• Suche
  • Lerntipps
    • Examensvorbereitung
    • Fallbearbeitung und Methodik
    • Für die ersten Semester
    • Mündliche Prüfung
  • Examensreport
    • 2. Staatsexamen
    • Baden-Württemberg
    • Bayern
    • Berlin
    • Brandenburg
    • Bremen
    • Hamburg
    • Hessen
    • Lösungsskizzen
    • Mecklenburg-Vorpommern
    • Niedersachsen
    • Nordrhein-Westfalen
    • Rheinland-Pfalz
    • Saarland
    • Sachsen
    • Sachsen-Anhalt
    • Schleswig-Holstein
    • Thüringen
    • Zusammenfassung Examensreport
  • Interviewreihe
    • Alle Interviews
  • Rechtsgebiete
    • Strafrecht
      • Klassiker des BGHSt und RGSt
      • StPO
      • Strafrecht AT
      • Strafrecht BT
    • Zivilrecht
      • AGB-Recht
      • Arbeitsrecht
      • Arztrecht
      • Bereicherungsrecht
      • BGB AT
      • BGH-Klassiker
      • Deliktsrecht
      • Erbrecht
      • Familienrecht
      • Gesellschaftsrecht
      • Handelsrecht
      • Insolvenzrecht
      • IPR
      • Kaufrecht
      • Kreditsicherung
      • Mietrecht
      • Reiserecht
      • Sachenrecht
      • Schuldrecht
      • Verbraucherschutzrecht
      • Werkvertragsrecht
      • ZPO
    • Öffentliches Recht
      • BVerfG Leitentscheidungen & Klassiker
      • Baurecht
      • Europarecht
      • Europarecht Klassiker
      • Kommunalrecht
      • Polizei- und Ordnungsrecht
      • Staatshaftung
      • Verfassungsrecht
      • Versammlungsrecht
      • Verwaltungsrecht
      • Völkerrrecht
  • Rechtsprechungsübersicht
    • Strafrecht
    • Zivilrecht
    • Öffentliches Recht
  • Karteikarten
    • Strafrecht
    • Zivilrecht
    • Öffentliches Recht
  • Suche
  • Menü Menü
Du bist hier: Startseite1 > Allgemeines Persönlichkeitsrecht

Schlagwortarchiv für: Allgemeines Persönlichkeitsrecht

Dr. Lena Bleckmann

Tindern nur in Grenzen erlaubt – Soldatin darf sich nicht zu freizügig verhalten

Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Startseite, Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht

Soldaten und Soldatinnen dürfen bei Tinder nicht zu offensiv nach Sexualkontakten suchen. In diesem Sinne hat das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 25.5.2022 über die Rechtsbeschwerde einer Bataillonskommandeurin der Bundeswehr entschieden. Bislang liegt allein die Pressemitteilung des Gerichts vor (PM. Nr. 34/2022 v. 25.5.2022). In der öffentlichen Debatte ist die Entscheidung aber bereits präsent – daher hier die wichtigsten Eckpunkte und Fragestellungen.

I. Worum geht es?

Die Bataillonskommandeurin (ein Bataillon ist nach der Definition des Dudens eine Truppenabteilung bzw. ein Verband mehrerer Kompanien oder Batterien, der Kommandeur bzw. die Kommandeurin führt diesen Verband) Anastasia B. ist innerhalb der Bundeswehr und darüber hinaus bekannt. Sie ist offen trans*. In ihrem privaten Tinder-Profil verwendete sie den Text „Spontan, lustvoll, trans*, offene Beziehung auf der Suche nach Sex. All genders welcome.“ Das Profil enthielt dabei ihren Vornamen und ein Bild, auf dem sie selbst deutlich zu erkennen war.  Hieran anknüpfend erhielt sie einen disziplinarrechtlichen Verweis. Der Verweis ist der förmliche Tadel eines bestimmten pflichtwidrigen Verhaltens eines Soldaten, siehe § 23 Abs. 1 Wehrdisziplinarordnung. Die Tinder-Nutzung in ihrer konkreten Ausgestaltung wurde mithin als Verletzung der Dienstpflichten gewertet. Diese Bewertung wurde durch das Truppendienstgericht und nunmehr auch – wenn auch mit leicht abweichender Begründung – durch das Bundesverwaltungsgericht gebilligt.

II. Die Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts

Während das Truppendienstgericht noch  mit dem guten Ruf der Bundeswehr argumentierte, der durch ein entsprechendes Auftreten der Bataillonskommandeurin beeinträchtigt werden soll, geht das BVerwG davon aus, dass aus den privaten Aktivitäten der Soldatin auf dem Datingportal in der Öffentlichkeit keine Rückschlüsse auf die Bundeswehr als Ganzes gezogen werden können.

Auch betont das BVerwG das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung als Bestandteil des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG. Hierzu gehöre auch, dass der Einzelne über seine geschlechtlichen Beziehungen frei bestimmen und sich für ein promiskuitives Sexualverhalten entscheiden könne. Ein solches Verhalten muss auch nicht allein in der engsten persönlichen Lebenssphäre stattfinden: Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung besteht nach den Ausführungen des BVerwG über die Intimsphäre hinaus auch in der Privat- und ebenso in der Sozialsphäre des Einzelnen. Der Schutz erstrecke sich auch darauf, im Internet Kontakte mit Gleichgesinnten zu suchen. Dieser grundrechtliche Schutz war vom Truppendienstgericht nicht ausdrücklich berücksichtigt worden.

Das BVerwG gelangt am Ende aber trotzdem nicht zu einem anderen Ergebnis als die Vorinstanz. Zur Begründung der Berechtigung des Verweises als disziplinarische Maßnahme verweist das Gericht auf die auch außerhalb des Dienstes bestehende Wohlverhaltenspflicht eines Soldaten. Nach § 17 Abs. 2 S. 1 Soldatengesetz muss das Verhalten des Soldaten „dem Ansehen der Bundeswehr sowie der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden, die sein Dienst als Soldat erfordert“. Das Auftreten der Bataillonskommandantin im Internet wird der Achtung und dem Vertrauen, die der Dienst erfordert, nach Ansicht des BVerwG nun wohl nicht gerecht. Aufgrund der „besonders hervorgehebenen dienstlichen Stellung einer Bataillonskommandeurin mit Personalverantwortung für ca. 1.000 Personen“ scheint das Gericht erhöhte Anforderungen an das Auftreten in der Öffentlichkeit auch im privaten Kontext zu stellen. Die außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht verlange, dass die Betroffene bei der Wahl der verwendeten Worte und Bilder im Internet Rücksicht auf ihre berufliche Stellung nehme. Sie müsse daher Formulierungen vermeiden, die den falschen Eindruck eines wahllosen Sexuallebens und eines erheblichen Mangels an charakterlicher Integrität erwecken. Die von der Soldatin verwendete Profilbeschreibung erwecken nun aber nach Ansicht des Gerichts gerade Zweifel an der erforderlichen charakterlichen Integrität. Der Onlineauftritt stellt nach dieser Bewertung mithin einen Verstoß gegen die Wohlverhaltenspflicht und damit einen tauglichen Gegenstand einer Disziplinarmaßnahme, namentlich des Verweises als mildester Maßnahme dar.

 III. Ausblick

Die Pressemitteilung ist ausgesprochen kurz gehalten. Die wesentlichen Erwägungen des BVerwG lassen sich ihr zwar entnehmen, dennoch ist die ausführliche Entscheidungsbegründung mit Spannung zu erwarten. Der Verweis auf die dienstliche und außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht von Soldaten findet sich in der jüngeren Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte insbesondere im Hinblick auf politische Äußerungen, die Zweifel an der Verfassungstreue aufkommen lassen (siehe etwa BVerwG, Urt. v. 13.1.2022 – 2 WD 4/21, NVwZ-RR 2022, 385; Beschl. v. 10.10.2019 – 2 WDB 2/19, NVwZ-RR 2020, 694; OVG Münster, Beschl. v. 27.1.2022 – 1 B 1756/21, BeckRS 2022, 1160; VG Stuttgart, Beschl. v. 9.3.2022 – 14 K 5778/21, BeckRS 2022, 5547) oder auf von Soldaten verübte Straftaten (BVerwG, Urt. v. 10.2.2022 – 2 WD 1.21, BeckRS 2022, 11476; Urt. v. 14.10.2021 – 2 WD 26.20, BeckRS 2021, 41961).

Ob die sexuelle Promiskuität sich hier ohne weiteres einreiht, etwa mit antisemitischen oder beleidigenden Äußerungen, Körperverletzungen oder anderen Straftaten gleichgesetzt werden kann, darf durchaus bezweifelt werden. Zwar erfordert ein Verstoß gegen die Wohlverhaltenspflicht nicht, dass der Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht wird (BVerwG, Urt. v. 13.1.2022 – 2 WD 4/21, NVwZ-RR 2022, 385 (Rn. 40)). Ein Soldat müsse sich insbesondere dann in seinem privaten Verhalten mäßigen, wenn dabei ein besonderer Bezug zur Dienstausübung, d.h. zu seinem militärischen Auftrag, zu seinen Kameraden oder zur Bundeswehr besteht (siehe ebenda). Die Verwendung des Wortes „insbesondere“ durch das BVerwG legt weiterhin nahe, dass ein besonderer Bezug zur Dienstausübung – der im hiesigen Fall gerade fehlt – keine zwingende Voraussetzung für die Annahme eines Verstoßes gegen die Wohlverhaltenspflicht ist. In der Gesamtabwägung scheint es dennoch geboten, zu berücksichtigen, ob und inwiefern ein Bezug des privaten Verhaltens zum Dienst des Soldaten steht. Je weniger verwerflich das private Verhalten, desto höhere Anforderungen wird man an den Dienstbezug stellen müssen.

Ob das Verhalten der Bataillonskommandantin im vom BVerwG zu entscheidenden Fall nun überhaupt als verwerflich einzustufen ist und (bejahendenfalls) in welchem Maße dem so ist, ist eine Frage, deren Beantwortung sich ganz maßgeblich an den moralischen Wertvorstellungen des Betrachters orientiert. Anders als etwa im Hinblick auf rechtsradikale Äußerungen dürfte die Bewertung auch in der politischen Mitte hier je nach Kreis der Befragten ausgesprochen unterschiedlich ausfallen. Konservativere Beobachter mögen argumentieren, das mit der festen Partnerschaft zweier Personen einhergehende Wertekonzept sei ebenso in der Verfassung verankert, wie die freiheitlich demokratische Grundordnung. Offen ausgelebtes, sexuell promiskuitives Verhalten könnte dann als mit den geltenden gesellschaftlichen Wertvorstellungen unvereinbar eingeordnet werden. Dann ist wohlgemerkt eine Abwägung dieser Verfassungswerte mit dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen vorzunehmen. Angehörige des progressiveren Lagers und insbesondere jüngere Personen, die mit der Nutzung von Dating-Apps womöglich eher vertraut und an einen promiskuitiven Lebensstil einiger Nutzer gewissermaßen gewöhnt sind – mag es auch nicht ihrem eigenen Lebensentwurf entsprechen –, werden hier wohl toleranter, jedenfalls gleichgültiger sein. Der Schluss vom Sexualleben auf die fehlende charakterliche Integrität wird gerade in diesen Kreisen eher verwundern und vielfach Anstoß finden. In den Ausführungen des BVerwG in der aktuellen Pressemitteilung wirkt dieser Schluss tatsächlich etwas eilig. Gerade in diesem Punkt sind jedoch die ausführlichen Entscheidungsgründe abzuwarten – sie werden zeigen, inwiefern die Erwägungen des Gerichts in verschiedenen Gesellschaftsgruppen anschlussfähig sind.

Entscheidungen wie die vorliegende, die von moralisch-sittlichen Wertvorstellungen geprägt sind, sind immer nur eine Momentaufnahme dahingehend, welche Vorstellungen zur Zeit der Entscheidung vorherrschend sind. Diese Problematik ist aus dem Zivilrecht im Hinblick auf die Beurteilung der Sittenwidrigkeit bekannt. Sittliche Vorstellungen unterliegen einem steten Wandel – ein Wandel in verschiedene Richtungen und in unterschiedlicher Geschwindigkeit je nach gesellschaftlicher Schicht. Es ist gut denkbar, dass die Einschätzung zutrifft, ein allzu öffentlich ausgelebter, sexuell promiskuitiver Lebensstil sei mit dem in weiten Teilen der Gesellschaft vorherrschenden Wertefundament nicht vereinbar, und dass die Anhänger dieser Wertvorstellung auch von einem solchen Lebensstil auf die Integrität und die Eignung des Betroffenen für bestimmte Tätigkeiten schließen. Es ist jedoch ebenso denkbar, dass die Bewertung in fünf oder auch zehn Jahren ganz anders ausfallen würde – dann müsste auch die Entscheidung in einem Fall wie dem hier besprochenen eine andere sein.

02.06.2022/0 Kommentare/von Dr. Lena Bleckmann
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Lena Bleckmann https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Lena Bleckmann2022-06-02 08:39:002022-08-03 08:31:47Tindern nur in Grenzen erlaubt – Soldatin darf sich nicht zu freizügig verhalten
Gastautor

BVerfG: Ausnutzung von IT-Sicherheitslücken für die Quellen- Tele­kommunikations­über­wachung

Öffentliches Recht, Rechtsprechung, Startseite, Verfassungsrecht

Wir freuen uns, nachfolgenden Gastbeitrag von Christoph Klaus Klang, LL.M. (Speyer) veröffentlichen zu können. Der Autor studierte Rechtswissenschaften in Hannover und Speyer und ist zurzeit als Dezernent und Datenschutzbeauftragter des Regionalen Landesamts für Schule und Bildung in Braunschweig tätig.

Mit Beschluss vom 8.6.2021 (1 BvR 2771/18) hat der erste Senat des Bundesverfassungsgerichts eine Verfassungsbeschwerde abgewiesen, die sich gegen die Befugnis zur Quellen-TKÜ und der daraus resultierenden Pflichten des Staates richtet. Die Entscheidung befasst sich schwerpunktmäßig mit dem sich hierbei ergebenden staatlichen Zielkonflikt zwischen einerseits dem Schutz informationstechnischer Systeme vor Angriffen Dritter mittels unbekannter Sicherheitslücken und andererseits der bewussten Offenhaltung solcher Lücken zur Ermöglichung einer der Gefahrenabwehr dienenden Quellen-TKÜ.
 
I. Worum geht es?
Nicht nur im Rahmen der Strafverfolgung sondern auch im Wege der Gefahrenabwehr besteht ein staatliches Interesse an der Möglichkeit die Telekommunikation bestimmter Personen zu überwachen und ggf. aufzuzeichnen. Mit der Quellen-TKÜ werden Daten schon im IT-System des Kommunikators abgegriffen, bevor die Verschlüsselung für einen etwaigen Transport erfolgt. Der Zugriff auf das IT-System des Betroffenen kann dabei auf verschiedenen Wegen erfolgen. So ist neben einem physischen Eingriff auch die Nutzung einer IT-Sicherheitslücke denkbar. Im Sinne von § 2 BSIG sind IT-Sicherheitslücken Eigenschaften von Programmen oder sonstigen informationstechnischen Systemen, durch deren Ausnutzung es möglich ist, dass sich Dritte gegen den Willen des Berechtigten Zugang zu fremden informationstechnischen Systemen verschaffen oder die Funktion der informationstechnischen Systeme beeinflussen können. Sind einer Behörde entsprechende IT-Sicherheitslücken bekannt, können diese für eine Quellen-TKÜ genutzt werden. Damit lässt sich ein objektives Interesse des Staates feststellen, dass entsprechende IT-Sicherheitslücken offengehalten werden. Hieraus resultiert dann die Gefahr, dass der Staat ihm bekanntwerdende IT-Sicherheitslücken bewusst nicht an den Hersteller meldet. Solche, dem Hersteller nicht bekannten IT-Sicherheitslücken, werden als „Zero-Day-Schwachstellen“ bezeichnet, da Sie dem Hersteller seit null Tagen bekannt sind.
 
II. Sachverhalt (verkürzt)
Zum 17.1.2021 wurde das Polizeigesetz des Landes Baden-Württemberg <PolG BW> neu gefasst. Die Regelungen zur Quellen-TKÜ wurde aus der alten Fassung nunmehr unverändert in den neuen § 54 PolG BW übernommen
 
Gemäß § 54 Abs. 2 PolG BW darf die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation ohne Wissen der betroffenen Person in der Weise erfolgen, dass mit technischen Mitteln in von ihr genutzte informationstechnische Systeme eingegriffen wird, wenn

  1. Durch technische Maßnahmen sichergestellt ist, dass ausschließlich laufende Telekommunikation überwacht und aufgezeichnet wird, und
  2. der Eingriff notwendig ist, um die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation insbesondere auch in unverschlüsselter Form zu ermöglichen.

 
Gemäß § 54 Abs.  3 PolG BW ist bei Maßnahmen nach Absatz 2 sicherzustellen, dass

  1. an dem informationstechnischen System nur Veränderungen vorgenommen werden, die für die Datenerhebung unerlässlich sind, und
  2. die vorgenommenen Veränderungen bei Beendigung der Maßnahme, soweit technisch möglich, automatisiert rückgängig gemacht werden

Das eingesetzte Mittel ist gegen unbefugte Nutzung zu schützen. Kopierte Daten sind gegen Veränderung, unbefugte Löschung und unbefugte Kenntnisnahme zu schützen.
 
