegt und verursacht dabei einen Schaden, so liegt ein die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG auslösendes Ereignis vor. Anders muss die Situation hingegen bewertet werden, wenn das KFZ nur noch als Arbeitsmaschine eingesetzt wird, die Fortbewegungs- und Transportfunktion also überhaupt keine Rolle mehr spielt. Ereignet sich in letzterer Konstellation ein Schaden, so kann nicht mehr von einer Betriebsgefahr gesprochen werden. Vielmehr hat sich ein eigenständiger Gefahrenkreis verwirklicht, vor dem § 7 Abs. 1 StVG nicht schützen soll.
Schwieriger ist es hingegen in Fällen wie dem Vorliegenden. Zwar stellt auch der Traubenvollautomat ein KFZ mit Arbeitsfunktion im vorstehend genannten Sinn dar, doch kommt in diesem Fall die Besonderheit hinzu, dass es sich in Bewegung befindet, wenn es die Ernte vornimmt. Fortbewegungs- und Arbeitsvorgang lassen sich folglich nicht sauber trennen. Wann und inwieweit auch in derartigen Fallkonstellationen noch von der Verwirklichung einer im Rahmen des § 7 Abs. 1 StVG obligatorischen Betriebsgefahr gesprochen werden kann, ist Ausfluss einer Gesamtbetrachtung aller Umstände. Im Rahmen dieser ist zu ermitteln, ob die Bestimmung des KFZ als Fortbewegungsmittel den Schadensablauf entscheidend mitgeprägt hat oder nicht. Nur in ersterem Fall würde sich eine Betriebsgefahr realisieren und eine Haftung aus § 7 Abs. 1 StVG käme in Betracht.
Für die demnach vorzunehmende Gesamtabwägung ist es auch von Bedeutung, ob sich der durch die Arbeitsmaschine verursachte Schaden ereignet hat, als selbige auf einem Privatgelände, im öffentlichen Straßenverkehr oder in der Nähe zu diesem genutzt wurde. Dabei ist es unschädlich, dass der BGH bereits mehrfach entschieden hat, dass die Schadensverursachung auf Privatgelände einer Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG nicht entgegensteht. Vorliegend wurde der Traubenvollautomat im Weinberg des K und somit weit weg vom öffentlichen Straßenverkehr genutzt. Die Arbeitsfunktion hat klar im Vordergrund gestanden, während die Fortbewegung der Maschine nur erfolgte, damit die Ernte der Trauben vorgenommen werden konnte. Etwas anderes könne nur dann gelten, wenn feststünde, dass die Kontaminierung erst während des Transports vom Weinberg zum Weingut stattgefunden hat. In diesem Zeitraum stünde schließlich der Transport und nicht die Arbeitsfunktion im Vordergrund. Für einen derartigen Sachverhalt fehlen jedoch vorliegend Anhaltspunkte.
Es muss also dabei bleiben, dass der Schaden nicht „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs“ verursacht wurde. Ein Anspruch aus § 7 Abs. 1 StVG scheidet folglich aus. Ein anderer zivilrechtlicher Anspruch, etwa aus § 823 Abs. 1 BGB oder gar aus § 280 Abs. 1 BGB scheidet in Ermangelung eines Verschuldens aus.
III. Einordnung der Entscheidung
Es ist nicht die erste Entscheidung des BGH zur Halterhaftung bei Schäden, die im Zusammenhang mit Arbeitsmaschinen entstehen. Dabei scheint sich zunehmend herauszustellen, dass es in derartigen Fällen vor allem darauf ankommt, wo das Schadensereignis stattfindet. Fehlt beim Einsatz der Arbeitsmaschine eine Nähe zum öffentlichen Verkehrsraum, so scheidet eine Haftung aus § 7 Abs. 1 StVG regelmäßig aus. Ähnlich entschied der BGH bereits 2021 bei der Schadensverursachung durch einen Traktor beim Mähen einer als Weideland genutzten Wiesenfläche mittels Kreiselmähers (Urt. v. 21.9.2021 – VI ZR 726/20). Verursacht hingegen eine Straßenkehrmaschine oder ein Streufahrzeug beim Einsatz im öffentlichen Straßenverkehr einen Schaden (etwa durch hochgeschleuderte Steine), so wird man annehmen müssen, dass diese Schäden „bei dem Betrieb“ eines KFZ verursacht worden sind (so entschieden für das Streufahrzeug BGH, Urt. v. 5.7.1988 – VI ZR 726/20; ähnlich für ein am Seitenrand der Autobahn eingesetztes Mähfahrzeug BGH, Urt. v. 18.1.2005 – VI ZR 346/87). Etwas zu weit gehen dürften hingegen die Ausführungen des BGH, wonach der Schadensablauf nicht durch den Betrieb des Kraftfahrzeugs geprägt ist, wenn vielmehr die Funktion des Kraftfahrzeugs als Arbeitsmaschine im Vordergrund steht. Mit dieser Argumentation dürfte die Haftung aus § 7 Abs. 1 StVG wohl in (zu) vielen Fällen abgelehnt werden. Schließlich wird auch die Straßenkehrmaschine oder die Mähmaschine am Straßenrand nicht zu Fortbewegungs- und Transportzwecken, sondern primär als Arbeitsmaschine genutzt. Gleichwohl muss eine Halterhaftung in derartigen Fällen – wie auch vom BGH festgestellt – noch in Betracht kommen.
Steht nicht der Einsatz von derartigen Arbeitsmaschinen in Rede, so sollte man mit einer Argumentation, die zwischen Schadensversuchung im und außerhalb des öffentlichen Straßenverkehrs unterscheidet, äußerst vorsichtig sein. § 7 Abs. 1 StVG setzt nach ständiger Rechtsprechung insoweit nicht die Schadensverursachung im öffentlichen Straßenverkehr voraus.
Die Entscheidung sollte zum Anlass genommen werden, sich nochmals mit der Haftung nach dem StVG zu befassen. Soweit die in Prüfungsarbeiten oftmals zu diskutierende Frage in Rede steht, ob ein KFZ überhaupt im Betrieb war, sollte einem die Argumentation mit der „verkehrstechnische Auffassung“ und der „maschinentechnische Auffassung“ keine größere Schwierigkeiten bereiten. Sollte eine Haftung des Kraftfahrzeugführers in Rede stehen, so ist auf § 18 Abs. 1 StVG abzustellen. Dabei handelt es sich jedoch – anders als bei § 7 Abs. 1 StVG – nicht um eine Gefährdungshaftung, sondern um eine verschuldensabhängige Haftung, auch wenn das Verschulden vermutet wird. In Fallkonstellationen mit Verkehrsunfällen ist derweil auch immer an § 823 Abs. 1 BGB zu denken, obgleich es dann einer positiven Feststellung des Verschuldens bedarf.
Es sollten aufgrund vertraglicher Beziehungen vertragliche Regeln im Sinne vertraglicher Haftungsregeln vorrangig sein können.
Hier kann ein Vertragsrücktritt ab Ernteabbruch nach bemerktem Dieselleck in Betracht kommen.
Bei einem Rücktritt kann Haftung auf Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten beschränkt sein.
Eine Haftung sollte hier über eine Sorgfalt in eigenen Angelgenheiten hinausgehen und eher ausscheiden.
In Betracht kann noch kommen, dass vernichtete Ernte im unvernichteten Wert als vergeblicher Aufwand für einen Ernteerfolg ersatzfähig ist.