Das OLG Köln hat sich in einem äußerst interessanten Beschluss vom 4. April 2019 (2 Ws 122/19, SpuRt 2019, 134) mit der Frage auseinandergesetzt, ob ein Profiboxer sich der Körperverletzung strafbar machen kann, wenn er im Ring gedopt ist. Um es vorwegzunehmen: Eine Strafbarkeit ist denkbar. Der Fall erregt seit längerem größere mediale Aufmerksamkeit, da kein geringerer als der bekannte Profiboxer Felix Sturm in der nun durch das OLG Köln zugelassenen Hauptverhandlung vor der Großen Strafkammer des LG Köln auf der Anklagebank sitzen wird. Es wird das erste Mal sein, dass sich ein Profiboxer vor einem deutschen Strafgericht für einen derartigen Vorwurf wird verantworten müssen. Einen Tag nach dem Beschluss des OLG Köln wurde er auf der Kölner Sportmesse Fibo wegen des bestehenden Verdachts der Steuerhinterziehung in einer anderen Rechtssache verhaftet und sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Da sich strafrechtliche Fragestellungen grundlegender Art mit einem in der Öffentlichkeit präsenten Thema des Dopings im Profisport vermengen, ist von einer deutlich erhöhten Prüfungsrelevanz auszugehen.
I. Was war geschehen?
Nach dem spannenden WM-Rückkampf im Supermittelgewicht gegen den Russen Fjodor Tschudinow (im Folgenden „T“) am 20. April 2016, den Felix Sturm (im Folgenden „S“) nach Punkten für sich entscheiden und erneut Weltmeister der WBA werden konnte (den Kampf vom 9. Mai 2015 hatte S noch verloren), fiel die routinemäßig durchgeführte Dopingprobe im Hinblick auf Stanozolol erst in der A-Probe und später auch in der B-Probe positiv aus. Zum Hintergrund: Stanozolol (in manchen Kreisen kurz „Stano“ genannt) ist ein synthetisches anaboles Steroid, das zu einem kontinuierlichen Kraftzuwachs führen kann. Auch wenn S zunächst bestritt, dass die Dopingprobe von ihm stamme, weshalb das LG Köln die Eröffnung der Hauptverhandlung ablehnte, legte die StA Köln gegen diese Entscheidung Beschwerde ein, die nun vor dem OLG Köln Erfolg hatte. Zur besseren materiell-rechtlichen Beurteilung wird im Folgenden unterstellt, dass die Anklage in tatsächlicher Hinsicht zutrifft – auch wenn natürlich weiterhin die Unschuldsvermutung gilt.
Unabhängig von den prozessualen Beweisproblemen um die Verstöße gegen das AntiDopG ist materiell-rechtlich spannend, ob zugleich eine Körperverletzung im Sinne des § 223 Abs. 1 StGB gegeben sein kann. Denn, so legt die StA Köln es ihm jedenfalls zur Last: S wollte durch das Stanozolol seine Muskulatur stimulieren und definieren, um bei Boxschlägen gegen T „erhöhte Schnellkraft und erhöhte Maximalkraft“ zu erlangen. Dabei wusste S – auch das wird man als zutreffend unterstellen müssen –, „dass es sich bei Stanozolol um ein verbotenes Dopingmittel handelte und nahm es dennoch zur Leistungssteigerung in der Absicht ein, sich Vorteile in dem Boxkampf zu verschaffen. Hierbei nahm er es auch billigend in Kauf, dass sein Gegner […] in Kenntnis seines Dopings den Boxkampf nicht mit ihm bestritten hätte und er ihm dennoch mit seinen Boxhandschuhen Schmerzen zufügte.“ Doch reicht das, um eine Strafbarkeit aus § 223 Abs. 1 StGB zu begründen? Im Einzelnen:
II. Rechtliche Würdigung
S könnte sich der gefährlichen Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben, indem er mehrfach gegen Oberkörper und Kopf des T schlug.
