Heute hat das Europaparlament ein Misstrauensvotum abgehalten. Eine Vielzahl von Medien berichteten hierüber. Daher nun an dieser Stelle eine rechtliche Einordnung der Vorgänge.
Das war geschehen
Eine Gruppe von 76 z.T. EU-kritischen Abgeordneten hatten einen Antrag auf ein Misstrauensvotum gegen die EU-Kommission um Jean-Claude Juncker gestellt.[1] Ihm wurde vorgeworfen, er habe während seiner Amtszeit als luxemburgischer Premierminister Unternehmen gezielt geholfen, Steuern zu vermeiden. Dies machte ihn in den Augen der Antragssteller als Präsident der Europäischen Kommission untragbar, da die Geschäftspraktiken größtenteils zu Lasten anderer EU-Mitgliedstaaten gingen.
Das Misstrauensvotum hatte allerdings keinen Erfolg, weil sich nicht die nötige Mehrheit fand.
Rechtliche Grundlagen
Beim flüchtigen Lesen der Nachrichten kann leicht der Eindruck entstehen, das Misstrauensvotum richte sich allein gegen Juncker selbst. Ein kurzer Blick ins Gesetz schafft jedoch Abhilfe.
Geregelt ist dieses nämlich in Art. 234 AEUV. Dort heißt es in Absatz 2 Satz 1:
Wird der Misstrauensantrag mit der Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen und mit der Mehrheit der Mitglieder des Europäischen Parlaments angenommen, so legen die Mitglieder der Kommission geschlossen ihr Amt nieder, […]
Demnach richtet sich das Misstrauensvotum immer gegen die gesamte Kommission. Sollten tatsächlich Zweifel an nur einer Person bestehen, könnte jedoch eine Amtsenthebung nach Art. 247 AEUV in Frage kommen. Diese kann allerdings nur auf Antrag des Rates oder der Kommission hin eingeleitet werden.
Das Misstrauensvotum ist ein relativ seltenes Instrument der parlamentarischen Kontrolle. Insgesamt wurde lediglich neunmal hierüber abgestimmt, wobei keines Erfolg hatte. Allerdings trat 1999 die Kommission um Jacques Santer zurück, nachdem zuvor das Misstrauensvotum gegen sie knapp gescheitert war.[2]
In Deutschland ist das Misstrauensvotum in Art. 67 GG geregelt. Hierbei handelt es sich um ein konstruktives Misstrauensvotum, da mit der Abwahl des alten Bundeskanzlers gleichzeitig ein neuer gewählt werden muss. In Europa bleibt die Kommission solange im Amt, bis sie durch eine neue Kommission gem. Art.17 AEUV ersetzt wird (vgl. Art. 234 II 2 AEUV).
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg00Dr. David Saivehttps://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svgDr. David Saive2014-11-27 20:48:462014-11-27 20:48:46Misstrauensvotum im EU-Parlament
Juris berichtet über eine aktuelle Subsidiaritätsrüge des Bundesrates gegen eine europarechtliche Richtlinie, die das Küstenzonenmanagement zum Gegenstand hat. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die Richtlinie mit dem europarechtlichen Subsidiaritätsprinzip nicht im Einklang stehe, da der EU keine eigene Kompetenz auf diesem Gebiet zukomme. Die Zuständigkeit liege nach europäischem Recht vielmehr bei den Mitgliedstaaten.
Die vorgenannte Materie als solche ist im Speziellen in keiner Weise examensrelevant. Der europarechtliche Grundsatz der Subsidiarität im Allgemeinen gehört hingegen zum Pflichtfachstoff im ersten juristischen Staatsexamen. Im zweiten Staatsexamen werden europarechtliche Grundlagen mitunter zumindest im Rahmen des mündlichen Prüfungsgesprächs abgefragt. Grund genug also, sich aus aktuellem Anlass mit den Grundlagen – zumindest im Überblick – auseinanderzusetzen. Grundsätzliches
Der Grundsatz der Subsidiarität ist in Art. 5 Abs. 1 und Abs. 3 EUV niedergelegt. Auf der Grundlage des Subsidiaritätsprinzips wird die geeignete Handlungsebene im Bereich der geteilten Zuständigkeiten zwischen der EU und den Mitgliedstaaten ermittelt. Das bedeutet, dass der Grundsatz immer nur dann Anwendung findet, wenn keine ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit auf EU-Level besteht. Immer dann, wenn eine Richtlinie, Verordnung oder ein Beschluss im Bereich der geteilten Zuständigkeiten erlassen wird, muss die EU also in Betracht ziehen, ob nicht eine Verletzung des Grundsatzes der Subsidiarität vorliegt. Es kann sich bei den vorgenannten Maßnahmen um solche auf europäischer, nationaler oder lokaler Ebene handeln.
Inhaltlich besagt der Grundsatz der Subsidiarität, dass die EU nur dann tätig werden kann, wenn sie in der Lage ist, effizienter zu handeln als die Mitgliedstaaten. Aufgaben sollen demnach so weit wie möglich selbstbestimmt und eigenverantwortlich von den Mitgliedstaaten übernommen werden. Kriterien?
Die vorgenannte Formel ist wenig konkret und lässt viel Raum für Argumentation. Aus diesem Grund wurde zusätzlich zu den vorgenannten primärrechtlichen Regelungen noch das sog. Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit erlassen. Artt. 2 und 5 des Protokolls regeln etwa konkretisierend, dass bestimmte Erwägungen in die Betrachtung mit einfließen müssen. Diese lassen sich etwa wie folgt zusammenfassen:
Hat die Maßnahme grenzüberschreitende Aspekte, die nicht von den Mitgliedstaaten geregelt werden können?