Die Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. und der Chaos Computer Club Stuttgart e.V. (im Folgenden: Beschwerdeführer) wenden sich mit Ihrer Verfassungsbeschwerde, binnen der Jahresfrist nach § 93 Abs.  3 BVerfGG, gegen die in § 54 PolG BW geregelte Befugnis zur Quellen-TKÜ. Diese habe zur Folge, dass zur Durchführung der Überwachung IT-Sicherheitslücken von informationstechnischen Systemen, die der Behörde, nicht aber dem jeweiligen Hersteller bekannt seien, offengehalten würden und so Angriffe von dritter Seite ermöglichen. Die Beschwerdeführer befürchten, dass die Polizeibehörden ihnen bekannte IT-Sicherheitslücken nicht melden werden, da sie deren Schließung durch den Hersteller vermeiden wollen, um die Lücken für die Durchführung einer polizeilichen Überwachungsmaßnahme verwenden zu können. Grundsätzlich habe das Land Baden-Württemberg es versäumt, mit einer zwingend gebotenen Begleitreglung ein „Schwachstellen-Management“ zu schaffen, das insbesondere die Verwendung von Sicherheitslücken verbieten müsse, die dem Hersteller des betreffenden Systems nicht bekannt seien. Die Regelung des § 54 PolG BW gefährde daher sowohl das Fernmeldegeheimnis als auch die Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme.
 
III. Die Entscheidung des Gerichts
Im Ergebnis verwirft das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde als unzulässig. Die Beschwerdeführer sind als juristische Personen Grundrechtsträger und damit beschwerdefähig. Sie haben die Möglichkeit einer Verletzung der sich aus den Grundrechten ergebenden Schutzpflichten allerdings nicht hinreichend dargelegt und im Übrigen die Anforderungen der Subsidiarität im weiteren Sinne nicht gewahrt.
 
Die Begründung erfolgt allerdings in bemerkenswerter Ausführlichkeit. Das Bundeverfassungsgericht erkennt, dass sowohl das Fernmeldegeheimnis als auch die grundrechtliche Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme betroffen sind.
 
Der erkennende Senat hält an der bisherigen ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts fest. Danach erschöpft sich der Gewährleistungsgehalt von Grundrechten nicht bloß in ihrer Abwehrfunktion, sondern sie enthalten zugleich eine objektive Wertentscheidung der Verfassung, die auch staatliche Schutzpflichten begründen kann (vgl.  BVerfG 39, 1 (79); st. Rspr.).
 
Aus diesen Schutzpflichten einerseits und aus der Ermächtigung zur Quellen-TKÜ über IT-Sicherheitslücken andererseits entsteht ein Zielkonflikt, dessen gebotene Lösung dem Staat obliegt.
 
1. Betroffenheit von Art. 10 Abs. 1 GG
Art. 10 Abs.  1 GG erklärt das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis für unverletzlich. Nach Abs. 2 dürfen Beschränkungen nur aufgrund eines Gesetzes angeordnet werden. Dient die Beschränkung dem Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Bestandes oder Sicherung des Bundes oder eines Landes, so kann das Gesetz bestimmen, daß sie dem Betroffen nicht mitgeteilt wird und daß an die Stelle des Rechtsweges die Nachprüfung durch von der Volksvertretung bestellte Organe und Hilfsorgane tritt.
 
Das Bundesverfassungsgericht bestätigt, dass sofern Zugriffe Dritter Inhalte und Umstände der laufenden Telekommunikation erfassen, das durch Art. 10 Abs. 1 GG geschützte Fernmeldegeheimnis betroffen ist (vgl. BVerfGE 120, 274 (307)). Art. 10 Abs. 1 GG begründet daher neben einem Abwehrrecht auch einen konkreten staatlichen Auftrag, die dem Fernmeldegeheimnis unterfallende Kommunikation vor dem Zugriff privater Dritter zu schützen (vgl. BVerfGE 106, 28 (37)).
 
2. Betroffenheit von Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistet auch die Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme (vgl. BVerfGE 120, 274 (306 ff.) und ist daher ebenfalls bei dessen Infiltration betroffen. Aus der Bedeutung der Nutzung informationstechnischer Systeme für die Persönlichkeitsentfaltung und aus den Persönlichkeitsgefährdungen, die mit dieser Nutzung verbunden sind, folgt ein grundrechtlich erhebliches Schutzbedürfnis (1 BvR 370/07 – 1 BvR 595/07).
 
Der angegriffene § 54 Abs. 2 PolG BW ermächtigt die zuständigen Behörden zwar lediglich bzgl. laufender TK-Vorgänge zur Quellen-TKÜ, sodass ein hierauf gestützter staatlicher Eingriff vordergründig an Art. 10 Abs. 1 GG zu messen wäre. Dringen aber Dritte über eine unbekannte Schutzlücke in das System ein, könnten sie möglicherweise auf das gesamte informationstechnische System und seinen Datenbestand zugreifen. Sie können dieses insbesondere ausspähen, manipulieren und erpresserisch mit der Manipulation oder Vernichtung von Daten, drohen.
Daher sind hier die Grundrechte in ihrer Schutzdimension so sehr betroffen, dass sich hieraus eine konkrete grundrechtliche Schutzpflicht des Staates ergibt.
 
3. Zur grundrechtlichen Schutzpflicht
Die zunehmende vom Fernmeldegeheimnis erfasste elektronische Kommunikation und die verstärkte Umstellung ehemals analoger Vorgänge auf digitale Prozesse sowie die immer breitere mobile Nutzung informationstechnischer Systeme erhöhen zwangsläufig die Abhängigkeit von Informationstechnologie ständig weiter.
 
Das Bundesverfassungsgericht erkennt, dass sich die Verflechtung von Entfaltungsfreiheit und Informationstechnik zunehmend intensiviert wird. Die Grundrechtsträger können von ihren grundrechtlichen Freiheiten ohne die Nutzung entsprechender informationstechnischer Systeme immer weniger Gebrauch machen. Sie können sich immer weniger den Gefahren der Nutzung informationstechnischer Systeme dadurch entziehen, dass sie auf deren Nutzung verzichten.
 
Vor diesem Hintergrund gebieten die Grundrechte, dass auch der Staat selbst die berechtigten Erwartungen der Grundrechtsträger an die Integrität und Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme achtet (vgl. BVerfGE 120, 274 (306)). Darüber hinaus besteht eine staatliche Pflicht, zum Schutz der Integrität und Vertraulichkeit integrationstechnischer Systeme gegen Angriffe durch Dritte beizutragen. Erlangen Behörden von einer, dem Hersteller unbekannten, IT-Sicherheitslücke Kenntnis, trifft sie eine konkrete grundrechtliche Schutzpflicht. Er ist dann verpflichtet, die Nutzerinnen und Nutzer informationstechnischer Systeme vor Angriffen Dritter auf diese Systeme zu schützen.
 
4. Der Zielkonflikt
Bestünde keine Ermächtigung zur Quellen-TKÜ unter Ausnutzung von IT-Sicherheitslücken hätten die Behörden kein eigenes Interesse daran, diese zu nutzen, um darüber informationstechnische Systeme infiltrieren zu können. Es ist davon auszugehen, dass im Lichte der Erfüllung der grundgesetzlichen Schutzpflichten der Staat dann die ihm bekanntwerdenden Lücken dem Hersteller melden würde, damit dieser die Lücke schließen kann.
 
Ist eine Behörde hingegen ermächtigt, zum Zweck der Gefahrenabwehr eine Quellen-TKÜ, unter Ausnutzung von IT-Sicherheitslücken, durchzuführen, löst dies für sie einen Zielkonflikt aus. Dieser besteht zwischen einerseits dem öffentlichen Interesse an einer möglichst großen Sicherheit informationstechnischer Systeme und andererseits der Ermöglichung einer dem Schutz von anderen hochrangigen Rechtsgütern dienenden Quellen-TKÜ. Daraus folgt die Gefahr, dass die ermächtigte Behörde es unterlässt, die Schließung der Lücke anzuregen oder sogar gegebenenfalls aktiv darauf hinwirkt, dass die Lücke unerkannt bleibt.
 
Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, dass die bloße Existenz staatlicher Überwachungsbefugnisse für Dritte einen Anreiz schafft, ihnen bekannte IT-Sicherheitslücken nicht den Herstellern selbst zu melden, sondern ihre Kenntnis staatlichen Behörden gegen eine Bezahlung anzubieten. Dies erhöht die Gefahr, dass IT-Sicherheitslücken dem Hersteller nicht gemeldet werden.
 
Das Bundesverfassungsgericht hält daran fest, dass die Quellen-TKÜ nicht von vorneherein verfassungsrechtlich unzulässig ist (vgl. bereits BVerfGE 120, 274 (326) zur Online-Durchsuchung). Aus der grundrechtlichen Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme ergibt sich daher kein Anspruch darauf, die Quellen-TKÜ durch Nutzung unerkannter IT-Sicherheitslücken zu untersagen. Aufgrund der oben genannten Gefahren für die Sicherheit entsprechender Systeme unterliegt die Nutzung durch unerkannte IT-Sicherheitslücken jedoch erhöhter Rechtfertigungsanforderungen. Das Bundesverfassungsgericht sieht in der Folge daher die grundrechtlichen Schutzpflichten dahingehend konkretisiert, dass eine staatliche Verpflichtung besteht, den Umgang der Polizeibehörden mit entsprechenden IT-Sicherheitslücken zu regeln.
 
5. Staatliche Regelungen zur Lösung des Zielkonflikts
Die grundrechtliche Schutzpflicht verlangt eine Regelung darüber, wie die Behörde bei der Entscheidung über ein Offenhalten unerkannter Sicherheitslücken den Zielkonflikt zwischen dem notwendigen Schutz vor Infiltration durch Dritte einerseits und der Ermöglichung von Quellen-TKÜ andererseits auflöst.
 
Der ermächtigten Behörde muss eine Abwägung der gegenläufigen Belange für den Fall aufgegeben werden, dass ihr eine, dem Hersteller unbekannte, Schutzlücke bekannt wird. Es ist sicherzustellen, dass die ermächtigte Behörde bei jeder Entscheidung über das Offenhalten einer dem Hersteller unbekannten IT-Sicherheitslücke einerseits die Gefahr einer weiteren Verbreitung der Kenntnis von dieser IT-Sicherheitslücke ermittelt und andererseits den Nutzen möglicher behördlicher Infiltration mittels dieser Lücke quantitativ und qualitativ bestimmt. Beide Aspekte müssen zueinander ins Verhältnis gesetzt werden. Die IT-Sicherheitslücke ist dann an den Hersteller zu melden, wenn nicht das Interesse an der Offenhaltung derselbigen überwiegt.
 
Das Bundesverfassungsgericht stellt dann fest, dass bereits unterschiedliche Regelungen zum Schutz informationeller Systeme bestehen, ohne dieser aber einer abschließenden verfassungsrechtlichen Prüfung zu unterziehen.
 
Es wäre die Aufgabe der Beschwerdeführer gewesen hinreichend dazulegen, dass die bestehenden Regelungen der grundrechtlichen Schutzpflicht nicht genügen. Auf die entsprechenden Fragen sind die Beschwerdeführer allerdings nicht eingegangen. Mit den Anforderungen an die Feststellung einer gesetzgeberischen Schutzpflichtverletzung sind spezifische Darlegungslasten verbunden. Eine mögliche Grundrechtsverletzung geht aus einem Vortrag in der Regel nur dann hervor, wenn sich dieser nicht in pauschalen Behauptungen und punktuell herausgegriffenen, angeblichen Unzulänglichkeiten der Rechtslage erschöpft. Vielmehr ist es erforderlich, dass der gesamte gesetzlichen Regelungszusammenhang erfasst wird. Je nach Fallkonstellation gehört hierzu auch, dass zumindest die einschlägigen Regelungen des als unzureichend beanstandeten Normkomplexes jedenfalls in Grundzügen dargestellt werden und begründet wird, warum vom Versagen der gesetzgeberischen Konzeption auszugehen ist.
 
a) § 54 Abs. 3 S. 2 PolG BW
Zunächst enthält die Ermächtigungsgrundlage selbst Schutzvorkehrungen. § 54 Abs. 3 S 2 PolG BW verpflichtet die Behörden dafür Sorge zu tragen, dass das eingesetzte Mittel gegen die unbefugte Nutzung durch Dritte geschützt ist Es ist zwar denkbar, dass das in § 54 Abs. 3 S. 2 PolG BW genannte „Mittel“ die Infiltrationssoftware meint und nicht die zu ihrer Einbringung genutzte IT-Sicherheitslücke bezeichnet. Dafür spricht, dass die IT-Sicherheitslücke im Zielsystem unabhängig von Handeln der Behörde besteht. § 54 Abs. 3 S. 2 POlG BW könnte allerdings auch fachrechtlich dahingehend auszulegen sein, dass unter das Tatbestandsmerkmal „eingesetztes Mittel“ auch die ausgenutzte Schwachstelle subsumiert wird. Dies hätte zur Folge, dass diese – etwa durch eine Meldung an den Hersteller – gegen eine unbefugte Nutzung zu schützen wäre.
 
b) Datenschutz-Folgeabschätzung
Eine Lösung des Zielkonflikts zwischen den öffentlichen Interessen an einem behördlichen Zugriff auf Telekommunikation einerseits und an einer möglichst großen Sicherheit informationstechnischer Systeme andererseits könnte auch im Rahmen der Datenschutz-Folgeabschätzung Rechnung getragen werden. § 80 PolG BW sieht eine entsprechende Regelung vor. Hat gemäß § 80 Abs. 1 PolG BW  eine bestimmte Form der Verarbeitung, insbesondere bei Verwendung neuer Technologien, aufgrund der Art, des Umfangs, der Umstände und der Zwecke der Verarbeitung voraussichtlich ein hohes Risiko für die Rechtsgüter betroffener Personen zu Folge, so hat die Polizei vorab eine Abschätzung der Folgen der vorgesehenen Verarbeitungsvorgänge für die betroffenen Personen durchzuführen.
 
Zu klären ist hierfür, inwieweit das Offenhalten einer IT-Sicherheitslücke ein „Verarbeitungsvorgang“ im Sinne von § 80 Abs. 1 PolG BW darstellt. Gemäß § 12 Abs. 2 PolG BW stellt eine „Verarbeitung“ jeden mit oder ohne Hilfe automatisierter Verfahren ausgeführten Vorgang oder jede solche Vorgangsreihe im Zusammenhang mit personenbezogenen Daten, wie das Erheben, das Erfassen, die Organisation, das Ordnen, die Speicherung, die Anpassung oder Veränderung, das Auslesen, das Abfragen, die Verwendung, die Offenlegung durch Übermittlung, Verbreitung oder eine andere Form der Bereitstellung, den Abgleich oder die Verknüpfung, die Einschränkung, das Löschen oder die Vernichtung dar.
 
Dem Bundesverfassungsgericht erscheint es jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass der Verarbeitungsvorgang als ein einheitlicher Lebenssachverhalt zu begreifen ist. Dieser muss nicht erst mit der Datenausleitung bei der eigentlichen Telekommunikationsüberwachung beginnen, sondern kann bereits davor liegende, vorbereitende Schritte erfassen. Das bewusste Offenhalten einer der Behörde bekannten IT-Sicherheitslücke könnte so als vorbereitender Schritt einer Quellen-TKÜ angesehen werden. Damit würde auch das Offenhalten entsprechender IT-Sicherheitslücken von § 80 PolG BW erfasst werden. Ob darüber hinaus gehend die hier maßgebliche Gefahr, dass Dritte die IT-Sicherheitslücke zur Infiltration des informationstechnischen Systems nutzen, auch im Sinne von § 80 Abs.  1 PolG BW als „Folge“ dieses Verarbeitungsvorgangs zu verstehen ist, bedürfte allerdings weiterer Klärung.
 
c) Cybersicherheitsgesetz BW
Entsprechende Schutzvorschriften könnten sich zudem aus dem Cybersicherheitsgesetz BW <CSG> ergeben. Das Gesetz sieht die Errichtung der Cybersicherheitsagentur Baden-Württemberg vor, welches gemäß § 4 Abs. 1 CSG als zentrale Koordinierungs- und Meldestelle für die Zusammenarbeit der öffentlichen Stellen in Angelegenheiten der Cybersicherheit in Baden-Württemberg fungiert. Dabei sammelt und wertet es insbesondere alle für die Abwehr von Gefahren für die Cybersicherheit erforderlichen Informationen, unter anderem zu Sicherheitslücken aus. § 4 Abs. 3 CSG statuiert die Pflicht der Landesbehörden bekanntwerdende Sicherheitslücken an die Cybersicherheitsagentur zu melden. Darüber hinaus sollen gemäß § 5 CSG der Cybersicherheitsagentur Befugnisse zur Abwehr von Gefahren für die Cybersicherheit eingeräumt werden. Die Cybersicherheitsagentur soll ferner nach § 8 Abs. 1 CSG Empfehlungen, Hinweise sowie Warnungen zu IT-Sicherheitslücken an die Öffentlichkeit oder die betroffenen Kreise – in der Regel nach vorheriger Anhörung des Herstellers – aussprechen dürfen.
 
d) Untergesetzlich geregelte Mindeststandards
Jedenfalls aus dem Vertrag über die Errichtung des IT-Planungsrats und über die Grundlagen der Zusammenarbeit beim Einsatz der Informationstechnologie in den Verwaltungen von Bund und Ländern – Vertrag zur Ausführung von Art.  91c GG <IT-Staatsvertrag> ergibt sich ein untergesetzlich geregelter Mindeststandard. Das Land Baden-Württemberg hat zusammen mit den anderen Bundesländern und der Bundesrepublik Deutschland den Vertrag ratifiziert. Unter dieser Grundlage hat der IT-Planungsrat ein verbindliches Meldeverfahren zum Informationsaustausch für Bund und Länder als IT-Sicherheitsstandard im Sinne von § 2 Abs. 1 des IT-Staatsvertrags vereinbart (Vgl. Beschluss Nr. 2017/35) Danach sind IT-Sicherheitsvorfälle, bei denen Auswirkungen auf die Länder oder den Bund nicht ausgeschlossen werden können oder die auch für andere als relevant eingeschätzt werden, zu melden sind.
 
Die Meldungen sollen unter anderem an das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) erfolgen. Erfasst werden auch neuartige Sicherheitslücken in IT-Produkten (vgl.  § 2 Abs.  2 in Verbindung mit Anlage 1 des Beschlusses). Gemäß § 3 des Beschlusses sind sowohl der Bund als auch die Länder meldepflichtig. Insofern stellt das Bundesverfassungsgericht fest, dass das BSI seine Ermessensspielräume bei der Entscheidung über den weiteren Umgang mit derartigen Kenntnissen ausfüllen könnte und müsste. Dies insbesondere dann, wenn es um die Erteilung von Warnungen bezüglich IT-Sicherheitslücken in informationstechnischen Systemen an die Öffentlichkeit oder die betroffenen Kreise nach § 7 Abs.  1 S.  1 Nr.  1 lit. a BSIG, und Information der Hersteller, unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Schutzpflichten, geht.
 
