Wir freuen uns, nachfolgend einen Gastbeitrag von Sören Hemmer veröffentlichen zu können. Der Autor hat Rechtswissenschaften an der Universität Bonn studiert und strebt nun das Referendariat an.
A. Einleitung
Gleich an mehreren Stellen konnte das kürzlich in Kraft getretene Cannabisgesetz (CanG, BGBl. 2024 Teil I Nr. 109) Anlass geben, sich mit Fragen des Staatsorganisationsrechts zu befassen. Das gilt zum einen für den „Klassiker“ des Prüfungsrechts des/der BundespräsidentIn (s. dazu schon Augel, Das Prüfungsrecht des Bundespräsidenten – und der Bundesratspräsidentin?), aber auch für den – in diesem Verfahren schließlich nicht einberufenen (BR-Plenarprotokoll 1042, S. 60 ff.) – Vermittlungsausschuss. ExamenskandidatInnen und Studierenden des Staatsorganisationsrechts sollte auch dieser Akteur, respektive Abschnitt des Gesetzgebungsverfahrens grundlegend bekannt sein (dazu u. B). Ferner stellen sich manche verfassungsrechtlichen Fragen, zu denen sich vertiefte Kenntnisse in der Klausur oder mündlichen Prüfung lohnen können (dazu u. C –E).
B. Der Vermittlungsausschuss im Überblick
Seine verfassungsrechtliche Grundlage findet der Vermittlungsausschuss in Art. 77 Abs. 2-3 GG, ohne dass sich diese Bezeichnung bereits aus der Verfassung ergibt (Kersten, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 77 (Stand: Jan. 2021) Rn. 31). Seinen Namen erhält der Vermittlungsausschuss vielmehr durch die GOVA, einer eigenen Geschäftsordnung, die vom Bundestag beschlossen wird und der Zustimmung des Bundesrats bedarf (Art. 77 Abs. 2 S. 2 GG).
In den Worten des Bundesverfassungsgerichts ist das Ziel seiner Arbeit
„ein konkretes Gesetzgebungsverfahren zu einem positiven Abschluss zu bringen […]. Dies soll dadurch erreicht werden, dass auf höherer politischer Ebene und unter übergeordneten Gesichtspunkten ein Interessenausgleich gesucht wird (vgl. Dehm, Stellung, Aufgaben und Bedeutung des Vermittlungsausschusses, Bulletin vom 12. Februar 1958, Nr. 29, S. 251 [252]). Der Vermittlungsausschuss ist insoweit die institutionelle Konsequenz der Grundentscheidung des Verfassungsgebers, an der Gesetzgebung im Bund mit dem Bundestag und dem Bundesrat zwei Entscheidungsträger konstitutiv zu beteiligen. Er öffnet das Gesetzgebungsverfahren in einer bestimmten Konstellation für institutionelle Verhandlungslösungen“
BVerfGE 112, 118 (137)
Ist das Zustandekommen eines Gesetzes nicht von der Zustimmung des Bundesrates abhängig, so kann der Bundesrat die Einberufung des Vermittlungsausschusses gemäß Art. 77 Abs. 2 S. 1 GG binnen 3 Wochen verlangen. Die Entscheidung hierzu steht im politischen Ermessen des Bundesrates, ist allerdings gemäß Art. 77 Abs. 3 S. 1 GG Voraussetzung für das Einlegen eines Einspruchs (Kersten, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 77 (Stand: Jan. 2021) Rn. 46; Dietlein, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, § 57 Rn. 19). Bedarf ein Gesetz hingegen der Zustimmung des Bundesrates, können auch der Bundestag und die Bundesregierung die Einberufung verlangen (Art. 77 Abs. 2 S. 4 GG). Die Dreiwochenfrist gilt – dem Wortlaut von Art. 77 Abs. 2 S. 1 GG nach – auch in diesem Fall für den Bundesrat (Mann, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 77 Rn. 10; Kment, in: Jarass/Pieroth, GG, 17. Aufl. 2022, Art. 77 Rn. 11; aA Wolff, in: Hömig/Wolff, GG, 13. Aufl. 2022, Art. 77 Rn. 9), kann aber nicht auf das Einberufungsverlangen des Bundestages und der Bundesregierung übertragen werden. Für sie kann nur die Pflicht zur Entscheidung in „angemessener Frist“ aus dem Prinzip der Organtreue hergeleitet werden (Mann, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 77 Rn. 12; Kment, in: Jarass/Pieroth, GG, 17. Aufl. 2022, Art. 77 Rn. 12; aA Stern, Staatsrecht Bd. II, 1980, § 37 III 7 b)). Das Recht, die Einberufung zu verlangen, steht jedem Verfassungsorgan nur ein Mal, dafür aber jeweils selbstständig zu. Maximal kann es also zu drei aufeinanderfolgenden Vermittlungsverfahren kommen (Mann, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 77 Rn. 13; Kersten, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 77 (Stand: Jan. 2021) Rn. 67; aA Willigmann, DÖV 1961, 370 (373 f.).