Würde eine nationale Maßnahme oder ein Nichttätigwerden im Widerspruch zu den Anforderungen des Primärrechts stehen?
Hat eine Maßnahme auf europäischer Ebene offenkundige Vorteile?
Bei den Betrachtungen sind insbesondere auch finanzielle Auswirkungen zu beachten.
De facto eingeschränkte Kontrolle
Die vorgenannten Kriterien nach dem Protokoll mögen einen ersten Anhaltspunkt geben. Gleichwohl ist das Merkmal der Subsidiarität merklich unbestimmt. Aus diesem Grund kam es seitens des EuGH wohl auch noch nie zur Feststellung der Verletzung des Subsidiaritätsgrundsatzes. Insbesondere die sehr weitreichenden Kompetenzen der EU im Rahmen des Art. 114 AEUV zur Vereinheitlichung des europäischen Binnenmarktes lassen im Einzelfall Zweifel aufkommen, ob nationalrechtliche Regelungen nicht ausreichend gewesen wären.
In der Rechtssache Ex p. BAT (C-491/01) vertrat der EuGH etwa, dass der EU-Legislative ein äußerst breiter Ermessensspielraum im Hinblick auf Subsidiaritätserwägungen zustehe. Noch weiter ging dagegen die Entscheidung in der Rechtssache Working Time (C-84/94, Rz. 47). Der EuGH stellte in dieser Entscheidung lediglich beiläufig klar, dass EU-Gesetzgebung mit dem Ziel der Harmonisierung im Regelfall bereits die Notwendigkeit einer europaweiten Regelung vermuten lasse. Faktisch werden Verstöße gegen den Grundsatz der Subsidiarität also nur sehr selten – und dann auch zurückhaltend – von der europäischen Gerichtsbarkeit überprüft. Im Hinblick auf diese Haltung erscheint die o.g. Subsidiaritätsrüge des Bundesrates wenig Erfolg versprechend. Stattdessen verfahrensrechtliche Absicherung
Angesichts der zurückhaltenden gerichtlichen Prüfungsdichte ist fraglich, inwiefern dem Grundsatz der Subsidiarität dennoch Genüge getan werden kann. Wie bereits erwähnt bezieht sich Art. 5 Abs. 3 EUV auf das Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit. Dieses lediglich neun Artikel umfassende Protokoll regelt zumindest einige verfahrensrechtliche Absicherungen des Subsidiaritätsprinzips. Aufmerksamkeit verdient dabei insbesondere die sog. “yellow-card-procedure”. Hiernach kann ein nationales Parlament einen Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip rügen. Wenn sich 1/3 aller Mitgliedsstaaten dieser Beschwerde anschließen, muss ein formelles Überprüfungsverfahren seitens der EU eingeleitet werden. Die Kommission kann in solch einem Fall den Entwurf des Gesetzgebungsakts zurückziehen, ändern oder an ihm festhalten, wobei sie ihre Stellungnahme jeweils begründen muss. Beschließt die Kommission an dem Entwurf festzuhalten, obwohl die einfache Mehrheit der nationalen Parlamente ihn ablehnt, entscheiden der Rat und das Europäische Parlament in letzter Instanz, ob das Verfahren fortgesetzt wird oder nicht.
Darüber hinaus enthält das Protokoll einige verfahrensrechtliche Vorgaben im Hinblick auf die Begründung von EU-Regelungen, die Berührung mit den Subsidiaritätsgrundsatz haben.
Zu guter Letzt sieht das Protokoll auch noch die Klagemöglichkeit der Mitgliedstaaten wegen Verstoßes gegen den Subsidiaritätsgrundsatz vor. Angesichts der vorgenannten Schwächen ist ein solches Vorgehen im Regelfall allerdings wenig Erfolg versprechend. Fazit
Es zeigt sich also, dass der Grundsatz der Subsidiarität weniger materiellrechtlich abgesichert wird, sondern eher auf verfahrensrechtlicher Ebene. Die Ausgestaltung der Schutzmechanismen verlagern demnach einen weiten Spielraum zugunsten der EU.
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg00Dr. Christoph Werkmeisterhttps://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svgDr. Christoph Werkmeister2013-05-07 08:32:492013-05-07 08:32:49Aus aktuellem Anlass: Der europarechtliche Grundsatz der Subsidiarität
Das BVerfG entschied heute im Rahmen eines Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (Urteil vom 12. September 2012 – 2 BvR 1390/12) eine politisch äußerst brisante Fragestellung. In der Sache ging es darum, dem Bundespräsidenten bis zur Entscheidung über die jeweilige Hauptsache die Ratifikation zweier völkerrechtlichen Verträge zu untersagen. Es ging dabei zum einen um den Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM-Vertrag) und zum anderen um den Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion (sog. Fiskalvertrag).
Das BVerfG stellte insoweit fest, dass der Abschluss derartiger völkerrechtlicher Verträge weitestgehend verfassungsrechtlich zulässig sei. Examensrelevanz?
Für anstehende mündliche Prüfungen sind Kentnisse – zumindest im Hinblick auf die Grundzüge der Entscheidung – unabdingbar. Aus diesem Grund sei die Lektüre der umfassenden Pressemitteilung des BVerfG den künftigen Kandidaten wärmstens ans Herz gelegt. Die vom BVerfG diskutierte Fragestellung, die sich letztlich um eine erweiternde Auslegung des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG sowie des aus Art. 20 GG ausfließenden Demokratieprinzips dreht, kann zudem in vereinfachter Form in Klausuren für das erste Staatsexamen als staatsorganisationsrechtliche Aufgabe gestellt werden. Die Lektüre der o.g. Pressemitteilung kann mithin auch in diesem Kontext zumindest nicht schaden. Informationspflichten beim Abschluss derartiger Verträge?
