Eine der derzeit rechtspolitisch kontroversesten Vorschriften des Befristungsrechts ist erneut Gegenstand der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Mit seinem Urteil vom 23.1.2019 – 7 AZR 733/16 äußert sich das BAG nochmals zur Reichweite der sachgrundlosen Befristung nach § 14 Abs. 2 TzBfG – und vollzieht dabei eine klare Kehrtwende von seiner bisherigen Judikatur. Die Entscheidung ist nicht nur für die arbeitsrechtliche Praxis von höchster Bedeutung, denn auch im Examen können die Grundzüge des Individualarbeitsrechts abgeprüft werden. Kenntnisse zur Befristung von Arbeitsverträgen sollten deshalb zumindest überblicksartig bei jedem Kandidaten vorhanden sein. Aufgrund der Aktualität der Entscheidung gilt es deshalb umso mehr, sich mit der sachgrundlosen Befristung vertieft zu beschäftigen:
I. Befristung eines Arbeitsvertrags mit und ohne sachlichen Grund
Wollen Arbeitgeber und Arbeitnehmer keinen unbefristeten Arbeitsvertrag, der nach Ablauf der Wartezeit den Schutzbestimmungen des KSchG unterläge, abschließen, können sie das Beschäftigungsverhältnis auch für nur vorübergehende Zeit eingehen. Das Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) gibt in § 14 zwei Möglichkeiten vor: Nach § 14 Abs. 1 TzBfG kann der Arbeitsvertrag befristet werden, wenn hierfür ein sachlicher Grund besteht. § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 – 8 TzBfG enthält sodann einen nicht abschließenden Katalog an Gründen, die eine Befristung rechtfertigen können. Aus Arbeitgebersicht ist die Befristung mit sachlichem Grund in mehrerer Hinsicht problematisch: Zunächst bedarf es überhaupt eines anerkennenswerten Grundes für die Befristung. Der Arbeitgeber ist dabei für das Vorliegen eines solchen Grundes beweisbelastet. Wird der Vertrag befristet geschlossen und besteht jedoch tatsächlich kein Sachgrund, ordnet § 16 S. 1 Hs. 1 TzBfG an, dass der Vertrag als unbefristet geschlossen gilt. Das Gesetz ordnet also die Fiktion eines unbefristeten Beschäftigungsverhältnisses an. Mit anderen Worten: Sachgrundbefristungen gehen aus Arbeitgebersicht mit diversen Transaktions- und Prozessrisiken einher.
Um das Flexibilisierungsinteresse des Arbeitgebers dennoch angemessen zu berücksichtigen, sieht § 14 Abs. 2 TzBfG die Möglichkeit zur Vertragsbefristung ohne eines solchen Sachgrundes vor. Danach ist eine kalendermäßige Befristung eines Arbeitsvertrages ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes bis zur Dauer von zwei Jahren zulässig; bis zu dieser Gesamtdauer von zwei Jahren ist auch die höchstens dreimalige Verlängerung eines kalendermäßig befristeten Arbeitsvertrages möglich. § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG sieht allerdings eine Einschränkung dieses Instruments vor: Eine Befristung ohne sachlichen Grund ist nicht zulässig, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat. Entscheidend ist demzufolge das Kriterium der Vorbeschäftigung. War der Arbeitnehmer bereits im Unternehmen des Arbeitgebers (auf den einzelnen Betrieb kommt es nicht an) in der Vergangenheit tätig, kommt eine Befristung ohne Sachgrund nicht mehr in Betracht. Hierdurch sollen vor allem Befristungsketten vermieden werden. Auch weiß der Arbeitgeber bei einer Vorbeschäftigung bereits um die Person und Fähigkeiten des Arbeitnehmers. Die maßgebliche Frage ist indes: Was ist unter dem Begriff der Vorbeschäftigung zu verstehen? Und wie weit kann diese zurückliegen, um die Sperrwirkung des § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG auszulösen?
