Typische Examensfehler: Zivilrecht (Teil 2)
Die meisten Missgeschicke, die Examenskandidaten innerhalb von (Examens-)Klausuren begehen, lassen sich ohne weiteres vermeiden. Oftmals sind es auch immer wieder die gleichen damit verbundenen Probleme, auf welche die Klausurbearbeiter dabei stoßen. Daher soll dieser Beitrag einen Einblick zu den Erfahrungen gewähren, die ich im Rahmen meiner Tätigkeit als Korrektor bei der Examensvorbereitung der Universität Bonn sammeln konnte, um eine Hilfestellung für alle zukünftigen Examenskandidaten zu liefern. Dem ein oder andere mag sich in Bezug auf diese Hinweise so einiges als selbstverständlich vorkommen, doch kann ich euch versichern: Das ist es leider nicht!
Nachdem euch zuvor bereits Artikel zu allgemeinen Examensfehler sowie zu Examensfehlern auf dem Gebiet des Öffentlichen Rechts und des Strafrechts präsentiert wurden, ist es nun an der Zeit, sich dem letzten Rechtsgebiet zu widmen, indem euch einige Hinweise zu Klausuren im Bereich des Zivilrechts (siehe auch Teil 1) gegeben werden. Zwar lässt sich die unten dargestellte Liste insbesondere für das Zivilrecht noch weitaus umfassender erweitern, doch hoffe ich, dass euch die folgenden Punkte schon um einen entscheidenden Schritt im Rahmen eurer Examensvorbereitung weiterbringen können.
IV. Schuldrecht (Vertragliche Schuldverhältnisse)
- (Aktuelle) Rechtsprechung: Gerade für die vertraglichen Schuldverhältnisse solltet ihr die aktuelle Rechtsprechung verfolgen und euch dort entschiedene Fallgestaltungen merken, denn diese finden äußerst zügig Eingang in Examensklausuren. Ein gutes Beispiel dafür ist die Frage nach der Erstattungsfähigkeit der Ein- und Ausbaukosten im Rahmen des Nacherfüllungsanspruches (auch: Fliesen-Fall, siehe hier).
- Gewährleistungsrecht: Der Anspruch aus § 283 BGB ist zumindest gedanklich immer vor dem aus § 281 BGB zu prüfen.
- Gestaltungsrechte: Es gibt keinen „Anspruch auf Minderung“, ebenso wie es keinen „Anspruch auf Rücktritt“ gibt.
- Gewährleistungsausschluss: Hierbei ist § 442 BGB vor § 444 BGB zu prüfen.
- Sachmangel: Bei einer Falschlieferung ist, wenn eine Gattungsschuld vereinbart wurde (Qualifikations-aliud), § 434 III BGB unbedingt vorrangig zu prüfen. Nur so überwindet ihr die Frage, ob überhaupt die §§ 434 ff. BGB einschlägig sind bzw. Erfüllung eingetreten ist (vgl. § 243 BGB). Wurde eine Stückschuld vereinbart (Identitäts-aliud) darf hingegen direkt § 434 I S. 1 BGB herangezogen werden.
- Einwendungen: Zitiert die Einwendungsnorm mit, auf die sich der Schuldner beruft. Im Gewährleistungsrecht ist dies beim Rücktritt beispielsweise § 346 I BGB, im Falle der §§ 312 ff. BGB mittlerweile § 355 I S. 1 BGB.
- Rückzahlungsbegehren: Bei einem Rückzahlungsbegehren etwa wegen Schlechtleistung lässt sich eine Rückzahlung in der Regel auf drei Anspruchsgrundlagen stützen: §§ 346 I, 437 Nr. 2 Alt. 2, 434, 323, 440 BGB, §§ 346 I, 437 Nr. 2, 434, 441 I, II BGB sowie §§ 437 Nr. 3, 280 I, II, 281 BGB. Dabei schließen sich Rücktritt und Schadensersatz nicht gegenseitig aus (§ 325 BGB); es erfolgt aber eine Anrechnung des bereits erhaltenen Betrages im Wege der Differenzhypothese. Das Minderungsrecht besteht alternativ zum Rücktrittsrecht (§ 441 I S. 1 BGB). Wenn ein umfassendes Gutachten von euch verlangt wird, solltet ihr also alle drei Möglichkeiten nennen und ein paar Worte zu den „intrasystemischen Anspruchskonkurrenzen“ verlieren.
V. Schuldrecht (Gesetzliche Schuldverhältnisse)
- Verletzungshandlung: Bei dem Anspruch aus § 823 I BGB müsst ihr immer klar die in Rede stehende Verletzungshandlung benennen, denn Fragen der haftungsbegründenden Kausalität (z.B. bei einem Dazwischentreten Dritter) können nur dann klar beantwortet werden.
- Schutzgesetz: Die Haftungsnorm des § 823 II BGB ist immer in Verbindung mit dem möglicherweise verletzten Schutzgesetz zu benennen. Denkt daran, dass nach herrschender Meinung z. B. auch § 858 I BGB ein Schutzgesetz ist, ebenso wie § 229 StGB oder aber auch die §§ 306 ff. StGB. Diesbezüglich solltet ihr wenigstens einmal einen Blick in einen Kommentar werfen, um sich das breite Spektrum möglicher Schutzgesetze zu vergegenwärtigen.
