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Schlagwortarchiv für: Deutschland

Dr. David Saive

Islamgesetz in Deutschland?

Aktuelles, Startseite, Verfassungsrecht

Das Österreichische Parlament hat Ende Februar ein neues Islamgesetz beschlossen. Es ist die erste Novellierung der seit 1912 geltenden Regelungen.[1]
Ursprünglich wurde ein solches Gesetz notwendig, da mit der Annexion Bosnien und Herzegowinas an das K.u.K. Österreich-Ungarn erhebliche Teile muslimischer Bevölkerungsgruppen in das K.u.K. integriert werden mussten.[2] Überarbeitet wurde das geltende Recht, weil die damals getroffenen Regelungen einfach nicht mehr zeitgemäß waren, obschon sich die Inhalte der ersten und jetzigen Diskussionen betreffend des Islamgesetzes sich durchaus glichen.
Anbetracht dieser Entwicklungen in unserem Nachbarland lohnt sich ein näherer Blick auf das neue Gesetz. Schließlich wurden auch in Deutschland Stimmen laut, dass es solchen Gesetzes bedarf, bzw. die Warnung vor einem solchen. Eine nähere Betrachtung lohnt sich auch schon deswegen, da noch einmal wichtige Fragen der Religionsfreiheit aus Art. 4 I, II GG aufgegriffen werden.
 
 II. Möglichkeiten in Deutschland
Zunächst einmal stellt sich die Frage, ob ein solches Gesetz in Deutschland überhaupt denkbar wäre. Daher unterziehen wir das Islamgesetz aus Österreich einer fiktiven Normenkontrolle in Deutschland. Abgestellt werden soll dabei lediglich auf die materielle Verfassungsmäßigkeit.
 
1. Materielle Verfassungsmäßigkeit
a) Schutzbereich der Religionsfreiheit
Der Schutzbereich der Religionsfreiheit gem. Art. 4 I, II GG umfasst folgendes:
Zum einen wird die Freiheit, sich eine eigene religiöse Überzeugung zu bilden geschützt (forum internum). Dies meint nichts anderes als den Schutz vor staatlicher Indoktrination.[3]
Zum anderen wird die Freiheit, seinen Glauben auch nach außen auszuleben, von dem Schutzbereich der Religionsfreiheit mit eingeschlossen (forum externum). Sie umfasst „das Recht des Einzelnen, sein gesamtes Verhalten an den Lehren seines Glaubens auszurichten und seiner inneren Glaubensüberzeugung gemäß zu handeln“ (ständige Rechtsprechung des BVerfG).
 
b) Eingriff in Schutzbereich durch Islamgesetz
 Sodann stellt sich die Frage, ob ein gedachtes Islamgesetz in Deutschland nach österreichischem Vorbild einen Eingriff in den Schutzbereich der Religionsfreiheit darstellen würde.
 
Besonderer Augenmerk in der aktuellen Diskussion wird dabei auf den Verbot der Auslandsfinanzierung gelegt. In § 6 II IslGiÖ heißt es hierzu:
(2) Die Aufbringung der Mittel für die gewöhnliche Tätigkeit zur Befriedigung der religiösen Bedürfnisse ihrer Mitglieder hat durch die Religionsgesellschaft, die Kultusgemeinden bzw. ihre Mitglieder im Inland zu erfolgen.
 
Die so organisierten Muslime werden durch diese Regelung in ihrer Freiheit beschränkt, die Finanzierung ihrer Tätigkeiten selbst zu bestimmen. Es  müssen jedoch Mieten bezahlt, Informationspapiere erstellt und verteilt sowie geistliches Personal bereitgestellt werden, usw… Daher bedarf es jeder (religiösen) Gemeinschaft an finanziellen Mitteln, damit sie überhaupt in der Lage ist, ihrem Auftrag nachzukommen. Die Religionsausübung als solche wird aber durch die Verwehrung der Beschaffung von finanziellen Mitteln beeinträchtigt, sodass durch die Beschränkung der freien Mittelwahl ein tauglicher Eingriff in die Religionsfreiheit vorliegt.
 
c) Rechtfertigung des Eingriffs
 Die Religionsfreiheit ist ein vorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht. Ein Eingriff in die Religionsfreiheit kann daher nur durch andere Grundgesetze gerechtfertigt werden, vgl. Art. 137 III 1. Satz WRV (i.V.m. Art. 140 GG):
 
 (3) Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes.
 
Durch diese Formulierung wird ein Sonderrecht für eine bestimmte Religionsgemeinschaft explizit ausgeschlossen.[4] Mithin würde ein solches Vorhaben in Deutschland scheitern.
 
2. Alternative Durchführungswege in Deutschland – Verleihung des Körperschaftsstatus
Da ein Islamgesetz in der vorliegenden Form nicht möglich ist, stellt sich die Frage, ob andere Möglichkeiten ersichtlich sind, den Islam in das bundesrepublikanische System einzugliedern (Hierzu bereits ein ausführlicher Beitrag unsererseits).
In Frage käme, den Islam, wie andere Religionsgemeinschaften in Deutschland, den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zu verleihen. Die Voraussetzungen hierfür finden sich ebenfalls in Art. 137 VIII WRV, der gem. Art. 140 GG Teil unserer Grundrechtsordnung ist:
 
 (8) Soweit die Durchführung dieser Bestimmungen eine weitere Regelung erfordert, liegt diese der Landesgesetzgebung ob.
 
