Das erste Semester – Teil 2: Der Gutachtenstil
Rechtzeitig zum Semesterstart wollen wir von Juraexamen.info uns auch an Frischlinge, also die Erstsemester, richten und ein paar kleine Tipps geben, die den Start ins Studium hoffentlich erleichtern. Die Reihe wird zeitnah fortgesetzt. Ziel des folgenden Artikels ist die Vermittlung der Grundlagen des Gutachtenstils.
A. Hintergrund
Der Gutachtenstil gehört erfahrungsgemäß zu den neuen Aspekten, die einem als Studienanfänger suspekt vorkommen. Völlig fremd, formalistisch, schwer zu lernen, nervig: All diese Assoziationen ruft dieser bestimmte Stil, nicht nur bei Studienanfängern, hervor. Aber der Gutachtenstil verfolgt keinen Selbstzweck. Im Studium wird zu 95% ein Gutachten gefertigt, das die rechtlichen Probleme eines Sachverhalts umfassend zu lösen in der Lage ist. Das Gutachten entwickelt die rechtlichen Gedanken erst im Laufe seiner Darstellung. Der Leser bzw. der Korrektor wird von einer Arbeitshypothese („es könnte sein, dass“, „fraglich ist, ob“) über die eigentliche Darstellung (Definitionen und Bezugnahme zum Sachverhalt) zu einem Ergebnis geleitet („damit steht fest, dass“). Aufgabe des Gutachtens ist es also, die Lösung für ein rechtliches Problem schrittweise und an Hand bestimmter Hilfsmittel zu entwickeln (natürlich muss der Fall vorher umfassend gelöst sein, bevor im Gutachtenstil präsentiert werden kann). Die einzelnen Rechtsprobleme eines Falls werden damit durch den Gutachtenstil ganz schematisch aufgegriffen und nach einer festen Reihenfolge abgearbeitet. Diese Herangehensweise bedeutet einerseits Zwang, denn man ist in dem Korsett des Gutachtenstils gefangen und kann auch dann nicht ausbrechen, wenn man selbst die Lösung schon kennt und in der Lage wäre, diese ohne weite Umschweife niederzuschreiben. Gleichzeitig verleiht dieses Korsett aber auch Sicherheit. Nähert man sich einem, in der Sache unbekannten Problem, hilft einem der Gutachtenstil dieses für den Korrektor begreiflich zu formulieren und einer Lösung zuzuführen. Der Gutachtenstil hat also auch eine dienende Funktion und verfolgt keinen Selbstzweck.
B. Aufbau
I. Obersatz
Der Obersatz formuliert die Arbeitshypothese. Da im Rahmen des Gutachtens die Gedanken mit fortlaufender Darstellung erst entwickelt und präsentiert werden, wirft der Obersatz die Punkte auf, die in der Folge zu klären sind. Es handelt sich also gerade nicht um einen Ergebnissatz.
Beispiel: „Fraglich ist, ob es sich bei dem neuen Postgesetz um ein zustimmungsbedürftiges Gesetz handelt.“ Oder: „Es könnte sich bei dem neuen Postgesetz um ein zustimmungsbedürftiges Gesetz handeln.“
Mit dieser Hypothese ist das Prüfungsprogramm für die folgende gutachterliche Darstellung vorgegeben. Zu prüfen ist, ob das Postgesetz zustimmungsbedürftig ist. Formuliert werden kann im Konjunktiv oder mit „fraglich ist, ob“.
II. Tatbestandsvoraussetzungen
Im Rahmen der nun folgenden Prüfung muss dargelegt werden, wann die fragliche Rechtsfolge eintritt. Diese tritt dann ein, wenn bestimmte Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind (Tatbestand -> Rechtsfolge). Für das Beispiel bedeutet das Folgendes: Die angenommene Rechtsfolge ist die Zustimmungsbedürftigkeit des Gesetzes.
Beispiel: „Das neue Postgesetz wäre dann zustimmungsbedürftig, wenn es sich um ein Gesetz nach Art. 87f Abs. 1 GG handeln würde.“
Damit ist die im Obersatz aufgestellte Hypothese konkretisiert. Hierzu muss allerdings der Blick ins Gesetz erfolgen, um die relevante Norm zu identifizieren. Der erfahrene Klausurschreiber würde es wie folgt verfassen:
„Fraglich ist, ob das neue Postgesetz auf Grund der Vorgaben in Art. 87f Abs. 1 GG als zustimmungsbedürftiges Gesetz zu gelten hat.“
Eine wie oben dargestellte schrittweise Annäherung an das Problem ist aber in keinem Fall falsch und am Anfang einfacher und damit praktikabler.