Das Bundesverfassungsgericht stellt allerdings klar, dass die Frage, ob der grundrechtlichen Schutzpflicht durch eine untergesetzlich normierten Mitteilungspflicht genüge getan werden kann, einer näheren Prüfung bedürfe. Der von dem IT-Planungsrat vereinbarte Meldestandard ein weiteres Element der Gesamtregelung des Schutzes vor der unzulässigen Nutzung von IT-Sicherheitslücken durch Dritte sein könnte, hätten die Beschwerdeführer auch hier ihrer Darlegungspflicht nachkommen müssen.
 
6. Verstoß gegen Subsidiaritätsprinzip
Im Übrigen stellt das Bundesverfassungsgericht fest, dass die Verfassungsbeschwerde zudem nicht den Anforderungen der Subsidiarität im weiteren Sinne genügt. Denn zunächst sind erst einmal sämtliche prozessualen Möglichkeiten zu nutzen, welche der Grundrechtsverletzung abhelfen können.
Maßgeblich geht es um umfangreiche Fragen zur Auslegung verschiedener Bestimmungen des Polizei-, des Datenschutz-, des Cybersicherheits- und des IT-Sicherheitsrechts und damit um vorwiegend einfaches Recht. Die erforderliche Beschreitung des fachgerichtlichen Rechtswegs durch die Erhebung einer verwaltungsgerichtlichen Feststellungs- oder vorbeugenden Unterlassungsklage sei den Beschwerdeführenden zumutbar gewesen.
 
IV. Anmerkung
Die Entscheidung stellt einen weiteren wichtigen Wegweiser im staatlichen Umgang mit informationstechnischen Systemen dar, die zunehmende Bedeutung für das Ausleben der grundrechtlichen Freiheiten erlangen (vgl. etwa BVerfGE 120, 274 zur Online-Durchsuchung; 1 BvR 16/13 – Recht auf Vergessen I; 1 BvR 276/17 – Recht auf Vergessen II). Der Staat bewegt sich, insbesondere im Hinblick auf die Quellen-TKÜ, in einem permanenten Spannungsverhältnis als Garant und Adressat des Schutzbereiches des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und dem davon umfassten Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme. In seiner Entscheidung erkennt das Bundesverfassungsgericht nunmehr erstmals an, dass den Staat eine konkrete grundrechtliche Schutzpflicht trifft, wenn er von einer Sicherheitslücke im System weiß, die dem Hersteller nicht bekannt ist.
 
Gemäß § 93d Abs. 1 S. 3 BVerfGG ist für die Ablehnung der Annahme einer Verfassungsbeschwerde keine Begründung erforderlich. Die gleichwohl sehr ausführlich erfolgte Begründung ist ein Anzeichen dafür, dass die Verfassungsbeschwerde durchaus Grundsatzfragen der grundrechtlichen Ausgestaltung von Maßnahmen der Quellen-TKÜ betrifft. Trotz der Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht es als erforderlich erachtet den Gesetzgebern von Bund und Länder Hinweise zu den Schutzdimensionen des Fernmeldegeheimnisses und der grundrechtlichen Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme zu geben.
 
Die sehr deutlichen Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zu den durch die Beschwerdeführer nicht hinreichend nachgekommenen Darlegungslast können als Hinweis auf die strengen Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Rüge einer Verletzung der gesetzgeberischen Schutzpflichten verstanden werden. Der erste Senat betont ausdrücklich, dass sich aus seiner Entscheidung zur teilweise erfolgreichen Verfassungsbeschwerde gegen den Klimaschutz (1 BvR 2656/18) nichts Anderes ergibt. Dort ist zwar festgestellt, dass die Beschwerdeführenden zur Begründung der Beschwerdebefugnis nicht alle relevanten Maßnahmen ermitteln müssen. Dies war aber deshalb verzichtbar, weil der Gesetzgeber selbst eine zusammenfassende Regelung getroffen habe, auf die sich der Angriff des Beschwerdeführenden beschränken konnte.
 
Aus datenschutzrechtlicher Sicht ist der Beschluss insoweit bemerkenswert, dass er sich – zumindest in groben Zügen – mit etwaigen inhaltlichen Anforderungen der Datenschutzfolgeabschätzung befasst und diese gleichzeitig als obligatorisch vor dem Einsatz einer Quellen-TKÜ ansieht. Die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts deuten an, dass die Datenschutz-Folgeabschätzung geeignet ist, Schwächen der Normenbestimmtheit in Sicherheitsgesetzten prozedural auszugleichen.

27.01.2022/1 Kommentar/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2022-01-27 09:00:132022-05-20 10:42:05BVerfG: Ausnutzung von IT-Sicherheitslücken für die Quellen- Tele­kommunikations­über­wachung
Dr. Lena Bleckmann

Der Entschädigungsanspruch bei Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts und seine Vererblichkeit

Deliktsrecht, Erbrecht, Examensvorbereitung, Für die ersten Semester, Lerntipps, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Zivilrecht

Im Juni 2017 verstarb Altkanzler Helmut Kohl. In den Jahren zuvor hatte er einen Rechtsstreit gegen einen Autor geführt, der auf Grundlage von ursprünglich für die Memoiren Kohls geführten Interviews das Buch „Vermächtnis – die Kohl-Protokolle“ veröffentlichte. Kohl sah sich hierin falsch zitiert und machte insgesamt 116 Verletzungen seines Allgemeinen Persönlichkeitsrechts gerichtlich geltend und verlangte hierfür neben Unterlassung insbesondere Geldentschädigung. Eine Entschädigung in Höhe von 1.000.000 Euro sprach das LG Köln dem Altkanzler auch zu (LG Köln. Urt. v. 27.4.2017 – 14 O 323/15, BeckRS 2017, 125934). Vor Rechtskraft des Urteils verstarb Kohl allerdings, der Rechtsstreit wurde durch seine Witwe und Alleinerbin weitergeführt. Nun hat er ein Ende gefunden – der BGH hat die Klage mit Urteil vom 29.11.2021 (Az. VI ZR 258/18) mangels Vererblichkeit des Entschädigungsanspruchs in dieser Hinsicht abgewiesen (siehe PM Nr. 218/2021 v. 29.11.2021).
Diese topaktuelle Entscheidung sollte Anlass geben, sich mit dem Entschädigungsanspruch wegen Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG auseinanderzusetzen. Dieser ist bei Prüfern nicht unbeliebt, die Klausur- und Examensrelevanz dürfte durch die neue Entscheidung noch steigen. Der folgende Beitrag gibt einen kurzen Überblick über die Prüfung und beleuchtet insbesondere die Frage der Vererblichkeit des Anspruchs.
I. Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht als absolutes Recht i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB
Nach § 823 Abs. 1 BGB ist derjenige, der vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht wird hier nicht ausdrücklich als Schutzgut genannt. Die Erweiterung des Tatbestands um „sonstige Rechte“ gewährleistet allerdings einen Schutz anderer absoluter Rechte über die Aufzählung hinaus. Einschränkend ist der Begriff des „sonstigen Rechts“ so zu verstehen, dass es sich um ein mit Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit und Eigentum vergleichbar bedeutsames, absolutes Recht handeln muss (BeckOK BGB/Förster, § 12 Rn. 143). Dass hierzu auch das Allgemeine Persönlichkeitsrecht zählt, ist heute einhellig anerkannt (BeckOK BGB/Förster, § 823 Rn. 177; Schulze BGB, § 823 Rn. 42).
Neben dem Ersatz materieller Schäden kann auf Grundlage des § 823 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG auch eine Geldentschädigung für einen entstandenen Nichtvermögensschaden erlangt werden. Voraussetzung ist allerdings, dass ein hinreichend schwerer Eingriff vorliegt und die Beeinträchtigung nicht auf andere Weise ausgeglichen werden kann (etwa BGH, Urt. v. 17.12.2013 – VI ZR 211/12, NJW 2014, 2029 (2033). Hierbei handelt es sich nicht im immateriellen Schadensersatz nach § 253 BGB. Vielmehr gründet der Entschädigungsanspruch unmittelbar auf dem Schutzauftrag des verfassungsrechtlich gewährleisteten Persönlichkeitsrechts (BeckOK BGB/Förster, § 12 Rn. 389). Dem Anspruch kommt dabei in erster Linie eine Genugtuungs- und Ausgleichsfunktion zu, wobei die Genugtuung im Vordergrund steht (vgl. BGH, Urt. v. 5.11.1994 – VI ZR 56/94, NJW 1995, 861 (865)).
II. Hinweise zur Prüfung des Anspruchs nach § 823 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG
Die Prüfungsreihenfolge der Tatbestandsvoraussetzungen des § 823 Abs. 1 BGB gilt auch bei Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts – festzustellen sind mithin Rechtsgutsverletzung, Verletzungshandlung, haftungsbegründende Kausalität, Rechtswidrigkeit und Verschulden. Zur Feststellung, ob das Allgemeine Persönlichkeitsrecht betroffen ist, sind Kenntnisse aus dem Verfassungsrecht erforderlich, die von dort bekannten Fallgruppen gelten auch hier. Besondere Aufmerksamkeit bedarf bei der Prüfung des § 823 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG die Voraussetzung der Rechtswidrigkeit. Denn das Allgemeine Persönlichkeitsrecht ist, wie das ebenfalls als „sonstiges Recht“ geschützte Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ein sog. Rahmenrecht. Rahmenrechte dienen als Auffangtatbestände dem Füllen von Schutzlücken (Brockmann/Künnen, JuS 2020, 910 (912)). Notwendigerweise unterliegt ihr Schutzbereich daher keiner festen Grenzziehung. Die hieraus folgende Weite führt dazu, dass nicht jedes den Schutzbereich betreffende Verhalten als rechtswidrig eingeordnet werden kann – anders als bei der Verletzung anderer von § 823 Abs. 1 BGB geschützter Rechtsgüter wird die Rechtswidrigkeit daher nicht durch die Tatbestandsmäßigkeit indiziert, sondern ist positiv festzustellen (MüKoBGB/Wagner, § 823 Rn. 7). Hierzu ist eine Interessenabwägung vorzunehmen, bei der aufseiten des Schädigers bestehende, schutzwürdige Interessen ebenso zu berücksichtigen sind, wie die Intensität des Grundrechtseingriffs aufseiten des Betroffenen. Diese ist unter Heranziehen der Sphärentheorie des BVerfG zu bestimmen (Brockmann/Künnen, JuS 2020, 910 (914)). Auch eine Wiederholung des Eingriffs kann eine besondere Schwere begründen (BeckOK BGB/Förster, § 12 Rn. 391).

Hinweis: Soweit hier Lücken bestehen, sollte der Streit zur Prüfung der Rechtswidrigkeit im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB (Stichwort Lehre vom Handlungs-/Erfolgsunrecht) wiederholt werden.

Aus dem Charakter des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts als Rahmenrecht folgt weiterhin seine Subsidiarität – speziellere Persönlichkeitsrechte sind daher vorrangig zu prüfen! (Brockmann/Künnen, JuS 2020, 910 (915))
III. Vererblichkeit des Entschädigungsanspruchs
Besteht der Entschädigungsanspruch nun, ist der Geschädigte aber verstorben, so wie es im Fall von Helmut Kohl geschehen ist, stellt sich die Frage nach dem Anspruchsübergang auf dessen Erben. Nach § 1922 Abs. 1 BGB geht mit dem Tode einer Person deren Vermögen als Ganzes auf den oder die Erben über.
Für eine Vererblichkeit des Entschädigungsanspruchs wurde diejenige des Schmerzensgeldes angeführt – seit der Abschaffung des § 847 Abs. 1 S. 2 BGB a.F. zum 1.7.1990 können Schmerzensgeldansprüche im Todesfalle auf die Erben übergehen. Bei abweichender Beurteilung im Rahmen des § 823 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG soll ein Verstoß gegen den Allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG vorliegen (siehe Nachweise bei BGH, Urt. v. 29.4.2014 – VI ZR 246/12, NJW 2014, 2871).
In der genannten Grundsatzentscheidung aus dem Jahr 2014 schloss sich der BGH indes der Gegenansicht an; ausgehend vom Zweck des Entschädigungsanspruchs wurde die Vererblichkeit verneint.
„Bei der Zuerkennung einer Geldentschädigung im Falle einer schweren Persönlichkeitsrechtsverletzung steht regelmäßig der Genugtuungsgedanke im Vordergrund. Da einem Verstorbenen Genugtuung für die Verletzung seiner Persönlichkeit nicht mehr verschafft werden kann, scheidet nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats die Zuerkennung einer Geldentschädigung im Falle der Verletzung des postmortalen Persönlichkeitsschutzes aus. Erfolgt die Verletzung des Persönlichkeitsrechts zwar noch zu Lebzeiten des Verletzten, stirbt dieser aber, bevor sein Entschädigungsanspruch erfüllt worden ist, verliert die mit der Geldentschädigung bezweckte Genugtuung regelmäßig ebenfalls an Bedeutung. Gründe, vom Fortbestehen des Geldentschädigungsanspruchs über den Tod des Verletzten hinaus auszugehen, bestehen unter diesem Gesichtspunkt im Allgemeinen mithin nicht. Der von der Revision herangezogene Gedanke der Prävention kann vorliegend zu keiner anderen Beurteilung führen. Zwar trifft es zu, dass der Geldentschädigungsanspruch auch der Prävention dient. Der Präventionsgedanke vermag die Gewährung einer Geldentschädigung – auch in dem von der Revision vorliegend für gegeben erachteten Fall der Zwangskommerzialisierung – aber nicht alleine zu tragen. Dies wirkt sich nicht nur – wie im Falle postmortaler Persönlichkeitsrechtsverletzungen – auf die Beurteilung der Frage aus, ob der Geldentschädigungsanspruch auch unabhängig von seiner Genugtuungsfunktion entstehen kann, sondern auch darauf, ob er – wie im vorliegend zu beurteilenden Fall – bei Fortfall dieser Funktion weiterbestehen kann.“ (BGH, Urt. v. 29.4.2014 – VI ZR 246/12, NJW 2014, 2871 (2872 f.), Nachweise im Zitat ausgelassen).
Aus der Streichung des § 847 Abs. 1 S. 2 BGB a.F. lasse sich auch kein anderweitiger gesetzgeberische Wille ableiten (BGH, Urt. v. 29.4.2014 – VI ZR 246/12, NJW 2014, 2871 (2872); ebenso Urt. v. 32.5.2017 – VI ZR 261/16, NJW 2017, 3004 (3005)). Weiterhin soll sich an der fehlenden Vererblichkeit auch weder durch die Anhängigkeit des Anspruchs (hierzu BGH, Urt. v. 29.4.2014 – VI ZR 246/12, NJW 2014, 2871 (2873)), noch durch dessen Rechtshängigkeit etwas ändern (hierzu BGH, Urt. v. 32.5.2017 – VI ZR 261/16, NJW 2017, 3004 (3005 f.)). Mit Eintritt der Rechtskraft allerdings kann der Anspruch vererbt werden, da sodann eine gesicherte Rechtsposition entstanden ist. Hierzu der BGH:
„Der erkennende Senat hat bereits mehrfach klargestellt, dass bei der Zuerkennung einer Geldentschädigung im Fall einer schweren Persönlichkeitsrechtsverletzung – anders als beim Schmerzensgeld – regelmäßig der Genugtuungsgedanke im Vordergrund steht, während der Präventionsgedanke die Gewährung einer Geldentschädigung nicht alleine zu tragen vermag. Der Senat hat deshalb für die Frage der Vererblichkeit eines bereits anhängigen Entschädigungsanspruchs ausgeführt, dass die Anhängigkeit einer auf Geldentschädigung gerichteten Klage nichts daran ändert, dass die von der Geldentschädigung bezweckte Genugtuung mit dem Tod des Verletzten an Bedeutung verliert. Aus dem Gedanken der Genugtuung folgt weiter, dass auch ein rechtshängiger Geldentschädigungsanspruch wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht vererblich ist. Denn ebenso wenig wie der Erblasser Genugtuung bereits mit der Einreichung der Klage erlangt, erlangt er sie mit deren Zustellung. Sie tritt erst mit der rechtskräftigen Zuerkennung eines Anspruchs auf Geldentschädigung ein. Denn mit der Rechtskraft und nicht – wie die Revision meint – mit der Zustellung der Klage, mit der allenfalls eine Aussicht auf Genugtuung entsteht, wird eine gesicherte Position erlangt. Der Senat hat in dem Urteil vom 29.4.2014 formuliert, sterbe der Erblasser, bevor sein Entschädigungsanspruch erfüllt worden sei, verliere die mit der Geldentschädigung bezweckte Genugtuung regelmäßig ebenfalls an Bedeutung. Daraus kann nicht abgeleitet werden, Genugtuung werde erst mit der Erfüllung erlangt. Stirbt der Erblasser nach Rechtskraft der Entscheidung, geht der rechtskräftig zuerkannte Anspruch auf seinen Erben über.“ (BGH, Urt. v. 32.5.2017 – VI ZR 261/16, NJW 2017, 3004 (3005 f.), Nachweise im Zitat ausgelassen, Hervorh. d. Verf.).
IV. Festhalten an der Rechtsprechungslinie auch im Jahr 2021
An dieser Entscheidungspraxis hält der BGH ausweislich der Pressemitteilung zum Abschluss des Verfahrens im Fall Kohl fest: Durchgreifende Gründe, die Rechtsprechung aufzugeben, habe der Senat nicht gesehen (PM Nr. 218/2021 v. 29.11.2021). Da die Entscheidung des LG Köln, die dem Altkanzler einen Entschädigungsanspruch zusprach, zum Zeitpunkt seines Todes noch nicht rechtskräftig war, geht der Anspruch in Millionenhöhe nicht auf seine Witwe und Alleinerbin über.
Viel Neues folgt aus der Entscheidung also nicht – für Studenten wie Examenskandidaten ist sie gleichwohl wichtig, denn dem einen oder anderen Prüfer dürfte sie in Erinnerung rufen, wie gut sich doch eine Prüfung des § 823 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG mit erbrechtlichem Einschlag für Klausuren in Studium und Examen eignet.
 