Es ist daher Sache der Länder, einzelne Religionsgemeinschaften, o.Ä. zu Körperschaften des öffentlichen Rechts zu ernennen.[5] Sollte ein Bundesland eine solche Gemeinschaft ernannt haben, gilt dieser Status auch für alle anderen Bundesländer, allerdings können die körperschaftlichen Rechte nur in dem betreffenden Bundesland erhoben werden.[6]
 
Generell müssen jedoch drei Kriterien erfüllt sein (vgl. Art 137 V WRV):

  1. Gewähr der Dauer, also langfristiges Bestehen der Gemeinschaft (in der Zukunft)
  2. Verfassung der Gemeinschaft i.S.d. tatsächlichen Beschaffenheit der Gemeinschaft
  3. Erhebliche Mitgliederanzahl

Liegen diese Voraussetzungen vor, kann eine Gemeinde zur Körperschaft des öffentlichen Rechts ernannt werden.
 
a) Problem: Verschiedene Glaubensrichtungen
 Es gibt jedoch ein ganz entscheidendes Problem, mit dem sich auch schon die Österreicher 1912 konfrontiert sahen: Es gibt nicht die eine Strömung innerhalb des Islams, die alle anderen unter sich vereint. Die einzelnen Richtungen sind teilweise nicht nur grundverschieden, sondern auch untereinander verfeindet (bspw. Schiiten und Sunniten). Den Islam als Ganzes zu einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zu ernennen, ist daher schlichtweg unmöglich.
Zum Vergleich (selbstverständlich ist es kaum möglich Religionen untereinander zu vergleichen, es soll hier auch nur auf ein besseres Verständnis für die Sensibilität des Themas geschaffen werden):
Es gibt auch in Deutschland keine Körperschaft, die alle Christen unter einem Dach vereint. So gelten bspw. Katholiken und Evangelische Kirchen jeweils als getrennte Körperschaften.
 
b) Möglicher Lösungsansatz – Ernennung einzelner Glaubensströmungen
 Ein Lösungsvorschlag könnte z.B. die Ernennung einzelner Glaubensströmungen innerhalb des Islam zur Körperschaft des öffentlichen Rechts sein. So wurde bereits 2013 in Hessen die dort ansässige Ahmadiyya-Gemeinde zur Körperschaft des öffentlichen Rechts ernannt.[7] Im Jahr darauf wurde der Ahmadiyya-Gemeinde in Hamburg dieser Status zu Teil.[8] Dies ist allerdings auch innerhalb der muslimischen Gemeinschaft durchaus kontrovers diskutiert worden. Möglicherweise würde die weitere Ernennung anderer Glaubensströmungen diesen Diskurs etwas entschärfen und der weiteren Integration des Islam dienen.
 
3. Stellungnahme
 Dieser Artikel soll lediglich die Möglichkeiten aufzeigen, die in Österreich umgesetzten Regelungen auch in Deutschland einzuführen. Keineswegs soll die zu Recht geführte, kontroverse Debatte hierdurch ersetzt bzw. beantwortet werden. Eine solch aktuelle Debatte könnte jedoch durchaus Thema einer Examensklausur werden. Allein deshalb lohnt sich die Auseinandersetzung mit der grundgesetzlich gewährleisteten Religionsfreiheit.
 
 
____________________________________________________________________________________
[1] Volltext unter: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/ME/ME_00069/fname_367084.pdf, abgerufen am 09.03.2015.
[2] Interessante Lektüre zu diesem Thema: Potz, Richard, .SiAK-Journal 2013, S.45-54.
[3] BeckOK GG, Germann, Art. 4, Rn.23.
[4] BeckOK GG, Germann, Art. 4, Rn.42.
[5] Eine solche landesrechtliche Konkretisierung stellt z.B. das Gesetz über die Verleihung der Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts an Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen vom 15. Oktober 1973 in Hamburg dar.
[6] Maunz/Dürig GG, Korioth,  Art. 137 WRV,Rn.72.
[7] https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2013-06/islam-kirche-hessen-koerperschaft, abgerufen am 09.03.2015.
[8] https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Jetzt-ist-der-Islam-in-Hamburg-angekommen,ahmadiyya102.html, abgerufen am 09.03.2015.

09.03.2015/0 Kommentare/von Dr. David Saive
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. David Saive https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. David Saive2015-03-09 14:09:402015-03-09 14:09:40Islamgesetz in Deutschland?
Dr. Johannes Traut

Staatenimmunität und Haftbefehle gegen deutsche Steuerfahnder

Aktuelles, Öffentliches Recht, StPO, Strafrecht, Strafrecht AT, Völkerrrecht

Dieser Beitrag wirft einen Blick auf einen Aspekt des deutsch-schweizerischen Steuerstreits, der in der bisherigen Presseberichterstattung nicht beleuchtet wird, sich M.E. aber aufdrängt: Genießen die deutschen Steuerfahnder als Amtsträger eines fremden Staates für Amtshandlungen nicht Immunität? Würde durch eine strafrechtliche Verfolgung der deutschen Steuerfahnder nicht der Grundsatz der Staatenimmunität unterlaufen?
Jedoch ein caveat zu Beginn: Da ich kein Experte für Völkerrecht bin, versteht sich dieser Artikel mehr als Gedankenanstoß denn als definitve Stellungnahme in der Frage.
Funktionelle Immunität als Ausfluß der Staatenimmunität
Grundlage des völkerrechtlichen Miteinander der Staaten ist der Grundsatz der souveränen Gleichheit (Art. 2 Nr. 1 UN-Charta). Aus ihm folgt, dass es unter den Staaten keinen Vorrang hoheitlicher Befugnisse geben kann. Deshalb kann sich auch kein Staat anmaßen, über Hoheitsakte eines anderen Staates zu Gericht zu sitzen. Der daraus folgende Grundsatz der Staatenimmunität besagt, dass ein ausländischer Staat von der Gerichtsbarkeit eines anderen befreit ist (vgl. MüKo-StGB/Ambos, Vor §§3-7 Rn. 98).
Damit dieser Grundsatz nicht durch die Verfolgung der handelnden Amtsträger als Privatpersonen umgangen wird, werde strafrechtlich hoheitliche Handlungen von Amtsträgern des Staates grundsätzlich nur dem Staat, für den sie handeln, nicht aber ihnen privat zugerechnet werden. Damit scheidet eine Strafbarkeit der Amtsträger aus, sie genießen funktionelle Immunität für ihre Amtshandlungen:

„Im Gegensatz zur Auffassung der Revision handelte Scotland Yard und damit dessen Leiter als ausdrücklich bestelltes Organ des britischen Staates, soweit es um die Erfüllung des genannten Vertrages zwischen Großbritannien und der Bundesrepublik ging. Solche Organhandlungen stellen sich als unmittelbares staatliches Handeln dar und können den jeweils zum Handeln Berufenen nicht als private Tätigkeit zugerechnet werden (vgl. Dahm, Festschr., S. 168). Es bedeutete eine Aushöhlung der uneingeschränkten Immunität souveräner Staaten im Bereich hoheitlicher Betätigung, wollte man staatliches Handeln durch Zugriff auf das handelnde ausländische Organ der deutschen Gerichtsbarkeit unterwerfen.“ (BGH NJW 1979, 1101, 1102; in jüngerer Zeit etwa MüKo-StGB/Ambos, Vor §§ 3-7 Rn. 98; Folz, NStZ 1996, 576ff.).

Daneben gibt es für bestimmte hochrangige Repräsentanten des Staates (Staatsoberhaupt bzw. den Regierungschef und nach einer Entscheidung des IGH auch den Außenministerers) auch eine absolute Immunität vor Strafverfolgung durch andere Staaten, die auch private Handlungen umfasst. Steuerfahnder gehören sicher nicht zu dem Kreis der potenziellen Träger absoluter Immunität.
Nach hM stellt die völkerrechtliche begründete Immunität ein strafprozessuales Verfolgungshindernis dar (BGHSt 32, 275, 276; MüKo-StGB/Ambos, Vor §§ 3-7 Rn. 114 m.weiteren Nachweisen, auch zur Gegenansicht, wonach es sich um einen materiell-rechtlichen Strafbefreiungsgrund handeln soll). Sie gilt in Deutschland gem. § 20 Abs. 2 GVG als allgemeiner Grundsatz des Völkerrechts (wobei § 20 Abs. 2 GVG wegen Art. 25 GG ohnehin nur deklaratorisch ist).
Haben die Finanzbeamten bei dem „Ankauf“ hoheitlich gehandelt?
Voraussetzung dafür, dass die Finanzbeamten für den Ankauf der Steuersünder-CD funktionelle strafrechtliche Immunität genießen, ist zunächst, dass ihr Handeln als amtliches Handeln des Staates erkennbar ist (vgl. Folz, NStZ 1996, 576, 578). Davon wird man ausgehen können, denn sie haben in ihrer Funktion als Finanzbeamte gehandelt und nicht etwa scheinbar als Privatleute.
Immunität genießt der Staat und damit seine Amsträger ferner nur für hoheitliches Handeln (für acta iure imperii) nicht dagegen für nicht-hoheitliches Handeln, sogenannte acta iure gestionis (s. nur MüKo-StGB/Ambos, Vor §§ 3-7 Rn. 123). Dabei ist der Begriff des hoheitlichen Handelns im völkerrechtlichen Sinne denkbar weit aufzufassen. Bei einem Staatspräsidenten etwa ist darunter jeder Akt zu verstehen, der dem Staat in Verfolgung seiner politischen Ziele zuzurechnen ist (OLG Köln NStZ 2000, 667). Völkerrechtlich ist ein rein funktionaler Maßstab anzulegen, so daß selbst Sabotageakte oder politische Morde gegebenenfalls als Amtshandlungen angesehen werden können (Folz, NStZ 1996, 576, 578). In Abgrenzung dazu sind acta iure gestionis beispielsweise das, was man im deutschen Recht als fiskalische Hilfsgeschäft bezeichnet, also den Erwerb von Büromaterial oder Dienstfahrzeugen.
Nach diesen Maßstäben ist das Handeln der Finanzbeamten klar als hoheitlich einzuordnen, denn sie handelten unmittelbar zur Erfüllung ihres Amtsauftrages Steuerfahndung. Funktionell ist der Ankauf der Steuersünder-CD nicht anders zu werten als etwa die Durchführung einer Durchsuchung in Deutschland. Auf die Einordnung nach deutschem Recht – ob also etwa der Ankauf privatrechtlich war oder nicht – kommt es nach den völkerrechtlichen Kriterien nicht an.
Im Grundsatz steht funktionelle Immunität der Strafverfolgung also zunächst entgegen.
Teleologische Grenzen der Staatenimmunität: Übergriffe auf die Souveränität eines anderen Staates
Allerdings könnte vorliegend eine teleologische Reduktion des Grundsatzes der Staatenimmunität vorzunehmen sein. Sinn und Zweck dieser ist es, die Souveränität des Staates, dessen Amtsträger gehandelt haben, zu schützen. Amtshandlungen aber, die ihrerseits die Souveränität eines anderen Staates zu verletzen, verdienen demnach keinen Schutz. So ist anerkannt, dass die Staatenimmunität der Verfolgung von Spionen des einen Staates – auch die Spionage kann eine Amtshandlung im völkerrechtlichen Sinne sein – durch den anderen Staat nicht entgegensteht. Das gilt jedenfalls, soweit die in Rede stehenden Handlungen im Hoheitsgebiet des anderen Staates vorgenommen wurden, aber nach verbreiteter Ansicht auch sonst (vgl. BGH NStZ 1993, 587 und Folz, NStZ 1996, 576, 578).