I. Inhalt des Einberufungsverlangens
Ein Einberufungsverlangen kann offen, das heißt ohne inhaltliche Spezifizierung gestellt werden. Es besteht auch keine Begründungspflicht. (Kersten, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 77 (Stand: Jan. 2021) Rn. 48, 50, 55, 57, 62, 64; Masing/Risse, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 77 Rn. 80; aA Dietlein, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, § 57 Rn. 27, der die offene Anrufung nur bei Bundestag und Bundesregierung für zulässig erachtet). Möglich ist aber auch eine Beschränkung auf Teile des Gesetzesbeschlusses, sodass dem Vermittlungsausschuss in seiner Tätigkeit auch nur diese eröffnet sind (Masing/Risse, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 77 Rn. 80; Kersten, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 77 (Stand: Jan. 2021) Rn. 48) oder die Formulierung eines bestimmten Vermittlungsziels. So kann der Bundesrat einen Antrag auf Änderung, Ergänzung oder Aufhebung des Gesetzesbeschlusses stellen (Kersten, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 77 (Stand: Jan. 2021) Rn. 48; Masing/Risse, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 77 Rn. 80 f.). Das Recht des Bundestages, die Einberufung zu verlangen, dient hingegen von vornherein nur der Verteidigung des eigenen Beschlusses. Mit einem Antrag auf Aufhebung würde er sich mit sich selbst in einen Widerspruch setzen. Ein Antrag kann daher nur auf die Verteidigung des Gesetzesbeschlusses, allenfalls mit gewissen Zugeständnissen der Modifikation, gerichtet sein (Kersten, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 77 (Stand: Jan. 2021) Rn. 55; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Hofmann/Henneke, GG, 15. Aufl. 2022, Art. 77 Rn. 34). Gleiches muss – mit eigener Begründung – auch für das Recht der Bundesregierung gelten. Zwar entspricht der Gesetzesbeschluss des Bundestages nicht unbedingt auch dem politischen Willen der Bundesregierung. Der Sinn des Vermittlungsverfahrens liegt jedoch in einer Lösung föderaler Konflikte zwischen dem Bundestag und dem Bundesrat, nicht in der Disziplinierung des Bundestages durch die Bundesregierung. Letztere muss somit automatisch „im Lager des Bundestages“ stehen, wenn sie die Einberufung des Vermittlungsausschusses verlangt (Kokott, in: Bonner Kommentar zum GG, Art. 77 (Stand: Mai 2014) Rn. 154; Kersten, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 77 (Stand: Jan. 2021) Rn. 60; Masing/Risse, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 77 Rn. 81; aA Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Hofmann/Henneke, GG, 15. Aufl. 2022, Art. 77 Rn. 34).
II. Nichtöffentlichkeit und Weisungsabhängigkeit
Mit der Einberufung tagen die je 16 vom Bundestag und Bundesrat entsendeten ständigen Mitglieder des Vermittlungsausschusses (vgl. §§ 1, 4 GOVA). Die Teilnahme anderer ist nur nach den §§ 3 S. 3, 5 f. GOVA möglich. Daraus folgt, dass der Vermittlungsausschuss nicht-öffentlich tagt (Masing/Risse, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 77 Rn. 92). Das ist zwar verfassungsrechtlich nicht völlig unproblematisch, denn Öffentlichkeit ist ein wesentliches Element des demokratischen Parlamentarismus (s. Art. 42 Abs. 1 S. 1; BVerfGE 150, 345 (369)), mit Blick auf den Zweck der effizienten Kompromissfindung im vertraulichen Kreis des in Art. 77 Abs. 2 S. 1 GG ausdrücklich vorgesehenen Vermittlungsausschusses prinzipiell aber nicht zu beanstanden (BVerfGE 120, 56 (74); 125, 104 (124); Masing/Risse, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 77 Rn. 92; Wolff, in: Hömig/Wolff, GG, 13. Aufl. 2022, Art. 77 Rn. 8; krit. Kokott, in: Bonner Kommentar zum GG, Art. 77 (Stand: Mai 2014) Rn. 136 ff.). Beschlüsse werden mit der Mehrheit der anwesenden Mitglieder gefasst (§ 8 GOVA, die Beschlussfähigkeit ergibt sich aus § 7 GOVA). Die Mitglieder des Vermittlungsausschusses sind an Weisungen, insbesondere der entsendenden Organe, nicht gebunden. Für die Bundesratsbank wird dies in Art. 77 Abs. 2 S. 3 GG bestimmt, die Weisungsfreiheit der entsendeten Bundestagsabgeordneten folgt bereits aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG (Brosius-Gersdorf, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2015, Art. 77 Rn. 37; Kokott, in: Bonner Kommentar zum GG, Art. 77 (Stand: Mai 2014) Rn. 99).
III. Abschluss des Verfahrens
Am Ende des Verfahrens im Vermittlungsausschuss kann ein Einigungsvorschlag stehen. Empfohlen werden kann die Bestätigung (§ 11 S. 1 GOVA), Änderung (Art. 77 Abs. 2 S. 5, Abs. 2a GG; § 10 Abs. 1 S. 1 GOVA) oder Aufhebung (§ 10 Abs. 1 S. 1 GOVA) des Gesetzesbeschlusses (Kersten, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 77 (Stand: Jan. 2021) Rn. 82). Gemäß § 12 GOVA kann ein Verfahren aber auch ohne Einigungsvorschlag abgeschlossen werden, wenn ein solcher keine Mehrheit findet. Ferner verliert der Vermittlungsausschuss mit dem Zusammentritt eines neuen Bundestages seine Beschlussfähigkeit (Art. 39 Abs. 1 S. 2 GG iVm § 7 Abs. 3 GOVA) – zumindest insoweit wirkt also der Diskontinuitätsgrundsatz (Brosius-Gersdorf, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2015, Art. 77 Rn. 42; Kment, in: Jarass/Pieroth, GG, 17. Aufl. 2022, Art. 77 Rn. 9; zumindest in seiner personellen Zusammensetzung nach Hasselsweiler, Der Vermittlungsausschuß, 1981, S. 72 f.; keine Geltung, sondern nur Ausstrahlwirkung des Diskontinuitätsgrundsatzes nach Axer, Kompetenz des Vermittlungsausschusses, 2010, S. 66 ff.).