In diesem Kontext relevant war im Übrigen auch eine vorangegangene Entscheidung des BVerfG zum ESM, wobei es hier um die Informationspflichten der Bundesregierung gegenüber dem Bundestag im Hinblick auf die Vertragsverhandlungen zu diesem völkerrechtlichen Vertrag ging (siehe dazu bereits unseren breiter angelegten Bericht hier). Angesichts der Tatsache, dass es bei dieser Entscheidung letztlich nur um die Auslegung der Vorgaben des Art. 23 Abs. 2 S. 2 GG ging, ist diese ebenso als examensrelevant einzustufen.
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg00Dr. Christoph Werkmeisterhttps://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svgDr. Christoph Werkmeister2012-09-12 11:14:272012-09-12 11:14:27BVerfG billigt ESM unter Auflagen
Wie aktuell in der Pressemitteilung der europäischen Kommission vom 21.06.2012 zu lesen ist, wird die Bundesrepublik dazu aufgefordert, innerhalb von drei Monaten das geltende Verbraucherrecht bei Haustürgeschäften den aktuellen Richtlinien anzupassen. Ausschlaggebend ist der Umstand, dass das deutsche Recht nach Ansicht der Kommission eine zusätzliche Hürde für die Geltendmachung von Verbraucherrechten aufstellt, die von der sog. Haustürgeschäfte-Richtlinie 85/577/EWG und dem Nachfolge-Regelwerk RL 2011/83/EU (wirksam ab dem 13.06.2014) nicht vorgesehen ist:
Die deutsche Umsetzung der Richtlinie ist nun im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) verankert. Deutschland wollte in mehreren Punkten über den Mindestschutz der Richtlinie hinausgehen. Allerdings werden die Rechte des Verbrauchers durch das zusätzliche Kriterium des „Bestimmtwerdens“ auf eine Weise eingeschränkt, die mit der Richtlinie nicht zu vereinbaren ist. Dies geht aus deutschen Gerichtsverfahren hervor, in denen Verbraucher aufgrund vorangegangener Besuche durch den Gewerbetreibenden nicht beweisen konnten, dass die Haustürsituation ausschlaggebend für die Unterzeichnung des Vertrags gewesen war. (Pressemitteilung)
Das Verbraucherrecht und insbesondere die sog. Haustürgeschäfte sind regelmäßig Gegenstand des 1. und 2. Staatsexamens. Das Widerrufs- und Rückgaberecht bei Verbraucherverträgen ist in den § 355 ff. BGB geregelt.
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg00Nicolas Hohn-Heinhttps://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svgNicolas Hohn-Hein2012-06-27 15:50:362012-06-27 15:50:36EU-Kommission: Deutschland muss Verbraucherschutz anpassen
Der Bundesrat hat am 02.03.2012 eine sog. Subsidiaritätsrüge gegen einen Vorschlag der Europäischen Kommission erhoben, mit dem diese einen Rechtsrahmen für Konzessionsvergaben umsetzen möchte. Die EU-Kommission habe insbesondere nicht ausreichend dargelegt, warum eine Regelung der Dienstleistungskonzession auf europäischer Ebene erforderlich sei. Das vergaberechtliche Regime im Hinblick auf Dienstleistungskonzession ist sicherlich kein Gegestand, der im Examen geprüft werden könnte. Der Grundsatz der Subsidiarität gehört allerdings zum Pflichtfachstoff und kann insbesondere gerne Gegenstand von europarechtlich geprägten mündlichen Prüfungen werden. Aus aktuellen Anlass sollen deshalb die wichtigsten Eckpunkte zu diesem Theme kurz dargelegt werden. Grundsätzliches
Der Grundsatz der Subsidiarität ist in Art. 5 Abs. 1 und Abs. 3 EUV niedergelegt. Auf der Grundlage des Subsidiaritätsprinzips wird die geeignete Handlungsebene im Bereich der geteilten Zuständigkeiten zwischen der EU und den Mitgliedstaaten ermittelt. Das bedeutet, dass der Grundsatz immer nur dann Anwendung findet, wenn keine ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit auf EU-Level besteht. Immer dann, wenn eine Richtlinie, Verordnung oder ein Beschluss im Bereich der geteilten Zuständigkeiten erlassen werden, muss die EU also in Betracht ziehen, ob nicht eine Verletzung des Grundsatzes der Subsidiarität vorliegt. Es kann sich bei den vorgenannten Maßnahmen um um solche auf europäischer, nationaler oder lokaler Ebene handeln.
Inhaltlich besagt der Grundsatz der Subsidiarität, dass die EU nur dann tätig werden kann, wenn sie in der Lage ist, effizienter zu handeln als die Mitgliedstaaten. Aufgaben sollen demnach so weit wie möglich selbstbestimmt und eigenverantwortlich von den Mitgliedsstaaten übernommen werden. Kriterien?
Die vorgenannte Formel ist wenig konkret und lässt viel Raum für Argumentation. Aus diesem Grund wurde zusätzlich zu den vorgenannten primärrechtlichen Regelungen noch das sog. Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit erlassen. Artt. 2 und 5 des Protokolls regeln etwa konkretisierend, dass bestimmte Erwägungen in die Betrachtung mit einfließen müssen. Diese lassen sich etwa wie folgt zusammenfassen:
Hat die Maßnahme grenzüberschreitende Aspekte, die nicht von den Mitgliedstaaten geregelt werden können?
Würde eine nationale Maßnahme oder ein Nichttägigwerden im Widerspruch zu den Anforderungen des primärrechts stehen?
Hat eine Maßnahme auf europäischer Ebene offenkundige Vorteile?
Bei den Betrachtungen sind insbesondere auch finanzielle Auswirkungen zu beachten.