Vorliegend kommt demnach einen Ausnahme von dem Grundsatz der funktionellen Immunität insofern in Betracht als die Beschaffung der Steuersünder-Daten die Souveränität der Schweiz verletzte. Das hängt wiederum davon ab, wie sie genau vor sich ging.
Hätten die deutschen Behörden lediglich Daten, die man ihnen angeboten hat, gekauft, so stellt das M.E. kein Verletzung der Souveränität der Schweiz dar. Denn es ist letztlich eine Entscheidung Deutschlands, inwiefern man derartige Daten für verwertbar hält. Eine Verletzung der Schweizer Gebietshoheit liegt in dem Ankauf von Daten, die bereits außerhalb der Schweiz befindlich sind, jedenfalls nicht. Letztlich kann die Schweiz hier nicht in Anspruch nehmen, nur deshalb, weil die Daten aus ihrem Hoheitsbereich stammen, deren Schicksal ausschließlich bestimmen zu dürfen. Vielmehr hat Deutschland auch ein legitimes Interesse an Strafverfolgung, auch soweit die verfolgten Taten einen Auslandsbezug haben.
Anders sähe es aus, wenn die deutschen Fahnder die Beschaffung der Daten in der Schweiz in Auftrag gegeben oder sonstwie gesteuert hätten. Darin müsste man M.E. eine unzulässige Einwirkung auf den Hoheitsbereich der Schweiz sehen. Denn in diesem Fall wäre der von der Schweiz gezogene Vergleich zur Spionage durchaus treffend: Ob die Schweiz nur militärische Geheimnisse oder auch Bankdaten schützen möchte, ihre Entscheidung. Ein fremder Staat darf nicht bewußt auf dem Hoheitsgebiet eines anderen dessen Gesetzen (ich unterstelle, dass ein Verstoß gegen schweizer Recht vorliegt) zuwiderhandeln. Das verletzt M.E. dessen Gebietshoheit und verstößt damit gegen das Völkerrecht (vgl. Schünemann, NStZ 2008, 307; a.A. etwa Kaiser, NStZ 2011, 383, 384 mit Nachweisen zu beiden Ansichten). Ermittlungsmaßnahmen im Ausland können nur in Rahmen eines Rechtshilfeabkommens oder nach dem Recht des Staates, in dem sie stattfinden, zulässig sein.
Eine abschließend Bewertung kann freilich ohne vollständige Kenntnis des Sachverhaltes nicht erfolgen. Immerhin beschrieben nach einem Bericht der Süddeutschen v. 1.4.2012 („Wie die Schwarzgeld-CD zu den deutschen Steuerfahndern kam“) die schweizer Behörden das Vorgehen der deutschen Steuerfahnder so, dass sie die Daten von dem Täter je nach Bedarf „bestellt“ hätten – und sich dieser die Daten dann in der Schweiz beschafft haben soll. Sollte das zutreffen, ist das Vorgehen der schweizer Behörden jedenfalls nicht so abwegig, wie in der deutschen öffentlichen Diskussion teilweise Glauben gemacht wird.
Rechtfertigung als Gegenmaßnahme für „Beihilfe zur Steuerhinterziehung“ durch die Schweiz?
Als politische Rechtfertigung des Vorgehens der Steuerfahndung wird vorgebracht, letztlich ginge es nur darum, Steuerhinterziehung, welche durch die schweizer Gesetze begünstigt werde, zu verhindern. Lässt sich hieraus ein juristisches Argument im vorliegenden Kontext gewinnen?
Soweit das Handeln der deutschen Ermittlungsbeamten einen Verstoß gegen die schweizer Souveränität darstellt und damit völkerrechtswidrig war, kommt eine Rechtfertigung nur als sogenannte Repressalie in Betracht. Eine solche liegt vor, wenn eine völkerrechtswidrige Handlungen als Mittel der Selbsthilfe gegen einen einen vorherigen Völkerrechtsverstoß des Staates, gegen den die Maßnahme gerichtet ist, vorgenommen wird. Voraussetzung dafür ist freilich, dass das schweizer Steuerrecht gegen das Völkerrecht verstößt. Ob dies der Fall ist, entzieht sich meiner Kenntnis; jedenfalls erscheint das unwahrscheinlich. Eine Rechtfertigung wird damit wohl ausscheiden.

07.04.2012/2 Kommentare/von Dr. Johannes Traut
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Johannes Traut https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Johannes Traut2012-04-07 17:07:142012-04-07 17:07:14Staatenimmunität und Haftbefehle gegen deutsche Steuerfahnder
Tom Stiebert