1. In tatbestandlicher Hinsicht bestehen keine Bedenken dagegen, dass S durch Jab, Cross und Haken den T übel und unangemessen behandelt hat, wodurch dieser in seinem körperlichen Wohlbefinden beeinträchtigt und ein vom Normalzustand negativ abweichender Gesundheitszustand (erkennbar anhand von Hämatomen) hervorgerufen wurde, mithin eine körperliche Misshandlung (Alt. 1) sowie eine Gesundheitsschädigung (Alt. 2) vorliegen.
Zwar wird von einigen Stimmen im Schrifttum diskutiert, ob nicht bei Risikosportarten wie insbesondere dem Boxen, das gerade auf die Zufügung von Körperverletzungen ausgerichtet ist, eine objektive Zurechnung entfallen müsse, da die Handlung sich im Rahmen des erlaubten Risikos bewege und damit sozialadäquat sei (s. nur Lackner/Kühl/Kühl, StGB, 29. Aufl. 2019, § 228 StGB Rn. 2a m.w.N.). Mit dieser Ansicht muss man sich indes nicht näher auseinandersetzen, da selbst dann, wenn man ihr folgen wollte, durch das – unterstellt nachweisbare – Doping des S der durchaus schwammige Rahmen der Sozialadäquanz verlassen wurde (kritisch Jahn, Jus 593, 594, der fordert, dass sich die durch die Dopingeinnahme gesteigerte Schlagkraft im Taterfolg realisieren müsse). Die Tathandlung ist damit objektiv zurechenbar.
Ebenso wenige Zweifel bestehen an dem Wissen und Wollen des S im Hinblick auf die Tatbestandsverwirklichung, sodass S vorsätzlich handelte, § 15 StGB.
2. Im Zentrum der rechtlichen Prüfung steht damit die Frage, ob die Tat rechtswidrig war, was insbesondere dann der Fall ist, wenn keine Rechtfertigungsgründe eingreifen. In Betracht kommt vorliegend die Einwilligung des T. Dass die Einwilligung in eine Körperverletzung möglich sein muss, ist nicht nur gewohnheitsrechtlich anerkannt, schließlich ist das Strafrecht nichts weiter als der Schutz besonderer Rechtsgüter, auf den der Rechtsgutsträger jedenfalls grundsätzlich auch verzichten können muss, sondern wird auch durch § 228 StGB impliziert, der die Wirksamkeit der Einwilligung unter den Vorbehalt der Sittenwidrigkeit stellt.
a) Die Prüfung der Sittenwidrigkeit, die sich auf die Tat und nicht auf die Einwilligung bezieht und der h.M. folgend nach einer Gesamtschau von Tatschwere und Tatzweck richtet (vgl. Lackner/Kühl/Kühl, StGB, 29. Aufl. 2019, § 228 StGB Rn. 10), bietet sich indes eher weniger an, da die Tatschwere bei einem Boxkampf nicht über einfache Körperverletzungen hinausgehen dürfte. Die Frage bedarf allerdings ohnehin nicht mehr der Erörterung, wenn die Einwilligung aus anderen Gründen unwirksam ist.
b) Dies wäre hier auf Grund eines rechtsgutsbezogenen Irrtums des Einwilligenden denkbar. T müsste dafür einer Fehlvorstellung unterlegen sein. Das kann angesichts des Dopings mittels des leistungssteigernden Stanozolols durchaus angenommen werden, da es im Kampf zu einer Verschiebung des Leistungsniveaus zugunsten des S führt, die T bei seiner Einwilligung nicht einkalkuliert haben konnte. Denn, so das OLG Köln (Rn. 35):
„Die vom Teilnehmer eines Boxkampfes zumindest konkludent erteilte Einwilligung erstreckt sich ausschließlich auf solche Verletzungen, die bei regelkonformem Verhalten des Gegners üblich und zu erwarten sind. Doping als schwere Missachtung der anerkannten Sport- und Wettkampfregeln, die der Gegner nicht zu erwarten braucht […], kann der wirksamen Einwilligung entgegenstehen.“
Gerade der Umstand, dass sich S durch eine schwere Missachtung der Sport- und Wettkampfregelungen eine Leistungssteigerung verschaffte, begründet also nach Ansicht des OLG Köln die Unwirksamkeit der Einwilligung. Einfache Regelverletzungen dagegen reichen nicht aus, schlicht weil die Rechtsprechung zu Recht davon ausgeht, dass unreflektierte Regelverletzungen im „Eifer des Gefechts“ zum sportlichen Wettkampf dazugehören und demgemäß von einer erteilten Einwilligung gedeckt sind (s. bereits BGH, Urt. v. 22.01.1953 – 4 StR 373/52, NJW 1953, 912; ausführlich MüKo-StGB/Hardtung, 3. Aufl. 2017, § 228 StGB Rn. 44; klassisches Beispiel ist die „Grätsche“ im Fußball). Hier aber geht es nicht um eine im Eifer des Gefechts begangene Regelverletzung, sondern vielmehr um eine von langer Hand geplante, über viele Male hinweg gestreckte Missachtung aller sportlichen Grundregeln durch Dopingeinnahme, sodass die Einwilligung unwirksam ist (Jahn, Jus 2019, 593, 595).
