• Suche
  • Lerntipps
    • Examensvorbereitung
    • Fallbearbeitung und Methodik
    • Für die ersten Semester
    • Mündliche Prüfung
  • Examensreport
    • 2. Staatsexamen
    • Baden-Württemberg
    • Bayern
    • Berlin
    • Brandenburg
    • Bremen
    • Hamburg
    • Hessen
    • Lösungsskizzen
    • Mecklenburg-Vorpommern
    • Niedersachsen
    • Nordrhein-Westfalen
    • Rheinland-Pfalz
    • Saarland
    • Sachsen
    • Sachsen-Anhalt
    • Schleswig-Holstein
    • Thüringen
    • Zusammenfassung Examensreport
  • Interviewreihe
    • Alle Interviews
  • Rechtsgebiete
    • Strafrecht
      • Klassiker des BGHSt und RGSt
      • StPO
      • Strafrecht AT
      • Strafrecht BT
    • Zivilrecht
      • AGB-Recht
      • Arbeitsrecht
      • Arztrecht
      • Bereicherungsrecht
      • BGB AT
      • BGH-Klassiker
      • Deliktsrecht
      • Erbrecht
      • Familienrecht
      • Gesellschaftsrecht
      • Handelsrecht
      • Insolvenzrecht
      • IPR
      • Kaufrecht
      • Kreditsicherung
      • Mietrecht
      • Reiserecht
      • Sachenrecht
      • Schuldrecht
      • Verbraucherschutzrecht
      • Werkvertragsrecht
      • ZPO
    • Öffentliches Recht
      • BVerfG Leitentscheidungen & Klassiker
      • Baurecht
      • Europarecht
      • Europarecht Klassiker
      • Kommunalrecht
      • Polizei- und Ordnungsrecht
      • Staatshaftung
      • Verfassungsrecht
      • Versammlungsrecht
      • Verwaltungsrecht
      • Völkerrrecht
  • Rechtsprechungsübersicht
    • Strafrecht
    • Zivilrecht
    • Öffentliches Recht
  • Karteikarten
    • Strafrecht
    • Zivilrecht
    • Öffentliches Recht
  • Click to open the search input field Click to open the search input field Suche
  • Menü Menü
Du bist hier: Startseite1 > _featured

Schlagwortarchiv für: _featured

Redaktion

Gedächtnisprotokoll Öffentliches Recht I April 2025 NRW

Examensreport, Nordrhein-Westfalen, Öffentliches Recht, Polizei- und Ordnungsrecht, Uncategorized, Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht

Wir freuen uns sehr, ein Gedächtnisprotokoll zur ersten Klausur im Öffentlichen Recht des April-Durchgangs 2025 in Nordrhein-Westfalen veröffentlichen zu können und danken Tim Muñoz Andres erneut ganz herzlich für die Zusendung. Selbstverständlich kann juraexamen.info keine Gewähr dafür geben, dass die in Gedächtnisprotokollen wiedergegebene Aufgabenstellung auch der tatsächlichen entspricht. Dennoch sollen Euch die Protokolle als Anhaltspunkt dienen, was euch im Examen erwartet.

Sachverhalt

In der nordrhein-westfälischen Stadt K befindet sich ein insbesondere bei jungen Menschen beliebtes Ausgehviertel mit mehreren Bars und Diskotheken. Seit mehreren Jahren kommt es in dem Viertel in den Abendstunden jedoch vermehrt zu Gewalttaten durch teils alkoholisierte Besucher des Viertels. Im Wege dieser zunehmend auch unter dem Einsatz von Messern, in einzelnen Fällen sogar Waffen, begangenen Straftaten, in deren Folge mehrere Personen teils erhebliche Verletzungen erlitten haben. Im Juni 2024 kommt es schließlich zu einer weiteren  unter dem Einsatz eines Messers begangenen Straftat bei der das Opfer aufgrund der erlittenen Verletzungen zu Tode kommt.

Die Stadt K möchte der als unerträglich empfundenen eskalierenden Gewalt in dem Viertel in Reaktion auf das jüngste Ereignis schließlich begegnen. Eine vonseiten der Stadt in Auftrag gegebene Untersuchung zeigt dabei, dass auch in Zukunft in dem Ausgehviertel mit Straftaten unter dem Einsatz von Waffen und Messern zu rechnen ist. Der Rat der Stadt K erlässt daraufhin gestützt auf § 42 V WaffG eine Verordnung, die eine Waffen- und Messerverbotszone (WM-VO) für das betreffende Viertel vorsieht. Zuvor hatte die Landesregierung ihre Ermächtigung aus § 42 V WaffG durch eine ordnungsgemäß erlassene und rechtswirksame Verordnung (Delegationsverordnung) auf den Landesinnenminister übertragen. Dieser hatte seinerseits die Gemeinden in einer ebenfalls ordnungsgemäß erlassene und rechtswirksame Verordnung (Subdelegationsverordnung) zum Erlass einer entsprechenden Verordnung ermächtigt. Die Verordnung wird dabei vom Rat in einer Sitzung in Juli 2024 ordnungsgemäß mehrheitlich beschlossen und tritt im August 2024 in Kraft.

Als die in den Geltungsbereich der WM-VO wohnhafte A von dem Erlass der WM-VO erfährt ist sie empört. Die A ist selbstständig als Köchin tätig. Im Wege ihrer Tätigkeit bietet sie Kochkurse an, bei denen sie ihren Kunden insbesondere Schneidetechniken für exotische Früchte und Fleisch vorführt. Da sie über keine eigenen Räumlichkeiten verfügt bietet sie die Kurse ausschließlich in den Wohnungen ihrer Kunden an. Zu den Kochkursen bringt die A neben den von ihr genutzten auch hochwertige Küchenmesser für ihre Kunden mit. Diese können die so genutzten Messer im Anschluss an die Kochkurse jeweils auch bei A erwerben. A sieht nach dem Inkrafttreten der WM-VO keine Möglichkeit mehr, mitsamt ihrer Küchenmesser aus ihrer in dem räumlichen Geltungsbereich der WM-VO belegenen Wohnung zu ihren Kunden zu gelangen, von denen viele ebenfalls in dem in der WM-VO benannten Stadtviertel wohnen. Daraufhin kontaktiert A die Kunden, die in dem Monat nach dem Inkrafttreten der WM-VO Kochkurse bei ihr gebucht haben und weist diese daraufhin, dass sie sich angesichts der WM-VO außer Stande sehe, ihre Messer zu den Kochkursen mitzubringen. Daraufhin stornieren sämtliche Kunden die bereits gebuchten Kochkurse. Der A entgeht hierdurch ein aus den Kochkursen erzielter Gewinn von 5000€. Die durch den Inhalt der WM-VO ohnehin schon verärgerte A sieht sich durch diese in ihrer beruflichen Freiheit verletzt. Sie will die aus ihrer Sicht rechtswidrige Verordnung nicht einfach hinnehmen und wendet sich zunächst an die Stadt. Nachdem diese ihr Vorbringen abgewiesen hat wendet sie sich an einen Rechtsanwalt, der in ihrem Namen im September 2024 einen formgerechten Antrag auf Rechtsschutz vor dem OVG Münster erhebt.

Das Verfahren vor dem OVG Münster findet Anfang 2025 statt. Der Rechtsanwalt der A führt darin aus, dass die Stadt K für den Erlass einer solchen Verordnung  schon nicht zuständig gewesen sei. Die Verordnung sei aber auch schon rechtswidrig, weil sie entgegen § 42 V 3 WaffG auch keine Ausnahmen von dem Verbot des Mitführens von Waffen- und Messern vorsehe. Die WM-VO verletze die A zudem in ihren Grundrechten.

Der von der Stadt K ebenfalls ordnungsgemäß bestellte Rechtsanwalt erwidert daraufhin, dass die Stadt K durch den Landesinnenminister zum Erlass einer entsprechenden Verordnung ermächtigt gewesen sei. Die Verordnung sei auch rechtmäßig gewesen. Der Antrag der A sei aber schon unzulässig, da der Rat der Stadt die WM-VO bereits vor der mündlichen Verhandlung im Januar 2025 wieder aufgehoben habe. Auch werde die Stadt K keine weitere Verordnung gleichen Inhalts erlassen. Der Kontrollaufwand habe sich für die Stadt als nicht darstellbar erwiesen. Der Antrag sei daher abzuweisen.

Auszug aus der WM-VO:

§ 1 [Geltungsbereich]

Das Mitführen von Waffen nach § 1 Abs. 2 WaffG und Messern ist auf den in den nachfolgend bestimmten Straßen, Wegen oder Plätzen des benannten Stadtteils von 18:00 bis 04:00 Uhr verboten.

§ 2 [Anwendungsbereich]
Der Anwendungsbereich wird hinreichend bestimmt beschrieben. Ausnahmen sind nicht vorgesehen.

§ 3 [Begriffe]
Die für die WM-VO relevanten Begriffe werden definiert. Ausnahmen sind nicht vorgesehen.

§ 4 []

§ 5 [Ordnungswidrigkeiten]

Das Mitführen von Waffen nach § 1 Abs. 2 WaffG und Messern in dem Geltungsbereich dieser Verordnung stellt eine Ordnungswidrigkeit nach § 52 Abs. Nr. 23 WaffG dar, die entsprechend nach § 52 Abs. 2 WaffG mit einer Geldbuße bis zu 10.000€  geahndet werden kann.

Frage 1:

Ist der Antrag der A vor dem OVG Münster zulässig?

Frage 2:

Unterstellt der Antrag ist zulässig, wäre er auch begründet?

Frage 3:

Verletzte die Verordnung die A während der Zeit ihrer Geltung in ihrem Grundrecht aus Art. 12 GG?

Bearbeitervermerk:
  1. § 42 WaffG ist verfassungsgemäß.
  2. Auf die § 42 V Nr. 2-4 WaffG ist bei der Bearbeitung nicht zu einzugehen.
  3. Auf die Durchführungsverordnung zum WaffG ist nicht einzugehen.
  4. Die Rechtmäßigkeit der Delegations- und Subdelegationsverordnung ist bei der Bearbeitung nicht zu prüfen.
09.05.2025/0 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2025-05-09 08:30:382025-05-12 15:15:39Gedächtnisprotokoll Öffentliches Recht I April 2025 NRW
Redaktion

Gedächtnisprotokoll Zivilrecht I April 2025 NRW

Deliktsrecht, Examensreport, Familienrecht, Nordrhein-Westfalen, Uncategorized, Zivilrecht

Wir freuen uns sehr, ein Gedächtnisprotokoll zur ersten Klausur im Zivilrecht des April-Durchgangs 2025 in Nordrhein-Westfalen veröffentlichen zu können und danken Tim Muñoz Andres erneut ganz herzlich für die Zusendung. Selbstverständlich kann juraexamen.info keine Gewähr dafür geben, dass die in Gedächtnisprotokollen wiedergegebene Aufgabenstellung auch der tatsächlichen entspricht. Dennoch sollen Euch die Protokolle als Anhaltspunkt dienen, was euch im Examen erwartet.

Sachverhalt

M und F leben als Ehegatten seit dem wirksamen Schluss der Ehe im Jahr 2015 im gesetzlichen Güterstand. Einen Ehevertrag haben beide nicht abgeschlossen. M und F sind beide erwerbstätig und erledigen die im Haushalt anfallenden Aufgaben gemeinsam. Eines Tages beschließt M eine neue Küchenmaschine für den gemeinsamen Haushalt anzuschaffen. M hatte bereits zuvor mehrfach Gegenstände für den ehelichen Haushalt gekauft ohne dass F dem widersprochen hat. Er begibt sich zu dem Elektronik-Geschäft des V und wählt dort eine entsprechende Küchenmaschine aus. Diese bringt er sodann zur Kasse des V um den Kaufpreis in Höhe von 1000€ zu bezahlen. Eine Zahlung scheitert jedoch an einem Defekt des EC-Kartenlesegeräts des V. Da V den M jedoch als langjährigen Kunden kennt erklärt er sich jedoch bereit, dem V die Küchenmaschine bereits sofort zu überlassen und M auch unmittelbar Eigentum an der Maschine einzuräumen. Von der Ehe zwischen M und F hat V dabei keine Kenntnis. Den Kaufpreis solle M an einem anderen Tag entrichten. M verlässt daraufhin mit der Küchenmaschine das Geschäft des V.

M begibt sich sodann mit der Küchenmaschine auf den Heimweg. Nach einer Weile erreicht er einen Fußgängerüberweg nach § 26 StVO (Ordnungsnummer 35a Habersack) und will diesen passieren. Dabei hält er die in einem Karton verpackte Küchenmaschine weiterhin in seinen Armen, so dass sie seine Sicht auf die Straße nicht einschränkt. Als er sich gerade auf dem Fußgängerüberweg befindet um die Straße zu passieren steuert der A, der auch Halter des von ihm gesteuerten PKW ist  mit der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf den Fußgängerüberweg zu. Auch erkennt er den gerade den Fußgängerüberweg passierenden M. Er glaubt, dass dieser angesichts seines herannahenden Autos schon über den Fußgängerüberweg rennen werde. Er ist dabei der Meinung, dass er ja nicht für jeden Fußgänger anhalten könne. Dass es zu einem Zusammenstoß mit dem A kommen könnte nimmt er dabei billigend in Kauf. Auch erkennt A, dass M ein Paket mit für ihn unbekannten Inhalt in den Armen hält. Obwohl M versucht noch rechtzeitig über den Fußgänger zu gelangen schafft er es nicht rechtzeitig, den Fußgängerüberweg zu passieren. Es kommt zu einer Kollision mit dem PKW des A. Infolge der Kollision  erleidet der M einen Bruch seines rechten Beins. Die in dem Paket befindliche Küchenmaschine muss M infolge der Kollision ebenfalls fallenlassen. Diese wird durch den Aufprall auf der Straße auch vollständig zerstört. M begibt sich nach der Kollision in das nächstgelegene Krankenhaus. Dort schließt er einen auf Heilbehandlung gerichteten Behandlungsvertrag (3000€) ab, vereinbart jedoch auf eine Behandlung durch den zuständigen Chefarzt. Hierdurch entstehen gegenüber dem normalen Behandlungsvertrag Mehrkosten in Höhe von 1500€. Die Behandlung durch den Chefarzt gibt dem M dabei „ein sichereres Gefühl“. Eine solche Chefarztbehandlung hat M bei vorherigen Krankenhausaufenthalten nicht in Anspruch genommen. Auch hätte eine Behandlung durch einen normalen Arzt ebenfalls zur vollständigen Heilung des nicht komplizierten Bruchs geführt.

M und F verlangen nun von A Zahlung von 1000€ für die zerstörte Küchenmaschine. F erklärt, sie habe jedenfalls Miteigentum an der Küchenmaschine gehabt. E erwidert, dass die Küchenmaschine allein im Eigentum des M gestanden habe. F habe der Küchenmaschine nichts zu tun.

Weiterhin verlangt M von A Zahlung von insgesamt 4500€ wegen der angefallenen Heilbehandlungskosten aus dem Vertrag mit dem Krankenhaus. E hält dem entgegen, dass ein Anspruch allenfalls in Höhe der im Falle der Behandlung durch einen normalen Arzt angefallenen Behandlungskosten in Höhe von 3000€ bestehe. Dass M darüber hinaus auf eine Chefarztbehandlung bestanden habe liege doch nur darin begründet, dass er (M) für den Schaden aufkommen müsse.

Frage (1):

Hat M einen Anspruch gegen A auf Zahlung von 1000€ wegen der Küchenmaschine, auf Zahlung von 3000€ für die Behandlungskosten sowie auf Zahlung der Mehrkosten der Chefarztbehandlung von weiteren 1500€ gegen den A?

Frage (2):

Hat F einen Anspruch gegen A auf Zahlung von 1000€ wegen der Zerstörung der Küchenmaschine?

Bearbeitungsvermerk:

Ansprüche aus § 823 sind im Rahmen der Bearbeitung von Frage (2) nicht zu prüfen.

Fallfortsetzung:

M und F haben im Februar 2015 geheiratet. Zu diesem Zeitpunkt hatte M sich ein Vermögen von 200.000€ erspart. Verbindlichkeiten hatte er nicht. Die F hatte zum Zeitpunkt der Eheschließung ein Vermögen von 100.000€, offene Verbindlichkeiten hatte auch sie nicht. In der Anfangs glücklichen Ehe kam es in den vergangenen Jahren jedoch immer häufiger zu Streitigkeiten.

Zuletzt entbrannten auch noch heftige Streitigkeiten über die Zerstörung der Küchenmaschine auf dem Heimweg des M von dem Geschäft des F. M reichte daraufhin Anfang 2025 ordnungsgemäß den Antrag auf Scheidung bei dem zuständigen Gericht ein. Einen Zugewinnausgleich beantragte der M in dem Scheidungsantrag dabei nicht. Die Ehe wird nach der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags im Februar 2025 später durch das Entscheidung des zuständigen Gerichts wirksam geschieden.

Zur Zeit der Rechtshängigkeit hatte M sein Vermögen von 200.000€ im Jahr 2015 auf nunmehr 50.000€ mehren können. Die F hatte zu diesem Zeitpunkt die anfänglichen 100.000€ weiter in ihrem Vermögen. In ihrem Vermögen befand sich darüber hinaus eine wertvolle Oldtimer-Sammlung, die ihre Eltern ihr im Jahr 2017 anlässlich eines Geburtstages geschenkt hatten. Der Wert der Oldtimer-Sammlung betrug zum damaligen Zeitpunkt 300.000€. Zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags im April 2025 hatte die Oldtimer-Sammlung nunmehr einen Wert von 400.000€. In der Zwischenzeit hatte F ihr Vermögen von zunächst 100.000€ um weitere 50.000€ gemehrt. Diese hatte sie im Juni 2024 jedoch für eine kostspielige Luxus-Weltreise aufgewendet, von der F bereits ihr gesamtes Leben geträumt hatte.

M verlangt nun von F Zahlung des ihr zustehenden Zugewinnausgleichs. F beruft sich darauf, dass die für die Weltreise aufgewandten 50.000€ nicht mehr in ihrem Vermögen vorhanden seien. M will dies nicht gelten lassen, schließlich habe F das Geld für die teure Reise einfach so „verschwendet“. Dies dürfe jedenfalls nicht zu seinen Lasten gehen.

Frage 3:

(In welcher Höhe) Hat M einen Anspruch auf Zugewinnausgleich gegen die F?

Bearbeitungsvermerk für alle Aufgaben:
  1. Es ist davon auszugehen, dass andere als die im Sachverhallt erwähnten Wertminderungen bzw. Wertsteigerungen nicht eingetreten sind.
  2. Es ist davon auszugehen, dass das nicht in dem Scheidungsantrag aufgeführte Verlangen nach einem Zugewinnausgleich nicht ausgeschlossen ist.
  3. Die §§ 223-229 und § 303 StGB sind nicht zu prüfen
08.05.2025/0 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2025-05-08 08:00:002025-05-12 15:15:52Gedächtnisprotokoll Zivilrecht I April 2025 NRW
Redaktion

Gedächtnisprotokoll Strafrecht April 2025 NRW

Examensreport, Nordrhein-Westfalen, Strafrecht, Uncategorized

Wir freuen uns sehr, ein Gedächtnisprotokoll zur Klausur im Strafrecht des April-Durchgangs 2025 in Nordrhein-Westfalen veröffentlichen zu können und danken Tim Muñoz Andres ganz herzlich für die Zusendung. Selbstverständlich kann juraexamen.info keine Gewähr dafür geben, dass die in Gedächtnisprotokollen wiedergegebene Aufgabenstellung auch der tatsächlichen entspricht. Dennoch sollen Euch die Protokolle als Anhaltspunkt dienen, was euch im Examen erwartet.

Sachverhalt:

V verbringt seinen Freitagabend wie üblich in seiner Stammkneipe. Als er gerade an seinem ersten Bier nippt hört er den polternden Gast G, der sich selbst ohne Grund in Rage redet. Der ihm unbekannte G erhebt seine Stimme bis er den V schließlich mit seinem Blick fixiert und sich auf diesen zubewegt. Dabei hebt er drohend seine zur Faust geballte Hand. Geistesgegenwärtig erblickt V den neben ihm stehenden Barhocker. Er erkennt, dass er den heranstürmenden und nur noch wenige Meter von ihm entfernten G durch einen Wurf mit dem Hocker abwehren kann. Hinter dem G steht allerdings der Wirt W der wie V zutreffend erkennt durch den Barhocker ebenfalls getroffen werden könnte. V erkennt zugleich, dass er den Angriff des G auch durch einen Schlag mit dem Barhocker ebenso sicher abwehren könnte. Auch würde ein solcher Einsatz den heranstürmenden G nicht stärker verletzen. Gleichwohl könnte hierdurch eine Verletzung des W vermieden werden. V entschließt sich indes, den Barhocker in Richtung der Schulter des G zu werfen. Dass W, dessen Statur jener des G entspricht ebenfalls auf Schulterhöhe getroffen werden nimmt er billigend in Kauf. Der so von V geworfene Barhocker trifft denn auch den G, wie von V erwartet, an dessen Schulter. G erleidet hierdurch eine schmerzhafte Prellung seiner Schulter und verlässt mit schmerzverzehrtem Gesicht die Kneipe. Der Barhocker wird durch den Wurf nicht beschädigt. W hingegen konnte sich durch einen beherzten Sprung hinter die Theke in Sicherheit bringen. Er verbleibt auch nach dem Wurf hinter dieser und ist für den V so unerreichbar.

Während V sich in der Kneipe befand verblieb seine Ehefrau M mit dem gemeinsamen sieben Monate alten Kleinkind K in der ehelichen Wohnung. Die M litt seit längerem an manischen Depressionen. Infolge ihrer Depression fehlte ihr auch die zu einer wirksamen Einwilligung erforderliche Einsichtsfähigkeit. Kurze Zeit nachdem V zur Kneipe aufgebrochen war mischte M eine jeweils tödliche Dosis Gift in ihr Abendessen sowie jenes des K. Beide verstarben unmittelbar nach dessen Einnahme noch vor der Rückkehr des V. M hatte ihre Absicht, aus dem Leben zu scheiden in den vorangegangenen Wochen mehrfach gegenüber V bekundet und auch geäußert K ebenfalls töten zu wollen — sie wolle ihn nach ihrem Tod keinesfalls zurücklassen. Auch hatte sie zum Ausdruck gebracht, ihr Sterbeverlangen vollziehen zu wollen, wenn der V außer Haus sei. Noch bevor er in die Kneipe aufbrach erkannte V, dass dieser Freitagabend M die Gelegenheit zur Tötung ihrer selbst sowie des K ermöglichen würde. Letzteres kam im aber gerade recht, da er sich so seiner ihm lästigen Unterhaltspflichten für das Kind entziehen könne. Mit dem „ersparten“ Geld könne er sich eine von ihm seit langem ersonnene Weltreise finanzieren. Den von ihm erwarteten Tod der M bedauerte er zwar, fand sich damit jedoch ab und brach schließlich in die Kneipe auf. M und K hätten gerettet werden können, wenn V seinerseits die zuständigen Stellen unterrichtet hätte.

M befand sich dabei seit mehreren Monaten wegen ihrer Depression in Behandlung durch ihre Ärztin A. Auch gegenüber A hatte M zuvor mehrfach ihren Wunsch, aus dem Leben zu scheiden bekundet. Dabei hatte sie zugleich erklärt, auch K mit in den Tod nehmen zu wollen. Am Morgen des Tags ihres Todes befand sich M ein weiteres Mal in der Behandlung der A. M erklärte A gegenüber ihren fortbestehenden Sterbewunsch und dass sie diesen in der Abwesenheit ihres Ehemannes V vollziehen wolle. Auch erzählte sie A von dem geplanten Kneipenbesuch des V am selben Tag. A erkannte zwar, dass sich der M an diesem Abend eine Gelegenheit zum Vollzug der Selbsttötung bieten würde. Sie schob das in ihr aufkommende schlechte Gefühl allerdings beiseite. Da M auch in den vorangegangenen Wochen entsprechende Ankündigungen nicht vollzogen hatte vertraute sie vielmehr ernsthaft darauf, dass es auch an diesem Freitagabend nicht hierzu kommen würde. M und K hätten erneut gerettet werden können, wenn A ihrerseits die zuständigen Stellen informiert hätte.

Aufgabe 1:

Wie haben sich V und A nach dem StGB strafbar gemacht? In Bezug auf A ist lediglich eine Strafbarkeit wegen Taten zulasten der M zu prüfen.

Aufgabe 2:

A soll nach dem Tod von M und K vor Gericht im Strafverfahren des V als Zeugin aussagen. In der Zwischenzeit ist auch gegen sie ein Ermittlungsverfahren eröffnet worden. Ist die A in diesem Verfahren als Zeugin zur Aussage verpflichtet? Erläutern Sie ob und wenn ja in welchem Umfang sich die A auf Zeugnisverweigerungsrechte berufen kann.

Bearbeitungshinweise:
  1. Unterstellen Sie, dass die M trotz ihrer manischen Depression zu jedem Zeitpunkt schuldfähig war.
  2. Auf § 203 StGB wird hingewiesen.
  3. Die §§ 223-226 StGB sind zulasten von M und K ist nicht zu prüfen.
07.05.2025/0 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2025-05-07 14:53:412025-05-07 14:53:41Gedächtnisprotokoll Strafrecht April 2025 NRW
Monika Krizic

Sittenwidrig günstige Miete?

BGB AT, Mietrecht, Rechtsprechung, Schuldrecht, Uncategorized, Zivilrecht, Zivilrecht

§§ 138, 166, 242 BGB – all dies sind Normen, welche Jurastudierende bereits in den ersten Semestern kennenlernen. Umso bedeutender sind sie, wenn sich der BGH (BGH, Urt. v. 26.03.2025 – VII ZR 152/23) eingehend mit den einzelnen Tatbestandsmerkmalen beschäftigt und dabei auch noch die von ihm entwickelte Figur des sog. Wissensvertreters im Rahmen von § 166 BGB thematisiert. Im Vordergrund steht aber vor allen Dingen die Frage, ob ein Mietvertrag durch einen verhältnismäßig niedrigen Mietzins automatisch sittenwidrig ist.

I. Sachverhalt

Die Beklagte sowie ihr Lebensgefährte und ihre Kinder bewohnten seit Dezember 2017 eine 177m² große Fünfzimmerwohnung in Berlin. Eigentümerin dieser Wohnung war die Klägerin, eine GmbH. Der Mietvertrag wurde nur von der Beklagten und dem damaligen alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführer der GmbH unterzeichnet und sah u.a. vor, dass (1) das Mietverhältnis erst zum 21. Dezember 2017 beginnen (2) die Nettokaltmiete nur 600 Euro und die Bruttomonatsmiete 1.010 Euro betragen sollte. Schließlich (3) sollte die Mietzahlungspflicht der Klägerin erst zum 1. September 2018 beginnen und bis dahin sollte die Mieterin die Wohnung als „Gegenleistung“ fachgerecht renovieren lassen. Im Februar 2021 begehrte die GmbH, nun vertreten durch ihren neuen Geschäftsführer, die Räumung und Herausgabe der Wohnung sowie die Zahlung einer Nutzungsentschädigung für das Jahr 2018. Dabei wurde angeführt, dass der Mietvertrag aufgrund der niedrigen Miete sittenwidrig und zudem auch durch kollusives Zusammenwirken zustande gekommen sei. Das LG Berlin als Berufungsgericht hatte sowohl einen Anspruch auf Räumung und Herausgabe der Wohnung aus §§ 546 Abs. 1, 985 BGB sowie einen Anspruch auf Zahlung einer Nutzungsentschädigung gem. §§ 987 Abs. 1, 990 Abs. 1 BGB bejaht.

II. Entscheidung

Der erste Aspekt, welcher von dem Berufungsgericht sowie von dem BGH umfassend diskutiert wurde, war eine mögliche Sittenwidrigkeit des Mietvertrags nach § 138 Abs. 1 BGB. Dabei ist eine solche zu bejahen, wenn ein Rechtsgeschäft aus der Gesamtbetrachtung von Inhalt, Beweggrund und Zweck einen solchen Charakter aufweist, der mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht zu vereinbaren ist. Maßgebend sind dabei sowohl ein objektives als auch ein subjektives Element (Jauernig/Mansel, 19. Aufl. 2023, BGB § 138 Rn. 8).

a) LG Berlin

Die objektive Sittenwidrigkeit stützte das LG Berlin vor allen Dingen auf den Betrag des monatlichen Mietzins. So wurde betont, dass die Nettokaltmiete 60,49% unter der ortsüblichen Vergleichsmiete liege (LG Berlin, Urt. v. 28.06.2023 – 64 S 105/22, BeckRS 2023, 20664 Rn. 11). Der Bejahung dieses objektiven Tatbestands stehe dabei auch nicht entgegen, dass Renovierungsarbeiten durch die Mieter vereinbart wurden. Der streitgegenständliche § 17 des Mietvertrags, welcher die Pflicht statuieret „die Wohnung fachgerecht zu renovieren außer die Maßnahmen, die vom Vermieter durchgeführt werden müssen“, lasse keine Rückschlüsse auf die konkreten Arbeiten der Mieterin zu. Infolgedessen vermöge er weder die Mietbefreiung von mehreren Monaten noch die anschließende geringere Miete zu begründen sowie die Annahme der Sittenwidrigkeit zu revidieren (LG Berlin, Urt. v. 28.06.2023 – 64 S 105/22, BeckRS 2023, 20664 Rn. 14, 15).

b) BGH

Der BGH betonte zunächst, dass ein Vertrag, den der Vertreter im bewussten Zusammenwirken mit dem anderen Teil zum Nachteil des Vertretenen kollusiv abschließe, nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig sei. Liege eine solche Kollusion nicht vor, könne der Vertretene § 242 BGB heranziehen. So könne sich der Vertretene gem. § 242 BGB auf die Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts berufen, wenn der andere Vertragsteil den Missbrauch der Vertretungsmacht gekannt hat oder zumindest hätte erkennen müssen.

Im Rahmen der subjektive Voraussetzungen eines kollusiven Zusammenwirkens nach § 138 Abs. 1 BGB, stellte der BGH fest, dass eine grob fahrlässige Unkenntnis vom Missbrauch der Vertretungsmacht nicht genüge um das Merkmal der Sittenwidrigkeit zu erfüllen. Andernfalls würden die Grenzen zwischen Sittenwidrigkeit wegen kollusiven Zusammenwirkens nach § 138 Abs. 1 BGB einerseits und einer nach § 242 BGB unzulässigen Rechtsausübung wegen eines vom Vertragspartner erkannten oder sich aufdrängenden Missbrauchs der Vertretungsmacht andererseits, nicht hinreichend unterschieden werden. Dies würde letztendlich auch darauf hinauslaufen, dass geringere Anforderungen an den subjektiven Tatbestand des kollusiven Zusammenwirkens gestellt werden würden.

2. Unzulässige Rechtsausübung

Von der Kollusion abzugrenzen ist der Fall des Missbrauchs der Vertretungsmacht. Grundsätzlich trifft den Rechtsverkehr und damit den Vertragspartner keine Prüfpflicht dahingehend, ob das Handeln des Vertreters auch im Innenverhältnis rechtmäßig ist. Ausnahmsweise wird der Geschäftsgegner mit den Risiken der Vertretung belastet, wenn er den Missbrauch der Vertretungsmacht kannte oder dieser objektiv evident war (Staudinger/Looschelders/Olzen, 2024, BGB § 242 Rn. 518).

a) Missbrauch der Vertretungsmacht

Fraglich war hier u.a., ob ein solcher Missbrauch der Vertretungsmacht des Geschäftsführers gegenüber der GmbH vorlag. Dies ist der Fall, wenn der Vertreter zwar nicht außerhalb seines rechtlichen Könnens, aber außerhalb seines rechtlichen Dürfen handelt (MüKoBGB/Schubert, 10. Aufl. 2025, BGB § 177 Rn. Rn. 15). Die gesetzliche Vertretungsmacht eines GmbH-Geschäftsführers ist nach außen hin gem. §§ 35 Abs. 1 S. 1, 37 Abs. 2 GmbHG unbeschränkt. Im vorliegenden Fall beabsichtigten die Gesellschafter nicht die Wohnung zu vermieten, sondern diese zu verkaufen. Auch wenn diese Absicht der Gesellschafter keinen Ausdruck in einer abschließenden Willensbildung in Form eines Gesellschafterbeschlusses gefunden hat, so dürfen bestimmte grundlegende Maßnahmen nur mit Zustimmung der Gesellschafter vorgenommen werden, auch wenn es an einer entsprechenden Anordnung in der Satzung oder im Gesellschafterbeschluss fehlt (MüKoGmbHG/Stephan/Tieves, 4. Aufl. 2023, GmbHG § 37 Rn. 139).

b) Objektive Evidenz

Darüber hinaus müsste die Beklagte den Missbrauch der Vertretungsmacht erkannt haben oder dieser müsste objektiv evident gewesen sein. Insoweit muss der Geschäftspartner wissen oder es muss sich ihm geradezu aufdrängen, dass der Geschäftsführer seine Vertretungsmacht missbraucht.

aa) Wissen der Mieterin

Die Mieterin selbst hatte kein Wissen von internen Geschehnissen.

bb) Wissen des Ehegatten – Zurechnung nach § 166 BGB?

Das Landgericht aber kam zu dem Ergebnis, dass zumindest der Lebensgefährte der Mieterin grob fahrlässige Unkenntnis hinsichtlich des Missbrauchs der Vertretungsmacht gehabt habe, die ihr nach § 166 BGB zuzurechnen sei (LG Berlin, Urt. v. 28.06.2023 – 64 S 105/22, BeckRS 2023, 20664 Rn. 25).

Eine unmittelbare Anwendung der Norm wurde mangels Stellvertretung gem. der §§ 164 ff. BGB ausgeschlossen. Allein die Ehefrau sowie der Geschäftsführer haben den Mietvertrag unterzeichnet. Damit verlieb nur noch eine entsprechende Anwendung der Norm. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist § 166 Abs. 1 BGB entsprechend auf sog. Wissensvertreter anzuwenden. So sei die Norm auch dann anwendbar, wenn zwar keine rechtsgeschäftliche Vertretung, aber der Tatbestand der Wissensvertretung vorliege (BGH, Urt. v. 24.01.1992 – V ZR 262/90, NJW 1992, 1099, 1100; BGH, Urt. v. 11.12.2018 – KZR 26/17, NJW 2019, 661 Rn. 89). Dabei ist Wissensvertreter jede Person, derer sich der Geschäftsherr wie eines Vertreters bedient und der nach der Arbeitsorganisation des Geschäftsherrn berufen ist, als dessen Repräsentant Aufgaben in eigner Verantwortung zu erledigen und dabei angefallene Informationen weiterzuleiten (BGH, Urt. v. 11.12.2018 – KZR 26/17, NJW 2019, 661 Rn. 89). Die Figur des sog. Wissensvertreters hat ihre Wurzeln im Versicherungsvertragsrecht und ist insbesondere von Bedeutung, wenn es nicht um die Kenntnis bzw. das Kennenmüssen bei Vertragsschluss, sondern zu einem anderen Zeitpunkt geht (Arman BGB/Finkenauer, 17. Aufl. 2023, BGB § 166 Rn. 25).

Anhaltspunkte dafür, dass die Mieterin ihren Mann mit der Erledigung bestimmter Aufgaben in Bezug auf die Anmietung der Wohnung betraut hatte, lagen nicht vor. Auch die persönliche Nähe der beiden Beklagten reiche nicht per se aus um dies zu bejahen. Gerade weil die Figur des Wissensvertreters große Ähnlichkeit zur Stellvertretung aufweise, müsse die Einschaltung des Dritten als Wissensvertreter willentlich und bewusst erfolgen und dürfe nicht auf bloßen Vermutungen basieren.

III. Fazit

Gerade weil die Entscheidung bekannte Normen des Zivilrechts mit praxisrelevanten Fragestellungen im Mietrecht kombiniert, lohnt sich eine vertiefte Auseinandersetzung. Das Urteil selbst lässt sämtliche Mieter aufatmen, die ihre Wohnung zu günstige Konditionen erhalten haben.

29.04.2025/0 Kommentare/von Monika Krizic
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Monika Krizic https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Monika Krizic2025-04-29 13:42:562025-04-29 15:13:04Sittenwidrig günstige Miete?
Micha Mackenbrock

Bezahlkarte gewährleistet Existenzminimum für Asylbewerber

Öffentliches Recht, Öffentliches Recht, Rechtsprechungsübersicht, Uncategorized, Verwaltungsrecht

Fragen in Zusammenhang mit Asyl und Migration werden nicht nur in zeitlicher Nähe zur Bundestagswahl diskutiert, sondern beschäftigen immer wieder auch die Gerichte. So entschied das Landessozialgericht Bayern, dass die Bezahlkarte für Asylbewerber verfassungskonform ist. Den Beschluss (LSG Bayern, Beschluss vom 19.02.2025 – L 8 AY 55/24 B ER, BeckRS 2025, 2322) stellt nachfolgend Micha Mackenbrock vor.

I. Was sind Bezahlkarten?

Im Mai 2024 wurde in Deutschland bundesweit die Bezahlkarte für Asylbewerber eingeführt. Asylbewerber erhielten bis dahin in Bargeld ausgezahlte Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG). Nach kontroversen Debatten einigte sich die Politik darauf, dass diese Leistungen künftig von den zuständigen Behörden auch als Guthaben auf einer Karte bereitgestellt werden können. Damit soll zum Beispiel vermieden werden, dass Asylbewerber Geld zu ihren zurückgebliebenen Familien in die Heimat oder an Schlepper schicken.

Mit der guthabenbasierten Bezahlkarte kann stattdessen elektronisch in Geschäften bezahlt werden, ähnlich wie mit einer normalen Debitkarte, ohne, dass das Guthaben ins Ausland verschickt werden kann. Auch Online-Shopping ist mit der Bezahlkarte nicht möglich. Bargeld können sich Asylbewerber monatlich nur in geringer Höhe von der Bezahlkarte abbuchen. So soll sichergestellt werden, dass das AsylbLG seinen Zweck erfüllt, nämlich den Lebensunterhalt der in Deutschland lebenden Asylbewerber zu sichern.

II. Der Sachverhalt

Die Antragstellerin, eine 1998 in Afghanistan geborene Frau, ist selbst Asylbewerberin und reiste Ende 2023 nach Deutschland ein. Bis Juli 2024 erhielt sie Leistungen nach dem AsylbLG in bar, darunter etwa 200€ „Taschengeld“. Mittlerweile erhält sie infolge eines Verwaltungsakts eine Bezahlkarte anstelle von Bargeld. Monatlich kann sie sich nur 50€ Guthaben in bar von der Karte abbuchen lassen. Dagegen wehrt sich die Antragstellerin nun per Eilantrag vor dem LSG Bayern: Sie möchte weiterhin Leistungen durch Geldzahlungen statt durch die Bezahlkarte erhalten. Durch den Beschluss zur Einführung der Bezahlkarte sei sie in ihrem Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum verletzt.

So könne sie nicht in allen Läden, insbesondere in kleineren Lebensmittelgeschäften für afghanische Lebensmittel oder in Second-Hand-Geschäften, mit der Bezahlkarte elektronisch bezahlen.

Per Eilantrag ging die Antragstellerin gegen die Einführung der Bezahlkarte vor dem Sozialgericht München vor und scheiterte. Nun wendet sie sich, auch per Eilantrag, an das LSG Bayern.

III. Die Entscheidung

1. Keine Ermessensreduzierung auf Null

Das LSG Bayern stellt fest, dass die Anspruchstellerin lediglich einen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung gemäß Art. 40 BayVwVfG habe, denn ob eine Bezahlkarte anstelle von Bargeld an Asylbewerber ausgegeben werde oder nicht, liegt nach § 3 Abs. 2 S. 5 AsylbLG im Ermessen der zuständigen Behörde. Nur im Falle einer Ermessensreduzierung auf Null, wenn die Behörde also nur eine einzige rechtmäßige Ermessensentscheidung treffen könnte, könne ein Anspruch auf Geldleistungen bestehen (LSG Bayern, Beschluss vom 19.02.2025 – L 8 AY 55/24 B ER, BeckRS 2025, 2322, Rn. 64 f.).

