Sind Ossis eine eigenständige Ethnie?
Sachverhalt
Sind Ossis eine eigenständige Ethnie? Diese Thema wurde gestern tatsächlich in der ARD in der Sendung FAKT diskutiert. Anlass war folgender kleiner Fall, den nun bald ein Arbeitsgericht entscheiden muss: Eine ostdeutsche Frau war ins schöne Schwabenländle gezogen. Zunächst wurde berichtet, dass sie mittlerweile ganz toll schwäbischen Dialekt sprechen könne und außerdem auch in Sachen Haushaltsführung und Sauberkeit einer ordentlichen schwäbischen Hausfrau in nichts nachstünde. Dies ist aber wohl alles noch nicht rechtsrelevant. Diese tüchtige Frau hatte sich nun vor einiger Zeit bei einem baden-württembergischen Unternehmen beworben. Als man ihr eine Absage erteilte und ihre Bewerbungsunterlagen zurückschickte, konnte die gute Frau anhand eines Vermerks auf ihren Unterlagen unschwer erkennen, warum man sie nicht für tauglich hielt. Auf ihrem Anschreiben stand deutlich geschrieben:
(-) OSSI
Rechtsfragen: Schadensersatz nach dem AGG
Über dieses „Minus, Ossi“ war die Bewerberin nun so erbost, dass sie Schadensersatz verlangt. Dabei stützt sich ihre Forderung auf § 15 AGG als Anspruchsgrundlage. § 15 AGG lautet:
(1) Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ist der Arbeitgeber verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.
(2) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.
(3) …
Das in Abs. 1 erwähnte Benachteiligungsverbot umfasst Diskriminierungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität, s. §§ 1, 7 AGG.
Abs. 2 macht deutlich, dass auch immaterielle Schäden zu ersetzen sind. Das Erfordernis des Vertretenmüssens nach § 15 Abs. 1 S. 2 AGG ist wohl europarechtswidrig. Auch sonst ist so einiges an § 15 AGG europarechtlich bedenklich. Dies ist hier aber letztlich alles nicht entscheidend. Kernfrage des Falles wird vielmehr sein: Sind Ossis eine eigene Ethnie?Andere Diskriminierungstatbestände kommen hier nicht in Betracht.
Ossis als Ethnie?
Diese Frage wurde in der Sendung dann durchaus seriös und fundiert diskutiert. Sogar Prof. Däubler, ein anerkannter Arbeitsrechtler, konnte zu Wort kommen. Er wies darauf hin, dass Ostdeutsche durch gemeinsame, prägende geschichtliche Ereignisse, kulturelle Bräuche und Gepflogenheiten etc. zahlreiche Verbindungen aufweisen, die es durchaus rechtfertigen könnten, von einer Ethnie zu sprechen. Ethnien sind Menschengruppen, die kulturell, sozial, historisch und genetisch eine Einheit bilden und auch sonst als Stämme oder Völker bezeichnet werden (so die Brockhaus-Definition, vgl. Thüsing, Europäisches Arbeitsrecht, 2008, Rn. 53). Wichtig ist, dass diese Menschen sich selbst als Einheit, als Gruppe verstehen – hier also als „Ossis“. Davon wird man meines Erachtens aber wohl gerade nicht ausgehen können. Manche Leute fühlen sich vielleicht als „Sachse“ oder eben im Westen als „Bayer“. Aber selbst dann würde man wohl noch keine Ethnie annehmen. Dafür sind die Bundesländer viel zu sehr durchmischt und die Bräuche innerhalb Deutschlands zu ähnlich. Nicht alle Angehörigen der jeweiligen Gruppe empfinden diese Gruppenzugehörigkeit. Erst auf Ebene „der Deutschen“ wird man daher wohl eine Ethnie bejahen können. Insofern ist aber bei entsprechender Definition natürlich alles vertretbar.
Und sonst?
Als weitere Anspruchsgrundlage für einen Schadensersatzanspruch kann man noch an § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 und 1 Abs. 1 GG) denken. Dieser Anspruch ist neben dem AGG anwendbar, § 15 Abs. 5 AGG. Es dürfte aber wohl an der erforderlichen Erheblichkeit der Pflichtverletzung fehlen, die für einen Anspruch auf Ersatz immaterieller Schäden erforderlich ist.
Ich würde in einer Klausur eine Analogie von § 15 Abs. 1 S. 2 AGG versuchen, dann aber wegen der Abschließenden Aufzählung der Diskriminierungsgründe ablehnen… Als Richter würde ich sie aber bejahen.
Korrigiere: § 15 Abs. 1 S. 1 AGG.
Man muss bedenken, dass das AGG eben kein allgemeines Gleichbehandlungsgesetz ist, auch wenn es so heißt. Es werden eben nur bestimmte Diskriminierungstatbestände normiert und nicht ein allgemeines Gleichbehandlungsgebot im Zivilrecht. zB darf man jemanden wegen der politischen Einstellung oder wegen seines Aussehens ungleich behandeln, ohne dass dies nach dem AGG rechtfertigungsbedürftig wäre.
Der abschließende Charakter der Tatbestände des §§ 1,7 AGg ist eindeutig. Daher keine Analogie.
Höchstens vielleicht Strafanzeige wegen Beleidigung. Aber ist denn „(minus) OSSI“ überhaupt eine Beleidigung? Wahrscheinlich nicht.
Diskriminierend ist es ja dennoch, nur scheint es juristisch (noch?) keine Möglichkeit zu geben, dem beizukommen.
Nun ist es auch entschieden worden: Ossis sind keine Ethnie, so das ArbG Stuttgart, 15.04.2010 – 17 Ca 8907/09.
Ich zitiere den Beck Ticker: „«Unter ethnischer Herkunft ist mehr zu verstehen als nur regionale Herkunft», erklärte der Vorsitzende Richter. Außer der Zuordnung zum ehemaligen DDR-Territorium fehle es bei den «Ossis» an einheitlichen Merkmalen in Tradition, Sprache, Religion, Kleidung oder Ernährung.“
Na da haben wir ja wohl richtig gelegen…