BVerwG bestätigt OVG Münster: Selbstbedienung in Apotheken bleibt untersagt
Mit Entscheidung vom 18.10.2012 (Az. 3 C 25.11) hat das BVerwG entschieden, dass eine Selbstbedienung in Apotheken für apothekenpflichtige Medikamente weiterhin verboten bleibt. Gesetzliche Grundlage für ein derartiges Verbot stellt § 17 Abs. 3 ApBetrO dar, der wie folgt lautet:
Der Apothekenleiter darf Arzneimittel und Medizinprodukte, die der Apothekenpflicht unterliegen, nicht im Wege der Selbstbedienung in den Verkehr bringen.
Mit Selbstbedienung ist gemeint, dass der Kunde die Apotheke betritt, die Medikamente seiner Wahl eigenhändig aus dem Regal entnimmt und diese nur noch an der Kasse zahlt. Nach Ansicht der Klägerseite verstößt diese Vorschrift gegen Art. 12 GG sowie gegen Art. 3 GG. Im Folgenden wird auf die Ausführungen des OVG Münster verwiesen, dessen sich das BVerwG in der Sache angeschlossen hat (das Urteil ist derzeit im Volltext noch nicht verfügbar).
Das OVG prüft schulmäßig und sehr detailliert Art. 12 GG – die Berufsfreiheit (dazu auch unser umfassendes Schema). Sehr instruktiv äußert sich das OVG zum Prüfungsmaßstab der Verhältnismäßigkeit (OVG Münster, Urteil vom 19.08.2010, Az. 13 A 182/08, Rn. 24 (juris)):
Gesetzliche Regelungen der Berufsausübung halten sich dabei im Rahmen der Regelungsbefugnis des Gesetzgebers und in den verfassungsrechtlichen Schranken des Art. 12 Abs. 1 GG, wenn sie durch hinreichende Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt werden oder als zweckmäßig erscheinen, wenn die gewählten Mittel zur Erreichung des verfolgten Zwecks geeignet und auch erforderlich sind und wenn auch bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt wird. Den Anschauungen des Gesetzgebers ist demnach allenfalls dann die Anerkennung zu versagen, wenn sie offensichtlich fehlsam oder mit der Wertordnung des Grundgesetzes unvereinbar wären.
Eine Unvereinbarkeit mit der Wertordnung des GG erkannte das OVG im vorliegenden Fall nicht. Es handele sich hier um eine Regelung der Berufsausübung, also einen Eingriff auf der untersten Stufe im Rahmen des 3-Stufensystems in Art. 12 GG. Der legitime Zweck sei gegeben. Denn
nach dem Leitbild vom „Apotheker in seiner Apotheke“ solle der Kunde sicher sein, in Apotheken von pharmazeutischem Personal bedient und beraten zu werden. Diese gesundheitspolitischen Erwägungen reichten im Interesse einer geordneten Arzneimittelversorgung zur Rechtfertigung des Selbstbedienungsverbots aus (OVG Münster, Urteil vom 19.08.2010, Az. 13 A 182/08, Rn. 26 (juris)).
Auch im Hinblick auf Geeignetheit und Erforderlichkeit bezieht sich das OVG dogmatisch richtig auf die weite Einschätzungsprörogative des Gesetzgebers.
Das Selbstbedienungsverbot für apothekenpflichtige Arzneimittel ist zur Erreichung des gesetzgeberischen Ziels, Arzneimittelsicherheit zu gewährleisten, geeignet und erforderlich. Die Eignung eines Mittels ist dabei immer schon dann anzunehmen, wenn mit seiner Hilfe der gewünschte Erfolg gefördert werden kann. Eine verfassungsrechtliche Beanstandung ist hingegen nur möglich, wenn das eingesetzte Mittel „objektiv ungeeignet“ oder „schlechthin ungeeignet“ ist. Für das Merkmal der Eignung einer gesetzlichen Regelung ist zudem nicht entscheidend, ob der gewünschte Erfolg tatsächlich eintritt; vielmehr begründet schon die abstrakte Möglichkeit der Zweckerreichung die Geeignetheit des gesetzgeberischen Mittels. Bei der Bestimmung der zur Verfolgung seiner Ziele geeigneten und erforderlichen Maßnahmen steht dem Gesetzgeber außerdem ein weiter Gestaltungsspielraum zu.
Diese Voraussetzungen seien hier eingehalten. Insbesondere sei es im Rahmen der jetzigen Regelung möglich, einen Kunden noch zu beraten, bevor dieser das Medikament an sich genommen und damit seine Entscheidung schon getroffen habe. Es bestehe hier die Gefahr, dass eine „Beratung“ in der Eile des Bezahlvorgangs unterbleibe oder generell unterschätzt werde; letztlich entstünde eine Situation, im Rahmen derer der Kunde das Medikament aufgrund seiner laienhaften Diagnose aussuche (OVG Münster, Urteil vom 19.08.2010, Az. 13 A 182/08, Rn. 31 (juris)). Das OVG hält also fest:
Diese Umstände begründen die Gefahr eines unkritischen und gefährlichen Arzneimittelkonsums, der nach dem Grundsatz der Arzneimittelsicherheit gerade vermieden werden soll.