Mangels Rechtfertigungsgrund war die Tat rechtswidrig.
3. An der Schuld bestehen keine Zweifel.
4. Mithin hat sich S der Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
5. Da es sich bei § 223 Abs. 1 StGB um ein relatives Antragsdelikt handelt, musste das OLG Köln weiterhin das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejahen, § 230 Abs. 1 S. 1 StGB. Das hat es jedoch ohne nähere Auseinandersetzung damit getan, was angesichts der Tatsache, dass es sich um eine grundlegende Frage handelt, wenig erstaunlich ist.
Anmerkung: Im Originalfall ging das OLG Köln noch auf die Rechtsfrage ein, ob die bei den Schlägen des S gegen T getragenen Boxhandschuhe als gefährliche Werkzeuge im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB anzusehen sein könnten. Darunter fallen nach der allgemein bekannten Definition Gegenstände, die nach der konkreten Art ihrer Verwendung geeignet sind, erhebliche Verletzungen hervorzurufen. Zwar sind Boxhandschuhe, auch wenn sie im Vergleich zu Schlägen mit der Hand weniger Verletzungspotential aufweisen, da sie die mit ihnen ausgeführten Schläge abfedern können, bei ihrer konkreten Verwendungsart durchaus dazu geeignet, erhebliche Verletzungen herbeizuführen. Man denke nur an den einen oder anderen legendären, aber blutigen Boxkampf, etwa den zwischen Vitali Klitschko und Lennox Lewis im Jahre 2003. Gleichwohl wurde zwischen den Boxenden unter Einbeziehung der Sport- und Wettkampfregeln vereinbart, dass solche Handschuhe gerade zur Verletzungsreduzierung getragen werden sollen; sie kommen daher von vornherein nicht als gefährliche Werkzeuge im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB in Betracht, jedenfalls solange sie im sportlichen Kontext eingesetzt werden. Dazu das OLG Köln (Rn. 36):
„Bei den eingesetzten Boxhandschuhen handelt es sich allerdings um bestimmungsgemäß in Einsatz gebrachte Sportgeräte, nicht um gefährliche Werkzeuge […]“
Eine Strafbarkeit aus der Qualifikation des § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB scheidet damit aus.
III. Fazit: Doping als Strafbarkeitsrisiko im Profiboxen
Gedopte Profiboxer riskieren nicht nur ihr Image, ihre Karriere, ihre Titel und eine Strafbarkeit nach dem AntiDopG, sondern auch eine Strafbarkeit nach § 223 StGB. Auch wenn man das Hauptverfahren vor dem LG Köln sowie den zu erwartenden Instanzenzug wird abwarten müssen: Jedenfalls vorerst dürfte der Beschluss des OLG Köln ein Weckruf an alle Profisportler sein, nicht nur die gesundheitlichen, sondern auch die strafrechtlichen Gefahren des Dopings gründlich zu wägen und bestenfalls neu zu bewerten. Es bleibt also weiterhin spannend.
Wer sich näher mit dem Themenkomplex auseinandersetzen will, wann ein Sportler sich bei regelwidrigem Verhalten der Körperverletzung strafbar machen kann (nicht nur in Kampfsportarten wie dem Boxen, sondern auch in Ballsportarten wie dem Fußball), dem sei der Aufsatz von Figura, BRJ 2014, 17 ans Herz gelegt.