Anwendung der Scharia in Deutschland?!? – Zugleich eine Einführung in das IPR

Erbrecht, Familienrecht, IPR, Schon gelesen?, Startseite, Verschiedenes

Die Überschrift verheißt schon einiges an Spannung und Kontroversen. Allerdings soll es hier nicht um ein Plädoyer gehen, ob die Einführung der Scharia für einige Bevölkerungsgruppen in Deutschland zweckmäßig und zulässig ist (dies bleibt anderen überlassen, vgl. nur Prof. Otto Deppenheuer oder den – missverständlich geäußerten – Vorschlag des rheinland-pfälzischen Justizministers Hartloff.
Vielmehr soll es hier um die Frage gehen, ob nicht in einigen Bereichen der deutschen Gerichtsbarkeit islamisches Recht der Scharia schon längst angewendet wird und anzuwenden ist. Dass dies offensichtlich der Fall ist, zeigt ein aktuelles Urteil des Landgerichts Limburg. Tauchen solche Urteile auf, ist das „Rauschen im Blätterwald“ natürlich meist weithin vernehmbar. Hier soll aus juristischer Sicht kurz dargestellt werden unter welchen juristischen Rahmenbedingungen und in welchen Fällen die Scharia, bzw. Teile davon von deutschen Gerichten berücksichtigt werden.
Was ist überhaupt die Scharia?
Hört man den Begriff Scharia tauchen im ersten Moment wohl etliche Vorurteile über diese Rechtsform auf. Betrachtet man diese rechtlichen Regelungen aber genauer, so stellt man fest, dass die Scharia nichts anderes als die Rechtsordnung im Islam ist, die auch in einigen islamischen Staaten Anwendung findet. Es ist also eine religiöse Rechtsordnung, die von einigen Staaten aber auch als staatliche Rechtsordnung angesehen wird. Es handelt sich aber nicht etwa um eigenständige Gesetze wie BGB, StGB, VwGO etc.) sondern stellt eine Methode zur Rechtsfindung und Rechtsschöpfung dar (ausführlich: Peter Heine: Ein System großer Flexibilität- Der Begriff „Scharia“ provoziert ständige Missverständnisse. Herder Korrespondenz 65, 12/2011. S. 613-617). Die Scharia ist damit in alle Richtungen einer Auslegung offen (von liberal bis traditionell-konservativ) und ist damit nicht automatisch gleichzusetzen mit dem archaischen Bild von Steinigungen, dem Abschneiden von Händen, der Unterdrückung von Frauen etc.
In mehreren islamisch geprägten Ländern gilt die Scharia als staatliches Recht bspw.  im Iran, Saudi-Arabien, Afghanistan, Sudan, Senegal, Katar, Kuwait und Bahrain. In anderen Ländern wie Algerien, Indonesien, Ägypten gelten zumindest Teile der Scharia für das Zivilrecht und dabei insbesondere das Ehe- und Familienrecht.
Geltung in Deutschland
Klar ist, dass deutsche Gesetze als solches natürlich (religions)neutral ausgestaltet sind und damit keinen Bezug auf die Scharia aufweisen. Wie kann es dann aber sein, dass doch in einigen Fällen ein deutscher Richter an einem deutschen Gericht die Vorgaben der Scharia zu beachten hat. Die Antwort hierauf liegt in den Grundsätzen des internationalen Privatrechts (IPR) die auch im Staatsexamen sehr relevant sind und auf jeden Fall beherrscht werden sollten. Hierunter zu verstehen sind diejenigen Rechtsnormen, die bestimmen, welches einzelstaatliche Recht bei einem grenzüberschreitenden Sachverhalt anzuwenden ist. Auf das IPR ist dann zurückzugreifen, wenn es sich um einen Sachverhalt mit Auslandsberührung handelt, d.h. eine Verbindung zum Recht eines ausländischen Staates besteht (vgl. Art. 3 EGBGB). Dieses Internationale Privatrecht greift allerdings nur dann, wenn keine Regelungen der Europäischen Gemeinschaft anwendbar sind- namentlich sind dies die Rom I und Rom II Verordnung für vertragliche und außervertragliche Schuldverhältnisse. Geplant sind für die Zukunft weitere Verordnungen:  eine Rom-III-Verordnung (Scheidung von Ehen), eine Rom-IV-Verordnung (Ehegüterrecht), eine Rom-V-Verordnung (Erbrecht) sowie eine Rom-VI-Verordnung (Unterhaltsverordnung).
Hinweis: Die vorige Version des Textes enthielt die Aussage, dass das Rom-Verordnungen nur gelten, wenn die Auslandsberührung zu einem Mitgliedsstaat der Union vorliege. Dies ist dahingehend zu berichtigen, dass es sich bei diesem Kollisionsrecht um autonomes Kollisionsrecht der Union in Form einer Verordnung handelt, dass damit in den Mitgliedsstaaten unmittelbar gilt und alle Sachverhalte des Kollisionsrecht regeln möchte – unabhängig mit welchen Drittstaat die Berührung erfolgt. Wir bitten um Entschuldigung.
Sind aber die Rom-Verordnungen aus inhaltlichen Gründen nicht anwendbar, so ist zu fragen, aus welchen Normen sonst die Anwendbarkeit des ausländischen Rechts resultieren kann. Maßgeblich ist auch hier dann das autonome deutsche IPR, also die Regelungen des EGBGB. Hier ist vorgesehen, welche nationale Rechtsordnung für welchen sachverhalt anzuwenden ist: Für das Familienrecht sind dies die Art. 13 ff EGBGB, für das Erbrecht Art. 25 EGBGB etc. Aus diesen sog. Kollisionsnormen ergibt sich dann unter Umständen die Anwendung des ausländischen Rechts.
