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Schlagwortarchiv für: § 355 BGB

Carlo Pöschke

Alles auf Anfang: (Doch) kein Verbraucherwiderrufsrecht des Bürgen

Examensvorbereitung, Kreditsicherung, Lerntipps, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Schuldrecht, Startseite, Verbraucherschutzrecht, Zivilrecht

Mit Urteil vom 22.09.2020 (Az.: XI ZR 219/19, BeckRS 2020, 27470) hat der BGH entschieden, dass einem Bürgen kein Widerrufsrecht gemäß §§ 355 Abs. 1, 312g Abs. 1, 312 Abs. 1, 312b Abs. 1 BGB zusteht. Die Frage der Widerruflichkeit von Bürgschaftserklärungen ist seit jeher zwischen Rechtsprechung und Literatur hoch umstritten. Mit seinem aktuellen Urteil haben die Karlsruher Richter nun zum zweiten Mal eine Hundertachtzig-Grad-Wende hingelegt: 1991 hat der BGH die Widerruflichkeit einer Bürgschaftserklärung zunächst abgelehnt, da eine Bürgschaft kein auf eine entgeltliche Leistung gerichteter Vertrag i.S.d. § 1 Abs. 1 des damals geltenden Haustürwiderrufsgesetzes darstelle (BGH NJW 1991, 2905). Diese Rechtsprechung hat der BGH später mit Blick auf die Haustürgeschäfterichtlinie 85/577/EWG, die eine Beschränkung auf entgeltliche Verträge nicht vorsah, und Erwägungsgrund 1 der Präambel, wonach auch einseitige Verpflichtungserklärungen erfasst werden sollten, korrigiert. Im Anschluss an den EuGH (NJW 1998, 1295) forderte der BGH jedoch zunächst das Vorliegen einer sog. „doppelten Haustürsituation“ (NJW 1998, 2356). Die Literatur hat das doppelte Haustürgeschäftserfordernis zu Recht massiv kritisiert: Denn die Schutzbedürftigkeit des Bürgen hängt nicht von der Lage des Hauptschuldners bei dessen Vertragsschluss ab. In der Folge gab der BGH auch das doppelte Haustürgeschäftserfordernis auf (NJW 2006, 845). Mit seiner Entscheidung vom 22.09.2020 hat der BGH nun alles wieder auf Anfang gesetzt: Mangels Eröffnung des persönlichen Anwendungsbereichs des § 312 Abs. 1 BGB können Bürgschaftserklärungen nicht nach Verbraucherwiderrufsrecht widerrufen werden.
„How puzzling all these changes are!” schrieb bereits Lewis Caroll in dem 1865 erstmals erschienen weltberühmten Kinderbuch Alice’s Adventures in Wonderland. Dass diese zickzack verlaufende rechtliche Entwicklung für den ein anderen oder anderen „verwirrend“ sein mag, werden auch die Justizprüfungsämter erkennen. Insbesondere weil sowohl Bürgschafts- als auch Verbraucherwiderrufsrecht beliebte Examensthemen sind, ist es nur eine Frage der Zeit, wann diese Entscheidung auch im Examen geprüft wird.
 
A. Sachverhalt (vereinfacht und leicht abgewandelt)
Die G-Bank (im Folgenden: G) hat der S-GmbH (im Folgenden: S) ein Darlehen über 100.000 € gewährt. B war geschäftsführender Alleingesellschafter der S und übernahm zugunsten der G eine selbstschuldnerische Bürgschaft, die sämtliche Aspekte aus dem Kreditvertrag sicherte. Die Bürgschaftserklärung unterzeichnete B in Anwesenheit eines Mitarbeiters der G am 22.12.2015 in den Geschäftsräumen der S. Über ein Widerrufsrecht wurde er nicht belehrt. Nachdem ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Hauptschuldnerin gestellt worden war, kündigte die G wirksam mit Schreiben vom 26.04.2016 den Darlehensvertrag fristlos und stellte die 100.000 € zur Rückzahlung fällig. B wiederum widerrief seine auf den Abschluss des Bürgschaftsvertrags gerichtete Willenserklärung mit Schreiben vom 21.09.2016.
Die G fordert B zur Zahlung von 100.000 € auf. Zu Recht?
 
B. Gutachterliche Falllösung
Der G könnte gegen den B ein Anspruch auf Zahlung von 100.000 € aus einem wirksamen Bürgschaftsvertrag (§ 765 Abs. 1 BGB i.V.m. § 488 Abs. 1 S. 1 BGB) zustehen.
 
I. Anspruch entstanden
Dann müsste ein solcher Anspruch zunächst entstanden sein. Dies setzt aufgrund der Akzessorietät der Bürgschaft (§ 767 Abs. 1 S. 1 BGB) neben dem Abschluss eines wirksamen Bürgschaftsvertrags auch den Bestand der Hauptverbindlichkeit voraus.
 
1. Wirksamer Bürgschaftsvertrag
G und B müssten einen Bürgschaftsvertrag geschlossen haben. Ein Vertrag besteht aus zwei übereinstimmenden, in Bezug aufeinander abgegebenen Willenserklärungen, namentlich Angebot und Annahme. Vorliegend ist in dem Unterzeichnen der Bürgschaftserklärung ein Angebot des B auf Abschluss des Vertrags zu sehen. Dabei wurde auch das Schriftformerfordernis des § 766 S. 1 i.V.m. § 126 Abs. 1 BGB eingehalten, sodass die Willenserklärung des B nicht nach § 125 S. 1 BGB nichtig ist. Schließlich hat die G das Angebot des B jedenfalls konkludent angenommen. Somit wurde zwischen B und G ein wirksamer Bürgschaftsvertrag geschlossen.
 
2. Bestand der Hauptverbindlichkeit
Darüber hinaus müsste die G eine wirksame Hauptverbindlichkeit gegen die S haben. G und S haben einen Darlehensvertrag (§ 488 Abs. 1 BGB) über 100.000 € geschlossen, an dessen Wirksamkeit mangels entgegenstehender Angaben im Sachverhalt keine Zweifel bestehen. Diesen Darlehensvertrag hat die G durch fristlose Kündigung gem. § 490 Abs. 1 BGB fällig gestellt. Es besteht eine Hauptverbindlichkeit aus dem Darlehensvertrag.
 
3. Zwischenergebnis
Der Anspruch der G gegen den B auf Zahlung von 100.000 € ist entstanden.
 
II. Anspruch nicht erloschen
Der Anspruch könnte jedoch durch wirksamen Widerruf gem. §§ 355 Abs. 1 S. 1 BGB mit ex nunc-Wirkung erloschen sein. Dazu müsste dem B ein Widerrufsrecht zustehen, welches er fristgerecht ausgeübt hat.
 
1. Bestehen eines Widerrufsrechts
Zu prüfen ist somit zunächst, ob dem B ein Widerrufsrecht zusteht. Im vorliegenden Fall könnte sich ein gesetzliches Widerrufsrecht aus §§ 312g Abs. 1, 312b Abs. 1 BGB ergeben. Das Bestehen eines Widerrufsrechts setzt zunächst voraus, dass dessen Anwendungsbereich eröffnet ist.
 
a) Persönlicher Anwendungsbereich, § 312 Abs. 1 BGB
In persönlicher Hinsicht erfasst § 312 Abs. 1 BGB Verbraucherverträge i.S.d. § 310 Abs. 3 BGB.
Nach der Legaldefinition des § 310 Abs. 3 BGB sind unter Verbraucherverträgen Verträge zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher zu verstehen.
Die G handelte bei Abschluss des Bürgschaftsvertrags in Ausübung ihrer gewerblichen Tätigkeit und damit als Unternehmerin i.S.d. § 14 BGB.
Fraglich ist indes, ob auch B als Verbraucher zu qualifizieren ist. Nach der Legaldefinition des § 13 BGB ist Verbraucher jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu Zwecken abschließt, die überwiegend weder ihrer gewerblichen noch ihrer beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können. Dies ist vorliegend insoweit zweifelhaft, als dass B geschäftsführender Alleingesellschafter der S ist. Es ist daher davon auszugehen, dass B den Bürgschaftsvertrag nur eingegangen ist, um sicherzustellen, dass die G „seiner“ S-GmbH das Darlehen gewährt. Es könnte daher argumentiert werden, dass der Bürgschaftsvertrag der selbständigen Tätigkeit des B zuzurechnen ist. Dagegen spricht jedoch, dass die Verwaltung eigenen Vermögens, wozu auch das Halten eines GmbH-Anteils gehört, grds. keine gewerbliche Tätigkeit darstellt. Dies gilt selbst dann, wenn die Person geschäftsführender Alleingesellschafter der GmbH ist. Das Motiv der Bürgschaftsübernahme, durch Übernahme der persönlichen Haftung für die Rückzahlung des Darlehens den Fortbestand des Unternehmens und die eigene wirtschaftliche Existenzgrundlage zu sichern, ist dabei unerheblich (BGH NJW 2006, 431; OLG Hamburg WM 2020, 1066; MüKo-BGB/Micklitz, 8. Aufl. 2018, § 13 Rn. 57 m.w.N.). V handelte als Verbraucher, sodass der Bürgschaftsvertrag als Verbrauchervertrag zu qualifizieren ist und der persönliche Anwendungsbereich nach § 312 Abs. 1 BGB eröffnet ist.
 
