Staatenimmunität und Haftbefehle gegen deutsche Steuerfahnder
Dieser Beitrag wirft einen Blick auf einen Aspekt des deutsch-schweizerischen Steuerstreits, der in der bisherigen Presseberichterstattung nicht beleuchtet wird, sich M.E. aber aufdrängt: Genießen die deutschen Steuerfahnder als Amtsträger eines fremden Staates für Amtshandlungen nicht Immunität? Würde durch eine strafrechtliche Verfolgung der deutschen Steuerfahnder nicht der Grundsatz der Staatenimmunität unterlaufen?
Jedoch ein caveat zu Beginn: Da ich kein Experte für Völkerrecht bin, versteht sich dieser Artikel mehr als Gedankenanstoß denn als definitve Stellungnahme in der Frage.
Funktionelle Immunität als Ausfluß der Staatenimmunität
Grundlage des völkerrechtlichen Miteinander der Staaten ist der Grundsatz der souveränen Gleichheit (Art. 2 Nr. 1 UN-Charta). Aus ihm folgt, dass es unter den Staaten keinen Vorrang hoheitlicher Befugnisse geben kann. Deshalb kann sich auch kein Staat anmaßen, über Hoheitsakte eines anderen Staates zu Gericht zu sitzen. Der daraus folgende Grundsatz der Staatenimmunität besagt, dass ein ausländischer Staat von der Gerichtsbarkeit eines anderen befreit ist (vgl. MüKo-StGB/Ambos, Vor §§3-7 Rn. 98).
Damit dieser Grundsatz nicht durch die Verfolgung der handelnden Amtsträger als Privatpersonen umgangen wird, werde strafrechtlich hoheitliche Handlungen von Amtsträgern des Staates grundsätzlich nur dem Staat, für den sie handeln, nicht aber ihnen privat zugerechnet werden. Damit scheidet eine Strafbarkeit der Amtsträger aus, sie genießen funktionelle Immunität für ihre Amtshandlungen:
„Im Gegensatz zur Auffassung der Revision handelte Scotland Yard und damit dessen Leiter als ausdrücklich bestelltes Organ des britischen Staates, soweit es um die Erfüllung des genannten Vertrages zwischen Großbritannien und der Bundesrepublik ging. Solche Organhandlungen stellen sich als unmittelbares staatliches Handeln dar und können den jeweils zum Handeln Berufenen nicht als private Tätigkeit zugerechnet werden (vgl. Dahm, Festschr., S. 168). Es bedeutete eine Aushöhlung der uneingeschränkten Immunität souveräner Staaten im Bereich hoheitlicher Betätigung, wollte man staatliches Handeln durch Zugriff auf das handelnde ausländische Organ der deutschen Gerichtsbarkeit unterwerfen.“ (BGH NJW 1979, 1101, 1102; in jüngerer Zeit etwa MüKo-StGB/Ambos, Vor §§ 3-7 Rn. 98; Folz, NStZ 1996, 576ff.).
Daneben gibt es für bestimmte hochrangige Repräsentanten des Staates (Staatsoberhaupt bzw. den Regierungschef und nach einer Entscheidung des IGH auch den Außenministerers) auch eine absolute Immunität vor Strafverfolgung durch andere Staaten, die auch private Handlungen umfasst. Steuerfahnder gehören sicher nicht zu dem Kreis der potenziellen Träger absoluter Immunität.
Nach hM stellt die völkerrechtliche begründete Immunität ein strafprozessuales Verfolgungshindernis dar (BGHSt 32, 275, 276; MüKo-StGB/Ambos, Vor §§ 3-7 Rn. 114 m.weiteren Nachweisen, auch zur Gegenansicht, wonach es sich um einen materiell-rechtlichen Strafbefreiungsgrund handeln soll). Sie gilt in Deutschland gem. § 20 Abs. 2 GVG als allgemeiner Grundsatz des Völkerrechts (wobei § 20 Abs. 2 GVG wegen Art. 25 GG ohnehin nur deklaratorisch ist).