IV. Fortsetzung des Gesetzgebungsverfahrens
Ist das Verfahren im Vermittlungsausschuss beendet, richtet sich der Gang des weiteren Gesetzgebungsverfahrens nach dem dortigen Ausgang. Wird die Bestätigung des Gesetzesbeschlusses vorgeschlagen oder konnte kein Einigungsergebnis gefunden werden, liegt es beim Bundesrat, binnen einer angemessenen Frist über die Zustimmung Beschluss zu fassen (Art. 77 Abs. 2a GG), respektive binnen zwei Wochen Einspruch einzulegen (Art. 77 Abs. 3 GG). Schlägt der Vermittlungsausschuss die Änderung oder Aufhebung des Gesetzesbeschlusses vor, muss der Bundestag erneut Beschluss fassen (vgl. Art. 77 Abs. 2 S. 5 GG; § 10 Abs. 1 S. 1 GOVA; Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, 7. Aufl. 2021, Art. 77 Rn. 28). Er unterliegt hier keiner festen, jedoch einer angemessenen Frist (s. § 10 Abs. 1 S. 1 „alsbald auf die Tagesordnung“; Brosius-Gersdorf, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2015, Art. 77 Rn. 39 mwN zum Grundsatz der Verfassungsorgantreue). In der Sache ist der Bundestag frei, die Änderung bzw. Aufhebung anzunehmen oder abzulehnen. Er soll aber keine Gelegenheit erhalten, Teile des gefundenen Kompromisses wieder aus diesem herauszulösen, sodass Anträge zur Sache gemäß § 10 Abs. 2 S. 3 GOVA nicht zulässig sind (Masing/Risse, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 77 Rn. 94; Dietlein, in: Epping/Hillgruber, GG, 56. Ed. 15.08.2023, Art. 77 Rn. 44; krit. Kersten, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 77 (Stand: Jan. 2021) Rn. 89; s. noch u. E. II.).
V. Rechtsnatur des Vermittlungsausschusses
Bei alldem noch nicht völlig geklärt ist, welche Rechtsnatur dem Vermittlungsausschuss zukommen soll. Einerseits handelt es sich hier nicht bloß um eine Untergliederung eines Verfassungsorgans, denn der Vermittlungsausschuss steht gerade zwischen dem Bundestag und dem Bundesrat. Andererseits ist der Vermittlungsausschuss nur begrenzt selbstständig – etwa besteht gemäß Art. 77 Abs. 2 S. 2 GG keine Geschäftsordnungsautonomie (Kokott, in: Bonner Kommentar zum GG, Art. 77 (Stand: Mai 2014) Rn. 99 mwN auch zum Streitstand; s. diesbezüglich auch Masing/Risse, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 77 Rn. 65 mwN). Das Bundesverfassungsgericht konnte dieser Frage bislang aus dem Weg gehen, indem es iRd Zulässigkeitsprüfung eines Organstreits den Vermittlungsausschuss jedenfalls als anderen Beteiligten iSv Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG anerkannte (BVerfGE 140, 115 (139)). Für die Praxis ist diese Bestimmung daher kaum bedeutsam (Dietlein, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, § 57 Rn. 9).
C. Besetzung des Vermittlungsausschusses
I. Parität zwischen den Bänken
Der Vermittlungsausschuss besteht gemäß Art. 77 Abs. 2 S. 1 GG aus Mitgliedern des Bundestages und des Bundesrates. § 1 GOVA sieht vor, dass der Bundestag und der Bundesrat je 16 Mitglieder entsenden. Bestimmt ist damit eine zwischen den entsendenden Verfassungsorganen paritätische Besetzung des Vermittlungsausschusses. Ob dies auch verfassungsrechtlich geboten ist, wird unterschiedlich beurteilt. Teilweise wird vertreten, Parität sei im Zweck des Vermittlungsausschusses angelegt, denn ein Ausgleich zwischen Bundestag und Bundesrat setze eine zahlenmäßig gleiche Stärke auf beiden Seiten voraus (Masing/Risse, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 77 Rn. 67; Dietlein, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, § 57 Rn. 3; siehe auch Kment, in: Jarass/Pieroth, GG, 17. Aufl. 2022, Art. 77 Rn. 10, der die paritätische Besetzung vom Zweck her als naheliegend, aber nicht verfassungsrechtlich geboten erachtet). Dem wird entgegengehalten, dass die Mitglieder des Vermittlungsausschusses ohnehin nicht an Weisungen des entsendenden Organs gebunden sind und die Beteiligung von Bundestag und Bundesrat im Gesetzgebungsverfahren auch ansonsten nicht „symmetrisch“, sondern erheblich zugunsten des Bundestages gewichtet ist (Kersten, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 77 (Stand: Jan. 2021) Rn. 35; ebenso Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Hofmann/Henneke, GG, 15. Aufl. 2022, Art. 77 Rn. 19). Zum einen aber konfligiert die konkrete Ungebundenheit der Mitglieder nicht mit dem Gedanken paritätischer Vertretung der Perspektiven aus dem Bundestag und aus dem Bundesrat (vgl. BVerfGE 112, 118 (138): „Im Vermittlungsausschuss verhandeln nicht die Mehrheit des Bundestages mit einer politischen Mehrheit der Länder, sondern der Bundestag mit dem Bundesrat“). Zum anderen kann nicht ohne Weiteres von der insgesamt schwächeren Stellung des Bundesrates im Gesetzgebungsverfahren auf eine Schwäche auch dort, wo eine Mitwirkung ausdrücklich vorgesehen ist, geschlossen werden (vgl. Dietlein, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, § 57 Rn. 3).
II. Besetzung der Bänke
Wie die einzelnen Bänke zu besetzen sind, wird nicht in der GOVA, sondern in der GOBT und der GOBR geregelt. Der besondere Auftrag des Art. 77 Abs. 2 S. 2 GG der Regelung der Zusammensetzung in einer vom Bundestag beschlossenen Geschäftsordnung, der der Bundesrat zugestimmt hat, ist insofern eng zu verstehen (Kersten, in Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 77 (Stand: Jan. 2021) Rn. 36; aA Burghart, DÖV 2005, 815 (816 ff.)).