02.12.2021/1 Kommentar/von Dr. Lena Bleckmann
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Lena Bleckmann https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Lena Bleckmann2021-12-02 09:19:482021-12-02 09:19:48Der Entschädigungsanspruch bei Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts und seine Vererblichkeit
Dr. Lena Bleckmann

Grundlagen des Strafrechts: Straftaten gegen die persönliche Ehre

Examensvorbereitung, Für die ersten Semester, Lerntipps, Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Startseite, Strafrecht, Strafrecht BT, Verschiedenes

Die Beleidigungsdelikte der §§ 185 ff. StGB bilden zwar nur selten den alleinigen Schwerpunkt einer Klausur – ihre Bedeutung sollte dennoch nicht unterschätzt werden. Sie eignen sich hervorragend zur Kombination mit anderen Deliktstypen, wie etwa Straftaten gegen die Rechtspflege, und werden hierbei von den Klausurbearbeitern gern übersehen. Auch können sie in öffentlich-rechtlichen Klausuren Bedeutung erlangen: Für die Bestimmung der Grenzen der Grundrechte aus Art. 5 GG ist ihre Kenntnis zum Teil unerlässlich.
Die Klausurrelevanz ergibt sich nicht zuletzt aus mehreren aktuellen und vieldiskutierten Gerichtsentscheidungen, die sich mit dem Thema der Ehrverletzungsdelikte befassen und deren Kenntnis vor allem von Examenskandidaten, aber auch im Rahmen der fortgeschrittenen Strafrechtsklausuren erwartet werden dürfte – siehe etwa die Entscheidungen des BVerfG zur Einordnung einer Äußerung als Schmähkritik (Az. 1 BvR 2433/17) und des LG Berlin zu beleidigenden Äußerungen gegenüber einer Politikerin (Az. 27 AR 17/19).
Der Beitrag gibt einen Überblick über die wichtigsten Tatbestände und eignet sich daher hervorragend für die Wiederholung sowie die Schärfung des Problembewusstseins.
I. Systematik
Die wichtigsten Tatbestände im Rahmen der Straftaten gegen die persönliche Ehre bilden die § 185 StGB, § 186 StGB und § 187 StGB. Während der Ehrbegriff als solcher umstritten ist (siehe MüKoStGB/Regge/Pegel, § 185 Rn. 7), ist weitgehend anerkannt, dass sowohl die innere Ehre, d.h. die persönliche Würde und der innere Wert des Menschen, als auch die äußere Ehre, d.h. der Geltungsanspruch in der Gesellschaft, geschützt sind. Die § 186 StGB und § 187 StGB können jeweils gem. § 188 StGB qualifiziert sein, wenn sich die Ehrverletzung gegen eine Person des politischen Lebens richtet. Die persönliche Ehre Verstorbener wird von § 189 StGB geschützt.
 Die Prüfung sollte in umgekehrter Reihenfolge erfolgen, d.h. zunächst die Verleumdung gem. § 187 StGB, dann die üble Nachrede gem. § 186 StGB und zuletzt die Beleidigung gem. § 185 StGB. Das bietet sich deswegen an, weil die § 186 StGB und § 185 StGB je nach Fallkonstellation als mögliche Auffangtatbestände in Betracht kommen – dazu sogleich.
II. Die Beleidigungsfähigkeit des Opfers
Alle genannten Delikte setzen voraus, dass das Opfer möglicher Ehrträger ist. Erfasst sind unstrittig alle lebenden Menschen (für Verstorbene siehe § 189 StGB). Schwieriger liegt der Fall, wenn mehrere Personen von der Äußerung betroffen sind. Fraglich ist insoweit, ob Personengemeinschaften als solche beleidigungsfähig sind und ob eine Beleidigung unter Nutzung einer Kollektivbezeichnung einzelne oder alle Mitglieder der Gruppe in ihrer persönlichen Ehre betrifft.
Nach der herrschenden Meinung haben Personengemeinschaften zwar keine individuelle persönliche Würde, ihre Beleidigungsfähigkeit kann aber aus einem schutzwürdigen sozialen Ansehen folgen (siehe zum Streitstand BeckOK StGB/Valerius, § 185 Rn. 11 ff.). Sie sind daher mögliche Opfer der §§ 185 ff. StGB, wenn sie
(a)eine rechtlich anerkannte soziale Aufgabe wahrnehmen und
(b) einen einheitlichen Willen bilden können.
Im Rahmen von Beleidigungen unter einer Kollektivbezeichnung ist zu differenzieren: Erfasst die Äußerung alle Mitglieder einer Gruppe (z.B. alle Soldaten, alle Regierungsmitglieder, alle Studenten, alle Mitglieder der Gruppe X), kann dadurch das einzelne Mitglied in seiner persönlichen Ehre verletzt sein, wenn die Gruppe sich von der Allgemeinheit abhebt, klar abgrenzbar und überschaubar ist und sich die einzelnen Mitglieder zweifelsfrei bestimmen lassen. Bezieht sie sich hingegen nur auf ein Mitgliedder Gruppe (z.B. ein Minister der Regierung, ein Mitglied der Gruppe X), können dadurch alle Mitglieder in ihrer Ehre verletzt sein, wenn die Gruppe klein und überschaubar ist und jedes Mitglied individualisierbar ist.
Gerade die letzte Fallgruppe ist beliebter Prüfungsstoff. Zum besseren Verständnis bietet sich die Lektüre der bekanntesten Entscheidungen zum Thema an, etwa BGH, Az. 1 StR 572/63 („Ein bayerischer Minister ist Kunde eines Call-Girl-Rings), BVerfG, Az. 1 BvR 1476/91 („Soldaten sind Mörder“) und BVerfG, Az. 1 BvR 1036/14 (Anstecker „FCK CPS“).
 III. Verleumdung: Tatbestand des § 187 StGB
 Der Tatbestand des § 187 StGB setzt die Kundgabe von Tatsachen in einem Drei-Personen-Verhältnis voraus, d.h. das Opfer darf weder Täter noch Empfänger der Äußerung sein. Dies folgt aus dem Wortlaut „in Beziehung auf einen anderen“. Fehlt es an einem Drei-Personen-Verhältnis, kommt insoweit § 185 StGB als Auffangtatbestand in Betracht (dazu sogleich).
Tatsachen sind alle Zustände der Gegenwart oder Vergangenheit, die dem Beweis zugänglich sind. Diese müssen geeignet sein, das Opfer verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen. Verächtlich machen bedeutet, die Person so darzustellen, als würde sie ihren sittlich-moralischen Pflichten nicht genügen. Herabgewürdigt wird, wessen gesellschaftlicher Ruf geschmälter wird (siehe hierzu MüKoStGB/Regge/Pegel, § 186 Rn. 14). Es genügt jeweils die bloße Eignung der Aussage, ein messbarer Erfolg ist nicht erforderlich. In seiner dritten Variante (Kreditgefährdung) handelt es sich bei § 187 StGB nicht um ein Ehrverletzungs-, sondern um ein Vermögensgefährdungsdelikt.
Die Tatsache muss behauptet, d.h. als nach eigener Überzeugung wahr hingestellt, oder verbreitet werden, d.h. mitgeteilt, ohne dass der Täter sich die Aussage zu eigen macht. Hierzu muss sie entäußert werden, das heißt insbesondere den privaten Bereich verlassen haben. Äußerungen im engen Privaten Bereich sind der „beleidigungsfreien Sphäre“ zuzuordnen und daher nicht entäußert.
Weiteres Tatbestandsmerkmal im Rahmen des § 187 StGB ist die objektive Unwahrheit der Tatsache – dies ist gerade für die Abgrenzung zu § 186 StGB wichtig und darf nicht übersehen werden. Eine Tatsache ist unwahr, wenn sie im Kern unzutreffend ist, was sich auch aus ihrer Unvollständigkeit ergeben kann (BeckOK StGB/Valerius, § 187 Rn. 2). Aus der Eigenschaft als Tatbestandsmerkmal folgt, dass Zweifel zugunsten des Täters gehen: kann die Unwahrheit nicht nachgewiesen werden, gilt indubio pro reo.
Im subjektiven Tatbestand ist wie üblich Vorsatz bezüglich aller objektiven Tatbestandsmerkmale sowie positive Kenntnis der Unwahrheit (siehe Wortlaut des § 187 StGB „wider besseres Wissen“) erforderlich.
IV. Üble Nachrede: Tatbestand des § 186 StGB
Für § 186 StGB gelten zunächst dieselben Grundsätze wie für § 187 StGB. Auch hier ist eine Tatsachenbehauptung oder -verbreitung im Drei-Personen-Verhältnis erforderlich. Wesentlicher Unterschied ist jedoch, dass die Unwahrheit der Tatsache kein objektives Tatbestandsmerkmal ist. Vielmehr fordert § 186 StGB, dass die Tatsache nicht erweislich wahr ist. Hierbei handelt es sich um eine objektive Bedingung der Strafbarkeit. Daraus folgt im Einzelnen: Der Vorsatz des Täters muss sich nicht auf die Unwahrheit der Tatsache beziehen. Auch trägt er die Beweislast – solange nicht erwiesen ist, dass die Tatsache wahr ist, bleibt die Strafbarkeit bestehen. Indubio pro reo findet auf diese objektive Bedingung der Strafbarkeit keine Anwendung.
V. Beleidigung: Tatbestand des § 185 StGB
Demgegenüber unterscheidet sich der Tatbestand des § 185 StGB in vielerlei Hinsicht von den vorgenannten Delikten. Der Gesetzeswortlaut ist hier ausgesprochen knapp. Beleidigung im Sinne des § 185 StGB ist die Kundgabe eigener Miss- oder Nichtachtung. Erfasst wird hier vor allem die Kundgabe von Werturteilen, sowohl gegenüber dem Betroffenen selbst als auch gegenüber Dritten. Ein bloßes Verbreiten wie bei §§ 186, 187 StGB genügt nicht, der Täter muss sich die Aussage zu eigen machen.
Tatsachenbehauptungen werden von § 185 StGB erfasst, soweit sie gegenüber dem Betroffenen selbst erfolgen – insoweit fungiert dieser als Auffangtatbestand gegenüber den §§ 186, 187 StGB. Nach h.M. ist hier die Unwahrheit der Tatsache ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal – bei der Kundgabe wahrer Tatsachen ist die Ehrverletzung ausgeschlossen (siehe hierzu BeckOK StGB/Valerius, § 185 Rn. 22).
Merke also: Die §§ 186, 187 StGB erfordern stets die Kundgabe von Tatsachen in einem Drei-Personenverhältnis, wobei der Täter sich die Aussage nicht zwingend zu eigen machen muss. Für § 185 StGB genügen auch Werturteile und die Kundgabe im Zwei-Personen-Verhältnis, aber auch nur die Kundgabe eigener Missachtung.
Im subjektiven Tatbestand genügt dolus eventualis.
VI. Was es sonst zu beachten gilt
In Fällen mit Bezug zu Ehrverletzungsdelikten kann es häufig erforderlich sein, einen Bezug den Grundrechten aus Art. 5 GG herzustellen und deren Grenzen herauszuarbeiten. Dies kann bereits im Tatbestand relevant werden – mehrdeutige Äußerungen sind im Lichte der Kunst- und Meinungsfreiheit auszulegen, eine Strafbarkeit besteht nur, wenn alle nicht strafbaren Auslegungsmöglichkeiten ausscheiden (siehe BeckOK StGB/Valerius, § 185 Rn. 31 ff.).
Auf der Ebene der Rechtfertigung ist zunächst eine mögliche Einwilligung des Betroffenen zu beachten. Weiterhin darf der besondere Rechtfertigungsgrund des § 193 StGB nicht übersehen werden. In diesem Rahmen kann erneut eine Abwägung mit den Grundrechten aus Art. 5 StGB erforderlich sein (siehe dazu eingehend MüKoStGB/Joecks/Pegel/Regge, § 193 Rn. 40 ff.).
Für alle Ehrverletzungsdelikte gilt das Strafantragserfordernis nach § 194 Abs. 1 StGB.
Wer diese Grundlagen in strafrechtlichen Klausuren beachtet, kann sich schon deutlich von der Vielzahl der Bearbeiter abheben, die die Beleidigungsdelikte übersehen oder mit der Systematik nicht vertraut sind. Ergänzend sei auf unser Prüfungsschema zu den §§ 185 ff. StGB hingewiesen. 

03.02.2020/1 Kommentar/von Dr. Lena Bleckmann
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Lena Bleckmann https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Lena Bleckmann2020-02-03 08:31:582020-02-03 08:31:58Grundlagen des Strafrechts: Straftaten gegen die persönliche Ehre
Dr. Yannik Beden, M.A.

Tätowierung bei Polizeibeamten: Bewerber darf nicht ohne gesetzliche Grundlage abgelehnt werden

Öffentliches Recht, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht

Eine brandaktuelle Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen beschäftigt sich mit dem nach wie vor kontrovers diskutierten Problemfeld des zulässigen Ausmaßes von Tätowierungen bei Beamten. Mit seiner Entscheidung vom 12.9.2018 – 6 A 2272/18 urteilte das Gericht, dass einem Bewerber für den Polizeivollzugsdienst seine Einstellung nicht aufgrund einer großflächigen Tätowierung am Unterarm untersagt werden darf. Die Entscheidung steht in engem Zusammenhang zu einem Grundsatzurteil des BVerwG aus dem vergangenen Jahr (Urteil v. 17.11.2017 – 2 C 25/17, NJW 2018, 1185), nach dem Regelungen über das zulässige Ausmaß von Tätowierungen bei Beamten eine hinreichend bestimmte gesetzliche Ermächtigung voraussetzen. Beide Urteile behandeln eine Fülle höchst examensrelevanter Problemstellungen (Parlamentsvorbehalt, Grundrechte im Beamtenverhältnis, Reichweite des APR usw.), die im Folgenden aufgezeigt werden:  
I. Sachverhalt der OVG Münster Entscheidung (Pressemitteilung entnommen)
„Der in Mülheim lebende Kläger hatte sich für die Einstellung in den Polizeivollzugsdienst des Landes Nordrhein-Westfalen zum 1. September 2017 beworben. Er trägt auf der Innenseite seines linken Unterarms eine Tätowierung in Gestalt eines Löwenkopfes mit einer Größe von 20 cm x 14 cm. Das zuständige Landesamt lehnte unter Berufung auf einen entsprechenden Verwaltungserlass die Einstellung des Klägers ab, weil sich die Tätowierung – beim Tragen der Sommeruniform – im sichtbaren Bereich befinde und mehr als handtellergroß sei. Nachdem das Verwaltungsgericht Düsseldorf das Land im Eilverfahren verpflichtet hatte, den Kläger zum weiteren Auswahlverfahren zuzulassen (Beschluss vom 24. August 2017 – 2 L 3279/17 -), wurde er nach dessen erfolgreichem Abschluss zum Kommissaranwärter ernannt. Das Land behielt sich aber ausdrücklich eine spätere Entlassung vor, sollte es im gerichtlichen Hauptsacheverfahren obsiegen. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf entschied mit Urteil vom 8. Mai 2018, dass das Land den Kläger nicht allein wegen seiner Tätowierung hätte ablehnen dürfen.“ (Ergänzung: Hiergegen legte das Land Berufung ein)
II. Urteil des Oberverwaltungsgerichts