Weiterhin sieht das OVG eine Vergleichbarkeit mit dem Online-Versandhandel nicht gegeben (OVG Münster, Urteil vom 19.08.2010, Az. 13 A 182/08, Rn. 34 (juris)).:
Dies kann jedoch nicht in gleicher Weise für das Angebot apothekenpflichtiger Arzneimittel zur Selbstbedienung gelten. Der Versandhandel wird typischerweise für den Bezug von Arzneimitteln genutzt, bei denen der Kunde keinen Beratungsbedarf sieht, weil ihm das Medikament bereits bekannt oder er nicht darauf angewiesen ist, es sofort verwenden zu müssen oder zu wollen. Dies ist bei einem Arzneimittel, das vor Ort in der Apotheke erworben wird, grundsätzlich anders, auch wenn es im Einzelfall dem Kunden schon vertraut sein mag. Der Erwerb eines Arzneimittels vor Ort in einer Apotheke deutet regelmäßig darauf hin, dass es sich gerade nicht um häufiger angewendete Medikamente handelt und dass das Medikament kurzfristig bei einem Patienten zum Einsatz kommen soll. Umso wichtiger ist entsprechend dem Grundsatz größtmöglicher Arzneimittelsicherheit eine vorherige Beratung durch den Apotheker oder das pharmazeutische Personal einer Apotheke, um die Wirkungsweise des Mittels zu erklären und eine fehlerhafte oder gar schädliche Anwendung desselben zu verhindern und um möglicherweise ein anderes geeigneteres Präparat zu empfehlen. Dies ist, wie dargelegt, beim erleichterten Erwerb in Form der Selbstbedienung, bei dem der Kunde selbst das Medikament auswählt und an sich nimmt und bei dem – wenn überhaupt – allenfalls am Ende des Erwerbsvorgangs eine Beratung erfolgen kann, nicht hinreichend gewährleistet.
Im Rahmen der Angemessenheit hält das OVG fest, dass hier keine besondere Härte für den Kläger erkennbar sei (OVG Münster, Urteil vom 19.08.2010, Az. 13 A 182/08, Rn. 34 (juris)).
Anhaltspunkte dafür, dass die weitere Einhaltung des seit Jahrzehnten gesetzlich normierten Selbstbedienungsverbots für einen Apotheker im Allgemeinen und speziell für den Kläger eine übermäßige Belastung bedeutet und unzumutbar ist, sind gleichfalls nicht gegeben.
Aus den genannten Gründen sieht das OVG auch keinen Verstoß gegen Art. 3 GG.
Die vorstehenden Erwägungen zur Unterschiedlichkeit der Merkmale des Versandhandels von Arzneimitteln und des Selbstbedienungsverbots bei Arzneimitteln nach § 17 Abs. 3 ApBetrO begründen auch die Folgerung, dass das weiterhin geltende Selbstbedienungsverbot unter dem Blickwinkel des Art. 3 Abs. 1 GG ebenfalls keinen verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegt, auch nicht im Hinblick auf die erfolgte Freigabe des Versandhandels von Arzneimitteln.
In der Pressemitteilung des BVerwG heißt es hierzu:
Ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz liegt nicht vor. Die Reglementierung des Versandhandels zielt darauf ab, Verbraucherschutz und Arzneimittelsicherheit zu gewährleisten. Wie beim Kauf in der Apotheke unterliegt auch die Arzneimittelabgabe im Versandhandel der Kontrolle durch den Apotheker; eine Selbstbedienung findet nicht statt. Besondere Regelungen zur Beratung durch pharmazeutisches Personal zeigen, dass der Normgeber diesem Aspekt auch beim Versandhandel eine wichtige Bedeutung beimisst.
Fazit: Die Apotheke entwickelt sich wie die Schule zu einem Tummelplatz für Klassiker des Verwaltungs- und Verfassungsrechts (vgl. hier, hier oder hier). Hier treffen besondere Interessen aufeinander: Volksgesundheit, Arzneimittelsicherheit, Preisregulierung, aber auch handfeste wirtschaftliche Interessen. Dabei ist die Entscheidung des OVG (und bei Erscheinen auch des BVerwG) vor allem deshalb lesenswert, weil man hier erkennen kann, wie eine Prüfung des Art. 12 GG auszusehen hat. Vor allem die Äußerungen zur Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers sind nahezu lehrbuchartig. Die Einschätzung zu Art. 3 GG mag man für spitzfindig halten und muss man meiner Meinung nach nicht unbedingt teilen. Hier bleibt jedenfalls viel Raum für eigene Argumente. Nicht nur deshalb ist die Entscheidung also als examensrelevant einzustufen.
Der Verfahrensgang laut Pressemitteilung:
BVerwG 3 C 25.11 – Urteil vom 18. Oktober 2012
OVG Münster, 13 A 182/08 – Urteil vom 19. August 2010
VG Aachen, 7 K 1622/03 – Urteil vom 7. Dezember 2007
Schöner Beitrag!
Aber sollte es im ersten Satz nicht „apothekenpflichtige“ anstelle von „rezeptpflichtige“ heißen?
BG aus Berlin!
Genau! Danke und verbessert!