Tätowierung bei Polizeibeamten: Bewerber darf nicht ohne gesetzliche Grundlage abgelehnt werden
Eine brandaktuelle Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen beschäftigt sich mit dem nach wie vor kontrovers diskutierten Problemfeld des zulässigen Ausmaßes von Tätowierungen bei Beamten. Mit seiner Entscheidung vom 12.9.2018 – 6 A 2272/18 urteilte das Gericht, dass einem Bewerber für den Polizeivollzugsdienst seine Einstellung nicht aufgrund einer großflächigen Tätowierung am Unterarm untersagt werden darf. Die Entscheidung steht in engem Zusammenhang zu einem Grundsatzurteil des BVerwG aus dem vergangenen Jahr (Urteil v. 17.11.2017 – 2 C 25/17, NJW 2018, 1185), nach dem Regelungen über das zulässige Ausmaß von Tätowierungen bei Beamten eine hinreichend bestimmte gesetzliche Ermächtigung voraussetzen. Beide Urteile behandeln eine Fülle höchst examensrelevanter Problemstellungen (Parlamentsvorbehalt, Grundrechte im Beamtenverhältnis, Reichweite des APR usw.), die im Folgenden aufgezeigt werden:
I. Sachverhalt der OVG Münster Entscheidung (Pressemitteilung entnommen)
„Der in Mülheim lebende Kläger hatte sich für die Einstellung in den Polizeivollzugsdienst des Landes Nordrhein-Westfalen zum 1. September 2017 beworben. Er trägt auf der Innenseite seines linken Unterarms eine Tätowierung in Gestalt eines Löwenkopfes mit einer Größe von 20 cm x 14 cm. Das zuständige Landesamt lehnte unter Berufung auf einen entsprechenden Verwaltungserlass die Einstellung des Klägers ab, weil sich die Tätowierung – beim Tragen der Sommeruniform – im sichtbaren Bereich befinde und mehr als handtellergroß sei. Nachdem das Verwaltungsgericht Düsseldorf das Land im Eilverfahren verpflichtet hatte, den Kläger zum weiteren Auswahlverfahren zuzulassen (Beschluss vom 24. August 2017 – 2 L 3279/17 -), wurde er nach dessen erfolgreichem Abschluss zum Kommissaranwärter ernannt. Das Land behielt sich aber ausdrücklich eine spätere Entlassung vor, sollte es im gerichtlichen Hauptsacheverfahren obsiegen. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf entschied mit Urteil vom 8. Mai 2018, dass das Land den Kläger nicht allein wegen seiner Tätowierung hätte ablehnen dürfen.“ (Ergänzung: Hiergegen legte das Land Berufung ein)
II. Urteil des Oberverwaltungsgerichts
Das OVG Münster wies die vom Land eingelegte Berufung zurück. Im Kern entscheidend ist: Regelungen über die Zulässigkeit von Tätowierungen im Beamtenverhältnis bedürfen aufgrund ihrer besonderen Grundrechtsintensität einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage. Das Stichwort lautet hier „Parlamentsvorbehalt“ als Konkretisierung des Prinzip des Gesetzesvorbehalts. Den schonenden Ausgleich zwischen widerstreitenden Grundrechten sowie kollidierende Verfassungspositionen ist dem Parlament vorbehalten, was bedeutet, dass die auch die wesentlichen Inhalte des Beamtenverhältnisses zwingend durch Gesetz zu regeln sind (vgl. BVerwG Urteil v. 17.11.2017 – 2 C 25/17, NJW 2018, 1185 (1188)). Da im streitigen Fall nur ein Erlass der Verwaltung regelte, welche Tätowierungen zur Ablehnung eines Bewerbers führen und keine gesetzliche Grundlage vorlag, durfte der Kläger nicht aufgrund seiner Tätowierung abgelehnt werden. Der parlamentarische Gesetzgeber – so das OVG Münster – müsse die für die Grundrechtsverwirklichung bedeutsamen Regelungen selbst treffen (Parlamentsvorbehalt!) und dürfe die Entscheidung über den konkreten Ausgleich der widerstreitenden Interessen nicht der Entscheidungsgewalt der Exekutive schrankenlos überlassen. Zudem sei es auch Aufgabe des Gesetzgebers, die gesellschaftlichen Wertungen hinsichtlich Tätowierungen und die daraus resultierende rechtliche Relevanz einzuschätzen und festzulegen. Entscheidend sei nach Auffassung des Gerichts vor allem, dass aus einer solchen parlamentarischen Regelung klar hervorgehen müsse, welche Maßnahmen dem Bürger gegenüber rechtmäßig sein sollen. Blickt man auf die bisherige Judikatur des BVerwG, gilt danach auch für Verordnungsermächtigungen, dass die parlamentarische Leitentscheidung aus der Ermächtigung erkennbar und vorhersehbar sein muss (BVerwG Urteil v. 17.11.2017 – 2 C 25/17, NJW 2018, 1185 (1188), Beschluss v. 21.4.2015 – 2 BvR 1322/12, NVwZ 2015, 1279 (1280)).