Besondere Probleme treten hier insbesondere bei der Subsumtion auf, existieren doch in ausländischen Rechtsordnungen oft Begriffe die dem deutschen Recht unbekannt sind. Auch umgekehrt würde ein Problem bestehen. Maßgeblich ist hier nach h.M. die sog. lex fori, d.h. das Recht was am Ort des Gerichtes gilt. Was bspw. eine Eheschließung oder eine Ehescheidung ist, muss sich daher nach dem deutschen Recht bestimmen. liegt eine solche dann vor, dann kann die Kollisionsnorm greifen. in Grenzfällen muss versucht werden, den jeweiligen Sachverhalt möglichst so auszulegen, dass er unter eine Kollisionsnorm subsumiert werden kann.
Woher weiß aber ein deutscher Richter, wie das Scheidungsrecht in Saudi-Arabien funktioniert. Grundsätzlich muss der Grundsatz gelten, dass der Richter das Recht kennt (iura novit curia). Selbstverständlich ist es ihm in der Praxis aber nicht möglich, sämtliche Rechtsordnungen der Welt zu beherrschen. Um diesem Problem vorzubeugen wurden Auskunftsstellen geschaffen, bei denen sich der Richter über die jeweilige Rechtsordnung informieren und die Probleme lösen lassen kann.
Diese Form der Anwendung ausländischen Rechts existiert aber nur im Zivilrecht. Im Strafrecht bspw. ist ausschließlich deutsches Strafrecht anzuwenden – für welche Taten dies greift, ergibt sich aus §§ 3 ff. StGB.
Grenze der Anwendung des ausländischen Rechts
Grundsätzlich ist damit eine Anwendung des ausländischen Rechts möglich. Ein „Rechtsimperialismus“ dergestalt, dass das deutsche Recht als ultimativ richtig aufgezwungen werden soll, soll gerade verhindert werden. Es wird damit zunächst vermutet, dass das ausländische Recht angemessen und gerecht ist. Es mögen aber Fälle existieren in denen eine Anwendung der ausländischen Rechtsgrundsätze nicht mehr mit elementaren Prinzipien des deutschen Rechts vereinbar ist. Für diesen Fall enthält das Gesetz den sog. ordre-public-Vorbehalt in Art. 6 EGBGB. Die ausländische Rechtsnorm ist nicht anzuwenden, wenn sie wesentlichen Grundsätzen des dt. Rechts widerspricht. Insbesondere die Grundrechte sind damit gemeint (Satz 2). Dieses Einfallstor für die Grundrechte verhindert damit, dass ein deutscher Richter gezwungen ist, verfassungswidrige ausländische Rechtsnormen anzuwenden. Bei Beachtung dieser Grundsätze ist die Anwendung der Scharia aber auch im deutschen Recht richtig und angemessen. Die Aufregung hierüber ist hingegen eher polemisch und nicht von sachlichen Gründen getragen.
Weitere Probleme
Oben sollte nur überblicksmäßig dargestellt werden, nach welchen Grundsätzen eine Anwendung der Scharia möglich ist. In einer Klausur wird üblicherweise die Kollisionsnorm ergeben, das deutsches Sachrecht anwendbar ist. Auch eine Anwendung der Rom-I- und Rom-II-Verordnung ist möglich. Lediglich in einer Zusatzfrage kann sich die Anwendung ausländischen Sachrechts ergeben. Hier würde sich dann, in der Praxis, ein weiteres Problem stellen, legt doch § 4 EGBGB fest, dass auch das ausländische IPR ergänzend zum Sachrecht Anwendung findet (sog. Gesamtverweisung). wird der Verweis angenommen, ist also auch nach dem ausländischen IPR das ausländische Sachrecht anwendbar, tritt kein Problem auf. Wird hingegen an das dt. Sachrecht zurückverwiesen (renvoi), so gilt dies auch (Art. 4 Abs. 1 S. 2 EGBGB). Strittig ist lediglich, was bei einer Weiterverweisung an einen Drittstaat erfolgt und wie oft überhaupt weiterverwiesen werden darf.
Vorfrage: Zuständigkeit des deutschen Gerichts
Eine hier nicht behandelte Frage ist zudem, ob und wann ein deutsches Gericht überhaupt zuständig ist. Hier wurde, der Einfachheit halber, vorausgesetzt, dass das dt. Gericht zuständig ist. Ist dies in der Klausur nicht gegeben, muss zunächst geprüft werden, welches nationale Gericht zuständig ist. Auch hierfür existieren europäische Verordnungen, die die Zuständigkeit aus der örtlichen Zuständigkeit schließen (EugVVO und EuEheVO). Gerade aus letzterer resultiert die Zuständigkeit deutscher Gerichte für Scheidungen etc. Besteht keine solche europarechtliche Regelung, greift ebenso wie beim IPR auch hier autonomes deutsches internationales Zivilprozessrecht. Auch hier ergibt sich die internationale Zuständigkeit aus der örtlichen Zuständigkeit (§ 12 ff ZPO).
Fazit
Für die Klausur sollte das IPR auf jeden Fall beherrscht werden – entsprechende Probleme können entweder als Vorfrage einer Klausur oder auch als Zusatzfrage unproblematisch geprüft werden. Das IPR als Aufhänger wird immer beliebter. Dennoch sollte man hiervor keine Angst haben: Die Kenntnis der Zusammenhänge und weniger – wichtiger – Normen genügt völlig.
 