b) Sachlicher Anwendungsbereich
In sachlicher Hinsicht verlangt § 312 Abs. 1 BGB – anders als noch § 312 Abs. 1 S. 1 BGB a.F. –, dass der Verbrauchervertrag eine entgeltliche Leistung des Unternehmers zum Gegenstand hat. Erforderlich ist, dass der Unternehmer aufgrund eines Verbrauchervertrages die vertragscharakteristische Leistung zu erbringen hat.
 
aa) Enges Verständnis des Wortlauts des § 312 Abs. 1 BGB
Bei einem Bürgschaftsvertrag handelt es sich um einen einseitig den Bürgen verpflichtenden Vertrag. Eine entgeltliche Leistung des Verbrauchers fällt ihrem eindeutigen Wortlaut nach jedoch nicht unter die Vorschrift des § 312 Abs. 1 BGB. Legt man dieses enge Verständnis des Wortlauts des § 312 Abs. 1 BGB an, bestünde mangels Eröffnung des persönlichen Anwendungsbereichs gem. § 312 Abs. 1 BGB kein Widerrufsrecht nach § 312g Abs. 1 BGB.
 
bb) Weites Verständnis des Wortlauts des § 312 Abs. 1 BGB
Das ganz überwiegende Schrifttum legt das Erfordernis, dass der Unternehmer die vertragscharakteristische Leistung zu erbringen hat, hingegen sehr weit aus. Es wird argumentiert, ein Bürgschaftsvertrag verpflichte zwar nur den Bürgen. Dieser leiste die Sicherheit aber gerade im Hinblick auf die Kreditgewährung durch den Sicherungsnehmer, sodass eine ausreichende Verknüpfung zur Leistung des Unternehmers bestehe (Staudinger/Thüsing, Neubearb. 2019, § 312 Rn. 9; BeckOK BGB/Martens, 55. Ed. 2020, § 312 Rn. 12; vgl. auch MüKo-BGB/Wendehorst, 8. Aufl. 2019, § 312 Rn. 35; Erman/Koch, 16. Aufl. 2020, § 312 Rn. 19).
Diese weite Auslegung hat der BGH allerdings nun abgelehnt: Die entgeltliche Leistung des Unternehmers müsse aus dem Verbrauchervertrag geschuldet werden, für welchen das Widerrufsrecht nach § 312g Abs. 1 BGB in Anspruch genommen wird. Dazu führt der BGH weiter aus:

Dies ergibt sich aus § 312 Abs. 1 BGB, der einen Verbrauchervertrag nach § 310 Abs.  3 BGB als Rechtsgrund für die Leistung voraussetzt. Dass die Leistung des Unternehmers aufgrund eines separaten, nicht dem § 310 Abs. 3 BGB unterfallenden Vertrags an einen Dritten erbracht wird, reicht danach nicht […].

 
cc) Analogie
Das Widerrufsrecht nach § 355 Abs. 1 i.V.m. §§ 312b Abs. 1, 312 Abs. 1, 312g Abs. 1 BGB könnte jedoch im Wege einer Analogie auf außerhalb von Geschäftsräumen gestellte Verbraucherbürgschaften ausgeweitet werden. Eine analoge Anwendung des § 312 Abs. 1 BGB kommt dann in Betracht, wenn eine planwidrige Regelungslücke bei vergleichbarer Interessenlage besteht.
Somit gilt es zunächst zu untersuchen, ob der § 312 Abs. 1 BGB eine planwidrige Regelungslücke aufweist. In diesem Zusammenhang stellt der BGH auf den aus den Gesetzgebungsmaterialien hervortretenden Willen des Gesetzgebers ab, wonach die Neuregelung der §§ 312 ff. BGB ausschließlich Verbraucherverträge erfassen sollte, die als Austauschvertrag mit einer Gegenleistungspflicht des Verbrauchers ausgestaltet sind. Verträge, in denen der Verbraucher die für den Vertragstypus charakteristische Leistung schuldet, sollten demgegenüber ausdrücklich nicht erfasst werden (BT-Drucks. 17/12637, S. 45; BT-Drucks. 17/13951, S. 72; BR-Drucks. 817/12, S. 73).
Ebenfalls könne man nicht davon ausgehen, dass der Gesetzgeber schlichtweg vergessen habe, die Widerruflichkeit auf den Bürgschaftsvertrags zu erstrecken. Denn:

Die Diskussion über die Widerruflichkeit von Bürgschaften war aufgrund der Entscheidung des EuGH […] [in der Rs. Dietzinger] […], die einen jahrelangen Meinungsstreit in Rechtsprechung und Literatur nach sich zog […], allgemein bekannt. Zudem ist der Gesetzgeber während des Gesetzgebungsverfahrens ausdrücklich auf die Gefahr einer Wiederholung dieser Diskussion für den Fall hingewiesen worden, dass das Gesetz eine entgeltliche Leistung des Unternehmers als Vertragsgegenstand des Verbrauchervertrages fordere […]. Der Gesetzgeber hat dies bei der Neufassung des § 312 Abs. 1 BGB nicht zum Anlass genommen, das Widerrufsrecht auf den einseitig den Verbraucher verpflichtenden Bürgschaftsvertrag zu erstrecken […].

Somit ist § 312 Abs. 1 BGB mangels planwidriger Regelungslücke nicht analog auf Verbraucherbürgschaftsverträge anzuwenden.
 
dd) Richtlinienkonforme Auslegung / Rechtsfortbildung
§ 312 ff. BGB setzen die RL 2011/83/EU um. Insoweit könnte daher eine richtlinienkonforme Auslegung des § 312 Abs. 1 BGB bzw. eine Erweiterung des persönlichen Anwendungsbereichs im Wege der Rechtsfortbildung geboten sein. Dafür spricht der Wortlaut des Art. 3 Abs. 1 S. 1 RL 2011/83/EU, wonach die RL für „jegliche Verträge, die zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher geschlossen werden“ gilt. Das Erfordernis, dass der Verbrauchervertrag eine entgeltliche Leistung des Unternehmers zum Gegenstand hat, findet sich in der RL hingegen nicht. Allerdings erfordere – so der BGH – der der RL zugrundeliegende Schutzzweck eine einschränkende Auslegung des Wortlauts des Art. 3 Abs. 1 S. 1 RL 2011/83/EU:

Mit dem Widerrufsrecht zum Außergeschäftsraumvertrag sollte der Nachteil ausgeglichen werden, dass die Initiative zu den Vertragsverhandlungen in der Regel vom Gewerbetreibenden ausgeht und der Verbraucher auf die Verhandlungen außerhalb der Geschäftsräume des Gewerbetreibenden nicht vorbereitet ist oder psychisch unter Druck steht. Dies birgt die Gefahr, dass der Verbraucher Waren kauft oder Dienstleistungen in Anspruch nimmt, die er ansonsten nicht kaufen oder in Anspruch nehmen würde, beziehungsweise Verträge über Waren und Dienstleistungen zu überhöhten Preisen schließt, weil er keine Möglichkeit hat, Qualität und Preis des Angebots mit anderen Angeboten zu vergleichen […]. Mit dem Widerrufsrecht zum Fernabsatzgeschäft wurde dem Verbraucher eine angemessene Bedenkzeit eingeräumt, damit er die gekaufte Ware prüfen und ausprobieren bzw. die Eigenschaften der Dienstleistung zur Kenntnis nehmen kann. Alle Überlegungen stellen danach auf eine Leistung des Unternehmers ab. Hieran knüpfen die Informationspflichten des Unternehmers nach Art. 6 und die Pflichten des Verbrauchers nach Art. 14 der Richtlinie an […].