Haben die Finanzbeamten bei dem „Ankauf“ hoheitlich gehandelt?
Voraussetzung dafür, dass die Finanzbeamten für den Ankauf der Steuersünder-CD funktionelle strafrechtliche Immunität genießen, ist zunächst, dass ihr Handeln als amtliches Handeln des Staates erkennbar ist (vgl. Folz, NStZ 1996, 576, 578). Davon wird man ausgehen können, denn sie haben in ihrer Funktion als Finanzbeamte gehandelt und nicht etwa scheinbar als Privatleute.
Immunität genießt der Staat und damit seine Amsträger ferner nur für hoheitliches Handeln (für acta iure imperii) nicht dagegen für nicht-hoheitliches Handeln, sogenannte acta iure gestionis (s. nur MüKo-StGB/Ambos, Vor §§ 3-7 Rn. 123). Dabei ist der Begriff des hoheitlichen Handelns im völkerrechtlichen Sinne denkbar weit aufzufassen. Bei einem Staatspräsidenten etwa ist darunter jeder Akt zu verstehen, der dem Staat in Verfolgung seiner politischen Ziele zuzurechnen ist (OLG Köln NStZ 2000, 667). Völkerrechtlich ist ein rein funktionaler Maßstab anzulegen, so daß selbst Sabotageakte oder politische Morde gegebenenfalls als Amtshandlungen angesehen werden können (Folz, NStZ 1996, 576, 578). In Abgrenzung dazu sind acta iure gestionis beispielsweise das, was man im deutschen Recht als fiskalische Hilfsgeschäft bezeichnet, also den Erwerb von Büromaterial oder Dienstfahrzeugen.
Nach diesen Maßstäben ist das Handeln der Finanzbeamten klar als hoheitlich einzuordnen, denn sie handelten unmittelbar zur Erfüllung ihres Amtsauftrages Steuerfahndung. Funktionell ist der Ankauf der Steuersünder-CD nicht anders zu werten als etwa die Durchführung einer Durchsuchung in Deutschland. Auf die Einordnung nach deutschem Recht – ob also etwa der Ankauf privatrechtlich war oder nicht – kommt es nach den völkerrechtlichen Kriterien nicht an.
Im Grundsatz steht funktionelle Immunität der Strafverfolgung also zunächst entgegen.
Teleologische Grenzen der Staatenimmunität: Übergriffe auf die Souveränität eines anderen Staates
Allerdings könnte vorliegend eine teleologische Reduktion des Grundsatzes der Staatenimmunität vorzunehmen sein. Sinn und Zweck dieser ist es, die Souveränität des Staates, dessen Amtsträger gehandelt haben, zu schützen. Amtshandlungen aber, die ihrerseits die Souveränität eines anderen Staates zu verletzen, verdienen demnach keinen Schutz. So ist anerkannt, dass die Staatenimmunität der Verfolgung von Spionen des einen Staates – auch die Spionage kann eine Amtshandlung im völkerrechtlichen Sinne sein – durch den anderen Staat nicht entgegensteht. Das gilt jedenfalls, soweit die in Rede stehenden Handlungen im Hoheitsgebiet des anderen Staates vorgenommen wurden, aber nach verbreiteter Ansicht auch sonst (vgl. BGH NStZ 1993, 587 und Folz, NStZ 1996, 576, 578).
Vorliegend kommt demnach einen Ausnahme von dem Grundsatz der funktionellen Immunität insofern in Betracht als die Beschaffung der Steuersünder-Daten die Souveränität der Schweiz verletzte. Das hängt wiederum davon ab, wie sie genau vor sich ging.