 

28.03.2012/11 Kommentare/von Tom Stiebert
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tom Stiebert https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tom Stiebert2012-03-28 10:38:062012-03-28 10:38:06Anwendung der Scharia in Deutschland?!? – Zugleich eine Einführung in das IPR
Dr. Johannes Traut

IGH: Staatenimmunität auch bei Kriegsverbrechen

Rechtsprechung, Schon gelesen?, Völkerrrecht

Die unmittelbare examensrelevanz ist gering, aber eine Mitteilung ist das Urteil des IGH vom 3.2.2012 dennoch wert: Es verstößt gegen das Völkerrecht,

  • dass italienische Gerichte die Bundesrepublik Deutschland zur Zahlung von Entschädigungen an Opfer wegen Kriegsverbrechen im zweiten Weltkrieg verurteilt haben.
  • Ebenso verstößt es gegen das Völkerrecht, soweit italienische oder griechische Urteile dieses Inhalts durch Entscheidungen staatlicher Stellen in Italien vollstreckt wurden oder werden.

Kurzüberblick IGH
Der Internationale Gerichtshof (IGH) ist das (Haupt-)Rechtsprechungsorgan der UN, vgl. Art. 7 Abs. 1, 92ff. UN-Charta. Der Gerichtshof ist für Streitigkeiten zwischen Staaten zuständig; nur diese können Partei vor ihm sein (Art. 34 Abs. 1 IGH-Statut).  Der Gerichtshof entscheidet die ihm unterbreiteten Fragen nach dem Völkerrecht (Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut). Dabei wendet er an

(a) internationale Übereinkünfte allgemeiner oder besonderer Natur, in denen von den streitenden Staaten
ausdrücklich anerkannte Regeln festgelegt sind;
(b) das internationale Gewohnheitsrecht als Ausdruck einer allgemeinen, als Recht anerkannten Übung;
(c) die von den Kulturvölkern anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätze;
(d) vorbehaltlich des Artikels 59 richterliche Entscheidungen und die Lehrmeinung der fähigsten
Völkerrechtler der verschiedenen Nationen als Hilfsmittel zur Feststellung von Rechtsnormenn

Anders als die nationalen Gerichte ist er aber nicht kraft UN-Charta für die Entscheidung jeder Rechtsfrage zuständig; vielmehr müssen die Parteien den Rechtsstreit von sich aus vor den Gerichtshof bringen (Art. 36 Abs. 1 IGH-Statut) oder sie müssen sich im Einzelfall oder auch generell – dann für alle völkerrechtlichen Streitigkeiten – der Rechtsprechung des IGH unterworfen haben (Art. 36 Abs. 2 IGH-Statut). Das hat Deutschland getan, es kann also von jedem Staat, der ebenfalls die Rechtsprechung des IGH anerkennt, vor diesem verklagt werden oder selbst klagen.
Im vorliegenden Fall aber ergibt sich die Zuständigkeit des IGH ohnehin aus Art. 1 des Europäisches Übereinkommen zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten, das Deutschland und Italien ratifiziert haben. Dieses eröffnet die Zuständigkeit des IGH nach Art. 36 Abs. 1 IGH-Statut.
Der Grundsatz der Staatenimmunität
Materiell ging es um die Frage, ob der Grundsatz der Staatenimmunität durch die Verurteilung bzw. die Vollstreckung gegen die Bundesrepublik verletzt wurde. Die grundsätzliche Existenz des Grundsatzes der Staatenimmunität ist jedenfalls unstrittig (vgl. auch Rn. 56f. des Urteils).
Im Völkerrecht gilt der Grundsatz, dass Staaten nicht vor den Gerichten anderer Staaten für ihr hoheitliches Handeln (acta iure imperii) verklagt werden können (insb. Rn. 61 des Urteils). Dies ist ein Ausfluss der Souveränität der einzelnen Staaten (Art. 2 Nr. 1 UN-Charta), mit der es nicht vereinbar wäre, einen Staat der Jurisdiktion des anderen zu unterwerfen. Keinen besonderen Schutz genießen Staaten heutzutage mehr dagegen für nicht-hoheitliches Handeln (acta iure gestionis). Soweit sie sich wie Private am Rechtsverkehr beteiligen (und etwa Kredite aufnehmen), können sie auch verklagt werden. Ein Beispiel hierfür ist etwa die argentinische Staatsschuldenkrise (vgl. etwa BVerfG NJW 2007, 2605; Sester NJW 2006, 2891). Das ist wohl weitgehend anerkannt, auch wenn der IGH sich zu der Frage, ob zwischen hoheitlichem und nicht-hoheitlichem Handeln zu unterscheiden ist, nicht äußern musste. Dazu und zur Entwicklung vgl. Rn. 59ff. des Urteils.
Gilt dieser Grundsatz auch für Klagen wegen Kriegshandlungen im Staat, in dem sie begangen wurden?
Das erste Argument, mit dem Italien die Geltung dieses Grundsatzes angreifen möchte, fasst der IGH wie folgt zusammen (Rn. 62):

The essence of the first Italian argument is that customary international law has developed to the point where a State is no longer entitled to immunity in respect of acts occasioning death, personal injury or damage to property on the territory of the forum State, even if the act in question was performed jure imperii.

Um das Völkergewohnheitsrecht in dieser Frage zu ermitteln untersucht der IGH dann insbesondere die Rechtsprechung nationaler Gerichte zu dem Thema (Rn. 72ff. – zuvor befasst er sich mit völkervertragsrechtlichen Anhaltspunkten, die hier aber ausgeblendet bleiben sollen). Er kommt dabei zu dem Ergebnis, dass französische, deutsche, ägyptische, irische, slowenische, polnische Gerichte und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte auch in diesen Fällen Staatenimmunität gewährt haben. Eine Ausnahme stellen nur die streitgegenständlichen italienischen und wenige griechische Entscheidungen dar. Daher kommt er zum dem Schluss (Rn. 72):

In light of the foregoing, the Court considers that customary international law continues to require that a State be accorded immunity in proceedings for torts allegedly committed on the territory of another State by its armed forces and other organs of State in the course of conducting an armed conflict. That conclusion is confirmed by the judgments of the European Court of Human Rights to which the Court has referred (see paragraphs 72, 73 and 76).