Somit erfordert die RL 2011/83/EU nach Ansicht des BGH keine Erweiterung des persönlichen Anwendungsbereichs des § 312g Abs. 1 BGB auf Bürgschaftsverträge.
 
ee) Zwischenergebnis
Mithin handelt es bei dem Bürgschaftsvertrag nicht um einen Verbrauchervertrag, der eine entgeltliche Leistung des Unternehmers zum Gegenstand hat. Der persönliche Anwendungsbereich nach § 312 Abs. 1 BGB ist nicht eröffnet.
 
c) Zwischenergebnis
Mangels Eröffnung des Anwendungsbereichs des  nach § 312 Abs. 1 BGB steht B kein Widerrufsrecht gem. §§ 312g I, 312b I BGB zu.
 
2. Zwischenergebnis
Der Anspruch ist nicht durch wirksamen Widerruf erloschen.
 
III. Anspruch durchsetzbar
Der Durchsetzbarkeit des Anspruchs steht auch nicht die Einrede der Vorausklage gem. § 771 BGB entgegen. Einerseits hat sich der B selbstschuldnerisch verbürgt (§ 773 Abs. 1 Nr. 1 BGB), andererseits wurde über das Vermögen der S bereits das Insolvenzverfahren eröffnet (§ 773 Abs. 1 Nr. 3 BGB).
 
IV. Ergebnis
G steht gegen B ein Anspruch auf Zahlung von 100.000 € aus einem wirksamen Bürgschaftsvertrag (§ 765 Abs. 1 BGB i.V.m. § 488 Abs. 1 S. 1 BGB) zu.
 
C. Stellungnahme
Die Entscheidung des BGH enthält viel Kluges: Die Karlsruher Richter argumentieren sauber am Wortlaut des § 312 Abs. 1 BGB entlang und schließen nicht – wie Teile der Literatur –  vorschnell von der Schutzbedürftigkeit eines Bürgen auf das Bestehen eines Widerrufsrechts nach § 355 Abs. 1 i.V.m. §§ 312g Abs. 1, 312 Abs. 1, 312b Abs. 1 BGB. Des Weiteren wird mustergültig dargelegt, weshalb das Widerrufsrecht nach § 355 Abs. 1 i.V.m. §§ 312g Abs. 1, 312 Abs. 1, 312b Abs. 1 BGB nicht im Wege einer Analogie auf außerhalb von Geschäftsräumen gestellte Verbraucherbürgschaften auszuweiten ist.
Der BGH ist davon überzeugt, dass sich die RL 2011/83/EU ihrem Telos nach nicht auf Verbraucherbürgschaftsverträge beziehen kann. Dabei ist sich der BGH seiner Sache ganz sicher: Schließlich hat es der XI. Senat nicht einmal für nötig empfunden, den Europäischen Gerichtshof im Wege eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV anzurufen. Aufgrund „des Wortlauts, der Regelungssystematik und des Regelungszwecks der Richtlinie“ bleibe nämlich kein Raum für Zweifel, sodass es sich um einen sog. acte clair, der eine Vorlagepflicht entfallen lässt, gehandelt habe.
Angesichts der zahlreichen Gegenstimmen in der Literatur und des eindeutigen Wortlauts des Art. 3 Abs. 1 S. 1 RL 2011/83/EU erscheint die Annahme eines acte clair verwunderlich: Art. 3 Abs. 1 S. 1 RL 2011/83/EU verlangt nämlich keine entgeltliche Leistung des Unternehmers, sondern lediglich einen Verbrauchervertrag. Auch der Schutzzweck der Richtlinie erfordert keine teleologische Reduktion seines Wortlauts. Denn Zweck der Richtlinie ist es, wie der BGH richtig dargelegt hat, Verbraucher vor Verhandlungen außerhalb von Geschäftsräumen zu schützen, auf die sie nicht vorbereitet sind und bei denen sie unter Umständen psychisch unter Druck stehen. Wenn Verbraucher davor geschützt werden sollen, Waren zu kaufen oder Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen, dann muss erst recht der Bürge geschützt werden, der eine Verbindlichkeit eingeht, ohne eine Gegenleistung dafür zu erhalten. Auch das Argument, die Informationspflichten des Unternehmers nach Art. 6 RL 2011/83/EU sowie die Pflichten des Verbrauchers nach Art. 14 RL 2011/83/EU knüpfen an eine Leistung des Unternehmers an, vermag nicht zu überzeugen. Richtig ist zwar, dass sich sowohl die Informationspflichten des Unternehmers als auch die Pflichten des Verbrauchers vorwiegend auf Waren und Dienstleistungen beziehen. Allerdings umfasst die Richtlinie laut Art. 3 Abs. 1 S. 2 ausdrücklich auch die Lieferung von Wasser, Gas, Strom oder Fernwärme. Teile der Informationspflichten des Unternehmers und der Pflichten des Verbrauchers passen aber beispielsweise auch nicht auf die Lieferung von Wasser, Gas, Strom oder Fernwärme: So würde es weder Sinn machen, dem Verbraucher Informationen zu den wesentlichen Eigenschaften (Art. 6 Abs. 1 lit. a) RL 2011/83/EU) von Wasser, Gas, Strom oder Fernwärme zur Verfügung zu stellen, noch können Wasser, Gas, Strom oder Fernwärme an den Anbieter zurückgesendet werden (Art. 6 Abs. 1 lit. i), Art. 14 Abs. 1 RL 2011/83/EU). Die in Art. 6 und Art. 14 RL 2011/83/EU aufgezählten Pflichten finden also nur Anwendung, soweit sie für den konkreten Vertrag einschlägig sind; sie schließen die Einbeziehung von einseitig den Verbraucher verpflichtenden Verträgen in den Anwendungsbereich des Verbraucherwiderrufsrecht jedoch nicht aus.
All dies zeigt: Es spricht viel dafür, dass die vom deutschen Gesetzgeber vorgenommene Einschränkung in § 312 Abs. 1 BGB gegen die RL 2011/83/EU verstößt (so auch Maume, NJW 2016, 1041). Dies hätte zur Folge, dass aufgrund des Anwendungsvorrangs des EU-Rechts die Beschränkung in § 312 Abs. 1 BGB auf Verbraucherverträge, die eine entgeltliche Leistung des Unternehmers zum Gegenstand haben, unangewendet bleiben müsste. Jedenfalls aber hätte der BGH den EuGH um Auslegung des Art. 3 Abs. 1 S. 1 RL 2011/83/EU ersuchen müssen.
 
D. Summa
In einem Satz lässt sich diese bemerkenswerte Entscheidung des BGH wie folgt zusammenfassen: Bürgschaftsverträge fallen nicht in den Anwendungsbereich des Verbraucherwiderrufsrechts nach § 312 Abs. 1 BGB – weder unmittelbar, noch analog oder aufgrund richtlinienkonformer Auslegung. Nun muss man diese Entscheidung nicht für richtig halten, vertieft auseinandersetzen sollte sich der Examenskandidat mir ihr dennoch. Bei dieser Gelegenheit ist es ratsam, sich die Grundsätze des Bürgschaftsrechts noch einmal vor Augen zu führen. Denn es ist ein Leichtes, diese Entscheidung mit typischen Problemen aus dem Bürgschaftsrecht – von der Form des Bürgschaftsversprechens, über die Sittenwidrigkeit einer Bürgschaft bis hin zur formularmäßigen Vereinbarung von Globalbürgschaften (Stichwort: Anlassrechtsprechung) – zu einem Examensfall „anzufetten“.
Um die Eröffnung des persönlichen Anwendungsbereichs des Verbraucherwiderrufsrechts ging es auch in BAG NZA 2019, 688. Das BAG hat die Widerrufbarkeit von arbeitsrechtlichen Aufhebungsverträgen nach §§ 312g I, 312b I BGB abgelehnt und gleichzeitig das Gebot fairen Verhandelns, das in der Literatur zuvor bereits vereinzelt Anklang gefunden hat, ausdrücklich anerkannt. Eine Besprechung dieser ebenfalls examensrelevanten Entscheidung findet ihr hier.

