Typische Examensfehler: Strafrecht
Die meisten Missgeschicke, die Examenskandidaten innerhalb von (Examens-)Klausuren begehen, lassen sich ohne weiteres vermeiden. Oftmals sind es auch immer wieder die gleichen damit verbundenen Probleme, auf welche die Klausurbearbeiter dabei stoßen. Daher soll dieser Beitrag einen Einblick zu den Erfahrungen gewähren, die ich im Rahmen meiner Tätigkeit als Korrektor bei der Examensvorbereitung der Universität Bonn sammeln konnte, um eine Hilfestellung für alle zukünftigen Examenskandidaten zu liefern. Dem ein oder andere mag sich in Bezug auf diese Hinweise so einiges als selbstverständlich vorkommen, doch kann ich euch versichern: Das ist es leider nicht!
Nachdem euch zuvor bereits Artikel zu allgemeinen Examensfehler sowie zu Examensfehlern auf dem Gebiet des Öffentlichen Rechts präsentiert wurden, ist es nun an der Zeit, sich dem nächsten Rechtsgebiet zu widmen, indem euch Hinweise zu Klausuren im Bereich des Strafrechts gegeben werden. Zwar lässt sich die unten dargestellte Liste noch deutlich erweitern, doch hoffe ich, dass euch die folgenden Punkte schon um einen entscheidenden Schritt im Rahmen eurer Examensvorbereitung weiterbringen können.
Hinsichtlich weiterer Problemstellungen sei an dieser Stelle auf die Artikel zu meinen Checklisten im allgemeinen (siehe hier) und besonderen Teil des Strafrechtes – in den Ausprägungen der Straftaten gegen die Individual- bzw. Allgemeinrechtsgüter (siehe hier) und der Straftaten gegen das Vermögen (siehe hier) – sowie im Strafprozessrecht (siehe hier) verwiesen.
I. Allgemeine Hinweise
- Sachverhalt: Es sei zunächst erwähnt, dass der Sachverhalt komplett zu „verwerten“, jedoch nicht so zu „verbiegen“ ist, nur damit die Subsumtion möglichst einfach und bequem gestaltet werden kann.
- Fallbearbeitung: Zu Beginn einer jeden Klausur im Strafrecht sind eine saubere Trennung von sinnvollen Tatkomplexen sowie eine Unterteilung anhand der Beteiligten von eminenter Wichtigkeit. Grundsätzlich ist dabei mit dem Tatnächsten zu beginnen. Darüber hinaus sollte die Prüfung – innerhalb eines Tatkomplexes und eines Beteiligten – mit dem Delikt begonnen werden, welches das höchste Strafmaß beinhaltet. Sofern für eine Tathandlung bzw. einen -erfolg rechtlich zwei Tatbestände in Betracht kommen, welche sich jedoch gegenseitig ausschließen (z. B. § 242 und § 263 StGB), solltet ihr mit dem Tatbestand beginnen, den ihr ablehnen werdet. Das Abgrenzungsproblem dürft ihr niemals vorangestellt prüfen, denn dieses ist stets in die Deliktsprüfung des ersten Tatbestandes einzubinden.
- Bearbeitervermerk: Achtet in jedem Fall auf die Angaben und Anforderungen, welche im Bearbeitervermerk aufgeführt sind, insbesondere auf die oftmals vernachlässigten Strafantragserfordernisse.
- Obersätze: Auf die Bildung korrekter Obersätze sollte besonderen Wert gelegt werden, denn nicht zuletzt kann eine ordentliche Subsumtion nur bei subsumtionsfähigen Obersätzen erfolgen. Die Obersätze sollten strafrechtsrelevante Ergebnisse nicht vorweg nehmen und im Sinne folgender Formulierung stets die konkrete strafrechtsrelevante Tathandlung sowie die zu prüfende Strafrechtsnorm benennen: „A könnte sich nach §§… StGB strafbar gemacht haben, indem er […].“ oder „A könnte sich durch […] gemäß §§… StGB strafbar gemacht haben.“ Beim Betrug gilt außerdem folgende Besonderheit: „A könnte sich durch Täuschung des B und zu dessen Lasten/zu Lasten des C nach § 263 I StGB strafbar gemacht haben, indem er […].“ Hinsichtlich der §§ 186, 187 StGB gilt zusätzlich: „A könnte sich durch die Äußerung gegenüber B, C habe […], zulasten des C nach § 186 StGB strafbar gemacht haben.“
- Zitatation: Selbstverständlich müssen die Normen der geprüften Straftatbestände genau zitiert werden, also z. B. §§ 223 I, 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB, wenn es offensichtlich nicht um eine Waffe, sondern allenfalls ein anderes gefährliches Werkzeug geht.