II. Bisherige Rechtsprechung des BAG / entgegenstehender Beschluss des BVerfG
Nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG ist der Begriff der Vorbeschäftigung rein zeitlich zu verstehen gewesen. Das Gericht nahm an, dass Arbeitsverhältnisse, die länger als drei Jahre zurückliegen, nicht das Verbot der sachgrundlosen Befristung nach § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG auslösen:
„Der Senat hat sich dabei insbesondere aus Gründen der Rechtssicherheit statt der ebenso in Betracht kommenden Anknüpfung an die Art und Dauer der Vorbeschäftigung für eine zeitliche Grenze entschieden, nach deren Überschreitung eine Vorbeschäftigung i. S. des § 14 II 2 TzBfG nicht mehr anzunehmen ist. Für die genaue Festlegung des zeitlichen Abstands zwischen dem Ende des vorangegangenen und dem Beginn des sachgrundlos befristeten Arbeitsverhältnisses war in erster Linie der Zweck des § 14 II 2 TzBfG, „Befristungsketten“ und den Missbrauch aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge zu verhindern, maßgeblich. Ein Zeitraum von drei Jahren erscheint geeignet, erforderlich und angemessen, der Missbrauchsverhinderung Rechnung zu tragen.“ (BAG v. 6.4.2011 – 7 AZR 716/09, NZA 2011, 905)
Das Gericht begründete diese Auslegung damit, dass eine schutzzwecküberschießende und die Berufsfreiheit unverhältnismäßig beschränkende Folge durch die zeitliche Eingrenzung vermieden werde. Ebenso nahm es eine Parallelwertung zur zivilrechtlichen Regelverjährung nach § 195 BGB vor. Auch dort werde durch die Grenzziehung bei drei Jahren vermieden, dass der Betroffene durch länger zurückliegende Lebenssachverhalte noch in Anspruch genommen wird. Diese Belange der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes seien auch für § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG maßgebend.
Dieser Auslegung schob das BVerfG im Jahr 2018 einen Riegel vor (Beschl. v. 6.6.2018 – 1 BvL 7/14 und 1 BvR 1375/14, NZA 2018, 774). Das Fachgericht ersetze das gesetzliche Regelungskonzept der nur einmaligen sachgrundlosen Befristung durch das Konzept einer wiederholt möglichen sachgrundlosen Befristung nach Einhaltung einer Karenzzeit, das den vom Gesetzgeber gewollten Ausschluss von Kettenbefristungen nicht verwirkliche. Die Grenzen verfassungskonformer Auslegung würden damit eindeutig überschritten. Das Verbot von Kettenbefristung sei durch die bisherige Handhabe der Norm konterkariert, zumal auch eine unzumutbare Beeinträchtigung der grundrechtlich geschützten Interessen der betroffenen Arbeitnehmer hierdurch nicht vermieden werde. Das Ergebnis ist eindeutig: Es bedarf einer neuen Entscheidung des BAG zur (verfassungskonformen) Auslegung des Vorbeschäftigungsbegriffs.