09.11.2020/1 Kommentar/von Carlo Pöschke
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Carlo Pöschke https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Carlo Pöschke2020-11-09 08:35:002020-11-09 08:35:00Alles auf Anfang: (Doch) kein Verbraucherwiderrufsrecht des Bürgen
Dr. Melanie Jänsch

EuGH: Neues zum Ausschluss des Verbraucherwiderrufsrechts bei individuell angefertigter Ware

Examensvorbereitung, Lerntipps, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Verbraucherschutzrecht, Zivilrecht

Mit aktuellem Urteil vom 21.10.2020 (Az.: C-529/19) hat der EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV entschieden, dass ein Widerrufsrecht bei individuell anzufertigender Ware auch dann ausgeschlossen ist, wenn mit der Produktion noch gar nicht begonnen wurde. Die Normen zum Verbraucherwiderruf bei einem außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Vertrag gehen auf europäisches Sekundärrecht zurück; aufgrund des Gebots richtlinienkonformer Auslegung ist die Entscheidung daher für das Verständnis der nationalen Verbraucherwiderrufsvorschriften – konkret: des § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB – maßgeblich und kann angesichts dessen auch in ihrer Bedeutung für Zivilrechtsklausuren als gewichtig eingeschätzt werden. In einer entsprechenden Klausur könnte die – trotz ihrer Examensrelevanz von den meisten Studierenden eher stiefmütterlich behandelte – Thematik problemlos in eine Anspruchsprüfung eingebettet werden, weshalb sich den Grundsätzen der Entscheidung im Rahmen des nachfolgenden Beitrags klausurtypisch in Form einer Anspruchsprüfung genähert werden soll.
 
A) Sachverhalt (vereinfacht und leicht abgewandelt)
Die K, eine Verbraucherin, kaufte auf einer gewerblichen Messe bei der V GmbH eine speziell auf ihre Bedürfnisse angepasste Einbauküche. Teile dieser Küche hätten bei einer Drittfirma angefertigt werden müssen und wären nach Anpassung in der Käuferwohnung nicht mehr weiter verwendbar gewesen. Ein paar Tage nach Abschluss des Vertrags überlegte es sich die K jedoch anders; sie kontaktierte die V GmbH und widerrief den Kauf. V berief sich auf den Ausschluss des Widerrufs bei individuell herzustellender Ware nach § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB. Die K wandte daraufhin ein, dass dem Unternehmen zum Zeitpunkt des Widerrufs noch keinerlei Schaden entstanden sei, weil die Anfertigung der Passstücke noch gar nicht begonnen worden war. Und selbst bei Vertragserfüllung wäre der tatsächliche Schaden sehr gering gewesen. V bestand weiterhin auf Zahlung und Abnahme der Küche. Angesichts der europarechtlichen Grundlagen des Verbraucherwiderrufsrechts legte das AG Potsdam dem EuGH unter anderem die Frage vor, ob der Widerrufsausschluss der Verbraucherrechterichtlinie (Art. 16 Buchstabe c der Richtlinie) auch gilt, wenn der Verkäufer beziehungsweise die Drittfirma zum Zeitpunkt des Widerrufs noch gar nicht mit der individuellen Fertigung begonnen hat.
 
B) Rechtsausführungen
In einer entsprechenden Klausur könnte nach einem Anspruch der V auf Kaufpreiszahlung und Abnahme der Küche gemäß § 433 Abs. 2 BGB gefragt sein, der im Folgenden geprüft werden soll.
I. Zweifelsohne wurde ein hierfür erforderlicher wirksamer Kaufvertrag i.S.v. § 433 BGB über die Einbauküche abgeschlossen.
II. Der Anspruch auf Kaufpreiszahlung und Abnahme der Sache gemäß § 433 Abs. 2 BGB könnte indes erloschen sein, wenn die K ihre Willenserklärung nach den Grundsätzen des Verbraucherwiderrufsrechts gemäß § 355 Abs. 1 S. 1 BGB wirksam widerrufen hat. Dies setzt das Bestehen eines Widerrufsrechts voraus, welches innerhalb der Widerrufsfrist ausgeübt wurde.
 
Anmerkung: Ein Widerruf wirkt nach h.M. – wie der Rücktritt nach den §§ 346 ff. BGB und im Gegensatz zur Anfechtung gemäß § 142 Abs. 1 BGB – ex nunc.
 
1. Zunächst ist also zu prüfen, ob der K ein Widerrufsrecht zusteht. Ein solches kann sich mangels vertraglicher Vereinbarungen im vorliegenden Fall allein gesetzlich, konkret aus § 312g Abs. 1 BGB ergeben, der Verbrauchern bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen (AGV) und bei Fernabsatzverträgen ein Widerrufsrecht einräumt.
a) Unproblematisch liegt hier ein für die Eröffnung des persönlichen Anwendungsbereichs notwendiger Verbrauchervertrag i.S.v. §§ 312 Abs. 1, 310 Abs. 3 BGB vor, der auf eine entgeltliche Leistung gerichtet ist: Als natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu Zwecken abgeschlossen hat, die weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können, sondern vielmehr privater Natur sind, handelte die K als Verbraucherin gemäß § 13 BGB. Die V GmbH ist eine juristische Person des Privatrechts, welche beim Abschluss des Kaufvertrags in Ausübung ihrer gewerblichen Tätigkeit, mithin als Unternehmerin gemäß § 14 Abs. 1 BGB handelte. Der Kaufvertrag über die Einbauküche stellt einen auf entgeltliche Leistung des Unternehmers gerichteten Vertrag dar, § 312 Abs. 1 BGB.
b) Ist danach der persönliche Anwendungsbereich eröffnet, müsste der Vertrag außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen worden sein. Nach der Legaldefinition des § 312b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB fallen hierunter Verträge, die bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit des Verbrauchers und des Unternehmers an einem Ort geschlossen werden, der kein Geschäftsraum des Unternehmers ist. Was ein Geschäftsraum ist, benennt § 312b Abs. 2 S. 1 BGB: Hier kommt ein sog. beweglicher Geschäftsraum in Betracht, der Gewerberäume erfasst, in denen der Unternehmer seine Tätigkeit für gewöhnlich ausübt. Ein Schwerpunkt der gutachterlichen Prüfung sollte angesichts dessen darauf liegen, ob ein Messestand unter diese Definition subsumiert werden kann. Da das Verbraucherwiderrufsrecht auf europäisches Sekundärrecht (die RL 2011/83/EU) zurückgeht, sind bei der näheren Bestimmung der Reichweite des Begriffs auch europarechtliche Vorgaben zu beachten. Nach Ansicht des EuGH kommt es ausgehend vom Schutzzweck des Verbraucherwiderrufsrechts darauf an, ob „in Anbetracht aller tatsächlichen Umstände rund um diese Tätigkeiten und insbesondere des Erscheinungsbilds des Messestandes sowie der vor Ort auf der Messe selbst verbreiteten Informationen ein normal informierter, angemessen aufmerksamer und verständiger Verbraucher vernünftigerweise damit rechnen konnte, dass der betreffende Unternehmer dort seine Tätigkeiten ausübt und ihn anspricht, um einen Vertrag zu schließen“ (EuGH, Urt. v. 07.08.2018 – C-485/17, EuZW 2018, 742). Vereinfacht: Maßgeblich ist, ob der Verbraucher wegen des offensichtlichen Verkaufscharakters der Messe davon ausgehen musste, dass Unternehmer dort Verträge abschließen.
 
Anmerkung: Der BGH hat sich mit der auf juraexamen.info bereits ausführlich besprochenen Problematik des Verbraucherwiderrufs bei Messeständen in einer examensrelevanten Entscheidung aus dem letzten Jahr bereits auseinandergesetzt (Urt. v. 10.04.2019 – VIII ZR 82/17, BeckRS 2019, 7655): Nach den Maßstäben dieses Urteils ist bei einer Verkaufsmesse mit unterschiedlichen Ausstellern unter Berücksichtigung der europarechtlichen Grundlagen nicht von einer typischen Überrumpelungssituation auszugehen; im Gegenteil muss ein Verbraucher – außer in Messebereichen, die ihrem äußeren Erscheinungsbild nach lediglich Werbe- und Informationszwecken dienen – mit Verkaufsangeboten rechnen, sodass ein beweglicher Geschäftsraum i.S.d. § 312b Abs. 2 S. 1 Alt. 2 BGB vorliegt und damit kein Widerrufsrecht besteht.
 