De facto eingeschränkte Kontrolle
Die vorgenannten Kriterien nach dem Protokoll mögen einen ersten Anhaltspunkt geben. Gleichwohl ist das Merkmal der Subsidiarität merklich unbestimmt. Aus diesem Grund kam es seitens des EuGH wohl auch noch nie zur Feststellung der Verletzung des Subsidiaritätsgrundsatzes. Insbesondere die sehr weitreichenden Kompetenzen der EU im Rahmen des Art. 114 AEUV zur Vereinheitlichung des europäischen Binnenmarktes lassen in Einzelfällen Zweifel aufkommen, ob nationalrechtliche Regelungen nicht ausreichend gewesen wären.
In der Rechtssache Ex p. BAT (C-491/01) vertrat der EuGH etwa, dass der EU-Legislative einen äußerst breiten Ermessensspielraum im Hinblick auf Subsidiaritätserwägungen zustehe. Noch weiter ging dagegen die Entscheidung in der Rechtssache Working Time (C-84/94, Rz. 47). Der EuGH stellte in dieser Entscheidung lediglich beiläufig klar, dass EU-Gesetzgebung mit dem Ziel der Harmonisierung im Regelfall bereits die Notwendigkeit einer europaweiten Regelung vermuten lasse. Faktisch werden Verstöße gegen den Grundsatz der Subsidiarität also nur sehr selten – und dann auch zurückhaltend – von der europäischen Gerichtsbarkeit überprüft. Im Hinblick auf diese Haltung erscheint die o.g. Subsidiaritätsrüge des Bundesrates wenig Erfolg versprechend. Stattdessen verfahrensrechtliche Absicherung
Angesichts der zurückhaltenden gerichtlichen Prüfungsdichte ist fraglich, inwiefern dem Grundsatz der Subsidiarität dennoch Genüge getan werden kann. Wie bereits erwähnt bezieht sich Art. 5 Abs. 3 EUV auf das Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit. Dieses lediglich neun Artikel umfassende Protokoll regelt zumindest einige verfahrensrechtliche Absicherungen des Subsidiaritätsprinzips. Aufmerksamkeit verdient dabei insbesondere die sog. „yellow-card-procedure“. Hiernach kann ein nationales Parlament einen Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip rügen. Wenn sich 1/3 aller Mitgliedsstaaten dieser Beschwerde anschließen, muss ein formelles Überprüfungsverfahren seitens der EU eingeleitet werden. Die Kommission kann in solch einem Fall den Entwurf des Gesetzgebungsakts zurückziehen, ändern oder an ihm festhalten, wobei sie ihre Stellungnahme jeweils begründen muss. Beschließt die Kommission, an dem Entwurf festzuhalten, obwohl die einfache Mehrheit der nationalen Parlamente ihn ablehnt, entscheiden der Rat und das Europäische Parlament in letzter Instanz , ob das Verfahren fortgesetzt wird oder nicht.
Darüber hinaus enthält das Protokoll einige verfahrensrechtliche Vorgaben im Hinblick auf die Begründung von EU-Regelungen, die Berührung mit den Subsidiaritätsgrundsatz haben.
Zu guter Letzt sieht das Protokoll auch noch die Klagemöglichkeit der Mitgliedstaaten wegen Verstoß gegen den Subsidiaritätsgrundsatz vor. Angesichts der vorgenannten Schwächen ist ein solches Vorgehen im Regelfall allerdings wenig Erfolg versprechend. Fazit
Es zeigt sich also, dass der Grundsatz der Subsidiarität weniger materiellrechtlich abgesichert wird, sondern eher auf verfahrensrechtlicher Ebene. Die Ausgestaltung der Schutzmechanismen verlagern demnach einen weiten Spielraum zugunsten der EU.
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg00Dr. Christoph Werkmeisterhttps://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svgDr. Christoph Werkmeister2012-03-03 10:47:112012-03-03 10:47:11Aktuell: Der europarechtliche Grundsatz der Subsidiarität
Das Gericht verhandelte über eine Organklage der beiden SPD-Bundestagsabgeordneten Swen Schulz und Peter Danckert. Sie wehren sich dagegen, dass vertrauliche und eilige Entscheidungen über Finanzhilfen für notleidende Euro-Staaten von einem aus nur neun Bundestagsabgeordneten bestehenden Gremium beschlossen werden können. Durch den Sonderausschuss werde eklatant in seine Rechte als Abgeordneter eingegriffen, sagte Schulz.
Das Bundesverfassungsgericht zweifelt an der Rechtmäßigkeit des geheim tagenden Sondergremiums zur parlamentarischen Kontrolle des Euro-Rettungsschirms EFSF. Es berge einige Gefahren, wenn nur neun Bundestagsabgeordnete exklusiv wichtige Informationen im Zuge der Euro-Rettung erhielten und dann eine Entscheidung treffen müssten, gab Verfassungsrichter Udo di Fabio gestern in Karlsruhe zu bedenken.
Das Thema eignet sich derzeit, gerade weil noch keine Entscheidung des BVerfG gefällt wurde, hervorragend für mündliche Prüfungen. Insbesondere eine Rechtsverletzung von Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG, also dem Recht auf das freie Mandat, kann ausführlich diskutiert werden. Als Ergebnis ist aufgrund der Vielschichtigkeit des Sachverhalts einiges vertretbar. In einer Prüfung würde es darauf ankommen, die gegenläufigen Interessen darzustellen und einem gerechten Ausgleich zuzuführen.
