BVerfG: Hofabgabe ist verfassungswidrig
Immer dann, wenn das BVerfG in einer vielbeachteten Verfassungsbeschwerde zur Eigentumsfreiheit aus Art. 14 Abs. 1 GG und dem Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 2 GG Stellung nimmt, kann von einer hohen Examensrelevanz ausgegangen werden. So auch beim Beschluss v. 23.05.2018 – 1 BvR 97/14, 1 BvR 97/14, 1 BvR 2392,14, BeckRS 2018, 17604 (erst am 09.08.2018 in der PM Nr. 68/2018 veröffentlicht), in dem sich das BVerfG mit der sog. Hofabgabeklausel des § 11 Abs. 1 Nr. 3 ALG (Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte) befasst, wonach Landwirte erst dann Anspruch auf Regelaltersrente haben, wenn sie ihr Unternehmen, besser gesagt ihren Hof, abgegeben haben. Ein Abdruck der in Rede stehenden Vorschrift sowie der diese ergänzenden Normen wäre in einer Klausur ohne weiteres möglich, weshalb nachfolgend die wesentlichen Grundsätze der Entscheidung, in der sich das BVerfG nahezu mustergültig einer Grundrechtsprüfung widmet, dargestellt werden.
I. Sachverhalt (vereinfacht)
Die Beschwerdeführer, u.a. ein Landwirt und seine Ehefrau, die nach der Fiktion des § 1 Abs. 3 S. 1 ALG ebenfalls als Landwirtin gilt, wenden sich mit ihrer Urteilsverfassungsbeschwerde u.a. gegen eine Entscheidung des Landessozialgerichts NRW (Urteil v. 26.09.2012 – L 8 LW 5/12, BeckRS 2013, 74020), in der dieses unter Berufung auf § 11 Abs. 1 Nr. 3 ALG die ablehnende Entscheidung des Trägers der Alterssicherung der Landwirte zur Gewährung von Regelaltersrente bestätigte. Das dagegen gerichtete und den Rechtsweg ausschöpfende Verfahren zum Bundessozialgericht hatte ebenfalls keinen Erfolg, weshalb die Sache vor dem BVerfG landete.
II. Maßgebliche Erwägungen des Ersten Senats
Die Leitlinien der Entscheidung lassen sich wie folgt darstellen:
1. Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG
Zunächst könnte § 11 Abs. 1 Nr. 3 ALG gegen Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG verstoßen.
a) Eigentumsrelevante Maßnahme im Rahmen des Schutzbereichs
Dann müsste zunächst ein Eingriff in den Schutzbereich vorliegen. Insoweit stellt das BVerfG klar, dass die – auch durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten – Rentenansprüche und Rentenanwartschaften nicht tangiert seien. Denn die Abgabe des Hofes schaffe erst die Voraussetzungen für deren Entstehung. Allerdings liege ein Eingriff in das Sacheigentum an dem landwirtschaftlichen Hof vor. Es liege zwar kein finaler und imperativer Eingriff im klassischen Begriffssinne vor, wohl aber ein solcher nach modernem Verständnis, wonach auch rein grundrechtsverkürzende, mittelbar faktische Maßnahmen des Staaten erfasst werden, soweit diese nur „eingriffsgleiche Wirkung“ entfalten. Dies sei bei der oben zitierten Hofabgabeklausel der Fall, da ein Anspruch auf Regelaltersrente erst dann entsteht, wenn das landwirtschaftliche Unternehmen abgegeben wird (s. zu weiteren Möglichkeiten § 21 ALG). Darin liege ein mittelbarer und faktischer Druck, den Hof abzugeben. Zwar könne der Landwirt frei darüber entscheiden, ob er seinen Hof abgeben wolle oder nicht. Dies sei aber unerheblich, da er die jahrzehntelangen Beiträge, die er zur Rentenversicherung geleistet hat, nur dann wirtschaftlich sinnvoll investiert habe, wenn er auch eine Rente bewilligt bekomme – zumal Landwirte nicht frei entscheiden können, ob sie Beiträge zur Rentenversicherung leisten wollen oder nicht.
§ 11 Abs. 1 Nr. 3 ALG sei – mangels Güterbeschaffung zu Gunsten des Staates – nicht als Enteignung, sondern als Inhalts- und Schrankenbestimmung i.S.d. Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG einzustufen, der den einfachen Gesetzesvorbehalt ausfülle. Denn es werden gerade abstrakt-generell Rechte und Pflichten des Eigentümers geregelt, die den Inhalt des am Hof bestehenden Eigentums verkürzen.
b) Rechtfertigung
Eine solche ISB bedarf der Rechtfertigung. Da an der formellen Verfassungsmäßigkeit keine Zweifel bestehen, ist insbesondere auf materielle Verfassungsmäßigkeit hin zu prüfen.