1. Die Bundesratsbank
Für die Bundesratsbank kommt aus verfassungsrechtlicher Sicht sowohl eine Verteilung nach dem Stimmengewicht der Länder (vgl. Art. 51 Abs. 2 GG), als auch nach dem Prinzip der Staatengleichheit in Betracht (BVerfGE 112, 118 (142 f.); Kersten, in Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 77 (Stand: Jan. 2021) Rn. 36; Sannwald, in Schmidt-Bleibtreu/Klein/Hofmann/Henneke, GG, 15. Aufl. 2022, Art. 77 Rn. 20). § 11 Abs. 2 GOBR sieht letzteres vor (Kersten, in Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 77 (Stand: Jan. 2021) Rn. 36).
2. Die Bundestagsbank
a) Das Spiegelbildlichkeitsprinzip
Kontroverser diskutiert werden – zumindest im Einzelnen – die verfassungsrechtlichen Anforderungen der Besetzung der Bundestagsbank des Vermittlungsausschusses. Gemäß §§ 54 Abs. 2, 12, 57 GOBT benennen die Fraktionen die Mitglieder des Ausschusses entsprechend ihrem Stärkeverhältnis zu einander. Dem liegt der Grundsatz der Gleichheit der Abgeordneten gemäß Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG zugrunde. Danach haben alle Abgeordneten das Recht auf gleiche Teilhabe an den parlamentarischen Aufgaben. Wo diese Teilhabe – etwa durch Wahrnehmung in einem verkleinerten Gremium – zu einem endlichen Gut wird, treten die Abgeordnetenrechte in Konflikt mit einander. Es gilt eine Ausgestaltung zu finden, die der relativen Gleichheit der Abgeordnetenrechte Rechnung trägt (BVerfGE 80, 188 (218 f.); Magiera, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 38 Rn. 58; Butzer, in: Epping/Hillgruber, GG, 57. Ed. 15.01.2024, Art. 38 Rn. 158). Hier werden dann die Fraktionen als freiwillige Zusammenschlüsse der Abgeordneten herangezogen. Eine spiegelbildliche Verteilung der Sitze nach ihrem Stärkeverhältnis im Plenum kann die Gleichheit im Zugang unter den Abgeordneten erhalten (BVerfGE 130, 318 (354); Klein/Schwarz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 38 (Stand: Jan. 2021) Rn. 283; zu Folgefragen der Behandlung fraktionsloser Abgeordneter und von Gruppen, die keine Fraktionsstärke erreichen s. BVerfGE 80, 188 (221 ff.); 84, 304 (323 f.)). Entsprechende Erwägungen sind auch für den Vermittlungsausschuss anzustellen (BVerfGE 112, 118 (133); Trute, in: v. Münch/Kunig, GG, 7. Aufl. 2021, Art. 38 Rn. 132).
b) Reichweite und Grenzen des Prinzips
Ist die Ableitung des Spiegelbildlichkeitsprinzip für Ausschüsse und ähnliche Gremien aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG weitgehend unbestritten (siehe aber Payandeh, VVDStRL 2022, S. 171 ff.), bieten Fragen der Reichweite und Grenzen dieses Prinzips nach wie vor erhebliches Streitpotenzial. Speziell hinsichtlich des Vermittlungsausschusses ist zweierlei in den Blick zu nehmen: Zum einen soll die Spiegelbildlichkeit nur für den Vermittlungsausschuss als solchen, nicht aber für dessen Untergliederungen gelten. Zwar werde hier die Willensbildung im Vermittlungsausschuss bereits vorgeformt, dieser Prozess entspreche aber der spezifischen Arbeitsweise im Vermittlungsausschuss, die auf die effiziente Erarbeitung eines Kompromisses gerichtet ist. Hier könne es legitim sein, in Vorbereitung einer Beschlussfassung Gremien zu bilden, die sich nach anderen Kriterien als der Spiegelbildlichkeit zusammensetzen (BVerfGE 140, 115 (154 ff.); krit. Hillgruber, JA 2016, S. 156 (157 f.)).
Zum anderen ist fraglich, inwieweit die Spiegelbildlichkeit nach Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG durch gegenläufiges Verfassungsrecht eingeschränkt werden kann. Ein solcher potenzieller Konflikt wird insbesondere mit der Funktionsfähigkeit des Parlaments und dem Mehrheitsprinzip gemäß Art. 42 Abs. 2 S. 1 GG gesehen: Die Stärkeverhältnisse der Fraktionen im Plenum in einem kleineren Gremium exakt spiegelbildlich abzubilden ist ein praktisch kaum erreichbares Ideal. Eine gewisse Verzerrung ist so regelmäßig unausweichlich, sodass es gerade bei knappen Mehrheiten dazu kommen kann, dass diese bei der Sitzverteilung in einem kleineren Gremium nach einem bestimmten Schlüssel nicht mehr widergespiegelt werden (Kokott, in: Bonner Kommentar zum GG, Art. 77 (Stand: Mai 2014) Rn. 97). Dieser Problematik kann der Bundestag zumeist begegnen, indem er die Gesamtzahl der Sitze in einem Gremium so weit erhöht, dass die Mehrheitsfraktionen des Plenums auch hier die Mehrheit bilden können. Für den Vermittlungsausschuss ist ihm das jedoch zumindest nicht ohne Weiteres möglich, denn eine entsprechende Veränderung der GOVA bedürfte auch der Zustimmung des Bundesrates (Kersten, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 77 (Stand: Jan. 2021) Rn. 38; eine Erhöhung der Sitzzahl prinzipiell ausschließend Kokott, in: Bonner Kommentar zum GG, Art. 77 (Stand: Mai 2014) Rn. 98). In dieser Lage entschied das Bundesverfassungsgericht, dass Abweichungen vom Prinzip der Spiegelbildlichkeit in einem begrenzten Umfang gerechtfertigt seien, wenn im verkleinerten Gremium nur dadurch Sachentscheidungen ermöglicht werden, die eine realistische Aussicht haben, mit dem Willen einer im Plenum bestehenden politischen „Regierungsmehrheit“ übereinzustimmen. Gefordert sei ein schonender Ausgleich zwischen Spiegelbildlichkeits- und Mehrheitsprinzip, wobei allerdings Funktion und Aufgaben des Vermittlungsausschusses keine zwingende Ausrichtung der Besetzung am Mehrheitsprinzip in einem Umfang fordern, dem der Grundsatz der Spiegelbildlichkeit zu weichen hätte (BVerfGE 112, 118 (Ls.; 140 ff.)).