Als Argument werden laut dem o.g. Bericht des Hamburger Abendblatts bisweilen die folgenden Überlegungen ins Feld geführt:
Präsident des BVerfG Andreas Voßkuhle etwa habe Zweifel, ob es richtig sei, die übrigen 611 Abgeordneten mit der Schaffung eines „Kleinst-Gremiums“ aus der Verantwortung zu entlassen. Wenn man dem Plenum die budgetrechtliche Verantwortung entziehe, müsse es dafür gute Gründe geben, sagte Verfassungsrichter Peter Huber. Berichterstatter di Fabio kritisierte, dass der Ausschuss mit seiner Entscheidungsbefugnis in die Nähe der Exekutive rücke. Die Situation in der europäischen Staatsschuldenkrise sei außergewöhnlich schwierig, warnte dagegen Schäuble: „Wenn Märkte reagieren, reagieren sie überzogen. Dann kommt Panik.“ Der EFSF müsse handlungsfähig bleiben.
Zu beachten ist, dass es sich in der Sache um ein Organstreitverfahren handelt. Es kann demnach nicht jedweder Verfassungsverstoß gerügt werden. Eine „allgemeine“ Verletzung des Demokratieprinzips aus Art. 20 Abs. 1, Abs. 3 GG reicht demnach nicht für die Begründetheit des Verfahrens aus. Im Organstreit wird nämlich neben dem Verfassungsverstoß auch eine Rechtsverletzung des Antragstellers, also in diesem Fall des Abgeordneten, gefordert, vgl. Art 93 Abs. 1 Nr. 1 GG.
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg00Dr. Christoph Werkmeisterhttps://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svgDr. Christoph Werkmeister2011-11-30 10:25:042011-11-30 10:25:04Streit um die Verfassungsmäßigkeit des Sondergremiums zur parlamentarischen Kontrolle des Euro-Rettungsschirms
Die Griechen stimmen über die europäischen Euro-Beschlüsse zum EU-Rettungsschirm mittels eines „Referendums“ ab (siehe dazu etwa den Artikel der SZ). Es handelt sich hierbei um eine Form direkter Demokratie, da unmittelbar durch das Volk und nicht mittelbar durch die gewählten Staatsorgane eine Entscheidung herbeigeführt wird. Aufgrund der Aktualität und Bedeutsamkeit dieses Themas kann in anstehenden mündlichen Prüfungen damit gerechnet werden, dass die Grundsätze der direkten Demokratie deshalb zumindest auf unserer nationalen Ebene Prüfungsgegestand werden.
Gut, dass wir uns bereits mit der Problematik beschäftigt haben, so dass auf den entsprechenden Artikel zum Thema „Volksentscheide“ verwiesen werden kann.
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg00Dr. Christoph Werkmeisterhttps://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svgDr. Christoph Werkmeister2011-11-03 09:21:222011-11-03 09:21:22Das griechische EU-Referendum als Gegenstand mündlicher Prüfungen
Wie der Spiegel berichtet, hat sich Verfassungsrichter Peter Michael Huber zur Euro-Schuldenkrise geäußert.
Verfassungsrichter Huber warnt nun in der „SZ“ vor einer mangelnden Legitimation dieser Wirtschaftsregierung. Durch das Urteil zum Vertrag von Lissabon von 2009 seien die Grundsätze des Grundgesetzes durch dessen „Ewigkeitsgarantie“ geschützt und damit „europafest“. Das gelte auch für zentrale wirtschaftspolitische Zuständigkeiten wie die Sozialversicherungssysteme und die Besteuerung. Wollte man dies auf EU-Ebene harmonisieren, müsste zuvor das Grundgesetz geöffnet werden – und zwar durch eine Abstimmung des gesamten Volkes. Die Äußerungen konkretisieren das Urteil des Gerichts von Anfang September. Damals hatten die Verfassungsrichter drei Klagen gegen die Hilfskredite für hochverschuldete Euro-Länder abgewiesen. Dabei mahnte das Gericht zugleich aber mehr Mitspracherecht für den Bundestag an. Künftig sollen die Abgeordneten bei Rettungsaktionen mehr Möglichkeiten für Kontrolle und Widerspruch haben .
Die Äußerungen von Verfassungsrichter Huber lassen sich aufgrund der national- und europarechtlichen Dimension bestens in der mündlichen Prüfung anbringen, um bekanntes Grundlagenwissen abzuprüfen. Aus diesem Grund sollte sich der Prüfling – sofern bald eine mündliche Prüfung ansteht – kritisch mit den im Folgenden genannten Problempunkten auseinandersetzen. Eine Frage der Kompetenzen
Der Richter am Bundesverfassungsgericht an dieser Stelle wohl darauf ein, dass die weitreichenden Harmoniserungsbestrebungen der Europäischen Union in Bezug auf zentrale wirtschaftspolitische Fragen einer zusätzlichen nationalen demokratischen Legitimation bedürfen. M.E. sollte man sich an dieser Stelle in dogmatischer Hinsicht allerdings nicht die Frage stellen, ob es hierzu eines Volksentscheides Bedarf. Die Frage und dessen Lösung ist eher in einer Auslegung der auf die EU übertragenen Kompetenzen nach den Verträgen des EUV und des AEUV zu suchen. Mithin geht es darum, ob zu weitgehende EU-Finanz- und Wirtschaftspolitik einer ultra-vires-Kontrolle durch den EuGH standhalten würde bzw. ob eine Übertragung solcher Kompetenzen noch von der nationalen Ermächtigung in Art. 23 GG gedeckt ist, wobei letzteres vom BVerfG zu entscheiden wäre. Für den Moment jedenfalls wurden diese Grenzen der Mitwirkung an einer europäischen Fiskalpolitik durch das BVerfG mittels des Urteils zum Euro-Rettungsschirm weitgehend definiert. An einer klaren Aussage zu den Grenzen der Kompetenztitel durch den EuGH fehlt es hingegen. Diskussion über Volksabstimmungen geht fehl
Über die Zulässigkeit von Volksentscheiden auf Bundesebene hingegen hatten wir bereits ausführlich berichtet. Die Analyse zeigt, dass die Systematik des GG solche nur in besonders gelagerten Fällen zulässt. Nur dann, wenn das GG geändert würde, könnten erweiterte Befugnisse in Form von direkter Demokratie durch das Volk, etwa in Form von Volksentscheiden, zulässig sein. Die Forderungen von Verfassungsrichter Huber, wie sie im Spiegel-Artikel geschildert werden, gehen an dieser Stelle also fehl. Nur, wenn sich das verfassungsmäßige Grundgerüst ändern würde, wären die Überlegungen mit Blick auf direkte Volksabstimmungen legitim.