Das OVG Münster wies die vom Land eingelegte Berufung zurück. Im Kern entscheidend ist: Regelungen über die Zulässigkeit von Tätowierungen im Beamtenverhältnis bedürfen aufgrund ihrer besonderen Grundrechtsintensität einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage. Das Stichwort lautet hier „Parlamentsvorbehalt“ als Konkretisierung des Prinzip des Gesetzesvorbehalts. Den schonenden Ausgleich zwischen widerstreitenden Grundrechten sowie kollidierende Verfassungspositionen ist dem Parlament vorbehalten, was bedeutet, dass die auch die wesentlichen Inhalte des Beamtenverhältnisses zwingend durch Gesetz zu regeln sind (vgl. BVerwG Urteil v. 17.11.2017 – 2 C 25/17, NJW 2018, 1185 (1188)). Da im streitigen Fall nur ein Erlass der Verwaltung regelte, welche Tätowierungen zur Ablehnung eines Bewerbers führen und keine gesetzliche Grundlage vorlag, durfte der Kläger nicht aufgrund seiner Tätowierung abgelehnt werden. Der parlamentarische Gesetzgeber – so das OVG Münster – müsse die für die Grundrechtsverwirklichung bedeutsamen Regelungen selbst treffen (Parlamentsvorbehalt!) und dürfe die Entscheidung über den konkreten Ausgleich der widerstreitenden Interessen nicht der Entscheidungsgewalt der Exekutive schrankenlos überlassen. Zudem sei es auch Aufgabe des Gesetzgebers, die gesellschaftlichen Wertungen hinsichtlich Tätowierungen und die daraus resultierende rechtliche Relevanz einzuschätzen und festzulegen. Entscheidend sei nach Auffassung des Gerichts vor allem, dass aus einer solchen parlamentarischen Regelung klar hervorgehen müsse, welche Maßnahmen dem Bürger gegenüber rechtmäßig sein sollen. Blickt man auf die bisherige Judikatur des BVerwG,  gilt danach auch für Verordnungsermächtigungen, dass die parlamentarische Leitentscheidung aus der Ermächtigung erkennbar und vorhersehbar sein muss (BVerwG Urteil v. 17.11.2017 – 2 C 25/17, NJW 2018, 1185 (1188), Beschluss v. 21.4.2015 – 2 BvR 1322/12, NVwZ 2015, 1279 (1280)).
III. Reglementierung von Tätowierungen im Beamtenverhältnis nach BVerwG – Die Grundsatzentscheidung vom 17.11.2017
Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts bestätigt die jüngste Entwicklung in der Rechtsprechung des BVerwG. In seinem Urteil vom 17.11.2017 setzte sich das Gericht mit der Entfernung eines Polizeikommissars aus dem Beamtenverhältnis wegen diverser Tätowierungen mit verfassungsfeindlichem Inhalt auseinander. Der damalige Beklagte war an verschiedenen Körperregionen mit nationalsozialistisch geprägten Kennzeichen tätowiert, etwa die Sigrune in ihrer doppelten Verwendung als Kennzeichen der Waffen-SS sowie die Wolfsangel, welche von mehreren Panzerdivisionen als Emblem verwendet wurde (ausführlich BVerwG Urteil v. 17.11.2017 – 2 C 25/17, NJW 2018, 1185 (1188 f.)). Das BVerwG judizierte in dieser Entscheidung, dass Regeln über das zulässige Ausmaß von Tätowierungen bei Beamten eine hinreichend bestimmte gesetzliche Ermächtigung voraussetzen. Zu einem ähnlichen Entschluss fand das BVerwG bereits in einer vorherigen Entscheidung bezüglich Bestimmungen zu Einstellungshöchstaltersgrenzen, die traditionell durch Verwaltungsvorschriften bestimmt worden sind, nunmehr aber – als Konsequenz einer weitgehenderen Anwendung des Parlamentsvorbehalts i.R.v. Art. 33 Abs. 2 GG – ebenso auf einer hinreichend bestimmten Entscheidung des parlamentarischen Gesetzgebers beruhen müssen (vgl. BVerwG Beschluss v. 21.4.2015 – 2 BvR 1322/12, 2 BvR 1989/12, NVwZ 2015, 1279).
Den Ausgangspunkt der Entwicklung in der Rechtsprechung bildet die Feststellung, dass Grundrechte auch im Beamtenverhältnis Wirkung entfalten. Berührt eine Regelung grundrechtlich geschützte Rechtspositionen, bedarf es für die Austarierung der widerstreitenden Grundrechtspositionen bzw. der kollidierenden Verfassungspositionen einer parlamentarischen Entscheidung. Geht es um die Zulässigkeit von Tätowierungen, sieht das BVerwG neben dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht gem. Art. 2 Abs. 1 GG i.Vm. Art. 1 Abs. 1 GG auch das Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) berührt. Dies mag auf den ersten Blick verwundern, da das Gericht für Fälle des Schneidens von Kopfhaaren den Anwendungsbereich noch verneint hat (BVerwG Urteil v. 2.3.2006 – 2 C 3/05, NVwZ-RR 2007, 781). Für Tätowierungen sei diese Judikatur jedoch aufgrund des offenkundigen körperlichen Schmerzes, der mit der Entfernung von Tätowierungen verbunden sei, nicht übertragbar. In der Summe lässt sich sagen: Nach der neueren Rechtsprechung handelt es sich bei Vorschriften zu Art und Umfang zulässiger Tätowierungen im Beamtenverhältnis um einen derart grundrechtsensiblen Regelungsbereich, dass der Parlamentsvorbehalt eine eigenständige Entscheidung des Gesetzgebers unabdingbar macht. Der Konkretisierung durch die Exekutive muss diese Entscheidung auch jedenfalls in Gestalt einer Verordnungsermächtigung vorangestellt werden.     
IV. Kurze Summa
Regelungen über die Zulässigkeit von Tätowierungen im Beamtenverhältnis bedürfen aufgrund ihrer besonderen Grundrechtsintensität einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage. Das Urteil des OVG Münster bestätigt insoweit die jüngste Rechtsprechung des BVerwG. Die Entscheidungen machen deutlich, dass der Parlamentsvorbehalt mit Blick auf Art. 33 Abs. 2, 5 GG von besonderer Bedeutung ist, da Grundrechte auch im Beamtenverhältnis Wirkung entfalten. Wesentliche Entscheidungen über Beschränkung und Austarierung grundrechtlich geschützter Positionen müssen vom Gesetzgeber getroffen werden. Summa summarum also ein Urteil, welches eine vertiefte Auseinandersetzung verdient.

17.09.2018/1 Kommentar/von Dr. Yannik Beden, M.A.
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Yannik Beden, M.A. https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Yannik Beden, M.A.2018-09-17 14:53:342018-09-17 14:53:34Tätowierung bei Polizeibeamten: Bewerber darf nicht ohne gesetzliche Grundlage abgelehnt werden
Gastautor

Dashcams – Einsatz von Minikameras im Straßenverkehr

Examensvorbereitung, Lerntipps, Mündliche Prüfung, Öffentliches Recht, Schon gelesen?, Startseite, Verschiedenes

Wir freuen uns heute einen Gastbeitrag von Juliane Böcken veröffentlichen zu können.
Dashcams – Einsatz von Minikameras im Straßenverkehr
Der Einsatz von Minikameras (sog. Dashcams) im Straßenverkehr wird immer beliebter und ihre Zulässigkeit seit längerem diskutiert. Denn ihre Verwendung ist aufgrund möglicher Eingriffe in das Persönlichkeits- und Datenschutzrecht höchst bedenklich. Mittlerweile wird das Thema auch bei den Prüfern immer beliebter und erhält damit hohe Examensrelevanz – sowohl für das Erste als auch für das Zweite Examen. In der Mündlichen Prüfung ist es schon häufig gelaufen und auch für Klausuren ist es „heiß“!
Zum Hintergrund
Bei Dashcams („dash“ = engl. f. Armaturenbrett) handelt es sich um kleine Kameras, die z.B. auf dem Armaturenbrett oder der Windschutzscheibe eines Fahrzeugs angebracht werden. Während der Fahrt zeichnen sie dann das gesamte Verkehrsgeschehen und damit auch andere Verkehrsteilnehmer auf. Die Fahrer erhoffen sich dadurch regelmäßig die Erlangung eines Videobeweises, etwa für den Fall eines späteren Unfalls.
Daraus ergibt sich folgendes Problem: Die betroffenen Verkehrsteilnehmer wissen meist nicht, dass sie gefilmt und ihre Daten (wie z.B. Auto-Kennzeichen) gespeichert werden.
Entscheidungen des AG Münchens
Besondere Brisanz erhält die Diskussion um die Zulässigkeit von Dashcams auch deshalb, weil dasselbe Gericht, nämlich das Amtsgericht München, diese Frage uneinheitlich beantwortet hat. So hat das Gericht ihre Verwendung einmal für zulässig (vgl. Urt. v. 06.06.2013, Az.: 343 C 4445/13) und in einer anderen Entscheidung für unzulässig (vgl. Beschl. v. 13.08.2014, Az.: 345 C 5551/14) erachtet.
In beiden Entscheidungen hatte sich die Frage nach der Verwertbarkeit des gewonnenen Videomaterials als Beweismittel im Zivilprozess gestellt.
In der Entscheidung vom 06.06.2013 (Az.: 343 C 4445/13) hat das AG München die Verwertung einer von einem Fahrradfahrer mit einer Helmkamera aufgenommenen Videoaufzeichnung für zulässig erachtet. Nach Ansicht des Gerichts stellten die Aufzeichnungen keinen Eingriff in ein fremdes Grundrecht dar, da die Situation mit der Aufnahme von Urlaubsbildern vergleichbar sei. Zu der Zeit, als das Video aufgenommen wurde, habe der Aufnehmende damit allerdings auch noch keinen bestimmten Zweck verfolgt, so dass die Aufnahmen als verhältnismäßig anzusehen waren.
Etwa ein Jahr später in der Entscheidung vom 13.08.2014 (Az.: 345 C 5551/14) hat das Amtsgericht allerdings die Auffassung vertreten, dass die von einer in einem Pkw installierten Dashcam gemachten Aufnahmen im Zivilprozess nicht als Beweismittel verwertbar seien. Einer Verwertung würden Persönlichkeitsrechte sowie Bestimmungen des Datenschutzes und des Kunsturhebergesetzes entgegenstehen.
Zur Prüfung im Einzelnen:
Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts

  1. Schutzbereich

Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts i.S.d. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 GG umfasst auch das Recht am eigenen Bild. Dazu gehört die Möglichkeit, sich in der Privatsphäre und in der Öffentlichkeit frei zu bewegen, ohne befürchten zu müssen ohne Kenntnis oder Zustimmung von einer Videoaufnahme erfasst und aufgezeichnet zu werden (Balzer/Nugel NJW 2014, 1622).

  1. Eingriff

Durch die unbefugte Erstellung von Fotoaufnahmen wird in dieses Grundrecht eingegriffen. Mit Dashcams gemachte Videos ohne Einwilligung können somit grundsätzlich einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der anderen Verkehrsteilnehmer darstellen.

  1. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung

Ob ein solcher Eingriff ggf. gerechtfertigt ist, hängt von der Prüfung seiner Verhältnismäßigkeit unter Abwägung der Interessen aller Beteiligten ab.
Das Recht auf Informationelle Selbstbestimmung kann insbesondere durch konkurrierende Grundrechte Dritter eingeschränkt werden (Jarass/Pieroth, GG, Art. 2, Rn. 58 ff.). Als ein solches Grundrecht kommt das Interesse des Verwenders an einer fairen Handhabung des Beweisrechts in Betracht (vgl. AG München, BeckRS 2014, 16291). Dieses Interesse ist in seinem Grundsatz auch legitim, da sich gerade im Verkehrsrecht mitunter erhebliche Beweisprobleme und -schwierigkeiten ergeben können, etwa wenn Mitfahrer als Zeugen zu vernehmen sind.
Werden die Kameras zur Erlangung eines Videobeweises im Falle eines Verkehrsunfalls eingesetzt, stellt sich die Frage, ob eine Aufzeichnung während der gesamten Fahrt erforderlich ist. So wird vertreten, dass nur die Speicherung von Aufnahmen im engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Unfallereignis erforderlich ist und bei derart eingegrenzten Aufnahmen das Interesse der anderen Unfallbeteiligten an der Aufklärung des Unfallgeschehens zum Schutz zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche den kurzfristigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht überwiegen kann (Balzer/Nugel NJW 2014, 1622, 1627). Das generelle Aufnehmen des Verhaltens anderer Verkehrsteilnehmer während der gesamten Fahrt sei jedoch eingriffsintensiver. Auch nach Auffassung des Düsseldorfer Kreises (einer Aufsichtsbehörde für den Datenschutz) werden die anderen Verkehrsteilnehmer bei permanenten Aufzeichnungen zum Objekt einer Videoüberwachung gemacht, die sie ohne Anlass unter einen Generalverdacht stellen, dem sie sich nicht entziehen können (Beschl. v. 25./26.02.2014). Die Interessen der anderen Verkehrsteilnehmer dürften dann überwiegen, so dass ein Eingriff nicht gerechtfertigt wäre.
Vereinbarkeit mit dem Datenschutz
Aufnahmen aus dem Einsatz einer Dashcam können gegen § 6b Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 3 BDSG verstoßen. Nach dieser Vorschrift ist die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit Videoüberwachung nur zulässig, wenn sie für einen konkreten Zweck erforderlich ist und nicht andere schutzwürdige Interessen überwiegen.
Die schutzwürdigen Interessen der anderen Verkehrsteilnehmer dürften überwiegen, sofern der Hauptzweck der Aufnahmen in der Dokumentation eines möglichen Unfallhergangs besteht. Das Interesse des Autofahrers, für den theoretischen Fall eines Unfalls Aufnahmen als Beweismittel zu haben, könne den gravierenden Eingriff durch die permanente Aufzeichnung in das Persönlichkeitsrecht der Verkehrsteilnehmer nicht rechtfertigen (Beschl. d. Düsseldorfer Kreises v. 25./26.02.2014).
Verstoß gegen § 22 S. 1 KustUrhG
Die Verwendung der Autokamera kann ferner gegen § 22 S. 1 KunstUrhG verstoßen. Danach dürfen Bildnisse nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden. Ein Verstoß könnte bei einer permanenten Verwendung ohne Anlass angenommen werden (vgl. AG München, BeckRS 2014, 16291).
Eine Ausnahme kann nach § 23 Abs. 1 Nr. 2 KunstUrhG für Aufnahmen bestehen, auf denen die Personen nur als Beiwerk neben einer Landschaft oder sonstigen Örtlichkeiten erscheinen.
Verwertbarkeit der Aufnahmen im Zivilprozess
Selbst wenn die Erstellung der Aufnahmen als rechtswidrig zu qualifizieren ist, muss dies nicht zwingend zu einer Unverwertbarkeit führen (Bacher in: BeckOK ZPO, § 284, Rn. 22.2). Wenn die Videoaufnahmen einer Dashcam aber in das allgemeine Persönlichkeitsrecht eingreifen oder aus datenschutzrechtlichen Gründen als unzulässig anzusehen sind, sind sie im Zivilprozess wohl nur in engen Ausnahmefällen verwertbar (vgl. auch Balzer/Nugel NJW 2014, 1622, 1627). Und das auch nur, soweit den Grundsätzen der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit Rechnung getragen wird.
Zudem ist noch Folgendes zu beachten: Es besteht die Möglichkeit, dass das von dem Verwender der Kamera erlangte Beweismaterial – sofern es denn zugelassen ist – in einem Prozess auch gegen ihn verwendet werden kann (vgl. AG München, BeckRS 2013, 11584). So kann sich bei der Beweisaufnahme auch ergeben, dass der Verwender den aufgenommenen Unfall überwiegend selbst verschuldet hatte.
Fazit
Ob die Verwendung von Dashcams in Deutschland zulässig ist, ist bislang noch nicht abschließend geklärt. In der Rechtsprechung und Literatur ist dennoch eine Tendenz dahingehend zu erkennen, dass die Verwendung der Kameras mit dem Ziel einen Beweis zu erlangen – zumindest bei permanenter Aufzeichnung – wohl als unzulässig anzusehen ist. Ihr Einsatz kann jedenfalls zu erheblichen Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und Unvereinbarkeit mit dem Datenschutzrecht führen. Dies kann gegen eine Verwertbarkeit von den gewonnenen Aufnahmen im Zivilprozess sprechen. Zulässig dürfte der Einsatz der Kamera hingegen für ausschließlich private Zwecke sein, zumindest solange die Aufzeichnungen nicht veröffentlicht werden.
Denkbare Examenskonstellationen
Sowohl im Ersten als auch im Zweiten Examen kann das Thema „Dashcams“ in der Mündlichen Prüfung abgefragt werden.
Im Zweiten Examen lässt sich die dargestellte Problematik zudem insbesondere in Verkehrsunfall-Klausuren sehr gut einbauen. Da sich die Verwender der Minikameras erhoffen im Falle einer verkehrsrechtlichen Auseinandersetzung einen Videobeweis zu erlangen, ist dann zu prüfen, ob das gewonnene Videomaterial vor Gericht als Beweismittel überhaupt zulässig ist.
Aber auch im Ersten Examen ist zumindest eine kleine StPO-Zusatzfrage denkbar, bei der dann eine gute Argumentation gefragt ist.
 

02.03.2015/3 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2015-03-02 10:48:042015-03-02 10:48:04Dashcams – Einsatz von Minikameras im Straßenverkehr
Redaktion