Teilweise wird bemängelt, es werde mit dieser Rechtsprechung ein Antagonismus zwischen dem Spiegelbildlichkeits- und Mehrheitsprinzip eröffnet, der gar nicht existiere. Richtig verstanden könne spiegelbildlich von vornherein nur sein, was die Mehrheitsverhältnisse im Plenum abbildet. Die Prinzipien seien so nicht in eine Abwägung einzustellen, sondern gehen in einander auf (Kersten, in: Dürig/Hezog/Scholz, GG, Art. 77 (Stand: Jan. 2021) Rn. 41; wohl auch Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, 7. Aufl. 2021, Art. 77 Rn. 21; vgl. BVerfGE 112, 118 (153 ff. –abwM Lübbe-Wolf), die einen Konflikt grds. anerkennt, aber beide Teilziele der Abbildung der relativen Fraktionsstärken und der Mehrheit auf das Spiegelbildprinzip zurückführt). Damit wird allerdings übergangen, dass der Grundsatz spiegelbildlicher Repräsentation seine Grundlage in der Gleichheit der Abgeordneten gemäß Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG findet. Eine Differenzierung nach Zugehörigkeit zu einer Mehrheit ist dem gerade nicht inhärent (Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Hofmann/Henneke, GG, 15. Aufl. 2022, Art. 77 Rn. 21; ebenso Kokott, in: Bonner Kommentar zum GG, Art. 77 (Stand: Mai 2014) Rn. 94).
Dem Bundesverfassungsgericht ist somit zu folgen, wenn es zwischen Spiegelbildlichkeit und Mehrheit differenziert und ein Konfliktpotenzial erkennt (so auch Brosius-Gersdorf, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2015, Art. 77 Rn. 35; Kokott, in: Bonner Kommentar zum GG, Art. 77 (Stand: Mai 2014) Rn. 94;). Fraglich ist dann, wie dieser Konflikt aufzulösen ist. Denkbar ist, auf den Verfahrensabschnitt zu blicken, in welchem der Vermittlungsausschuss auftritt. So könnte zwischen dem Vermittlungsausschuss und anderen Ausschüssen zu differenzieren sein. Während die Aufgabe letzterer in der Vorbereitung eines Gesetzesbeschlusses des Bundestages besteht, liegt ein solcher bei Einberufung des Vermittlungsausschusses bereits vor. Es könnte so weniger um die Erhaltung einer politischen Pluralität bei einer internen Entscheidung bzw. Entscheidungsvorbereitung gehen, sondern vielmehr um die Vertretung des Bundestages nach außen in der Sache einer bestimmten Mehrheitsentscheidung. Mit dieser Argumentation müsste dann das Mehrheitsprinzip überwiegen (Möllers, Jura 2010, 401 (404), wobei die gebotene Beachtung des Mehrheitsprinzips nicht zu einer bestimmten Zusammensetzung der Bundestagsbank, sondern der Respektierung der Mehrheitsentscheidung des Bundestages über die Zusammensetzung führen soll; iE ähnlich BVerfGE 112, 118 (148 ff. – abwM. Osterloh/Gerhardt), die die Geschäftsautonomie hervorheben). Die besseren Argumente sprechen jedoch dafür, das Spiegelbildlichkeitsprinzip im Ergebnis stärker zu gewichten. Ziel des Vermittlungsverfahrens ist das Finden eines Kompromisses und damit einer „neuen Mehrheit“ in einem neuen politischen Kontext (BVerfGE 112, 118 (145); Masing/Risse, in: v. Mangoldt/Klein/Risse, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 77 Rn. 68; krit. BVerfGE 112, 118 (155 f. – abwM Lübbe-Wolf)). Hier verliert sich die Mehrheit im Bundestag auch insofern, als im Vermittlungsausschuss nicht etwa nach Bänken, sondern im Gesamtgremium abgestimmt wird (BVerfGE 112, 118 (144); Masing/Risse, in: v. Mangoldt/Klein/Risse, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 77 Rn. 68). Weiter ist die Mehrheitsfindung iSe Einigungsvorschlags auch kein zwingender Ausgang des Vermittlungsverfahrens (vgl. § 12 GOVA; BVerfGE 112, 118 (144); Masing/Risse, in: v. Mangoldt/Klein/Risse, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 77 Rn. 68; Kokott, in: Bonner Kommentar zum GG, Art. 77 (Stand: Mai 2014) Rn. 95). In diese Richtung deutet wohl auch die Entscheidung der Senatsmehrheit (vgl. BVerfGE 112, 118 (141 f.); Masing/Risse, in: v. Mangoldt/Klein/Risse, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 77 Rn. 68).
In diesem Rahmen ist zwar anzuerkennen, dass das Grundgesetz dem Bundestag (unter Zustimmung des Bundesrates) die Gestaltung der Zusammensetzung gemäß Art. 77 Abs. 2 S. 2 GG aufgetragen hat. Dieser Auftrag und die damit einhergehende Freiheit steht aber durchaus im Lichte der weiteren Verfassung – eine Betonung der Gestaltungsautonomie kann nicht so weit gehen, dass andere Vorgaben der Verfassung, wie die Wahrung von Mitwirkungsrechten nach Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG, überwunden werden können.