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg00Dr. Christoph Werkmeisterhttps://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svgDr. Christoph Werkmeister2011-09-18 13:56:592011-09-18 13:56:59Verfassungsrichter Huber fordert Volksabstimmung als Legitimation für weitreichende EU-Harmonisierungen
Da das BVerfG vor kurzem entschieden hat, dass die Vorgabe des Art. 19 Abs. 3 GG im Falle einer EU-ausländischen juristischen Person auch auf EU-Ausländer anzuwenden ist, besteht der Anlass, die allgemeinen Grundsätze zur Grundrechtsbindung der Bundesrepublik Deutschland gegenüber Ausländern zu diskutieren und traditionelle Auffassungen infrage zu stellen. Die folgenden Ausführungen bieten sich äußerst gut für Klausuren sowie die mündliche Prüfung an, da zum einen Grundkenntnisse zum Europarecht abgefragt werden können. Zum anderen eignet sich die folgende Problematik bestens zum Abprüfen, da bereits fertige Sachverhalte einfach dadurch verkompliziert werden können, indem ein (EU-)Ausländer in den Fall eingebaut wird. I. Schutz für natürliche Personen über die „Menschenrechte“
Zunächst einmal stellt sich die Frage, wie es mit Grundrechtsschutz im Hinblick auf ausländische natürliche Personen aussieht. Der Wortlaut des Art. 2 Abs. 1 GG stellt hierbei die Ausgangsposition dar. Als allgemein schützendes Recht gilt die allgemeine Handlungsfreiheit dem Wortlaut nach nämlich für jedermann. Dieser weitreichende Wortlaut ist nach h.M. dahingehend zu verstehen, dass es sich bei Art. 2 Abs. 1 GG um ein sog. Menschenrecht und nicht bloß ein Freiheitsrecht handelt (vgl. Maunz-Dürig/Di Fabio, 61. EGL, Art. 2 Abs. 1 GG, Rn. 18). Dieser Charakter lasse darauf schließen, dass Art. 2 Abs. 1 GG nicht nur für Staatsbürger, also Deutsche, gilt, sondern auch für Ausländer und sogar Staatenlose. Art. 2 Abs. 1 GG knüpft somit lediglich an das Menschsein und nicht die Nationalität an. Das gleiche gilt für die anderen Menschenrechte, die nach dem GG keinerlei Beschränkung auf Nationalität oder Herkunft erkennen lassen (z.B. Art. 14 Abs. 1 GG). II. Art. 2 Abs. 1 GG zugunsten nicht-EU-ausländischer juristischer Personen?
Das BVerfG hat neuerdings festgestellt, dass der zunächst restriktiv anmutende Wortlaut des Art. 19 Abs. 3 GG eine Grundrechtsbindung im Hinblick auf EU-ausländische juristische Personen nicht ausschließt. Über die Bindungswirkung europarechtlicher Vorgaben (insbesondere dem allgemeinen Diskriminierungsverbot nach Art. 18 AEUV) kam das BVerfG im Ergebnis somit zu einer Grundrechtsbindung und damit zu einer Ausweitung der in Art. 19 Abs. 3 GG angelegten Beschränkung des Grundrechtsschutzes auf deutsche juristische Personen. Eine Regelung für ausländische juristische Personen sei nur deshalb unterlassen worden, weil sie der historische Verfassungsgeber – aus damaliger Sicht – für unnötig hielt. Im so entschiedenen Fall konnte sich eine EU-ausländische juristische Person damit auf den Grundrechtsschutz des Art. 14 Abs. 1 GG (Eigentumsfreiheit) berufen.
Kombiniert man nun die beiden erwähnten Argumentationsstränge, erscheint es durchaus denkbar, auch ausländischen juristischen Personen, die nicht aus dem EU-Ausland stammen, einen Grundrechtsschutz etwa über Art. 2 Abs. 1 GG zuzubilligen. Zum einen schließt Art. 19 Abs. 3 GG eine solche Möglichkeit jedenfalls nicht per se aus. Zum anderen erscheint es willkürlich, einem einzelnen Ausländer den Schutz zuzubilligen, einem Kollektiv Mehrerer natürlicher Personen allerdings nicht. Es ließe sich argumentieren, dass der Anknüpfungspunkt des Menschsein nach Art. 2 Abs. 1 GG etwa bei einer US-amerikanischen juristischen Person zumindest im Kollektiv ebenso verwirklicht ist.