Handelt es sich also um einen Messebereich, in dem der durchschnittlich informierte Verbraucher damit rechnen muss, dass er vom Unternehmer angesprochen wird, liegt beim Abschluss des Kaufvertrags ein beweglicher Geschäftsraum und damit eben kein Vertrag außerhalb von Geschäftsräumen vor. Schon aus diesem Grund wäre ein Widerruf dann ausgeschlossen. Im vorliegenden Fall bedarf es diesbezüglich weitergehender Feststellungen: Der EuGH hat das AG Potsdam ausdrücklich darauf hingewiesen, dass – auf der Basis der vorstehenden Erwägungen – fraglich sei, ob der Kauf überhaupt außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossen worden sei. Es bedürfe hier einer Aufklärung, wo denn genau auf der Messe die Küche gekauft worden sei (Rn. 16 f.).
 
2. Dies kann jedoch dahinstehen, weil ein Widerruf bei individuell anzufertigender Ware ohnehin ausgeschlossen ist – und das, wie der EuGH nunmehr eindeutig klarstellt – sogar dann, wenn zum Zeitpunkt des Widerrufs noch gar nicht mit der individuellen Fertigung begonnen wurde. § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB, der seinem klaren Wortlaut nach unabhängig vom Stand der Produktion darauf abstellt, ob für die Herstellung der Ware „eine individuelle Auswahl oder Bestimmung durch den Verbraucher maßgeblich ist“, ist insoweit mit Unionsrecht vereinbar. Nach den Ausführungen des EuGH

„weist nichts im Wortlaut von Art. 16 Buchst. c der Richtlinie 2011/83 darauf hin, dass die Ausnahme von dem in dieser Bestimmung geregelten Widerrufsrecht von irgendeinem Ereignis abhängt, das nach dem Abschluss eines außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrags über die Lieferung von „Waren …, die nach Kundenspezifikation angefertigt werden oder eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse zugeschnitten sind“, eintritt.“ (Rn. 24).

Im Gegenteil müsse ein Verbraucher vor bzw. bei Abschluss eines Vertrags sicher wissen, ob ihm ein Widerrufsrecht zustehe:

„Der Gerichtshof hat insoweit entschieden, dass mit Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2011/83 sichergestellt werden soll, dass dem Verbraucher vor Abschluss eines Vertrags sowohl die Informationen über dessen Bedingungen und die Folgen des Vertragsschlusses übermittelt werden, die dem Verbraucher die Entscheidung ermöglichen, ob er sich vertraglich an einen Unternehmer binden möchte, als auch die Informationen, die zur ordnungsgemäßen Vertragserfüllung und vor allem zur Ausübung seiner Rechte, insbesondere seines Widerrufsrechts, erforderlich sind (Urteil vom 10. Juli 2019, Amazon EU, C‑649/17, EU:C:2019:576, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung). Das Bestehen des Widerrufsrechts des Verbrauchers an ein zukünftiges Ereignis zu knüpfen, dessen Eintritt von der Entscheidung des Unternehmers abhängt, wäre jedoch mit dieser Pflicht zur vorvertraglichen Unterrichtung unvereinbar.“ (Rn. 26 f.)“

Dies gelte umso deutlicher, als der Verbraucher regelmäßig auf den Fortschritt der Produktion weder Einfluss habe noch darüber informiert werde. Letztlich ist daher der konkrete Vertragsschluss der maßgebliche Zeitpunkt, nach dem sich bestimmt, ob ein Widerrufsrecht besteht. Übertragen ins nationale Recht heißt das, dass ein Widerruf – unabhängig davon, ob überhaupt ein außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossener Vertrag besteht – jedenfalls nach § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB ausgeschlossen ist.
III. K ist damit weiterhin zur Kaufpreiszahlung und Abnahme der Küche nach § 433 Abs. 2 BGB verpflichtet.
 
C) Fazit
Selbst nach Ansicht des EuGH, der regelmäßig zur weiten Auslegung verbraucherschützender Vorschriften neigt, gilt: Verbraucherschutz nicht um jeden Preis. Wer einen Gegenstand kauft, bei dem einzelne Stücke speziell angepasst oder individuell hergestellt werden müssen, hat kein Widerrufsrecht – und das unabhängig davon, ob mit der Fertigung überhaupt schon begonnen wurde und dem Verkäufer damit ein Schaden entstünde oder nicht. Der Entscheidung gebührt uneingeschränkte Zustimmung: Aus Gründen der Rechtssicherheit muss im Zeitpunkt des Vertragsschlusses feststehen, ob dem Verbraucher ein Widerrufsrecht zusteht oder nicht – und dann kann es nicht auf den Stand der Produktion ankommen.
 

02.11.2020/1 Kommentar/von Dr. Melanie Jänsch
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Melanie Jänsch https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Melanie Jänsch2020-11-02 08:39:212020-11-02 08:39:21EuGH: Neues zum Ausschluss des Verbraucherwiderrufsrechts bei individuell angefertigter Ware
Dr. Yannik Beden, M.A.

BGH: Widerrufsrecht bei Online-Matratzenkauf

Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Verbraucherschutzrecht, Zivilrecht

Mit seiner Entscheidung vom 3. Juli 2019 – VIII ZR 194/16 hat sich der BGH zu einer äußerst prüfungsrelevanten Fragestellung im Bereich des Widerrufsrechts positioniert. Den Kern des Urteils bildet § 312g Abs. 2 Nr. 3 BGB, wonach – mangels anderweitiger Parteiabrede – Verträge zur Lieferung versiegelter Waren, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene nicht zur Rückgabe geeignet sind, wenn ihre Versiegelung nach der Lieferung entfernt wurde, vom Anwendungsbereich des gesetzlichen Widerrufsrechts ausgenommen sind. Konkret geht es dabei um den Onlinekauf einer Matratze, deren Schutzfolie vom Verbraucher vor Rücksendung der Ware entfernt wurde. Das Ergebnis des BGH: Auch wenn der Verbraucher die Matratze auspackt und die Schutzfolie entfernt, steht ihm das gesetzliche Widerrufsrecht zu. Die Entscheidung lässt sich problemlos in Klausuren mit schuldrechtlichen Schwerpunkten integrieren und sollte deshalb jedem Studenten und Examenskandidaten bekannt sein.
I. Worum es geht
Die Parteien streiten um den Widerruf eines Fernabsatzvertrags über den Kauf einer Matratze in einem Onlineshop. Der Käufer bestellte zu privaten Zwecken beim Online-Händler eine Matratze, die ihm mit versiegelter Schutzfolie geliefert wurde. Nach Erhalt der Matratze entfernte der Käufer die Schutzfolie. Im weiteren Verlauf bat der Käufer den Verkäufer um die Vereinbarung eines Termins zum Rücktransport der Ware. Der Online-Händler veranlasste jedoch keinen Rücktransport, sodass der Käufer die Rücksendung der Ware selbst veranlasste.
Der Verkäufer ging davon aus, dass dem Käufer kein Widerrufsrecht zustehe, da die Schutzfolie der Matratze von diesem entfernt wurde. Der Käufer verlangt die Rückerstattung des von ihm bereits gezahlten Kaufpreises sowie Erstattung der Transportkosten, die ihm durch seine eigens vorgenommene Rücksendung der Ware entstanden sind. Zu Recht?
II. BGH: § 312g II Nr. 3 BGB nicht einschlägig