- Tatbestandsmerkmale: Vereinzelt finden sich leider Klausurbearbeitungen, in denen Tatbestandsmerkmale nicht definiert, erörtert oder gar genannt werden. Achtet auch stets darauf, zwischen unterschiedlichen Tatbestandsmerkmalen zu differenzieren.
- Gutachtenstil: Vernachlässigt bitte nicht den Gutachtenstil. So gehört etwa hinter jede Definition auch eine Subsumtion. Zu beachten ist dabei in jedem Fall, dass sich die Subsumtion exakt auf die Definition und vor allem die Angaben des Sachverhaltes zu beziehen hat. Wenn etwas völlig unproblematisch ist, kann man zumindest jedoch die Definition weglassen und lediglich den Obersatz, die Subsumtion und den Ergebnissatz anführen. Ein Beispiel dazu sei wie folgt formuliert: „A könnte sich durch die Wegnahme des Leuchters eines Diebstahls gemäß § 242 I StGB strafbar gemacht haben. Der Leuchter ist eine fremde bewegliche Sache. Diese hat A auch weggenommen und dabei rechtswidrig sowie schuldhaft gehandelt, so dass er sich nach § 242 I StGB strafbar gemacht hat.“ Der Gutachtenstil sollte allerdings nicht überstrapaziert werden. Wenn ihr eure Deliktsprüfung fortwährend wie folgt einleitet: „Der Tatbestand müsste erfüllt sein. Zunächst müsste der objektive Tatbestand erfüllt sein.“ verliert ihr nicht nur wertvolle Bearbeitungszeit, sondern langweilt den Korrektor auch über alle Maßen. Anstatt auch direkt mit den einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen zu beginnen, solltet ihr im Anschluss an den Obersatz die Anforderungen an die Erfüllung des objektiven Tatbestandes erläutern.
- Meinungsstreit: Ein Meinungsstreit ist nicht so zu führen, dass jede Ansicht mitsamt dem Ergebnis, zu dem es im konkreten Fall führen würde, in jeweils zwei Sätzen aufgeschrieben wird. Stattdessen sind für jede Ansicht die Pro- und Contra-Argumente in der Reihenfolge und Gewichtung zu nennen, die dem in der eigenen Lösung vertretenen Ergebnis entspricht. Übt dies am besten mit den fünf gängigsten Theorien zum Erlaubnistatbestandsirrtum, weil in diesem Fall die Wahrscheinlichkeit recht hoch ist, dass eben dieser Meinungsstreit in einem Vortrag oder einer Strafrechtsklausur im Ersten und Zweiten Examen tatsächlich einmal abgeprüft wird. Alternativ empfiehlt sich dafür auch die Abgrenzung von Raub und räuberischer Erpressung nach den Meinungen der Rechtsprechung sowie der Literatur, unter Einbeziehung aller jeweiligen Prämissen und Konsequenzen. Führt jedoch nicht jeden Meinungsstreit aus, nur weil ihr diesen auswendig gelernt habt und sicher zu beherrschen gedenkt, sondern achtet darauf, ob dieser überhaupt entscheidungserheblich ist. Auch müssen Streitstände nur dann entschieden werden, wenn diese zu unterschiedlichen Ergebnissen führen.
- Zivilrechtliche Prüfungen: Im Rahmen von § 242, § 249, § 253, § 259 oder § 263 StGB können durchaus schon einmal anspruchsvollere zivilrechtliche Prüfungen gewollt sein. Handelt zivilrechtliche Fragestellungen also nicht oberflächlich ab, denn diese können für euer (strafrechtliches) Ergebnis oftmals entscheidend sein.
- Ergebnis und Konkurrenzen: Es empfiehlt sich, in das Gutachten Zwischenergebnisse einzufügen, um dem Korrektor den Überblick über eure Klausurbearbeitung zu erleichtern. Außerdem hilft es euch, am Ende ein Gesamtergebnis zu treffen und die Konkurrenzen besser darzustellen, was nur leider allzu oft vernachlässigt wird.