III. Definitionen
Sind die einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen der zu prüfenden Norm bestimmt, müssen diese definiert werden. Hier löst man sich nun vom Fall und spult die (hoffentlich) bekannten Definitionen ab. Für den vorliegenden Fall geht es also darum zu definieren, wann ein Gesetz unter den Abs. 1 des Art. 87f GG fällt.
Beispiel: „Ein Gesetz ist dann nach Art. 87f Abs. 1 GG zustimmungsbedürftig, wenn es im Bereich des Postwesens und der Telekommunikation flächendeckend angemessene und ausreichende Dienstleistungen gewährleistet.“
Sollte es hier zu weiteren Problemen hinsichtlich der Tatbestandsmerkmale „Postwesen“ oder „flächendeckend“ oder „angemessen“ kommen, muss weiter definiert werden!
Beispiel aus dem Strafrecht: „Wegnahme gem. § 242 BGB ist der Bruch fremden und die Begründung neuen Gewahrsams, wobei Gewahrsam als die tatsächliche Sachherrschaft über eine Sache zu verstehen ist.“
IV. Subsumtion
Nun muss subsumiert (lat. sub: unter, sumere: nehmen) werden. Die Situation stellt sich für den Bearbeiter wie folgt dar (alle Aspekte liegen auf dem Tisch):
– der Lebenssachverhalt
– die Arbeitshypothese
– die relevanten Tatbestandsvoraussetzungen
– die Definitionen
Nun muss der Lebenssachverhalt unter die Norm subsumiert werden. Es muss, mit anderen Worten, eine Beziehung hergestellt werden zwischen den gefundenen Definitionen und dem vorgefundenen Lebenssachverhalt.
Beispiel: „Das neue Postgesetz regelt unter anderem die flächendeckende, also umfassende Versorgung der Bevölkerung mit postalischen Dienstleistungen. Es fällt damit in den Anwendungsbereich von Art. 87f Abs. 1 GG. Damit ist es ein zustimmungsbedürftiges Gesetz.“
Hier kann es zu Problemen kommen, insbesondere im Hinblick auf solche Sachverhalte, die trotzt ihrer Atypik subsumiert werden müssen. An dieser Stelle hilft dann das Instrument der Auslegung.
-> Dazu der nächste Teil der Reihe zur Auslegung.
V. Ergebnissatz
In einem Ergebnissatz kann das gefundene Resultat präzise auf den Punkt gebracht werden. Man sollte darauf achten, dass dieses Ergebnis mit der im Obersatz aufgeworfenen Arbeitshypothese korreliert.
Beispiel: „Bei dem neuen Postgesetz handelt es sich auf Grund der Regelung des Art. 87f Abs. 1 GG um ein zustimmungsbedürftiges Gesetz.“
C. Verschachtelungen
Neben dem einfachen Fall können durchaus Verschachtelungen auftreten, die die Bearbeitung erschweren.
„Zwischen A und B könnte ein Kaufvertrag zu Stande gekommen sein.“
[…] „Dazu müsste der B das Angebot des A wirksam angenommen haben.“
[…] „Vorliegend könnte es am Rechtsbindungswillen des B mangeln.“
Die rechtliche Prüfung verschachtelt sich hier, da viele Rechtsprobleme nacheinander zu lösen sind. Wichtig ist es die Übersicht zu bewahren und auch hier hilft der Gutachtenstil weiter, wenn man ihn verstanden hat und richtig einsetzt. Denn im Anschluss an die Definitionen und Subsumtion kann das Ergebnis folgendermaßen aussehen:
[…] „Der Rechtsbindungswille des B liegt vor.“
[…] „Der B hat damit das Angebot des A wirksam angenommen.“
„Zwischen A und B ist somit ein Kauvertrag zu Stande gekommen.“
D. Fazit
Die Einhaltung des Gutachtenstils ist überlebenswichtig. Ohne ihn wird man niemals eine überdurchschnittliche Klausur schreiben können, selbst wenn man alle Rechtsprobleme „richtig“ gelöst hat. Es heißt also üben, üben, üben! Dabei sollte man aber die dienende Funktion des Gutachtenstils beachten: Richtig angewendet leitet er durch die Klausur, stützt und hilft bei einer strukturierten Lösung.
Zu Punkt B IV: Da subsumieren – wie beschrieben – von sub: unter sowie sumere: nehmen stammt, wird der Lebenssachverhalt unter Normen sumiert und eben nicht subsumiert.
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