Diese Erwägungen sind bis dato allerdings noch nicht höchstrichterlich geklärt. Die Linie des BVerfG ist in diesem Kontext nicht auszumachen. Die neue Linie im Hinblick auf EU-ausländische juristische Personen gibt jedenfalls zumindest neue Impulse, weitreichendere Überlegungen anzustellen. Immerhin wurde bereits der Grundrechtsschutz nicht-EU-ausländischer juristischer Personen im Hinblick auf die Prozessgrundrechte nach Art. 101 Abs. 1 S. 2 und Art. 103 Abs. 1 GG bejaht (vgl. etwa BVerfGE 12, 6, 8 und BVerfGE 21, 362, 373). Argumentativ wurde in diesen Fällen allerdings gerade darauf abgestellt, dass die Prozessgrundrechte allgemeine Richtlinien für einen fairen Prozess darstellen und deshalb auch für jedermann – also auch juristische Personen – gelten müssen. III. EU-Ausländer und Deutschengrundrechte?
Im Hinblick auf natürliche Personen aus dem Ausland wurde erörtert, dass diesen in jedem Fall Grundrechtsschutz über Art. 2 Abs. 1 GG und andere Menschenrechte zugebilligt wird. Wie es aber mit den Deutschengrundrechten aussieht, ist eine andere Frage. Deutschengrundrechte meint solche Rechtspositionen nach dem GG, die explizit an die deutsche Staatsbürgerschaft anknüpfen. Hintergrund dieser Rechtspositionen ist ein besonderer Bezug zur demokratischen Willensbildung und damit zum deutschen Staatsvolk. Zu den Deutschengrundrechten zählen etwa die Berufsfreiheit (Art. 12 GG), die Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG), die Vereinigungsfreiheit (Art. 9 GG) oder die Freizügigkeit (Art. 11 GG).
Zu damaliger Zeit wurde diskutiert, ob etwa ein geschütztes Verhalten eines Ausländers, dass in den Schutzbereich eines Deutschengrundrechts fällt, grundsätzlich vom Grundrechtsschutz, also auch nach Art. 2 Abs. 1 GG ausgeschlossen sein soll. Dies wurde damit begründet, dass der spezielle Schutzbereich eines Grundrechts eröffnet sei, andererseits aber das Kriterium der Staatsbürgerschaft nicht erfüllt werde. Eine solche Auffassung wird dem Charakter von Art. 2 Abs. 1 GG als Auffanggrundrecht allerdings nicht gerecht. Nur, weil ein Ausländer etwa wirtschaftlich tätig wird und damit potentiell Art. 12 Abs. 1 GG unterfallen würde, kann sein Schutz nicht geringer sein. Auch das BVerfG stellte fest, dass die Unanwendbarkeit eines Deutschenrechts nicht bedeute, dass die Verfassung Ausländer schutzlos lasse (vgl. etwa BVerfGE 78, 179, 196).
Der Wortlaut der Deutschengrundrechte setzt hinreichend klar fest, dass die deutsche Staatsbürgerschaft notwendig ist, um deren Schutzbereich zu eröffnen. Die Ausführungen des BVerfG zur Grundrechtsfähigkeit von EU-ausländischen juristischen Personen könnten allerdings eine andere Marschroute vorgeben. Bereits das OVG Münster ging davon aus, dass das allgemeine Diskriminierungsverbot nach Art. 18 AEUV unmittelbaren Vorrag vor deutschem Verfassungsrecht genieße. Der Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG und die entsprechende Kasuistik inklusive Drei-Stufen-Test nach dem Apotheken-Urteil bei der Verhältnismäßigkeit müsse demnach bei EU-Ausländern Anwendung finden (vgl. OVG Münster NWVBl 1995, 18). Andere Vertreter der Literatur betonen hingegen den klaren Wortlaut des Art 12 Abs 1 GG und verweisen ausländische Berufstätige auf die Grundfreiheiten nach dem AEUV. Wieder andere betonen, dass ein Schutz zumindest über Art. 2 Abs. 1 GG bestehe, wobei von manchen Vertretern ein besonders strenger Verhältnismäßigkeitsstandard zu wahren ist. Letztere Ansicht liest damit den Schutzbereich des Deutschengrundrechts in die Prüfung des Art. 2 Abs. 1 GG als Auffanggrundrecht hinein.
Angesichts der Ausführungen des BVerfG zum allgemeinen Diskriminierungsverbot erscheint eine Übertragung des Schutzniveaus zwingend. Damit EU-Ausländer gegenüber Deutschen nicht diskriminiert werden, muss ihnen deshalb ein vergleichbarer Grundrechtsschutz zustehen. Wie eine solche Übertragung des Schutzstandards auf EU-Ausländer erreicht wird, kann freilich dahingestellt bleiben. Für die Klausur erscheint es am elegantesten, den Weg über Art. 2 Abs. 1 GG zu gehen, da so bei Art. 12 Abs. 1 GG beim Merkmal „Deutscher“ eine ausgiebige Diskussion erfolgen kann.
In den Fällen, bei denen Europarecht durch deutsche Staatsgewalt „durchgeführt“ wird (etwa der Fall bei der Anwendung einer europäischen Rechtsverordnung durch eine deutsche Behörde), halte ich eine Übertragung der Schutzstandards der Deutschengrundrechte im Übrigen für noch zwingender. Dies gilt nicht bloß aufgrund des allgemeinen Diskriminierungsverbots nach Art. 18 AEUV. Wenn die deutsche Staatsgewalt im Anwendungsbereich des Europarechts agiert, ist sie nämlich gemäß Art. 51 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union auch an die europäischen Grundrechte gebunden. Die Charta enthält ebenso eine Versammlungsfreiheit (Art. 12) oder auch ein Grundrecht auf Berufsfreiheit (Art. 15). Um dieser Vorgabe gerecht zu werden, muss also ebenso der Grundrechtsschutz der klassischen Deutschengrundrechte auf EU-Ausländer ausgedehnt werden. IV. Deutschengrundrechte für nicht-EU-Ausländer?