Der Eingriff im Rahmen der Inhalts- und Schrankenbestimmung in die durch Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG geschützten Eigentumsrechte ist dann gerechtfertigt, wenn Gründe des öffentlichen Interesses vorliegen und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet wurde. Auf diese Weise soll ein ausgewogenes Verhältnisses zwischen der Privatnützigkeit des Eigentums und dem Sozialgebot geschaffen und die Institutsgarantie gewahrt werden.
Zunächst ist festzuhalten, dass der Gesetzgeber mit der Hofabgabeklausel legitime „agrarstrukturelle“ Ziele verfolgt. Dazu das BVerfG: „Die Hofabgabeklausel will somit einen Beitrag zur Übergabe von landwirtschaftlichen Unternehmen zu einem wirtschaftlich sinnvollen Zeitpunkt an jüngere Kräfte leisten. Im Weiteren geht es dem Gesetzgeber um die Funktion der Hofabgabe für den Bodenmarkt vor dem Hintergrund der das Angebot deutlich übersteigenden Nachfrage nach landwirtschaftlichen Flächen und des starken Anstiegs der Pachtpreise. Darüber hinaus verfolgt die Hofabgabeklausel das Ziel der Verbesserung der Betriebsstruktur durch die Schaffung größerer Entwicklungschancen für Wachstumsbetriebe.“
Zu diesen Zwecken ist § 11 Abs. 1 Nr. 3 ALG auch geeignet, da es diese Ziele fördert. Denn auf dieser Stufe fallen allein evident ungeeignete Mittel aus dem Raster, auch hier wird dem Gesetzgeber eine Einschätzungsprärogative zugestanden. Das BVerfG lässt deshalb die „Möglichkeit der Zweckerreichung“ genügen. Mithin genüge es, dass die Hofabgabeklausel mitursächlich für den Strukturwandel in der Landwirtschaft sei.
Ferner sei § 11 Abs. 1 Nr. 3 ALG auch erforderlich, also unter allen gleich wirksamen Mitteln dasjenige, das die geringsten Beeinträchtigungen mit sich bringe. Auch hier prüft das BVerfG nicht, ob der Gesetzgeber die bestmögliche Lösung gewählt hat, da insoweit erneut ein Prognose- und Beurteilungsspielraum besteht. In einer Klausur bietet sich hier die Möglichkeit, sich von anderen Bearbeitern abzusetzen, indem der Sachverhalt ausgewertet wird und darüber hinaus mildere Möglichkeiten angedacht, mangels vergleichbarer Effektivität aber wieder verworfen werden.
Allerdings ist die Hofabgabe, die § 11 Abs. 1 Nr. 3 ALG statuiert, nicht immer angemessen. Denn, so das BVerfG: „Eine Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs einerseits und dem Gewicht und der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe andererseits muss die Grenze der Zumutbarkeit wahren. Die Regelung darf die Betroffenen nicht übermäßig belasten.“ Insoweit beanstandet das BVerfG, dass das ALG keine Härtefallklausel enthalte, etwa für Fälle, in denen der Landwirt keinen zur Hofabnahme bereiten Nachfolger findet. In einem solchen Fall bliebe dem Landwirt oft nichts weiter übrig, als den Hof stillzulegen, was dazu führe, dass ein wesentlicher Teil der Alterssicherung – der Kaufpreis oder Pachtzins – fehle. Zudem seien auch weitere Fälle denkbar, in denen der Landwirt zwar einen Nachfolger finde und seinen Hof abgibt, sodass er eine Rente erhält, diese aber als Teilsicherung keine ausreichende Finanzquelle für das Alter darstelle.
Weiterhin wendet das BVerfG einen Kniff an, der zunehmend in der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung zu beobachten, doch nicht leicht anzuwenden ist, da insoweit das gewohnte Schema zur (getrennten) Prüfung von Freiheits- und Gleichheitsgrundrechten verlassen werden muss: Es prüft Art. 3 Abs. 1 GG im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 GG. Der Grund dafür liegt darin, dass der Gesetzgeber bei der inhaltlichen Ausgestaltung des Privateigentums an den Gleichheitssatz gebunden ist. Dies sei, so das BVerfG, hier aber nicht beachtet worden. Denn durch Schaffung verschiedener Ausnahmeregelungen im Jahre 2012, die hier allerdings nicht angegriffen wurden, seien nicht mehr alle Landwirte von der Hofabgabeklausel erfasst, sonder nur noch eine Minderheit von ca. 36 %. So sei es z.B. möglich, dass ein Ehegatte den Hof ohne Eingreifen des § 11 Abs. 1 Nr. 3 ALG übernimmt und damit den Hof weiter bewirtschaften kann, soweit er nur von der Beitragspflicht befreit ist. Zugleich gebe es Landwirte, für die ein solcher Grund gerade nicht vorliege, was zu einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung führe.