Den Ausgangspunkt der Lösungsfindung bildet § 312g Abs. 1 BGB, wonach Verbrauchern bei Fernabsatzverträgen ein Widerrufsrecht nach § 355 BGB zusteht. Bei dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag über den Kauf einer Matratze handelte es sich aufgrund des Umstands, dass der Vertrag über die Webseite zum Onlineshop des Verkäufers geschlossen wurde, unproblematisch um einen Fernabsatzvertrag i.S. der Norm. Allerdings besteht das Widerrufsrecht bei Fernabsätzen nach der gesetzlichen Konzeption nicht uneingeschränkt: § 312g Abs. 2 BGB sieht insgesamt 13 Fallgruppen vor, bei denen Besonderheiten hinsichtlich des Gegenstands bzw. der Abschlussmodalitäten nach Sinn und Zweck ein Widerrufsrecht des Verbrauchers ausschließen. § 312g Abs. 2 Nr. 3 BGB ordnet dabei an, dass ein Widerrufsrecht nicht besteht bei „Verträge[n] zur Lieferung versiegelter Waren, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene nicht zur Rückgabe geeignet sind, wenn ihre Versiegelung nach der Lieferung entfernt wurde“.
1. Vergleichbarkeit von Matratzen mit Kleidungsstücken
Der VIII. Zivilsenat verneint die Anwendbarkeit des Ausnahmetatbestands für die Matratze, deren Schutzfolie vor Rückgabe der Ware entfernt wurde. Das Widerrufsrecht solle den Verbraucher im Fernabsatzhandel vor Situationen schützen, in denen es ihm nicht möglich ist, die Ware vor Abschluss des Vertrages in Augenschein zu nehmen und sich der Eigenschaften des Kaufgegenstands zu vergewissern. Grundsätzlich müsse dieser Nachteil immer ausgeglichen werden, indem dem Verbraucher eine angemessene Bedenkzeit, in der er auch die Ware prüfen und ausprobieren kann, eingeräumt wird. Der BGH hält diesen Grundsatz auch mit Blick auf die Ausnahmevorschriften aus § 312g Abs. 2 BGB besonders hoch, mit der Folge, dass diese restriktiv zu handhaben seien. § 312g Abs. 2 Nr. 3 BGB greife deshalb – so das Gericht – „nur dann ein, wenn nach der Entfernung der Versiegelung der Verpackung die darin enthaltene Ware aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene endgültig nicht mehr verkehrsfähig ist, weil der Unternehmer Maßnahmen, die sie unter Wahrung des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene wieder verkehrsfähig machen, nicht oder nur unter unverhältnismäßigen Schwierigkeiten ergreifen könnte.“   
Münzt man diese Vorgaben auf das Entfernen der Schutzfolie einer Schlafmatratze, so sei nach Ansicht des BGH der Kauf einer Matratze demjenigen von Kleidungsstücken gleichzusetzen. Der Kontakt mit dem menschlichen Körper sei in diesen Fällen der Regelfall. Es könne davon ausgegangen werden, dass der Verkäufer bei derartigen Waren in der Lage sei, nach Rückerhalt der Ware diese mittels einer Reinigung oder Desinfektion für eine Wiederverwendung bzw. einen erneuten Verkauf in Stand zu setzen. Summa summarum stünde dem Verbraucher also ein Widerrufsrecht nach § 312g Abs. 1 BGB zu, sodass er den Kaufpreis nach § 355 Abs. 3 S. 1 BGB zurückverlangen könne.
2. Andere Ansicht wohl vertretbar
Das Ergebnis des BGH kann in Anbetracht des Wortlauts des § 312g Abs. 2 Nr. 3 BGB durchaus kritisch betrachtet werden. Maßgeblich ist nämlich nicht, ob die Ware nach einer – mit zusätzlichen Kosten verbundenen – Reinigungs- bzw. Säuberungsmaßnahme des Unternehmers nochmals in Verkehr gebracht werden kann. Vielmehr kommt es darauf an, ob die Ware „zur Rückgabe geeignet“ ist. Gleichermaßen ist die Lösung des Gerichts konsequent, wenn man wie der BGH davon ausgeht, dass die Ausnahmevorschrift aufgrund des Schutzzwecks der §§ 312 ff. BGB restriktiv ausgelegt werden muss und erst der finale, endgültige Entfall der Verkehrsfähig den Anwendungsbereich des § 312g Abs. 2 Nr. 3 BGB eröffnet.     
III. Fortführung der Vorabentscheidung des EuGH zur Verbraucherrechetrichtlinie
Der BGH bestätigt mit seiner Entscheidung zum nationalen Widerrufsrecht gleichzeitig die Vorgaben des EuGH zur Auslegung der Verbraucherrechterichtlinie. Dieser urteilte im Vorabentscheidungsverfahren zur identischen Rechtsstreitigkeit (EuGH Urteil v. 27.03.2019 – C-681/17, NJW 2019, 1507), dass eine Matratze, deren Schutzfolie vom Verbraucher nach der Lieferung entfernt wurde, nicht unter die in Art. 16 lit. e der RL 2011/83/EU vorgesehene Ausnahmebestimmung fällt. Die Vorschrift entspricht dem Wortlaut nach derjenigen des nationalen Widerrufsrechts. Der EuGH legte den argumentativen Grundstein für die Entscheidung des BGH, indem auch er auf einen Vergleich zu Kleidungsstücken rekurriert:

„Es steht aber außer Zweifel, dass zahlreiche Kleidungsstücke bei bestimmungsgemäßer Anprobe, wie es auch bei Matratzen nicht auszuschließen ist, direkt mit dem menschlichen Körper in Kontakt kommen können, ohne dass sie deshalb in der Praxis besonderen Schutzanforderungen unterworfen würden, um diesen Kontakt bei der Anprobe zu vermeiden.
Eine solche Gleichsetzung zweier Warenkategorien, nämlich Kleidungsstücke und Matratzen, kommt […] insofern in Betracht, als selbst bei direktem Kontakt dieser Waren mit dem menschlichen Körper davon ausgegangen werden kann, dass der Unternehmer in der Lage ist, sie nach der Rücksendung durch den Verbraucher mittels einer Behandlung wie einer Reinigung oder einer Desinfektion für eine Wiederverwendung durch einen Dritten und damit für ein erneutes Inverkehrbringen geeignet zu machen, ohne dass den Erfordernissen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene nicht genügt würde.“

IV. Für die Klausurbearbeitung

Die Entscheidung des BGH konkretisiert die – unionsrechtlich vorgeprägten – Ausnahmevorschriften zum Widerrufsrecht bei Fernabsatzverträgen. In der Klausur muss das Problem an der richtigen Stelle verortet werden: Nach einer voranzustellenden Prüfung der Anwendbarkeit der §§ 312 ff. BGB ist im Rahmen von § 355 Abs. 3 BGB nach der Existenz eines Widerrufsrechts zu fragen. Diese könnte sich aus § 312g Abs. 1 BGB ergeben. An diesem Punkt muss sodann erörtert werden, ob das Widerrufsrecht nach § 312g Abs. 1 BGB ausnahmsweise aufgrund der Bestimmungen aus § 312g Abs. 2 Nr. 3 BGB entfällt. Hier überzeugen Prüflinge, die nach dem Telos der Norm fragen und mit entsprechender Begründung zu einer restriktiven Auslegung der Ausnahmevorschrift kommen. Vertretbar erscheint in Anbetracht des Wortlauts der Norm – jedenfalls für eine versiegelte Schlafmatratze – auch eine vom BGH abweichende Lösung. Wie immer sollte diese dann mit entsprechender Argumentation substantiiert werden.
 
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30.07.2019/1 Kommentar/von Dr. Yannik Beden, M.A.
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Yannik Beden, M.A. https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Yannik Beden, M.A.2019-07-30 09:30:262019-07-30 09:30:26BGH: Widerrufsrecht bei Online-Matratzenkauf
Tom Stiebert

BGH: Ausübung Verbraucherwiderrufsrecht bedarf keines Sachgrundes

BGB AT, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?, Schuldrecht, Startseite, Verbraucherschutzrecht, Zivilrecht, Zivilrecht