Eine ähnliche Diskussion bei nicht-EU-Ausländern zu führen geht hingegen fehl. Hier fehlt es an den supranationalen europarechtlichen Regelungen, um die Übertragung der Schutzstandards der Deutschengrundrechte über den Wortlaut hinaus zu rechtfertigen. Sofern entsprechende völkerrechtliche Verträge vorliegen, nach denen ein ähnlicher Schutzstandard auch für nicht-EU-Ausländer zu gewähren ist, müssen diese aber als einfaches Bundesrecht (vgl. Art. 59 Abs. 2 GG) Berücksichtigung finden. Eine solche Berücksichtigung kann allerdings nicht deutsches Verfassungsrecht aushebeln, so wie es mit Europarecht durchaus der Fall zu sein scheint, sondern es muss auf anderem Wege eine Lösung gefunden werden. Aus diesem Grund ist der Weg wie gewohnt über Art. 2 Abs. 1 GG bzw. ein primär einschlägiges Menschenrecht zu suchen. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitserwägungen ist sodann auf das entsprechende völkerrechtliche Abkommen abzustellen und als Gesichtspunkt zugunsten des Ausländers heranzuziehen. Ähnlich verhält es mitunter auch bei Grundrechten nach der EMRK, die ebenfalls nur einen völkerrechtlichen Vertrag ohne supranationale Elemente darstellt. Auch die EMRK weitet die Definitionen der klassischen Grundrechte des GG nicht aus, sondern drängt das BVerfG nur im Wege einer völkerrechtsfreundlichen Auslegung des GG, die Erwägungen des EGMR im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung der jeweiligen Grundrechte zu berücksichtigen.
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg00Dr. Christoph Werkmeisterhttps://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svgDr. Christoph Werkmeister2011-09-12 21:31:152011-09-12 21:31:15Probleme bei der Grundrechtsberechtigung von Ausländern
Am 1.12.2009 ist der Vertrag von Lissabon in Kraft getreten. Neben zahlreichen materiell-rechtlichen Änderungen hat der Rechtsanwender nun mit vielen formalen Änderungen zu kämpfen, vor allem mit einer Änderung der „Hausnummern“ in ex-EG (jetzt: AEU) und EU. Die Europäische Union (Nachfolgerin der Europäischen Gemeinschaft, Art. 1 Abs. 3 S. 3 EU) ist so freundlich, uns zur Arbeitserleichterung eine synoptische Gegenüberstellung der alten und der neuen Verträge zur Verfügung zu stellen. Abrufbar hier: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:C:2008:115:0361:0388:DE:PDF
P.S.: Der effet utile (ex-Art. 10 EG) findet sich jetzt in Art. 4 Abs. 3 UAbs. 2 EU.
Zustimmungsgesetz ist zwar verfassungskonform, nicht aber die Begleitgesetze zur parlamentarischen Beteiligung
Das Bundesverfassungsgericht hat heute am 30.06.2009 das mit Spannung erhoffte Urteil zum Reformvertrag von Lissabon getroffen: Das deutsche Zustimmungsgesetz zu dem Vertragswerk ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Bevor Bundespräsident Horst Köhler allerdings seine Unterschrift unter den Vertrag setzen darf, müssen zunächst die Beteiligungsrechte vonBundestag und Bundesrat gestärkt werden.
Der zweite Senat des BVerfG
Begleitgesetze verfassungswidrig
Die deutschen Begleitgesetze, die die parlamentarische Beteiligung am Erlass europäischer Vorschriften regeln, müssen laut Aussage des BVerfG auf nationaler Ebene die parlamentarische Integrationsverantwortung noch stärker umsetzen und dabei auch die Interessen der Länder wahren. Wie eine solche Gestaltung auszusehen hat, wird sich im Laufe der neuen Verhandlungen zeigen. Jetzt ist zügiges Handeln von Bundestag und Bundesregierung gefragt
Der Vertrag soll spätestens Anfang 2010 in Kraft treten. Bundespräsident Horst Köhler hatte seine Unterschrift unter den Vertrag mit Rücksicht auf die Karlsruher Entscheidung vorausschauend zurückgestellt. Im August soll eine Sondersitzung des Bundestags zusammenkommen. Dabei soll die erste Lesung eines neuen Gesetzes zur Stärkung der Mitwirkungsrechte des Parlaments in EU-Fragen noch in der Sommerpause beraten werden. Kontinuität nach Maastricht, Bananenmarkt und Solange II?
Nachdem das BVerfG in seiner ursprünglichen Rechtsprechung („Solange I“) sich umfassende Prüfungskompetenzen im Rahmen von Entscheidungen mit Bezug zur Europäischen Union zuschrieb, hatte es seit der Entscheidung „Solange II“ seine Gerichtsbarkeit zu Gunsten des EuGH stark eingeschränkt und den Vorrang des Europarechts weitestgehend anerkannt. Diese Rechtsprechung hat das BVerfG im Rahmen der Maastricht- und Bananenmarktentscheidung konsequent fortgeführt.
Zu bewerten wird noch sein, inwiefern sich die Entscheidung zum Reformvertrag von Lissabon in dieser Reihe von Urteilen einfügt. Für die mündliche Prüfung empfiehlt es sich jetzt aber auf jeden Fall, die oben genannten Entscheidungen sowie den generellen Aufbau der Europäischen Union nochmals gründlich nachzuarbeiten. Außerdem sollte man sich mit den wesentlichen Neuerungen des Reformvertrags sowie dem Verfahren der Ratifizierung und dem Stand im europäischen Ausland vertraut machen.
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg00Dr. Christoph Werkmeisterhttps://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svgDr. Christoph Werkmeister2009-06-30 13:41:212009-06-30 13:41:21BVerfG-Urteil zum Reformvertrag von Lissabon – Deutschland darf Ratifizierung noch nicht abschließen!