- Kondiktionsarten: Euch sollte unbedingt bewusst sein, welche verschiedenen Typen von Leistungs- und Nichtleistungskondiktion es gibt und in welchem Verhältnis diese jeweils zueinander stehen. Den verschiedenen Arten der Leistungskondiktion liegen dabei jeweils verschiedene Zweckbestimmungen zugrunde, denen die Leistung dienen soll.
- Einwendungen: § 814 BGB ist eine von Amts wegen zu beachtende rechtshindernde Einwendung und gilt ausschließlich für die condictio indebiti (§ 812 I S. 1 Alt. 1 BGB) sowie deren Erweiterung in § 813 I S. 1 BGB. Ebenso eine von Amts wegen zu beachtende rechtshindernde Einwendung ist § 817 S. 2 BGB, die allerdings für alle Arten der Leistungskondiktion gilt. § 817 S. 2 BGB kann nach Treu und Glauben teleologisch zu reduzieren sein, wenn die Aufrechterhaltung des verbotswidrig geschaffenen Zustandes mit Sinn und Zweck des Verbotsgesetzes unvereinbar ist und deshalb von der Rechtsordnung nicht hingenommen werden kann.
- Bereicherungsgegenstand: Achtet im Hinblick auf den Bereicherungsgegenstand bei den §§ 812 ff BGB, dass nie die Sache selbst das erlangte Etwas darstellt, sondern im Zweifel Eigentum und Besitz daran.
- Rechtsgrund: Auch solltet ihr euch unbedingt merken, was im Einzelnen als ein Rechtsgrund iSd §§ 812 ff. BGB gilt. Bei der Leistungskondiktion geht es um die Rechtswirksamkeit der der Leistungsbeziehung zugrunde liegende causa. Einen Rechtsgrund stellt z.B. die berechtigte GoA dar. Aber Vorsicht: Im Familienrecht fehlt der Rechtsgrund nur, soweit das BGB keine abschließende Sonderregelung enthält (z.B. § 1301 BGB, §§ 1371 ff. BGB). Bei der Nichtleistungskondiktion kommt es hingegen in der Regel auf gesetzliche Vorschriften oder spezielle Rechtfertigungsgründe als Behaltensgrund für den Empfänger an. Dabei ist nicht entscheidend, ob die Handlung, die zum Rechtserwerb des Schuldners auf Kosten des Gläubigers geführt hat, rechtswidrig war. Entscheidend ist vielmehr der eingetretene Zustand – entspricht dieser den allgemeinen Vorschriften der Güterzuordnung oder ist er bereicherungsrechtlich zu korrigieren? Deshalb ist beispielsweise der gutgläubige Erwerb nach den §§ 932 ff. BGB grundsätzlich kondiktionsfest, wie auch § 816 BGB zeigt.
- Saldotheorie: Im Rahmen des § 818 II, III BGB sind die Saldotheorie und ihre jüngsten Entwicklungen zu berücksichtigen. Nach der Zweikondiktionentheorie haben bei gegenseitigen Verträgen beide Vertragspartner einen selbständigen Kondiktionsanspruch, der durch das Schicksal der Gegenleistung nicht beeinflusst wird. Damit trägt das Risiko des Untergangs der Sache der Verkäufer, der selbst schutzlos gestellt ist, wenn sich der Käufer auf § 818 III BGB beruft. Deshalb besagt die Saldotheorie im Falle gleichartiger Leistungen, dass von vornherein nur ein Kondiktionsanspruch besteht, der sich aus dem Überschuss der einen Leistung über die andere ergibt. Die dogmatische Begründung hierfür liegt in der Nachwirkung des Synallagmas. Bei ungleichartigen Leistungen führt die Anwendung der Saldotheorie zur ausnahmsweisen Zug-um-Zug-Verurteilung von Amts wegen. Nicht anzuwenden ist die Saldotheorie im Einzelfall aus Wertungsgesichtspunkten, beispielsweise nie zu Lasten Geschäftsunfähiger oder arglistig Getäuschter, auch nicht in Fällen der Bösgläubigkeit nach §§ 818 IV, 819 I BGB. Dann soll es bei der Anwendung der Zweikondiktionentheorie bleiben. Das heutige Schrifttum plädiert für eine Aufgabe der Saldotheorie zugunsten einer analogen Anwendung der §§ 346 ff. BGB mit dem Ziel einer Harmonisierung der Rückabwicklungssysteme vor allen Dingen hinsichtlich einer gleichgelagerten Zuweisung von Risiken und Verantwortlichkeiten.
- Verschärfte Haftung gemäß §§ 818 IV, 819 I, 292, 987 ff. BGB: Die demnach geltende verschärfte Haftung, welche auch die Berufung auf § 818 III BGB ausschließt, wird leider oftmals übersehen.