II. Strafrecht – Allgemeiner Teil
- Aufbauschemata: Alle Aufbauschemata des Allgemeinen Teils sollten unbedingt auswendig gelernt und „im Schlaf“ beherrscht werden, z. B. zum Versuch, zum erfolgsqualifizierten Versuch, zum Versuchsbeginn bei der Verwirklichung eines Regelbeispiels, zum Rücktritt vom Versuch, zur Anstiftung und Beihilfe, zur Beihilfe zur Anstiftung, zur mittelbaren Täterschaft, zur Mittäterschaft, zu den einzelnen Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründen, zum Fahrlässigkeitsdelikt, usw. Hierauf darf in der Klausur keine Zeit zum Überlegen verschwendet werden, da gerade Strafrechtsklausuren ohnehin in aller Regel sehr umfangreich sind. Ich empfehle zum effektiveren Auswendiglernen die Verwendung von Karteikarten.
- Deliktsprüfung: Bei der Prüfung eines jeden einzelnen Delikts sollte der Prüfung zumindest gedanklich das erlernte Aufbauschema aus dem Allgemeinen Teil zugrunde gelegt werden, denn nur so kann das Risiko minimiert werden, Entscheidungserhebliches zu übersehen. Qualifikations- (z. B. § 244 I Nr. 3 StGB) bzw. Privilegierungstatbestände (z. B. § 216 StGB) sind mit allen Merkmalen im objektiven und subjektiven Tatbestand zu prüfen, während Regelbeispiele (z. B. § 243 StGB) bzw. minder schwere Fälle (§ 213 StGB) als reine Strafzumessungsvorschriften hinter der Schuld zu prüfen sind.
- Tatbestandsmerkmale: Vergewissert euch, dass ihr die jeweiligen Tatbestandsmerkmale in eurer Prüfung korrekt verortet habt und nicht etwa subjektive als objektive Tatbestandsmerkmale geprüft habt. Ein viel gesehenes Beispiel ist dafür § 267 StGB und das Merkmal „zur Täuschung im Rechtsverkehr“.
- Vorsatz: Da es sich „eingebürgert“ hat, den Vorsatz ohne genaue Prüfung und Begründung zu bejahen, sollte wenigstens einmal innerhalb des Gutachtens die Definition des Vorsatzes fallen und § 15 sowie § 16 I 1 StGB angeführt werden.
- Objektive Bedingung der Strafbarkeit: Diese unterscheiden sich von persönlichen Straf-/Schuldausschließungsgründen dadurch, dass bei ihrem Nichtvorliegen die Tat für jedermann straflos ist. Da sich der Vorsatz des Täters hierauf nicht erstrecken muss, sind diese im Anschluss an den subjektiven Tatbestand zu prüfen.
- Schuld: Macht euch bewusst, dass die Schuld mehrere Prüfungspunkte enthält, und zwar die Schuldfähigkeit, spezielle Schuldmerkmale, die Vorwerfbarkeit der tatbestandlichen rechtswidrigen Handlung (Schuldform/-vorwurf, aktuelles oder potentielles Unrechtsbewusstsein, Nichteingreifen von Entschuldigungsgründen) sowie persönliche Strafausschließungs- oder -aufhebungsgründe. Entfällt beispielsweise schon die Schuldfähigkeit, braucht man sich über Entschuldigungsgründe oder persönliche Strafaufhebungsgründe keine Gedanken zu machen.
- Akzessorietätslockerung: § 28 I StGB gilt nur für Teilnehmer und stellt eine Strafzumessungsregel dar; § 28 II StGB gilt für Täter und Teilnehmer und bewirkt eine Tatbestandsverschiebung; § 29 StGB gilt für Täter und Teilnehmer und bestätigt das Prinzip limitierter Akzessorietät.
- Versuchsstrafbarkeit: Qualifikations- und Privilegierungstatbestände sind eigene Deliktstypen, sodass es bei der Frage, ob es sich um ein Verbrechen (§ 12 I StGB) oder ein Vergehen (§ 12 II StGB) handelt, auf den jeweiligen Qualifikations-/Privilegierungstatbestand und nicht auf den Grundtatbestand ankommt. Die Vorschrift des § 12 III StGB bezieht sich dagegen auf Milderungen nach § 13 II, § 17 S. 2, § 21, § 23 II, § 27 II, § 28 I, § 30 I und § 35 StGB.
III. Strafrecht – Besonderer Teil
- Deliktsprüfung: Unscheinbare bzw. weniger bekannte Delikte werden häufig ausgelassen. Ihr solltet euch vor einer Klausur im Strafrecht jedoch unbedingt die Mühe machen, das Verzeichnis des StGB durchzuarbeiten und wenigstens im Überblick zu verinnerlichen, damit ihr in eurer Klausurbearbeitung kein Delikt auslasst.