D. Unsicherheit über die richtige Verfahrensvariante
Die Handlungsmöglichkeiten des Bundesrates unterscheiden sich, wie dargelegt, je nachdem, ob ein Beschluss zu einem Einspruchs- oder Zustimmungsgesetz zugeleitet wird. Will der Bundesrat sich einem Beschluss entgegenstellen, so muss er in ersterem Fall zunächst die Einberufung des Vermittlungsausschusses verlangen und das Vermittlungsverfahren abwarten, bevor er Einspruch einlegen kann. Die Zustimmung kann hingegen ohne Weiteres verweigert werden. Das vorherige Einberufungsverlangen durch den Bundesrat ist hier optional (Dietlein, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, § 57 Rn. 19). Dass eine Nicht-Zustimmung nicht in ein Einberufungsverlangen umgedeutet werden kann, dürfte mittlerweile anerkannt sein (Kment, in: Jarass/Pieroth, GG, 17. Aufl. 2022, Art. 77 Rn. 11; Kersten, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 77 (Stand: Jan. 2021) Rn. 49; aA noch v Mangoldt/Klein, GG, 2. Aufl. 1966, Art. 78 Anm. IV 2 d).
Umstritten ist jedoch, ob der Bundesrat gerade zur Klärung diesbezüglicher Uneinigkeiten oder Unsicherheiten die Einberufung des Vermittlungsausschusses verlangen kann (so Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Hofmann/Henneke, GG, 15. Aufl. 2022, Art. 77 Rn. 36; Brosius-Gersdorf, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2015, Art. 77 Rn. 32). Dagegen spricht, dass die Kategorisierung von Einspruchs- und Zustimmungssachen von der Verfassung vorgegeben und somit nicht verhandelbar ist (Kersten, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG Art. 77 (Stand: Jan. 2021) Rn. 49; Masing/Risse, in: v. Mangoldt/Klein/Risse, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 77 Rn. 84).
E. Grenzen des Vermittlungsvorschlags
Noch immer nicht abschließend geklärt ist, welche formalen und inhaltlichen Grenzen sich dem Vermittlungsausschuss hinsichtlich seines Vermittlungsvorschlags stellen (In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für geklärt erachtet, BVerfGE 125, 104 (121); s. aber Kritik in der Literatur u.a. bei Kersten, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 77 (Stand: Jan. 2021) Rn. 86 f.; Masing/Risse, in: v. Mangoldt/Klein/Risse, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 77 Rn. 87 f.). Der Streit entfacht sich dabei im Austarieren konfligierenden Verfassungsrechts in folgendem Spannungsfeld:
Einerseits ist die institutionalisierte Vermittlung zwischen Bundestag und Bundesrat einschließlich der Möglichkeit, Änderungen an einem Gesetzesbeschluss vorzunehmen, ausdrücklich in Art. 77 Abs. 2 (S. 5) GG vorgesehen. Andererseits aber wird der Vermittlungsausschuss nicht in der Liste der Gesetzesinitiativberechtigten in Art. 76 Abs. 1 GG geführt. Ferner kommt dem Vermittlungsausschuss zwar keine Entscheidungskompetenz zu, eine offene Debatte über etwaige Änderungen zum ursprünglichen Gesetzesbeschluss findet im Bundestag gemäß § 10 Abs. 2 GOVA allerdings nicht statt. Somit können die Rechte von Abgeordneten gemäß Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG beeinträchtigt werden, wenn dem Parlament keine Möglichkeit zukommt, Regelungsgegenstände zu erörtern. Das ist auch hinsichtlich Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG problematisch, wenn Regelungen nur in einem nichtöffentlichen Rahmen verhandelt werden und so auch der demokratischen Kontrolle (Art. 20 Abs. 2 GG) entzogen sind. Schließlich muss die Kompetenzverteilung im Verhältnis zwischen den Gesetzgebungsorganen gewahrt werden: Diesfällig ist die zentrale Rolle des Bundestages (Art. 77 Abs. 1 S. 1 GG) gegenüber der bloßen Mitwirkung des Bundesrates (Art. 50 GG) anzuerkennen, zumal letztere – jenseits des Einflusses im Vermittlungsausschuss – nur nichtgestaltender Art ist (BVerfGE 120, 56 (73 ff.); 125, 104 (121 ff.) mwN; Kokott, in: Bonner Kommentar zum GG, Art. 77 (Stand: Mai 2014) Rn. 111, 118; Masing/Risse, in: v. Mangoldt/Klein/Risse, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 77 Rn. 87).
I. Entwicklung der Rechtsprechung des BVerfG
Das Bundesverfassungsgericht hat seine Rechtsprechung zu dieser Frage mit der Zeit verschärft (Kersten, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG Art. 77 (Stand: Jan. 2021) Rn. 85).
In früheren Entscheidungen hob es maßgeblich auf einen Sachzusammenhang zwischen dem Einigungsvorschlag und dem Gesetzesbeschluss des Bundestages ab, wobei der „Spielraum für Alternativ- und Ergänzungsvorschläge umso weiter [sei], je umfassender die Materie und das Regelungsziel sind.“ Nur geringe Beschränkungen konnten so etwa für heterogene Artikelgesetze bestehen (BVerfGE 72, 176 (188 ff.); bestätigend BVerfGE 78, 249 (271)). Ab 1999 ist derweil eine andere Linie in der Rechtsprechung zu beobachten. Nunmehr wird die durch einen zu weitgreifenden Beschlussvorschlag des Vermittlungsausschusses drohende „Entparlamentarisierung der Gesetzgebung“ betont (vgl. BVerfGE 101, 297 (306 f.); 120, 56 (75); 125, 104 (122)). Der Vorschlag soll:
„eine Brücke zwischen schon in den Gesetzgebungsorganen erörterten Alternativen schlagen, ohne eine – dem Vermittlungsausschuss nicht zustehende – Gesetzesvorlage einzubringen (Art. 76 Abs. 1 GG), das Gesetzgebungsverfahren in der parlamentarischen Demokratie zu verkürzen oder die Gesetzgebungszuständigkeiten und Verantwortlichkeiten zu verfälschen. Der Bundestag muß den Vermittlungsvorschlag auf der Grundlage seiner Debatte über ihm vorliegende Anträge und Stellungnahmen als ein ihm zuzurechnendes und von ihm zu verantwortendes Ergebnis seines parlamentarischen Verfahrens erkennen und anerkennen können. Der Vermittlungsvorschlag ist deshalb in dem Rahmen gebunden, der nach den bisherigen Beratungen im Bundestag inhaltlich und formal vorgezeichnet ist. […] Der Vermittlungsausschuß darf hingegen keinen Vorschlag unterbreiten, der außerhalb der bisherigen Auffassungsunterschiede im Parlament oder der bisherigen Gegenläufigkeit zwischen Bundestag und Bundesrat bleibt“
BVerfGE 101, 297 (307 f.); ähnlich BVerfGE 120, 56 (75 f.); 150, 204 (229 ff.)
