BGH: Überwiegendes öffentliches Interesse an Wahrheit und Seriosität von Medienarbeit
Eine weitere höchstrichterliche Entscheidung zum juristischen Problemklassiker der Abwägung „Allgemeines Persönlichkeitsrecht VS Meinungs- und Pressefreiheit“
Wir haben uns bereits in einigen Artikeln mit dem juristischen Klassiker der Abwägung Allgemeines Persönlichkeitsrecht vs Meinungs- und Pressefreiheit beschäftigt. Hierbei handelt es sich um eine examensrelevante Problematik, die gerne in Examensklausuren aller drei Rechtsgebiete eingebaut wird. Der BGH hatte nun in dieser Woche einen neuen Fall zu entscheiden:
Sachverhalt
Der Kläger ist Chefredakteur des Nachrichtenmagazins „Focus“. Er verlangt von dem beklagten Zeitungsverlag die Unterlassung des künftigen Abdrucks von Teilen eines Interviews. Gegenstand des Interviews waren Äußerungen des Autors und Kabarettisten Roger Willemsen aus Anlass des bevorstehenden Bühnenauftritts „Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort – Die Weltgeschichte der Lüge“. Die Beklagte druckte das Interview wenige Tage vor einem Veranstaltungstermin in der von ihr verlegten örtlichen Tageszeitung ab. Roger Willemsen äußerte u. a.: „Heute wird offen gelogen“. Im Hinblick auf einen Bericht über Ernst Jünger in der Zeitschrift „Focus“ erklärte Roger Willemsen: „Das Focus-Interview, das Markwort mit Ernst Jünger geführt haben will, war schon zwei Jahre zuvor in der Bunten erschienen.“ Der Kläger meint, durch diese Äußerungen entstehe in der Öffentlichkeit ein seinem Ansehen abträglicher Eindruck.
Die Klage war in den Vorinstanzen erfolgreich. Der u. a. für den Schutz des Persönlichkeitsrechts zuständige VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die Revision der Beklagten die Klage abgewiesen.
Entscheidung
Der BGH hat die Klage Markworts auf Unterlassung gegen den Abdruck kritischer Interviewäußerungen zu „Focus“ abgelehnt, da das öffentliche Interesse an der Wahrheit und Seriosität von Medienarbeit Vorrang habe.
Die Verbreitung der Äußerungen sei zulässig, da es sich um eine nicht gegen den Kläger persönlich gerichtete Meinungsäußerung mit einem wahren Tatsachenkern handele. Die Aussage „Heute wird offen gelogen“ richtet sich gegen die Berichterstattung im Magazin „Focus“, für die der Kläger als Chefredakteur verantwortlich war. Sie gibt die dem Beweis nicht zugängliche Meinung des Interviewten über die mangelnde Wahrheitsliebe in den Medien wieder. Durch das von ihm angeführte Beispiel des Interviews Markworts mit Ernst Jünger, das Markwort jedenfalls nicht selbst geführt hat, wird der Kläger zwar in seinem Persönlichkeitsrecht tangiert, doch überwiegt das von Roger Willemsen verfolgte Interesse der Öffentlichkeit an der Wahrheit und Seriosität der Medienarbeit. Der Persönlichkeitsschutz des Klägers hat mithin hinter dem Recht der Beklagten auf Presse- und Meinungsfreiheit zurückzutreten.
Examensrelevanz und Prüfung in der Klausur
Wie bereits oben erwähnt, ist die Problematik der Abwägung zwischen dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht und der Meinungs- und Pressefreiheit äußerst examensrelevant. Die zu prüfenden Normen im Zivilrecht wären § 823 Abs. 1 BGB, da das APR als sonstiges Recht i.S.v. § 823 Abs. 1 BGB anerkannt ist. Des Weiteren könnte man einen Unterlassungsanspruch analog § 1004 I BGB iVm § 823 I BGB, Art. 2 I, 1 I GG prüfen. Im Rahmen der Rechtswidrigkeit wäre dann auf die Abwägung des APR gegen die Presse- und Meinungsfreiheit (Art. 5 I GG) einzugehen.
Im öffentlichen Recht käme eine Urteilsverfassungsbeschwerde in Betracht, wo dann im Rahmen der Begründetheit darauf einzugehen wäre, ob das APR bzw. die Presse- oder Meinungsfreiheit des Klägers oder der Beklagten durch die Instanzgerichte bei der Abwägung nicht hinreichend oder richtig berücksichtigt wurde.
Fortsetzung folgt 🙂
BGH – Urteil vom 17. November 2009 – VI ZR 226/08
Vorinstanzen:
Landgericht Hamburg – Urteil vom 29. Februar 2008 – 324 O 998/07
Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg – Urteil vom 5. August 2008 – 7 U 37/08
Quelle: PM des BGH, Karlsruhe, den 17. November 2009
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