OLG Saarbrücken: Allgemeines Persönlichkeitsrecht bei Amtsträgern

Lerntipps, Öffentliches Recht, Rechtsprechung, Startseite, Zivilrecht

Entscheidungsname: Amtsträger in Nöten
Fundstelle: Saarländisches Oberlandesgericht, NJW-RR 2014, 675-680
Problemaufriss
Die Entscheidung des OLG gibt Anlass in das allgemeine Persönlichkeitsrecht einzutauchen. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht steht nicht selten zwischen dem Öffentlichen und dem Zivilrecht und damit zwischen der ordentlichen und der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Daher sollte man sich zunächst vor Augen führen, woher das allgemeine Persönlichkeitsrecht stammt und was es schützen will. Über das Scharnier der Drittwirkung von Grundrechen wirkt es ebenso im Zivilrecht und führt oft zu Streitigkeiten zwischen Privaten, die sich durch einen anderen Privaten in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt sehen. Danach sollte man klar eingrenzen, was gefordert wird. Zentral sind Unterlassungs- und Widerrufsansprüche sowie Geldentschädigungsansprüche. Geldentschädigungsansprüche werfen außerdem dogmatische Fragen auf. Ausnahmsweise erkennt die Rechtsprechung auf der Schadenseite eine Genugtuungsfunktion an, die eine Erweiterung des allgemeinen Schadensersatzrechts der §§ 249ff. BGB darstellen. Insbesondere aufgrund der Schnittstelle zwischen dem Öffentlichen und dem Zivilrecht sowie der hohen Praxisrelevanz ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht höchst prüfungsrelevant. Die Entscheidung sollte Anlass sein, sich mit den Strukturen des Instituts auseinanderzusetzen und die aktuelle Rechtsprechung zu verfolgen. Dabei geht das Gericht vor allem auf die „Sonderrolle“ eines Amtsträgers ein und problematisiert die Tragweite des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Nachfolgend behandelt es die „klassische“ Frage, wo die Grenze zwischen Meinungskundgabe und Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts verläuft.
Sachverhalt
Der Kläger ist Landrat und gehört der SPD an. Der Kläger trat auf einer Gegenveranstaltung zu einer Veranstaltung auf, die der rechten Szene zuzuordnen ist. Hintergrund war eine vom Zeugen W. angemeldete Kundgebung des Nationalen Widerstands Z.“ in H. am 2.3.2013, an der auch der Beklagte und dessen Verlobte, die Zeugin R., teilnahmen. Anwesend waren auch Gegendemonstranten und Polizeibeamte. Gegen Ende der Veranstaltung wurde die erste Strophe des „Liedes der Deutschen“ abgespielt. Der Kläger untersagte das in seiner Funktion als Kreispolizeibehörde. Versammlungsteilnehmer hielten die Untersagung für unzulässig, und es kam zu einer verbalen Auseinandersetzung, an der sich auch der Beklagte, die Zeugin R. und der Zeuge W. beteiligten. Die Zeugin R. trat vor den Kläger und machte mit ihrem Smartphone Aufnahmen. Er wehrte das ab; ob er dabei die Hand der Zeugin quetschte und ihr Handy beschädigte, ist streitig. Jedenfalls wurde er von der Zeugin ins Gesicht geschlagen, worauf er nach dem Vorbringen des Beklagten mit einem Faustschlag ins Gesicht reagiert haben soll. Polizeibeamte griffen ein, die Zeugin ging zu Boden. Sie wurde bewusstlos, erlitt Verletzungen und wurde notärztlich behandelt.
Der Beklagte – der nach eigenen Angaben den angeblichen Faustschlag selbst nicht gesehen hatte – berichtete im Internet über das Geschehen. Auf der Internetseite der NPD N.-O. veröffentlichte er einen Artikel unter dem Titel „SPD Landrat schlägt NPD Aktivistin R. R. nieder“. Darin hieß es: „[…] Der örtliche SPD-Landrat hat demnach sich augenscheinlich von der Nationalhymne, die Bestandteil des Liedes der Deutschen ist, ‚provoziert‘ gefühlt und schlug R. R. (NPD, Mitglied des NPD-Parteivorstandes) nieder.
Es war kurz vor dem geplanten Ende der dritten Kundgebung im Rahmen der „Fahrt der Erinnerung“ des Nationalen Widerstands Z. […]. Zum Abschluss sollte […] die Nationalhymne gespielt werden. [Das] war für den SPD-Apparatschik C. L. eine […] unvorstellbare Provokation.[…]
Im Rahmen einer Schlichtung durch NPD-Parteivorstandsmitglied R. R., versuchte Landrat L. zunächst, der vierfachen Mutter das Funktelefon gewaltsam zu entreißen, weil er vermutete, dass sie das Gespräch damit aufgezeichnet habe. […] Er wendete dabei dermaßen heftige Gewalt an, dass R. R. Quetschungen an der Hand erlitt und das Display Ihres iPhones durch den Druck zerbrach. Als R. R. diese Gewaltattacke in legitimer Notwehrabsicht abwehrte, schlug L. der Rednerin der NPD brutal mit der Faust ins Gesicht. Das überraschte Opfer blutete. R. R. erlitt hierdurch eine Prellung des Nasenbeins, Nasenbluten und eine Schädelprellung sowie Quetschungen und blutige Kratzspuren an der Hand.[…]
Im Wesentlichen gleichlautende Berichte veröffentlichte der Beklagte auf der Facebook-Seite der NPD und auf der Internetseite „DS Aktuell“. Sie schlossen jeweils mit der Angabe „Verantwortlich: M. W. Pressesprecher der KPV“ bzw. „der Kommunalpolitischen Vereinigung (KPV) der NPD“.
Der Kläger hat den Beklagten unter dem 4.3.2013 aufgefordert, die Verbreitung der Artikel zu unterlassen, und am 8.3.2013 den Erlass einer einstweiligen Verfügung beantragt, mit der dem Beklagten aufgegeben werden sollte, die Berichte aus dem Internet zu entfernen und es zu unterlassen, sie im Internet oder auf eine andere Art der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die Zeugin R. R. tätlich angegriffen und ihr Mobiltelefon beschädigt oder zerstört zu haben, hat der Kläger von sich gewiesen. Er hat sich durch die Berichterstattung – unter anderem durch die Bezeichnung als „Frauenschläger“ – in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht schwerwiegend verletzt gesehen. Der Kläger hat zum Ablauf des Vorfalls an Eides statt versichert, die Zeugin R. habe sich unmittelbar vor ihn gestellt und ihm ihr Mobiltelefon direkt vors Gesicht gehalten; er habe die Linse mit seiner linken Hand verdeckt und das Telefon nach unten gedrückt. Die Zeugin habe ihm dann den – unstreitigen – Schlag ins Gesicht versetzt, woraufhin sie von den umstehenden Polizisten unter heftiger Gegenwehr überwältigt worden sei.
 
Entscheidung des Gerichts
Das Gericht bejahte einen Anspruch auf Unterlassung solcher Äußerungen. Die Rechtsgrundlage des Anspruches stelle § 1004 BGB i. V. m. Art. 2 I, 1 I GG dar. Dazu stellt das Gericht zunächst fest: „Gegen Angriffe auf die persönliche Ehre durch Behaupten oder Verbreiten von Äußerungen, die die Wertschätzung, den Ruf, das Ansehen einer Person beeinträchtigen, genießt sie den umfassenden negatorischen und deliktischen Schutz des Persönlichkeitsrechts. Das Recht der persönlichen Ehre wird verletzt, wenn der Einzelne beschimpft, verächtlich gemacht oder herabgewürdigt wird. Das kann insbesondere dadurch geschehen, dass er, wie hier, eines strafrechtlich sanktionierten oder eines moralisch verwerflichen Verhaltens bezichtigt wird.
Damit hat das Gericht die Grundlage für den Anspruch gelegt. Die interessante Frage hinter diesem Fall ist jedoch, ob und in welchen Bahnen sich ein Amtsträger auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht berufen darf. Steht er in einer speziellen Sphäre, die seinen Schutz mindert, oder aber kommt ihm der volle Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zugute? Das Gericht beantwortet diese Frage eindeutig: „Die Rechtsauffassung des Beklagten ist insoweit richtig, als Ansprüche auf die Abwehr von Beleidigungen, üblen Nachreden und Verleumdungen gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 185, 186, 187 StGB auch juristischen Personen zustehen können. Was juristische Personen des öffentlichen Rechts anbelangt, so haben diese zwar keine eigentliche „persönliche Ehre“, gleichwohl genießen sie, wie § 194 Abs. 3 StGB zeigt, im Zusammenhang mit der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben strafrechtlichen Ehrenschutz, der – vermittelt über die §§ 1004, 823 Abs. 2 BGB, 185 ff. StGB – auch zivilrechtliche Unterlassungsansprüche begründen kann, sofern es um das Mindestmaß an öffentlicher Anerkennung geht, ohne das die Wahrnehmung ihrer Funktionen beeinträchtigt wäre.
Der Beklagte irrt aber mit der Annahme, hier sei es allein die hinter der Behörde Landrat stehende Körperschaft, die berechtigt sein könne, die Unterlassung der streitgegenständlichen Äußerungen zu verlangen. Es mag sein, dass im gegebenen Fall auch die Anstellungskörperschaft vom Beklagten verlangen könnte, er möge die Behauptung, einer ihrer Organwalter habe eine Versammlungsteilnehmerin niedergeschlagen, unterlassen. Das würde jedoch an der davon unabhängigen Anspruchsinhaberschaft und Aktivlegitimation des Klägers nichts ändern Es spielt für den Ehrenschutz des Klägers keine Rolle, dass er in seiner amtlichen Eigenschaft als Versammlungsbehörde/Kreispolizeibehörde am Ort der Kundgebung gewesen ist. Die Annahme, ein Amtsträger ließe während der Zeit, in der er dienstlich tätig ist, seine Ehre und damit seinen Ehranspruch im Privaten zurück und reduzierte sich auf seine öffentliche Funktion, wäre mit der jedem Menschen unantastbar zukommenden Würde (Art. 1 GG) nicht zu vereinbaren. Eine Person bleibt bei allem, was sie tut, Person und behält auch in Lebenssituationen der Amtsausübung ihre individuelle und höchstpersönliche Würde und Ehre. Diese ist folgerichtig potenziell auch stets verletzbar, insbesondere, wie dargelegt, dadurch, dass die Person durch den Vorwurf, eine Straftat begangen zu haben, in ein schlechtes Licht gerückt wird. Es muss ihr unbenommen sein, sich aus eigenem Recht gegen die damit verbundene Herabwürdigung zu verwahren, weil ihre Rehabilitation nicht davon abhängen kann, ob die hinter ihr stehende Körperschaft rechtliche Maßnahmen ergreift, die zudem in erster Linie der Wahrung des Ansehens der Körperschaft und allenfalls mittelbar dem des Organwalters dienen würden. Hinzu kommt: Wer Straftaten begeht, wird dafür strafrechtlich persönlich zur Verantwortung gezogen und hat auch für die zivilrechtlichen Folgen einzustehen, gleichviel ob er zur Tatzeit private Freizeitaktivitäten betrieb oder ob er mit einer amtlichen Aufgabe befasst war. Umgekehrt muss, wer dem Vorwurf strafrechtlich relevanten Verhaltens ausgesetzt wird, die Verteidigung gegen diesen Vorwurf selbst in die Hand nehmen dürfen.“
 
Bewertung der Entscheidung
Die Entscheidung des Gerichts vermag zu überzeugen. Neben der Wiederholung der Grundsätze des allgemeinen Persönlichkeitsrechts stellt sie die Rechte eines Trägers eines öffentlichen Amtes in den Vordergrund. Zwar ist der Schutz desjenigen, der in der Öffentlichkeit kraft seines öffentlichen Amtes auftritt, grundsätzlich eingeschränkt. Er ist jedoch nicht seiner Persönlichkeitsrechte beraubt. Dazu gehört, dass er sich gegen unwahre Tatsachenbehauptungen oder Meinungsäußerungen, die in den Bereich schmähender Aussagen vordringen, erwehren darf. Fraglich ist, wo die Grenze im staatlichen Bereich verläuft. Hier hat das Gericht festgestellt, dass einem Amtsträger ein gleichwertiger Schutz wie einem Privatmann zuteil wird. Dem ist nur insoweit zuzustimmen, als dass sich eine öffentliche Person nicht vollumfänglich auf sein allgemeines Persönlichkeitsrecht berufen darf, wenn er mit strittigen Thesen oder provozierenden Aussagen in die Öffentlichkeit dringt. Außerdem muss trennscharf unterschieden werden, ob sich die Kritik gegen die Person oder die Sache wendet. Nur bei Kritik gegen die Person steht dem Amtsträger ein Anspruch zu. Dieser ist stets dann zu bejahen, wenn er einer Straftat bezichtigt wird, die er nicht begangen hat. Dabei ist auch die Wertung des § 186 StGB zu würdigen: Wer etwas behauptet, muss sich vergewissern, dass es wahr ist. Das Risiko der Unwahrheit trägt also derjenige, der behauptet. Diese Wertung sollte nicht durchbrochen werden. Der Amtsträger muss sich effektiv erwehren können.
Andere aktuelle Entscheidungen des BGH behandeln den genauen Grenzverlauf zwischen erlaubter Meinungskundgabe und unberechtigtem Verstoß gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Dieser Bereich ist von einer ausgeprägten Kasuistik geprägt. Maßgeblich sind stets dieselben Fragen: In welcher Sphäre wird der „Verletzte“ getroffen? Mit welcher Intensität wird der „Verletzte“ kritisiert oder beansprucht? Aus welchem Kontext heraus? Hier müssen die Kriterien sitzen. Die konkrete Bewertung des Einzelfalls obliegt dem Ermessensspielraum des Prüflings, wobei die abstrakten Kriterien und Argumentation von besonderer Wichtigkeit sind.
Examensrelevanz
Die Entscheidung hat eine erhöhte Examensrelevanz, weil sie zwei Dinge miteinander verbindet. Auf der einen Seite lassen sich „bekannte“ Strukturen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts prüfen. Dies zeigt dem Korrektor, ob grundlegendes Wissen auf diesem Gebiet vorhanden ist. Kandidatinnen oder Kandidaten, die sich in höhere Punktebereiche vorwagen möchten, können ihr Problembewusstsein unter Beweis stellen. Sie erkennen in der Amtsträgereigenschaft ein Problem und erörtern es anhand der Kriterien des Gerichts und ihren Kenntnissen aus dem Öffentlichen Recht.
 

07.02.2015/2 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2015-02-07 09:01:102015-02-07 09:01:10OLG Saarbrücken: Allgemeines Persönlichkeitsrecht bei Amtsträgern
Jennifer Eggenkämper

LG Köln: „Vermächtnis – Die Kohl-Protokolle“ darf veröffentlicht werden

Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Startseite, Zivilrecht

Das Landgericht Köln hat mit Beschlüssen vom 7.10.2014 (6 U 147/14, 6 U 146/14) die Anträge auf Eilrechtsschutz des Altkanzlers Dr. Kohl gegen die Veröffentlichung des Buches „Vermächtnis – Die Kohl-Protokolle“ gegen seinen ehemaligen Ghostwriter Dr. Schwan sowie gegen den veröffentlichenden Verlag zurückgewiesen.
I. Sachverhalt
Der Journalist Dr. Heribert Schwan sollte als Ghostwriter die Memoiren des Altkanzlers Dr. Helmut Kohl verfassen. Dazu führten Dr. Kohl und Dr. Schwan zwischen 2001 und 2002 im Haus des Altkanzlers in Oggersheim Gespräche von insgesamt über 600 Stunden, die auf Tonband aufgezeichnet wurden. Dabei gab es keine ausdrückliche Vereinbarung, die Gespräche vertraulich zu behandeln. Nachdem drei Bände erschienen, wurde die Zusammenarbeit aufgrund persönlicher Zerwürfnisse vorzeitig beendet. Nachdem Dr. Schwan die Tonbänder zunächst nicht herausgeben wollte, klagte Dr. Kohl erfolgreich auf Herausgabe (OLG Köln, Urt. v. 01.08.2014 – 6 U 20/14).
Nachdem er die Tonbänder herausgeben musste, entschloss sich Dr. Schwan, die Gespräche einem gemeinsam mit dem Mitautor Tilman Jens verfassten „Enthüllungsbuch“ zugrunde zu legen. Das „Vermächtnis – Die Kohl-Protokolle“ erschien letzte Woche im Verlag Random House gegen den Willen von Dr. Kohl. In dem Werk werden viele – auch private – Details über den Altkanlzler und seine Äußerungen über andere Personen preisgegeben, die zwar sein privates und politisches Umfeld teilweise bereits kannte, die aber für die Öffentlichkeit neu sind. So wird beispielsweise wiedergegeben, er habe sich über Angela Merkel als Person, die „wenig von Charakter heimgesucht sei“ oder Norbert Blüm als „Verräter“ geäußert.
Im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes beantragte Dr. Kohl beim LG Köln, Dr. Schwan zu untersagen „die auf Tonbändern, auf denen die Stimme des Antragstellers zu hören ist und die in den Jahren 2001 und 2002 vom Antragsgegner besprochen wurden, befindlichen Lebenserinnerungen des Antragstellers zu verbreiten und/oder zu verwerten oder auf sonstige Weise zu nutzen“ (Az. 6 U 146/14). Weiterhin beantragte er, dem Verlag die „Vervielfältigung, Veröffentlichung, Verbreitung oder anderweitige Verwertung des Buches „Vermächtnis – Die Kohl-Protokolle“ der Autoren Heribert Schwan und Tilman Jens“ zu untersagen (Az. 6 U 147/14).
II. Entscheidung
Mit Beschlüssen vom 7.10.2014 wies das LG Köln beide Anträge zurück.
1. Verfahren gegen Dr. Schwan
a) Vertraglicher Anspruch
Bezüglich des gegen Dr. Schwan gerichteten Antrags führte das Gericht aus, ein derart allgemeiner und weit gefasster Antrag könne allenfalls aus vertraglichen Vereinbarungen hergeleitet werden. Eine ausdrückliche Vertraulichkeitsabrede enthielten die vor Beginn der Gespräche geschlossenen Verträge aber unstreitig nicht. Ein dahingehend auszulegender Rechtsbindungswille, über sämtliche von Dr. Kohl getätigten Äußerungen Stillschweigen zu bewahren, könne den Verträgen auch im Wege der Auslegung nicht entnommen werden.
b) Urheberrechtlicher Anspruch
Ein urheberrechtlicher Unterlassungsanspruch gem. § 97 Abs. 1 UrhG bestehe schon deshalb nicht, weil die konkret veröffentlichten Erinnerungen, die zur Zeit der Entscheidung noch nicht bekannt waren, auch bereits bekannte Umstände betreffen könnten. Deren Veröffentlichung wiederum könne unter keinem Gesichtspunkt untersagt werden. Weiterhin sei es ohne Kenntnis der Veröffentlichung überhaupt nicht möglich zu beurteilen, ob diese Urheberrechte an der Tonbandaufzeichnung verletze.
c) Anspruch wegen Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts (§§ 1004, 823 BGB)
Auch eine Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) liege nicht vor. Hierzu sei eine Abwägung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts Dr. Kohls mit dem Recht von Dr. Schwan auf Presse- und Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) erforderlich. Eine solche Abwägung könne jedoch nicht abstrakt vorgenommen werden, sondern müsse im Einzelfall unter Berücksichtigung des gesamten Kontextes erfolgen.
2. Verfahren gegen den Verlag Random House
In Bezug auf das Verfahren gegen den Verlag Random House führte das Gericht aus, es bestehe schon überhaupt keine vertragliche Beziehung zwischen Dr. Kohl und dem Verlag. Die Begründung der Ablehung der Ansprüche aus Urheberrecht und Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts entspricht der Entscheidung im Verfahren gegen Dr. Schwan.
III. Ausblick
Gegen diese Entscheidungen hat Dr. Kohl das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde (§§ 567 ff. ZPO) eingelegt. Nachdem der zustände Senat des OLG Köln den Parteien rechtliche Hinweise erteilt hat, nahm Dr. Kohl am 10.10.2014 die sofortige Beschwerde wieder zurück.
Nachdem Dr. Kohls Anwälte in ihrem ursprünglichen Antrag keine konkreten Passagen des Buches angriffen, da sie diese wohl vor der Veröffentlichung selbst nicht kannten, haben sie am vergangenen Wochenende angekündigt, nun gegen einzelne Passagen vorzugehen. Sie hätten einen Antrag auf Unterlassung von 115 Zitaten aus dem Buch gestellt. Sofern das Gericht zu dem Schluss kommt, dass auch nur eine dieser Passagen einen Urheberrechtsverstoß darstellt, wird wohl spätestens die nächste Auflage des Buches mit schwarzen Balken versehen sein.