2. Verstoß gegen Art. 3 Abs. 2 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG
Neben einem Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG nimmt das BVerfG darüber hinaus auch noch einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 2 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG an. Denn der Rentenanspruch der ebenfalls als Landwirtin geltenden Ehefrau (§ 1 Abs. 3 S. 1 ALG) ist davon abhängig, dass der Landwirt den Hof gemäß § 21 Abs. 9 S. 4 ALG abgibt. Dazu das BVerfG: „Nach Art. 6 Abs. 1 GG stehen Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Es ist deshalb dem Gesetzgeber jede an die Existenz der Ehe anknüpfende Benachteiligung untersagt. Verfassungsrechtlich geschützt ist nach Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 GG eine Ehe, in der die Eheleute in einer gleichberechtigten Partnerschaft zueinander stehen und in der die Ehegatten ihre persönliche und wirtschaftliche Lebensführung in gemeinsamer Verantwortung bestimmen. Das schließt eine einseitige Dominanz eines Ehepartners bei der Gestaltung von Rechtsverhältnissen aus. Der Gesetzgeber darf eine solche Dominanz nicht durch Gesetz begründen.“ Da § 21 Abs. 9 S. 4 ALG diese grundgesetzlich geschützte wirtschaftliche Lebensführung in gemeinsamer Verantwortung beider Ehegatten verletze, und eine Rechtfertigung hierfür nicht ersichtlich sei, sei die Regelung verfassungswidrig.
III. Zusammenfassung
Aus der Entscheidung können folgende Aussagen abstrahiert werden:
- Es liegt eine nach Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG eigentumsrelevante Maßnahme vor. Die Koppelung einer Rente an die Abgabe eines landwirtschaftlichen Hofs entfaltet eingriffsgleiche Wirkung und greift faktisch in das Sacheigentum am Hof ein. § 11 Abs. 1 S. 3 ALG stellt insoweit eine rechtfertigungsbedürftige Inhalts- und Schrankenbestimmung dar, Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG.
- Die den Landwirt treffende Pflicht, zum Erhalt von Regelaltersrente seinen Hof abzugeben, ist jedoch dann nicht gerechtfertigt, da nicht angemessen, wenn ihm dadurch in unzumutbarer Weise Einkünfte entzogen werden, die zur Ergänzung einer als Teilsicherung ausgestalteten Rente notwendig sind. Da zudem nicht alle Landwirte von den Änderungen der Norm im Jahre 2012 erfasst waren, liege ein gleichheitswidriger Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 GG vor.
- Darüber hinaus darf, damit kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 2 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG vorliegt, die Gewährung einer Rente an den einen Ehepartner nicht von der Entscheidung des anderen Ehepartners über die Abgabe des Hofs abhängig gemacht werden.
1. Verfassungswidrigkeit soll nur aufgrund bestimmter (im Urteilssachverhalt wohl nicht gegebener) Konstellationsmöglichkeiten vorliegen. Mögliche nomerhaltende verfassungskonforme Auslegung für solche (Ausnahme-)Fälle kann nur zeifelhaft genügend erwogen scheinen.
2. Eine Ungleichbehandlung in Ausnahmefällen kann durch Ausnahmeumstände sachlich gerechtfertigt sein. Insofern kann Gleichheitswidirgkeit noch unklar wirken.
Hier können ebenso genügende Erwägungen zu möglicher verfassungskonformer Auslegung zweifelhaft bleiben.
3. Für eine Ehefrau eines Landwirtes kann hinsichtlich einer Hofübergabe grundsätzlich eher nur entsprechendes gelten wie für den Landwirt, wenn sie Hofmitinhaberin ist. Ein gesetzlicher Status als Landwirtin muss dies nicht bedingen. Bei mangelnder Hofinhaberschaft können Verfügungen darüber unmöglich und daher kaum verhältnismäßig sonst Rechtsvoraussetzung sein.
Sollte eine Landwirtin Hofmitinhaberin sein, kann eine entsprechende Geltung von Hofübergaberegeln an Hofinhaberschaft anknüpfen. Damit würde dies weniger allein nachteilig an eine Ehe anknüpfen und insofern nicht verfassungswidrig sein müssen.