Das Widerrufsrecht des Verbrauchers bei Fernabsatzverträgen ist äußerst examensrelevant. Noch relevanter sind in diesem Kontext aktuelle höchstrichterliche Entscheidungen. Aus diesem Grund sollte einer Entscheidung des BGH vom heutigen 16.3.2016 (Az. 1 C 194/14; Pressemitteilung hier) Beachtung geschenkt werden.
Es ging hier um die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Verbraucher sein Widerrufsrecht im Rahmen eines Fernabsatzgeschäfts (§ 355 BGB, § 312c BGB, § 312g Abs. 1 BGB) ausüben kann, bzw. wann dies unzulässig ist. Die Problematik rührt daher, dass das Gesetz lediglich anordnet, dass dem Verbraucher im Fall des Fernabsatzgeschäfts das Widerrufsrecht zusteht (§ 312g Abs. 1 BGB). Das Gesetz äußert sich dagegen nicht zu der Frage, ob dieses Widerrufsrecht an Voraussetzungen geknüpft ist.
I. Der Sachverhalt hier war denkbar einfach:
Der Kläger hatte bei der Beklagten über das Internet zwei Matratzen bestellt, die im Januar 2016 ausgeliefert und vom Kläger zunächst auch bezahlt worden waren. Unter Hinweis auf ein günstigeres Angebot eines anderen Anbieters und eine „Tiefpreisgarantie“ des Verkäufers bat der Kläger um Erstattung des Differenzbetrags von 32,98 €, damit er von dem ihm als Verbraucher zustehenden Widerrufsrecht absehe. Zu einer entsprechenden Einigung kam es nicht. Der Kläger widerrief den Kaufvertrag daraufhin fristgerecht und sandte die Matratzen zurück.
Motiv des Widerrufs war hier also, dass der Verbraucher mit diesem Druckmittel seine Forderung bzgl. der Tiefpreisgarantie durchsetzen wollte. Der Verkäufer war der Ansicht, dies sei unzulässig und widerspreche dem Gedanken und Zweck des Widerrufsrechts. Aus diesem Grund weigerte er sich, den Kaufpreis zurückzuerstatten.
II. Der BGH teilte diese Ansicht nicht, sondern bejahte das Bestehen und die entsprechend wirksame Ausübung des Widerrufsrechts. Aus diesem Grund bestehe ein Anspruch aus § 355 Abs. 3 S. 1 BGB
Die tatbestandlichen Voraussetzungen der § 312g, 312 c BGB lagen hier vor. Es handelte sich um ein Fernabsatzgeschäft. Der Widerruf sei wirksam ausgeübt wurden.
Dem Käufer stand hier auch ein Widerrufsrecht zu.

Dem steht nicht entgegen, dass es dem Kläger darum ging, einen günstigeren Preis für die Matratzen zu erzielen. Für die Wirksamkeit des Widerrufs eines im Internet geschlossenen Kaufvertrags genügt allein, dass der Widerruf fristgerecht erklärt wird. Die Vorschriften über den Widerruf sollen dem Verbraucher ein effektives und einfach zu handhabendes Recht zur Lösung vom Vertrag geben. Einer Begründung des Widerrufs bedarf es nach der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung nicht. Deshalb ist es grundsätzlich ohne Belang, aus welchen Gründen der Verbraucher von seinem Widerrufsrecht Gebrauch macht.

Der BGH hält damit am klaren Gesetzeswortlaut fest. Das Gesetz fordert keine besonderen Bedingungen für die Ausübung des Widerrufs. Es genügt die formelle Rechtmäßigkeit. Dies ist sowohl aus dem Wortlaut als auch aus der Systematik der Widerrufsvorschriften herzuleiten. Auch das Telos steht dem nicht entgegen. Motiv des Widerrufsrechts ist es, den schutzwürdigen Verbraucher, der die Ware eben aus der Ferne erwirbt, zu schützen. Dieses Schutzbedürfnis greift auch hier und knüpft an keine weiteren Voraussetzungen an.
Anerkannt ist aber, parallel zum Rechtsmissbrauch nach § 242 BGB, das Widerrufsrecht in Einzelfällen zu versagen. Dies liegt dann vor, wenn der Unternehmer seinerseits besonders schutzbedürftig ist. Die Grenzen hierfür sind – auch durch die unionsrechtlichen Vorgaben – äußerst eng zu ziehen. Dies liegt bspw. dann vor, wenn sich der Widerruf als schikanös oder bewusst schädigend erweist. Nach den Grundsätzen der cic muss Gleiches zudem bei einem arglistigen Verhalten des Verbrauchers gelten, wenn dieser also den Vertrag nie wollte.

Damit ist der vorliegende Fall jedoch nicht vergleichbar. Dass der Kläger Preise verglichen und der Beklagten angeboten hat, den Vertrag bei Zahlung der Preisdifferenz nicht zu widerrufen, stellt kein rechtsmissbräuchliches Verhalten dar. Das ist vielmehr Folge der sich aus dem grundsätzlich einschränkungslos gewährten Widerrufsrecht ergebenden Wettbewerbssituation, die der Verbraucher zu seinem Vorteil nutzen darf.

Damit lag hier ein wirksamer Widerruf und damit ein Rückzahlungsanspruch vor.
III. Der Fall macht deutlich, dass es auch für scheinbar Eindeutiges manchmal einer Entscheidung eines obersten Gerichts bedarf. Häufig mag die vermeintlich einfache und eindeutige Lösung auch die richtige sein. Man sollte sich in der Klausursituation nicht verwirren lassen, sondern streng anhand der Auslegungsmethoden am Gesetz arbeiten. dann kann nichts mehr schiefgehen.

16.03.2016/3 Kommentare/von Tom Stiebert
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tom Stiebert https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tom Stiebert2016-03-16 15:31:422016-03-16 15:31:42BGH: Ausübung Verbraucherwiderrufsrecht bedarf keines Sachgrundes
Dr. Christoph Werkmeister

OLG Koblenz: Widerrufsrecht im Fernabsatzrecht auch bei wesentlicher Vertragsänderung

Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Verbraucherschutzrecht, Zivilrecht, Zivilrecht

Das OLG Koblenz entschied mit Urteil vom 28.03.2012 – 9 U 1166/11 einen äußerst examensrelevanten Sachverhalt, der sicherlich auch Gegenstand von Klausuren werden wird.
Sachverhalt

Eine Verbraucherin hatte ihren Vertrag mit 1&1 über Telefon- und Internet-Dienste (Service-Flat 6.000 DSL-Paket) mit einer Mindestvertragslaufzeit von 24 Monaten fristgerecht gekündigt. Daraufhin wurde sie vor Ablauf des Vertrages von einem Mitarbeiter des Unternehmens angerufen. Dieser bot ihr einen neuen Vertrag (Doppel Flatrate 16.000 DSL-Paket) zum neuen Preis mit neuer 24-monatiger Laufzeit an. Die Verbraucherin willigte zunächst ein, bereute ihre Entscheidung jedoch später und erklärte per E-Mail, dass sie den neuen Vertrag nicht mehr wolle. Das Unternehmen teilte ihr daraufhin mit, dass ein Widerrufsrecht nur bei Neuabschlüssen bestehe. Dies sei hier nicht der Fall, weil es sich nur um eine Inhaltsänderung im Rahmen eines bestehenden Vertrages handele. (Quelle: Beck-aktuell).

Rechtliche Würdigung
Fraglich ist in diesem Zusammenhang, ob der Verbraucherin ein Fernabsatzwiderrufsrecht gemä § 312d BGB zusteht. Hierzu bedarf es naturgemäß eines Fernabsatzvertrages i.S.d. § 312b Abs. 1 BGB. Das OLG Koblenze hatte sodann zu klären, ob der Begriff „Vertrag“ in diesem Sinne auch Änderungen eines Vertrages erfasst.
Das OLG führte hierzu aus, dass das Widerrufsrecht auch dann gelte, wenn ein Verbraucher per Fernkommunikationsmittel wesentliche Inhalte eines bestehenden Vertrages wie den Leistungsgegenstand ändert. Das OLG argumentierte, der Verbraucher sei in diesem Fall in Bezug auf den Abänderungsvertrag genauso schutzwürdig wie bei einem Erstvertrag. Eine derartige Auffassung ist folgerichtig, denn es kann keinen Unterschied machen, ob ein gänzlich neuer Vertrag abgeschlossen wird oder ob ein Vertrag verändert wird. Darüber hinaus ist in dogmatischer Hinsicht anzuführen, dass eine Vertragsänderung streng genommen auch den Abschluss eine Vertrages, nämlich eine Einigung durch zwei korrespondierende Willenserklärungen, darstellt. Insofern bestehen auch im Hinblick auf den Wortlaut des § 312b BGB, der einen „Vertrag über die Lieferung von Waren oder über die Erbringung von Dienstleistungen“ voraussetzt, keine Bedenken.
Folgerichtig müsste das Unternehmen im hiesigen Sachverhalt auch entsprechend über das Widerrufsrecht informieren, vgl. §§ 312c, 355, 360 BGB. Das Widerrufsrecht entfalle nur dann, wenn sich der Verbraucher unmittelbar vor dem Telefonat im Rahmen eines persönlichen Kontaktes bei dem Unternehmen über die neuen Vertragsbedingungen informiert habe.  In diesem Fall müsse der Kunde nicht mehr vor Übereilung geschützt werden.
Examensrelevanz
Die hier besprochene Entscheidung ist im Kontext einer Vielzahl von Entscheidungen zum Fernabsatzrecht zu sehen. So hatten die Gerichte zunächst vielfältig über die Rechtsfolgen eines derartigen Widerrufs (s. dazu etwa hier) und über die Belehrungsvoraussetzungen (s. dazu etwa hier) zu entscheiden. Es rücken nunmehr vermehrt Fragestellungen in den Vordergrund, bei denen es um die Definition des Begriffs des Fernabsatzvertrages i.S.d. § 312b BGB geht (s. dazu auch hier). Mit dem Voranschreiten der judizierten Konstellationen steigt gleichsam auch die Examensrelevanz. Examenskandidaten sollten sich demnach über das Fernabsatzrecht auf dem Laufenden halten.