14.10.2014/1 Kommentar/von Jennifer Eggenkämper
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Jennifer Eggenkämper https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Jennifer Eggenkämper2014-10-14 08:30:232014-10-14 08:30:23LG Köln: „Vermächtnis – Die Kohl-Protokolle“ darf veröffentlicht werden
Redaktion

Notiz: OLG Koblenz zur Löschung erotischer Aufnahmen nach Ende einer Beziehung

Deliktsrecht, Rechtsprechung, Schon gelesen?

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist in Examensklausuren und mündlichen Prüfungen äußerst beliebter Prüfungsstoff (eine Reihe von Beiträgen, die examensrelevante Konstellationen behandeln, findet sich etwa hier). Das OLG Koblenz hatte in diesem Zusammenhang einen Fall zu entscheiden, in dem die Löschung gemeinsamer Bild- und Videoaufnahmen nach dem Ende eine Beziehung verlangt wurde (Urteil vom 20.05.2014 – 3 U 1288/13).

Löschung intimer Aufnahmen

Das OLG verneinte dabei einen umfassenden Anspruch gegen den früheren Partner auf Löschung von überlassenen Dateien mit eigenen Foto- und Videoaufnahmen. Erotische und intime Aufnahmen seien hingegen nach dem Ende der Beziehung zu löschen.

Nach Auffassung des OLG stellt die während einer Beziehung im Einvernehmen erfolgte Fertigung von Lichtbildern und Filmaufnahmen keinen rechtswidrigen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der abgebildeten Person dar. Die Einwilligung habe auch zum Inhalt, dass der Andere die Aufnahmen im Besitz habe und über sie verfüge. Der Widerruf des Einverständnisses sei aber nicht ausgeschlossen, wenn aufgrund veränderter Umstände dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen Vorrang vor dem Umstand zu gewähren sei, dass er/sie der Anfertigung der Aufnahmen zu irgend einem Zeitpunkt zugestimmt habe. Das sei nach Beendigung der Beziehung der Fall, wenn es sich um intime und damit den Kernbereich des Persönlichkeitsrechts betreffende Aufnahmen handele. Der Anspruch auf Löschung digitaler Fotografien und Videoaufnahmen sei auf diesen Bereich beschränkt.

Keine vollständige Löschung

Die vollständige Löschung könne hingegen bei einer Abwägung der Persönlichkeitsrechte des Betroffenen mit den Eigentumsrechten auf Seiten des Inhabers der Bilder nicht beansprucht werden. Anders als bei intimen Aufnahmen seien Lichtbilder, welche den/die Betroffene(n) im bekleideten Zustand in Alltags- oder Urlaubssituationen zeigten, in einem geringeren Maße geeignet, sein/ihr Ansehen gegenüber Dritten zu beeinträchtigen. Es sei allgemein üblich, dass Personen, denen die Fertigung von Aufnahmen bei Feiern, Festen und im Urlaub gestattet werde, diese auf Dauer besitzen und nutzen dürfen.

24.05.2014/1 Kommentar/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2014-05-24 13:34:212014-05-24 13:34:21Notiz: OLG Koblenz zur Löschung erotischer Aufnahmen nach Ende einer Beziehung
Dr. Jan Winzen

Notiz: BGH: Anspruch auf Geldentschädigung wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts nicht vererblich

Deliktsrecht, Erbrecht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Startseite, Zivilrecht, Zivilrecht

Der BGH hat sich zur Vererblichkeit des Anspruchs auf Geldentschädigung wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts (§ 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG) geäußert. Zwei Aspekte der Entscheidung sind hervorzuheben.
Zum einen verneint der Senat in materieller Hinsicht die Vererblichkeit eines Anspruchs auf Geldentschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Der BGH unterscheidet zwischen den Funktionen eines solchen Anspruchs, namentlich der Präventionsfunktion und der Genugtuungsfunktion. Während unter dem Gesichtspunkt der Prävention eine Vererblichkeit des Anspruchs keineswegs ausgeschlossen sein dürfte – zur Prävention im Verhältnis zum Schädiger trägt die Durchsetzung des Anspruchs ja auch nach dem Tod des Geschädigten noch bei –, scheitert die Vererblichkeit aber an der nach dem Tod des Geschädigten nicht mehr erreichbaren Genugtuung. Diese kann nämlich nur dem Geschädigten selbst zu Gute kommen. Da die Genugtuungsfunktion nach Ansicht des BGH bei einer Geldentschädigung im Vordergrund steht, scheidet die Vererblichkeit des Anspruchs aus. Der Präventionsgedanke allein kann nach Ansicht des Senats die Gewährung einer Geldentschädigung nicht tragen.
Zum anderen äußert sich der BGH in prozessualer Hinsicht zu § 167 ZPO, eine Norm, die vor allem im zweiten Staatsexamen von herausragender Bedeutung ist. Nach Ansicht des Senats kann nämlich offen bleiben, ob im Hinblick auf die Vererblichkeit des Anspruchs etwas anderes gilt, wenn der Anspruchsberechtigte erst nach Eintritt der Rechtshängigkeit des Geldentschädigungsanspruchs verstirbt. Im vorliegenden Fall verstarb der Anspruchsberechtigte nämlich einen Tag nach Einreichung der Klage. Zu diesem Zeitpunkt war die Klage noch nicht zugestellt und damit noch nicht rechtshängig. Selbst bei zeitnaher Zustellung kann § 167 ZPO hier nicht dazu führen, dass sie als von Anfang an rechtshängig behandelt werden muss. Die in § 167 ZPO vorgesehene Rückwirkung beschränkt sich nämlich auf Fälle, in denen durch die Zustellung eine laufende Frist gewahrt oder die Verjährung neu beginnen oder gehemmt werden soll.
Zur Pressemitteilung des BGH geht es hier.
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist ein Dauerbrenner in der Rechtsprechung und spielt auch im Examen immer wieder eine Rolle, häufiger aber in Form von Unterlassungsansprüchen (ein Beispielsfall etwa hier).
Ebenfalls in den Kontext gehören Ansprüche, die aus dem Recht am eigenen Bild (als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts) abgeleitet werden. Dabei sind stets auch die §§ 22, 23 KUG in den Blick zu nehmen (siehe etwa hier).
Die im aktuellen Fall angesprochenen Fragen der Vererblichkeit und einer möglichen Rückwirkung nach § 167 ZPO lassen sich ohne weiteres in jeden Fall zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht einbauen und sollten deshalb bekannt sein.

15.05.2014/1 Kommentar/von Dr. Jan Winzen
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Jan Winzen https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Jan Winzen2014-05-15 13:00:172014-05-15 13:00:17Notiz: BGH: Anspruch auf Geldentschädigung wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts nicht vererblich
Jennifer Eggenkämper

BGH: Ersatzfähigkeit von Detektivkosten im Unterhaltsrechtsstreit

Öffentliches Recht, Rechtsprechung, Startseite, Verfassungsrecht, Zivilrecht, ZPO

Der BGH hat sich in einem Beschluss vom 15.05.2013 (XII ZB 107/08) mit der Frage befasst, ob Detektivkosten im Rahmen eines Unterhaltsrechtsstreits ersatzfähig sind. Kosten, die im Rahmen der Beschaffung von Beweismitteln entstehen, können grundsätzlich zu den erstattungsfähigen Kosten gem. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO gehören, wenn die Beweismittel im Prozess verwertet werden können.
I. Sachverhalt
Der Kläger wurde rechtskräftig zur Zahlung nachehelichen Unterhalts an seine Ex-Frau verurteilt. Die Ex-Frau hat in jenem Verfahren behauptet, die Beziehung, die sie zu einem anderen Mann unterhalten hatte, sei beendet. Zwischenzeitlich hat sie die Beziehung allerdings wieder aufgenommen. Daraufhin hat der Kläger zur Vorbereitung einer Abänderungsklage einen Detektiv damit beauftragt herauszufinden, ob die Beklagte mit dem anderen Mann eine verfestigte Lebensgemeinschaft i.S.d. § 1579 Nr. 2 BGB unterhält, welche zu einem Wegfall des Unterhaltsanspruchs führen kann. Zu diesem Zweck brachte der Detektiv an dem Fahrzeug der Beklagten heimlich einen GPS-Sender an und überwachte damit ihre Fahrten. Mittels der so gewonnenen Daten wurde ein umfassendes personenbezogenes Bewegungsprofil der Beklagten erstellt und dadurch festgestellt, dass sie eine verfestigte Lebensgemeinschaft unterhält.
Vorprozessual hat die Beklagte noch abgestritten, dass die Voraussetzungen für den Wegfall ihres Unterhaltsanspruchs vorlägen. Im darauffolgenden Abänderungsverfahren erkannte sie den Antrag des Klägers auf Wegfall seiner Unterhaltspflicht an. Ihr wurden die Kosten des Verfahrens im Urteil auferlegt.
Im darauffolgenden Kostenfestsetzungsverfahren war zwischen den Parteien streitig, ob die Beklagte auch die Detektivkosten zu tragen hat. Das Oberlandesgericht Oldenburg lehnte die Erstattungsfähigkeit dieser Kosten ab. Dagegen legte der Kläger Rechtsbeschwerde ein.
II. Entscheidung
Der BGH hat die Rechtsbeschwerde des Klägers zurückgewiesen.
Zu den zu erstattenden Prozesskosten i.S.d. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO gehören auch solche Kosten, die durch rechtmäßige Maßnahmen zur Vorbereitung eines bevorstehenden Verfahrens entstehen. Dazu zählen auch Detektivkosten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig seien. Bei Kosten zur Beschaffung von Beweismitteln sei dies der Fall, wenn die Beweismittel im Prozess verwertet werden können. Daran fehle es hier jedoch. Durch den Einsatz des GPS-Senders wurde ein umfassendes Bewegungsprofil der Klägerin erstellt. Dies stelle einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Klägerin gem. Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG dar. Es sei anhand des Einzelfalles im Wege einer Güter- und Interessenabwägung zu beurteilen, ob und in welchem Umfang ein Eingriff in dieses Recht hinzunehmen sei. Das Interesse an einer funktionstüchtigen Rechtspflege und das Interesse an der Sicherung von Beweismitteln für zivilrechtliche Ansprüche genügen nicht. Es müssen weitere Gesichtspunkte hinzutreten, die ein Interesse an der Beweiserhebung begründen. Dies könne etwa dann der Fall sein, wenn sich der Beweisführer in einer Notwehrsituation oder einer notwehrähnlichen Lage i.S.d. § 32 StGB oder § 227 BGB befinde. Ob eine solche Situation hier im Hinblick auf einen (versuchten) Prozessbetrug der Beklagten i.S.d. § 263 StGB gegeben sei, könne dahingestellt bleiben. Denn unabhängig davon müsse ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verhältnismäßig sein. An der Verhältnismäßigkeit fehle es vorliegend aber. Es wäre ausreichend gewesen, die Beklagte punktuell persönlich zu beobachten. Auch dabei wäre die sie zwar teilweise Objekt der Beobachtung gewesen. Jedoch wäre ihr Persönlichkeitsrecht dadurch nicht in stärkerem Maße beeinträchtigt worden, als dies ohnehin bei der Bewegung im öffentlichen Raum geschehe. Denn niemand könne einen allgemeinen Schutz davor verlangen, auf öffentlichen Wegen durch andere beobachtet zu werden.
III. Fazit
Generell sind also auch Detektivkosten ersatzfähig, die zur Vorbereitung eines Rechtsstreits entstehen. Hierzu gehören jedoch nicht solche Kosten, die zur Erlangung von Beweismitteln entstanden sind, die im Prozess nicht verwertet werden können, wie etwa die Kosten, die durch die Überwachung mittels eines GPS-Gerätes entstanden sind. Im Übrigen ist eine GPS-Überwachung von Personen sogar strafbar (BGH, Urteil vom 4.06.2013, 1 StR 32/13).
1. Verwertbarkeit von rechtswidrig geschaffenen oder erlangten Beweismitteln
Rechtswidrig geschaffene oder erlangte Beweismittel sind im Zivilprozess nicht stets unverwertbar (Bsp.: Großer Lauschangriff). Die Verwertbarkeit richtet sich nach einer Interessen- und Güterabwägung im Einzelfall. Dabei ist zu beachten, dass dem Interesse an einer funktionierenden Rechtspflege hohe Bedeutung zukommt. Darüber hinaus sind die Gerichte gehalten, die von der beweisbelasteten Partei angebotenen Beweise zu berücksichtigen. Es müssen jedoch über das Interesse an der Zivilrechtspflege hinaus weitere Aspekte hinzutreten, um das Interesse an der Beweisverwertung trotz der eigentlichen Unverwertbarkeit als schutzbedürftig einstufen zu können. Allein das Interesse an der Sicherung eines Beweismittels reicht nicht aus (BVerfG NJW 2002, 3619; BVerfG NJW 2007, 753).
2. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung
Die Verwertbarkeit der durch das GPS-System gewonnenen Daten im Prozess scheiterte im vorliegenden Fall daran, dass die Erstellung eines Bewegungsprofils der Ex-Frau einen unverhältnismäßigen Eingriff in ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung darstellt. Da die technischen Möglichkeiten der Datenerfassung und –verarbeitung ständig erweitert werden, ist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung immer wieder ein aktuelles Thema (z.B. Videoüberwachung in Innenstädten, GPS-Überwachung und Handy-Ortung).
Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist eine Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und wird aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG hergeleitet. Es schützt die Befugnis des Einzelnen, selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden. Das erste Mal hat das Bundesverfassungsgericht das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung im Volkszählungsurteil anerkannt (Urteil vom 15. Dezember 1983, 1 BvR 209/83 u.a).
Ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung bedarf zu seiner Rechtfertigung stets einer gesetzlichen Grundlage. Es ist eine Abwägung im Einzelfall zwischen dem Geheimhaltungsinteresse des Betroffenen und dem Informationsinteresse der verarbeitenden Stelle vorzunehmen.
 

06.09.2013/0 Kommentare/von Jennifer Eggenkämper
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Jennifer Eggenkämper https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Jennifer Eggenkämper2013-09-06 09:00:112013-09-06 09:00:11BGH: Ersatzfähigkeit von Detektivkosten im Unterhaltsrechtsstreit
Dr. Maximilian Schmidt

Der Fall Eren Derdiyok – Beschäftigungsanspruch eines Profifußballers

Arbeitsrecht, Schon gelesen?, Startseite, Tagesgeschehen

Ein für die mündlichen Prüfung im Examen sehr geeigneter Fall im Arbeitsrecht spielt sich momentan bei der TSG Hoffenheim ab. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung des Fußballprofis Eren Derdiyok kann Anlass dazu sein, sich in seiner Examensvorbereitung mit dem arbeitsrechtlichen Beschäftigungsanspruch auseinanderzusetzen.
Der Fußballprofi Eren Derdiyok wurde von der TSG Hoffenheim verpflichtet und, nach für den Trainer nicht zufrieden stellenden Leistungen, vom Training der Profimannschaft ausgeschlossen und in eine sog. „Trainingsgruppe 2“ verschoben, s. hier. Dort trainieren ebenfalls fünf andere ausgebootete Profispieler und einige Amateure. Eren Derdiyok macht jetzt im einstweiligen Rechtsschutz geltend, dass das Niveau dieser „Traininsgruppe 2“ nicht dem des Profikaders entspricht und er somit nicht angemessen beschäftigt sei.
I. Der Beschäftigungsanspruch
Zunächst muss die richtige Anspruchsgrundlage gefunden werden. Das BAG leitet eine allg. Beschäftigungspflicht aus dem Persönlichkeitsrecht des AN ab (BAG v. 10.11.1955 – 2 AZR 591/54, BAGE 2, 221). Der Anspruch beruht nach Auffassung des BAG unmittelbar auf der sich aus § 242 BGB unter Berücksichtigung der verfassungsrechtl. Wertentsch. der Art. 2 und 1 GG über den Persönlichkeitsschutz für den AG ergebenden arbeitsvertragl. Förderungspflicht der Beschäftigungsinteressen des AN. Der Beschäftigungsanspruch muss jedoch dann zurücktreten, wenn überwiegende schutzwerte Interessen des AG entgegenstehen. Dies können nach der Rspr. des GS im Einzelnen sein: Wegfall der Vertrauensgrundlage, fehlender Einsatzmöglichkeit, Gefahr des Geheimnisverrats, unzumutbare wirtschaftl. Belastung sowie alle Gründe, die eine fristlose Kündigung rechtfertigen würden (ErfK/Preis, 13. Aufl. 2013, § 611 Rn. 563)
Das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers erfordert also eine dem Arbeitsvertrag entsprechende Beschäftigung. Als Fußballprofi fällt hierunter auf jeden Fall ein ordnungsgemäßes Training mit Vollprofis der ersten oder zweiten Mannschaft. Insbesondere wird man bloße Kraft- und Ausdauerübungen als nicht ausreichend erachten können; das Fußballspiel erfordert auch taktisches und mannschaftsspezifisches Training. Vorliegend ist fraglich, ob die „Trainingsgruppe 2“ diesen Anforderungen genügt. Eren Derdiyok macht geltend, dass ein ordnungsgemäßer Trainingsbetrieb in diesem Sinne nicht gewährleistet sei. Dagegen könnte zunächst angeführt werden, dass immerhin bis zu 12 Profifußballspieler mittrainieren und somit ein gewisses fußballerisches Niveau gehalten wird. Allerdings sind es eben höchstens 12 Teilnehmer. Dies erlaubt kein geordnetes mannschaftstaktisches Training. Mangels Teilnahme an Wettbewerben ist die „Trainingsgruppe 2“ hierauf auch gar nicht ausgelegt. Auch ein angesetztes Testspiel gegen einen Kreisligisten ändert hieran nichts: Für dieses soll die „Trainingsgruppe 2“ mit Amateurspielern aufgefüllt werden. Da diese aber nie mit den aussortierten Profis zusammentrainiert haben, erschließt sich der Trainingseffekt nicht. Vielmehr werden die aussortierten Profis zwangsläufig mangels Eingliederung in eine Fußballmannschaft an fußballerischem Können verlieren. Hiervor soll die Beschäftigungspflicht aber gerade schützen. Es scheint vielmehr eine bloße Beschäftigungstherapie vorzuliegen, die den Profis deutlich machen soll, dass sie keine Zukunft mehr beim Verein haben.
Dies genügt dann aber nicht mehr den Anforderungen an die Beschäftigungspflicht der TSG Hoffenheim gegenüber ihrem Spieler.
Dies könnte aber ausnahmsweise zulässig sein, wenn ein Fall der Durchbrechung der Beschäftigungspflicht vorliegt. Aufgrund der Herleitung aus Art. 2 Abs 1 und Art. 1 GG (Allgemeines Persönlichkeitsrecht) und Verortung bei § 242 BGB ist eine Abwägung mit den geschützten Interessen des Arbeitgebers vorzunehmen. Diese können ausnahmsweise überwiegen, z.B. in Fällen von Gefahren für den Arbeitgeber bei Fortbeschäftigung. Vorliegend könnte ein Fall der fehlenden Einsatzmöglichkeit vorliegen. Offensichtlich besteht bei der TSG Hoffenheim kein Bedarf für den Stürmer Eren Derdiyok. Dies alleine kann aber nicht genügen, es geht schließlich um die Teilnahme am Trainingsbetrieb und nicht am Spielbetrieb. Dass hier keine Möglichkeit besteht Eren Derdiyok ins Training der Profis einzubeziehen, ist nicht ersichtlich. Vielmehr ist es üblich, dass auch aussortierte Spieler (d.h. solche auf die der Trainer künftig im Spielbetrieb verzichten möchte) am Training der Profis teilnehmen dürfen. Somit liegt auch kein Ausnahmefall der Durchbrechung der Beschäftigungspflicht vor.
Eren Derdiyok hat einen Anspruch auf Teilnahme am Trainingsbetrieb der Profis der TSG Hoffenheim aus § 611 BGB iVm § 242 BGB iVm. Art. 2 Abs. 1, 1 GG (APR).
II. Gerichtliche Geltendmachung
Derdiyok hat hier den Weg der einstweiligen Verfügung gewählt, § 62 Abs. 2 ArbGG iVm. § 940 ZPO (Regelungsverfügung). Zuständig ist das ArbG der Hauptsache, § 62 Abs. 2 ArbGG iVm. § 943 ZPO. Der Verfügungsanspruch liegt vor, s. I. Als Verfügungsgrund genügt das aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht hergeleitete besondere Beschäftigungsinteresse, das ohne die einstweilige Verfügung vereitelt würde. Sowohl Verfügungsgrund als auch Verfügungsanspruch sind ausreichend glaubhaft gemacht, § 62 Abs. 2 ArbGG iVm. § 920 Abs. 2 ZPO, § 294 ZPO. Das ArbG wird somit eine einstweilige Verfügung auf Teilnahme am Trainingsbetrieb der Profis erlassen.
III. Fazit
Der Fall kann als Einführung in das Recht der Beschäftigungspflicht als auch zur Vertiefung des Rechtes des einstweiligen Rechtsschutzes dienen. Hierzu ist er insbesondere in einer mündlichen Prüfung geeignet. Ein sportinteressierter, arbeitsrechtlicher Prüfer könnte auf ihn zu sprechen kommen.