- Unterscheidung von berechtigter/unberechtigter und echter/unechter GoA: Selbst in Lehrbüchern wird diese Terminologie nicht ganz einheitlich verwendet. Ihr solltet euch jedenfalls einprägen, dass man von einer unberechtigten GoA immer dann spricht, wenn keiner der drei Berechtigungsgründe nach § 683 S. 1 BGB (Interesse und wirklicher oder mutmaßlicher Wille des Geschäftsherren), § 683 S. 2 i.V.m. 679 BGB (öffentliches Interesse oder gesetzliche Unterhaltspflicht des Geschäftsherren) oder § 684 S. 2 BGB (spätere Genehmigung durch Geschäftsherren) vorliegt. Fälle der unechten GoA sind hingegen jene, in denen es am Fremdgeschäftsführungswillen des Geschäftsführers fehlt; es sind dies die irrtümliche und die angemaßte Eigengeschäftsführung.
- Anwendbarkeit der §§ 677 ff. BGB bei nichtigen Verträgen: Nach der Rechtsprechung soll die GoA auch Anwendung finden, wenn der zwischen Geschäftsherren und Geschäftsführer geschlossene Vertrag nichtig ist. Dagegen sprechen aber der fehlende Fremdgeschäftsführungswille und die Tatsache, dass das Gesetz für die Rückabwicklung von rechtsgrundlosen Leistungen die condictio indebiti vorsieht, die dann aber, weil die berechtigte GoA einen Rechtsgrund bildet, nicht mehr zur Anwendung gelangen würde.
VI. Sachenrecht
- Sachenrechtliche Prinzipien: Bei der Lösung von sachenrechtlichen Problematiken solltet ihr immer die Grundprinzipien des Sachenrechts (Absolutheitsprinzip, Numerus-clausus-Prinzip, Trennungs- und Abstraktionsprinzip, Bestimmtheits-/Spezialitätsprinzip, Publizitäts-/ Offenkundigkeitsprinzip) im Hinterkopf behalten.
- Gutgläubiger Erwerb: Macht euch bewusst, dass die §§ 932 ff. BGB nicht die fehlende Verfügungsbefugnis überwinden. Auch solltet ihr immer an die Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs eines Anwartschaftsrechtes denken. Im Immobiliarsachenrecht ist darauf zu achten, dass ein Grundstück nicht gemäß den §§ 873 I, 925 I, 932 I BGB gutgläubig erworben werden kann; für den gutgläubigen Erwerb z.B. eines Grundstückes gilt vielmehr § 892 I BGB.
- EBV: Bei der Prüfung der §§ 987 ff. BGB ist immer daran zu denken, dass die Vindikationslage auch im maßgeblichen Zeitpunkt vorgelegen haben muss.
- Sperrwirkung der §§ 987 ff. BGB: Diese besteht nach § 993 I BGB grundsätzlich gegenüber den §§ 812 ff. BGB sowie den §§ 823 ff. BGB innerhalb ihres jeweiligen sachlichen Anwendungsbereichs, d.h. bei Vorliegen einer Vindikationslage im Zeitpunkt der Tatbestandsverwirklichung, hinsichtlich Ansprüchen auf Nutzungs-, Verwendungs- und Schadensersatz wegen Verschlechterung der Sache zum Schutz des gutgläubigen und unverklagten Besitzers, unabhängig davon, ob die jeweiligen Haftungsvoraussetzungen erfüllt sind oder nicht. Eine Sperrwirkung besteht nicht gegenüber den Ansprüchen aus unechter GoA und § 826 BGB. Die berechtigte GoA verschafft ein Recht zum Besitz, sodass diese das Vorliegen einer Vindikationslage ausschließt. Nicht erfasst von §§ 987 ff. BGB werden Ansprüche wegen Verbrauch, Verarbeitung oder Veräußerung der Sache. Keine Sperrwirkung besteht dementsprechend aus Wertungsgesichtspunkten im Falle des Fremdbesitzexzesses. Der unrechtmäßige redliche Fremdbesitzer haftet dem Eigentümer für Verschlechterung und Unmöglichkeit der Herausgabe nach den allgemeinen Regeln; § 993 I BGB kommt ihm nicht zugute. Veräußert der redliche unrechtmäßige Besitzer die Sache, so kann der Eigentümer den Veräußerungserlös nach § 816 BGB herausverlangen. Die Eingriffskondiktion bleibt neben den §§ 987 ff. BGB anwendbar, sofern sie sich auf einen Eingriff in die Sache oder deren Surrogate gründet: Dies gilt für die Fälle der Verarbeitung/Verbindung/Vermischung nach § 951 BGB, wobei die §§ 994 ff. BGB den Rückgriff auf § 951 BGB sperren. Ferner beim Verbrauch der Sache durch den Besitzer und bei der Vermietung eines gesetzlich berechtigten Besitzers unter Überschreitung seines gesetzlichen Besitzrechts. Der redliche rechtsgrundlose Besitzer ist zur Herausgabe von Nutzungen verpflichtet, wenn er den Besitz an der Sache rechtsgrundlos erlangt hat.