Das Anrufungsbegehren soll diesen Rahmen zwar weiter begrenzen, nicht jedoch erweitern können (BVerfGE 101, 297 (307)), der Vermittlungsvorschlag müsse dem Bundestag aufgrund der dort zu führenden parlamentarischen Debatte zurechenbar sein (BVerfGE 120, 56 (76); 125, 104 (122)). Damit schiebt das Bundesverfassungsgericht der Heranziehung von „neuem Material“, auch aus anderen Gesetzgebungsverfahren, einen Riegel vor (so auch Kokott, in: Bonner Kommentar zum GG, Art. 77 (Stand: Mai 2014) Rn. 129). Doch auch bezüglich des Verbleibenden soll nicht jeder, sondern nur ein mit Blick auf Art. 38 Abs. 1 S. 2, 42 Abs. 1 S. 1, 20 Abs. 2 GG hinreichend qualifizierter Konnex zum bisherigen Gesetzgebungsverfahren genügen: In der Entscheidung über eine Verfassungsbeschwerde, die sich mittelbar gegen § 45a Abs. 2 PBefG a.F. (Art. 24 HBeglG 2004, BGBl. 2003 Teil I Nr. 68, S. 3091) richtete, erkannte das Bundesverfassungsgericht, dass das sog. „Koch/Steinbrück-Papier“ – ein von einer Arbeitsgruppe unter der Leitung der Ministerpräsidenten von Hessen und Nordrhein-Westfahlen erarbeitetes Programm – nicht in einer Weise im Bundestag behandelt wurde, die dem Vermittlungsausschuss die Kompetenz geben würde, eine Änderung des PBefG iSd Art. 24 HBeglG 2004 in dem Vermittlungsvorschlag zu berücksichtigen. Insofern handele es sich bei dem Papier um eine Vielzahl wenig konkretisierter Vorschläge, die durch die Übergabe, Vorstellung und Behandlung in den Ausschüssen keine dieses Defizit ausräumende Konkretisierung erfahren haben. Das Papier wurde in der Beschlussempfehlung des federführenden Haushaltsausschusses nicht berücksichtigt und habe im Plenum nur eine oberflächliche Erwähnung erfahren. Deshalb müsse davon ausgegangen werden, dass die Tragweite der einzelnen Posten des Papiers den Abgeordneten nicht bewusst war oder sein konnte. Unbeachtlich seien insoweit die Presseberichterstattung über das Papier, dessen Verfügbarkeit im Internet und ob es allen Abgeordneten zur Verfügung gestellt wurde. Entscheidend sei, ob die Abgeordneten aufgrund des Gesetzgebungsverfahrens im Bundestag Anlass gehabt haben, sich mit dem Inhalt des Papiers zu befassen (BVerfGE 125, 104).
Eine Korrektur offensichtlicher Unrichtigkeiten des Gesetzesbeschlusses sei hingegen auch jenseits der so gesteckten Grenzen zulässig, soweit damit nicht der rechtliche Gehalt der Norm und mit ihm seine Identität angetastet werde (BVerfGE 150, 345 (371)).
Bei alldem fordere die Rechtssicherheit, dass ein Mangel im Gesetzgebungsverfahren nur dann zur Nichtigkeit des Gesetzes führt, wenn dieser evident ist (BVerfGE 120, 56 (79); 125, 104 (132)).
II. Kritik
Die hinter der Verengung der Grenzen des Vermittlungsvorschlags in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stehende legitimatorische Problematik eines zu weitreichenden Vermittlungsvorschlags leuchtet, mit Blick auf Art. 38 Abs. 1 S. 2, 42 Abs. 1 S. 1, 76 Abs. 1 GG, ein. Kritik erfährt das Bundesverfassungsgericht vielmehr dahingehend, dass es die – ebenfalls verfassungsrechtlich verankerte – institutionalisierte Vermittlung in diesem Stadium des Gesetzgebungsverfahrens nicht hinreichend berücksichtige (Masing/Risse, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 77 Rn. 88; Kersten, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 77 (Stand: Jan. 2021) Rn. 86). Das Einigungsziel könne nicht durch die bloße Neukombination bereits „verbrauchter“ Elemente erreicht werden, vielmehr sei dem in Art. 77 Abs. 2 GG angelegten Kompromiss auch das Beschreiten neuer Wege durch kreative Eigeninitiative inhärent (Cornils, DVBl 2002, 497 (500); Kersten, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 77 (Stand: Jan. 2021) Rn. 86). Alles andere verkenne auch das Wesen des Vermittlungsausschusses als Forum der Auseinandersetzung mit föderalen Gegensätzen. Die neue Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mache den Bundesrat, insbesondere bei Gesetzesinitiativen aus der Mitte des Bundestages (vgl. Art. 76 Abs. 2 GG), nur zum „verlängerten Arm der Bundestagsopposition“ (Masing/Risse, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 77 Rn. 88). Im Übrigen werde das Verfahren im Bundestag überfrachtet und die Auffassungsgabe der einzelnen Abgeordneten idealisiert. Es entspreche nicht einem realistischen Bild des Parlaments, dass sämtliche Abgeordnete Kenntnis über sämtliche parlamentarische Vorgänge besitzen, vielmehr wirke der Bundestag aufgrund der Fülle an Aufgaben notwendig arbeitsteilig (vgl. BVerfGE 130, 318 (348)). Schon jetzt bestehe ein „information overload“ für die einzelnen Abgeordneten, der sich nur noch verschärfen werde, wenn sämtliche denkbaren Verhandlungsergebnisse mit Blick auf ein etwaiges Vermittlungsverfahren bereits im Bundestag in einer Weise thematisiert werden müssten, die deren politische Relevanz den einzelnen Abgeordneten hinreichend vor Augen führt (Kersten, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 77 (Stand: Jan. 2021) Rn. 86; Möllers, Jura 2010, 401 (406)).