Eine solche Ermessensreduzierung auf Null läge hier aber nach Auffassung des LSG nicht vor. Es sei nicht einmal „im Ansatz nachvollziehbar, weshalb eine Leistungsgewährung nur in Form von Geldleistungen für die Antragstellerin die einzig richtige Ermessensentscheidung des Antragsgegners sein sollte.“ Insbesondere sei nicht erkennbar, dass der Antragstellerin durch die Bezahlkarte wesentliche Nachteile drohen würden (LSG Bayern, Beschluss vom 19.02.2025 – L 8 AY 55/24 B ER, BeckRS 2025, 2322, Rn. 66).

2. Gewährleistung des Existenzminimums durch Sach- oder Dienstleistungen zulässig

Das LSG verweist auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, wonach die Gewährleistung des Existenzminimums durch Sach- oder Dienstleistungen verfassungsrechtlich zulässig sei (BVerfG, Urteil vom 18. 7. 2012 − 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11, NVwZ 2012, 1024). Das Existenzminimum wird in Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich garantiert. Es umfasst sowohl die physische Existenz des Menschen als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben. Es steht allen in Deutschland lebenden Menschen zu, also auch Asylbewerbern. Wie das Sichern des Existenzminimums konkret ausgestaltet wird, sei aber Sache des Gesetzgebers, so das BVerfG. Ob er das Existenzminimum durch Geld-, Sach- oder Dienstleistungen sichert, bleibe grundsätzlich ihm überlassen (BVerfG, Urteil vom 18. 7. 2012 − 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11, NVwZ 2012, 1024, Rn. 93).

3. Bargeldzahlung bleibt teilweise möglich

Darüber hinaus verweist das LSG Bayern darauf, dass die Antragstellerin nicht völlig bargeldlos gestellt wird, sondern ihr die Möglichkeit verbleibt, sich 50€ monatlich von der Bezahlkarte in bar auszahlen zu lassen. Damit würden ihr ausreichend Wahlmöglichkeiten verbleiben, um ihren Bedarf decken zu können. Hier lägen auch keine Gründe vor die es nötig machen würden, dass ihr mehr als 50€ Bargeld im Monat zur Verfügung steht. Ihr Bedürfnis in ganz bestimmten Geschäften einkaufen zu wollen, reiche nicht aus. Dass der Bargeldeinsatz begrenzt sei, sei vom Gesetzgeber so gewollt: „Die aus der Obergrenze möglicher Bargeldabhebungen resultierende Begrenzung des Bargeldeinsatzes begründet noch keinen wesentlichen Nachteil, sondern ist der gesetzlich geregelten Zulässigkeit einer anderen Erbringung von Leistungen als durch Bargeld immanent.“ Zudem müsse berücksichtigt werden, dass das Asylbewerberleistungsrecht Existenzsicherungsrecht auf niedrigstem Leistungsniveau darstelle: Der existenzielle, geringe Bedarf eines Asylbewerbers könne auch mit einer Bezahlkarte gedeckt werden (LSG Bayern, Beschluss vom 19.02.2025 – L 8 AY 55/24 B ER, BeckRS 2025, 2322, Rn. 66).

4. Ergebnis

Die zuständigen Behörden übten ihr Ermessen fehlerfrei aus, indem sie der sich um Asyl bewerbenden Antragstellerin eine Bezahlkarte anstelle von Bargeld ausstellten. Mangels Ermessensfehler der Behörde wies das LSG Bayern den Eilantrag somit zurück.

12.03.2025/0 Kommentare/von Micha Mackenbrock
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Micha Mackenbrock https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Micha Mackenbrock2025-03-12 15:52:542025-03-13 06:58:07Bezahlkarte gewährleistet Existenzminimum für Asylbewerber
Micha Mackenbrock

Keine Gesichtsschleier am Steuer

Öffentliches Recht, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Uncategorized, Verwaltungsrecht

Fragen im Zusammenhang mit dem Kopftuch oder einer Gesichtsverschleierung werden nicht nur in der Gesellschaft kontrovers diskutiert, sondern auch die Gerichte haben sich regelmäßig mit ihnen zu beschäftigen. So auch das OVG Rheinland-Pfalz (Beschluss vom 13.08.2024 – 7 A 10660/23.OVG, NJW 2024, 3532): Im hier vorliegenden Fall ging es darum, ob eine Muslima mit Gesichtsschleier Auto fahren darf.

I. Der Sachverhalt

Die Klägerin K ist gläubige und praktizierende Muslima. In der Öffentlichkeit trägt sie aufgrund ihres Glaubens einen Niqab. Ein Niqab ist ein Schleier, der das ganze Gesicht verdeckt und dabei nur einen schmalen Schlitz für die Augen freilässt. K ist der Auffassung, dass sie eine Sünde begehen würde, wenn sie ohne Niqab in der Öffentlichkeit auftrete. Sie möchte auch beim Autofahren den Niqab tragen, um ihr Gesicht vor anderen Verkehrsteilnehmern zu verdecken. Dem steht aber § 23 IV 1 StVO entgegen. Dort heißt es: Wer ein Kraftfahrzeug führt, darf sein Gesicht nicht so verhüllen oder verdecken, dass er nicht mehr erkennbar ist.

1. Auffassung der Klägerin

K beantragte eine Ausnahmegenehmigung nach § 46 II StVO. Sie sei auf das Autofahren angewiesen, da sie unter Knieschmerzen leide und im ÖPNV schon Opfer von Angriffen und Beleidigungen aufgrund des Tragens des Gesichtsschleiers geworden sei. K argumentiert, dass das Verhüllungsverbot gemäß § 23 IV 1 StVO verfassungswidrig sei, da es schwerwiegende Grundrechtsverletzungen und einen Verstoß gegen den Parlamentsvorbehalt darstelle. Insbesondere werde die Glaubensfreiheit verletzt, da muslimische Frauen durch das Verbot besonders betroffen seien und keine Möglichkeit bestünde, auf andere Verkehrsmittel auszuweichen. Das gesetzgeberische Ziel der Verkehrsüberwachung könne auch durch andere Maßnahmen wie Fahrtenbücher oder einer individuellen Kennzeichnung des Gesichtsschleiers erreicht werden. Außerdem sei das Tragen eines Gesichtsschleiers nicht nachweislich gefährlicher als andere Formen der Gesichtsbedeckungen, wie zum Beispiel einer Corona-Schutzmaske. Die Ablehnung einer Ausnahmegenehmigung verstoße gegen Art. 3 GG, da muslimische Frauen benachteiligt würden und Angehörige anderer Religionen sowie männliche Muslime ihre religiöse Kleidung tragen dürften.

K beantragt bei Gericht, dass die beklagte Straßenverkehrsbehörde dazu verpflichtet wird, ihr die Ausnahmegenehmigung zu erteilen.

2. Auffassung der Straßenverkehrsbehörde

Die für die Erteilung zuständige Straßenverkehrsbehörde lehnt eine Erteilung jedoch ab: Es läge kein besonders dringender Einzel- beziehungsweise Ausnahmefall im Sinne des § 46 II StVO vor, welcher die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung rechtfertigen würde. Die K könne anstatt ihres Autos ein Motorrad fahren und mit dem Motorradhelm ihr Gesicht im Straßenverkehr verdecken. Außerdem sei der ÖPNV in ihrer Heimatstadt gut ausgebaut, so dass K mit ihrem Knie keine weiten Fußwege zur Haltstelle gehen müsse. Zudem unterscheide sich eine potentielle Diskriminierung im ÖPNV wegen ihres Gesichtsschleiers nicht von sonstigen Diskriminierungen, die K in der Öffentlichkeit erleide. Der Eingriff in die Glaubensfreiheit der Klägerin sei gering. Dagegen überwiege das Interesse an der Sicherheit des Straßenverkehrs sowie an der Identifizierbarkeit der Verkehrsteilnehmer im Rahmen von automatisierten Verkehrskontrollen, wie zum Beispiel Radarkontrollen.

II. Die Entscheidung

Das erstinstanzlich zuständige Verwaltungsgericht gab der K kein Recht: B müsse keine Ausnahmegenehmigung erteilen (VG Neustadt a.d. Weinstraße, 26.07.2023 – 3 K 26/23.NW, BeckRS 2023, 18778). Der hiergegen gerichtete Antrag der K auf Zulassung der Berufung wurde vom OVG Rheinland-Pfalz abgelehnt. Es bestünden keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils, § 124 II Nr. 1 VwGO.

1. Verfassungsmäßigkeit des § 23 IV StVO

Es läge zwar ein Eingriff in die grundrechtlich geschützte Religionsfreiheit aus Art. 4 I, II GG vor. Dieser sei aber verfassungsrechtlich gerechtfertigt.

a) Kein Verstoß gegen den Parlamentsvorbehalt

Der Parlaments- beziehungsweise Wesentlichkeitsvorbehalt bestimmt, dass das Demokratiegebot und das Rechtsstaatsprinzip den Gesetzgeber verpflichten, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen im Wesentlichen selbst zu treffen und diese nicht dem Handeln und der Entscheidungsmacht der Exekutive zu überlassen (BVerfG, 8.8.1978 – 2 BvL 8/77, NJW 1979, 359 (360)). Für Autofahrer sei das Verschleierungsverbot aber örtlich und zeitlich stark begrenzt. Dass Kopftücher und Gesichtsschleier in der Gesellschaft viel diskutiert werden, würde nicht dazu führen, dass eine entsprechende Regelung „wesentlich“ sei (OVG Koblenz 13.8.2024 – 7 A 10660/23.OVG, NJW 2024, 3532, Rn. 14). Die Rechtsverordnung § 23 StVO beruht auf der Verordnungsermächtigung des § 6 StVG. Art. 80 I 2 GG verlangt, dass Verordnungsermächtigung bestimmt genug sein müssen. Das im konkreten Fall erforderliche Maß an Bestimmtheit hängt dabei auch von der Eigenart des zu regelnden Sachverhalts ab. Bei vielgestaltigen, komplexen Lebenssachverhalten sind geringere Anforderungen an die Bestimmtheit zu stellen als bei einfach gelagerten Lebenssachverhalten.

Es bestünden keine Bedenken an der hinreichenden Bestimmtheit von § 6 StVG. Die Norm erlaubt dem Verordnungsgeber, Maßnahmen zur Erhaltung der Sicherheit und Ordnung im Straßenverkehr zu erlassen. Eine vollständige Aufzählung aller denkbaren Fälle durch den Gesetzgeber sei aufgrund der Vielseitigkeit der Regelungsbereiche und der Fachkompetenz des Bundesverkehrsministeriums nicht erforderlich. Auch Eingriffe in die Religionsfreiheit würden keinen höheren Grad an Bestimmtheit erfordern. Außerdem erfolge der Eingriffe in die Religionsfreiheit hier nur mittelbar. Damit stelle § 23 StVO stellen keine wesentliche Entscheidung dar, welche dem Parlamentsvorbehalt unterliegt (OVG Koblenz 13.8.2024 – 7 A 10660/23.OVG, NJW 2024, 3532, Rn. 16 f.).

b) Verhältnismäßigkeit

Der durch § 23 IV StVO in die Religionsfreiheit erfolgende Eingriff sei auch verhältnismäßig. Der Zweck der Verordnung, nämlich der Schutz von Leib und Leben im Straßenverkehr, sei legitim. Das Schleierverbot sei auch geeignet, diesen Zweck zu erreichen, indem es zur Identifizierbarkeit von Verkehrsteilnehmern beiträgt und aus beschränkter Rundumsicht hervorgerufenen Unfällen vorbeugt.

Das Schleierverbot sei auch erforderlich, also das mildeste unter den gleich effektiven Mitteln. K meint zwar, sie könne ein Fahrtenbuch führen. Ein Fahrtenbuch ist ein Buch, in welches der Zeitpunkt des Beginns und des Endes sowie der Name des Fahrzeugführers bei jeder Fahrt eingetragen wird. Ein Fahrtenbuch könne die Rundumsicht eines Fahrzeugführers aber nicht gewährleisten, so das OVG. Auch wäre eine fahrzeugbezogene Fahrtenbuchauflage zur Identifikation eines verschleierten Fahrzeugführers nicht gleich geeignet wie ein Verschleierungsverbot, weil es der K aufgrund ihrer Fahrerlaubnis freisteht, jedes andere KFZ zu fahren. So könne es auch sein, dass Fahrten unter Einsatz eines Niqabs mit Fahrzeugen erfolgen, deren Halter die K nicht ist und für die keine Fahrtenbuchauflage bestünde. Außerdem sei es denkbar, dass es innerhalb einer Familie oder eines Freundes- oder Bekanntenkreises mehrere Personen mit Zugriff auf ein Kraftfahrzeug gibt, die ein Niqab tragen. Somit kämen mehrere Personen als Fahrzeugführer in Betracht und eine Identifikation sei unmöglich. Auch könne ein Fahrtenbuch gar nicht oder unrichtig geführt werden. Die K meint, dass eine Identifikation auch darüber erreicht werden könne, dass sie ein individuelles, einmaliges Kennzeichen auf dem Gesichtsschleier befestige, an welchem sie identifiziert werden könne. Das sei aber ebenfalls nicht gleich effektiv, so das OVG, denn mit so einem Kennzeichen könne nur das Kleidungsstück, nicht aber eine Person identifiziert werden.

Schließlich sei § 23 IV StVO auch angemessen. Es bestünden viele Alternativen zum Autofahren, so dass die K nicht in einen unauflösbaren Interessenkonflikt zwischen Glaubensausübung und ihrer Fortbewegungsfreiheit stehe. Auch aus Art. 4 I, II GG folge kein Anspruch darauf, ein KFZ zu selbstgewählten Bedingungen führen zu dürfen. Insgesamt läge keine hohe Eingriffsintensität vor.

2. Rechtmäßige Versagung der Ausnahmegenehmigung

Das Gericht entscheidet, dass der K auch im hier vorliegenden Einzelfall keine Ausnahmegenehmigung hätte erteilt werden müssen. Die Knieprobleme der K würden einer Benutzung des ÖPNV nicht entgegenstehen, denn die K muss keine weiten Fußwege zur Haltestelle auf sich nehmen. Außerdem würden im ÖPNV in der Regel genügend Sitzplätze zur Verfügung stehen. Alternativ könne die K auch ein Motorrad beziehungsweise ein Moped fahren und mittels des Helms ihrem Glaubensgebot nachkommen.

3. Ergebnis

Die beklagte Straßenverkehrsbehörde ist nicht dazu verpflichtet, der K eine Ausnahmegenehmigung vom Verschleierungsverbot zu erteilen.

III. Fazit

Das Urteil reiht sich ein in eine Rechtsprechung, die zu Ungunsten von Kopftuchträgerin entscheidet (siehe hierzu: BVerfG, 14.1.2020 – 2 BvR 1333/17, NJW 2020, 1049; BAG, 27.8.2020 – 8 AZR 62/19, NZA 2021, 189; anders hingegen: BVerfG, 18.10.2016 – 1 BvR 354/11, NVwZ 2017, 549; BVerfG, 27.1.2015 – 1 BvR 471/10, 1 BvR 1181/10, NJW 2015, 1359). Es ist anzunehmen, dass Kopftücher und Verschleierungen auch in Zukunft die Gerichte beschäftigen werden. Somit ist die Thematik auch für die Klausurenersteller der Justizprüfungsämter interessant, so dass Studierende hierzu infomiert bleiben sollten.

13.02.2025/0 Kommentare/von Micha Mackenbrock
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Micha Mackenbrock https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Micha Mackenbrock2025-02-13 10:59:112025-02-13 10:59:12Keine Gesichtsschleier am Steuer
Sören Hemmer

BVerfG zur Beteiligung von VeranstalterInnen von Großveranstaltungen an Polizeieinsatzkosten

BVerfG Leitentscheidungen & Klassiker, Öffentliches Recht, Polizei- und Ordnungsrecht, Uncategorized, Verfassungsrecht

Am 14.01.2025 hat das Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde gegen die Gebührenerhebung für Polizeikosten bei Hochrisikospielen der Fußballbundesliga zurückgewiesen (BVerfG, Urt. v. 14.01.2025 – 1 BvR 548/22). Das Urteil hat nicht nur eine breite öffentliche Debatte bedient, sondern erscheint auch aus der spezifischen Perspektive des juristischen Studiums und der Examensvorbereitung relevant. Der folgende Beitrag macht sich daher zur Aufgabe, den Sachverhalt und die wesentlichen Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts mit einem besonderen Blick auf die juristische Ausbildung zu besprechen.

I. Der Sachverhalt (verkürzt)

Die Urteilsverfassungsbeschwerde betrifft die Erhebung einer Gebühr gegenüber der Beschwerdeführerin wegen eines als besonders gefahrgeneigt eingestuften Fußballbundesligaspiels.

In dem Bestreben, die Kostenbelastung des Landes für Polizeieinsätze bei gewinnorientierten Großveranstaltungen zu senken (vgl. Bremische Bürgerschaft Drs. 18/1201), wurde § 4 BremGebBeitrG im Jahr 2014 um folgenden Absatz 4 ergänzt:

„(4) Eine Gebühr wird von Veranstaltern oder Veranstalterinnen erhoben, die eine gewinnorientierte Veranstaltung durchführen, an der voraussichtlich mehr als 5 000 Personen zeitgleich teilnehmen werden, wenn wegen erfahrungsgemäß zu erwartender Gewalthandlungen vor, während oder nach der Veranstaltung am Veranstaltungsort, an den Zugangs- oder Abgangswegen oder sonst im räumlichen Umfeld der Einsatz von zusätzlichen Polizeikräften vorhersehbar erforderlich wird. Die Gebühr ist nach dem Mehraufwand zu berechnen, der aufgrund der zusätzlichen Bereitstellung von Polizeikräften entsteht. Der Veranstalter oder die Veranstalterin ist vor der Veranstaltung über die voraussichtliche Gebührenpflicht zu unterrichten. Die Gebühr kann nach den tatsächlichen Mehrkosten oder als Pauschalgebühr berechnet werden.“

Ebenso wurde die Anlage zur Kostenverordnung für die innere Verwaltung (InKostV) um eine entsprechende Nr. 120.60 (a.F., nunmehr Nr. 120.61) ergänzt. Zudem sieht § 25 Abs. 1 BremGebBeitrG vor, dass Kosten aus Billigkeitserwägungen erlassen, nicht festgesetzt oder erstattet werden können.

Die Beschwerdeführerin ist eine GmbH und einhundertprozentigen Tochter des DFL Deutsche Fußballliga e.V. mit Sitz in Deutschland. Sie ist innerhalb der Organisation des Fußballprofisports für die Verlegung von Spielen aus Sicherheitsgründen zuständig; für Sicherheitsmaßnahmen in den Stadien trägt der jeweilige Verein die Verantwortung.

Vor einem für den 19.04.2015 angesetzten Bundesligaspiel zwischen dem SV Werder Bremen und dem Hamburger SV im Bremer Weserstadion unterrichtete die Polizei Bremen die Beschwerdeführerin von ihrer voraussichtlichen Gebührenpflicht gemäß § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG. Am Spieltag waren 969 PolizeibeamtInnen im Einsatz, die zahlreiche polizeiliche Maßnahmen – unter anderem circa 90 Ingewahrsamnahmen und 150 Platzverweise für das gesamte Stadtgebiet – vornahmen. Im Anschluss forderte die Polizei Bremen mit Bescheid vom 18.08.2015 Gebühren in Höhe von 425.718,11 € von der Beschwerdeführerin.

Seit dem Erlass des ersten Bescheids wurden auf Grundlage des § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG durchschnittlich bei einem Spiel pro Saison Gebühren in durchschnittlicher Höhe von 334.000 € gefordert. Die Beschwerdeführerin nahm jeweils Regress beim SV Werder Bremen.

In der Saison 2022/2023 wurden insgesamt 52 von 612 Begegnungen der 1. und 2. Bundesliga als Hochrisikospiele eingeordnet. Dabei lag der örtliche Schwerpunkt der im Zusammenhang mit diesen Spielen begangenen Straftaten vor allem im Bereich des Stadions, des Stadionvorfelds und in den Bahnhöfen.

Nachdem die Beschwerdeführerin gegen den Bescheid vom 18.08.2015 erfolglos den Verwaltungsrechtsweg beschritten hatte, hat sie Urteilsverfassungsbeschwerde erhoben. Sie rügt die Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG durch die angegriffenen Gerichtsentscheidungen. Mittelbar richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen die Gebührenregelung selbst.

(Auf eine nähere Darstellung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrensverlaufs wird an dieser Stelle unter Verweis auf BVerfG, Urt. v. 14.01.2025 – 1 BvR 548/22 Rn. 10 ff. verzichtet.)

II. Die Entscheidung des BVerfG

1. In Betracht kommen nur Verletzungen in die Berufsfreiheit und in den allgemeinen Gleichheitssatz

Schon in der Erörterung der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde beschränkt das Bundesverfassungsgericht seine weitere Prüfung auf die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG und den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG. Insoweit komme in jeweiliger Verbindung mit Art. 19 Abs. 3 GG eine Grundrechtsverletzung in Betracht. Im Übrigen fehle es an einem hinreichend substantiierten Vortrag (§§ 23 Abs. 1 S. 2, 92 BVerfGG).

Im Einzelnen:

Hinsichtlich Art. 14 Abs. 1 GG folgt das Bundesverfassungsgericht seiner ständigen Rechtsprechung, nach der die Auferlegung von Geldleistungspflichten nicht an Art. 14 Abs. 1 GG, sondern Art. 2 Abs. 1 GG zu messen sei, weil die Eigentumsfreiheit nicht das Vermögen als solches schütze (BVerfG, Beschl. v. 12.10.1994 – 1 BvL 19/90, BVerfGE 91, 207 (220 f.)).

Hinweis: Hier stellt das Bundesverfassungsgericht freilich im Weiteren nicht auf die allgemeine Handlungsfreiheit, sondern die Berufsfreiheit ab.

Auch ein Verstoß gegen Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG (Einzelfallgesetzgebung) scheide unter Verweis auf die angegriffenen Entscheidungen aus. So hat zuvor das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt:

„Es liegt kein unzulässiges Einzelfallgesetz vor. Der Wortlaut des § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG ist abstrakt formuliert und knüpft allgemein an den Einsatz zusätzlicher Polizeikräfte bei bestimmten gewinnorientierten Großveranstaltungen an. Dass die Regelung derzeit offenbar nur die Veranstalter von sog. Hochrisiko-Spielen der Fußball-Bundesliga betrifft und dies auch im Gesetzgebungsverfahren im Vordergrund stand, ändert nichts an ihrem generellen Charakter. Die gesetzliche Regelung eines Einzelfalles ist selbst dann nicht ausgeschlossen, wenn der Sachverhalt so beschaffen ist, dass es nur einen Fall dieser Art gibt und die Regelung dieses singulären Sachverhalts von sachlichen Gründen getragen wird; Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG will verhindern, dass der Gesetzgeber willkürlich aus einer Reihe gleichgelagerter Sachverhalte einen Fall herausgreift und zum Gegenstand einer Sonderregel macht (BVerfG, Urteil vom 10. März 1992 – 1 BvR 454/91 u.a. – BVerfGE 85, 360 <374> m.w.N.). Hiervon kann bei der vorliegenden Gebührenregelung keine Rede sein.“ (BVerwG, Urt. v. 29.03.2019 – 9 C 4.18, Rn. 19, NJW 2019, 3317 (3319)).

Schließlich ließ das Bundesverfassungsgericht die Rüge einer im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG unzureichenden Kontrolle der Richtigkeit der polizeilichen Prognose des Gewaltpotenzials durch das Oberverwaltungsgericht und das Bundesverwaltungsgericht an den Darlegungsanforderungen scheitern.

Hinweis: In der Klausur werden all diese Ausführungen im Prüfungspunkt „Beschwerdebefugnis“ erwartet.

2. Gerechtfertigter Eingriff in die Berufsfreiheit
a) Eingriff in den Schutzbereich

Vor keine großen Probleme sieht sich das Bundesverfassungsgericht mit der Frage gestellt, ob in § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG ein Eingriff in den Schutzbereich von Art. 12 Abs. 1 GG zu erkennen ist.

Die Organisation von Fußballbundeligaspielen sei grds. geschützt, da die Veranstalterinnen und Veranstalter diese Tätigkeit in Gewinnerzielungsabsicht ausüben. Geschützt sei – in Verbindung mit Art. 19 Abs. 3 GG auch für juristische Personen – das Ergreifen und Ausüben eines Berufes als einheitliches Grundrecht, wobei Beruf als jede auf Dauer angelegte Tätigkeit zur Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage zu verstehen sei.

In dieses Grundrecht werde durch die Auferlegung von Geldleistungspflichten eingegriffen, soweit diese:

„in engem Zusammenhang mit der Ausübung eines Berufs stehen und objektiv eine berufsregelnde Tendenz erkennen lassen (vgl. BVerfGE 98, 83 <97>; 113, 128 (145); 124, 235 <242>; 161, 63 <89 Rn. 43> – Windenergie-Beteiligungsgesellschaften; BVerfGE 162, 325 <346 Rn. 79> – Zinsen Kernbrennstoffsteuer). Dies ist anzunehmen, wenn die Geldleistungspflichten einen spezifischen Einfluss auf die berufliche Tätigkeit ausüben und zu einer Veränderung der Rahmenbedingungen der Berufsausübung führen (vgl. zu Abgaben BVerfGE 95, 267 <302>; 98, 218 <258>; 111, 191 <213 f.>; 113, 128 <145>; 161, 63 <90 Rn. 47>; stRspr)“ (BVerfG, Urt. v. 14.01.2025 – 1 BvR 548/22, Rn. 55).

Eine spezifische Beeinflussung der beruflichen Tätigkeit könne hier erkannt werden, denn die Gebührenpflicht für Hochrisikospiele knüpfe an einen bestimmten Ausschnitt der Tätigkeit an und erhöhe die finanzielle Belastung erheblich.

Hinweis: Hier liegen tatsächlich nicht die Schwierigkeiten des Falles. In einer entsprechenden Klausur mag es geboten sein, einen weiteren Satz zu der abstrakten Umschreibung eines Eingriffs zu verlieren. Insgesamt sollten die Ausführungen an diesen Stellen jedoch knapp gehalten werden.

b) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung

Der Eingriff ist jedoch nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verfassungsrechtlich gerechtfertigt.

aa) Formelle Verfassungsmäßigkeit

In formeller Hinsicht kann sich das Bundesverfassungsgericht auf Ausführungen zur Gesetzgebungskompetenz beschränken. Das Land Bremen habe sich hier auf Art. 70 Abs. 1 GG stützen können, denn die Kompetenz für die Erhebung nichtsteuerlicher Abgaben werde von der Sachmaterie – allgemeines Polizeirecht – umfasst. Mit § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG werde eine Gebühr und keine Steuer erhoben (dazu noch unter III.).

Wesentliches Abgrenzungsmerkmal zwischen Steuer und Gebühr sei dabei, ob eine Geldforderung zur allgemeinen Finanzbedarfsdeckung des Gemeinwesens (vgl. § 3 Abs.1 AO) oder

„aus Anlass individuell zurechenbarer Leistungen durch eine öffentlich-rechtliche Norm oder eine sonstige hoheitliche Maßnahme auferlegt werden (vgl. BVerfGE 149, 222 <250 Rn. 55>) und insbesondere dazu bestimmt sind, in Anknüpfung an diese Leistungen deren Kosten ganz oder teilweise zu decken oder deren Vorteil (vgl. BVerfGE 93, 319 <347>) oder deren Wert auszugleichen (vgl. BVerfGE 50, 217 <226>; 85, 337 <346>; 91, 207 <223>; 92, 91 <115>; 93, 319 <347>; 110, 370 <388>; 132, 334 <349 Rn. 49>; 137, 1 <18 Rn. 43>)“ (BVerfG, Urt. v. 14.01.2025 – 1 BvR 548/22, Rn. 61).

Letzteres sei hier der Fall, denn die Norm erlege konkret die Kosten eines polizeilichen Mehraufwands bei der Durchführung entsprechend gefahrenträchtiger Veranstaltungen auf.

Hinweis: Für die Examensprüfung sollten voneinander abgrenzende Definitionen zu den Begriffen Steuern, Beiträge und Gebühren bekannt sein.

bb) Materielle Verfassungsmäßigkeit

Das Bundesverfassungsgericht sieht § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG auch als materiell verfassungsgemäß an, denn sie sei verhältnismäßig. Insofern verfolge die Norm einen legitimen Zweck in geeigneter, erforderlicher und angemessener Weise und sie genüge den Anforderungen des Bestimmtheitsgebots.

Hinweis: Vertretbar ist auch, die hinreichende Bestimmtheit eines Gesetzes als eigenen Prüfungspunkt außerhalb der Verhältnismäßigkeit zu untersuchen (vgl. Dreier/Schulze-Fielitz, GG, 3. Aufl. 2015, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 129).

(1) Legitimer Zweck, Geeignetheit und Erforderlichkeit

Das Bundesverfassungsgericht erkennt in dem Bestreben, Mehrkosten der benannten Veranstaltungen nach der mittelbar angegriffenen Norm auf Veranstalterinnen und Veranstalter abzuwälzen, einen legitimen Zweck. Gebühren können sich so in ihrer Ausgleichsfunktion rechtfertigen.

Dieser Zweck könne auch im Sachgebiet des Polizeirechts herangezogen werden. Dass kein solches Gebührenerhebungsverbot bestehe, gründet das Bundesverfassungsgericht auf vier Argumenten:

Erstens sei ein sachgebietsbezogenes Gebührenerhebungsverbot im Grundgesetz an keiner Stelle erwähnt. Zweitens sei mit Blick auf die Gerichtsgebühren anerkannt, dass auch staatliche Kernaufgaben nicht zwingend gebührenfrei zu erbringen sind. Drittens sei anerkannt, dass Gebühren auch dort erhoben werden können, wo eine staatliche Handlungspflicht besteht, etwa im Fall des Verbots mit Erlaubnisvorbehalt. Das gelte – viertens – selbst dort, wo ein verfassungsrechtlicher Anspruch Einzelner auf eine staatliche Gewährleistung existiere; ansonsten sei wiederum die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Gerichtsgebühren durch Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG in Frage gestellt.

Mit der Regelung des § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG werde ein Mehraufwand der Polizeitätigkeit finanziert, indem die Allgemeinheit entlastet und NutznießerInnen und VerursacherInnen belastet werden. Das Gesetz sei damit in Hinblick auf den genannten Zweck förderlich und damit geeignet.

In Ermangelung eines milderen staatlichen Mittels, dass die Allgemeinheit von jenen Mehrkosten befreit, sei die Regelung auch erforderlich.

(2) Angemessenheit

Einen Schwerpunkt seiner Ausführungen legt das Bundesverfassungsgericht auf die Angemessenheit der Regelung. Dabei stellt es zunächst die grundrechtliche Belastung und den Zweck in ihrem jeweiligen Gewicht gegenüber (a), um anschließend beides hinsichtlich des Grundes (b) und der Bemessung (c) der Gebühr unter maßgeblicher Berücksichtigung des Wesens einer Gebühr als Gegenleistung für eine individuell zurechenbare Leistung in ein Verhältnis zu stellen und auf dieser Grundlage eine Gesamtschau der Angemessenheit vorzunehmen (d).

(a) Grundrechtsbelastung und Zweck der Regelung

Strukturiert legt das Bundesverfassungsgericht zunächst dar, was es überhaupt in Verhältnis zu setzen gilt.

Auf der einen Seite stehe ein Eingriff in die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) von einigem Gewicht, denn:

  • Gebühren können eine beträchtliche Höhe erreichen, allerdings nur bei grds. gewinnorientierten Veranstaltungen.
  • die Belastung finde zwar ihren Anlass in dem Verhalten der Veranstaltenden, die insofern auch gerade von dem Derby-Charakter von Hochsicherheitsspielen profitieren, die Gefahrgeneigtheit sei dennoch für Veranstaltende nur begrenzt steuerbar, denn sie liege teilweise außerhalb des eigenen Einflussbereichs.
  • Die Höhe der Gebühr stehe nicht in Relation zum Gewinn, sodass erstere letztere auch übersteigen könne, wobei die Möglichkeit einer Billigkeitsentscheidung nach § 25 Abs. 1 BremGebBeitrG zu berücksichtigen sei.

Auf der anderen Seite stehe eine gerechte Kostenverteilung von Hochrisiko- gegenüber „normalen“ Bundesligaspielen als erheblich bedeutsamer Zweck für das Gemeinwesen und den sozialen Frieden. Hier berücksichtigt das Bundesverfassungsgericht auch, dass an der gefahrgeneigten Veranstaltung wiederum ein erhebliches Gemeinwohlinteresse („Integrationsleistung des Fußballs“) bestehen könne. Dafür, dass die Wirtschaftlichkeit und damit die Fortexistenz der Fußballbundesliga in Frage gestellt werde, bestehe allerdings kein Anhaltspunkt.

Hinweis: Gelegentlich gerät die Angemessenheitsprüfung von Bearbeitenden einer Klausur bereits an diesem Punkt in Schieflage. Nicht immer sind hier ausführliche Darstellungen erforderlich, wenn sich schon aus den Ausführungen unter „Eingriff in den Schutzbereich“ und „legitimer Zweck“ hinreichend ergibt, was gegeneinander abzuwägen ist. Dessen sollte sich aber in jedem Fall vergegenwärtigt werden.

(b) Verhältnismäßigkeit der Gebührenauferlegung dem Grunde nach

Zur Gebührenregelung dem Grunde nach führt das Bundesverfassungsgericht aus, diese sei nur dann angemessen, wenn sie auch tatsächlich als Gegenleistung für eine individuell zurechenbare Leistung erhoben wird. Hier stehe der Gesetzgebung ein weiter Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum zu, dieser sei aber jedenfalls überschritten, wenn kein konkreter Bezug zwischen dem gesetzlich definierten Vorzug und der/dem Abgabepflichtigen mehr erkennbar sei.

Eine Zurechenbarkeit der Mehrkosten gegenüber den Veranstaltenden rechtfertige sich aus einer Gesamtschau mehrerer Gesichtspunkte der Veranlassung und Begünstigung.

Zum einen sei der Mehraufwand durch diejenigen, die eine entsprechende Veranstaltung durchführen, veranlasst. Sie nehmen so begrenzte öffentliche Ressourcen in deutlich übermäßigem Umfang in Anspruch und begründen damit ein Näheverhältnis zu der erbrachten Leistung, dass weder durch die Rechtmäßigkeit der Veranstaltung, noch die Unerwünschtheit des Polizeieinsatzes unterbrochen werde. In jedem Fall seien die staatlichen Ressourcen gebunden, denn die Wahrnehmung der Aufgabe des Schutzes der öffentlichen Sicherheit stehe nicht zur Disposition. Auch bei wertender Betrachtung bestehe eine Zurechenbarkeit, denn:

„Die Nähe zum gebührenpflichtigen Mehraufwand wird im vorliegenden Fall auch durch den besonderen Umfang des Aufwands begründet, der in abgrenzbarer Weise durch die Veranstaltung und gerade nicht durch die Allgemeinheit verursacht wird. Die Gefahrenträchtigkeit und die mit der Veranstaltung erzielten Gewinne sind überdies auch in der den Veranstalterinnen und Veranstaltern bekannten und von ihnen gewollten Attraktivität der durchgeführten Veranstaltung miteinander verknüpft“ (BVerfG, Urt. v. 14.01.2025 – 1 BvR 548/22, Rn. 96).

Hier vergleicht das Bundesverfassungsgericht die „Normallage“ in einer Stadt und die Lage bei „normalen Spielen“ mit derjenigen bei Hochrisikospielen. Eine besondere Gefahrenträchtigkeit von letzteren sei plausibel und werde durch langjährige Erfahrungen gestützt.

Zum anderen liege bei den Veranstaltenden ein Nutznießen von dem polizeilichen Mehraufwand vor. Müsste eine Veranstaltung andernfalls wegen ihrer Gefahrgeneigtheit untersagt werden, beruhe ihre Durchführbarkeit auf dem besonderen polizeilichen Aufwand.

Die Auferlegbarkeit der Kosten setze auch nicht eine Verantwortlichkeit auf Primärebene, also auf der Ebene der Gefahrenabwehr an sich, voraus, denn beide Ebenen seien an unterschiedlichen Zwecken ausgerichtet, sodass ein Gleichlauf nicht zwingend sei.

Mit Blick auf die Durchführung der Veranstaltung in Kenntnis ihrer Gefahrenträchtigkeit und das Nutznießen der Veranstaltenden in Form der Durchführbarkeit der Veranstaltung aufgrund des polizeilichen Mehraufwands stehe einer Zurechenbarkeit schließlich auch nicht entgegen, dass dazwischen ein freiverantwortliches Handeln Dritter stehen könne.

(c) Verhältnismäßigkeit der Gebührenbemessung

Auch in der Gebührenbemessung sei gegen § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG im Ergebnis nichts zu erinnern. Maßgeblich sei dabei der Zweck der Belastung durch die Abgabe: Es solle ein durch eine öffentlich-rechtliche Leistung vermittelter Vorteil bzw. eine Nutzungsmöglichkeit abgegolten werden. Es müsse auch kein Gemeinwohlabschlag vorgenommen werden. Wiederum verweist das Bundesverfassungsgericht auf die vorangegangene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts:

„Zwar trifft es zu, dass das Bundesverwaltungsgericht für bestimmte Fallgestaltungen einen (Gemeinwohl-)Abschlag verlangt. So hat es etwa zum Straßenreinigungsrecht entschieden, dass es sich unter keinem vernünftigen Gesichts punkt als sachgerecht erweist und es daher gegen den Gleichheitssatz verstößt, wenn Kosten, die die Befriedigung des Allgemeininteresses betreffen, allein den Anliegern aufgebürdet werden […] Der Unterschied zu den vorgenannten Fallgestaltungen liegt aber darin, dass es bei § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG um einen polizeilichen Mehraufwand geht, der ausschließlich aufgrund einer privatnützigen, gewinnorientierten Veranstaltung entsteht“ (BVerwG, Urt. v. 29.03.2019 – 9 C 4.18, Rn. 78 f.; NJW 2019, 3317 (3325)).

Zudem bliebe es in Anwendungsfällen von § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG ohnehin nur um die Auferlegung der Mehrkosten. Das allgemeine Teilhabeinteresse an einem Fußballspiel werde daher durch die öffentliche Hand finanziert.

(d) Gesamtschau der Angemessenheit

Auch in einer Gesamtschau sei die Regelung nicht unangemessen. Die Gebühr erschwere den Gebrauch entsprechender Freiheitsrechte nicht unzumutbar („erdrosselnde Wirkung“). Auf atypische Fälle könne im Wege einer Billigkeitsentscheidung nach § 25 Abs. 1 BremGebBeitrG reagiert werden.

(3) Bestimmtheitsgrundsatz

Schließlich erkennt das Bundesverfassungsgericht auch keine durchgreifenden Bedenken hinsichtlich aus Art. 20 Abs. 3 GG abgeleiteter Anforderungen der Normenklarheit und Bestimmtheit. Die Norm werfe keine Auslegungsprobleme auf, die nicht mit den herkömmlichen juristischen Methoden zu bewältigen seien und es genüge, wenn der Umfang der Abgabenlast im Groben vorherzusehen ist, was im Falle von § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG gegeben sei, zumal eine entsprechende Prognose vorab gemäß S. 3 der Vorschrift mitzuteilen sei.

3. Gerechtfertigte Ungleichbehandlung

Das Bundesverfassungsgericht erkennt ebenfalls keinen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

Insofern bedürfen Differenzierungen der Rechtfertigung. Dahingehend seien zwei Vergleichsgruppen in den Blick zu nehmen: Einerseits werde unter Veranstaltenden je nach Gewinnorientierung ihrer Veranstaltung differenziert, andererseits danach, ob an ihrer Veranstaltung mindestens 5.000 Personen zeitgleich teilnehmen.