III. Reglementierung von Tätowierungen im Beamtenverhältnis nach BVerwG – Die Grundsatzentscheidung vom 17.11.2017
Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts bestätigt die jüngste Entwicklung in der Rechtsprechung des BVerwG. In seinem Urteil vom 17.11.2017 setzte sich das Gericht mit der Entfernung eines Polizeikommissars aus dem Beamtenverhältnis wegen diverser Tätowierungen mit verfassungsfeindlichem Inhalt auseinander. Der damalige Beklagte war an verschiedenen Körperregionen mit nationalsozialistisch geprägten Kennzeichen tätowiert, etwa die Sigrune in ihrer doppelten Verwendung als Kennzeichen der Waffen-SS sowie die Wolfsangel, welche von mehreren Panzerdivisionen als Emblem verwendet wurde (ausführlich BVerwG Urteil v. 17.11.2017 – 2 C 25/17, NJW 2018, 1185 (1188 f.)). Das BVerwG judizierte in dieser Entscheidung, dass Regeln über das zulässige Ausmaß von Tätowierungen bei Beamten eine hinreichend bestimmte gesetzliche Ermächtigung voraussetzen. Zu einem ähnlichen Entschluss fand das BVerwG bereits in einer vorherigen Entscheidung bezüglich Bestimmungen zu Einstellungshöchstaltersgrenzen, die traditionell durch Verwaltungsvorschriften bestimmt worden sind, nunmehr aber – als Konsequenz einer weitgehenderen Anwendung des Parlamentsvorbehalts i.R.v. Art. 33 Abs. 2 GG – ebenso auf einer hinreichend bestimmten Entscheidung des parlamentarischen Gesetzgebers beruhen müssen (vgl. BVerwG Beschluss v. 21.4.2015 – 2 BvR 1322/12, 2 BvR 1989/12, NVwZ 2015, 1279).
Den Ausgangspunkt der Entwicklung in der Rechtsprechung bildet die Feststellung, dass Grundrechte auch im Beamtenverhältnis Wirkung entfalten. Berührt eine Regelung grundrechtlich geschützte Rechtspositionen, bedarf es für die Austarierung der widerstreitenden Grundrechtspositionen bzw. der kollidierenden Verfassungspositionen einer parlamentarischen Entscheidung. Geht es um die Zulässigkeit von Tätowierungen, sieht das BVerwG neben dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht gem. Art. 2 Abs. 1 GG i.Vm. Art. 1 Abs. 1 GG auch das Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) berührt. Dies mag auf den ersten Blick verwundern, da das Gericht für Fälle des Schneidens von Kopfhaaren den Anwendungsbereich noch verneint hat (BVerwG Urteil v. 2.3.2006 – 2 C 3/05, NVwZ-RR 2007, 781). Für Tätowierungen sei diese Judikatur jedoch aufgrund des offenkundigen körperlichen Schmerzes, der mit der Entfernung von Tätowierungen verbunden sei, nicht übertragbar. In der Summe lässt sich sagen: Nach der neueren Rechtsprechung handelt es sich bei Vorschriften zu Art und Umfang zulässiger Tätowierungen im Beamtenverhältnis um einen derart grundrechtsensiblen Regelungsbereich, dass der Parlamentsvorbehalt eine eigenständige Entscheidung des Gesetzgebers unabdingbar macht. Der Konkretisierung durch die Exekutive muss diese Entscheidung auch jedenfalls in Gestalt einer Verordnungsermächtigung vorangestellt werden.
IV. Kurze Summa
Regelungen über die Zulässigkeit von Tätowierungen im Beamtenverhältnis bedürfen aufgrund ihrer besonderen Grundrechtsintensität einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage. Das Urteil des OVG Münster bestätigt insoweit die jüngste Rechtsprechung des BVerwG. Die Entscheidungen machen deutlich, dass der Parlamentsvorbehalt mit Blick auf Art. 33 Abs. 2, 5 GG von besonderer Bedeutung ist, da Grundrechte auch im Beamtenverhältnis Wirkung entfalten. Wesentliche Entscheidungen über Beschränkung und Austarierung grundrechtlich geschützter Positionen müssen vom Gesetzgeber getroffen werden. Summa summarum also ein Urteil, welches eine vertiefte Auseinandersetzung verdient.
Tatoos als alleinige absolute Einstellungshindernisse können nur problematisch verhältnismäßig wirken. Dies ebenso aufgrund Parlamentsgesetzes. Als Einstellungsfaktor neben anderen kann dies grundsätzlich eventuell möglich bleiben. U.U. kann vor einem Einstellungshindernis m.E. noch verhältnismäßiger eine Dienstauflage in Betracht kommen, Tatoos mit geeigneten Tapes im Dienst nach Möglichkeit verdecken zu sollen. Das kann eventuell bereits verhältnismäßig gnügend einem Interessenausgleich entgegenkommen?