Vor diesem Hintergrund werden in der Literatur verschiedene Lösungen angeboten. Im Bereich der Rechtsanwendung wird vorgeschlagen, die verfassungsgerichtliche Prüfung auf eine Missbrauchskontrolle zu beschränken. Ein Vermittlungsvorschlag würde die Grenzen der Verfassung erst dann überschreiten, wenn die parlamentarische Beratung eines Regelungsvorschlags offensichtlich gezielt umgangen wird (formeller Missbrauchsfall) oder der Vermittlungsausschuss offensichtlich ein Gesetzesinitiativrecht in Anspruch nimmt, das ihm nach Art. 76 Abs. 1 GG nicht zusteht (Kersten, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 77 (Stand: Jan. 2021) Rn. 87; Kokott, in: Bonner Kommentar zum GG, Art. 77 (Stand: Mai 2014) Rn. 135; „bedenkenswerter Ansatz“). Dem kann freilich die allgemein bestehende Kritik an Evidenzlösungen entgegengehalten werden. Zum einen kann es an Transparenz und intersubjektiver Nachvollziehbarkeit fehlen und zum anderen wird die Koinzidenz zwischen dem Tatbestand des Verfassungsverstoßes und der Rechtfolge gelöst, indem „einfache“ Verfassungswidrigkeit folgenlos bleibt (ausführlich zur Evidenz als Rechtskriterium Steinbach, AöR 140, 367 ff.). Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, dass auch das Bundesverfassungsgericht Evidenzerwägungen bemüht.
Jenseits alldem werden Entschärfungen der Konfliktlage durch Modifikationen des Gesetzgebungsverfahren gesucht.
Hinweis: Soweit die Klausur nach der Verfassungsmäßigkeit eines bestimmten Gesetzes fragt, wäre es natürlich falsch, alternative Geschäftsordnungsregelungen ins Auge zu fassen.
In dieser Richtung wird erwogen, die Verhandlungen im Vermittlungsverfahren der Öffentlichkeit zugänglich zu machen (Möllers, Jura 2010, 401 (406)). Außerdem wird für eine Änderung von § 10 Abs. 2 GOVA (iVm § 90 Abs. 1 GOBT) plädiert. Könnte der Bundestag nicht nur über den im Vermittlungsausschuss erarbeiteten Einigungsvorschlag abstimmen, sondern diesen einer offenen Parlamentsdebatte zuführen oder gar abändern, wären Art. 38 Abs. 1 S. 2, 42 Abs. 1 S. 1, 20 Abs. 2 GG weniger stark tangiert (Cornils, DVBl 2002, 497 (506 f.); Kersten, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 77 (Stand: Jan. 2021) Rn. 87). Dazu dürfte diese Begrenzung jedoch nicht schon aus der Verfassung abzuleiten sein. Diesfällig ist der Wortlaut von Art. 77 Abs. 2 S. 5 GG offen, eine systematisch-teleologische Gegenüberstellung mit Art. 77 Abs. 1 GG spricht hingegen für jenes enge Verständnis. Der Bundestag gibt mit Beschluss ein Gesetzgebungsverfahren aus der Hand – es gilt seine Unabänderlichkeit. Bekommt er nur dann die Möglichkeit, seinen Beschluss zu modifizieren, wenn der Vermittlungsausschuss eine Änderung vorgeschlagen hat, liegt es nahe, dass diese Modifikationsmöglichkeit auch nur so weit trägt. (Axer, Die Kompetenz des Vermittlungsausschusses, 2010, S. 128 ff.; so auch Borowy, ZParl 2010, 874 (901); diff. Kokott, in: Bonner Kommentar zum GG, Art. 77 (Stand: Mai 2014) Rn. 137 f.; aA Kersten, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 77 (Stand: Jan. 2021) Rn. 87; s. auch verfassungsrechtliche Bedenken bzgl. der gegenwärtigen Regelung bei Möllers, Jura 2010, 401 (406)).
III. Für die Prüfung
Wenngleich das Bundesverfassungsgericht die Frage der Grenzen des Vermittlungsvorschlags für sich als geklärt erachtet (BVerfGE 125, 104 (121)), kann das Gleiche nicht für die breite juristische Debatte gelten. Die Problematik ist komplex, das Feld der angebotenen Auflösungen ist weit (vgl. auch Masing/Risse, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 77 Rn. 87, die schlicht konstatieren, dass eine überzeugende Lösung noch nicht gefunden ist). In der Examensklausur dürfte entscheidend sein, die verfassungsrechtlichen Erwägungen und Probleme sowohl bezüglich einer engen wie weiten Bemessung der Grenzen zu erkennen und den Fall auf dieser Grundlage einem schlüssigen Ergebnis zuzuführen.
F. Ausblick
Der Blick auf den Vermittlungsausschuss als ExamenskandidatIn zeigt: Einiges ergibt sich bereits aus der Lektüre der Verfassung und der Geschäftsordnungen. Vieles fällt auf die Anwendung bekannter Prinzipien und Argumentationsmuster des Staatsorganisationsrechts zurück. So sind verschiedene Fallgestaltungen denkbar, die im Examen (oder anderen Prüfungen) begegnen können. Eine gute Vorbereitung bedeutet dabei in der Regel nicht das Sicherschließen von völlig Neuem, sondern bereits Bekanntes mit einigen Kniffen zu übertragen.