Dabei kommt der Rechtsprechung des EGMR offensichtlich besondere Bedeutung zu.
Gilt dieser Grundsatz auch bei Kriegsverbrechen?
Das zweite Argument, mit dem Italien die Geltung dieses Grundsatzes hier angreifen möchte, fasst der IGH wie folgt in drei Teilen  zusammen (Rn. 80):

[…] First, Italy contends that the acts which gave rise to the claims constituted serious violations of the principles of international law applicable to the conduct of armed conflict, amounting to war crimes and crimes against humanity. Secondly, Italy maintains that the rules of international law thus contravened were peremptory norms (jus cogens). Thirdly, Italy argues that the claimants having been denied all other forms of redress, the exercise of jurisdiction by the Italian courts was necessary as a matter of last resort. […]

Zunächst ermittelt der IGH das Völkergewohnheitsrecht hinsichtlich der ersten Frage, nämlich ob es Staatenimmunität auch für Handlungen gibt, die Kriegsverbrechen darstellen. Das wurde von verschiedenen Gerichten (etwa kanadischen, britischen, slowenischen) bestätigt (Rn. 85); auch der EGMR ist dem gefolgt (Rn. 90). Daher besteht nach Ansicht des IGH auch für Hoheitsakte, die gleichzeitig Kriegsverbrechen darstellen, keine Ausnahme vom Grundsatz der Staatenimmunität (Rn. 91). Ausdrücklich nicht entschieden wurde aber über die mögliche strafrechtliche Verantwortlichkeit von Individuen, die als Repräsentant (etwa Präsident) eines Kriegsteilnehmers persönliche Verantwortung tragen (etwa Milosovevic). Diese wollte der IGH wohl nicht beschränken.
Das zweite Teilargument, wonach das ius cogens, das Kriegsverbrechen verbietet, der Staatenimmunität vorgehet, weist der IGH mit dem Argument zurück, es bestehe kein Normkonflikt zwischen den ius cogens Regeln des Kriegsrechts und der Staatenimmunität (Rn. 95). Das ist offensichtlich richtig, da sie völlig verschiedene Fragen regeln.
Für die dritte Voraussetzung gibt es schließlich keinerlei Anhaltspunkt in der internationalen Rechtspraxis (Rn. 101ff.). Es wäre auch kaum möglich, zu bestimmen, wann eine gerichtliche Geltendmachung der Ansprüche nicht mehr erfolgversprechend ist (Rn. 102).
Kurzkommentar
Ein Urteil, das auf den ersten Blick „Kriegsverbrechen“ zu schützen scheint, das aber M.E. dennoch im Ergebnis richtig ist. Vom IGH wurde das Urteil im Wesentlichen auf der rein juristischen Ebene durch eine detaillierte Analyse der Rechtsprechung nationaler Gericht gelöst. Dabei hat der IGH die Ergebnisse deren Rechtsprechung zur Kenntnis genommen, ohne in die Beweggründe näher einzusteigen. Mit den Sachargumenten musste er sich daher kaum auseinandersetzen.
Hätte er dies getan, wäre deutlich geworden, welche Unwägbarkeiten auf die Völkerrechtsordnung zukämen, wenn der IGH die Klagen für zulässig erachtet hätte. Es wäre der Völkerverständigung und damit dem Frieden wohl kaum zuträglich, wenn bewaffnete Konflikte auf gerichtlichem Wege noch einmal „rückabgewickelt“ werden müssten. Nicht nur müsste sich Deutschland auf eine Klagewelle wegen Verbrechen im zweiten Weltkrieg gefasst machen, sondern auch alle anderen am Krieg beteiligten Nationen, ebenso Polen, Russland, Tschechien wegen den Vertreibungen von Deutschen aus dem Osten, die NATO-Partner könnten wegen des Afghanistan Krieges oder wegen des Einsatzes in Libyen verklagt werden. Gerichte können mit ihrem Blick für den Einzelfall eine halbwegs gerechte Abwicklung dieser Verfahren kaum leisten. Ferner ist das Mißbrauchspotenzial solcher Klagen durch weniger als demokratische Regime, die sie zum Tribunal über aktuelle politische Gegner machen könnten, erheblich.
Im deutschen Recht
In Deutschland gilt der Grundsatz der Staatenimmunität im innerstaatlichen Recht als Völkergewohnheitsrecht schon nach Art. 25 GG (es handelt sich um Völkergewohnheitsrecht, auch dazu Rn. 54ff. des Urteils); außerdem findet er eine Anknüpfung im einfachem Recht in § 20 Abs. 2 GVG. Daher wäre das Urteil in Deutschland ohne weiteres zu beachten. Wie die Rechtslage in Italien ist, ist dem Verfasser nicht bekannt. Folgt man dort (wie in Deutschland im Grundsatz) einem dualistischen Ansatz (Völkerrecht und nationales Recht zwei verschieden Rechtsordnungen) wären die Urteil von dem Urteil des IGH zunächst unberührt; die Republik Italien träfe aber die völkerrechtliche Verpflichtung, für ihre Aufhebung oder ähnliches zu sorgen.
Literaturhinweise
Grundlagen zur Staatenimmunität: Roeder JuS 2005, 215
Urteil des BGH zu der Frage (v. 26. 6. 2003 – III ZR 245/98), NJW 2003, 3488, dazu die Anmerkung Geimer, LMK 2003, 215.

06.02.2012/1 Kommentar/von Dr. Johannes Traut
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Johannes Traut https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Johannes Traut2012-02-06 11:43:052012-02-06 11:43:05IGH: Staatenimmunität auch bei Kriegsverbrechen

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