Beide Differenzierungen seien an einem Maßstab einer gelockerten Verhältnismäßigkeitsprüfung zu messen, wie aus der ständigen Rechtsprechung zu den Rechtfertigungsanforderungen einer Ungleichbehandlung im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 GG und in Ansehung der hiesigen Beeinträchtigung der Berufsfreiheit folge:

„Differenzierungen bedürfen […] stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Ziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Dabei gilt ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen (vgl. BVerfGE 138, 136 <180 Rn. 121> m.w.N.; 148, 147 <183 f. Rn. 94>; 161, 63 <134 f. Rn. 166>; 167, 163 <235 f. Rn. 174>; stRspr). Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die von gelockerten, auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können. Eine strengere Bindung des Gesetzgebers kann sich aus den jeweils betroffenen Freiheitsrechten ergeben. Zudem verschärfen sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen, je weniger die Merkmale, an die die gesetzliche Differenzierung anknüpft, für den Einzelnen verfügbar sind, oder je mehr sie sich denen des Art. 3 Abs. 3 GG annähern (vgl. BVerfGE 138, 136 <180 f. Rn. 122>; 149, 222 <253 f. Rn. 64>; 158, 282 <327 f. Rn. 111>; 161, 63 <134 f. Rn. 166>; stRspr)“ (BVerfG, Urt. v. 14.01.2025 – 1 BvR 548/22, Rn. 117).

Gemessen daran, seien die Differenzierungen in § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG zu rechtfertigen. Die Differenzierung nach Gewinnorientierung diene gerade dem Zweck, die besonderen Kosten an die Stelle zu verlagern, die aus der Quelle des zusätzlichen Aufwands einen finanziellen Vorteil ziehe. Die Differenzierung nach Veranstaltungsgröße wirke sowohl auf die Begrenzung der Kostenauferlegung auf Fälle besonderer Gefahrenträchtigkeit – kleinere Veranstaltung, weniger gefahrenträchtig – als auch auf den Zweck der Verlagerung von Kosten an Stellen, die einen besonderen Vorteil aus einem Mehraufwand ziehen – kleinere Veranstaltungen, weniger Gewinn – hin.

Hinweis: Grob fehlerhaft wäre es hingegen, eine Differenzierung i.S.v. Art. 3 Abs. 1 GG anzunehmen, weil andere Bundesländer keine mit § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG vergleichbare Regelung vorsehen. Die kompetenziellen Grenzen der Länder in der föderalen Struktur sind zu achten: Jedes Land hat als eigener Träger öffentlicher Gewalt den Gleichheitssatz nur innerhalb des eigenen Zuständigkeitsbereichs zu gewährleisten (BVerfG, Beschl. v. 23.11.1988 – 2 BvR 1619/83, 1628/83, BVerfGE 79, 127 (158)).

4. Auslegung und Anwendung von § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG

Die Verfassungsgemäßheit der Anwendung der Regelung in dem der Verfassungsbeschwerde zu Grunde liegenden Fall wird festgestellt.

III. Ausblick

1. Die grundlegende Problematik der Gebührenregelung

Das grundlegende Problem, welches bei der Gebührenerhebung für Maßnahmen der polizeilichen Gefahrenabwehr gegenüber VeranstalterInnen gesehen wird, sei noch einmal skizziert:

Der Finanzverfassung des Grundgesetzes liegt, auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das Prinzip des Steuerstaates zu Grunde. Die Finanzierung staatlicher Aufgaben in Bund und Ländern einschließlich der Gemeinden muss in erster Linie aus dem Ertrag der in Art. 105 ff. GG geregelten Einnahmequellen erfolgen. Das steht nichtsteuerlichen Abgaben nicht schon von vornherein entgegen, diese bedürfen jedoch einer besonderen Rechtfertigung und müssen sich in ihrer Art von der voraussetzungslos auferlegten und geschuldeten Steuer deutlich unterscheiden (BVerfG, Beschl. v. 07.11.1995 – 2 BvR 413/88, 1300/93, NVwZ 1996, 469 (470 f.).

Für die hier besprochene Gebührenregelung ist dabei zweierlei zu berücksichtigen: Erstens ist die Gefahrenabwehr staatliche Kernaufgabe (BVerfG, Beschl. v. 04.04.2006 – 1 BvR 518/02, BVerfGE 115, 320 (346); Siegel, DÖV 2014, 867; Böhm, NJW 2015, 3000 (3001)). Zweitens sind VeranstalterInnen von Bundesligaspielen auf primärer Ebene, also der Ebene der Gefahrenabwehr selbst, nach hM als NichtstörerInnen anzusehen, denn selbst die Figur der ZweckveranlasserInnen vermag nicht derart weit zu tragen (Siegel, DÖV 2014, 867 (868 f.); Böhm, NJW 2015, 3000 (3001); ausführlich Heise, NVwZ-Extra 5/2015, abrufbar unter https://rsw.beck.de/zeitschriften/nvwz/nvwz-extra-aufs%C3%A4tze-online, letzter Abruf am 26.01.2025; zumindest zweifelnd auch Mitteilung des Senats, LT-Drs. 18/1501, S. 10). In der Literatur wird so vertreten, durch § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG werden die besonderen Anforderungen an die Erhebung von Gebühren nicht erfüllt, indem der Staat sich von Einzelnen für die Erfüllung seiner allgemein bestehenden Aufgaben individuell bezahlen lasse (Leines, Die Kostentragung für Fußballeinsätze anlässlich von Fußballspielen, 2018, S. 281 ff.; Böhm, NJW 2015, 3000 (3002)).

2. Zur Entscheidung an sich

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungskonformität von § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG rekurriert in der Begründung in einem erheblichen Maße auf den Anwendungsfall von „Hochrisikospielen“ in der Fußballbundesliga. Dem ist zuzugeben, dass die Liste von Veranstaltungen, die in Gewinnorientierung durchgeführt werden, vergleichbare Massen bewegen und dabei eine Gefahrengeneigtheit besitzen, wie vom Bundesverfassungsgericht hier aus dem Charakteristikum der Rivalität zweier Mannschaften, dem ausgelassenen Feiern und dem Alkoholkonsum einem Teil der Begegnungen der Fußballbundesliga attestiert (BVerfG, Urt. v. 14.01.2025 – 1 BvR 548/22, Rn. 98), nicht unendlich lang sein dürfte (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.03.2019 – 9 C 4.18, Rn. 19; NJW 2019, 3317 (3319)).

Gerade hier knüpfen jedoch kritische Stimmen in Reaktion auf das Urteil an. Schon der Profifußball empfindet sich in der Entscheidung nicht hinreichend gesehen: Der DFB verwies in einer Stellungnahme auf Vereine der 3. Liga und den Regionalligen. Für sie könne in solchen Gebührenbescheiden eine Existenzgefährdung und ein massiver Wettbewerbseingriff liegen. Demgegenüber sei der Beitrag, den der Fußball für den gesellschaftlichen Zusammenhalt leiste, finanziell nicht aufzuwiegen (DFB, Polizeikosten bei Hochrisikospielen: DFB bedauert Urteil des BVerfG, 14.01.2025, abrufbar unter https://www.dfb.de/news/polizeikosten-bei-hochrisikospielen-dfb-statement-zum-bverfg-urteil, letzter Abruf am 25.01.2025).

Nicht überraschen darf, dass das Bundesverfassungsgericht zu Erwägungen des gesellschaftlichen Werts und der Integrationsfunktion des Fußballs zwar keine konsequente Ablehnung, jedoch Zurückhaltung gezeigt hat. Aus dem Grundgesetz, konkret Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG (Sozialstaatsprinzip), folgt zwar auch eine Garantie der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Diese zu konkretisieren, ist aber Aufgabe der Gesetzgebung. Hier hat das Bundesverfassungsgericht einen weiten Gestaltungsspielraum zu respektieren (BVerfG, Urt. v. 09.02.2010 – 1 BvL1, 3, 4/09. BVerfGE 125, 175 (222, 224 f.); Beschl. v. 23.07.2014 – 1 BvL 10, 12/12, 1 BvR 1691/13, BVerfGE 137, 34 (72 ff.)).

Die Sorge, dass eine Regelung entsprechend § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG auch in anderen Fußballwettbewerben Anwendung finden würde, ist insoweit berechtigt, als auch in der 3. Liga im Schnitt 9.707 ZuschauerInnen die Spiele in der vergangenen Saison besucht haben (3. Liga Saisonreport 2023/2024, S. 14, abrufbar unter https://www.dfb.de/ePaper/DFB-Saisonreport-3-Liga-202324/, letzter Abruf am 25.01.2025). Freilich bewegen sich diese Bedenken derweil weitgehend im Bereich des Hypothetischen, denn für Fälle außerhalb Bremens ist vorgeschaltet, dass und inwiefern sich andere Länder eine § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG vergleichbare Gebührenregelung geben werden. Inwiefern von den Voraussetzungen, die das Bremer Gesetz vorsieht, abgewichen werden kann bzw. diese unterschritten werden können, folgt aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht ohne Weiteres. Zumindest jedoch ist betont, dass stets nur über die Mehrkosten eines besonderen Aufwands hervorgehobener Veranstaltungen entschieden wurde (vgl. dazu Heise, NVwZ 2015, 262 (267)).

Erwähnt werden soll schließlich noch, dass die Benennung der DFL als Veranstalterin gemäß § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG nicht unumstritten ist. Teilweise wird vertreten, der Gebührenbescheid sei – wenn überhaupt – an den jeweiligen Heimverein zu richten, da dieser die Organisation vor Ort vornehme (Böhm, NJW 2015, 3000 (3003 f.); Leines, Die Kostentragung für Polizeieinsätze anlässlich von Fußballspielen, 2018, S. 197 ff.).

3. Aus der Perspektive des Studiums

Für einschlägige Klausuren ist entscheidend, sich in einer strukturierten Verhältnismäßigkeitsprüfung mit dem Zweck von Gebühren im Allgemeinen, dem Verhältnis des Staates zu seiner Aufgabe der Gefahrenabwehr im Kontext der Kostentragung und den konkret tangierten Belangen Einzelner auseinanderzusetzen und dabei den Gestaltungsspielraum, der der Gesetzgebung belassen ist, zu achten. Darüber hinaus ist vieles vertretbar, wie schon die Diskussion im Vor- und Nachgang der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aufzeigt.

04.02.2025/0 Kommentare/von Sören Hemmer
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Sören Hemmer https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Sören Hemmer2025-02-04 09:00:002025-02-04 11:52:21BVerfG zur Beteiligung von VeranstalterInnen von Großveranstaltungen an Polizeieinsatzkosten
Gastautor

Die objektive Zurechnung in der Prüfung bei Erfolgsdelikten

Strafrecht, Strafrecht AT, Uncategorized

Die objektive Zurechnung im Strafrecht stellt nicht nur jüngere Semester immer wieder vor Herausforderungen. Mit den einzelnen Fallgruppen und Tipps für einen gelungenen Prüfungsaufbau hat sich unser Gastautor Matthias B. Haase beschäftigt. Er ist Doktorand und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Deutsche und Rheinische Rechtsgeschichte und Bürgerliches Recht an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.

I. Die objektive Zurechnung als Dauerbrenner

Die objektive Zurechnung spielt insbesondere bei Erfolgsdelikten eine entscheidende Rolle in der Klausur. Viele bekannte Probleme sind mit diesem Tatbestandsmerkmal verbunden. Das Erkennen, Verstehen und Lösen der verschiedenen Problemkonstellationen in der Falllösung kann durch einen sauberen Prüfungsaufbau bewältigt werden. Dazu bedarf es einer klaren Einordnung der verschiedenen Fallgruppen in die Definitionsbegrifflichkeiten. Dies soll in den nachfolgenden Ausführungen geschehen. Wichtig zu betonen ist aber, dass nicht in jeder Klausur eine vollständige Prüfung durchgeführt werden sollte. Stattdessen sollte das Prüfungsschema zumindest vor dem geistigen Auge nachvollzogen werden, um die Probleme schnell zu erkennen und sauber im Gutachtenstil mit richtiger Schwerpunktsetzung abzuarbeiten. Der Beitrag orientiert sich insgesamt an den Kontroversen von Kindhäuser und Roxin.

Die Prüfung ist mit der allgemeinen Definition einzuleiten: „Der tatbestandliche Erfolg eines Deliktes ist dem Täter objektiv nur zurechenbar, wenn dieser mit seinem Verhalten ein rechtlich missbilligtes Risiko geschaffen hat, welches sich im tatbestandlichen Erfolg realisiert hat.“[1]

II. Erlaubte Risiken

Zunächst ist also die Frage zu stellen, ob ein Verhalten die Schaffung eines rechtlich missbilligten Risikos darstellt; also ein durch die Rechtsordnung verbotenes Risiko. Das Risiko ist dabei als Vorstufe zum Erfolg zu verstehen. Ohne ein solches kann auch kein nachfolgender Erfolg eintreten. Das Risiko stellt mit anderen Worten die Möglichkeit eines künftigen Erfolgseintritts dar.[2] Fraglich ist ob jeder tatbestandlicher Erfolg ein unerlaubtes Risiko als Vorbedingung hatte.

1. Risiko nicht vom Schutzzweck der Norm erfasst

Zwar kann sich ein Risiko verwirklicht haben (Erfolgseintritt); dieses zuvor geschaffene Risiko könnte aber möglicherweise nicht aufgrund derjenigen Norm verboten gewesen sein, die gerade geprüft wird. Dies ist dann der Fall, wenn die Auslegung der Norm ergibt, dass bestimmte Verhaltensweisen, die zu bestimmten Risiken führen, nicht durch die Norm unter Strafe gestellt werden sollen.[3] Insbesondere kommen Gefahrenbereiche in Betracht, die fast vollständig von Verhaltensregeln durchdrungen sind, sodass bei Einhaltung dieser Verhaltensregeln kein weiterer Risikoschaffungsvorwurf getätigt werden kann.

Beispiel: Umgang mit bestimmten Geräten oder Baumaschinen

Hierbei ist aber zu beachten, dass diese Durchdringung mit Verhaltensnormen unmöglich als abschließend gelten kann. Somit ist bei dieser Fallgruppe ergänzend zu den Verhaltensnormen noch zu fragen, ob ein Verstoß gegen die allgemeine Sorgfaltspflicht vorliegt; also die Verletzung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt.

2. Sozialübliches Verhalten (Sozialadäquanz)

Fraglich ist, ob ein sozialübliches Verhalten nur erlaubte Risiken schafft und damit eine objektive Zurechnung ausscheidet. Hierunter fallen insbesondere Verhaltensweisen, welche im Rahmen von alltäglichen Geschehnissen vorgenommen werden; insb. auch berufliche Tätigkeit.

Ein sozialübliches Verhalten ist nicht als solches ungefährlich. Hier muss immer auf den konkreten Fall geschaut werden. Entweder fehlt es bereits an der Kausalität oder es fehlt der Vorsatz bzw. die Vorhersehbarkeit. Damit führt ein sozialübliches Verhalten aber nicht automatisch dazu, dass ein erlaubtes Risiko vorliegt.[4]

Eine M.M. nimmt aber an, dass ein sozialübliches Verhalten einen Fall des Regressverbotes (s. dazu weiter unten) begründet: Hiernach fehle ein Risikozusammenhang. Aber auch diese Ansicht geht zunächst von einem unerlaubten Risiko aus.

3. Risikoverringerung

Fraglich ist, ob die Risikoverringerung ein erlaubtes Risiko darstellt und damit eine objektive Zurechnung ausscheidet.

a) Verhinderung der Risikorealisation

Wenn das Risiko vollkommen abgewendet worden ist und damit eine echte Risikoverringerung stattgefunden hat, liegt unstrittig kein unerlaubtes Risiko mehr vor. Das Risiko hat dann nicht mehr die Möglichkeit in einen rechtlich missbilligten Erfolg zu münden und kann dann im Wortsinn schon kein Risiko mehr darstellen.[5]

b) Austausch des Risikos

Wenn ein vollkommen neues Risiko anstelle des ursprünglichen Risikos geschaffen worden ist, wird unstrittig ein neues unerlaubtes Risiko geschaffen.[6] Dieses tatbestandliche Verhalten ist möglicherweise aber aufgrund einer (mutmaßlichen) Einwilligung gerechtfertigt. Bsp.: T stößt das O von einer Brücke. O wird so von der herannahenden Eisenbahn nicht erfasst. Beim Sturz von der Brücke wird O aber verletzt. Hier wird das Risko „vom Zug überfahren werden“, durch das Risiko „von der Brücke fallen“ ausgetauscht. Nur letzteres hat sich verwirklicht. Dieses Risiko ist aber unstrittig unerlaubt.

c) Quantitative Verminderung des Ausgangsrisikos

Umstritten ist aber, ob auch die Schadensverringerung ausreichend ist. Hierbei wird weder ein vollkommen neues Risiko geschaffen, noch wird das Ausgangsrisiko vollständig beseitig, sondern das mögliche Ausmaß der Realisierung verringert. Bsp.: T fasst O an den Arm und zieht es zur Seite. O wird dadurch von einem herabfallenden Stein nur an der Schulter verletzt, statt von diesem erschlagen zu werden.[7]

  • e.A.: Bei einer Schadensverringerung fehlt die Kausalität zwischen dem ursprünglichen Risiko und dem später abgeschwächt eingetretenen Erfolg. Stattdessen besteht Kausalität zwischen dem neuen abgeschwächten Risiko und dem später abgeschwächten eingetretenen Erfolg.[8] Eine Straffreiheit des Täters kann ohne Probleme über die Lehre der Einwilligung erreicht werden.[9] Folglich liegt in diesem Fall auch ein unerlaubtes Risiko vor. Arg.: Auf diese Weise kann besser auf den Willen des Opfers Rücksicht genommen werden;[10] Abgrenzung zur Schaffung eines vollkommen neuen Risikos kann willkürlich sein.[11]

Im obigen Fall wäre also die Schaffung des Risikos „fallender Stein auf Schulter“ unerlaubt.

  • aA.: Wenn ein quantitativ geringerer Erfolg eintritt, stellt das entsprechend vorherig verringerte Risiko ein erlaubtes Risiko dar.[12]

Im obigen Fall wäre also die Schaffung des Risikos „fallender Stein auf Schulter“ erlaubt.

III. Fehlende Realisation des unerlaubten Risikos (Fehlender Risikozusammenhang)

Das vom Täter geschaffene rechtlich missbilligte Risiko muss sich im tatbestandlichen Erfolg realisieren.

1. Fälle der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung

Wenn sich das Opfer der Erfolgsrealisation eigenverantwortlich aussetzt, realisiert sich nicht das ursprüngliche vom Täter geschaffene Risiko.

a) Abgrenzung eigenverantwortliche Selbstgefährdung / Fremdgefährdung

Zunächst ist fraglich, ob wirklich eine Selbstgefährdung oder aber eine Fremdgefährdung vorliegt. Letzteres führt zu keiner Unterbrechung des Risikozusammenhanges.

aa) Allg. Abgrenzungskriterien

Eine Selbstgefährdung liegt nur dann vor, wenn das Risiko vom Opfer allein oder zumindest zusammen mit dem Täter gleichgewichtig steuernd in den Händen gehalten wird. Ist dies nicht der Fall, liegt eine Fremdgefährdung vor.[13]

An dieser Stelle können ähnliche Abgrenzungskriterien wie bei der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme herangezogen werden.[14]

bb) Problem der einverständlichen Fremdgefährdung

In der Literatur wurde die Figur der einverständlichen Fremdgefährdung als Sonderfall entwickelt. Wenn nach obigen Abgrenzungskriterien zunächst eine Fremdgefährdung vorliegt, muss diese Frage geklärt werden. Unter bestimmten Voraussetzungen wird eine Gleichsetzung mit der Selbstgefährdung durch die Literatur vorgenommen. Dabei muss der Erfolg Folge des zuvor vom Opfer bewusst eingegangenen Risikos sein. Darüber hinaus muss eine gleichrangige Verantwortlichkeit zwischen Täter und Opfer bestehen.[15]

Ein klassisches Beispiel dafür ist der Fall, in dem das Opfer sich in voller Kenntnis der Tatumstände in das Auto des offensichtlich betrunkenen Täters setzt und aufgrund der Fahrweise des Täters tödlich verunfallt.[16] Hier willigt das Opfer in das Risiko ein, aber nicht in den später eintretenden Erfolg.

Wenn ein Fall der einverständlichen Fremdgefährdung vorliegt, muss folgender Streit beachtet werden:

  • h.M.: Die eigenverantwortliche Selbstgefährdung und einverständliche Fremdgefährdung dürfen nicht gleichgesetzt werden. Letztere unterbricht nicht den Zurechnungszusammenhang.[17] Arg.: Wenn keine Unterscheidung stattfindet, könnten möglicherweise mit der Konstruktion der eigenverantwortlichen Fremdgefährdung bestehende Einwilligungssperren, wie z.B. die aus § 216 StGB umgangen werden.[18] Darüber hinaus ist die Fallgruppe der einverständlichen Fremdgefährdung nur schwer abgrenzbar.[19]

Hiernach wäre der Risikozusammenhang für T nicht unterbrochen.

  • M.M.: Die eigenverantwortliche Selbstgefährdung und die einverständliche Fremdgefährdung sind gleichzusetzen. Beides führt zum Ausschluss des Risikozusammenhangs.[20] Arg.: Anders als bei der Einwilligung wird bei der eigenverantwortlichen Fremdgefährdung nur in ein Risiko eingewilligt und nicht in die Realisation des Erfolgs.[21] Damit ist der Zweck der Einwilligungssperren nicht mehr gegeben: Schutz vor dem spezifischen Erfolg, der mit Einwilligung des Opfers ansonsten erfolgen würde.[22]

Hiernach wäre der Risikozusammenhang für T unterbrochen.

b) Grundsätzliche Kriterien der Eigenverantwortlichkeit

Im Falle der Annahme einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung unter a) oder der Annahme der M.M. unter b) muss geklärt werden, welche Kriterien herangezogen werden müssen, um die Eigenverantwortlichkeit des Opfers zu beurteilen.

  • h.M.: Einwilligungslösung – Das Opfer muss die nötige Einsichtsfähigkeit besitzen, um die Tragweite des Risikos zu beurteilen. Es darf sich darüber hinaus diesbezüglich nicht in einem Irrtum befinden.[23]
  • a.A.: Exkulpationslösung – Nach den §§ 19, 20, 35 StGB und § 3 JGG ist zu beurteilen, ob das Opfer schuldfähig war, als es sich dem Risiko aussetzte.[24] Anm.: Diese Ansicht ist zur h.M. kein aliud, sondern lediglich enger. Wenn nach dieser Ansicht keine Eigenverantwortlichkeit gegeben ist, dann ist dies nach der h.M. erst recht nicht der Fall.[25]
c) Durchbrechung dieses Prinzips

In manchen Fällen der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung wird dennoch die Unterbrechung des Risikozusammenhanges verneint.

aa) Unterlassung im Zeitpunkt der Gefahrensituation (Insb. bei Suizid)

Umstritten ist, ob der Zurechnungszusammenhang unterbrochen wird bzw. eine Garantenstellung gegeben ist, wenn das Opfer sich das Leben nimmt und eine zuvor helfende Person (Täter) sich in der Nähe des Opfers befindet und es retten könnte.

  • Heutige Rspr.: Eine Garanstellung/obj. Zurechnung ist grds. abzulehnen, sofern keine Hoffnung auf einen guten Ausgang beim Opfer besteht.[26] Eine Strafbarkeit gem. § 323c StGB scheitert in diesem Fall an der fehlenden Zumutbarkeit für den Täter (Konflikt zwischen allgemeiner Hilfspflicht und APR des Opfers).[27]
  • a.A.: Eine Garantenstellung ist stets zu verneinen. Der Risikozusammenhang wird unterbrochen. Möglicherweise ist aber § 323c StGB einschlägig, wenn der Erfolgseintritt nicht vom Opfer gewollt war.[28]

Die Ansichten divergieren nur noch im Randbereich der Hoffnung auf Ausbleiben des Erfolgseintritts.

bb) Fälle der verbotenen Mitwirkung; sog. paternalistische Fürsorgepflichten

Fraglich ist, ob in Fällen der verbotenen Mitwirkung der Risikozusammenhang auch anderer Straftaten (Tatbestände, die die verbotene Mitwirkung nicht ausdrücklich normieren) bestehen bleibt. Bsp.: T verkauft O eine Droge. O tötet im vollen Bewusstsein mit der Droge. Ist T neben § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG auch wegen § 222 StGB strafbar?

  • Rspr.: Die objektive Zurechnung ist nur in Bezug auf die Straftat gegeben, die dieses Verhalten ausdrücklich im Zusammenhang mit dem Erfolg normiert. Bzgl. der anderen möglichen Straftaten ist der Zurechnungszusammenhang wegen der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung unterbrochen. Arg.: Es findet nicht nur ein Individualschutz statt, sondern auch der Schutz der Volksgesundheit.[29]

Hiernach würde T nicht gem. § 222 StGB bestraft werden, aber gem. § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG. Dies gilt zumindest bei konsequenter Anwendung dieser Ansicht. Die Rechtsprechung verneint aber in diesen Fällen die Leichtfertigkeit.[30]

  • lit.M.: Eine Risikozusammenhang bzgl. § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG und § 222 StGB kommt nicht Betracht, wenn das Opfer sich vorsätzlich und voll verantwortlich getötet hat. Arg.: Wenn § 222 StGB abgelehnt wird, dann kann auch § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG nicht einschlägig sein. [31]

Hiernach wäre T weder gem. § 222 StGB, noch gem. § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG strafbar.

  • M.M.: Der Risikozusammenhang ist nicht nur für den spezifischen Tatbestand der verbotenen Mitwirkung unterbrochen.[32]

Hiernach wäre T grds. gem. § 222 StGB in Tateinheit mit § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG strafbar. Aufgrund des freiverantwortlichen Suizids käme diese Ansicht aber wahrscheinlich auch zu dem Ergebnis der lit. M. Andernfalls würde sie die Strafbarkeit nach beiden Tatbeständen bejahen.

cc) Retterfälle

Umstritten ist, ob der Risikozusammenhang auch dann unterbrochen ist, wenn ein eigenverantwortlich handelndes Opfer sich dem geschaffenen Risiko des Täters aussetzt, um andere Güter vor diesem Risiko zu schützen.

  • h.M.: Der Risikozusammenhang wird nur unterbrochen, wenn die Rettung der Güter objektiv vernünftig war. Dies ist insbesondere der Fall, wenn das Opfer aufgrund einer Beschützergarantenstellung zum Handeln verpflichtet ist.[33] Arg.: Das Opfer darf sich herausgefordert fühlen, die Güter zu schützen. Darüber hinaus übernimmt das Opfer quasi die Pflicht des Täters, die Güter zu schützen.[34]
  • a.A.: Bei allen Retterfällen wird der Risikozusammenhang nicht unterbrochen. Arg.: Schutz auch von nicht institutionalisierten Rettern.[35]
  • M.M.: In keinem dieser Fälle besteht ein Risikozusammenhang, sofern eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung vorliegt. Arg.: Das Opfer handelt freiwillig.[36]
2. Regressverbot

Fraglich ist, ob der Risikozusammenhang durch das Dazwischentreten eines Kausalverlaufes eines Dritten unterbrochen wird (Vorliegen eines vermittelnden Kausalverlaufs). Als Beispiel wird häufig ein Amoklaufszenario angeführt: T1 lässt den Waffenschrank fahrlässig offenstehen. T2 nimmt sich die Waffen aus diesem Waffenschrank und tötet O vorsätzlich. Vorwurf der fahrlässigen Tötung ggü. T1.

  • Frühere M.M.: Vorsätzliches Handeln unterbricht den vorherigen Kausalverlauf; : Damals ein Problem der Kausalität.[37]

Nach der früheren Ansicht wäre T1 straffrei.

  • h.M.: Es existiert kein Regressverbot. Arg.: Eine Hierarchisierung von Kausalverläufen ist nicht möglich. Eine Korrektur über den Vorsatz bzw. die Vorhersehbarkeit (Fahrlässigkeit) ist hingegen möglich.[38]

Nach dieser Ansicht wäre zumindest die objektive Zurechnung für T1 zu bejahen.

  • Weiterentwicklung früherer M.M.: Ein Regressverbot existiert, wenn der Erstverursacher fahrlässig handelt und der Zweitverursacher vorsätzlich handelt.[39] : Es existiert keine fahrlässige Beihilfe (§ 27 StGB). Krit.: In der Fahrlässigkeit wird nicht zwischen Täterschaft und Teilnahme unterschieden – Es existiert die Konstruktion des sogenannten Einheitstäters.[40]

Nach dieser Ansicht wäre die objektive Zurechnung bei T1 zu verneinen.

  • lit.M.: Ein Regressverbot existiert, wenn der Erstverursacher sich gemäß seiner sozialen Rolle verhält und dieses Verhalten unabhängig vom Verhalten des unmittelbaren Täters sinnvoll bleibt.[41] Krit.: Privilegierung aufgrund nicht tatbestandsmäßiger also unerheblicher Umstände.[42]

Wegen fehlender bestimmter sozialer Rolle bei T1, ist die objektive Zurechnung zu bejahen.

3. Folgerisiken
a) Abgrenzung zum Regressverbot

Wie bei dem Regressverbot wird ein Erfolg durch eine weitere Person (Dritter) herbeigeführt. Der Unterschied zum Regressverbot besteht darin, dass der Dritte aufgrund der Erfolgsherbeiführung des Täters einen weiteren, neuen Erfolg verursacht. Es wird also ein neues Risiko verwirklicht, das nach und durch Realisation des ersten Risikos entstanden ist. Hierunter fallen insbesondere Fälle bei denen der Arzt (Dritter) bei Behandlung des Opfers einen eigenen Kunstfehler begeht.[43]

b) Unterfallgruppen
aa) Pflichtwidriges Unterlassen des Dritten

Unstrittig wird bei pflichtwidrigem Unterlassen des Dritten keine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhang angenommen. Begr.: Es realisiert sich nur das Ursprungsrisiko.[44]

bb) Aktives Verhalten des Dritten

Bei aktivem Verhalten des Dritten ist eine Unterbrechung des Risikozusammenhangs hingegen umstritten. Dieses Problem entsteht eigentlich nur bei Fahrlässigkeitsdelikten.[45]

  • e.A.: Der Risikozusammenhang ist nicht unterbrochen, wenn der Kausalverlauf noch vorhersehbar war: Insbesondere sollen so grob fahrlässige Behandlungsfehler ausgeschlossen werden.[46]
  • a.A.: Der Risikozusammenhang ist dann unterbrochen, wenn sich ein neues Risiko verwirklicht hat.[47] Krit.: Unscharf und letztendlich nur die Abgrenzung zu den Regressfällen. Das Kriterium der ersten Ansicht ist damit einfacher in der Klausur anzuwenden.
4. Atypische Kausalverläufe (sehr restriktiv)

Atypische Kausalverläufe sind Kausalverläufe, deren Abfolge vollkommen unvorhersehbar ist. Wenn ein solcher Kausalverlauf gegeben ist, ist der Risikozusammenhang unterbrochen. Diese Fälle sind in der Klausurbearbeitung äußerst selten.

a) Starke Veränderung des Ausgangsrisikos

Im Erfolg hat sich ein vom Ausgangsrisiko vollkommen verschiedenes Risiko verwirklicht.[48]

b) Allg. Lebensrisiko im Erfolg

In dem Erfolg hat sich nur ein allg. Lebensrisiko verwirklicht.[49]

[1] Roxin/Greco, StrafR AT I, München, 52020, § 11 Rn. 47.

[2] Kindhäuser/Zimmerman, Straf AT, Baden-Baden, 112023, § 11 Rn. 9.

[3] Kindhäuser/Zimmerman, Straf AT, Baden-Baden, 112023, § 11 Rn. 21.

[4] Kindhäuser/Zimmerman, Straf AT, Baden-Baden, 112023, § 11 Rn. 11.

[5] Kindhäuser/Zimmermann, Straf AT, Baden-Baden, 112023, § 11 Rn. 16.

[6] So auch von der Risikoverringerungslehre vertreten: Roxin/Greco, StrafR AT I, München, 52020, § 11 Rn. 54.

[7] Fälle 6A und 6B bei: Kindhäuser/Zimmermann, Straf AT, Baden-Baden, 112023, § 11 Rn. 13.

[8] Kindhäuser/Zimmermann, Straf AT, Baden-Baden, 112023, § 11 Rn. 17.

[9] Kindhäuser/Zimmermann, Straf AT, Baden-Baden, 112023, § 11 Rn. 18.

[10] Kindhäuser/Zimmerman, Straf AT, Baden-Baden, 112023, § 11 Rn. 17.

[11] Kindhäuser/Zimmerman, Straf AT, Baden-Baden, 112023, § 11 Rn. 19.

[12] Roxin/Greco, StrafR AT I, München, 52020, § 11 Rn. 53, 54a.

[13] Kindhäuser/Zimmerman, Straf AT, Baden-Baden, 112023, § 12 Rn. 64 f.

[14] BGH, Urteil vom 20.05.2003 – 5 StR 66/03 – BGH NStZ 2003, 537 (538) Rn. 4; Kindhäuser/Zimmerman, Straf AT, Baden-Baden, 112023, § 12 Rn. 64 f.

[15] Roxin/Greco, StrafR AT I, München, 52020, § 11 Rn. 124.

[16] Bsp. 3: Roxin/Greco, StrafR AT I, München, 52020, § 11 Rn. 121.

[17] BGH, Urteil vom 20.05.2003 – 5 StR 66/03 – BGH NStZ 2003, 537 (538) Rn. 4.

[18] BGH, Urteil vom 20.05.2003 – 5 StR 66/03 – BGH NStZ 2003, 537 (538) Rn. 7.

[19] Kindhäuser/Zimmerman, Straf AT, Baden-Baden, 112023, § 12 Rn. 70.

[20] Roxin/Greco, StrafR AT I, München, 52020, § 11 Rn. 124 f.

[21] Als Unterschied zur Einwilligung beschreibend: Kindhäuser/Zimmerman, Straf AT, Baden-Baden, 112023, § 12 Rn. 62.

[22] Roxin/Greco, StrafR AT I, München, 52020, § 11 Rn. 121.

[23] BGH, Urteil vom 05.07.1983 – 1 StR 168/83 – NJW 1983, 2579 (2579).

[24] S. bzgl. der Vertreter Fn. 314: NK-StGB/Neumann, 62023 vor § 211 Rn. 64.

[25] Kindhäuser/Zimmerman, Straf AT, Baden-Baden, 112023, § 11 Rn. 29.

[26] BGH, Urteil vom 03.07.2019 – 5 StR 132/18 – NJW 2019, 3092 (3094, 3095) Rn. 41 f.

[27] BGH, Urteil vom 03.07.2019 – 5 StR 132/18 – NJW 2019, 3092 (3094, 3095) Rn. 47.

[28] Kindhäuser/Zimmerman, Straf AT, Baden-Baden, 112023, § 11 Rn. 33 f.

[29] BGH Urt. v. 7.2.2001 – 5 StR 474/00, BeckRS 2001, 2098, Rn. 24.

[30] BGH Urt. v. 7.2.2001 – 5 StR 474/00, BeckRS 2001, 2098, Rn. 25.

[31] Roxin/Greco, StrafR AT I, München, 52020, § 11 Rn. 112.

[32] Kindhäuser/Zimmerman, Straf AT, Baden-Baden, 112023, § 11 Rn. 33 f.

[33] BGH, Urteil vom 08.09.1993 – 3 StR 341/93 – NJW 1994, 205 (205).

[34] Kindhäuser/Zimmerman, Straf AT, Baden-Baden, 112023, § 11 Rn. 59.

[35] Jeschek/Weigend, StrafR AT, Berlin, 51996, § 28 S. 288.

[36] Roxin/Greco, StrafR AT I, München, 52020, § 11 Rn. 115.

[37] z.B.: von Bar, Die Lehre vom Causalzusammenhange im Rechte, besonders im Strafrechte, Leipzig, 1871, S. 26 f.

[38] Kindhäuser/Zimmerman, Straf AT, Baden-Baden, 112023, § 11 Rn. 46.

[39] S. zu den Vertretern: Kindhäuser/Zimmerman, Straf AT, Baden-Baden, 112023, § 11 Fn. 66 f.

[40] Roxin/Greco, StrafR AT I, München, 52020, § 24 Rn. 27.

[41] Jakobs, StrafR AT, Berlin u.a., 21991, S. 698 f. Rn. 17; Caro John, Das erlaubte Kausieren verbotener Taten, Baden-Baden, 2007, S. 203.

[42] Kindhäuser/Zimmerman, Straf AT, Baden-Baden, 112023, § 11 Rn. 40.

[43] Kindhäuser/Zimmerman, Straf AT, Baden-Baden, 112023, § 11 Rn. 47.

[44] Kindhäuser/Zimmerman, Straf AT, Baden-Baden, 112023, § 11 Rn. 48.

[45] Kindhäuser/Zimmerman, Straf AT, Baden-Baden, 112023, § 11 Fn. 74.

[46] Kindhäuser/Zimmerman, Straf AT, Baden-Baden, 112023, § 11 Rn. 50, 52.

[47] S. dazu: Kindhäuser/Zimmerman, Straf AT, Baden-Baden, 112023, § 11 Fn. 76.

[48] Roxin/Greco, StrafR AT I, München, 52020, § 11 Rn. 77 f.

[49] Roxin/Greco, StrafR AT I, München, 52020, § 11 Rn. 77.

28.01.2025/4 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2025-01-28 07:56:312025-02-03 15:57:38Die objektive Zurechnung in der Prüfung bei Erfolgsdelikten
Micha Mackenbrock

Welche Verkehrssicherungspflichten treffen einen Golfplatzbetreiber?

Aktuelles, Deliktsrecht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Startseite, Uncategorized, Zivilrecht, Zivilrecht

Wer einen Golfplatz betreibt, hat die erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen. Welche dies konkret sind hatte das LG München jüngst zu entscheiden. Was ein gemütlicher Nachmittag auf dem Golfplatz werden sollte, endete aber in einem Sturz über einen Grasbüschel, Physiotherapie und der monatelangen Angewiesenheit auf Krücken. Ob der Betreiber des Golfplatzes dafür haftet, hatte das Landgericht München I zu entschieden. Verkehrssicherungspflichten sind ein Dauerbrenner während des Studiums und des Examens. Grund genug also, sich das Urteil (LG München I, 10.12.2024 – 13 O 7261/24) anzuschauen.

I. Der Sachverhalt

Die Klägerin K ist seit 2018 Mitglied im Golfclub der Beklagten B und spielt dort regelmäßig Golf. Auch am 30. September 2023 spielte sie Golf auf der Anlage der B. Als K von einem Loch zum nächsten Loch weitergehen wollte, musste sie einen kleinen Abhang herunter laufen. Dabei schob sie ihren Golftrolley vor sich her. Hierbei knickte sie jedoch wegen eines feuchten Grasbüschels aus und erlitt einen knöchernen Bänderriss sowie eine Außenbandruptur am linken Sprunggelenk. Daraufhin war sie bis Dezember 2023 in physiotherapeutischer Behandlung und arbeitsunfähig bis zum 24.12.2023.

Der K entstanden Arztkosten sowie Lohneinbußen durch die Arbeitsunfähigkeit. Diesen Schaden möchte sie von B ersetzt bekommen. Darüber hinaus macht sie einen Schmerzensgeldanspruch geltend, da sie durch das Umknicken lange Zeit in ihrer Mobilität eingeschränkt war und jede Beinbelastung Schmerzen verursacht habe. Sie verlangt Schadensersatz nach §§ 280 I, 241 II BGB sowie § 823 I BGB.

Die K ist der Ansicht, dass die B angesichts der Abschüssigkeit des als einzigen vorgesehenen Wegs zwischen den Löchern einer (erhöhten) Verkehrssicherungspflicht unterliege. Das Grasbüschel auf dem Abgang seien für sie nicht als potenzielle Gefahrenquelle erkennbar gewesen. Das Vorhandensein von Grasbüscheln im abschüssigen Bereich der Unterführung stelle für die dort planmäßig durchlaufenden Sportler ein erhebliches Risiko dar.

B beantragt Klageabweisung.

II. Die Entscheidung

Das Gericht entschied, dass die Klage unbegründet sei. Es bestehe kein Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld nach §§ 280 I, 241 II BGB oder § 823 I BGB. Der Unfall der K sei nicht auf eine schuldhafte Verletzung einer Schutzpflicht beziehungsweise Verkehrssicherungspflicht durch die B zurückzuführen.