06.05.2012/2 Kommentare/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2012-05-06 17:17:352012-05-06 17:17:35OLG Koblenz: Widerrufsrecht im Fernabsatzrecht auch bei wesentlicher Vertragsänderung
Tom Stiebert

OLG Hamm – Voraussetzungen eine unverzüglichen Widerrufsbelehrung bei ebay

BGB AT, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?, Startseite, Verbraucherschutzrecht, Zivilrecht, Zivilrecht

In einer Entscheidung vom 10.01.2012 (Az. I -4 U 145/11), die am 3.2.2012 als Pressemitteilung veröffentlicht wurde, hat das OLG Hamm eine interessante Frage beantwortet, die sich mit dem Widerrufsrecht nach § 355 BGB befasst. Fraglich war hier, ob dem Verbraucher eine Widerrufsfrist nach § 355 Abs. 2 S. 2 BGB von 14 Tagen oder nach § 355 Abs. 2 S. 3 BGB von einem Monat zusteht. Gerade Fragen des Widerrufsrechts sind sehr klausurrelevant, sodass der hier besprochene Fall kurz wiederholt werden sollte.
Sachverhalt
Der Sachverhalt ist denkbar einfach: Der Käufer gibt bei ebay am 31.01. nachmittags ein Gebot ab, das auch bei Auktionsende am 2.2. nachmittags noch das Höchstgebot war. Kurz nach Auktionsende wurde dem Käufer eine Widerrufsbelehrung übermittelt, in der ein Widerrufsrecht von 14 Tagen vorgesehen war. Fraglich ist, ob dies wirksam ist
Entscheidung
Maßgeblich für die Entscheidung ist die Auslegung des § 355 Abs. 2 S. 2 BGB, wonach bei Fernabsatzverträgen die Widerrufsfrist 14 Tage beträgt, wenn dies „unverzüglich nach Vertragsschluss in Textform“ mitgeteilt wird. Fraglich ist hier, ob eine solche unverzügliche Mitteilung vorlag.
Unverzüglich definiert sich nach § 121 Abs. 1 S. 1 BGB als Handeln „ohne schuldhaftes Zögern“. Fraglich ist, ob ein solches Zögern hier bestanden hat.
Kein schuldhaftes Zögern wenn Vertragsschluss erst bei Auktionsende
Ein schuldhaftes Zögern läge dann nicht vor, wenn der Vertrag erst mit Auktionsende zustandekommt. Hier sind damit die Grundsätze des Vertragsschlusses im Internet bei Online-Auktionen zu wiederholen. Hier gilt es folgendes zu beachten:

  • Der Vertragsschluss kommt nicht gem. § 156 S. 1 BGB durch Zuschlag zustande. Einen solchen gibt es bei ebay nämlich nicht. Hier läuft nur die Zeit ab.
  • Ebay ist nicht der Auktionator, sondern stellt lediglich die Plattform für Vertragsschlüsse zur Verfügung
  • Bereits in der Freischaltung der Angebotsseite liegt ein rechtlich verbindliches Angebot und nicht bloß eine invitatio ad offerendum (§§133, 157 BGB). Das Angebot ist an denjenigen gerichtet, der während der Bietzeit das höchste Angebot abgibt.
  • Die Annahme erklärt im Unterschied zur normalen Auktion also der Bieter!
  • Zentrales Urteil hierzu ist das sog. ricardo-Urteil des BGH v. 7.11.2001 (Az. VIII ZR 13/01, BGHZ 149, 129).

Der Vertrag ist damit bereits mit Abgabe des Höchstgebots zustandegekommen – die Widerrufsbelehrung erfolgte aber erst zwei Tage später.
 
Hinweis: Dies kann mit guter Argumentation auch anders gesehen werden. Siehe hierzu unseren Artikel, der sich mit dieser Frage befasst.
Unverzüglich trotz Abwarten von zwei Tagen
Es stellt sich aber die Frage, ob – trotz der Verzögerung von zwei Tagen, ein unverzügliches Handeln zu bejahen ist, da das Auktionsende abgewartet wurde. Dies wird vom OLG bejaht.

Nach Auffassung des Oberlandesgerichts ist die unmittelbar im Anschluss an das Auktionsende übermittelte Widerrufsbelehrung in diesem Sinne „unverzüglich nach Vertragsschluss“ erfolgt, auch wenn der Vertrag bereits mehr als 49 Stunden zuvor mit Abgabe des Höchstgebots zustande gekommen und damit tatsächlich mehr als der vom Gesetzgeber in der Regel vorgesehene Zeitraum von einem Tag nach Vertragsschluss bis zur Übermittlung der Belehrung verstrichen ist.
Dem Unternehmer sei ein früheres Handeln faktisch nicht möglich und auch unzumutbar. Erst nach dem erfolgreichen Abschluss der Aktion werde dem Anbieter die Identität seines Vertragspartners bekannt gegeben. Außerdem sei denkbar, dass das erste Höchstgebot mehrfach überboten werde, so dass dem Unternehmer zuzubilligen sei, bis zum Aktionsende zu warten, um den letztendlichen Käufer über dessen Widerrufsrecht zu belehren. Auch der Verbraucher werde hierdurch nicht länger als unvermeidlich über sein Widerrufsrecht im Unklaren gelassen. Bis zum Ende der Auktion müsse auch er damit rechnen, dass der zunächst mit ihm zustande gekommene Vertrag überhaupt nicht fortbestehe, weil ein weiterer Bieter ein neues Höchstgebot abgebe.

Hauptargument dürfte hier wohl die fehlende Kenntnis von der Person des Höchstbietenden und dessen fehlende Schutzbedürftigkeit sein. Weniger überzeugend ist hingehend das Argument, dass mehrere Käufer hilfsweise belehrt werden müssten – dieses Risiko ist der Online-Auktion gerade immanent. Dennoch im Ergebnis ein vollständig überzeugendes Urteil.
Das Abwarten des Auktionsendes führt damit dazu, dass das Handeln des Verkäufers – trotz einer rel. langen zeitlichen Spanne – unverzüglich bleibt.
Examensrelevanz
Meines Erachtens ein sehr examensrelevantes Urteil, werden doch Fragen des Vertragsschlusses bei Online-Auktionen (die zwingend beherrscht werden müssen) mit Fragen nach dem Widerrufsrecht kombiniert. Gerade diese Verknüpfung macht den Fall zu einem optimalen Klausureinstieg.
 

06.02.2012/8 Kommentare/von Tom Stiebert
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tom Stiebert https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tom Stiebert2012-02-06 18:32:042012-02-06 18:32:04OLG Hamm – Voraussetzungen eine unverzüglichen Widerrufsbelehrung bei ebay

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Gedächtnisprotokoll Öffentliches Recht II April 2025 NRW

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Wir freuen uns sehr, ein Gedächtnisprotokoll zur zweiten Klausur im Öffentlichen Recht des April-Durchgangs 2025 in Nordrhein-Westfalen veröffentlichen zu können und danken Tim Muñoz Andres erneut ganz herzlich für die […]

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04.06.2025/0 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2025-06-04 08:43:322025-06-04 08:44:08Gedächtnisprotokoll Öffentliches Recht II April 2025 NRW
Miriam Hörnchen

Tätowierungen als Einstellungshindernis im Polizeidienst?

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Die vom VG Berlin zu beantwortende Frage, ob die Ablehnung einer Bewerbung für den Polizeidienst wegen sichtbarer Tätowierungen rechtswidrig erfolgt, wirft eine Vielzahl examensrelevanter Fragestellungen auf: Aufgrund der Eilbedürftigkeit im […]

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03.06.2025/0 Kommentare/von Miriam Hörnchen
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Miriam Hörnchen https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Miriam Hörnchen2025-06-03 08:45:032025-06-06 10:50:46Tätowierungen als Einstellungshindernis im Polizeidienst?

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