III. Kehrtwende im aktuellen Urteil vom 23.1.2019
Mit seinem Urteil vom 23.1.2019 erklärt der Siebte Senat des BAG nun ausdrücklich die aufgrund der Entscheidung des BVerfG angezeigte Kehrtwende von seiner bisherigen Rechtsprechung: Der Begriff der Vorbeschäftigung i.S.v. § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG könnenicht dahingehend ausgelegt werden, dass vergangene Beschäftigungsverhältnisse, die länger als drei Jahre zum Zeitpunkt des Abschlusses der Befristungsabrede zurückliegen, kategorisch nicht in den Anwendungsbereich der Vorschrift fallen. Die Grenzen vertretbarer Gesetzesauslegung würden hierdurch – entsprechend den Vorgaben des Verfassungsgerichts – überschritten, da der Gesetzgeber eine solche Karenzzeit erkennbar nicht regeln wollte. Damit steht zunächst fest, dass eine starre Begrenzung des Vorbeschäftigungsbegriffs auf eine absolute Zahl, die losgelöst von den Umständen des konkreten Beschäftigungsverhältnisses für alle Befristungen generell gelten soll, nicht (mehr) möglich ist. Allerdings geht das BAG nicht so weit, hieraus im Umkehrschluss zu folgern, dass sämtliche Vorbeschäftigungen, mögen sie auch noch so weit zurückliegen und inhaltlich vollkommen anders ausgestaltet gewesen sein, unter die Präklusionsvorschrift fallen:
„Allerdings können und müssen die Fachgerichte auch nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts durch verfassungskonforme Auslegung den Anwendungsbereich von § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG einschränken, soweit das Verbot der sachgrundlosen Befristung unzumutbar ist, weil eine Gefahr der Kettenbefristung in Ausnutzung der strukturellen Unterlegenheit der Beschäftigten nicht besteht und das Verbot der sachgrundlosen Befristung nicht erforderlich ist, um das unbefristete Arbeitsverhältnis als Regelbeschäftigungsform zu erhalten. Das Verbot der sachgrundlosen Befristung kann danach insbesondere unzumutbar sein, wenn eine Vorbeschäftigung sehr lang zurückliegt, ganz anders geartet war oder von sehr kurzer Dauer gewesen ist.“
Nach dem jetzigen Normverständnis des Gerichts bedarf es also keiner starren Karenzzeit, vielmehr muss neben der zeitlichen Prüfung des einzelnen Arbeitsverhältnisses auch ein inhaltlicher Abgleich der vergangenen und aktuellen Beschäftigung des Arbeitnehmers vorgenommen werden. Klarheit bringt das Urteil deshalb dahingehend, dass der Vorbeschäftigungsbegriff nicht sämtliche Beschäftigungen der Vergangenheit miteinbezieht. Andererseits liegt auf der Hand, dass durch die nunmehr vorgesehene Einzelfallprüfung deutlich mehr Rechtsunsicherheit für Arbeitgeber besteht. Letztlich kann diese nur reduziert werden, indem das BAG durch einzelfallbezogene Entscheidungen einen groben Orientierungsrahmen vorgibt; dies gilt insbesondere für die zeitliche Komponente der Befristungskontrolle. Der Entscheidung vom 23.1.2019 lag ein Fall zugrunde, in dem die Vorbeschäftigung des Arbeitnehmers acht Jahre zurücklag. Das BAG stellte fest, dass diese Zeitspanne nicht ausreiche, um von einer Vorbeschäftigung ausgehen zu können, die „sehr lang zurückliegt“. Im Ergebnis war das Befristungsverbot nach § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG deshalb im zu entscheidenden Rechtsstreit anwendbar.
IV. Zusammenfassung und Ausblick
Das Befristungsverbot bei Vorbeschäftigung nach § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG kann nicht als starre Karenzzeit von drei Jahren verstanden werden. Nach Auffassung des BAG bedarf es jedoch im Rahmen der verfassungskonformen Auslegung des Vorbeschäftigungsbegriffs einer an Sinn und Zweck der Norm orientierten Begrenzung. Dies läuft im Ergebnis auf eine zeitliche und inhaltsbezogene Gesamtwürdigung des individuellen Arbeitsverhältnisses hinaus, die angesichts der bislang noch fehlenden Konturierung durch die Fachgerichte zu erheblicher Rechtsunsicherheit führen wird. Abzuwarten bleibt, ob der Gesetzgeber auf die derzeitige Entwicklung in der Rechtsprechung reagieren wird. Da eine Reform der sachgrundlosen Befristung sowieso beabsichtigt ist, wäre eine gesetzgeberische Neuformulierung des Vorbeschäftigungsverbots sinnvoll und naheliegend.
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