1. Verkehrssicherungspflicht
a) Grundsätzliche Sorgfaltsanforderungen

Das Gericht äußert sich zunächst grundsätzlich zu Verkehrssicherungspflichten. Das Ausmaß einer Verkehrssicherungspflicht richte sich immer nach den Umständen des Einzelfalls. Grundsätzlich müsse nicht jeder abstrakten Gefahr durch vorbeugende Maßnahmen begegnet werden: Absolute Sicherheit müsse und könne nicht gewährleistet werden. Stattdessen richte sich der Umfang einer Sicherungsmaßnahme danach, was zur Gefahrenabwehr notwendig und zumutbar sei, um Dritte vor einer Gefahr zu schützen. Aber auch Dritte selbst werden in die Verantwortung genommen: Der Schutz richte sich nur soweit, wie Dritte selbst bei Anwendung der von ihm in der konkreten Situation zu erwartenden Sorgfalt die Gefahr nicht oder nicht rechtzeitig erkennen können (LG München I, 10.12.2024 – 13 O 7261/24, BeckRS 2024, 37571 [Rn. 16]). Somit reiche es aus, diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren und die den Umständen nach zuzumuten sind (BGH, Urteil vom 25.2.2014 – VI ZR 299/13, NJW 2014, 2104 [Rn. 9]).

Auch die Sicherheitserwartungen des jeweiligen Verkehrs seien zu berücksichtigen. Der Golfplatz stellt eine Sportanlage dar. Ein Sporttreibender trägt die Gefahren selbst, die seinem Sport innewohnen und mit denen er deshalb zu rechnen hat. In den Verantwortungsbereich des Veranstalters fallen dagegen nur die darüber hinausgehenden atypischen Gefahren. Er hat die Benutzer nur vor nicht vorhersehbaren und nicht ohne weiteres erkennbaren Gefahren zu schützen (LG München I, 10.12.2024 – 13 O 7261/24, BeckRS 2024, 37571 [Rn. 17]).

b) Verkehrssicherungspflichten im vorliegenden Fall

Hieran gemessen läge in dem Verfahren zugrundeliegenden Fall keine Verkehrssicherungspflicht vor, so das Gericht. Es sei das Wesen des Golfsports, dass er auf einem mit Gras bewachsenden Gelände stattfindet und man über teils abschüssiges Gelände gehen muss, um von Loch zu Loch zu gelangen. Dabei müsse mit Grasbüscheln auf dem Rasen gerechnet werden. Dass dieses feucht und rutschig sein kann, sei allgemein bekannt. Das gelte vor allem für langjährige Golfspieler wie die K. Die K hätte bei gebotener Aufmerksamkeit den Grasbüschel am helllichten Tag problemlos erkennen und damit ein Umknicken verhindern können. Zwar könne ein Grasbüschel auf einem Golfplatz an einer abschüssigen Stelle eine Gefahrenquelle darstellen. Diese stellen aber keine atypische Gefahr dar, für welche der Golfplatzbetreiber einzustehen hätte.

Da schon keine Verkehrssicherungspflicht bestehe, kann auch keine Verletzung selbiger vorliegen.

2. Berücksichtigung des Mitverschuldens des Klägers

Auch das Verhalten der K müsse berücksichtigt werden. Die K schob den Golftrolley auf einer Wiese bergab vor sich her. Dies steht im Widerspruch zur gebotenen Aufmerksamkeit und Eigensorgfalt. Hätte sie den Golftrolley nicht vor sich hergeschoben, dann hätte K den Grasbüschel auch leichter erkennen können.

Und selbst wenn eine Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht durch B vorläge und eine Haftung dem Grunde nach bestünde: Die Haftung entfiele wegen weit überwiegenden Mitverschuldens der Klägerin, aufgrund der Außerachtlassung der hier erforderlichen Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten, § 254 I BGB (LG München I, 10.12.2024 – 13 O 7261/24, BeckRS 2024, 37571 [Rn. 23]).

3. Ergebnis

Somit hat die K gegen B keinen Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld nach §§ 280 I, 241 II BGB oder § 823 I BGB.

24.01.2025/1 Kommentar/von Micha Mackenbrock
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Micha Mackenbrock https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Micha Mackenbrock2025-01-24 13:51:422025-01-24 13:51:43Welche Verkehrssicherungspflichten treffen einen Golfplatzbetreiber?
Monika Krizic

Der Leasingvertrag in der Examensklausur

AGB-Recht, Aktuelles, Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Schuldrecht, Startseite, Zivilrecht

Leasingverträge sind insbesondere gängige Praxis, wenn eine Alternative zum Kauf von Kraftfahrzeugen gesucht wird. Sind sie Gegenstand von Examensklausuren, so ist die Kenntnis einzelner Problematiken für ein überdurchschnittliches Abschneiden unerlässlich. Der folgende Gastbeitrag von Monika Krizic soll daher einen Überblick über die bedeutendsten Aspekte des sog. Finanzierungsleasings geben. Die Autorin studiert Rechtswissenschaften an der Universität Bonn.

I. Wie funktioniert das Finanzierungsleasing?

Sowohl in der Praxis als auch in juristischen Übungsklausuren dominiert das sog. Finanzierungsleasing. Das Gegenstück hierzu – das Operatingleasing – zeichnet sich durch kurze Vertragslaufzeiten sowie ein jederzeitiges Kündigungsrecht aus. Ziel des Operatingleasings ist es, dass sich die vom Leasinggeber getätigten Kosten durch mehrere, aber kurzfristige Überlassungen von Wirtschaftsgütern amortisieren (Pierson, JuS 2021, 8).

Ganz anders beim Finanzierungsleasing: Hier strebt der Leasinggeber nach Amortisierung durch einmalige Überlassung eines Gegenstandes (Hirsch, Schuldrecht Besonderer Teil, 2020, § 31 Rn. 989).  Am Ende jenes Leasingzeitraums folgt regelmäßig der Eigentumserwerb des Leasingnehmers am Gegenstand durch Zahlung einer Schlussrate. Das Finanzierungsleasing charakterisiert sich dabei regelmäßig durch eine Dreipersonenkonstellation. Während der Leasinggeber dem Leasingnehmer eine Sache und deren Gebrauch auf Zeit überlässt, erbringt der Leasingnehmer die Zahlung von Leasingraten und möglicherweise einer zusätzlich anfallenden Schlussrate (Hirsch, Schuldrecht Besonderer Teil, 2020, § 31 Rn. 987). Dem Leasingnehmer soll es so ermöglicht werden, die Sache wie ein Käufer zu nutzen, ohne dabei direkt den Kaufpreis entrichten zu müssen. Die dritte Person, die hierbei involviert ist, ist der Hersteller. Dieser schließt mit dem Leasinggeber einen Kaufvertrag über den Leasinggegenstand ab. Auch wenn der Hersteller nicht Vertragspartei im eigentlichen Leasingvertrag zwischen Leasingnehmer und Leasinggeber ist, so spielt er darin doch keine unbedeutende Rolle.

II. Dogmatische Einordnung des Leasingvertrags

Obwohl das Finanzierungsleasing schon seit den 1950er Jahren eine zunehmende Präsenz und Bedeutung im wirtschaftlichen Handel Deutschlands erfährt, beinhaltet das BGB keine eigenständigen gesetzlichen Regelungen für den Leasingvertrag. Die Frage nach der Rechtsnatur des Finanzierungsleasings ist aber für Folgefragen von außerordentlicher Bedeutung. Anhand ihr beurteilt sich etwa die Frage, ob die AGB eines Leasingvertrags auf der Grundlage eines bestimmten gesetzlichen Leitbildes gem. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB kontrolliert werden müssen (Staudinger/Stoffels, BGB Leasing, 2023, Rn. 64).

1. Kaufvertrag

Angesichts der Tatsache, dass häufig eine Kaufpflicht am Ende des Leasingvertrags die Vollamortisierung sichern soll (in der Praxis realisiert durch die Pflicht des Leasingnehmers zur Zahlung einer Schlussrate), käme eine Kategorisierung als Kaufvertrag in Betracht. Dagegen sprechen aber mehrere Erwägungen. Zum einen ist hiergegen bereits einzuwenden, dass eine Kaufpflicht funktional nicht an die Stelle des Leasings treten kann (Pierson, JuS 2021, 8, 9), und zum anderen passt der Leasingvertrag auch teleologisch nicht zum Kaufvertrag. Denn letzterer hat die endgültige Eigentumsübertragung auf den Käufer zum Hauptziel (§ 433 Abs. 1 Alt. 2 BGB), während beim Leasingvertrag die Gebrauchsüberlassung auf Zeit im Mittelpunkt steht (Skusa, Handbuch Leasing, 2012, 6).

2. Gemischttypischer Vertrag

Andere wiederum betonen die Finanzierungsfunktion des Leasingvertrags und sehen ihn daher als gemischttypischen Vertrag mit Elementen aus dem Darlehens- oder Geschäftsbesorgungsrecht an (Canaris NJW 1982, 305 ff.). So wird argumentiert, dass die Hauptaufgabe des Leasinggebers nicht in der Gebrauchsüberlassung, sondern in der Beschaffung und Finanzierung des Leasingguts liege. Dementsprechend seien die Leasingraten als Aufwendungsersatz für die Beschaffungskosten nach §§ 670, 675 Abs. 1 BGB zu qualifizieren. Des Weiteren betont diese Auffassung, dass es der geschäftsbesorgungsrechtlichen Qualifikation nicht widerspreche, dass der Leasinggeber fast immer im eigenen wirtschaftlichen Erwerbsinteresse tätig wird. Im Gegensatz zum Auftrag nach § 662 BGB zeichne sich eine entgeltliche Geschäftsbesorgung auch stets durch die Eigeninteressen des Handelnden aus (Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse, 5. Aufl. 2018, § 16 Rn. 57).

3. Vertrag sui generis

Gerade weil das Finanzierungsleasing mehrere Funktionen erfüllt, wird zum Teil auch dafür plädiert, den Leasingvertrag als „Vertrag sui generis“ anzusehen (Staudinger/Stoffels, BGB Leasing, 2023, Rn. 76).

4. Atypischer Mietvertrag

Vorherrschend allerdings ist die Qualifizierung des Finanzierungsleasings als atypischen Mietvertrag (BGH NJW 1977, 195, 196; Sonnenberger, NJW 1983, 2217, 2218; BeckOGK/Ziemßen, BGB, 1.10.2024, § 535 Rn. 789). Demnach schuldet der Leasinggeber die Gebrauchsüberlassung auf Zeit (§ 535 Abs. 1 S. 1 BGB) und der Leasingnehmer entsprechend die Zahlung der Leasingraten (§ 535 Abs. 2 BGB). Das atypische Element wird dabei in der besonderen Abtretungskonstellation sowie der Finanzierungsfunktion gesehen (BGH Urt. v. 16.9.1981 – VIII ZR 265/80, Rn. 8). Für eine solche Betrachtungsweise und damit auch gegen eine Einordnung als gemischttypischen Vertrag spricht, dass es dem Leasinggeber gerade darauf ankommt Eigentümer der Sache zu werden und nicht etwa ein bloßes Darlehen zu gewähren. Durch den Erwerb der Leasingsache möchte er die Sache derart für sich verwerten, dass er sie – ähnlich einem Vermieter – dem Leasingnehmer für eine bestimmte Zeit gegen eine Leasingrate zur Verfügung stellt (Tiedtke, JZ 1991, 907, 908).

III. Abwicklung des Leasingvertrags

Grundsätzlich beginnt das Finanzierungsleasing damit, dass sich der Leasingnehmer das Leasinggut bei einem Hersteller aussucht. In der Folge wird ein Kaufvertrag über dieses Leasinggut zwischen Hersteller und Leasinggeber abgeschlossen (§ 433 BGB). In der Praxis wird das Leasinggut direkt an den Leasingnehmer geliefert. Damit werden zwei verschiedenen Funktionen erfüllt. Zum einen kommt es zur Erfüllung der Pflicht aus § 433 Abs. 1 S. 1 BGB im Rahmen des Kaufvertrags zwischen Hersteller und Leasinggeber. Zum anderen wird aber auch der Leasingvertrag zwischen Leasingnehmer und Leasinggeber tangiert. Entsprechend § 535 Abs. 1 S. 1 BGB ist schließlich auch der Leasinggeber dazu angehalten, dem Leasingnehmer den Gebrauch der Sache zu gewähren. Da der Hersteller mit Wissen und Wollen des Leasinggebers bei der Erfüllung dieser ihm (dem Leasinggeber) obliegenden Verbindlichkeit als Hilfsperson tätig wird, handelt er als Erfüllungsgehilfe gem. § 278 S. 1 BGB (Hirsch, Schuldrecht Besonderer Teil, 2020, § 31 Rn. 992).

IV. Leasingtypische Vertragsprobleme

1. Abtretung aller Ansprüche

Wird der Leasingvertrag als eine Art Mietvertrag klassifiziert, so stünden dem Leasingnehmer gegen den Leasinggeber grundsätzlich mietvertragliche Gewährleistungsansprüche (analog) §§ 536 – 536b BGB zu. Gleichwohl werden diese im Leasingvertrag häufig ausgeschlossen. Dafür werden dem Leasingnehmer im Wege der Abtretung die kaufrechtlichen Gewährleistungsansprüche gegen den Dritten (den Hersteller) vom Leasinggeber abgetreten. Auch wenn es sich hierbei um eine geradezu gewöhnliche Ausgestaltung des Vertrages in der Praxis handelt, sollte es an dieser Stelle in der Klausur zu einer AGB-Prüfung gem. §§ 305 ff. BGB kommen. Das Vorliegen von AGB gem. § 305 Abs. 1 BGB, das Einbeziehen dieser gem. § 305 Abs. 2 BGB und das Tatbestandsmerkmal keiner vorrangigen Individualabrede nach § 305b BGB werden in den meisten Fällen problemlos erfüllt sein. Fraglich könnte aber sein, ob es sich bei dieser vertraglichen Regelung um eine überraschende Klausel nach § 305c Abs. 1 BGB handelt. Eine Klausel ist überraschend i. d. S., wenn sie nach den Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrags, so ungewöhnlich ist, dass der Vertragspartner des Verwenders nicht mit ihr zu rechnen braucht (BeckOGK/Bonin, BGB, 1.10.2024, § 305c Rn. 1). Gleichwohl ist aber zu beachten, dass dieser Gewährleistungsausschluss geradezu charakteristisch für Leasingverträge ist, sodass es sich nicht um eine überraschende Klausel handeln kann.

Sodann muss eine Inhaltskontrolle stattfinden. Dabei kommt auf den ersten Blick ein Verstoß gegen das Klauselverbot nach § 309 Nr. 8 lit. b aa) BGB in Betracht. Es könnte eine Bestimmung vorliegen, durch die bei Verträgen über Lieferungen neu hergestellter Sachen die Ansprüche gegen den Verwender wegen eines Mangels insgesamt oder bezüglich einzelner Teile ausgeschlossen oder auf die Ansprüche gegen Dritte beschränkt werden. Damit die Vorschrift anwendbar ist, müsste es sich um einen solchen Lieferungsvertrag handeln. Das sind solche Verträge, bei denen die Besitzüberlassung final zu Übereignungszwecken gedacht ist (Staudinger/Coester-Waltjen, BGB § 309 Nr. 8 Rn. 18). Dies trifft auf Gebrauchsüberlassungsverträge wie den Leasingvertrag nicht zu.

Des Weiteren könnte dieses Klauselverbot auch in teleologischer Hinsicht nicht anwendbar sein. Ihrem Sinn und Zweck nach dient die Norm der Sicherung eines gewissen Standards an Gewährleistungsrechten und damit der Aufrechterhaltung des Äquivalenzinteresses (Staudinger/Coester-Waltjen, BGB, § 309 Nr. 8 Rn. 14). Durch das Verbot der Einräumung von Ansprüchen gegen Dritte soll insbesondere verhindert werden, dass der Kunde mit dem Insolvenzrisiko eines ihm unbekannten Dritten belastet wird. Im Rahmen eines Leasingvertrags sucht sich der Leasingnehmer aber geradezu oftmals den Lieferanten bzw. Hersteller aus, gegen den ihm die Rechte eingeräumt werden, sodass dieses Klauselverbot auch zweckmäßig nicht einschlägig ist.

Schließlich könnte es sich aber um eine Klausel handeln, die den Leasingnehmer entgegen der Gebote von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt. Gem. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB liegt eine unangemessene Benachteiligung vor, wenn die Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist. Die wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung sind hier solche des Mietrechts. Im Rahmen eines Mietvertrags werden dem Mieter vom Vermieter Gewährleistungsrechte zugesichert. Allerdings sind hierbei auch leasingtypische Besonderheiten zu beachten, die sich im Rechtsverkehr bereits über Jahre etabliert haben. So entspricht es gerade dem Leitbild des Leasingvertrags, dass mietrechtliche Gewährleistungsrechte im Gegenzug zur Abtretung der kaufrechtlichen Gewährleistungsrechte gegen den Lieferanten ausgeschlossen werden.  Teleologisch entspricht dies auch der faktischen Interessenlage, denn  der Leasingnehmer wählt selbst auf der Grundlage eigener Interessen und Präferenz die Leasingsache aus, sodass er auch entsprechend einem Käufer gleichgestellt wird (Pierson, JuS 2021, 8, 10).

2. Rückabwicklung

Die Zahlung der Leasingraten erfolgt im Leistungsverhältnis zwischen Leasingnehmer und Leasinggeber. Erweisen sich im Rahmen des Leasingverhältnisses Probleme und begehrt der Leasingnehmer Rückzahlung geleisteter Leasingraten, so stellt sich die Frage nach der Rückabwicklung. In solchen Konstellationen kommt zunächst ein Rückgewähranspruch gem. § 346 Abs. 1 Alt. 2 BGB in Betracht. Ein solches gesetzliches Rücktrittsrecht kann sich dabei aus § 313 Abs. 3 S. 1 BGB ergeben, wobei die Voraussetzungen einer Störung der Geschäftsgrundlage i. S. v. § 313 BGB vorliegen müssen. Demnach müssen sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert haben und die Parteien hätten den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderungen vorausgesehen hätten. Schließlich dürfte auch einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden können.

Das tatsächliche Element, d. h. die Umstände, die zur Grundlage des (Leasing-)Vertrags geworden sind, ist in erster Linie der Bestand des Kaufvertrags. Sowohl der Leasinggeber als auch der Leasingnehmer gehen davon aus, dass der Kaufvertrag über die ganze Zeit hindurch Bestand haben wird. Ist die Leasingsache nun mangelhaft und auch eine Nacherfüllung gescheitert, so steht dem Leasingnehmer aus abgetretenem Recht der Rücktritt vom Kaufvertrag zu. Die Auflösung des Kaufvertrags führt damit zwangsläufig zum Wegfall der Geschäftsgrundlage (Spielbauer/Schneider/Kern, Mietrecht, 2. Aufl., Anhang 2 zu § 535 Leasing Rn. 72).

Als primäre Rechtsfolge im Falle einer gestörten Geschäftsgrundlage sieht § 313 Abs. 3 S. 1 BGB die Anpassung des Vertrags vor. Ist diese nicht möglich oder dem benachteiligten Teil nicht zumutbar, so wird ein Rücktrittsrecht gewährt. Bei Dauerschuldverhältnissen tritt an die Stelle des Rücktrittsrechts das Recht zur Kündigung. Der Leasingvertrag, der überwiegend als atypischer Mietvertrag qualifiziert wird, stellt ein solches Dauerschuldverhältnis dar. Problematisch ist hierbei aber, dass Kündigungen nur ex nunc wirken und damit die Rückgewähr von Leasingraten ausgeschlossen wäre. Wie dieses Problem zu lösen ist, wird unterschiedlich beurteilt.

a) Rechtsprechung

Im Laufe der Jahre hat die Rechtsprechung eine Lösung entwickelt, die sich in der Praxis so weit etabliert hat, dass sie u. a. sogar als ein „spezielles richterrechtlich entwickeltes Gewährleistungsrecht des Leasingvertrags“ beschrieben wird (BeckOGK/Martens, BGB, 1.10.2024, § 313 Rn. 295). Tritt der Leasingnehmer vom Kaufvertrag zurück, so werde er rückwirkend von seiner Verpflichtung zur Zahlung der Leasingraten befreit (BGH NJW 2014, 1583 Rn. 15). Eine Rückabwicklung ex tunc gem. § 346 Abs. 1 BGB sei ausnahmsweise geboten, da die Rückabwicklung des Vertragsverhältnisses zwischen den Parteien durch den Mangel ohnehin bereits von Anfang an möglich gewesen sei (OLG Frankfurt NJOZ 2009, 1826, 1828).

b) Kritik

Gleichwohl ist dieser Lösungsweg in der Literatur vielfach auf Kritik gestoßen. Zunächst wird bereits die Heranziehung des § 313 BGB kritisiert. Gerade weil die Parteien im Leasingvertrag Regelungen für den Fall der Mangelhaftigkeit getroffen haben, handle es sich um Vertragsinhalt und nicht um eine Geschäftsgrundlage (MüKoBGB/Finkenauer, BGB, 9. Aufl. 2022, § 313 Rn. 266). Darüber hinaus wird angeführt, dass durch die Lösung der Rechtsprechung letztlich wieder der Leasinggeber hafte, obwohl sich dieser gerade vertraglich von der Haftung freigestellt hat. Gleichzeitig werde der Hersteller unberechtigterweise von der Haftung befreit, obwohl sich der Leasingnehmer diesen gezielt ausgesucht habe (Staudinger/Stoffels, BGB Leasing, 2023, Rn. 249).

V. Was bleibt

Einzelne „Kniffe“ und Standardprobleme des Leasingrechts sollte man also kennen. Mit Kenntnis der Grundlagen gelangt man jedoch schnell in „bekannte Fahrwasser“.

08.01.2025/1 Kommentar/von Monika Krizic
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Monika Krizic https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Monika Krizic2025-01-08 10:39:472025-01-08 10:40:17Der Leasingvertrag in der Examensklausur
Micha Mackenbrock

Unfall beim Frühstückskaffee in der Ferienwohnung: Haftet der Vermieter?

Aktuelles, Mietrecht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Startseite, Uncategorized, Zivilrecht, Zivilrecht

Geplant war ein schöner und erholsamer Familienurlaub. Dafür wurde extra eine Ferienwohnung gemietet. Der Urlaub endete nach einem tragischen Unfall in eben dieser Ferienwohnung jedoch im Rettungshubschrauber auf dem Weg ins Krankenhaus. Ob der Vermieter in diesem Fall schadensersatzpflichtig ist, hatte das OLG Oldenburg zu entscheiden (Urt. v. 25.11.2024 – 9 U 40/23).

Das Urteil stellt unser Gastautor Micha Mackenbrock nachfolgend vor. Er hat an der Universität Bonn Rechtswissenschaften studiert und das erste Staatsexamen abgeschlossen. Nun ist er Mitarbeiter in einer mittelständigen Anwaltskanzlei und widmet sich seinem Promotionsvorhaben im Arbeitsrecht.

I. Der Sachverhalt

1. Die Ausgangslage

Anfang 2020 planten die Eltern zusammen mit ihrer sechsjährigen Tochter T einen Urlaub auf einer Nordseeinsel. Über das Internet wurde dafür eine Ferienwohnung gemietet. Der Buchungsbestätigung waren Allgemeine Geschäftsbedingungen beigefügt, dort heißt es unter anderem:

1. Im Falle eines nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig vom Vermieter verursachten Mangels der Mietsache ist die etwaige Haftung des Vermieters auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung ausgeschlossen.

2. Die vertragliche, wie auch die deliktische Haftung des Vermieters oder der FF ist in ihrer Höhe maximal auf die vereinbarte Miete begrenzt.

2. Der Unfall

Am ersten Morgen nach der Anreise im Mai 2020 wollte die Mutter der T Kaffee kochen. Dafür füllte sie zunächst kaltes Wasser in die zum Wohnungsinventar gehörende Glaskanne und startet dann den Brühvorgang in der dazugehörigen Kaffeemaschine. Wenige Minuten später nahm sie die Kanne aus der Maschine und schenkte den heißen Kaffee am Esstisch aus. Dabei löste sich der Henkel der Kanne und die Kanne kippt nach vorne. Dabei ergoss sich der heiße Kaffee über der Tochter. Diese erleidet dabei großflächige Verbrennungen 2. Grades am Oberkörper und den Armen. Per Rettungshubschrauber musste sie in eine Klinik gebracht und dort behandelt werden. Die Brandnarben werden voraussichtlich ihr Leben lang zu sehen sein.

Nun verlangte die T Schadensersatz von dem Vermieter aus § 536a Abs. 1 BGB. T behauptete, der Griff der Kaffeekanne sei bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses, jedenfalls aber bei Übergabe der Wohnung beschädigt gewesen. Dem Vermieter hätte vor der Überlassung der Ferienwohnung auffallen müssen, dass sich der Henkel von der Kanne ablöst.

II. Die Entscheidung

1. Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter

Der Mietvertrag nach §§ 535, 549 BGB wurde zwischen den Eltern und dem Vermieter vereinbart. Die geschäftsunfähige T (§ 104 Nr. 1 BGB) dagegen war hingegen selbst keine Mietvertragspartei. Jedoch liegt hier ein Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter vor. Das ergäbe sich schon daraus, dass die T in der Vertragsurkunde, dem Mietvertrag, als mitreisende Person Erwähnung findet, so das OLG. Damit kann die T einen Schadensersatzanspruch gegen den Vermieter geltend machen.

2. Kein Haftungsausschluss gemäß den AGB

Bestünde ein Anspruch auf Schadensersatz nach § 536a Abs. 1 BGB, dann wäre dieser jedenfalls nicht nach den AGB ausgeschlossen.

Nach § 309 Nr. 7 lit. a und lit. b BGB kann in Allgemeinen Geschäftsbedingungen die Haftung für Schäden aufgrund der Verletzung von Leben, Körper oder Gesundheit nicht ausgeschlossen oder begrenzt werden. Für sonstige Schäden ist ein Haftungsausschluss oder eine Haftungsbegrenzung nur bei einfacher Fahrlässigkeit zulässig. Aufgrund des eindeutigen Wortlauts der Nr. 7 lit. a sind Haftungsbeschränkungen oder -ausschlüsse hinsichtlich der genannten Rechtsgüter – Leben, Körper und Gesundheit – unabhängig vom Grad des Verschuldens stets unwirksam.

Im vorliegenden Fall schlossen die AGB sowohl die verschuldensunabhängige Haftung als auch die Haftung für einfache Fahrlässigkeit in Bezug auf Schäden an Leben, Körper und Gesundheit aus. Eine derartige Klausel verstößt folglich gegen § 309 Nr. 7 lit. a BGB. Aufgrund des Verbots der geltungserhaltenden Reduktion kann die Klausel auch nicht auf einen zulässigen Inhalt beschränkt werden. Unter das Klauselverbot fallen auch summenmäßige Beschränkungen des Anspruchs, sodass auch Nr. 2 der AGB nicht mit § 309 Nr. 7 BGB vereinbar ist.

Im Ergebnis sind Nr. 1 und Nr. 2 der AGB daher insgesamt unwirksam. Ein AGB-bedingter Haftungsausschluss besteht damit nicht.

3. Keine Haftung des Vermieters nach § 536a Abs. 1 S. 1 Var. 1 BGB wegen vorhandenem Mangel

Nach § 536a Abs. 1 S. 1 Var. 1 BGB haftet der Vermieter verschuldensunabhängig, wenn ein Mangel bereits bei Vertragsschluss vorhanden war. Hier wurde der Mietvertrag im Februar 2020 geschlossen.

Anfänglich ist ein Mangel dann, wenn sich die Schadensursache in die Zeit vor Vertragsschluss zurückverfolgen lässt, auch wenn er erst später für einen Schaden des Mieters ursächlich wird. Ausreichend ist mithin, wenn bei Vertragsschluss die Gefahrenquelle vorhanden war oder die Schadensursache vorlag (OLG Oldenburg Urt. v. 25.11.2024, Az.: 9 U 40/23, BeckRS 2024, 32749, Rn. 31).

Hier kann die T aber nicht beweisen, dass die Kaffeekanne schon bei Vertragsschluss über einen Defekt verfügte. Dafür liegen schon keine Indizien vor. Zudem müsse berücksichtigt werden, dass die Kaffeekanne ein Alltagsgegenstand ist. Da sie als solcher regelmäßig und stetig benutzt wird, ist die Abnutzung ein allmählich stattfindender, schleichender Prozess. Es ließe sich somit nicht genau feststellen, ob die Kaffeekanne bereits bei Vertragsschluss im Februar 2020 einen Mangel aufwies (OLG Oldenburg Urt. v. 25.11.2024, Az.: 9 U 40/23, BeckRS 2024, 32749, Rn. 34).

4. Keine Haftung des Vermieters nach § 536a Abs. 1 S. 1 Var. 2 BGB wegen späterer Mangelentstehung

Ein Anspruch besteht auch nicht nach § 536a Abs. 1 S. 1 Var. 2 BGB wegen eines später entstehenden und zu vertretenden Mangels. Zwar hat der Vermieter die Kaffeekanne als Inventar zusammen mit der Ferienwohnung vermietet. Die T als Klägerin trägt die Darlegungs- und Beweislast des Verschuldens des beklagten Vermieters. Eine Ausnahme gilt, wenn feststeht, dass die Schadensursache im Herrschafts- und Einflussbereich des Vermieters liegt. In diesem Fall muss sich der Vermieter entlasten. Diese Ausnahme basiert auf der mietrechtlichen Verteilung der Darlegungs- und Beweislast nach Verantwortungsbereichen. Das gilt aber dann nicht, wenn ungeklärt bleibt, in wessen Verantwortungsbereich die Schadensursache gesetzt worden ist. Denn ansonsten müsste der Vermieter den schwer zu erbringenden Beweis vorlegen, dass er sich pflichtgemäß verhalten hat.

Im hier entschiedenem Fall kann laut dem OLG davon ausgegangen werden, dass die Kaffeekanne im Zeitpunkt der Übergabe der Ferienwohnung noch funktionsfähig war. Denn wäre die Bruchstelle bereits zum Zeitpunkt der Übergabe vorhanden gewesen, hätte die Mutter der Klägerin die Kanne nicht mit kaltem Wasser befüllen können, ohne dass sie vom Henkel abgebrochen wäre.

Und selbst wenn die Kanne zum Zeitpunkt der Übergabe schon einen kleinen Riss an der Halterung des Henkels gehabt hätte, hätte dies dem Vermieter nicht auffallen müssen. Das Gericht meint nämlich, dass der Vermieter nicht verpflichtet ist, eine Kaffeekanne, in die sich problemlos Wasser einfüllen lässt und die mithin gebrauchstauglich ist, auf etwa vorhandene kleinste Beschädigungen an versteckter Stelle hin zu untersuchen (OLG Oldenburg Urt. v. 25.11.2024, Az.: 9 U 40/23, BeckRS 2024, 32749, Rn. 42).

5. Kein deliktischer Anspruch

Schon mangels Verschuldens scheidet auch eine deliktische Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB aus.

6. Ergebnis

Die T hat keinen Anspruch gegen den Vermieter auf Zahlung von Schadensersatz.

18.12.2024/1 Kommentar/von Micha Mackenbrock
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Micha Mackenbrock https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Micha Mackenbrock2024-12-18 14:49:552024-12-18 14:49:55Unfall beim Frühstückskaffee in der Ferienwohnung: Haftet der Vermieter?
Micha Mackenbrock

Keine Eigenbedarfskündigung zugunsten eines Cousins

Aktuelles, Mietrecht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?, Startseite, Uncategorized, Zivilrecht, Zivilrecht

Es ist wohl der Albtraum eines jeden Mieters: Der Vermieter kündigt die Wohnung wegen Eigenbedarf. Ob Eigenbedarf aber auch dann vorliegt, wenn die Kündigung erfolgt, damit der Cousin des Vermieters die Wohnung nutzen kann, hatte nun der BGH zu entschieden (BGH, Urteil vom 10.07.2024 – VIII ZR 276/23).

Das BGH-Urteil stellt unser Gastautor Micha Mackenbrock nachfolgend vor. Er hat an der Universität Bonn Rechtswissenschaften studiert und das erste Staatsexamen abgeschlossen. Nun ist er Mitarbeiter in einer mittelständigen Anwaltskanzlei und widmet sich seinem Promotionsvorhaben im Arbeitsrecht.

I. Der Sachverhalt

1. Die Ausgangslage

Der Beklagte ist seit 2009 Mieter einer Wohnung in Berlin. Die Klägerin ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). Deren Gesellschafter sind zwei Cousins. 2014 erwarb die GbR das Eigentum an dem Gebäude, in welchem sich die vom Mieter bewohnte Wohnung befindet. 2021 sprach die GbR dann eine Kündigung wegen Eigenbedarf aus. Einer ihrer Gesellschafter wolle die Wohnung selbst nutzen.

2. Die Kündigung

Der Mieter hält die Kündigung für unwirksam und weigert sich, die Wohnung zu räumen. Er beruft sich auf die Kündigungsbeschränkung nach § 577a Abs. 1a Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 2 der Kündigungsschutzklausel-Verordnung des Landes Berlin. Gemäß diesen Bestimmungen darf eine Personengesellschaft, die erst nach der Vermietung Eigentümer einer Wohnung wurde, eine Kündigung aus berechtigtem Interesse nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 oder 3 BGB, wie etwa wegen Eigenbedarfs, frühestens zehn Jahre nach dem Erwerb aussprechen. Eine Ausnahme besteht nach § 577a Abs. 1a Satz 2 BGB jedoch, wenn die Gesellschafter beim Erwerb des Eigentums Familienmitglieder waren. In dem Fall ist eine Eigenbedarfskündigung schon früher zulässig.

Auf diese Ausnahme beruft sich die klagende GbR und verlangt die Räumung und Herausgabe der Wohnung nach §§ 546 Abs. 1, 985 BGB. Die Kündigung des Wohnraummietverhältnisses wegen Eigenbedarfs sei wirksam, denn Cousins seien Familienmitglieder im Sinne der Ausnahmevorschrift. Das würde erst recht gelten, wenn sich Cousins besonders nahe stehen, was hier der Fall sei.

II. Die Entscheidung des BGH

Der BGH meint, dass Cousins nicht als Familienangehörige im Sinne des § 577a Abs. 1a Satz 2 BGB anzusehen sein. Das gelte auch für § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB. Der Begriff „Familie“ sei sowohl im Sprachgebrauch unter Juristen, als auch unter Laien, unbestimmt und nicht einheitlich definiert. Auch der Gesetzgeber habe sich bei der Einfügung des § 577a BGB durch das Mietrechtsänderungsgesetz aus 2013 nicht zu dem Familienbegriff geäußert. Eine nähere Konkretisierung bleibe damit vollständig der Rechtsprechung überlassen.

1. Unbeachtlichkeit eines besonders engen Verhältnisses

Laut dem BGH könnten als Konkretisierung des Begriffs der Familienangehörigen die Regelungen über ein Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen (§ 383 ZPO, § 52 StPO) herangezogen werden. Das Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen würde immer gelten – unabhängig davon, ob tatsächliche eine enge Beziehung und persönliche Bindung besteht. Demzufolge sei das enge Verhältnis der beiden Cousins auch im Rahmen der §§ 573 Abs. 2 Nr. 2, 577a Abs. 1a Satz 2 BGB nicht zu berücksichtigen.

2. Ohne Zeugnisverweigerungsrecht auch keine Familienangehörigkeit

Das Zeugnisverweigerungsrecht aus § 383 ZPO und § 52 StPO gilt für Ehepartner, Verlobte und für Verwandte und Schwager in gerade Linie, nicht aber für Cousins. Demnach könnten Cousins auch nicht als Familienmitglieder im Sinne von §§ 573 Abs. 2 Nr. 2, 577a Abs. 1a Satz 2 BGB gelten.

„Als Familienangehörige oder als Familie im Sinne von § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB und § 577a Abs. 1a Satz 2 BGB sind ausschließlich diejenigen Personen anzusehen, denen ein Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen gemäß § 383 ZPO, § 52 StPO zusteht“ (BGH, Urteil vom 10.07.2024 – VIII ZR 276/23, Rn. 34).

Die Privilegierung von Familienangehörigen in den §§ 573 Abs. 2 Nr. 2, 577a Abs. 1a Satz 2 BGB soll dem Umstand Rechnung tragen, dass innerhalb einer Familie aufgrund enger Verwandtschaft üblicherweise ein persönliches Verhältnis von Verbundenheit und gegenseitiger Solidarität besteht, welches eine Kündigung zugunsten von Familienmitgliedern rechtfertigt. Die gesetzliche Privilegierung von Familienangehörigen beruht auf der Annahme einer typischerweise vorliegenden besonderen persönlichen Nähe, die aus der familiären Beziehung resultiert. Daher sei kein zusätzliches, tatsächliches Näheverhältnis erforderlich. Damit scheide aber auch eine Ausweitung des geschützten Personenkreises aufgrund einer individuellen besonderen persönlichen Bindung aus, da das Gesetz bewusst auf einer typisierenden Betrachtungsweise abstellt.

Beispielsweise besteht das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 383 ZPO, § 52 StPO auch dann, wenn Bruder und Schwester eine tiefe Abneigung füreinander hegen. Denn das Gesetz stellt darauf ab, dass typischerweise eine besonders enge Bindung zwischen Geschwistern vorliegt. Cousins hingegen haben typischerweise keine besonders enge Bindung, welche etwa mit der Bindung zwischen Ehepartnern, Geschwistern oder Eltern zu ihren Kindern verglichen werden könnte. Wenn das im Einzelfall einmal anders ist, ist das im Rahmen des Zeugnisverweigerungsrechts aus § 383 ZPO, § 52 StPO nicht zu berücksichtigen. Das gleiche gilt für den Familienbegriff aus den §§ 573 Abs. 2 Nr. 2, 577a Abs. 1a Satz 2 BGB.

„Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber im Rahmen des von ihm verfolgten Regelungsziels das subjektive Kriterium einer im Einzelfall vorliegenden besonderen Nähebeziehung als Merkmal für die Bestimmung des von dem Begriff Familie umfassten Personenkreises für bedeutsam gehalten haben könnte, bestehen (…) nicht. Von daher gesehen ist auch nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber (…) bei Verwandten für die Gewährung der Privilegierung eine Differenzierung zwischen engen Verwandten, die unabhängig von dem tatsächlichen Vorliegen einer persönlichen Nähebeziehung privilegiert werden sollten, und entfernteren Verwandten, die nur bei bestehender besonderer persönlicher Verbundenheit von der Privilegierung umfasst sein sollten, vor Augen hatte“ (BGH, Urteil vom 10.07.2024 – VIII ZR 276/23, Rn. 40).

3. Anwendbarkeit der Regelungen im Mietrecht

Der BGH führt aus, dass eine Definition des Familienbegriffs im BGB fehle. Der Gesetzgeber hat den Begriff im BGB auch nicht näher umrissen. Jedoch habe er eine solche Bewertung im Rahmen des Zeugnisverweigerungsrechts aus persönlichen Gründen getroffen. Das Zeugnisverweigerungsrecht beruhe, ebenso wie die Privilegierung in den §§ 573 Abs. 2 Nr. 2, 577a Abs. 1a Satz 2 BGB, auf einer typischerweise vorliegenden persönlichen Nähebeziehung. Somit seien die Wertungen aus § 383 ZPO und § 52 StPO im Rahmen der Eigenbedarfskündigung heranzuziehen.

4. Ergebnis

Da die beiden Cousins nicht als Familienmitglieder im Sinne von § 577a Abs. 1a Satz 2 BGB anzusehen seien, gilt weiterhin § 577a Abs. 1, 1a Satz 1, Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 2 der Kündigungsschutzklausel-Verordnung des Landes Berlin. Eine Eigenbedarfskündigung durch die GbR kann somit erst nach Ablauf von zehn Jahren nach Eigentumserwerb erfolgen. Ein Räumungs- beziehungsweise Herausgabeanspruch nach §§ 546 Abs. 1 BGB, 985 BGB gegenüber dem Mieter besteht somit nicht.