- Systematische Zusammenhänge: Diese sind im Besonderen Teil des Strafrechts oft von entscheidender Bedeutung. Macht euch vor allem die Systematik und Struktur der Aussage-, Beleidigungs-, Brandstiftungs- und Straßenverkehrsdelikte klar.
- Subsidiaritätsregelungen: Ausdrücklich im Gesetz genannte Subsidiaritätsregelungen (z. B. § 145d I StGB) dürfen keinesfalls übersehen werden.
- Promillegrenzen: Diese müssen zwangsläufig auswendig beherrscht und in der Prüfung stets angeführt werden. Die absolute Fahruntüchtigkeit liegt bei Auto-/Mofa-/Motorradfahrern bei einer BAK ab 1,1 Promille, bei Fahrradfahrern ab 1,6 Promille vor. Die relative Fahruntüchtigkeit ist bei einer BAK ab 0,3 Promille zu prüfen, d. h. es müssen alkoholbedingte Ausfallerscheinungen hinzutreten. Die Grenzen bezüglich der Schuldfähigkeit sind nicht starr; im Einzelfall kommt es z. B. auf die Höhe der Hemmschwelle zur Begehung der jeweiligen Delikte an oder aber auf die Trinkgewohnheiten des Täters. Dennoch solltet ihr euch für die Klausur folgende Richtwerte merken: Ab 3,0 Promille ist im Zweifel eine Schuldunfähigkeit im Sinne des § 20 StGB gegeben, während ab 2,0 Promille von einer verminderten Schuldfähigkeit im Sinne von § 21 StGB auszugehen ist.
- Konkurrenzverhältnis von § 243 und § 244 StGB: Grundsätzlich tritt § 243 StGB hinter § 244 StGB zurück; ausnahmsweise kann aber Tateinheit anzunehmen sein, wenn die Strafschärfung nach § 243 StGB auf einem gegenüber § 244 StGB eigenständigen Unrechtsgehalt beruht und dieser zusätzlich eine strafverschärfende Berücksichtigung finden soll.
- Betrug (§ 263 StGB): Häufig werden die unterschiedlichen Vermögensbegriffe nicht erörtert, obwohl dies für die Frage, ob überhaupt ein Vermögensschaden eingetreten ist, relevant sein kann.
- Absichten bei Eigentums- und Vermögensdelikten: Verwechselt nicht die Zueignungs- (§ 242 I StGB), Beutesicherungs- (§ 252 StGB) und Bereicherungsabsicht (§ 263 I StGB) miteinander.
- Definition „gefährliches Werkzeug“: Denkt daran, dass die Definition dieses Begriffes in § 244 I Nr. 1a) Alt. 2 und § 250 I Nr. 1a) Alt. 2 StGB (abstrakte Gefährlichkeit und subjektive Verwendungsabsicht), wo das bloße Beisichführen des gefährlichen Werkzeugs bereits den Qualifikationstatbestand begründet, eine andere ist als in § 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB (gefährlich nach konkreter Art der Verwendung im Einzelfall).
- Sache von „bedeutendem Wert“: Wann eine solche Sache vorliegt, ist je nach Zielsetzung der Vorschrift unterschiedlich zu beurteilen: Bei den §§ 263 III 2 Nr. 5, 264 II Nr. 1 StGB ab 50.000 €, bei den §§ 307 I, 315b I, 306f II, 315 I StGB ab 750 €, bei § 69 II Nr. 3 StGB ab 1.300 €.
- „Geringwertige Sache“: Eine solche im Sinne der §§ 248a, 243 II StGB ist bei 25 € und darunter anzunehmen, wobei es bei mehreren Tatbeteiligten auf die Gesamtmenge des Erbeuteten ankommt.
Ein Strafrechtprofessor im Studium legte gerade besonderen Wert darauf, das ausformulierte „Könnte-Obersätze“ stets ganz wegzulassen seien. Vielmehr solle danach eine entsprechende Paragraphenüberschrift genügend klar für sich sprechen. Weitere Überschriften seien dagegen strikt ganz wegzulassen. Eventuell kann man also zu vielen angeführten Stil- und Inhaltsfragen usw. noch unterschiedlicher Ansicht sein und kann insofern Bewertung unter Umständen noch stärker von eher zufälligen Anschauungen, „Vorlieben“, „Marotten“ usw. von Prüfern abhängen. Versuche, dazu verallgemeinernde Lehren zu bilden, können eventuell nur Anhaltspunkte geben. Solche können mitunter teils sogar nachteilig scheinen.