Hätten die deutschen Behörden lediglich Daten, die man ihnen angeboten hat, gekauft, so stellt das M.E. kein Verletzung der Souveränität der Schweiz dar. Denn es ist letztlich eine Entscheidung Deutschlands, inwiefern man derartige Daten für verwertbar hält. Eine Verletzung der Schweizer Gebietshoheit liegt in dem Ankauf von Daten, die bereits außerhalb der Schweiz befindlich sind, jedenfalls nicht. Letztlich kann die Schweiz hier nicht in Anspruch nehmen, nur deshalb, weil die Daten aus ihrem Hoheitsbereich stammen, deren Schicksal ausschließlich bestimmen zu dürfen. Vielmehr hat Deutschland auch ein legitimes Interesse an Strafverfolgung, auch soweit die verfolgten Taten einen Auslandsbezug haben.
Anders sähe es aus, wenn die deutschen Fahnder die Beschaffung der Daten in der Schweiz in Auftrag gegeben oder sonstwie gesteuert hätten. Darin müsste man M.E. eine unzulässige Einwirkung auf den Hoheitsbereich der Schweiz sehen. Denn in diesem Fall wäre der von der Schweiz gezogene Vergleich zur Spionage durchaus treffend: Ob die Schweiz nur militärische Geheimnisse oder auch Bankdaten schützen möchte, ihre Entscheidung. Ein fremder Staat darf nicht bewußt auf dem Hoheitsgebiet eines anderen dessen Gesetzen (ich unterstelle, dass ein Verstoß gegen schweizer Recht vorliegt) zuwiderhandeln. Das verletzt M.E. dessen Gebietshoheit und verstößt damit gegen das Völkerrecht (vgl. Schünemann, NStZ 2008, 307; a.A. etwa Kaiser, NStZ 2011, 383, 384 mit Nachweisen zu beiden Ansichten). Ermittlungsmaßnahmen im Ausland können nur in Rahmen eines Rechtshilfeabkommens oder nach dem Recht des Staates, in dem sie stattfinden, zulässig sein.
Eine abschließend Bewertung kann freilich ohne vollständige Kenntnis des Sachverhaltes nicht erfolgen. Immerhin beschrieben nach einem Bericht der Süddeutschen v. 1.4.2012 („Wie die Schwarzgeld-CD zu den deutschen Steuerfahndern kam“) die schweizer Behörden das Vorgehen der deutschen Steuerfahnder so, dass sie die Daten von dem Täter je nach Bedarf „bestellt“ hätten – und sich dieser die Daten dann in der Schweiz beschafft haben soll. Sollte das zutreffen, ist das Vorgehen der schweizer Behörden jedenfalls nicht so abwegig, wie in der deutschen öffentlichen Diskussion teilweise Glauben gemacht wird.
Rechtfertigung als Gegenmaßnahme für „Beihilfe zur Steuerhinterziehung“ durch die Schweiz?
Als politische Rechtfertigung des Vorgehens der Steuerfahndung wird vorgebracht, letztlich ginge es nur darum, Steuerhinterziehung, welche durch die schweizer Gesetze begünstigt werde, zu verhindern. Lässt sich hieraus ein juristisches Argument im vorliegenden Kontext gewinnen?
Soweit das Handeln der deutschen Ermittlungsbeamten einen Verstoß gegen die schweizer Souveränität darstellt und damit völkerrechtswidrig war, kommt eine Rechtfertigung nur als sogenannte Repressalie in Betracht. Eine solche liegt vor, wenn eine völkerrechtswidrige Handlungen als Mittel der Selbsthilfe gegen einen einen vorherigen Völkerrechtsverstoß des Staates, gegen den die Maßnahme gerichtet ist, vorgenommen wird. Voraussetzung dafür ist freilich, dass das schweizer Steuerrecht gegen das Völkerrecht verstößt. Ob dies der Fall ist, entzieht sich meiner Kenntnis; jedenfalls erscheint das unwahrscheinlich. Eine Rechtfertigung wird damit wohl ausscheiden.
Besten Dank für diese Analyse. Endlich mal jemand der/die sich die Mühe macht, das ganze Wirrwarr übersichtlich darzustellen.
Sehr interessante Gedanken!