II. Fazit

Das Urteil des BGH ist nachvollziehbar. Die generalisierende Betrachtung für die Eigenbedarfskündigung verschafft Mietern Rechtssicherheit und Planbarkeit. Auch werden dadurch die Gerichte entlastet, denn sie müssen sich nicht damit beschäftigen, ob in Einzelfällen eine persönliche Nähebeziehung vorliegt.

26.11.2024/1 Kommentar/von Micha Mackenbrock
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Micha Mackenbrock https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Micha Mackenbrock2024-11-26 17:36:442024-11-26 17:36:45Keine Eigenbedarfskündigung zugunsten eines Cousins
Alexandra Alumyan

Vertrauensfrage im Fokus

Aktuelles, BVerfG Leitentscheidungen & Klassiker, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Startseite, Verfassungsrecht

Die Ankündigung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), voraussichtlich am 15. Januar 2025 die Vertrauensfrage zu stellen, bietet Examenskandidaten einen hervorragenden Anlass, sich noch einmal dem Staatsorganisationsrecht zu widmen.

I. Auflösung des Bundestages: Vertrauensfrage

Ob der Regierungskurs des Bundeskanzlers noch von einer parlamentarischen Mehrheit getragen ist, kann der Bundeskanzler mittels der sog. „Vertrauensfrage“ an die Mitglieder des Bundestages feststellen lassen. In der Klausur sind folgende Voraussetzungen zu prüfen:

1. Vertrauensantrag

Den Antrag auf Ausspruch des Vertrauens (Vertrauensantrag) stellt der Bundeskanzler. Dieser kann die Vertrauensfrage nur als solche, oder aber verbunden mit einer Sachfrage stellen, beispielsweise mit einer Gesetzesvorlage, siehe Art. 81 Abs. 1 S. 2 GG (Sachs/Brinktrine, 10. Aufl. 2024, Art. 68 GG Rn. 26 ff.).

2. Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages

Nach der Antragstellung führt der Bundestag eine Abstimmung über den Vertrauensantrag durch. Zwischen dem Antrag und der Abstimmung müssen 48 Stunden liegen, Art. 68 Abs. 2 GG. Die Rechtsfolge des Art. 68 GG knüpft an das Nichtvorliegen einer Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages an.

Wichtig! Der Vertrauensantrag kann nur dann den Grund für die Bundestagsauflösung schaffen, wenn weniger als die Mehrheit der Abgeordneten das Vertrauen aussprechen.

„Mehrheit“ bedeutet hier die absolute Mehrheit im Sinne des Art. 121 GG, sodass es nicht auf die Zahl der Anwesenden, sondern auf die gesetzliche Mitgliederzahl ankommt. Diese beläuft sich derzeit gem. § 1 Abs. 1 S. 1 BWahlG auf 630 Abgeordnete. Mehr als die Hälfte sind somit (630:2+1=) 316 Abgeordnete.

Merkposten: Durch das neue Bundeswahlgesetz sind die § 6 Abs. 4 bis 7 BWahlG (a.F.) entfallen, sodass die Anzahl der Abgeordneten nicht mehr durch Überhang- und Ausgleichsmandate erhöht werden kann.

3. Auflösungsantrag

Erreicht der Vertrauensantrag nicht die Zustimmung der Mehrheit der Bundestagsmitglieder, kann der Bundeskanzler einen Antrag auf Auflösung des Bundestages stellen, Art. 68 Abs. 1 S. 1 GG. Ob er den Antrag stellt, liegt in seinem pflichtgemäßen Ermessen (Dürig/Herzog/Scholz/Herzog, 104. EL 2024, Art. 68 GG Rn. 45). Der Auflösungsantrag richtet sich an den Bundespräsidenten.

Alternativ kann der Bundeskanzler von der Antragstellung absehen und von seinem Amt zurückzutreten (BeckOK GG/Pieper, 59. Ed. 2024, Art. 68 GG Rn. 32 ff.). Ihm steht auch weiterhin die Möglichkeit offen, als „Minderheitskanzler“ im Amt zu bleiben (v. Münch/Kunig/Kerkemeyer, 7. Aufl. 2021, Art. 68 GG Rn. 50).

4. Ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal: Politische Instabilität

Das Bundesverfassungsgericht hat die Zulässigkeit der Vertrauensfrage jedoch von einem weiteren Merkmal abhängig gemacht: In seiner Entscheidung im Jahr 1983 (Helmut Kohl) forderte das BVerfG das Vorliegen einer materiellen Auflösungslage im Sinne einer „politischen Lage der Instabilität“ (BVerfGE 62, 1, 42 ff.), im Jahr 2005 sprach das BVerfG von der „zweckgerechten Anwendung“ der Vertrauensfrage (BVerfGE 114, 121, 149).

Hintergrund dieser Einschränkung ist, dass das Grundgesetz kein „Selbstauflösungsrecht“ des Bundestages kennt. Eine Selbstauflösung und infolgedessen Neuwahlen sollen nicht durch die „Hintertür“ des Art. 68 GG ermöglicht werden. Neben den formellen Voraussetzungen ist daher auch der Zweck des Art. 68 GG zu berücksichtigen: Die Sicherung der Handlungsfähigkeit der Regierung.

Zielt der Bundeskanzler darauf ab, sich einer tragfähigen Mehrheit zu vergewissern, spricht man von der „echten Vertrauensfrage“. Ist die Frage jedoch darauf gerichtet, die Auflösung herbeizuführen, weil der Bundeskanzler sich einer stabilen Mehrheit nicht mehr sicher sein kann, so handelt es sich um eine „unechte“ bzw. „auflösungsgerichtete“ Vertrauensfrage (Degenhart, Staatsrecht I, 36. Auflage, § 9 Rn. 773).

Dies bedeutet, dass die Vertrauensfrage nur dann gestellt werden darf, wenn sie – dem Zweck des Art. 68 GG entsprechend – der Behebung einer Lage politischer Instabilität dient. Bei der auflösungsgerichteten Vertrauensfrage ist dabei konkret zu prüfen, ob die Handlungsfähigkeit der parlamentarisch verankerten Bundesregierung verloren gegangen ist. Oder in anderen Worten das BVerfG:

„Der Bundeskanzler, der die Auflösung des Bundestages auf dem Weg des Art. 68 GG anstrebt, soll dieses Verfahren nur anstrengen dürfen, wenn es politisch für ihn nicht mehr gewährleistet ist, mit den im Bundestag bestehenden Kräfteverhältnissen weiter zu regieren. Die politischen Kräfteverhältnisse im Bundestag müssen seine Handlungsfähigkeit so beeinträchtigen oder lähmen, daß er eine vom stetigen Vertrauen der Mehrheit getragene Politik nicht sinnvoll zu verfolgen vermag.“ (BVerfGE 62, 1, 44).

Dabei ist zu betonen, dass dem Bundeskanzler eine weite Einschätzungsprärogative zusteht und seine Entscheidung dahingehend, ob parlamentarische Handlungsfähigkeit vorliegt, vor dem BVerfG nur der Kontrolle auf grobe und offensichtliche Fehlerhaftigkeit unterworfen werden kann.

5. Rechtsfolge

Bei Vorliegen der Voraussetzungen kann der Bundespräsident binnen 21 Tagen die Auflösung des Bundestages anordnen, Art. 68 Abs. 1 S. 1 GG. Die Frist beginnt mit dem Abschluss der Abstimmung zu laufen (Dürig/Herzog/Scholz/Herzog, 104. EL 2024, Art. 68 GG Rn. 54).

Aus dem Wortlaut „kann“ ergibt sich, dass es sich um eine Ermessensentscheidung handelt. Der Bundespräsident hat also nach eigenem politischem Ermessen zu entscheiden, ob stabile Regierungsverhältnisse ohne oder erst durch Neuwahlen gesichert werden können (BeckOK GG/Pieper, 59. Ed. 2024, Art. 68 GG Rn. 13 ff.). Er hat sowohl ein formelles Prüfungsrecht als auch ein auf die Evidenzkontrolle beschränktes materielles Prüfungsrecht (Huber/Voßkuhle/Epping, 8. Aufl. 2024, Art. 68 GG Rn. 40). Ihm ist das Auflösungsrecht jedoch vollständig entzogen, sofern der Bundestag in der Zwischenzeit einen neuen Bundeskanzler wählt, Art. 68 Abs. 1 S. 2 GG.

Die Auflösungsanordnung des Bundespräsidenten bedarf der Gegenzeichnung des Bundeskanzlers, Art. 58 S. 1 GG. Erst mit dem Zusammentritt des neuen Bundestages endet das Amt des alten Bundestages, Art. 39 Abs. 1 S. 2, 69 Abs. 2 GG. Innerhalb von 60 Tagen finden die Neuwahlen statt, vgl. Art. 39 Abs. 1 S. 4 GG.

Der Bundespräsident könnte auch gem. Art. 81 Abs. 1 S. 2 i.V.m. S. 1 GG  auf Antrag der Bundesregierung den Gesetzgebungsnotstand erklären. 

II. Abgrenzung zum konstruktiven Misstrauensvotum

Nicht zu verwechseln ist die Vertrauensfrage mit dem konstruktiven Misstrauensvotum, Art. 67 GG. Initiatoren des Misstrauensvotums sind die Abgeordneten, welche bei Erreichen einer Mehrheit im Sinne des Art. 121 GG einen Nachfolger für das Kanzleramt wählen und dem amtierenden Bundeskanzler das Misstrauen aussprechen können, woraufhin der Bundespräsident den Bundeskanzler entlassen und den gewählten Nachfolger ernennen muss. Das Prozessuale ergibt sich aus § 97 GO BT.

III. Ausblick

In einem Zuge hat Bundeskanzler Olaf Scholz die Entlassung von Finanzminister Christian Lindner bekanntgegeben und angekündigt, am 15. Januar 2025 vor dem Bundestag die Vertrauensfrage zu stellen. Dies wäre die 6. Vertrauensfrage in der Geschichte der BRD. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat sich bereit erklärt, im Falle einer gescheiterten Vertrauensfrage die Auflösung des Bundestages anzuordnen. Ob Bundeskanzler Olaf Scholz der Forderung der Opposition, die Vertrauensfrage nicht erst im Januar, sondern alsbald zu stellen folgt, ist nicht absehbar, ist noch, so der Bundeskanzler, die Verabschiedung mehrerer unaufschiebbarer Gesetzesvorhaben geplant. Unabhängig davon, wann der Bundeskanzler den Vertrauensantrag stellen wird, bietet sich ein solch aktueller Anlass in naher Zukunft als Prüfungsstoff gut an:

Eine mögliche Einbettung in einer Examensklausur könnte über ein Organstreitverfahren erfolgen, so wie in BVerfGE 62, 1: In dem Fall haben Bundestagsabgeordnete einen möglichen Verstoß der Auflösungsanordnung des Bundespräsidenten gegen Art. 68 Abs. 1 GG zum Streitgegenstand erhoben und die Verletzung von Art. 38 Abs. 1 S. 2 i.V.m Art. 39 Abs. 1 GG geltend gemacht.

Man beachte hier in der Zulässigkeit, dass Bundestagsabgeordnete aufgrund ihrer eigenen verfassungsrechtlichen Position (Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG) antragsberechtigt sind. Schwerpunkt in der Begründetheit wäre die Erschließung des Sachverhalts im Hinblick auf das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 68 Abs. 1 GG, insbesondere der politischen Lage der Instabilität. Vor allem das Missbrauchspotential einer „unechten“ bzw. „auflösungsgerichteten“ Vertrauensfrage kann thematisiert und mit dem Argument relativiert werden, dass der Bundeskanzler auch bei einer bloß künftig drohenden Verschiebung der Mehrheitsverhältnisse von einer Auflösungslage ausgehen darf und nicht auf den endgültigen Zusammenbruch warten muss, wenn schon vorher der Zweck des Art. 68 Abs. 1 GG berührt ist.

11.11.2024/1 Kommentar/von Alexandra Alumyan
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Alexandra Alumyan https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Alexandra Alumyan2024-11-11 07:41:342024-11-14 09:31:25Vertrauensfrage im Fokus
Moritz Augel

Haftung für umkippende E-Scooter – Pech für Autofahrer?

Aktuelles, Deliktsrecht, Rechtsgebiete, Startseite, Zivilrecht

E-Scooter wurden einst als „Revolution für die letzte Meile“ gefeiert. Doch die anfängliche Freude ist schnell verpufft: E-Scooter Verbotszonen, die verhindern, dass Irre die Scooter in Rhein, Main oder Spree werfen; mitten auf dem Gehweg abgestellte Scooter, die insbesondere Ältere, Rollstuhlfahrer und Menschen mit Kinderwagen behindern und nicht zuletzt zahlreiche Fälle, in denen Autos durch umgekippte E-Scooter beschädigt wurden.

Doch wer haftet eigentlich für das Umfallen von E-Scootern? Eine Frage, der unser Gastautor Moritz Augel im nachfolgenden Beitrag nachgehen wird. Er hat Rechtswissenschaft an der Universität Bonn studiert und widmet sich aktuell seinem Promotionsvorhaben.

I. Haftung des Nutzers

Zunächst ist eine mögliche Haftung des letztmaligen Nutzers, der den E-Scooter abgestellt hat zu erwägen.

1. Auskunftsanspruch nach § 242 BGB

Bevor man sich der Frage widmen kann, welche Ansprüche gegen den Nutzer bestehen könnten stellt sich zunächst ein ganz praktisches Problem. Der Geschädigte kennt die Identität des Fahrers des E-Scooters schlicht nicht. Jedoch steht ihm ein Anspruch aus § 242 BGB auf Auskunft über Name und Adresse des Fahrers gegen den Betreiber zu (vgl. BGH, Urt. v. 6.5.2004 – III ZR 248/03, VIZ 2004, 492 (494)). Ein solcher Auskunftsanspruch besteht dann, wenn „der Berechtigte entschuldbarerweise über das Bestehen oder den Umfang seines Rechts im Ungewissen, der Verpflichtete aber in der Lage ist, unschwer solche Auskünfte zu erteilen, die zur Beseitigung jener Ungewissheit geeignet sind“ (BGH, Urt. v. 6.5.2004 – III ZR 248/03, VIZ 2004, 492 (494)).

Problematisch ist indes, dass auch dem Betreiber häufig die Adresse des Nutzers unbekannt ist. Kann der Betreiber darlegen, dass er die Adresse mithilfe der ihm zur Verfügung stehenden Informationen nicht ermitteln kann, so scheitert auch der Auskunftsanspruch (Kaufmann/Kurczinski, NZV 2024, 207 (210)). Sofern also überhaupt Ansprüche gegen den Fahrer bestehen, scheitern sie bereits häufig an der fehlenden Durchsetzbarkeit, mangels Kenntnis über die Identität des Anspruchsgegners.

2. Haftung nach § 18 Abs. 1 StVG

Voraussetzung hierfür ist zunächst, dass es sich bei den E-Scootern um Kraftfahrzeuge iSv. § 1 Abs. 2 StVG handelt. Da sie selbstständig beschleunigen und nicht an Muskelkraft gebunden sind, handelt es sich um Kraftfahrzeuge, die grundsätzlich der Halter- (§ 7 StVG) und Fahrerhaftung (§ 18 StVG) unterfallen. Jedoch regelt § 8 StVG eine Ausnahme von der Gefährdungshaftung. Diese greift gem. § 8 Nr. 1 StVG nicht, wenn es sich um ein Kraftfahrzeug handelt, welches nicht schneller als 20 km/h fahren kann. Dies ist bei E-Scootern der Fall, sodass eine Haftung nach § 18 Abs. 1 StVG ausscheidet.

Die Ausnahme des § 8 Nr. 1 StVG ist in letzter Zeit zunehmend in die Kritik geraten. Insbesondere in Konstellationen, wie der vorliegenden, erscheint es widersinnig auf die tatsächliche Geschwindigkeit abzustellen, denn wenn das Fahrzeug stillsteht begründet es die gleiche Gefahr, wie jedes andere (schnellere) Fahrzeug (Medicus, DAR 2000, 442 (443)).

3. Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB

Möglich bleibt eine Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB. Die Sachbeschädigung stellt eine Rechtsgutsverletzung in Form der Eigentumsverletzung dar. Als haftungsbegründendes Verhalten ist auf die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht, mithin ein Unterlassen, abzustellen: Der Nutzer eines E-Scooters schafft eine Gefahrenquelle, sobald er ihn im öffentlichen Verkehr abstellt, weshalb er entsprechende Maßnahmen treffen muss, die erforderlich sind um eine Schädigung Dritter zu verhindern, vgl. § 1 Abs. 2 StVO. Eine unsachgemäße Abstellung ist mithin haftungsbegründend.

Problematisch sind indes vor allem die Fragen der Kausalität und des Verschuldens, die sich insbesondere daraus ergeben, dass dem Geschädigten ein Nachweis bezüglich Kausalität und Verschulden nur in den seltensten Fällen gelingen wird. Insbesondere ist es für den Geschädigten häufig nicht nachzuweisen, dass der Scooter tatsächlich vom Fahrer falsch abgestellt wurde und nicht etwa durch eine dritte Person umplatziert oder umgestoßen wurde.

4. Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB iVm. § 1 Abs. 2 StVO

Gemäß § 823 Abs. 2 BGB begründet auch die Verletzung eines Schutzgesetzes eine Haftung. Schutzgesetze sind solche, die nicht nur Allgemeininteressen, sondern auch die des Einzelnen schützen sollen (Förster in BeckOK BGB, § 823 BGB, Rn. 276). Telos des § 1 Abs. 2 StVO ist zunächst der Schutz des Allgemeininteresses an der Sicherheit des Straßenverkehrs, darüber hinaus jedoch auch der Schutz des Individualinteresses des einzelnen Verkehrsteilnehmers an seiner Unversehrtheit. § 1 Abs. 2 StVO ist mithin ein Schutzgesetz iSd. § 823 Abs. 2 BGB (vgl. Herbers/Lempp in Haus/Krumm/Quarch, Verkehrsrecht, § 1 StVO, Rn. 5). Eine Haftung kann sich mithin auch aus § 823 Abs. 1 BGB iVm. § 1 Abs. 2 StVO ergeben. Es stellen sich jedoch die gleichen Probleme hinsichtlich der Beweisbarkeit und Identifizierbarkeit des Fahrers, wie bei § 823 Abs. 1 BGB.

II. Haftung des Betreibers

Gerade weil eine Haftung gegen den Fahrer regelmäßig aufgrund fehlender Durchsetzbarkeit (vgl. I. 1.) scheitert, wäre ein Anspruch gegen den – häufig auch deutlich solventeren – Betreiber umso wichtiger.

1. Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG

Eine Halterhaftung scheitert ebenso wie die Haftung des Fahrers nach § 18 Abs. 1 StVG (s. I. 2.), weil § 8 Nr. 1 StVG diese für E-Scooter ausschließt.

2. Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB

Auch den Betreiber treffen Verkehrssicherungspflichten: Indem er die E-Scooter in den Verkehr bringt, sie auf öffentlichen Straßen abstellen lässt und sie an Nutzer vermietet schafft er selbst eine Gefahrenquelle, aufgrund derer er zur Ergreifung von Maßnahmen verpflichtet ist, um die Rechte Dritter zu schützen (Kaufmann/Kurczinski, NZV 2024, 207 (210)). Dabei ist der Betreiber zur Ergreifung solcher Maßnahmen verpflichtet, die erforderlich sind und angemessen sind. Welche Maßnahmen das sind, bestimmt sich aus der Sicht eines umsichtigen, verständigen, in vernünftigen Grenzen vorsichtigen und gewissenhaften Menschen (st. Rspr.: BGH, Urt. v. 25.10.2022 – VI ZR 1283/20, NJW-RR 2023, 95, Rn. 11).

Es stellt sich mithin die Frage, in welchem Maß der Betreiber verpflichtet ist, einen ordnungsgemäßen Abstellvorgang sicherzustellen. Eine proaktive Überwachung jedes einzelnen Abstellvorgangs wäre ihm keinesfalls zumutbar (Kaufmann/Kurczinski, NZV 2024, 207 (210)). Jedoch darf der Betreiber nicht darauf vertrauen, dass die Nutzer die Scooter stets ordnungsgemäß abstellen, weshalb den Betreiber jedenfalls in Fällen, in denen er Kenntnis von einem falsch geparkten E-Scooter erlangt, die Pflicht trifft, darauf zu reagieren und die Gefahrenquelle zu beseitigen (Kaufmann/Kurczinski, NZV 2024, 207 (210 f.)).

Dabei darf sich der Betreiber nicht allein darauf verlassen, dass ihm ein falsch geparkter Scooter wohl gemeldet würde. Vielmehr trifft ihn auch die Pflicht zur Überwachung, sodass regelmäßige Kontrollen vorzunehmen sind, die etwa im Rahmen des nächtlichen Umstellens und Aufladens erfolgen kann (Kaufmann/Kurczinski, NZV 2024, 207 (211)). Darüber hinaus verfügen die Scooter regelmäßig über eine GPS-Ortung, sodass sich, wenn sich aus der Position bereits eine Störung ergibt, ebenfalls eine Beseitigungspflicht ergibt.

Kaufmann und Kurczinski schlagen den Einbau von Neigungssensoren vor, die nicht nur auf eine Gefahrenquelle aufmerksam machen, sondern auch dabei helfen würden, den Zeitpunkt des Umkippens feststellen zu können (Kaufmann/Kurczinski, NZV 2024, 207 (210)).

Eine Pflicht zur Erhebung der Daten des Nutzers besteht hingegen nicht. Zwar begründet die lückenhafte Datenerhebung eine Gefahr, da eine praktische Durchsetzung der Ansprüche gegen den Nutzer so praktisch unmöglich wird. Allerdings führt das Unterlassen der Datenerhebung nicht zur Rechtsgutsverletzung, sodass der erforderliche Kausalzusammenhang fehlt (Kaufmann/Kurczinski, NZV 2024, 207 (211)).

3. Haftung nach § 831 Abs. 1 BGB

Sogenannte „Juicer“ oder „Charger“ verdienen Geld, indem sie leere E-Scooter einsammeln, aufladen und später wieder im angestammten Gebiet verteilen. Sofern es sich bei ihnen um Verrichtungsgehilfen handelt, sie ihre Tätigkeit mithin weisungsgebunden ausüben, kommt eine Haftung des Betreibers nach § 831 Abs. 1 S. 1 BGB in Betracht. Voraussetzung hierfür ist ein Auswahl- bzw. Überwachungsverschulden; der Betreiber darf sich mithin nicht nach § 831 Abs. 1 S. 2 BGB exkulpieren können. Jedoch wird diese Exkulpation nicht nur häufig gelingen (so jedenfalls Kaufmann/Kurczinski, NZV 2024, 207 (211)), vielmehr ist die konkrete Ausgestaltung der vertraglichen Vereinbarung zwischen „Juicer“ und Betreiber dahingehend zu untersuchen, ob überhaupt eine Weisungsbindung vorliegt.

III. Summa

Es besteht mithin das Risiko, dass die Eigentümer eines Kraftfahrzeugs, welches durch einen umkippenden E-Scooter beschädigt wurde, auf dem Schaden sitzenbleiben. Dies ist nicht nur misslich, sondern ein echtes Ärgernis. Die Privilegierung des § 8 Nr. 1 StVG scheint überholt (vgl. Kaufmann/Kurczinski, NZV 2024, 207 (212)). Aktuell muss man konstatieren, dass es dem Geschädigten nicht möglich ist einen Regress vom Betreiber zu erlangen. Auch ein Rückgriff gegen den Fahrer ist nur selten möglich. Keine gute Nachricht für alle Autofahrer, die auch künftig fürchten müssen aus eigenem Portmonee für den Lackschaden aufkommen zu müssen.

07.11.2024/2 Kommentare/von Moritz Augel
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Moritz Augel https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Moritz Augel2024-11-07 08:47:252024-11-14 09:31:35Haftung für umkippende E-Scooter – Pech für Autofahrer?
Micha Mackenbrock

Stadt Essen muss der AfD ihre Stadthalle zur Verfügung stellen

Aktuelles, Kommunalrecht, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Startseite

Die Stadt Essen geriet im Sommer diesen Jahres in den Fokus einer juristischen Auseinandersetzung, als sie einen bereits geschlossenen Mietvertrag mit der AfD für deren Bundesparteitag in der Essener Stadthalle kündigte. Die Stadt begründete ihre Entscheidung mit Bedenken über mögliche rechtliche Verstöße während der Veranstaltung. Die AfD ging daraufhin vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen im Eilverfahren gegen die Kündigung vor und konnte sich mit Verweis auf das Gleichbehandlungsgebot der Parteien durchsetzen. Den Gerichtsbeschluss vom 14.06.2024 – 15 L 888/24 stellt unser Gastautor Micha Mackenbrock vor. Er hat an der Universität Bonn Rechtswissenschaft studiert und das erste Staatsexamen abgeschlossen. Nun ist er Mitarbeiter in einer mittelständigen Anwaltskanzlei und widmet sich seinem Promotionsvorhaben im Bereich Arbeitsrecht.

I. Der Sachverhalt

Die Stadt Essen betreibt eine Stadthalle, die „Grugahalle“. Dort finden Messen, Konzerte, Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften und auch politische Veranstaltungen statt. Die Stadt betreibt die Stadthalle dabei nicht unmittelbar, sondern ist „nur“ Mehrheitsgesellschafterin der die Stadthalle vermietenden „Messe Essen GmbH“ (nachstehend nur GmbH genannt). An dieser hält die Stadt insgesamt 80% der Gesellschaftsanteile. Anfang 2023 hatte die GmbH einen Mietvertrag mit der AfD abgeschlossen. Die AfD wollte die Stadthalle für ihren Bundesparteitag am 29. und 30. Juni nutzen.

Doch in der Zeit zwischen dem Abschluss des Mietvertrags und dem geplanten Bundesparteitag wachsen bei der Stadt Essen Zweifel, ob der AfD tatsächlich die Stadthalle zur Verfügung gestellt werden soll.  Schließlich beschloss der Stadtrat im Mai 2024, dass die GmbH den Mietvertrag kündigen soll, falls die AfD eine Bedingung nicht erfüllt: Die AfD soll eine strafbewehrte Selbstverpflichtungserklärung dahingehend abgeben, dass Teilnehmer des Parteitags keine strafbaren Handlungen vornehmen. Damit wollte die Stadt insbesondere verhindern, dass auf dem Parteitag verbotene SA-Parolen gerufen werden. Die AfD gab diese Erklärung nicht ab, woraufhin die GmbH den Mietvertrag kündigte.

Die AfD wandte sich gegen die Kündigung im Eilverfahren vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen. Die Stadt Essen sollte verpflichtet werden sicherzustellen, dass die AfD Zugang zur Stadthalle gewährt bekommt.

II. Die Entscheidung

Das Gericht entschied im Sinne der AfD. ihr ist der Zugang zur Stadthalle gewähren, ohne dass sie zuvor eine strafbewehrte Selbstverpflichtung abgeben muss.

1. Kein Zugangsanspruch nach § 8 Gemeindeordnung NRW

In Betracht kommt ein Anspruch aus § 8 II, IV Gemeindeordnung NRW. Die Stadthalle ist eine kommunale öffentliche Einrichtung im Sinne von § 8 I Gemeindeordnung NRW, denn sie ist ein Gegenstand, der den Einwohnern beziehungsweise einen in der Zweckbestimmung festgelegten Personenkreis durch die Gemeinde für bestimmte öffentliche Zwecke zugänglich gemacht wird. Dass die Stadthalle dabei „nur“ von der GmbH und nicht von der Stadt Essen unmittelbar betrieben wird, ist unbeachtlich: „Auch eine von einer juristischen Person des Privatrechts betriebene Einrichtung kann eine gemeindliche Einrichtung sein. Um eine solche Einrichtung handelt es sich jedenfalls dann, wenn sie tatsächlich zu den von der Gemeinde verfolgten öffentlichen Zwecken zur Verfügung steht und wenn die Gemeinde die öffentliche Zweckbindung der Einrichtung nötigenfalls gegenüber der privatrechtlichen Betriebsgesellschaft durchzusetzen imstande ist. In diesen Fällen wandelt sich der Benutzungsanspruch in einen Verschaffungs- beziehungsweise. Einwirkungsanspruch.“ (VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 14.06.2024 – 15 L 888/24). Demnach würde die Stadt Essen dazu verpflichtet werden, auf die von ihr beherrschte GmbH dergestalt einzuwirken, dass diese der AfD die Stadthalle zur Verfügung stellt (sog. Einwirkungsanspruch).

Der Anspruch nach § 8 II, IV Gemeindeordnung NRW scheitert aber daran, dass der AfD-Bundesverband, welcher Einlass in die Stadthalle begehrt, seinen Sitz in Berlin, und nicht im Gemeindegebiet der Stadt Essen hat.

2. Gleichbehandlungsanspruch der Parteien

Doch auch außerhalb des Anwendungsbereichs von § 8 Gemeindeordnung NRW kann die Gemeinde dazu verpflichtet sein, einer Partei die Stadthalle zur Verfügung zu stellen: Eine solche Pflicht kann sich aus dem Gleichbehandlungsanspruch der Parteien gemäß § 5 I 1 PartG i.V.m. Art. 3 I, III 1, Art. 21 GG ergeben. Die in Rede stehende GmbH hat die Stadthalle in der Vergangenheit regelmäßig an politische Parteien im Sinne von § 2 I PartG vermietet. § 5 I 1 PartG verpflichtet Träger öffentlicher Gewalt dazu, alle Parteien bei der Zurverfügungstellung von Einrichtungen und andere öffentlichen Leistungen gleich zu behandeln. Und auch aus Art. 3 I, III 1, Art. 21 GG ergibt sich für alle politischen Parteien ein Gleichbehandlungsanspruch. Das Recht auf Chancengleichheit einer Partei ist verletzt, „wenn ein Träger öffentlicher Gewalt die Nutzung einer öffentlichen Einrichtung einer Partei verweigert, obwohl er sie anderen Parteien einräumt oder eingeräumt hat“ (VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 14.06.2024 – 15 L 888/24). Demnach wird die Entscheidungsfreiheit einer Gemeinde, ob und wem sie Zugang zu ihren öffentlichen Einrichtungen gewährt, begrenzt.

Abweichungen von der bisherigen Vergabepraxis bedürfen zu ihrer Rechtfertigung eines sachlichen Grundes. Hier wurde in der Vergangenheit die Stadthalle an politische Parteien vermietet, ohne dass diese zuvor eine strafbewehrte Selbstverpflichtungserklärung abgeben mussten. Dem Grunde nach hat somit auch die AfD einen Anspruch dahingehend, dass ihr die Stadthalle bedingungslos vermietet wird.

3. Keine Rechtfertigung für Ungleichbehandlung der AfD
a) Strafbare Äußerungen

Die Stadt Essen begründet ihr Entscheidung damit, dass zu erwarten sei, die AfD könnte die Stadthalle für strafbare Handlungen, insbesondere verbotene SA-Parolen, missbrauchen. An eine derartige Gefahrenprognose seien aber hohe Anforderungen zu stellen, so das VG Gelsenkirchen. Eine Versagung des Zugangs zu einer öffentlichen Einrichtung greift in den Anspruch aus Art. 3 I, III 1, Art. 21 GG ein, sodass eine solche nur dann in Betracht kommt, wenn eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine Rechtsverletzung bestehe.

Die hier von der Stadt Essen vorgelegte Prognose genügt dieser Anforderung nicht.  Zwar legt sie mündliche und schriftliche Äußerungen einzelner AfD-Mitglieder vor, welche sich in der Vergangenheit strafbar geäußert haben. Das alleine genüge aber nicht als Anhaltspunkt dafür, dass sich auf dem AfD-Bundesparteitag in der Stadthalle erneut entsprechend geäußert werden würde. Insbesondere habe die Stadt Essen vorab keine Kenntnis von dem Inhalt der für den Parteitag geplanten Reden und könne dahingehend nur Mutmaßungen anstellen.

b) Gegendemonstrationen

Auch die Befürchtung der Stadt, dass es wegen dem Parteitag zu (möglicherweise sogar gewalttätigen) Gegendemonstrationen kommen wird, rechtfertige nicht die Versagung der Zulassung zu einer öffentlichen Einrichtung. Es sei Aufgabe der Polizei- und Ordnungsbehörden, Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren und eingetretene Störungen zu beseitigen, so das VG Gelsenkirchen.

4. Ergebnis

Die AfD hat aus § 5 I 1 PartG i.V.m. Art. 3 I, III 1, Art. 21 GG einen Anspruch gegen die Stadt Essen dahingehend, dass die Stadt auf die von ihr beherrschte GmbH so einwirkt, dass diese der AfD die Stadthalle für ihren Bundesparteitag zur Verfügung stellt, ohne dass diese eine strafbewehrte Selbstverpflichtungserklärung abgeben muss.

III. Einordnung der Entscheidung

Die Entscheidung kam wenig überraschend. Selbst die von der Stadt Essen und der GmbH mit der Sache anvertrauten Rechtsanwaltskanzleien prognostizierten eine gerichtliche Niederlage. Zudem wehrte sich die Stadt Essen im Nachgang nicht gegen den Beschluss des VG Gelsenkirchen und legte keine Beschwerde vor dem Oberverwaltungsgericht NRW ein. Die Stadt Essen und mit ihr viele Menschen hätten sich wohl ein anderes Ergebnis gewünscht. Doch mit dem Beschluss des VG wurde einmal mehr die Gleichbehandlung aller Parteien gestärkt, welche nicht von dem Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig im Sinne von Art. 21 II GG eingestuft worden sind.

04.11.2024/1 Kommentar/von Micha Mackenbrock
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Micha Mackenbrock https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Micha Mackenbrock2024-11-04 09:34:032024-11-14 09:31:49Stadt Essen muss der AfD ihre Stadthalle zur Verfügung stellen
Simon Mantsch

Zehn goldene Regeln für die Anfertigung einer juristischen Seminararbeit

Aktuelles, Fallbearbeitung und Methodik, Lerntipps, Schwerpunktbereich, Startseite, Verschiedenes

An der Anfertigung einer juristischen Seminararbeit kommen Studierende der Rechtswissenschaft nicht vorbei. Der Respekt vieler vor dieser Leistung ist kaum überhörbar, was vornehmlich an der Eigenart der Seminararbeit im Vergleich zu den sonst zu erbringenden Leistungen während des Studiums liegen dürfte. Verlangt wird eben nicht die über Jahre hinweg erprobte gutachterliche Auseinandersetzung mit einer Fallfrage, sondern – so zumindest im Regelfall – die Aufarbeitung einer abstrakten Rechtsfrage. Doch ist dies kein Grund zur Sorge, denn bereits mit der Einhaltung wissenschaftlicher Arbeitstechnik, die auch für viele künftige Berufsbilder studierter Juristinnen und Juristen schlicht unersetzlich ist, lässt sich viel erreichen. Und auch die zumindest oftmals überdurchschnittlichen Noten dürften den anfänglichen Respekt etwas abmildern. Dem Ziel, selbst auch eine überdurchschnittliche Seminarleistung zu erbringen, sollen die nachstehenden „zehn goldenen Regeln für die Anfertigung einer juristischen Seminararbeit“ dienen.

1. Gewinnen eines ersten Überblicks über die Thematik

Das vom Aufgabensteller ausgegebene Thema der Seminararbeit erschöpft sich überwiegend in der Nennung einer bloßen Überschrift. Weitergehende Hinweise gibt es regelmäßig nicht. Dies mag anfangs überfordernd wirken, eröffnet jedoch wissenschaftlichen Betätigungsspielraum für eigene Schwerpunktsetzung. Allzu große Sorge bei fehlenden Vorkenntnissen zum konkreten Thema sollten Studierende derweil nicht haben: Es entspricht dem Wesen einer Seminarleistung, sich über einen längeren Zeitraum mit einer unbekannten Sachfrage beschäftigen zu müssen. Gerade deshalb empfiehlt sich vor dem Einstieg in die vertiefte Recherche die Gewinnung eines ersten groben Überblicks über die Thematik. Wie man einen solchen gewinnt, hängt maßgeblich von der konkreten Aufgabenstellung ab. Bei einer Entscheidungsbesprechung empfiehlt sich – wie sollte es auch anders sein – zunächst ein Blick in die in Rede stehende Entscheidung. Sollte als Thema demgegenüber eine Frage aufgeworfen sein, die einen Streitstand zu einer genau genannten Rechtsnorm betrifft, ist der Blick in eine Kommentierung zu eben jener Rechtsnorm der richtige Schritt.

Beide Varianten entsprechen jedoch nicht dem Regelfall eines Seminarthemas. Ganz überwiegend wird das Thema nur abstrakt umrissen sein und weder einen Bezug zu einem einzelnen Urteil oder einer einzelnen Norm erkennen lassen. Gerade derartige Themen können eine gewisse Orientierungslosigkeit auslösen, weil nicht klar scheint, was vom Aufgabensteller gewollt ist. In diesem Fall kann selbst eine anfänglich Google-Suche erste Ängste beseitigen. Dies zwar nicht mit der Zielsetzung, hochqualitativer und zitierfähiger Literatur zu finden, wohl aber dazu, um das Thema besser einordnen zu können. Selbsterklärend gilt dies in besonderem Maße für Themen mit Aktualitätsbezug. Hat man zumindest grob verstanden, worum es geht, empfiehlt sich für die anfängliche juristische Aufarbeitung der Sprung in die juristischen Datenbanken wie beckonline und juris. Besonders aktuelle Zeitschriftenaufsätze mit Bezug zum Seminarthema können hilfreich sein, sich dem Thema schrittweise zu nähern, zeigen sie doch oft, „wo der Schuh drückt“. Schließlich liegt auch ihnen die Erörterung einer abstrakten Rechtsfrage zugrunde. Gegenüber Kommentarliteratur haben sie somit den Vorteil, sich nicht punktuell mit einer Einzelnorm, sondern vielmehr normübergreifend mit einer Rechtsfrage auseinanderzusetzen.

2. Umfassende Literatur- und Rechtsprechungsrecherche

Ist der erste Überblick gewonnen, steht die umfassende Literatur- und Rechtsprechungsrecherche an. Bei Korrekturen fällt dabei allzu oft auf, dass sich Studierende ausschließlich mit Standardliteratur auseinandergesetzt haben. Das ist ärgerlich und vor allem auch vermeidbar, da es selbigen durch umfassende beckonline- und juris-Zugänge nebst den sehr umfassenden örtlichen Bibliotheksbeständen ohne Weiteres offen stünde, den Blick auch auf andere Literaturwerke zu weiten. Studierende tun daher gut daran, dem Aufgabensteller nicht schon bei Sichtung des Literaturverzeichnisses den Eindruck zu vermitteln, dass ausschließlich mit beckonline gearbeitet worden ist. Leider fällt aber dennoch immer wieder auf, dass juris (zu) oft vermieden wird. Zu Unrecht, da beckonline und juris Zugang zu unterschiedlichen Zeitschriften, anderen Kommentaren und anderen Gerichtsentscheidungen ermöglichen – man ist also gut beraten, von diesen Zugangsmöglichkeiten Gebrauch zu machen. Eine umfassende Auswertung der Literatur macht es dabei zugleich erforderlich, nicht allein online abrufbare Literaturquellen und Rechtsprechung auszuwerten. Insbesondere der Zugang zu wissenschaftlich wertvollen Monografien wie Promotions- und Habilitationsschriften oder eben auch zu vielen Festschriftbeiträgen erfordert oft noch den Gang in die örtlichen Universitäts- oder die jeweiligen Institutsbibliotheken.

Ein den Studierenden im Kontext der Literatur- und Rechtsprechungsrecherche oftmals unterlaufender Fehler besteht darin, dass Literaturfundstellen und Gerichtsentscheidungen aus dem jeweiligen Zeitkontext gerissen werden. So sind Literaturfundstellen und Rechtsprechung aus dem Jahr 2000 zur Auslegung eines Tatbestandsmerkmals des erst 2023 in kraft getretenen Hinweisgeberschutzgesetzes (HinSchG) nur bedingt und oftmals auch gar nicht aussagekräftig. Ist man hier anderer Meinung und hält die zur alten Rechtslage getroffenen Aussagen auch unter Zugrundelegung der neuen Rechtslage für bestandskräftig, so bedarf dies zwangsläufig einer Begründung. Und auch ohne Änderung der Rechtslage sollte bei der Heranziehung älterer Gerichtsentscheidungen als Nachweis für eine fortbestehende Rechtsprechungslinie sichergestellt sein, dass zwischenzeitlich keine Rechtsprechungsänderung stattgefunden hat. Ein Nachzeichnen der Rechtsprechungsentwicklung ist daher unumgänglich.

