Zivilrecht ZI – April 2014 – 1. Staatsexamen Niedersachsen
Vielen Dank an Catharina für das Zusenden eines Gedächtnisprotokoll der ersten Klausur im Zivilrecht des 1. Staatsexamens in Niedersachen im April 2014. Ergänzungen und Korrekturanmerkungen sind wie immer gerne gesehen.
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Sachverhalt
C fährt mit ihrem Auto eine Spazierfahrt und sieht plötzlich H, der in einen Kanal springt. Da es sich bei H um einen Bekannten der C handelt, weiß sie, dass sich H in einer schweren Krise befindet. Daraufhin stellt C ihren Wagen am Straßenrand ab, springt dem H hinterher und zieht ihn ans Land. Dabei bemerkt sie, dass sie sich verletzt hat und ihr Kleid zerrissen ist. In dem Moment kommt ein Arzt A vorbei, den C zu sich ruft und ihn darum bittet, sie zu verbinden. A verbindet C und führt eine künstliche Beatmung des H durch, jedoch vergebens. H verstirbt. E ist alleiniger Erbe des H.
C muss feststellen, dass ihr Wagen durch einen Unbekannten beschädigt worden ist.
a.) Nun verlangt A vom Ehemann der C, von F, eine Vergütung nach der Gebührenordnung der Ärzte (GOÄ). F meint, dass er nichts mit der Rettungsaktion seiner Ehefrau zutun und sich A sowieso am Nachlass des H zu halten habe.
b.) C will von E Ersatz für den Schaden an ihrem PKW, für das zerrissene Kleid, Schmerzensgeld sowie Befreiung von der Forderung des A, falls eine solche bestehen sollte.
Bestehen die erhobenen Ansprüche?
Eher ungewöhnlicher Sachverhalt, aber mit allg. Kenntnissen und ein bisschen Spezialwissen wohl ganz gut machbar. Bei meinem Lösungsvorschlag bin ich dabei davon ausgegangen, dass H Privatpatient ist, da mit Blick auf das SGB V nur so die erste Fallfrage Sinn macht.
1. Frage:
A. Anspruch aus §§ 630a I iVm § 1357 I 2
I. Vertragsschluss zwischen A und C (§ 630a)
–> hier sind die Willenserklärungen auszulegen –> i.E. (+)
II. Anwendung des § 1357 I 2
1. Geschäft zur Deckung des Lebensbedarfs–> (+) vgl. §§ 1360, 1360a; hier könnte man kurz diskutieren, ob die Norm auf den Behandlungsvetrag wg. dessen höchstpersönlichem Charakter, insb. der Verschwiegenheitspflicht des Arztes? § 1357 betrifft aber nur die wirt. Seite des Vertrags und darüber hinaus trifft den Ehegatten aus § 1353 I 2 eine Rücksichtnahmepflicht auf das Persönlichkeitsrecht des anderen.
2. Angemessenheit? –> bei medizinisch gebotenen und aufschiebbaren Leistungen (+)
3.“ aus den Umständen was anderes ergibt“
–> wird bei medizinischen Leistungen erst bei (erheblicher) finanzieller Überfordung –> hier ok
4. Kein Getrenntleben (+)
–> Anspruch (+)
2. Frage: Ansprüche gegen E
A. Anspruch aus § 683 S.1, 677, 670 analog iVm § 1967 I bzgl. Auto, Kleid, Schmerzensgeld, Forderung
1. berechtigte GoA?
a) fremdes Geschäft
–> hier auch-fremdes Geschäft (wg. § 323 c)
diese Einordnung ist hier zwar etwas problematisch in Bezug auf H, da dieser ja sterben möchte. Dies ändert aber nichts daran, dass die Rettung seinem eigenem Rechtskreis zu zuordnen ist. Bzgl. C ergibt sich der erforderliche Bezug aus § 323 c
–> (P) Fremdgeschäftsführerwille
grds. zwar umstritten, hier aber auch nach der engsten Auffassung (+)
b) „Wirklicher oder mutmaßlicher Wille des Geschäftsherrn bzw. obj. Interesse“
–> hier ist grds. zu beachten, dass ein Vorrang des Willen ggü. dem obj. Interesse des GHerrn besteht. Insofern ist natürlich auch problematisch, inwiefern denn eine Rettung dem obj. Interesse des H entspricht (siehe unten)
–> Zunächst könnte man hier diskutieren, ob ein Appelsuizid vorliegt, bei dem Täter gerade gerettet werden will; die Rettung also seinem Willen entspricht –> hier (-)
–> Die Einordnung des Suizids ist i.Ü. umstritten:
1.A. Wille sittenwidrig, daher nur obj. Interesse nach § 683 BGB entscheidend
2.A. Wille verstößt gg. sichtliche Pflicht, daher § 679 analog
3.A. § 679 analog wg. § 323 c
4.A. Differenzierung. Sollte der Täter geschäftsunfähig sein (§§ 104 Nr. 2, 105 II) soll das obj. Interesse entscheidend sien. I.Ü. wird der Fall über die Herausforderungsformel bei § 823 I gelöst.
–> Das ist eine Wertungsfrage. Mich persönlich überzeugt die 3.A.
c) ohne Auftrag oder sonstige Berechtigung (+)
–> berechtigte GoA (+)
2.) Aufwendungen
Hier ist die analoge Anwendung auf Schäden (nach h.M.) zu diskutieren. Argumentative Anknüpfungspunkte sind § 110 HGB und der allg. Rechtsgrundsatz „cuius commodum est, eius periculum est“
–> i.Ü. ist str., wonach sie die Berechnung richtet. 1.A. stellt auf die §§ 249 ab, der BGH hingegen will nur eine „angemessene Entschädigung“.
–> problematisch ist nun, welche Positionen bei der Berechnung einzustellen sind. Voraussetzung dafür ist nämlich, dass sich ein tätigkeitspezifisches Risiko verwirklicht hat. Das ist wohl für den Schaden am Wagen zu verneinen, da sich dort ein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht hat
–> i.Ü. ergibt sich die Freistellungsanspruch bzgl. der Forderung aus § 257 S. 1. Dabei ist aber zu klären, ob die Forderung des A eine Aufwendung oder einen Schaden darstellt. Sie ist wohl als Folge eines Schaden einzuordnen, daher ist § 257 S. 1 analog anzuwenden.
B. Sonstige Ansprüche
Bzgl. § 823 I der nach der Herausforderungsformel zumindest teilweise tatbestandlich zu bejahen ist, stellt die berechtige GoA einen Rechtfertigungsgrund dar.
§ 812 ist hier wohl tatbestandlich nicht einschlägig, i.Ü. ist die berechtigte GoA hier ein rechtlicher Grund.