3. Erstellen einer Gliederung mit passenden Überschriften

Nachdem durch die Literatur- und Rechtsprechungsrecherche erkannt wurde, wo die Probleme liegen, auf die es in der Seminararbeit einzugehen gilt, empfiehlt sich die Erstellung einer Gliederung. Gedanklich wird sich jede Seminararbeit in einen Einleitungsteil, einen Hauptteil und einen Schlussteil gliedern lassen. Dennoch sollte von wenig aussagekräftigen Überschriften wie „Einleitung“, „Hauptteil“ und „Schluss“, die den Charakter eines Schulaufsatzes nicht wirklich von sich weisen können, abgesehen werde. Der Leser soll bereits durch aussagekräftige Überschriften durch die Arbeit geführt werden. Die Erkenntnis, dass nach einleitenden Worten und der Hinleitung zum Thema nun der „Hauptteil“ beginnt, ist wenig ergiebig. Aus demselben Grund ist auch von „Unterüberschriften“ ohne nennenswerten Aussagegehalt abzusehen. Sinnvoller sind „inhaltliche“ Überschriften, die dem Leser offenbaren, welcher Frage sich der nachfolgende (Unter-)Abschnitt widmet. Die Anlehnung der Seminararbeit an den Aufbau eines wissenschaftlichen Aufsatzes kann hilfreich sein. Auch ein solcher führt den Leser in einem einleitenden Abschnitt zum Thema hin, geht sodann auf die umstrittenen Problemfelder und die hierzu vertretenen Ansichten ein und kommt in einer Schlussredaktion zu einem Ergebnis. Die bei Studierenden allseits beliebten Überschriften „Einleitung“, „Hauptteil“, „Schluss“, „Herrschende Literaturansicht“ und „Ansicht der Rechtsprechung“ sucht man in wissenschaftlichen Aufsätzen jedoch vergeblich. Man sollte es ihnen in der Seminararbeit gleichtun.

Durch Überschriften in verschiedenen Gliederungsebenen und einfache Absätze muss die Arbeit auch optisch unterteilt werden. Beginnt ein neuer gedanklicher Abschnitt, sollte in der richtigen Gliederungsebene eine Zwischenüberschrift gesetzt werden. Beginnt nur ein neues Argument, genügt ein einfacher Absatz. Eine Faustformel, wie viele Gliederungsebenen und wie viele Absätze erforderlich sind, gibt es nicht. Es sollte jedoch davon abgesehen werden, den Text durch zu viele Überschriften und Absätze nach jedem Satz künstlich zu zerreißen. Ebenso verfehlt ist es aber, seine Ausführungen seitenlang ohne optische Unterteilung herunterzuschreiben. In beiden Fällen kann der Leser nur schwer folgen.

4. Fokussierung auf das Thema

Eine qualitativ gute Arbeit qualifiziert sich ferner dadurch, dass sie durchgehend einen engen Themenbezug aufweist und sich nicht in allgemeinen Ausführungen verliert. Wer sich etwa in seiner Seminararbeit der „Vereinbarung nachvertraglicher Wettbewerbsverbote in AGB“ zuzuwenden hat, muss nicht ausufernd erklären, was eine AGB ist und welche Kontrollmechanismen das BGB für diese vorsieht. Studierende sollten bei ihrer Seminararbeit immer die Adressatenorientierung im Hinterkopf behalten: Die Seminararbeit richtet sich an ein Fachpublikum. Allgemeine Ausführungen, die im Sinne eines „Allgemeinen Teils“ vorangestellt werden und im „luftleeren Raum“ schweben, sind vollkommen obsolet. Soweit aber zum Verständnis oder zur Lösung eines Problems der Rekurs auf allgemeine Grundätze (im obigen Beispiel also zum AGB-Recht) notwendig ist, können entsprechende Ausführung natürlich gemacht werden. Auch dann sind sie aber nicht im Sinne eines „Allgemeinen Teil“ voranzustellen, sondern vielmehr an gegebener Stelle in die Argumentation einzuarbeiten.

5. Richtige Schwerpunktsetzung und übergreifendes Konzept als Zielsetzung

Die Zielsetzung der Seminararbeit muss in der Entwicklung eines problemübergreifenden Gesamtkonzepts liegen (Stichwort: „roter Faden“). Auch wenn sich jedes Seminarthema in verschiedene Einzelprobleme zerlegen lässt, genügt es nicht, die Einzelprobleme ohne Weiteres aneinanderzureihen. Vielmehr gilt es, der Seminararbeit durch eine eigenständige Strukturierung der Einzelprobleme einen übergreifenden Ansatz zu verleihen, der sich dadurch auszeichnet, dass er in sich schlüssig ist und das gesamte Themenfeld abdeckt. Der Schwerpunkt sollte dabei auf denjenigen Fragestellungen liegen, die noch nicht ausdiskutiert sind und wissenschaftlichen Forschungsbedarf offenbaren. Hinweise, wo sich derartige Fragestellungen auffinden lassen, können sich oftmals aus aktuellen Gesetzgebungsvorhaben oder wissenschaftlichen Diskussionen im Anschluss an ein höchstrichterliches Urteil ergeben. Auch deshalb empfiehlt sich oftmals der eingangs geschilderte Themeneinstieg mit etwas stumpf anmutenden Google Suchanfragen, die auf entsprechende Tagespresse aufmerksam macht, oder der Einstieg mit aktuellen wissenschaftlichen Zeitschriftenbeiträgen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Studierende dabei auf den „richtigen Pfad“ der aktuellen Problemfelder stoßen ist weitaus höher als bei der Lektüre alter Rechtsprechung. Letzterer soll damit aber keinesfalls die Bedeutung abgesprochen werden – zur Lösungsfindung auch der aktuellen Probleme kommt ihr fast immer eine beachtliche Bedeutung zu.

6. Die „wissenschaftliche Leistung“: Aufbau von Argumentationssträngen und Herausbildung einer eigenen Meinung

Dass die Studierenden im Rahmen der Bearbeitung von Problemstellungen mit verschiedenen Ansichten zu verschiedenen Streitständen konfrontiert werden, dürfte ihnen nicht neu, sondern auch aus bisher bekannten gutachterlichen Ausführungen im Rahmen von Klausuren und Fallhausarbeiten bekannt sein. Dennoch sollte die selbständig vorzunehmende, vertiefte Auseinandersetzung mit einer abstrakten Rechtsfrage, die vielen in dieser Form dann eben doch neu sein dürfte, zum Anlass genommen werden, überzeugende Argumentationsstränge aufzubauen. Gewiss unzureichend ist es, fremdes Wissen aneinandergereiht und wenig reflektiert wiederzugeben. Es geht keinesfalls darum, den Inhalt einzelner Gerichtsentscheidungen oder Zeitschriftenbeiträge zusammenzufassen, um anschließend zu resümieren, was davon nun überzeugend oder auch weniger überzeugend ist. Geschuldet wird eine wissenschaftliche Leistung und kein nur referierender Beitrag. Aufzählungen dergestalt, dass erst die „eine Meinung“, dann die „andere Meinung“ und zuletzt die „herrschende Meinung“ wiedergegeben wird, sollten daher unbedingt vermieden werden. Eine solche, dann doch recht stumpf anmutende Aufzählung, erweist als schlicht unwissenschaftlich. Studierende sollten mit juristischen Auslegungsmethoden arbeiten und davon ausgehend Meinungsblöcke bilden, die sich ggf. wiederum in Unteransichten unterteilen. Etwaige Unterschiede zwischen der (höchstrichterlichen) Rechtsprechung und der Literatur sollten ebenso herausgearbeitet werden, wie die Gründe, die zu der jeweiligen Ansicht führen. Auch hierbei sollten Entscheidungen und Literaturquellen in ihrem jeweiligen Zeitkontext betrachtet werden, um Überlegungen dergestalt anstellen zu können, welche Bestandskraft die vorgetragenen Argumente auch unter Geltung einer nunmehr veränderten Rechtslage etc. haben können. Auf diesen Überlegungen aufbauend muss eine Gewichtung der vorgetragenen Argumente zum Ausdruck kommen, die schließlich in der Herausbildung einer eigenen Meinung mündet. Gerade hier bekommen die Studierenden die Möglichkeit, Systemverständnis und Judiz zu beweisen. Gefordert wird insoweit schließlich eine juristisch fundierte Stellungnahme, die auch begründet wird – entweder durch Bildung eigener, bisher nicht vorgetragener Argumente, zumindest aber durch Fortführung der in Literatur und Rechtsprechung bereits geäußerten Argumente. Gern gesehen und für den Diskurs wertvoll sind zudem auch Vergleiche mit ähnlich gelagerten Problemen und den hierzu vertretenen Ansichten. Womöglich lassen ich hieraus Schlussfolgerungen ziehen, um einem Wertungswiderspruch zu entgehen.

7. Umfassendes Literaturverzeichnis

Die Visitenkarte einer gelungenen Seminararbeit ist auch ein umfassendes Literaturverzeichnis, mit dem direkt zu Beginn gezeigt wird, welch ausführliche Literaturrecherche betrieben oder auch nicht betrieben worden ist. Aufgelistet gehören alle genutzten Literaturquellen, alphabetisch sortiert nach Familiennamen des Autors bzw. der Autoren. Eine Unterteilung nach Werktypen ist nicht zwangsläufig angezeigt und wohl auch eher unüblich. Soweit nicht aufgrund einer bestimmten Formulierung oder eine nur in einer Altauflage vertretene Meinung rekurriert wird, sollte ausschließlich die jeweils aktuelle Auflage zitiert werden.

Zu beachten sind stets werktypische Besonderheiten. So sind bei Kommentaren die Namen der Herausgeber und Begründer, der Titel des Gesamtwerks, ggf. der verwendete Band und die Auflage mit Jahr und Verlagsort zu nennen. Hinzu kommt ein Klammerzusatz, mit dem die Zitierweise jenes Kommentars in den Fußnoten zum Ausdruck gebracht wird (z.B. Richardi, Reinhard (Hrsg.), Betriebsverfassungsgesetz mit Wahlordnung, 17. Aufl., München 2022 (zit.: Richardi/Bearbeiter, 17. Aufl.). Beiträge aus Festschriften werden angegeben unter Nennung des Namens des Autors, des Beitrags sowie den zur Festschrift gehörenden Angaben (z.B.: Henssler, Martin, Neue Herausforderungen für den europäischen und nationalen Arbeitnehmerbegriff, in: Brose, Greiner, Rolfs, Sagan, Schneider, Stoffels, Temmming, Ulber (Hrsg.), Grundlagen des Arbeits- und Sozialrechts, Festschrift für Ulrich Preis zum 65. Geburtstag, 1463-1475). Bei Aufsätzen sind demgegenüber neben dem vollständigen Namen aller Autoren, der vollständige Titel, die Zeitschrift und der gesamte Seitenrahmen, d.h. Anfangs- bis Endseite, zu nennen (z.B. Thüsing, Gregor / Mantsch, Simon, Teilzeitbeschäftigung und Überstundenzuschlag: Diskriminierung durch Gleichbehandlung, BB 2023, 2676-2679).

Selbstredend kein Teil des Literaturverzeichnisses sind Rechtssprechungsfundstellen, auch wenn sie in Fachzeitschriften abgedruckt werden. Zudem gehören auch Bundestags- und Bundesratsdrucksachen o.Ä. nicht in das Literaturverzeichnis.

8. Aussagekräftiger Fußnotenapparat

Ausfluss einer ausgiebigen Literatur- und Rechtsprechungsrecherche muss ein entsprechender Fußnotenapparat sein. Es muss gewährleistet sein, dass jede rechtliche Aussage und jedes wörtliche Zitat durch eine Fußnote belegt wurde. Ein einzelner Nachweis in einer Fußnote genügt regelmäßig nicht – vor allem dann nicht, wenn auf eine „herrschende Meinung“ oder eine „ständige Rechtsprechung“ verwiesen wird. Die Fußnote muss zu dem passen, was belegt werden soll. Der Verweis auf eine „ständige Rechtsprechung“ erfordert Rechtsprechungsfundstellen und keine Kommentarfundstellen. Aus demselben Grund muss die „herrschende Literaturansicht“ durch wissenschaftliche Beiträge in Kommentaren, Monografien oder wissenschaftliche Aufsätze, aber eben nicht durch Gerichtsentscheidungen belegt werden. Besonders wert gelegt wird auf ein einheitliches Erscheinungsbild. Fußnoten beginnen mit einem Großbuchstaben und Enden mit einem Punkt. Beziehen sie sich auf einen (Teil-)Satz, stehen sie nach dem Satzzeichen. Beziehen sie sich auf einzelne Wörter, so stehen sie direkt hinter dem jeweiligen Wort. Bei mehreren Fundstellen innerhalb einer Fußnote gilt folgende Reihenfolge: Zu Beginn stehen Gerichtsentscheidung (beginnend mit der höchsten und endend mit der niedrigsten Instanz), ehe Monografien und sodann Kommentare und Festschriftenbeiträge sowie zuletzt Aufsätze und Urteilsanmerkungen zitiert werden. Dabei ist nur der Beginn mit Gerichtsentscheidungen verbindlich, die Reihenfolge der Zitierung von Literaturwerken wird mitunter unterschiedlich vorgenommen. Wichtig ist daher vor allem, dass Studierende ihre Linie beibehalten und nicht in jeder Fußnote anders verfahren.

Rechtsprechungsfundstellen sind in der Fußnote vollständig und nicht in der in vielen Kommentierungen gebräuchlichen „Kurzschreibweise“ anzuführen (d.h. Gericht, Art der Entscheidung, Datum, Aktenzeichen, Literaturfundstelle und – soweit vorhanden –Randnummer; z.B. BAG, Urt. v. 1.12.2020 – 9 AZR 102/20, NZA 2021, 552 Rn. 31). Für Literatur sind in den Fußnoten die geläufigen Abkürzungen zu verwenden (für Kommentare z.B. Richardi BetrVG/Richardi/Maschmann, 17. Aufl. 2022, § 87 Rn. 75, für Monographien z.B. Chandna-Hoppe, Die Weiterbeschäftigung nach Erreichen des Rentenalters, 2019, S. 60 ff; für Festschriftenbeiträge z.B. Henssler, FS Preis, 1463, 1472 und für Aufsätze z.B. Thüsing/Mantsch, BB 2023, 2676, 2678).

9. Vermeidung formeller und handwerklicher Fehler

Neben dem Literaturverzeichnis und dem Fußnotenapparat entscheidet vor allem die formale Sauberkeit und etwaige handwerkliche Fehler über den ersten Eindruck. Wer einen guten ersten Eindruck machen will, der muss präzise arbeiten. Dazu gehört es insbesondere, dass vor Abgabe die Einhaltung der vom Aufgabensteller verlangten formalen Vorgaben überprüft worden ist.
Gängige Fehler wie Überschriften am Seitenende, am Zeilenende alleinstehende Paragraphenzeichen, fehlende (geschützte) Leerzeichen (Strg.-Shift-Leerzeichen) nach Paragraphenzeichen, fehlende Unterscheidung zwischen schmalen Bundestrichen (-) und breiteren Gedankenstrichen (–) sowie sonstige Uneinheitlichkeiten/Ungereimtheiten bei Abkürzungen und in den Fußnoten sollten unbedingt vermieden werden.

Auch im Rahmen der eigenen Stellungnahmen sollten sich Studierende nicht verleiten lassen, den „Pfad“ der juristischen Fachsprache zu verlassen und auf Umgangssprache auszuweichen. Ebenso wenig haben subjektive Empfindungen der Kategorien „gut“ oder „schlecht“, „gerecht“ oder „ungerecht“ etwas in der Seminararbeit verloren. In Rede steht ausschließlich die juristische Aufarbeitung eines Themas. Auch eigene Stellungnahmen haben sich daher an den juristischen Auslegungsmethoden und nicht an Empfindungen zu orientieren.

Ob im Rahmen der eigenen Stellungnahme auf die „Ich-Form“ ausgewichen werden soll oder auch die eigene Stellungnahme als neutrale Aussage zu formulieren ist, ist letztlich eine Stilfrage. Viele Aufgabensteller mögen es nicht, andere hingegen schon. Hier empfiehlt sich ein Blick in die eigenen Publikationen des Aufgabenstellers: Nutzt er selbst die „Ich-Form“, wird er es Studierenden im Rahmen ihrer Seminararbeiten wohl kaum negativ anlasten.

10. Inanspruchnahme fremder Hilfe: Korrekturlesen lassen

Die (eigene) Erfahrung lehrt, dass auch das wiederholte Korrekturlesen nicht jeden sprachlichen und grammatikalischen Fehler beheben kann. Es ist daher dringend anzuraten, für die letzte Schlussredaktion fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen und die Arbeit von einer anderen Person Korrekturlesen zu lassen.

28.10.2024/1 Kommentar/von Simon Mantsch
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Simon Mantsch https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Simon Mantsch2024-10-28 08:56:462024-11-14 09:32:05Zehn goldene Regeln für die Anfertigung einer juristischen Seminararbeit
Gastautor

Der Vermittlungsausschuss

Aktuelles, Examensvorbereitung, Lerntipps, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Schwerpunktbereich, Startseite, Uncategorized, Verfassungsrecht, Verschiedenes

Wir freuen uns, nachfolgend einen Gastbeitrag von Sören Hemmer veröffentlichen zu können. Der Autor hat Rechtswissenschaften an der Universität Bonn studiert und strebt nun das Referendariat an.

A. Einleitung

Gleich an mehreren Stellen konnte das kürzlich in Kraft getretene Cannabisgesetz (CanG, BGBl. 2024 Teil I Nr. 109) Anlass geben, sich mit Fragen des Staatsorganisationsrechts zu befassen. Das gilt zum einen für den „Klassiker“ des Prüfungsrechts des/der BundespräsidentIn (s. dazu schon Augel, Das Prüfungsrecht des Bundespräsidenten – und der Bundesratspräsidentin?), aber auch für den – in diesem Verfahren schließlich nicht einberufenen (BR-Plenarprotokoll 1042, S. 60 ff.) – Vermittlungsausschuss. ExamenskandidatInnen und Studierenden des Staatsorganisationsrechts sollte auch dieser Akteur, respektive Abschnitt des Gesetzgebungsverfahrens grundlegend bekannt sein (dazu u. B). Ferner stellen sich manche verfassungsrechtlichen Fragen, zu denen sich vertiefte Kenntnisse in der Klausur oder mündlichen Prüfung lohnen können (dazu u. C –E).

B. Der Vermittlungsausschuss im Überblick

Seine verfassungsrechtliche Grundlage findet der Vermittlungsausschuss in Art. 77 Abs. 2-3 GG, ohne dass sich diese Bezeichnung bereits aus der Verfassung ergibt (Kersten, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 77 (Stand: Jan. 2021) Rn. 31). Seinen Namen erhält der Vermittlungsausschuss vielmehr durch die GOVA, einer eigenen Geschäftsordnung, die vom Bundestag beschlossen wird und der Zustimmung des Bundesrats bedarf (Art. 77 Abs. 2 S. 2 GG).

In den Worten des Bundesverfassungsgerichts ist das Ziel seiner Arbeit

„ein konkretes Gesetzgebungsverfahren zu einem positiven Abschluss zu bringen […]. Dies soll dadurch erreicht werden, dass auf höherer politischer Ebene und unter übergeordneten Gesichtspunkten ein Interessenausgleich gesucht wird (vgl. Dehm, Stellung, Aufgaben und Bedeutung des Vermittlungsausschusses, Bulletin vom 12. Februar 1958, Nr. 29, S. 251 [252]). Der Vermittlungsausschuss ist insoweit die institutionelle Konsequenz der Grundentscheidung des Verfassungsgebers, an der Gesetzgebung im Bund mit dem Bundestag und dem Bundesrat zwei Entscheidungsträger konstitutiv zu beteiligen. Er öffnet das Gesetzgebungsverfahren in einer bestimmten Konstellation für institutionelle Verhandlungslösungen“

BVerfGE 112, 118 (137)

Ist das Zustandekommen eines Gesetzes nicht von der Zustimmung des Bundesrates abhängig, so kann der Bundesrat die Einberufung des Vermittlungsausschusses gemäß Art. 77 Abs. 2 S. 1 GG binnen 3 Wochen verlangen. Die Entscheidung hierzu steht im politischen Ermessen des Bundesrates, ist allerdings gemäß Art. 77 Abs. 3 S. 1 GG Voraussetzung für das Einlegen eines Einspruchs (Kersten, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 77 (Stand: Jan. 2021) Rn. 46; Dietlein, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, § 57 Rn. 19). Bedarf ein Gesetz hingegen der Zustimmung des Bundesrates, können auch der Bundestag und die Bundesregierung die Einberufung verlangen (Art. 77 Abs. 2 S. 4 GG). Die Dreiwochenfrist gilt – dem Wortlaut von Art. 77 Abs. 2 S. 1 GG nach – auch in diesem Fall für den Bundesrat (Mann, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 77 Rn. 10; Kment, in: Jarass/Pieroth, GG, 17. Aufl. 2022, Art. 77 Rn. 11; aA Wolff, in: Hömig/Wolff, GG, 13. Aufl. 2022, Art. 77 Rn. 9), kann aber nicht auf das Einberufungsverlangen des Bundestages und der Bundesregierung übertragen werden. Für sie kann nur die Pflicht zur Entscheidung in „angemessener Frist“ aus dem Prinzip der Organtreue hergeleitet werden (Mann, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 77 Rn. 12; Kment, in: Jarass/Pieroth, GG, 17. Aufl. 2022, Art. 77 Rn. 12; aA Stern, Staatsrecht Bd. II, 1980, § 37 III 7 b)). Das Recht, die Einberufung zu verlangen, steht jedem Verfassungsorgan nur ein Mal, dafür aber jeweils selbstständig zu. Maximal kann es also zu drei aufeinanderfolgenden Vermittlungsverfahren kommen (Mann, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 77 Rn. 13; Kersten, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 77 (Stand: Jan. 2021) Rn. 67; aA Willigmann, DÖV 1961, 370 (373 f.).

I. Inhalt des Einberufungsverlangens

Ein Einberufungsverlangen kann offen, das heißt ohne inhaltliche Spezifizierung gestellt werden. Es besteht auch keine Begründungspflicht. (Kersten, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 77 (Stand: Jan. 2021) Rn. 48, 50, 55, 57, 62, 64; Masing/Risse, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 77 Rn. 80; aA Dietlein, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, § 57 Rn. 27, der die offene Anrufung nur bei Bundestag und Bundesregierung für zulässig erachtet). Möglich ist aber auch eine Beschränkung auf Teile des Gesetzesbeschlusses, sodass dem Vermittlungsausschuss in seiner Tätigkeit auch nur diese eröffnet sind (Masing/Risse, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 77 Rn. 80; Kersten, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 77 (Stand: Jan. 2021) Rn. 48) oder die Formulierung eines bestimmten Vermittlungsziels. So kann der Bundesrat einen Antrag auf Änderung, Ergänzung oder Aufhebung des Gesetzesbeschlusses stellen (Kersten, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 77 (Stand: Jan. 2021) Rn. 48; Masing/Risse, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 77 Rn. 80 f.). Das Recht des Bundestages, die Einberufung zu verlangen, dient hingegen von vornherein nur der Verteidigung des eigenen Beschlusses. Mit einem Antrag auf Aufhebung würde er sich mit sich selbst in einen Widerspruch setzen. Ein Antrag kann daher nur auf die Verteidigung des Gesetzesbeschlusses, allenfalls mit gewissen Zugeständnissen der Modifikation, gerichtet sein (Kersten, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 77 (Stand: Jan. 2021) Rn. 55; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Hofmann/Henneke, GG, 15. Aufl. 2022, Art. 77 Rn. 34). Gleiches muss – mit eigener Begründung – auch für das Recht der Bundesregierung gelten. Zwar entspricht der Gesetzesbeschluss des Bundestages nicht unbedingt auch dem politischen Willen der Bundesregierung. Der Sinn des Vermittlungsverfahrens liegt jedoch in einer Lösung föderaler Konflikte zwischen dem Bundestag und dem Bundesrat, nicht in der Disziplinierung des Bundestages durch die Bundesregierung. Letztere muss somit automatisch „im Lager des Bundestages“ stehen, wenn sie die Einberufung des Vermittlungsausschusses verlangt (Kokott, in: Bonner Kommentar zum GG, Art. 77 (Stand: Mai 2014) Rn. 154; Kersten, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 77 (Stand: Jan. 2021) Rn. 60; Masing/Risse, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 77 Rn. 81; aA Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Hofmann/Henneke, GG, 15. Aufl. 2022, Art. 77 Rn. 34).

II. Nichtöffentlichkeit und Weisungsabhängigkeit

Mit der Einberufung tagen die je 16 vom Bundestag und Bundesrat entsendeten ständigen Mitglieder des Vermittlungsausschusses (vgl. §§ 1, 4 GOVA). Die Teilnahme anderer ist nur nach den §§ 3 S. 3, 5 f. GOVA möglich. Daraus folgt, dass der Vermittlungsausschuss nicht-öffentlich tagt (Masing/Risse, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 77 Rn. 92). Das ist zwar verfassungsrechtlich nicht völlig unproblematisch, denn Öffentlichkeit ist ein wesentliches Element des demokratischen Parlamentarismus (s. Art. 42 Abs. 1 S. 1; BVerfGE 150, 345 (369)), mit Blick auf den Zweck der effizienten Kompromissfindung im vertraulichen Kreis des in Art. 77 Abs. 2 S. 1 GG ausdrücklich vorgesehenen Vermittlungsausschusses prinzipiell aber nicht zu beanstanden (BVerfGE 120, 56 (74); 125, 104 (124); Masing/Risse, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 77 Rn. 92; Wolff, in: Hömig/Wolff, GG, 13. Aufl. 2022, Art. 77 Rn. 8; krit. Kokott, in: Bonner Kommentar zum GG, Art. 77 (Stand: Mai 2014) Rn. 136 ff.). Beschlüsse werden mit der Mehrheit der anwesenden Mitglieder gefasst (§ 8 GOVA, die Beschlussfähigkeit ergibt sich aus § 7 GOVA). Die Mitglieder des Vermittlungsausschusses sind an Weisungen, insbesondere der entsendenden Organe, nicht gebunden. Für die Bundesratsbank wird dies in Art. 77 Abs. 2 S. 3 GG bestimmt, die Weisungsfreiheit der entsendeten Bundestagsabgeordneten folgt bereits aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG (Brosius-Gersdorf, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2015, Art. 77 Rn. 37; Kokott, in: Bonner Kommentar zum GG, Art. 77 (Stand: Mai 2014) Rn. 99).

III. Abschluss des Verfahrens

Am Ende des Verfahrens im Vermittlungsausschuss kann ein Einigungsvorschlag stehen. Empfohlen werden kann die Bestätigung (§ 11 S. 1 GOVA), Änderung (Art. 77 Abs. 2 S. 5, Abs. 2a GG; § 10 Abs. 1 S. 1 GOVA) oder Aufhebung (§ 10 Abs. 1 S. 1 GOVA) des Gesetzesbeschlusses (Kersten, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 77 (Stand: Jan. 2021) Rn. 82). Gemäß § 12 GOVA kann ein Verfahren aber auch ohne Einigungsvorschlag abgeschlossen werden, wenn ein solcher keine Mehrheit findet. Ferner verliert der Vermittlungsausschuss mit dem Zusammentritt eines neuen Bundestages seine Beschlussfähigkeit (Art. 39 Abs. 1 S. 2 GG iVm § 7 Abs. 3 GOVA) – zumindest insoweit wirkt also der Diskontinuitätsgrundsatz (Brosius-Gersdorf, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2015, Art. 77 Rn. 42; Kment, in: Jarass/Pieroth, GG, 17. Aufl. 2022, Art. 77 Rn. 9; zumindest in seiner personellen Zusammensetzung nach Hasselsweiler, Der Vermittlungsausschuß, 1981, S. 72 f.; keine Geltung, sondern nur Ausstrahlwirkung des Diskontinuitätsgrundsatzes nach Axer, Kompetenz des Vermittlungsausschusses, 2010, S. 66 ff.).

IV. Fortsetzung des Gesetzgebungsverfahrens

Ist das Verfahren im Vermittlungsausschuss beendet, richtet sich der Gang des weiteren Gesetzgebungsverfahrens nach dem dortigen Ausgang. Wird die Bestätigung des Gesetzesbeschlusses vorgeschlagen oder konnte kein Einigungsergebnis gefunden werden, liegt es beim Bundesrat, binnen einer angemessenen Frist über die Zustimmung Beschluss zu fassen (Art. 77 Abs. 2a GG), respektive binnen zwei Wochen Einspruch einzulegen (Art. 77 Abs. 3 GG). Schlägt der Vermittlungsausschuss die Änderung oder Aufhebung des Gesetzesbeschlusses vor, muss der Bundestag erneut Beschluss fassen (vgl. Art. 77 Abs. 2 S. 5 GG; § 10 Abs. 1 S. 1 GOVA; Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, 7. Aufl. 2021, Art. 77 Rn. 28). Er unterliegt hier keiner festen, jedoch einer angemessenen Frist (s. § 10 Abs. 1 S. 1 „alsbald auf die Tagesordnung“; Brosius-Gersdorf, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2015, Art. 77 Rn. 39 mwN zum Grundsatz der Verfassungsorgantreue). In der Sache ist der Bundestag frei, die Änderung bzw. Aufhebung anzunehmen oder abzulehnen. Er soll aber keine Gelegenheit erhalten, Teile des gefundenen Kompromisses wieder aus diesem herauszulösen, sodass Anträge zur Sache gemäß § 10 Abs. 2 S. 3 GOVA nicht zulässig sind (Masing/Risse, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 77 Rn. 94; Dietlein, in: Epping/Hillgruber, GG, 56. Ed. 15.08.2023, Art. 77 Rn. 44; krit. Kersten, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 77 (Stand: Jan. 2021) Rn. 89; s. noch u. E. II.).

V. Rechtsnatur des Vermittlungsausschusses

Bei alldem noch nicht völlig geklärt ist, welche Rechtsnatur dem Vermittlungsausschuss zukommen soll. Einerseits handelt es sich hier nicht bloß um eine Untergliederung eines Verfassungsorgans, denn der Vermittlungsausschuss steht gerade zwischen dem Bundestag und dem Bundesrat. Andererseits ist der Vermittlungsausschuss nur begrenzt selbstständig – etwa besteht gemäß Art. 77 Abs. 2 S. 2 GG keine Geschäftsordnungsautonomie (Kokott, in: Bonner Kommentar zum GG, Art. 77 (Stand: Mai 2014) Rn. 99 mwN auch zum Streitstand; s. diesbezüglich auch Masing/Risse, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 77 Rn. 65 mwN). Das Bundesverfassungsgericht konnte dieser Frage bislang aus dem Weg gehen, indem es iRd Zulässigkeitsprüfung eines Organstreits den Vermittlungsausschuss jedenfalls als anderen Beteiligten iSv Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG anerkannte (BVerfGE 140, 115 (139)). Für die Praxis ist diese Bestimmung daher kaum bedeutsam (Dietlein, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, § 57 Rn. 9).

C. Besetzung des Vermittlungsausschusses

I. Parität zwischen den Bänken

Der Vermittlungsausschuss besteht gemäß Art. 77 Abs. 2 S. 1 GG aus Mitgliedern des Bundestages und des Bundesrates. § 1 GOVA sieht vor, dass der Bundestag und der Bundesrat je 16 Mitglieder entsenden. Bestimmt ist damit eine zwischen den entsendenden Verfassungsorganen paritätische Besetzung des Vermittlungsausschusses. Ob dies auch verfassungsrechtlich geboten ist, wird unterschiedlich beurteilt. Teilweise wird vertreten, Parität sei im Zweck des Vermittlungsausschusses angelegt, denn ein Ausgleich zwischen Bundestag und Bundesrat setze eine zahlenmäßig gleiche Stärke auf beiden Seiten voraus (Masing/Risse, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 77 Rn. 67; Dietlein, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, § 57 Rn. 3; siehe auch Kment, in: Jarass/Pieroth, GG, 17. Aufl. 2022, Art. 77 Rn. 10, der die paritätische Besetzung vom Zweck her als naheliegend, aber nicht verfassungsrechtlich geboten erachtet). Dem wird entgegengehalten, dass die Mitglieder des Vermittlungsausschusses ohnehin nicht an Weisungen des entsendenden Organs gebunden sind und die Beteiligung von Bundestag und Bundesrat im Gesetzgebungsverfahren auch ansonsten nicht „symmetrisch“, sondern erheblich zugunsten des Bundestages gewichtet ist (Kersten, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 77 (Stand: Jan. 2021) Rn. 35; ebenso Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Hofmann/Henneke, GG, 15. Aufl. 2022, Art. 77 Rn. 19). Zum einen aber konfligiert die konkrete Ungebundenheit der Mitglieder nicht mit dem Gedanken paritätischer Vertretung der Perspektiven aus dem Bundestag und aus dem Bundesrat (vgl. BVerfGE 112, 118 (138): „Im Vermittlungsausschuss verhandeln nicht die Mehrheit des Bundestages mit einer politischen Mehrheit der Länder, sondern der Bundestag mit dem Bundesrat“). Zum anderen kann nicht ohne Weiteres von der insgesamt schwächeren Stellung des Bundesrates im Gesetzgebungsverfahren auf eine Schwäche auch dort, wo eine Mitwirkung ausdrücklich vorgesehen ist, geschlossen werden (vgl. Dietlein, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, § 57 Rn. 3).

II. Besetzung der Bänke

Wie die einzelnen Bänke zu besetzen sind, wird nicht in der GOVA, sondern in der GOBT und der GOBR geregelt. Der besondere Auftrag des Art. 77 Abs. 2 S. 2 GG der Regelung der Zusammensetzung in einer vom Bundestag beschlossenen Geschäftsordnung, der der Bundesrat zugestimmt hat, ist insofern eng zu verstehen (Kersten, in Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 77 (Stand: Jan. 2021) Rn. 36; aA Burghart, DÖV 2005, 815 (816 ff.)).

1. Die Bundesratsbank

Für die Bundesratsbank kommt aus verfassungsrechtlicher Sicht sowohl eine Verteilung nach dem Stimmengewicht der Länder (vgl. Art. 51 Abs. 2 GG), als auch nach dem Prinzip der Staatengleichheit in Betracht (BVerfGE 112, 118 (142 f.); Kersten, in Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 77 (Stand: Jan. 2021) Rn. 36; Sannwald, in Schmidt-Bleibtreu/Klein/Hofmann/Henneke, GG, 15. Aufl. 2022, Art. 77 Rn. 20). § 11 Abs. 2 GOBR sieht letzteres vor (Kersten, in Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 77 (Stand: Jan. 2021) Rn. 36).

2. Die Bundestagsbank
a) Das Spiegelbildlichkeitsprinzip

Kontroverser diskutiert werden – zumindest im Einzelnen – die verfassungsrechtlichen Anforderungen der Besetzung der Bundestagsbank des Vermittlungsausschusses. Gemäß §§ 54 Abs. 2, 12, 57 GOBT benennen die Fraktionen die Mitglieder des Ausschusses entsprechend ihrem Stärkeverhältnis zu einander. Dem liegt der Grundsatz der Gleichheit der Abgeordneten gemäß Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG zugrunde. Danach haben alle Abgeordneten das Recht auf gleiche Teilhabe an den parlamentarischen Aufgaben. Wo diese Teilhabe – etwa durch Wahrnehmung in einem verkleinerten Gremium – zu einem endlichen Gut wird, treten die Abgeordnetenrechte in Konflikt mit einander. Es gilt eine Ausgestaltung zu finden, die der relativen Gleichheit der Abgeordnetenrechte Rechnung trägt (BVerfGE 80, 188 (218 f.); Magiera, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 38 Rn. 58; Butzer, in: Epping/Hillgruber, GG, 57. Ed. 15.01.2024, Art. 38 Rn. 158). Hier werden dann die Fraktionen als freiwillige Zusammenschlüsse der Abgeordneten herangezogen. Eine spiegelbildliche Verteilung der Sitze nach ihrem Stärkeverhältnis im Plenum kann die Gleichheit im Zugang unter den Abgeordneten erhalten (BVerfGE 130, 318 (354); Klein/Schwarz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 38 (Stand: Jan. 2021) Rn. 283; zu Folgefragen der Behandlung fraktionsloser Abgeordneter und von Gruppen, die keine Fraktionsstärke erreichen s. BVerfGE 80, 188 (221 ff.); 84, 304 (323 f.)). Entsprechende Erwägungen sind auch für den Vermittlungsausschuss anzustellen (BVerfGE 112, 118 (133); Trute, in: v. Münch/Kunig, GG, 7. Aufl. 2021, Art. 38 Rn. 132).

b) Reichweite und Grenzen des Prinzips

Ist die Ableitung des Spiegelbildlichkeitsprinzip für Ausschüsse und ähnliche Gremien aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG weitgehend unbestritten (siehe aber Payandeh, VVDStRL 2022, S. 171 ff.), bieten Fragen der Reichweite und Grenzen dieses Prinzips nach wie vor erhebliches Streitpotenzial. Speziell hinsichtlich des Vermittlungsausschusses ist zweierlei in den Blick zu nehmen: Zum einen soll die Spiegelbildlichkeit nur für den Vermittlungsausschuss als solchen, nicht aber für dessen Untergliederungen gelten. Zwar werde hier die Willensbildung im Vermittlungsausschuss bereits vorgeformt, dieser Prozess entspreche aber der spezifischen Arbeitsweise im Vermittlungsausschuss, die auf die effiziente Erarbeitung eines Kompromisses gerichtet ist. Hier könne es legitim sein, in Vorbereitung einer Beschlussfassung Gremien zu bilden, die sich nach anderen Kriterien als der Spiegelbildlichkeit zusammensetzen (BVerfGE 140, 115 (154 ff.); krit. Hillgruber, JA 2016, S. 156 (157 f.)).

Zum anderen ist fraglich, inwieweit die Spiegelbildlichkeit nach Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG durch gegenläufiges Verfassungsrecht eingeschränkt werden kann. Ein solcher potenzieller Konflikt wird insbesondere mit der Funktionsfähigkeit des Parlaments und dem Mehrheitsprinzip gemäß Art. 42 Abs. 2 S. 1 GG gesehen: Die Stärkeverhältnisse der Fraktionen im Plenum in einem kleineren Gremium exakt spiegelbildlich abzubilden ist ein praktisch kaum erreichbares Ideal. Eine gewisse Verzerrung ist so regelmäßig unausweichlich, sodass es gerade bei knappen Mehrheiten dazu kommen kann, dass diese bei der Sitzverteilung in einem kleineren Gremium nach einem bestimmten Schlüssel nicht mehr widergespiegelt werden (Kokott, in: Bonner Kommentar zum GG, Art. 77 (Stand: Mai 2014) Rn. 97). Dieser Problematik kann der Bundestag zumeist begegnen, indem er die Gesamtzahl der Sitze in einem Gremium so weit erhöht, dass die Mehrheitsfraktionen des Plenums auch hier die Mehrheit bilden können. Für den Vermittlungsausschuss ist ihm das jedoch zumindest nicht ohne Weiteres möglich, denn eine entsprechende Veränderung der GOVA bedürfte auch der Zustimmung des Bundesrates (Kersten, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 77 (Stand: Jan. 2021) Rn. 38; eine Erhöhung der Sitzzahl prinzipiell ausschließend Kokott, in: Bonner Kommentar zum GG, Art. 77 (Stand: Mai 2014) Rn. 98). In dieser Lage entschied das Bundesverfassungsgericht, dass Abweichungen vom Prinzip der Spiegelbildlichkeit in einem begrenzten Umfang gerechtfertigt seien, wenn im verkleinerten Gremium nur dadurch Sachentscheidungen ermöglicht werden, die eine realistische Aussicht haben, mit dem Willen einer im Plenum bestehenden politischen „Regierungsmehrheit“ übereinzustimmen. Gefordert sei ein schonender Ausgleich zwischen Spiegelbildlichkeits- und Mehrheitsprinzip, wobei allerdings Funktion und Aufgaben des Vermittlungsausschusses keine zwingende Ausrichtung der Besetzung am Mehrheitsprinzip in einem Umfang fordern, dem der Grundsatz der Spiegelbildlichkeit zu weichen hätte (BVerfGE 112, 118 (Ls.; 140 ff.)).

Teilweise wird bemängelt, es werde mit dieser Rechtsprechung ein Antagonismus zwischen dem Spiegelbildlichkeits- und Mehrheitsprinzip eröffnet, der gar nicht existiere. Richtig verstanden könne spiegelbildlich von vornherein nur sein, was die Mehrheitsverhältnisse im Plenum abbildet. Die Prinzipien seien so nicht in eine Abwägung einzustellen, sondern gehen in einander auf (Kersten, in: Dürig/Hezog/Scholz, GG, Art. 77 (Stand: Jan. 2021) Rn. 41; wohl auch Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, 7. Aufl. 2021, Art. 77 Rn. 21; vgl. BVerfGE 112, 118 (153 ff. –abwM Lübbe-Wolf), die einen Konflikt grds. anerkennt, aber beide Teilziele der Abbildung der relativen Fraktionsstärken und der Mehrheit auf das Spiegelbildprinzip zurückführt). Damit wird allerdings übergangen, dass der Grundsatz spiegelbildlicher Repräsentation seine Grundlage in der Gleichheit der Abgeordneten gemäß Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG findet. Eine Differenzierung nach Zugehörigkeit zu einer Mehrheit ist dem gerade nicht inhärent (Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Hofmann/Henneke, GG, 15. Aufl. 2022, Art. 77 Rn. 21; ebenso Kokott, in: Bonner Kommentar zum GG, Art. 77 (Stand: Mai 2014) Rn. 94).

Dem Bundesverfassungsgericht ist somit zu folgen, wenn es zwischen Spiegelbildlichkeit und Mehrheit differenziert und ein Konfliktpotenzial erkennt (so auch Brosius-Gersdorf, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2015, Art. 77 Rn. 35; Kokott, in: Bonner Kommentar zum GG, Art. 77 (Stand: Mai 2014) Rn. 94;). Fraglich ist dann, wie dieser Konflikt aufzulösen ist. Denkbar ist, auf den Verfahrensabschnitt zu blicken, in welchem der Vermittlungsausschuss auftritt. So könnte zwischen dem Vermittlungsausschuss und anderen Ausschüssen zu differenzieren sein. Während die Aufgabe letzterer in der Vorbereitung eines Gesetzesbeschlusses des Bundestages besteht, liegt ein solcher bei Einberufung des Vermittlungsausschusses bereits vor. Es könnte so weniger um die Erhaltung einer politischen Pluralität bei einer internen Entscheidung bzw. Entscheidungsvorbereitung gehen, sondern vielmehr um die Vertretung des Bundestages nach außen in der Sache einer bestimmten Mehrheitsentscheidung. Mit dieser Argumentation müsste dann das Mehrheitsprinzip überwiegen (Möllers, Jura 2010, 401 (404), wobei die gebotene Beachtung des Mehrheitsprinzips nicht zu einer bestimmten Zusammensetzung der Bundestagsbank, sondern der Respektierung der Mehrheitsentscheidung des Bundestages über die Zusammensetzung führen soll; iE ähnlich BVerfGE 112, 118 (148 ff. – abwM. Osterloh/Gerhardt), die die Geschäftsautonomie hervorheben). Die besseren Argumente sprechen jedoch dafür, das Spiegelbildlichkeitsprinzip im Ergebnis stärker zu gewichten. Ziel des Vermittlungsverfahrens ist das Finden eines Kompromisses und damit einer „neuen Mehrheit“ in einem neuen politischen Kontext (BVerfGE 112, 118 (145); Masing/Risse, in: v. Mangoldt/Klein/Risse, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 77 Rn. 68; krit. BVerfGE 112, 118 (155 f. – abwM Lübbe-Wolf)). Hier verliert sich die Mehrheit im Bundestag auch insofern, als im Vermittlungsausschuss nicht etwa nach Bänken, sondern im Gesamtgremium abgestimmt wird (BVerfGE 112, 118 (144); Masing/Risse, in: v. Mangoldt/Klein/Risse, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 77 Rn. 68). Weiter ist die Mehrheitsfindung iSe Einigungsvorschlags auch kein zwingender Ausgang des Vermittlungsverfahrens (vgl. § 12 GOVA; BVerfGE 112, 118 (144); Masing/Risse, in: v. Mangoldt/Klein/Risse, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 77 Rn. 68; Kokott, in: Bonner Kommentar zum GG, Art. 77 (Stand: Mai 2014) Rn. 95). In diese Richtung deutet wohl auch die Entscheidung der Senatsmehrheit (vgl. BVerfGE 112, 118 (141 f.); Masing/Risse, in: v. Mangoldt/Klein/Risse, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 77 Rn. 68).

In diesem Rahmen ist zwar anzuerkennen, dass das Grundgesetz dem Bundestag (unter Zustimmung des Bundesrates) die Gestaltung der Zusammensetzung gemäß Art. 77 Abs. 2 S. 2 GG aufgetragen hat. Dieser Auftrag und die damit einhergehende Freiheit steht aber durchaus im Lichte der weiteren Verfassung – eine Betonung der Gestaltungsautonomie kann nicht so weit gehen, dass andere Vorgaben der Verfassung, wie die Wahrung von Mitwirkungsrechten nach Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG, überwunden werden können.

D. Unsicherheit über die richtige Verfahrensvariante

Die Handlungsmöglichkeiten des Bundesrates unterscheiden sich, wie dargelegt, je nachdem, ob ein Beschluss zu einem Einspruchs- oder Zustimmungsgesetz zugeleitet wird. Will der Bundesrat sich einem Beschluss entgegenstellen, so muss er in ersterem Fall zunächst die Einberufung des Vermittlungsausschusses verlangen und das Vermittlungsverfahren abwarten, bevor er Einspruch einlegen kann. Die Zustimmung kann hingegen ohne Weiteres verweigert werden. Das vorherige Einberufungsverlangen durch den Bundesrat ist hier optional (Dietlein, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, § 57 Rn. 19). Dass eine Nicht-Zustimmung nicht in ein Einberufungsverlangen umgedeutet werden kann, dürfte mittlerweile anerkannt sein (Kment, in: Jarass/Pieroth, GG, 17. Aufl. 2022, Art. 77 Rn. 11; Kersten, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 77 (Stand: Jan. 2021) Rn. 49; aA noch v Mangoldt/Klein, GG, 2. Aufl. 1966, Art. 78 Anm. IV 2 d).

Umstritten ist jedoch, ob der Bundesrat gerade zur Klärung diesbezüglicher Uneinigkeiten oder Unsicherheiten die Einberufung des Vermittlungsausschusses verlangen kann (so Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Hofmann/Henneke, GG, 15. Aufl. 2022, Art. 77 Rn. 36; Brosius-Gersdorf, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2015, Art. 77 Rn. 32). Dagegen spricht, dass die Kategorisierung von Einspruchs- und Zustimmungssachen von der Verfassung vorgegeben und somit nicht verhandelbar ist (Kersten, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG Art. 77 (Stand: Jan. 2021) Rn. 49; Masing/Risse, in: v. Mangoldt/Klein/Risse, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 77 Rn. 84).

E. Grenzen des Vermittlungsvorschlags

Noch immer nicht abschließend geklärt ist, welche formalen und inhaltlichen Grenzen sich dem Vermittlungsausschuss hinsichtlich seines Vermittlungsvorschlags stellen (In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für geklärt erachtet, BVerfGE 125, 104 (121); s. aber Kritik in der Literatur u.a. bei Kersten, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 77 (Stand: Jan. 2021) Rn. 86 f.; Masing/Risse, in: v. Mangoldt/Klein/Risse, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 77 Rn. 87 f.). Der Streit entfacht sich dabei im Austarieren konfligierenden Verfassungsrechts in folgendem Spannungsfeld:

Einerseits ist die institutionalisierte Vermittlung zwischen Bundestag und Bundesrat einschließlich der Möglichkeit, Änderungen an einem Gesetzesbeschluss vorzunehmen, ausdrücklich in Art. 77 Abs. 2 (S. 5) GG vorgesehen. Andererseits aber wird der Vermittlungsausschuss nicht in der Liste der Gesetzesinitiativberechtigten in Art. 76 Abs. 1 GG geführt. Ferner kommt dem Vermittlungsausschuss zwar keine Entscheidungskompetenz zu, eine offene Debatte über etwaige Änderungen zum ursprünglichen Gesetzesbeschluss findet im Bundestag gemäß § 10 Abs. 2 GOVA allerdings nicht statt. Somit können die Rechte von Abgeordneten gemäß Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG beeinträchtigt werden, wenn dem Parlament keine Möglichkeit zukommt, Regelungsgegenstände zu erörtern. Das ist auch hinsichtlich Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG problematisch, wenn Regelungen nur in einem nichtöffentlichen Rahmen verhandelt werden und so auch der demokratischen Kontrolle (Art. 20 Abs. 2 GG) entzogen sind. Schließlich muss die Kompetenzverteilung im Verhältnis zwischen den Gesetzgebungsorganen gewahrt werden: Diesfällig ist die zentrale Rolle des Bundestages (Art. 77 Abs. 1 S. 1 GG) gegenüber der bloßen Mitwirkung des Bundesrates (Art. 50 GG) anzuerkennen, zumal letztere – jenseits des Einflusses im Vermittlungsausschuss – nur nichtgestaltender Art ist (BVerfGE 120, 56 (73 ff.); 125, 104 (121 ff.) mwN; Kokott, in: Bonner Kommentar zum GG, Art. 77 (Stand: Mai 2014) Rn. 111, 118; Masing/Risse, in: v. Mangoldt/Klein/Risse, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 77 Rn. 87).

I. Entwicklung der Rechtsprechung des BVerfG

Das Bundesverfassungsgericht hat seine Rechtsprechung zu dieser Frage mit der Zeit verschärft (Kersten, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG Art. 77 (Stand: Jan. 2021) Rn. 85).

In früheren Entscheidungen hob es maßgeblich auf einen Sachzusammenhang zwischen dem Einigungsvorschlag und dem Gesetzesbeschluss des Bundestages ab, wobei der „Spielraum für Alternativ- und Ergänzungsvorschläge umso weiter [sei], je umfassender die Materie und das Regelungsziel sind.“ Nur geringe Beschränkungen konnten so etwa für heterogene Artikelgesetze bestehen (BVerfGE 72, 176 (188 ff.); bestätigend BVerfGE 78, 249 (271)). Ab 1999 ist derweil eine andere Linie in der Rechtsprechung zu beobachten. Nunmehr wird die durch einen zu weitgreifenden Beschlussvorschlag des Vermittlungsausschusses drohende „Entparlamentarisierung der Gesetzgebung“ betont (vgl. BVerfGE 101, 297 (306 f.); 120, 56 (75); 125, 104 (122)). Der Vorschlag soll:

„eine Brücke zwischen schon in den Gesetzgebungsorganen erörterten Alternativen schlagen, ohne eine – dem Vermittlungsausschuss nicht zustehende – Gesetzesvorlage einzubringen (Art. 76 Abs. 1 GG), das Gesetzgebungsverfahren in der parlamentarischen Demokratie zu verkürzen oder die Gesetzgebungszuständigkeiten und Verantwortlichkeiten zu verfälschen. Der Bundestag muß den Vermittlungsvorschlag auf der Grundlage seiner Debatte über ihm vorliegende Anträge und Stellungnahmen als ein ihm zuzurechnendes und von ihm zu verantwortendes Ergebnis seines parlamentarischen Verfahrens erkennen und anerkennen können. Der Vermittlungsvorschlag ist deshalb in dem Rahmen gebunden, der nach den bisherigen Beratungen im Bundestag inhaltlich und formal vorgezeichnet ist. […] Der Vermittlungsausschuß darf hingegen keinen Vorschlag unterbreiten, der außerhalb der bisherigen Auffassungsunterschiede im Parlament oder der bisherigen Gegenläufigkeit zwischen Bundestag und Bundesrat bleibt“

BVerfGE 101, 297 (307 f.); ähnlich BVerfGE 120, 56 (75 f.); 150, 204 (229 ff.)

Das Anrufungsbegehren soll diesen Rahmen zwar weiter begrenzen, nicht jedoch erweitern können (BVerfGE 101, 297 (307)), der Vermittlungsvorschlag müsse dem Bundestag aufgrund der dort zu führenden parlamentarischen Debatte zurechenbar sein (BVerfGE 120, 56 (76); 125, 104 (122)). Damit schiebt das Bundesverfassungsgericht der Heranziehung von „neuem Material“, auch aus anderen Gesetzgebungsverfahren, einen Riegel vor (so auch Kokott, in: Bonner Kommentar zum GG, Art. 77 (Stand: Mai 2014) Rn. 129). Doch auch bezüglich des Verbleibenden soll nicht jeder, sondern nur ein mit Blick auf Art. 38 Abs. 1 S. 2, 42 Abs. 1 S. 1, 20 Abs. 2 GG hinreichend qualifizierter Konnex zum bisherigen Gesetzgebungsverfahren genügen: In der Entscheidung über eine Verfassungsbeschwerde, die sich mittelbar gegen § 45a Abs. 2 PBefG a.F. (Art. 24 HBeglG 2004, BGBl. 2003 Teil I Nr. 68, S. 3091) richtete, erkannte das Bundesverfassungsgericht, dass das sog. „Koch/Steinbrück-Papier“ – ein von einer Arbeitsgruppe unter der Leitung der Ministerpräsidenten von Hessen und Nordrhein-Westfahlen erarbeitetes Programm – nicht in einer Weise im Bundestag behandelt wurde, die dem Vermittlungsausschuss die Kompetenz geben würde, eine Änderung des PBefG iSd Art. 24 HBeglG 2004 in dem Vermittlungsvorschlag zu berücksichtigen. Insofern handele es sich bei dem Papier um eine Vielzahl wenig konkretisierter Vorschläge, die durch die Übergabe, Vorstellung und Behandlung in den Ausschüssen keine dieses Defizit ausräumende Konkretisierung erfahren haben. Das Papier wurde in der Beschlussempfehlung des federführenden Haushaltsausschusses nicht berücksichtigt und habe im Plenum nur eine oberflächliche Erwähnung erfahren. Deshalb müsse davon ausgegangen werden, dass die Tragweite der einzelnen Posten des Papiers den Abgeordneten nicht bewusst war oder sein konnte. Unbeachtlich seien insoweit die Presseberichterstattung über das Papier, dessen Verfügbarkeit im Internet und ob es allen Abgeordneten zur Verfügung gestellt wurde. Entscheidend sei, ob die Abgeordneten aufgrund des Gesetzgebungsverfahrens im Bundestag Anlass gehabt haben, sich mit dem Inhalt des Papiers zu befassen (BVerfGE 125, 104).

Eine Korrektur offensichtlicher Unrichtigkeiten des Gesetzesbeschlusses sei hingegen auch jenseits der so gesteckten Grenzen zulässig, soweit damit nicht der rechtliche Gehalt der Norm und mit ihm seine Identität angetastet werde (BVerfGE 150, 345 (371)).

Bei alldem fordere die Rechtssicherheit, dass ein Mangel im Gesetzgebungsverfahren nur dann zur Nichtigkeit des Gesetzes führt, wenn dieser evident ist (BVerfGE 120, 56 (79); 125, 104 (132)).

II. Kritik

Die hinter der Verengung der Grenzen des Vermittlungsvorschlags in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stehende legitimatorische Problematik eines zu weitreichenden Vermittlungsvorschlags leuchtet, mit Blick auf Art. 38 Abs. 1 S. 2, 42 Abs. 1 S. 1, 76 Abs. 1 GG, ein. Kritik erfährt das Bundesverfassungsgericht vielmehr dahingehend, dass es die – ebenfalls verfassungsrechtlich verankerte – institutionalisierte Vermittlung in diesem Stadium des Gesetzgebungsverfahrens nicht hinreichend berücksichtige (Masing/Risse, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 77 Rn. 88; Kersten, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 77 (Stand: Jan. 2021) Rn. 86). Das Einigungsziel könne nicht durch die bloße Neukombination bereits „verbrauchter“ Elemente erreicht werden, vielmehr sei dem in Art. 77 Abs. 2 GG angelegten Kompromiss auch das Beschreiten neuer Wege durch kreative Eigeninitiative inhärent (Cornils, DVBl 2002, 497 (500); Kersten, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 77 (Stand: Jan. 2021) Rn. 86). Alles andere verkenne auch das Wesen des Vermittlungsausschusses als Forum der Auseinandersetzung mit föderalen Gegensätzen. Die neue Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mache den Bundesrat, insbesondere bei Gesetzesinitiativen aus der Mitte des Bundestages (vgl. Art. 76 Abs. 2 GG), nur zum „verlängerten Arm der Bundestagsopposition“ (Masing/Risse, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 77 Rn. 88). Im Übrigen werde das Verfahren im Bundestag überfrachtet und die Auffassungsgabe der einzelnen Abgeordneten idealisiert. Es entspreche nicht einem realistischen Bild des Parlaments, dass sämtliche Abgeordnete Kenntnis über sämtliche parlamentarische Vorgänge besitzen, vielmehr wirke der Bundestag aufgrund der Fülle an Aufgaben notwendig arbeitsteilig (vgl. BVerfGE 130, 318 (348)). Schon jetzt bestehe ein „information overload“ für die einzelnen Abgeordneten, der sich nur noch verschärfen werde, wenn sämtliche denkbaren Verhandlungsergebnisse mit Blick auf ein etwaiges Vermittlungsverfahren bereits im Bundestag in einer Weise thematisiert werden müssten, die deren politische Relevanz den einzelnen Abgeordneten hinreichend vor Augen führt (Kersten, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 77 (Stand: Jan. 2021) Rn. 86; Möllers, Jura 2010, 401 (406)).

Vor diesem Hintergrund werden in der Literatur verschiedene Lösungen angeboten. Im Bereich der Rechtsanwendung wird vorgeschlagen, die verfassungsgerichtliche Prüfung auf eine Missbrauchskontrolle zu beschränken. Ein Vermittlungsvorschlag würde die Grenzen der Verfassung erst dann überschreiten, wenn die parlamentarische Beratung eines Regelungsvorschlags offensichtlich gezielt umgangen wird (formeller Missbrauchsfall) oder der Vermittlungsausschuss offensichtlich ein Gesetzesinitiativrecht in Anspruch nimmt, das ihm nach Art. 76 Abs. 1 GG nicht zusteht (Kersten, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 77 (Stand: Jan. 2021) Rn. 87; Kokott, in: Bonner Kommentar zum GG, Art. 77 (Stand: Mai 2014) Rn. 135; „bedenkenswerter Ansatz“). Dem kann freilich die allgemein bestehende Kritik an Evidenzlösungen entgegengehalten werden. Zum einen kann es an Transparenz und intersubjektiver Nachvollziehbarkeit fehlen und zum anderen wird die Koinzidenz zwischen dem Tatbestand des Verfassungsverstoßes und der Rechtfolge gelöst, indem „einfache“ Verfassungswidrigkeit folgenlos bleibt (ausführlich zur Evidenz als Rechtskriterium Steinbach, AöR 140, 367 ff.). Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, dass auch das Bundesverfassungsgericht Evidenzerwägungen bemüht.

Jenseits alldem werden Entschärfungen der Konfliktlage durch Modifikationen des Gesetzgebungsverfahren gesucht.

Hinweis: Soweit die Klausur nach der Verfassungsmäßigkeit eines bestimmten Gesetzes fragt, wäre es natürlich falsch, alternative Geschäftsordnungsregelungen ins Auge zu fassen.

In dieser Richtung wird erwogen, die Verhandlungen im Vermittlungsverfahren der Öffentlichkeit zugänglich zu machen (Möllers, Jura 2010, 401 (406)). Außerdem wird für eine Änderung von § 10 Abs. 2 GOVA (iVm § 90 Abs. 1 GOBT) plädiert. Könnte der Bundestag nicht nur über den im Vermittlungsausschuss erarbeiteten Einigungsvorschlag abstimmen, sondern diesen einer offenen Parlamentsdebatte zuführen oder gar abändern, wären Art. 38 Abs. 1 S. 2, 42 Abs. 1 S. 1, 20 Abs. 2 GG weniger stark tangiert (Cornils, DVBl 2002, 497 (506 f.); Kersten, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 77 (Stand: Jan. 2021) Rn. 87). Dazu dürfte diese Begrenzung jedoch nicht schon aus der Verfassung abzuleiten sein. Diesfällig ist der Wortlaut von Art. 77 Abs. 2 S. 5 GG offen, eine systematisch-teleologische Gegenüberstellung mit Art. 77 Abs. 1 GG spricht hingegen für jenes enge Verständnis. Der Bundestag gibt mit Beschluss ein Gesetzgebungsverfahren aus der Hand – es gilt seine Unabänderlichkeit. Bekommt er nur dann die Möglichkeit, seinen Beschluss zu modifizieren, wenn der Vermittlungsausschuss eine Änderung vorgeschlagen hat, liegt es nahe, dass diese Modifikationsmöglichkeit auch nur so weit trägt. (Axer, Die Kompetenz des Vermittlungsausschusses, 2010, S. 128 ff.; so auch Borowy, ZParl 2010, 874 (901); diff. Kokott, in: Bonner Kommentar zum GG, Art. 77 (Stand: Mai 2014) Rn. 137 f.; aA Kersten, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 77 (Stand: Jan. 2021) Rn. 87; s. auch verfassungsrechtliche Bedenken bzgl. der gegenwärtigen Regelung bei Möllers, Jura 2010, 401 (406)).

III. Für die Prüfung

Wenngleich das Bundesverfassungsgericht die Frage der Grenzen des Vermittlungsvorschlags für sich als geklärt erachtet (BVerfGE 125, 104 (121)), kann das Gleiche nicht für die breite juristische Debatte gelten. Die Problematik ist komplex, das Feld der angebotenen Auflösungen ist weit (vgl. auch Masing/Risse, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 77 Rn. 87, die schlicht konstatieren, dass eine überzeugende Lösung noch nicht gefunden ist). In der Examensklausur dürfte entscheidend sein, die verfassungsrechtlichen Erwägungen und Probleme sowohl bezüglich einer engen wie weiten Bemessung der Grenzen zu erkennen und den Fall auf dieser Grundlage einem schlüssigen Ergebnis zuzuführen.

F. Ausblick

Der Blick auf den Vermittlungsausschuss als ExamenskandidatIn zeigt: Einiges ergibt sich bereits aus der Lektüre der Verfassung und der Geschäftsordnungen. Vieles fällt auf die Anwendung bekannter Prinzipien und Argumentationsmuster des Staatsorganisationsrechts zurück. So sind verschiedene Fallgestaltungen denkbar, die im Examen (oder anderen Prüfungen) begegnen können. Eine gute Vorbereitung bedeutet dabei in der Regel nicht das Sicherschließen von völlig Neuem, sondern bereits Bekanntes mit einigen Kniffen zu übertragen.

10.04.2024/1 Kommentar/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2024-04-10 08:03:422024-04-17 10:18:56Der Vermittlungsausschuss
Moritz Augel

Das Prüfungsrecht des Bundespräsidenten – und der Bundesratspräsidentin?

Aktuelles, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Startseite

Wir freuen uns, nachfolgend einen Gastbeitrag von Moritz Augel veröffentlichen zu können. Der Autor ist studentische Hilfskraft am Institut für Arbeitsrecht und Recht der Sozialen Sicherheit der Universität Bonn.

Anstoß einer Debatte rund um den Examensklassiker: Prüfungsrecht des Bundespräsidenten! Tritt das Cannabisgesetz (CanG), welches nach intensiver Debatte am vergangenen Freitag (22.3.2024) nun auch den Bundesrat passierte zum 1. April in Kraft? Nachdem sich im Bundesrat keine Mehrheit zur Anrufung des Vermittlungsausschusses fand, bleibt damit nur noch eine letzte Hürde, die das Gesetz überwinden muss: die Ausfertigung des Gesetzes durch den Bundespräsidenten gemäß Art. 82 Abs. 1 GG.

Einzelne Abgeordnete der Union, wie etwa Tino Sorge, gesundheitspolitischer Sprecher der Unionsfraktionen im Deutschen Bundestag, fordern, der Bundespräsident solle das Cannabisgesetz nicht unterzeichnen; zu groß sei der Widerstand der Justiz- und Innenminister der Länder. Die Sorge, die etwa auch NRW-Justizminister Limbach sowie Oberstaatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft Köln Engel teilen, besteht darin, dass durch die Vielzahl der neu aufzurollenden Verfahren eine Überlastung der Justiz droht.

Weiterhin, so Sorge, stellten sich Fragen hinsichtlich der „äußert kurzen Fristen zwischen der politischen Einigung innerhalb der Koalition, dem Versand des finalen Gesetzespakets an die anderen Bundestagsfraktionen und dem Beschluss im Plenum“. Dieser Vortrag erinnert sehr an das Verfahren vom Bundestagsabgeordneten Heilmann, der mit einer ähnlichen Begründung im vergangenen Jahr erfolgreich einen Eilantrag beim Bundesverfassungsgericht stellte. Es stellte dabei in Bezug auf das Heizungsgesetz fest, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass durch die erhebliche Beschleunigung des Verfahrens Abgeordnetenrechte nach Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG verletzt werden (BVerfG, Beschl. v. 5.7.2023 – 2 BvE 4/23).

Im vorliegenden Fall des CanG gibt es eine weitere Besonderheit: Bundespräsident Steinmeier befindet sich gegenwärtig im Urlaub, sodass er gemäß Art. 57 GG durch den Bundesratspräsidenten, konkret die Bundesratspräsidentin Schwesig, Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, vertreten wird.

Der Beitrag beschäftigt sich daher neben der grundsätzlichen Frage des Prüfungsrecht auch mit den sich ergebenden Besonderheiten im Falle der Vertretung des Bundespräsidenten.

I. Das Prüfungsrecht des Bundespräsidenten

Das Prüfungsrecht des Bundespräsidenten ist ein absoluter Klassiker des Staatsorganisationsrechts. Präziser geht es um die Frage, ob der Bundespräsident ein Recht hat, die Ausfertigung des Gesetzes mit der Begründung zu verweigern, dass dieses verfassungswidrig sei. In der Geschichte der Bundesrepublik hat es immerhin bereits acht Fälle gegeben, in denen es der Bundespräsident abgelehnt hatte, das Gesetz auszufertigen (https://www.bundespraesident.de/DE/amt-und-aufgaben/aufgaben-in-deutschland/amtliche-funktionen/amtliche-funktionen_node.html?cms_submit=Suchen&cms_templateQueryString=Pr%C3%BCfungsrecht). Prominentes Beispiel für eine Ausfertigung trotz heftiger Debatte um die Verfassungsmäßigkeit ist die Entscheidung des Bundespräsidenten Rau, das sog. Zuwanderungsgesetz auszufertigen. Zugleich regte er jedoch an, das Gesetz durch das Bundesverfassungsgericht überprüfen zu lassen. Hierbei ging es im Konkreten um das Abstimmungsverhalten des Landes Brandenburg im Bundesrat. Entgegen Art. 51 Abs. 3 S. 2 GG hatte das Land uneinheitlich und damit möglicherweise ungültig abgestimmt. Dennoch hatte der Bundesratspräsident die Stimmen des Landes Brandenburg als Zustimmung gewertet. Das Bundesverfassungsgericht erklärte dies später für unzulässig (BVerfG, Urt. v. 18.12.2002 – 2 BvF 1/02).

Zu einer ungültigen Stimmabgabe kam es auch am vergangenen Freitag bei der Debatte um die Anrufung des Vermittlungsausschusses bezüglich des CanG. Während der sächsische Ministerpräsident Kretschmer (CDU) für die Anrufung des Vermittlungsschusses votierte, widersprachen ihm die Minister Dulig (SPD) und Günther (Grüne). Die Bundesratspräsidentin Schwesig stellte daraufhin zutreffend fest, dass das Land Sachsen damit ungültig abgestimmt habe.

1. Formelles Prüfungsrecht

Grundsätzlich trifft den Bundespräsidenten eine Ausfertigungspflicht, die sich auf den Wortlaut des Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG „werden (…) ausgefertigt“ stützen lässt. (Voßkuhle/Schemmel, JuS 2021, 118 (120)). Ein formelles Prüfungsrecht wird jedoch ebenfalls mit dem Wortlaut des Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG begründet, da ein formell verfassungswidriges Gesetz nicht „nach den Vorschriften des Grundgesetzes zustande“ gekommen ist. Art. 82 GG weist eine Parallele zu Art. 78 GG auf, in welchem das Zustandekommen eines Gesetzes geregelt ist. Durch diesen Artikel wird das Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen, sodass hieraus gefolgert werden kann, dass hinsichtlich der Gesetzgebungskompetenz (Art. 70 ff.), der Beteiligung des Bundesrats (Art. 77 GG) sowie dem Einleitungsverfahren (Art. 76 ff.) ein Prüfungsrecht besteht. Ein solches Recht wird dem Bundespräsidenten nach ganz allgemeiner Auffassung zugestanden. Zum Teil wird diesbezüglich sogar vertreten, dass den Bundespräsidenten eine Pflicht trifft, zu prüfen, ob der Bundestag das Gesetz beschlossen hat, die Rechte des Bundesrats gewahrt wurden und die notwendige Gesetzgebungszuständigkeit bestand (vgl. Brenner in Huber/Voßkuhle, GG, Art. 82, Rn. 25).

2. Materielles Prüfungsrecht

Deutlich umstrittener ist die Frage, ob dem Bundespräsidenten auch ein materielles Prüfungsrecht zukommt.

a) Argumente gegen ein materielles Prüfungsrecht

Gegen ein materielles Prüfungsrecht wird argumentiert, dass der Bundespräsident eine deutlich schwächere Rolle als der Reichspräsident zu Zeiten der Weimarer Republik einnimmt. Dieses Argument kann jedoch nur bedingt überzeugen. Aus der früheren Stellung des Reichspräsidenten in der Verfassung der Weimarer Republik lässt sich nicht unmittelbar eine Aussage für die Rolle des Bundespräsidenten nach dem Grundgesetz herleiten. Darüber hinaus gleichen sich Art. 70 WRV und Art. 82 Abs. 1 GG in ihrem Wortlaut. Unter jenem Art. 70 WRV war jedoch ein materielles Prüfungsrecht des Reichspräsidenten anerkannt (Voßkuhle/Schemmel, JuS 2021, 118 (120)).

Ferner wird ein institutionelles Argument angeführt, das sich auf das Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts nach Art. 100 Abs. 1 GG stützt. Es sei allein dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten zu prüfen, ob ein Gesetz verfassungswidrig ist. Des Weiteren kann der Bundespräsident, sofern er nur einzelne Bestimmungen eines Gesetzes für verfassungswidrig hält, stets nur das gesamte Gesetz aufhalten, was einen besonders intensiven Eingriff in die Gesetzgebungskompetenz darstellen würde. Dagegen lässt sich jedoch anführen, dass die Prüfung des Bundespräsidenten nicht mit der des Bundesverfassungsgerichts vergleichbar ist und zudem eine gerichtliche Kontrolle der Weigerung des Bundespräsidenten im Rahmen der Organklage möglich ist (Voßkuhle/Schemmel, JuS 2021, 118 (120 f.)).

b) Argumente für ein materielles Prüfungsrecht

Für ein materielles Prüfungsrecht wird unter anderem der Amtseid des Bundespräsidenten nach Art. 56 GG angeführt. Darin schwört der Bundespräsident, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes zu wahren und zu verteidigen. Dieses Argument ist jedoch zirkelschlüssig: Den Eid kann der Bundespräsident nämlich nur im Rahmen seiner verfassungsrechtlichen Befugnisse verletzen. Nimmt er also eine Befugnis, die er nicht hat, nicht wahr, so kann darin keine Verletzung des Grundgesetzes liegen; der Eid kann mithin nicht Pflichten begründen, sondern bezieht sich nur auf bestehende Pflichten (Butzer in Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 82, Rn. 169).

Das wohl gewichtigste und am Ende auch überzeugendste Argument für ein materielles Prüfungsrecht des Bundespräsidenten findet sich in Art. 20 Abs. 3 GG. Demnach sind alle Staatsorgane an die verfassungsgemäße Ordnung gebunden. Würde man annehmen, Art. 82 Abs. 1 GG verpflichte den Bundespräsidenten auch verfassungswidrige Gesetze auszufertigen, so widerspräche dies seiner Verfassungsbindung (Hauck, JA 2017, 93 (94)). Anders: Das Staatsoberhaupt darf nicht zu Verfassungsverstößen gezwungen sein (Brenner in Huber/Voßkuhle, GG, Art. 82, Rn. 27).

Hiergegen wird teilweise eingewandt, dass auch jeder Verwaltungsbeamte an die Verfassung gebunden sei und dennoch ein seiner Meinung nach verfassungswidriges Gesetz anwenden muss (vgl. Meyer, JZ 2011, 602 (605)). Bei der Ausfertigung des Gesetzes nimmt der Bundespräsident jedoch eine legislative Funktion wahr. Ferner bestünden erhebliche Rechtsunsicherheiten, wenn jeder einzelne Verwaltungsbeamte ein aus seiner Sicht verfassungswidriges Gesetz nicht ausführen müsse. Verweigert der Bundespräsident die Ausfertigung, so tritt das Gesetz gar nicht erst in Kraft, sodass hiervon keine Rechtsunsicherheiten ausgehen kann (Hauk, JA 2017, 93 (94)).

Mangels Antragsberechtigung in der abstrakten Normenkontrolle ist auch kein anderes Mittel zur Verhinderung des Inkrafttretens solcher Gesetze, die er für verfassungswidrig erachtet, ersichtlich, als die Ausfertigung zu verweigern.

c) Begrenzung auf Evidenzfälle

Ein größerer Teil der Literatur will das materielle Prüfungsrecht jedoch auf solche Fälle begrenzen, in denen der Verfassungsverstoß schwer und offensichtlich ist (unter vielen: Brenner in Huber/Voßkuhle, GG, Art. 82, Rn. 29). Dies wird damit begründet, dass immerhin auch der Bundestag gemäß Art. 20 Abs. 3 GG an die verfassungsmäßige Ordnung gebunden und wegen seiner unmittelbaren demokratischen Legitimation vorrangig für den Inhalt eines Gesetzes verantwortlich ist. Wenn das Parlament ein Gesetz für verfassungsmäßig erachte, müsse ihm daher ein „Einschätzungsvorrang“ gegenüber dem Bundespräsidenten zukommen (Gröpl, Staatrecht I, § 16 Rn. 1283). Gegen eine solche Beschränkung auf Evidenzfälle wird jedoch angeführt, dass sich hierfür keine Anhaltspunkte im Grundgesetz finden und die Beschränkung auf offenkundige Fälle viel zu vage sei, was sich allein daran zeigt, dass unter Juristen die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes häufig stark umstritten ist (s. zur Kritik u.a. Hauk, JA 2017, 93 (95 f.)).

3. Politisches Prüfungsrecht

Absolut unstreitig ist, dass dem Bundespräsidenten jedenfalls kein politisches Prüfungsrecht zukommt. Weder darf der Bundespräsident die Ausfertigung aus politischen Gründen verweigern, noch unverhältnismäßig lange hinauszögern (Brenner in Huber/Voßkuhle, GG, Art. 82, Rn. 24).

II. Prüfungsrecht bei Verstößen gegen europäisches Unionsrecht ?

Ebenfalls umstritten ist die Frage, ob sich der Prüfungsmaßstab des Bundespräsidenten nur auf das Grundgesetz beschränkt, oder auch auf das Europarecht erstreckt.

Die wohl herrschende Meinung verneint ein europarechtliches Prüfungsrecht (u.v. Brenner in Huber/Voßkuhle, GG, Art. 82, Rn. 31). Hierfür spricht insbesondere der Wortlaut des Art. 82 Abs. 1 GG, der von den „Vorschriften dieses Grundgesetzes“ spricht.

Vertreten wird jedoch auch, dass sich aus Art. 23 Abs. 1 GG iVm. Art. 20 Abs. 3 GG und dem Gebot des europafreundlichen Verhaltens aus Art. 4 Abs. 3 EUV ein europarechtliches Prüfungsrecht ergibt (Schladebach/Koch, JURA 2015, 355 (357 ff.).

Selbst wenn man das Unionsrecht über die Brücke des Art. 23 Abs. 1 GG als Teil der verfassungsmäßigen Ordnung begreift, würde der Bundespräsident im Falle einer Ausfertigung jedoch nicht entgegen seiner Verfassungsbindung handeln, denn eine Unionsrechtswidrigkeit bedingt nicht die Nichtigkeit, sondern lediglich die Unanwendbarkeit eines nationalen Gesetzes aufgrund des Anwendungsvorrangs; das Gesetz bliebe im Übrigen jedoch wirksam (Mann in Sachs, GG, Art. 82, Rn. 16).

III. Das Prüfungsrecht im Falle der Vertretung?

Schwierig ist ferner die Frage, wie sich das Prüfungsrecht in Vertretungsfällen verhält. Teilweise wird vertreten, dass es in Fällen kurzfristiger Verhinderung aus Gründen der Verfassungsorgantreue geboten sei, dass das Gesetz bis zur Rückkehr des Bundespräsidenten „auf dessen Schreibtisch liegen bleibe“ (Mann in Sachs, GG, Art. 82, Rn. 15). Gleiches müsse bei verfassungsrechtlich umstrittenen Gesetzen gelten (Mann in Sachs, GG, Art. 82, Rn. 15). Dies müsse gerade dann gelten, wenn der Bundespräsident ein Gutachten in Auftrag gegeben hat, dass nach Ende des Verhinderungsfall fertig werden wird; hier kann der Bundesratspräsident sich nicht über die bereits begonnene Prüfung hinwegsetzen (Guckelberger, NVwZ 2007, 406 (408 f.). Je größer die Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit sind, desto eher ist angesichts der neutralen Stellung des Bundespräsidenten geboten, dass der Bundesratspräsident seine Rückkehr abwartet (Guckelberger, NVwZ 2007, 406 (409).

IV. Fazit

Das Prüfungsrecht des Bundespräsidenten wird in formeller und materieller Hinsicht von der überwiegenden Mehrheit angenommen. Umstritten ist jedoch, ob sich das Prüfungsrecht auf Evidenzfälle beschränkt und ob der Prüfungsmaßstab auch das Europarecht umfasst. Nicht zuletzt stellt sich im konkreten Fall des CanG die Frage, wie sich das Prüfungsrecht in Vertretungsfällen verhält. All diese Fragen bieten sich für Examensklausuren an und sind damit für die Ausbildung hochrelevant.

Auch, wenn die Argumente hinsichtlich einer drohenden Überlastung der Justiz nicht gänzlich von der Hand zu weisen sind; immerhin sind nun am Amtsgericht Köln die fünf zuständigen Richter voraussichtlich das ganze Jahr mit der Bearbeitung von Altfällen beschäftigt, die sich aus der Amnestie-Regelung ergeben (https://www.tagesschau.de/inland/cannabis-legalisierung-richter-justiz-100.html), ersetzt die Verfassung eben nicht die Politik. Angesichts der kurzen Zeit, die bis zum 1. April verbleibt, ist daher davon auszugehen das Bundesratspräsidentin Schwesig das CanG stellvertretend für den Bundespräsidenten ausfertigen wird und damit schon zeitnah die Legalisierung von Cannabis folgt.

26.03.2024/2 Kommentare/von Moritz Augel
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Moritz Augel https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Moritz Augel2024-03-26 13:33:592024-10-11 06:56:34Das Prüfungsrecht des Bundespräsidenten – und der Bundesratspräsidentin?
Gastautor

BGH zu der Verabredung zur Anstiftung zu einem Verbrechen gem. § 30 Abs. 2 Var. 3 Alt. 2 StGB

Aktuelles, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Startseite, Strafrecht, Strafrecht AT

Wir freuen uns einen Gastbeitrag von Christian Mildenberger LL.M. veröffentlichen zu können. Der Autor ist Rechtsreferendar am OLG Köln, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bonn sowie Lehrbeauftragter an der Fliedner Fachhochschule Düsseldorf.

Der Versuch der Beteiligung gemäß § 30 StGB kann in Prüfungssituationen schnell übersehen werden. Examenskandidaten sollten die Norm nicht nur deshalb im Blick behalten. Denn der BGH hat sich in einer aktuellen Entscheidung (v. 29.11.2023 – 6 StR 179/23) mit der Verabredung zur Verbrechensanstiftung gemäß § 30 Abs. 2 Var. 3 Alt. 2 StGB bei noch unbestimmtem Täter auseinandergesetzt und damit Anlass zur Behandlung dieser Konstellation und der einschlägigen Norm in mündlichen und schriftlichen Prüfungen geliefert. Es kann sich daher lohnen, sowohl die konkrete Fallkonstellation mit den entsprechenden Entscheidungsgründen des BGH zu studieren als auch die anderen Formen strafbarer Vorbereitungshandlungen und deren Voraussetzungen zu wiederholen.

I. Die Formen strafbarer Vorbereitungshandlungen nach § 30 StGB

Zum besseren Verständnis sollen zunächst Systematik der Norm sowie die wesentlichen Voraussetzungen der Varianten kurz dargestellt werden, bevor auf die konkrete Entscheidung des BGH eingegangen wird. Dem Versuch der Beteiligung gemäß § 30 StGB sind vier Tatvarianten immanent, wobei eine dem Abs. 1 und drei dem Abs. 2 zu entnehmen sind:

§ 30 StGB Versuch der Beteiligung

(1) Wer einen anderen zu bestimmen versucht, ein Verbrechen zu begehen oder zu ihm anzustiften, wird nach den Vorschriften über den Versuch des Verbrechens bestraft. Jedoch ist die Strafe nach § 49 Abs. 1 zu mildern. § 23 Abs. 3 gilt entsprechend.

(2) Ebenso wird bestraft, wer sich bereit erklärt, wer das Erbieten eines anderen annimmt oder wer mit einem anderen verabredet, ein Verbrechen zu begehen oder zu ihm anzustiften.

Es handelt sich bei allen Tatmodalitäten um Vorstufen zu einer Beteiligung an einem Verbrechen. Damit stellt § 30 StGB eine Ausnahme zur grundsätzlichen Straflosigkeit von Vorbereitungshandlungen zu Straftaten dar (daneben findet man Ausnahmen aber auch in einer Reihe von Vorschriften des besonderen Teils, vgl. dazu Engländer in: NK-StGB, 6. Aufl. 2023, § 22 StGB Rn. 4 f.).

1. Versuchte Anstiftung nach Abs. 1

§ 30 Abs. 1 StGB erfasst Fälle, in denen der Täter versucht, eine andere Person zur Begehung einer Tat zu bestimmen, dieser Anstiftungsversuch aber scheitert und damit eine Strafbarkeit nach § 26 StGB nicht in Betracht kommt. Entsprechend der allgemeinen Grundsätze für den Versuch muss die Handlung des Täters nach seiner Vorstellung unmittelbar auf das Hervorrufen des Tatentschlusses der anderen Person gerichtet sein (Kindhäuser/Zimmermann, Strafrecht Allgemeiner Teil, 11. Aufl. 2024, § 43 Rn. 6).

Bei der vorbereiteten Tat muss es sich – bezogen auf den präsumtiven Täter (st. Rspr. des BGH, vgl. NJW 1954, 1693; NStZ-RR 2017, 140, 141; a.A. Heine/Weißer in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. 2019, § 30 StGB Rn. 13) – um ein Verbrechen i.S.v. § 12 Abs. 1 StGB handeln. Aus welchen Gründen die Anstiftung erfolglos geblieben ist, hat für die Strafbarkeit nach § 30 Abs. 1 StGB grundsätzlich keine Relevanz. Eine mögliche und in Klausuren beliebte Fallgestaltung, bei der an die (anschließende) Prüfung der versuchten Anstiftung unbedingt gedacht werden sollte, ist der bereits fest zur Tat entschlossene Haupttäter (sog. omnimodo facturus).

Die versuchte Anstiftung darf nicht mit der Anstiftung zum Versuch verwechselt werden. In der zuletzt genannten Konstellation erreicht der Haupttäter das Versuchsstadium der Tat, sodass nicht davon gesprochen werden kann, dass die Anstiftung völlig gescheitert ist. Der Anstifter macht sich in diesem Fall wegen einer Anstiftung zum versuchten Delikt strafbar. Auf Konkurrenzebene ist zu bedenken, dass die Voraussetzungen der versuchten Anstiftung nach § 30 Abs. 1 StGB bei jeder Anstiftung zum vollendeten oder versuchten Verbrechen erfüllt sind. Kommt es also dazu, dass der Haupttäter das Versuchsstadium der Haupttat erreicht hat (bei Verbrechen ist der Versuch stets strafbar, §§ 22, 23 Abs. 1 StGB), tritt die versuchte Anstiftung insoweit subsidiär hinter der Anstiftung zum versuchten Delikt zurück. Der § 30 Abs. 1 StGB bedarf dann regelmäßig keiner Erörterung im Gutachten (Kindhäuser/Zimmermann, Strafrecht Allgemeiner Teil, 11. Aufl. 2024, § 43 Rn. 4).

2. Weitere Tatvarianten nach Abs. 2

Die strafbaren Vorbereitungshandlungen des § 30 Abs. 2 StGB sind das Sich-Bereiterklären (Abs. 2 Var. 1), das Annehmen eines Erbietens (Abs. 2 Var. 2) und die Verabredung (Abs. 2 Var. 3). Ebenso wie bei Abs. 1 ist Voraussetzung für alle Varianten, dass es sich bei der vorbereiteten Tat um ein Verbrechen handelt. Nach Ansicht des BGH ist § 30 Abs. 2 StGB jedenfalls für den Beteiligten anzuwenden, in dessen Person diese Voraussetzung erfüllt ist (BGH, NJW 1959, 777; Überblick zum dbzgl. Streitstand bei Joecks/Scheinfeld in: MüKoStGB, 4. Aufl. 2020, § 30 StGB Rn. 21).

a) Sich-Bereiterklären

Die Tatvariante des Sich-Bereiterklärens erfasst zwei Konstellationen. Tatbestandlich ist zum einen die Annahme einer Tataufforderung erfasst, wobei die Initiative vom Anstifter ausgeht, zum anderen unterfällt der Variante auch das Sich-Erbieten (vgl. BGHSt 6, 346 f.). In letztgenannter Konstellation erklärt sich ein Tatgeneigter gegenüber einem anderen, bei dem er von dessen Interesse an der Tat ausgeht, zur Begehung auf eigene Initiative bereit (vgl. Waßmer in: Anwaltkommentar StGB, 3. Aufl. 2020, § 30 StGB Rn. 31).

b) Annehmen eines Erbietens

Die zweite Variante stellt die Annahme des Erbietens eines anderen, ein Verbrechen zu begehen oder zu ihm anzustiften, unter Strafe. Es handelt sich damit um die spiegelbildliche Strafbarkeit des Sich-Bereiterklärens (Abs. 2 Var. 1) bei Initiative des Haupttäters. Voraussetzung ist sowohl ein Angebot als auch eine entsprechende Annahme. Durch letztere wird der zuvor „nur“ tatgeneigte Haupttäter zum Tatentschluss bewegt. Aus diesem Grund ist die Tatvariante zugleich ein Spezialfall der versuchten Anstiftung (Abs. 1) und daher lex specialis.

c) Verabredung

Die dritte Tatvariante ist im Grunde eine Vorbereitungshandlung zur Mittäterschaft i.S.v. § 25 Abs. 2 StGB oder zur gemeinsamen Anstiftung. Unter der Verabredung ist die ernstliche Übereinkunft von mindestens zwei Personen zu verstehen (BGH, NJW 2009, 1221; NStZ 2011, 570, 571) eine Tat mittäterschaftlich zu begehen (Var. 3 Alt. 1) oder einen anderen gemeinsam zu einer Tat anzustiften (Var. 3 Alt. 2). Dabei müssen die Personen zur Tat fest entschlossen sein; bloße Tatgeneigtheit genügt nicht (BGH, NStZ 2011, 570, 572: abzugrenzen ist die „Verbrechensfantasie von wirklichem verbrecherischen Willen“). Weitere Voraussetzung ist, dass die geplante Tat schon hinreichend konkretisiert ist. Dafür reicht es jedoch aus, wenn die Beteiligten sich über die wesentlichen Grundzüge einig sind; hingegen können Tatzeit, Tatort und Modalitäten der Ausführung im Einzelnen noch offen sein (BGH, NStZ 2007, 697; NStZ 2019, 655, 656).

II. Die Entscheidung des BGH

Mit der Variante der Verbrechensverabredung hatte sich der sechste Senat des BGH auseinanderzusetzen. Der Entscheidung (v. 29.11.2023 – 6 StR 179/23) lag folgender – hier verkürzt wiedergegebener – Sachverhalt zugrunde:

1. Sachverhalt

L suchte eine Person, die gegen Bezahlung bereit war, seinen ihm verhassten Nachbarn schwer zu verletzen, um ihn als Pflegefall aus dem Haus zu vertreiben. Er bevorzugte eine Brandstiftung, um eine Rückkehr des Nachbarn in dessen Haus sicher auszuschließen. L hielt es dabei auch für möglich, dass sein Nachbar unter Ausnutzung von dessen Arg- und Wehrlosigkeit getötet wird, was er billigend in Kauf nahm. L plante die Tat vor Weihnachten 2021, um einer drohenden Verhaftung aufgrund von Strafanzeigen des Nachbarn zuvorzukommen. Da er jedoch selbst keine Kontakte zu möglichen Tätern hatte, sprach er seinen Bekannten H an, um gemeinsam nach einem Täter zu suchen. H machte sich das Anliegen zu eigen und vermittelte drei potenzielle Täter. Nach einem Hinweis auf polizeiliche Kenntnisse der Tatplanung brach L die Bemühungen vorerst ab, behielt sich jedoch die Möglichkeit einer späteren Wiederaufnahme offen.

2.  Entscheidungsgründe

Vorweg ist anzumerken, dass der BGH in seinen Entscheidungsgründen nicht näher auf die Frage der Strafbarkeit von L und H wegen versuchter Anstiftung gemäß § 30 Abs. 1 StGB hinsichtlich der drei potenziellen Täter eingeht. Nach den Feststellungen der Vorinstanz hatten sie sich lediglich der allgemeinen Tatbereitschaft der angesprochenen Personen versichert. Daher haben sie nicht, was erforderlich wäre, unmittelbar auf die Bildung des Tatentschlusses bei den Anzustiftenden hingewirkt.

Der BGH bejaht für L und H jedoch das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen einer verabredeten Anstiftung i.S.v. § 30 Abs. 2 Var. 3 Alt. 2 StGB. Zur Begründung führt der Senat aus, dass in der Verabredung ausreichend Merkmale für ein konkret-individualisierbares Geschehen gesehen werden können. Dies sowohl für das Bestimmen eines präsumtiven Täters als auch für die von diesem zu begehende Haupttat. Dabei stellen die Entscheidungsgründe darauf ab, dass das Tatopfer, die Begehungsweise bei der Auswahl des späteren Täters, das Motiv der Haupttat und der Tatzeitraum – möglichst vor Weihnachten 2021 – im Wesentlichen feststanden. Dass zum Zeitpunkt der Verabredung der präsumtive Täter noch nicht feststand und es nicht einmal klar war, ob ein solcher überhaupt gefunden und bestimmt werden kann, ist nach Ansicht des Senats hingegen unerheblich. Zur Begründung führen die Richter den Zweck der zeitlichen Vorverlagerung der Strafbarkeit nach § 30 Abs. 2 StGB an. Weiter heißt es, dass L und H jedenfalls fest entschlossen waren, nach erfolgreicher Suche eine tatgeneigte Person anzustiften. Dem steht es auch nicht entgegen, dass die Art der Tatausführung dem präsumtiven Täter überlassen bleiben sollte, weil L und H aus Gleichgültigkeit mit jeder eintretenden Möglichkeit einverstanden waren, diese also billigend in Kauf genommen haben, so der BGH.

III. Einordnung der Entscheidung

Erstmals hatte sich der BGH damit auseinanderzusetzen, ob es der Verwirklichung des § 30 Abs. 2 Var. 3 Alt. 2 StGB entgegensteht, dass im Zeitpunkt der Übereinkunft die Person des präsumtiven Täters noch nicht feststeht. Die Bejahung dieser Frage mag einige Beobachter überrascht haben. Dennoch ist zu beachten, dass die anerkannten Kriterien des Tatbestandes nicht in Frage gestellt wurden. Es bleibt festzuhalten, dass die geplante Tat zumindest in ihren wesentlichen Grundzügen klar definiert sein muss. Anders ausgedrückt bedarf es einer hinreichenden Konkretisierung sowohl hinsichtlich des Bestimmens eines präsumtiven Täters als auch für die von diesem zu begehende Haupttat.

Das Urteil ist gleichwohl von Interesse, da es darauf hindeutet, dass der BGH vergleichsweise geringe Anforderungen an die Konkretisierung stellt und somit indirekt den Forderungen der Literatur nach einer restriktiveren Auslegung der Norm widerspricht (dazu ausführlich Becker, Der Strafgrund der Verbrechensverabredung gem. § 30 II Alt. 3 StGB, 2012; s. auch Eidam in: Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis, Wirtschaftsstrafrecht, § 30 StGB Rn. 1 m.w.N.).

Ähnlich gelagerte Fälle könnten im Examen als Prüfungsgegenstand auftreten, sei es in schriftlichen Klausuren oder der mündlichen Prüfung. Die Qualität der Lösungen der Prüflinge wird sich daran messen lassen müssen, inwieweit sie die relevanten Informationen des Sachverhalts umfassend erkennen und angemessen bewerten können. Dennoch sollten Examenskandidaten berücksichtigen, dass Praxisentscheidungen häufig in modifizierter Form geprüft werden und daher eine gründliche Analyse der Sachverhalte erforderlich ist, anstatt sich vorschnell auf vermeintlich bekannte Lösungsansätze zu verlassen. Angesichts des Urteils des BGH dürfte es durchaus vorzugswürdig sein, eine Strafbarkeit nach § 30 Abs. 2 StGB nicht allein daran scheitern zu lassen, dass zum Zeitpunkt der Vereinbarung die Person des präsumtiven Täters noch nicht feststeht – im Zweifel wird sich auch das jeweilige Justizprüfungsamt an dieser Ansicht orientieren. Dennoch sollte der Sachverhalt präzise darauf untersucht werden, ob die wesentlichen Grundzüge der geplanten Tat, wenn auch nicht zwangsläufig in allen Einzelheiten, bereits zu diesem Zeitpunkt festgelegt waren.

18.03.2024/3 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2024-03-18 07:20:092024-04-17 10:19:48BGH zu der Verabredung zur Anstiftung zu einem Verbrechen gem. § 30 Abs. 2 Var. 3 Alt. 2 StGB
Alexandra Ritter

Die europäischen Grundfreiheiten

Aktuelles, Europarecht, Europarecht Klassiker, Examensvorbereitung, Fallbearbeitung und Methodik, Lerntipps, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Startseite, Uncategorized, Verschiedenes

Der Beitrag befasst sich mit den Grundlagen zur Prüfung der europäischen Grundfreiheiten. Die Verfasserin bedankt sich bei Herrn Sören Hemmer für hilfreiche Anregungen und Ergänzungen zum Inhalt des Beitrags.

Wenn es um die Prüfung von Europarecht im ersten Staatsexamen geht, sind viele Kandidaten unsicher – denn der Materie wird in Studium und Repetitorium häufig nicht die gebührende Zeit im Lehr- und Lernplan eingeräumt. Dabei sind europarechtliche Klausuren im ersten Staatsexamen längst keine Seltenheit mehr. Dieser Beitrag ist daher einer unionsrechtlichen Thematik gewidmet, die in verschiedenen Einkleidungen in einer Klausur auftauchen kann: Es geht um die europäischen Grundfreiheiten. Welche Grundfreiheiten gibt es? Welche Bedeutung haben sie? Wie werden sie geprüft? Und: Wie sehen Klausurkonstellationen aus? All dies soll im Folgenden dargestellt und erläutert werden, um so zu einem grundlegenden Verständnis der Grundfreiheiten beizutragen, damit die Examensklausur im Ernstfall gemeistert werden kann. (Wer nur eine kurze Auffrischung benötigt, wird auch hier fündig.)

I. Welche Grundfreiheiten gibt es?

Die folgenden Definitionen sind der Darstellung bei Sauer, JuS 2017, 310, 314 entnommen.

Warenverkehrsfreiheit Art. 34 AEUV

Ware ist jeder körperliche Gegenstand, der einen Marktwert hat und Gegenstand eines Handelsgeschäfts sein kann Die Ware muss aus der Union stammen oder sich im freien Verkehr befinden, Art. 28 Abs. 2 AEUV.

Arbeitnehmerfreizügigkeit Art. 45 AEUV

Arbeitnehmer ist jeder Unionsbürger (Art. 20 Abs. 1 AEUV), der unselbstständig gegen Entgelt eine wirtschaftlich verwertbare Tätigkeit verrichtet.

Niederlassungsfreiheit Art. 49 AEUV

Eine Niederlassung ist anzunehmen, wenn jemand durch eine feste Basis dauerhaft am Wirtschaftsleben eines anderen Mitgliedstaats teilnimmt.

Dienstleistungsfreiheit Art. 56 AEUV

Dienstleistungen sind gegen Entgelt selbstständig erbrachte Leistungen, soweit sie von keiner anderen Grundfreiheit erfasst werden.

Kapitalverkehrsfreiheit Art. 63 AEUV

Unter den Kapital- und Zahlungsverkehr fällt der grenzüberschreitende Verkehr mit Sach- und Geldkapital zu Anlagezwecken – diese Grundfreiheit wird wegen ihrer sehr geringen Prüfungsrelevanz (Sauer, JuS 2017, 310, 314) im Nachfolgenden „ausgeblendet“ (s. aber Ruffert/Grischek/Schramm, JuS 2021, 407, 412).

II. Welche Bedeutung haben die Grundfreiheiten?

Die europäischen Grundfreiheiten sind ein wesentlicher Bestandteil des europäischen Binnenmarkts (Sauer, JuS 2017, 310, 311). Durch sie können Behinderungen des gemeinsamen Binnenmarktes durch Regelungen der einzelnen Mitgliedstaaten verhindert werden, indem sie einen Ausgleich zwischen den Interessen der Mitgliedstaaten und der Union ermöglichen (Ruffert/Grischek/Schramm, JuS 2021, 407) – sie haben eine sogenannte negative Integrationsfunktion (Sauer, JuS 2017, 310, 312). Während die Grundfreiheiten ursprünglich eher den Charakter von Diskriminierungsverboten innehatten, wurde sie durch die Rechtsprechung des EuGH immer mehr zu Beschränkungsverboten ausgebaut (hierzu ausführlich Sauer, JuS 2017, 310).

1. Wer kann sich auf Grundfreiheiten berufen?

Die Grundfreiheiten sie sind (auch) subjektive Rechte, auf die sich der einzelne unionsweit unmittelbar berufen kann (Sauer, JuS 2017, 310, 311). Allerdings muss der Sachverhalt einen grenzüberschreitenden Bezug aufweisen – auf ausschließlich inländische Sachverhalte sind die Grundfreiheiten nicht anwendbar (Bieber, Die Europäische Union, 15. Aufl. 2023, S. 340; zu den

2. Wer ist Adressat der Grundfreiheiten?

Adressaten der Grundfreiheiten sind zunächst die Mitgliedstaaten und damit sämtliche ihrer jeweiligen staatlichen Stellen (Sauer, JuS 2017, 310, 314). Aber auch die Unionsorgane, Einrichtungen und sonstige Stellen der EU sind den Grundfreiheiten verpflichtet (Streinz/W. Schroeder, 3. Aufl. 2018, Art. 34 AEUVRn. 29). Nur in Einzelfällen hat der EuGH auch eine „Drittwirkung“ der Grundfreiheiten in Privatrechtsverhältnisse anerkannt, z.B. bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit gem. Art. 45 AEUV bei mächtigen Wirtschafts-, Gewerkschafts- oder Sportverbänden (Sauer, 2017, 310, 314 m.N. der EuGH-Rechtsprechung).

III. Wie werden die Grundfreiheiten geprüft?

Die Prüfung der Grundfreiheiten ähnelt der Prüfung der Freiheitsgrundrechte des Grundgesetzes, d.h, es wird zunächst geprüft ob die jeweilige Grundfreiheit einschlägig ist (Anwendungsbereich ähnlich zum Schutzbereich), sodann ob eine Beschränkung vorliegt (ähnlich zum Eingriff) und zuletzt, ob die Beschränkung gerechtfertigt ist.

Zum Verständnis der Systematik bei der Prüfung der Grundfreiheiten, sind vorweg jedoch noch einige Erläuterungen anzubringen. Im Kern geht es darum, dass die übergeordnete Prüfsystematik sich stark aus der Rechtsprechung des EuGH zur Warenverkehrsfreiheit entwickelt hat und diese dann auf andere Grundfreiheiten übertragen wurde. Daher wird zunächst die Entwicklung dieser Rechtsprechung anhand der wegweisenden Entscheidungen nachgezeichnet und danach das sich daraus ergebende Prüfungsschema erläutert.

1. Die Rechtsprechung des EuGH zur Warenverkehrsfreiheit

Die maßgeblichen Entscheidungen, die die Prüfung der Grundfreiheiten vorgeben, sind die in den Rechtssachen Dassonville (EuGH, Urt. v. 11.6.1975 – Rs. 8/74), Keck (EuGH, Urt. v. 24.11.1993 – Rs. C-267/91, Rs. C-268/91) und Cassis de Dijon (EuGH, Urt. v. 20.2.1979 – Rs. 120/78).

a) Dassonville

Ausgangspunkt der Entscheidung in der Rechtssache Dassonville ist Art. 34 AEUV, der mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedstaaten verbietet (die Rechtfertigungsmöglichkeiten nennt Art. 36 AEUV). Der EuGH definierte die „Maßnahmen gleicher Wirkung“ in seiner Entscheidung wie folgt:

„Jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern […].“ (EuGH, Urt. v. 11.6.1975 – Rs. 8/74, Ls. 1)

Damit sind auch Maßnahmen erfasst, die nur potenziell, also nur möglicherweise den freien Waren- oder Personenverkehr behindern, was eine Ausweitung der Warenverkehrsfreiheit und der übrigen Grundfreiheiten zu umfassenden Beschränkungsverboten bewirkt hat (Sauer, JuS 2017, 310, 312).

b) Keck

Den nunmehr sehr weit geratenen Anwendungsbereich der Grundfreiheiten hat der EuGH später durch seine Entscheidung in der Rechtssache Keck etwas korrigiert. In dieser Entscheidung führte der EuGH die Unterscheidung zwischen Beschränkungen beim Marktzutritt und Beschränkungen nach Marktzutritt (Synonym werden die Begriffe produkts- und vertriebsbezogene Beschränkung verwendet) ein. Erstere, also Beschränkungen bei Markzutritt fallen immer unter die Dassonville-Rechtsprechung, d.h. es genügt eine potenzielle Behinderung, um eine rechtfertigungsbedürftige Beschränkung anzunehmen. Anders aber bei den Beschränkungen nach Markzutritt. Hier besteht ein geringeres Schutzbedürfnis, sodass kein umfassendes Beschränkungsverbot notwendig ist (Sauer, JuS 2017, 310, 313). Vielmehr kommt der ursprüngliche Charakter der Grundfreiheiten als Diskriminierungsverbote zum Tragen, denn eine rechtfertigungsbedürftige Beschränkung liegt nur dann vor, wenn die Regelung ausländische Waren aufgrund der Herkunft diskriminiert (EuGH, Urt. v. 24.11.1993 – Rs. C-267/91, Rs. C-268/91 Rn. 16).

Achtung: In neuerer Rechtsprechung wird teilweise von einem „Drei-Stufen-Test“ (EuGH, Urt. v. 10.2.2009 – C-110/05) gesprochen. Dabei wird auf der ersten Stufe danach gefragt, ob die Maßnahme des Mitgliedstaates bezweckt oder bewirkt, dass Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten weniger günstig behandelt werden; auf der zweiten Stufe danach, ob Hemmnisse für den freien Warenverkehr bestehen, die sich in Ermangelung einer Harmonisierung der Rechtsvorschriften daraus ergeben, dass Waren aus anderen Mitgliedstaaten, die dort rechtmäßig hergestellt und in den Verkehr gebracht worden sind, bestimmten Vorschriften entsprechen müssen, selbst dann, wenn diese Vorschriften unterschiedslos für alle Erzeugnisse gelten; und auf der dritten Stufe danach, ob durch die Maßnahme der Zugang zum Markt eines Mitgliedstaats für Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten behindert wird (Grabitz/Hilf/Nettesheim/Leible/T. Streinz, 80. EL 2023, Art. 34 AEUV Rn. 85). Beide Ansätze führen in den meisten Fällen zu demselben Ergebnis. Für die Klausur ist es daher ratsam, beide Ansätze darzustellen, es im Ergebnis jedoch offenzulassen, welche Formel vorzugswürdig ist (s.  zum „Drei-Stufen-Test“ auch Ruffert/Grischek/Schramm, JuS 2021, 407, 408).

c) Cassis de Dijon

Mit der Dassonville-Entscheidung ist nicht nur der Anwendungsbereich zu weit geraten, sondern auch die vorgesehenen Rechtfertigungsmöglichkeiten (Art. 36, 45 Abs. 3, 52 und 62 AEUV) passten nicht mehr zu dem weiten Beschränkungsbegriff. Darauf hat der EuGH in der Entscheidung zur Rechtssache Cassis de Dijon reagiert, indem er ungeschriebene Rechtfertigungsgründe anerkannt hat, nämlich sog. zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses. Dabei handelt es sich um einen offenen Katalog, d.h. die Mitgliedstaaten können (nicht wirtschaftliche) Gemeinwohlbelange vortragen, die ihres Erachtens nach unter diese Erfordernisse des Allgemeininteresses fallen, ohne dass dieser spezifische Grund schon in der Rechtsprechung anerkannt sein muss (Sauer, JuS 2017, 310, 313). Diese Gemeinwohlbelange sind dann im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung mit den Belangen der jeweiligen Grundfreiheit abzuwägen.

Diese ungeschriebenen Rechtfertigungsgründe können jedoch nicht bei einer unmittelbaren Diskriminierung herangezogen werden – für diese Fälle bleibt es bei den geschriebenen Rechtfertigungsgründen (Streinz, Europarecht, 12. Aufl. 2023, Rn. 933). Ungeklärt ist jedoch bislang, ob die Erfordernisse des Allgemeinwohls zur Rechtfertigung einer Beschränkung der Grundfreiheiten durch mittelbare Diskriminierung herangezogen werden können. Die Rechtsprechung des EuGH ist hier uneinheitlich (s. Calliess/Ruffert/Kingreen, 6. Aufl. 2022, Art. 34-36 AEUV Rn. 84). Dafür spricht aber, dass es im Einzelfall schwierig sein kann zu ermitteln, ob eine mittelbare Diskriminierung oder eine den Marktzutritt beschränkende Regelung ohne Diskriminierung vorliegt und dazu eine häufig subjektiv ausfallende Wertung erforderlich ist (Sauer, JuS 2017, 310, 313).

Alle drei Entscheidungen werden mit Sachverhalt kompakt dargestellt bei Ruffert/Grischek/Schramm, JuS 2021, 407, 409 f.

2. Das Prüfungsschema

Das sich aus alledem ergebende Prüfungsschema ordnet sich wie folgt (zugrunde gelegt wurde die Darstellung bei Sauer, JuS 2017, 310, 314 f.):

1. Tatbestand

a) Anwendbarkeit (kein lex specialis im Unionsrecht)

Durch ihre negative Integrationsfunktion sind die Grundfreiheiten nur anwendbar, wenn kein sekundäres Unionsrecht in demselben Fall anwendbar ist.

b) Anwendungsbereich

Hier muss unter die Definition der jeweiligen Grundfreiheit subsumiert werden.

c) ggf. Abgrenzung andere Grundfreiheiten

Gerade die Dienstleistungsfreiheit muss von den anderen Grundfreiheiten abgegrenzt werden, da sie nur Anwendung findet, wenn keine andere Grundfreiheit einschlägig ist.

d) Staatliche Maßnahme

Geht die Maßnahme von einem der Adressaten der Grundfreiheiten aus? Wenn sie von einem privaten Akteur ausgeht, muss geprüft werden, ob sie einem Adressaten der Grundfreiheiten zugerechnet werden kann.

e) Grenzüberschreitender Bezug

Ausschließlich inländische Sachverhalte bieten keinen Anwendungsbereich für die Grundfreiheiten.

f) ggf. Bereichsausnahme

Im Falle der geregelten Bereichsausnahmen ist die jeweilige Grundfreiheit nicht anwendbar, s. Art. 45 Abs. 4, 51, 62 AEUV.

2. Beschränkung

Der Prüfungsaufbau unterscheidet sich danach, ob die Warenverkehrsfreiheit oder eine andere Grundfreiheit betroffen ist, da der Einstieg über die Dassonville-Rechtsprechung an den Wortlaut von Art. 34 AEUV anknüpft.

a) Für die Warenverkehrsfreiheit

aa) Mengenmäßige Einfuhrbeschränkung oder Maßnahme gleicher Wirkung?

Liegt eine Beschränkung i.S.d. Dassonville-Rechtsprechung vor? Eine Mengenmäßige Einfuhrbeschränkung wird im Klausurfall kaum vorliegen (Sauer, JuS 2017, 310, 314).

bb) Anwendung der Keck-Rechtsprechung

Unterscheidung zwischen Beschränkung bei Markzutritt und nach Marktzutritt, wobei letztere nur bei einer Diskriminierung wegen der Herkunft tatbestandsmäßig ist.

cc) Anwendung der Drei-Stufen-Rechtsprechung

Eine Maßnahme bezweckt oder bewirkt Erzeugnisse aus anderen Mitgliedsstaaten weniger günstig zu behandeln (1), stellt Hemmnisse für den freien Warenverkehr dar, die sich in Ermangelung einer Harmonisierung der Rechtsvorschriften daraus ergeben, dass Waren aus anderen Mitgliedsstaaten, die dort rechtmäßig hergestellt und in den Verkehr gebracht worden sind, bestimmten Vorschriften entsprechen müssen, selbst dann, wenn diese Vorschriften unterschiedslos für alle Erzeugnisse gelten (2) oder behindert den Zugang zum Markt eines Mitgliedsstaats (3) (EuGH, Urt. v. 10.2.2009 – Rs. C-100/05 Rn. 35, 37).

b) Bei anderen Grundfreiheiten

aa) Liegt eine Beschränkung durch Diskriminierung wegen der Herkunft vor?

Wenn (+): ausdrücklich feststellen, dass es eines Rückgriffs auf die Keck-Rechtsprechung nicht Bedarf

bb) Wenn keine Diskriminierung vorliegt: Anwendung der Keck-Rechtsprechung

Liegt eine diskriminierungsfreie Maßnahme vor, die den Marktzutritt betrifft, sodass auch ohne Diskriminierung eine Beeinträchtigung vorliegt?

3. Rechtfertigung

a) Schranken

Die Grundfreiheiten sind nicht vorbehaltslos gewährleistet, sodass Beschränkungen ggf. gerechtfertigt sein können.

aa) Geschriebene Schranken

Zunächst ist auf die jeweiligen geschriebenen Schranken einzugehen, welche eng auszulegen sind (Calliess/Ruffert/Kingreen, 6. Aufl. 2022, Rn. 78): Art. 36, 45 Abs. 3, 52 Abs. 1 AEUV (letzterer ggf. i.V.m. Art. 62 AEUV)

bb) Kollidierendes Primärrecht

Schranken können sich auch aus anderem Unionsrecht ergeben, wenn es sich um Normen handelt kollidierende Allgemein- und Individualinteressen schützen. Gemeint sind Normen, „die aufgrund ihrer dogmatischen Struktur als Befugnisnormen für Eingriffe taugen“ (Calliess/Ruffert/Kingreen, 6. Aufl. 2022, Art. 34-36 AEUV Rn. 79). Dazu zählen u.a. die Unionsgrundrechte (Calliess/Ruffert/Kingreen, 6. Aufl. 2022, Art. 34-36 AEUV Rn. 79). Auf den Schutz der Grundrechte der Mitgliedstaaten kann als Rechtfertigungsgrund nur abgestellt werden, wenn es eine parallele Gewährleistung im Unionsrechts gibt und ein angemessener Ausgleich zwischen grundfreiheitlich und grundrechtlich geschütztem Rechtsgut gewährleistet ist (Sauer, JuS 2017, 310, 314). Es ist daher vorzugswürdig auf die Unionsgrundrechte abzustellen (vgl. Calliess/Ruffert/Kingreen, 6. Aufl. 2022, Art. 34-36 AEUV Rn. 81). Zudem können die Grundrechte aus der EMRK herangezogen werden, Art. 6 Abs. 3 EUV, Art. 52 Abs. 3 GRCh.

cc) Ungeschriebene Schranken (Cassis de Dijon)

Bei Beschränkungen ohne Diskriminierung kann auf ungeschriebene Rechtfertigungsgründe rekurriert werden, nämlich auf die zwingenden Erfordernisse des Allgemeininteresses. Bei mittelbaren Diskriminierungen bedarf es zumindest einer Argumentation (s. oben unter III.1.c)) bevor auf ungeschriebene Schranken zurückgegriffen werden darf.

c) Schranken-Schranke

Wie aus der Grundrechtsdogmatik bekannt sind auch Beschränkungen von Grundfreiheiten einer Verhältnismäßigkeitskontrolle zu unterziehen, wobei auf die bekannte Prüfung Legitimer Zweck (1), Geeignetheit (2), Erforderlichkeit (3) und Angemessenheit (4) zurückgegriffen werden kann (Sauer, JuS 2017, 310, 315). Vom EuGH selbst wird die Prüfung nur auf den ersten drei Stufen (legitimer Zweck, Geeignetheit, Erforderlichkeit) durchgeführt – in der deutschen Rechtsordnung wird jedoch die bekannte vierstufige Prüfung bevorzugt, sodass diese in der Klausur auch angewendet werden kann (Ruffert/Grischek/Schramm, JuS 2021, 407, 410 f.). Auch hier können die Unionsgrundrechte ins Spiel kommen, indem sie in die Abwägung einzubeziehen sind. Sie haben dann nicht wie oben die Funktion als Rechtfertigungsgrund, sondern eben als Schranken-Schranke (Calliess/Ruffert/Kingreen, 6. Aufl. 2022, Art. 34-36 AEUV Rn. 101, der auch auf zunehmende Kritik des Schrifttums hieran mit Blick auf Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh hinweist).

IV. Klausurkonstellationen

In Klausuren kann die Prüfung von Grundfreiheiten unterschiedlich eingekleidet sein. Möglich ist, dass lediglich materiell geprüft wird, d.h. lediglich die Frage gestellt ist, ob eine Maßnahme einen Verstoß gegen die Grundfreiheiten begründet.

Diese materielle Frage kann aber auch prozessual eingekleidet sein. Zum einen durch nationales Prozessrecht, bspw. wenn ein Bürger sich durch eine Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt wehrt, weil er der Meinung ist, der Verwaltungsakt verstoße gegen eine Grundfreiheit. Bei Erledigung kann dieselbe Fragestellung dann in eine Fortsetzungsfeststellungsklage eingebettet sein.

Darüber hinaus ist eine Einkleidung in die Verfahren vor den europäischen Gerichten möglich (s. hierzu die Beiträge zu den Verfahren vor den Europäischen Gerichten Teil 1 und Teil 2). Bspw. kann die Kommission im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens die Verletzung von Grundfreiheiten durch einen Mitgliedstaat geltend machen oder es ist im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens herauszufinden, ob die Grundfreiheiten so auszulegen sind, dass eine Norm eines Mitgliedstaats damit nicht in Einklang steht. Denkbar ist auch eine Nichtigkeitsklage gegen einen Sekundärrechtsakt. Die möglichen Klausurkonstellationen sind also vielgestaltig (s. dazu auch Sauer, JuS 2017, 310, 315 f.). Mit einem grundlegenden Verständnis der hier vorgestellten Prüfungssystematik der Grundfreiheiten sollte aber dennoch eine überzeugende Prüfung gelingen!

06.03.2024/von Alexandra Ritter
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Alexandra Ritter https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Alexandra Ritter2024-03-06 09:00:002024-04-17 10:20:27Die europäischen Grundfreiheiten
Seite 1 von 212

Über Juraexamen.info e.V.

Deine Online-Zeitschrift für Jurastudium, Staatsexamen und Referendariat.

Wir sind ein gemeinnütziger Verein aus Bonn und auf Eure Unterstützung angewiesen, sei es als Mitglied oder durch Gastbeiträge. Über Zusendungen und Nachrichten freuen wir uns daher sehr!

Werbung

Anzeige

Neueste Beiträge

  • Gedächtnisprotokoll Öffentliches Recht I April 2025 NRW
  • Gedächtnisprotokoll Zivilrecht I April 2025 NRW
  • Gedächtnisprotokoll Strafrecht April 2025 NRW

Weitere Artikel

Auch diese Artikel könnten für dich interessant sein.

Monika Krizic

Sittenwidrig günstige Miete?

BGB AT, Mietrecht, Rechtsprechung, Schuldrecht, Uncategorized, Zivilrecht, Zivilrecht

§§ 138, 166, 242 BGB – all dies sind Normen, welche Jurastudierende bereits in den ersten Semestern kennenlernen. Umso bedeutender sind sie, wenn sich der BGH (BGH, Urt. v. 26.03.2025 […]

Weiterlesen
29.04.2025/0 Kommentare/von Monika Krizic
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Monika Krizic https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Monika Krizic2025-04-29 13:42:562025-04-29 15:13:04Sittenwidrig günstige Miete?
Marie-Lou Merhi

Die Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage – ein Grundlagenbeitrag

Aktuelles, Baurecht, Karteikarten, Öffentliches Recht, Öffentliches Recht, Polizei- und Ordnungsrecht, Uncategorized, Verschiedenes

Die Fortsetzungsfeststellungsklage gehört zu den Klassikern im öffentlichen Recht. Insbesondere im Polizei- und Ordnungsrecht hat sie große Relevanz, da polizeiliche Maßnahmen ihrer Natur nach auf kurze Zeit angelegt sind und […]

Weiterlesen
28.03.2025/0 Kommentare/von Marie-Lou Merhi
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Marie-Lou Merhi https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Marie-Lou Merhi2025-03-28 08:01:442025-05-12 13:52:59Die Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage – ein Grundlagenbeitrag
Gastautor

„Hausbau auf fremden Grund“ – Verwendungsersatzanspruch aus EBV unter Berücksichtigung der Rechtsprechungsänderung des BGH

Aktuelles, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Sachenrecht, Schon gelesen?, Startseite, Uncategorized, Zivilrecht, Zivilrecht

Die Frage nach dem Verwendungsersatz beim „Hausbau auf fremdem Grund“ ist ein Klassiker des EBV in der juristischen Ausbildung und bildet gemeinsam mit der diesbezüglichen Rechtsprechungsänderung des BGH (Urt. v. […]

Weiterlesen
18.03.2025/0 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2025-03-18 09:00:002025-03-19 11:19:39„Hausbau auf fremden Grund“ – Verwendungsersatzanspruch aus EBV unter Berücksichtigung der Rechtsprechungsänderung des BGH

Mitmachen

Du hast Lust, Autor bei uns zu werden? Wir freuen uns!

Mitmachen

  • Über JE
  • Das Team
  • Spendenprojekt
  • Gastautor werden
  • Mitglied werden
  • Alumni
  • Häufige Fragen
  • Impressum
  • Kontakt
  • Datenschutz

© juraexamen.info e.V.

Nach oben scrollen Nach oben scrollen Nach oben scrollen