24.08.2013/4 Kommentare/von Dr. Maximilian Schmidt
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Maximilian Schmidt https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Maximilian Schmidt2013-08-24 12:00:032013-08-24 12:00:03Der Fall Eren Derdiyok – Beschäftigungsanspruch eines Profifußballers
Dr. Christoph Werkmeister

OLG Düsseldorf: Recht am eigenen Bild bei Verfremdung

Deliktsrecht, Rechtsprechung

In einem kürzlich ergangenen Judikat des OLG Düsseldorf (Urteil vom 23.07.2013 – I-20 U 190/12)  ging es einmal mehr um eine Klärung von Rechtsfragen zur Reichweite des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (APR). In diesem Fall ging es im Speziellen um die Ausprägung des APR in Form des Rechts am eigenen Bild. Da derartige Sachverhalte stets eine sehr hohe Examensrelevanz aufweisen, sei in diesem Kontext direkt auch auf weitere Konstellationen zur Durchsetzung des APR  hingewiesen, siehe dazu kürzlich im öffentlich-rechtlichen Bereich hier, aktuell in zivilrechtlicher Hinsicht hier und zu einem Präzedenzfall des BGH, dem sog. Herrenreiter-Fall, hier.
Sachverhalt
Im dem vom OLG Düsseldorf entschiedenen Fall hatte ein Händler im Internet Bilder zum Verkauf angeboten. Diese Bilder waren auf der entsprechenden Verkaufsseite für jedermann sichtbar. Die Bilder zeigten eine Fotografie des Golf-Profis Martin Kaymer, die allerdings durch eine Abänderung der Farbkombination verfremdet wurde, so dass sie nun im Pop Art-Stil gestaltet war. Eines der Bilder wurde für knapp 45 EUR verkauft.
Martin Kaymer wurde bezüglich der Veröffentlichung seines Bildnisses nicht um seine Erlaubnis gefragt und war mit einer derartigen Verbreitung nicht einverstanden. Aus diesem Grund klagte er auf Unterlassung der Veröffentlichung und Verbreitung der Bilder und forderte zusätzlich Schadensersatz. Der Maler berief sich im Verfahren auf seine Kunstfreiheit aus Art. 5 III S. 1 GG. Außerdem argumentierte er, seien seine Bilder doch gute Werbung für Martin Kaymer und würden zudem eine Art Tribut zu seinen Ehren darstellen.
Anspruch auf Unterlassung
Das OLG Düsseldorf erblickte in dem Verhalten des Malers einen Verstoß gegen das Recht am eigenen Bild aus Art 2, Art. 1 GG. Aus diesem Grunde nahm es einen quasinegatorischen Unterlassungsanspruch aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog i.V.m. §§ 22, 23 Abs. 2 KUG zugunsten von Martin Kaymer an. In diesem Kontext galt es für das Gericht im Rahmen der Rechtswidrigkeit die Vorschrift des § 23 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4 KUG zu prüfen.
Gemäß §23 Abs. 1 Nr. 1 dürfen Bildnisse von Personen aus dem Bereich der Zeitgeschichte ohne deren vorherige Zustimmung verbreitet werden. Zu differenzieren sind dabei „absolute Personen“ der Zeitgeschichte, darunter fallen Prominente, die aufgrund ihrer Bekanntheit immer wieder in der Öffentlichkeit stehen, und „relative Personen“ der Zeitgeschichte, die nur durch ein einmaliges Ereignis in den Fokus der Öffentlichkeit geraten. Bezüglich der Verbreitung der Bildnisse relativer Personen legte die Rechtsprechung einen strengeren Maßstab für die Veröffentlichung und Nutzung an. Kaymer erschien aufgrund seiner sportlichen Leistungen und seines Bekanntheitsgrades häufiger in Zeitungen und Zeitschriften und ist somit der ersten Gruppe zuzuordnen. Der BGH änderte seine gradlinige Rechtsprechung, nachdem ihm der Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte widersprochen hatte. Auch Bildnisse absoluter Personen dürfen nicht mehr ohne Weiteres verwendet und kommerziell genutzt werden, die Zulässigkeit beurteilt sich nun danach, ob eine Frage des allgemeinen Interesses bedient würde. Auf den möglichen Werbeeffekt oder die Ehrerbietung für den Prominenten kommt es dabei nicht an.
Nach § 23 Abs. 1 Nr. 4 KUG ist die Verbreitung eines Bildnisses einer Person auch ohne dessen Einwilligung zulässig, sofern die Verbreitung des Werkes, das nicht auf Bestellung angefertigt wurde, einem höheren und überwiegenden Interesse der Kunst dient.
Das OLG führte hierzu indes aus, dass ein höheres und überwiegendes Interesse der Kunst im Falle einer Bildverfremdung im Pop Art-Stil im konkreten Fall nicht feststellbar sei. Die Bilder wiesen über rein handwerkliches Können hinaus keinen künstlerischen Gehalt auf. Auch komme den Bildern lediglich ein sehr geringer Informationswert für die Allgemeinheit zu, sie dienten vielmehr vorrangig kommerziellen Interessen. Es überwiege daher das Recht von Martin Maymer, selbst über die Verwendung von Bildnissen seiner Person zu kommerziellen Zwecken zu bestimmen. Dennoch
Sofern der Künstler noch mehr Energie in die Umbearbeitung und künstlerische Gestaltung des Bildes gesteckt hätte, wäre ein anderes Ergebnis denkbar gewesen. Erforderlich wäre ein eigener Entwicklungs- und Bearbeitungsprozess des Künstlers, durch den etwas Neues, über das reine Bildnis in anderen Farben Hinausgehendes, erschaffen worden wäre. Die bloße Verfremdung der Fotografie, die übrigens mittlerweile sogar einfach am Computer oder sogar Smartphone herzustellen möglich ist, reichte dem OLG nicht aus.
Anspruch auf Schadensersatz
Herrn Kaymer wurde vom OLG Düsseldorf zudem Schadensersatz zuerkannt. Ein derartiger Anspruch kann sich im Kontext von Verletzungen am Recht des eigenen Bildes aus verschiedenen Anspruchsgrundlagen ergeben.
Zum einen ist ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 i.V.m. § 22, 23 KUG denkbar. Ein derartiger Anspruch bestand im vorliegenden Fall, da das Gericht einen Verstoß gegen §§ 22, 23 KUG annahm. Verschulden i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB war ebenso gegeben, da der Künstler die Bilder anfertigte und vertrieb, ohne zuvor bei Herrn Kaymer nachzufragen.
Im Hinblick auf die Schadenshöhe ist bei einer Verletzung des Rechts am eigenen Bild Folgendes zu beachten: Es besteht nämlich ein Wahlrecht zwischen der Herausgabe des durch die Verletzung erzielten Gewinns, der Geltendmachung des konkreten Schadens einschließlich des entgangenen Gewinns und der Beanspruchung eines Schadensersatzes in Höhe einer angemessenen Lizenzgebühr. Die hier letztgenannte Option ist insbesondere im Hinblick auf Sachverhalte, die die Veröffentlichungen von Bildern von Prominenten betreffen, die übliche.
Die vorgenannte fiktive Lizenzgebühr kann im Übrigen auch im Rahmen eines Anspruchs nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB eingefordert werden. Vorteilhaft ist an dieser Anspruchsgrundlage, dass kein Verschuldenserfordernis besteht. Nachteilig ist, dass sich der Beklagte hier nach § 818 Abs. 3 BGB ggf. auf Entreicherung berufen kann.
Für alle Referendare sei an dieser Stelle noch gesagt, dass die Höhe der fiktiven Lizenzgebühr nicht durch Beweise dargelegt werden muss. Das Gericht kann im im Zivilprozess in derartigen Fällen nach § 287 ZPO selbst eine Schätzung vornehmen.
Schmerzensgeld
Sofern die Bildveröffentlichung zugleich noch eine ganz erhebliche Persönlichkeitsrechtsverletzung darstellt, kann außerdem noch Schmerzensgeld gem. § 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 22 und 23 Abs. 2 KUG i.V.m. Art. 1 und 2 Abs. 1 GG (nach anderer Auffassung direkt aus Art. 1 Abs. 1 GG) erwogen werden. Ein derartiger Anspruch ist allerdings nur bei ganz besonders schweren Eingriffen denkbar. Beim Recht am eigenen Bild könnte eine derartige Schwere etwa beim Veröffentlichen von Fotos beim Geschlechtsverkehr oder durch grob ehrverletzende Bilder angenommen werden. Für den vorliegenden Fall, bei dem Kaymer nicht in entwürdigender oder lächerlich machender Pose dargestellt wurde, kam dieser Anspruch also nicht in Betracht.

31.07.2013/1 Kommentar/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2013-07-31 09:00:002013-07-31 09:00:00OLG Düsseldorf: Recht am eigenen Bild bei Verfremdung
Dr. Maximilian Schmidt

BGH: Unterlassungsanspruch bei persönlichkeitsrechtsverletzenden Suchergänzungsvorschlägen bei „Google“

Deliktsrecht, IPR, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?, Startseite, Zivilrecht, Zivilrecht

A. Sachverhalt
In einem am 14.05.2013 entschiedenen Fall (VI ZR 269/12) stellte sich dem BGH die Frage, ob Google eine Pflicht zur Prüfung und Löschung von Suchvorschlägen (sog. Autocomplete-Funktion) in seiner Suchmaschine trifft (s. einen Bericht im Tagesspiegel). Bei Eingabe des Namens des Klägers in die Suchmaske erschienen u.a. die Suchvorschläge „Scientology“ und „Betrug“. Dabei stand der Kläger (ein Unternehmen und sein Vorstand) nachweislich nicht in einem Näheverhältnis zu Scientology noch war ein Ermittlungsverfahren wegen Betruges eingeleitet worden. Daher sah sich der Kläger in seinem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt und machte einen Unterlassungsanspruch sowie einen Schadensersatzanspruch gegen Google geltend.
B. Entscheidung
I. Unterlassungsanspruch
Ein Unterlassungsanspruch könnte sich vorliegend aus §§ 1004 Abs. 1 S. 2 analog, 823 Abs. 1 BGB iVm. Art. 2 Abs. 1, 1 I GG (Allgemeines Persönlichkeitsrecht) ergeben.
1. Anwendbarkeit deutschen Rechts
Dafür müsste zunächst deutsches Recht überhaupt Anwendung finden. Dies ergibt sich hier daraus, dass der Erfolgsort einer unerlaubten Handlung im Internet grundsätzlich überall dort ist, wo die Internetseite abrufbar ist, Art. 40 EGBGB. Somit findet nach Wahl des Klägers gem. Art. 40 Abs. 1 S. 2 EGBGB deutsches Recht Anwendung.
Anm.: Hier findet die Rom II-VO wegen Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom II-VO ausnahmsweise keine Anwendung, so dass nach Art. 40 EGBGB anzuknüpfen ist (vgl. auch MüKoBGB/Junker, 5. Aufl. 2010, Art. 40 EGBGB Rn. 20).
2. Voraussetzungen § 1004 Abs. 1 S. 2 analog
Zunächst müsste ein Eingriff in ein geschütztes Rechtsgut vorliegen. § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB schützt in analoger Anwendung neben dem genannten absoluten Rechtsgut Eigentum auch alle von § 823 I BGB umfassten absoluten Rechtsgüter, sog. quasi-negatorischer Unterlassungsanspruch (vgl. MüKoBGB/Baldus, 6. Aufl. 2013, § 1004 Rn. 32f.). Als verletztes absolutes Rechtsgut kommt hier allein das Allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers in Betracht, Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG.
Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt die Achtung und Entfaltung der Persönlichkeit (grundlegend das sog. Lebach-Urteil des BVerfG v. 5.6.1973 -1 BvR 536/72, BVerfGE 35, 202). Es handelt sich hierbei um ein Rahmenrecht, dessen Grenzen im Einzelfall  nach Abwägung der widerstreitenden Interessen festzulegen sind (MüKoBGB/Wagner, 5. Aufl. 2009, § 823 Rn. 179).
Gegen eine Beeinträchtigung ließe sich (so die Instanzgerichte, vgl. LG Köln v. 19.10.2011 -28 O 116/11 u OLG Köln 10.05.2012 – 15 U 199/11) anführen, dass Google durch die Suchvorschläge überhaupt keine inhaltliche Aussage über den Kläger trifft. Die Suchvorschläge beruhen auf der Berechnung eines Algorithmus auf der Grundlage der Suchaufträge anderer Nutzer, so dass Google im Einzelfall auf die Suchvorschläge gar keinen Einfluss hat. Hieraus ließe sich ableiten, dass Google mangels genauer Kenntnis auch gar keine inhaltliche Aussage über den Kläger treffen kann und auch keine Aussage Dritter weiter gibt.. Dies ist dem maßgeblichen Durchschnittsinternetnutzer auch bewusst, sodass schon gar keine negative Aussage über den Kläger getroffen wird, sondern eine bloße inhaltsleere Wiedergabe einer mathematischen Berechnung. Außerdem könnte man anführen, dass die automatische Vervollständigung mehrdeutig ist (Ist der Kläger Mitglied oder Gegner von Scientology? Hat er einen Betrug begangen oder kämpft er gegen Betrug?), was bei Durchführung der Suche durch den Nutzer aufgeklärt würde (anders wohl nach der Stolpe-Rechtsprechung (BVerfG v. 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98): es genügt wenn eine mögliche Aussage persönlichkeitsrechtsverletzend ist, da dann zukünftig anders formuliert werden kann). Daher läge schon keine Beeinträchtigung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts vor.
Der BGH hingegen sah eine Beeinträchtigung als gegeben an (vgl. Pressemitteilung 87/2013 v. 14.05. 2013).
Für eine Beeinträchtigung spricht, dass durch die Autocomplete-Funktion von Google dem maßgeblichen Durchschnittsnutzer suggeriert wird, dass die Vorschläge einen gewissen Wahrheitskern beinhalten. Die Autocomplete-Funktion soll dem User ein möglich schnelles und effektives Surfen garantieren. Das bedeutet zugleich, dass die Suchvorschläge zumindest den Anschein erwecken sinnvoll zu sein. Die maßgebliche Aussage wäre also, dass es sinnvoll ist den Kläger zusammen mit dem Begriff „Scientology“ oder „Betrug“ zu suchen. Diese Aussage würde den Kläger dann in seinem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht beeinträchtigen.
An dieser Stelle müsste der Streit entschieden werden. Hier kommt es entscheidend darauf an, welche Aussage man den Suchvorschlägen beimisst:
Nimmt man an, dass der Suchvorschlag lediglich die Aussage beinhaltet, dass die jeweiligen Begriffe häufig zusammen gesucht worden sind, liegt mangels Unwahrheit keine Beeinträchtigung vor bzw. müsste diese geduldet werden.
Unterstellt man hingegen die Aussage, dass eine inhaltliche Verbindung zwischen Suchwort und Vorschlag besteht, liegt eine Beeinträchtigung wegen Unwahrheit der Aussage vor.
Der BGH führt aus:

„Die Suchwortergänzungsvorschläge „Scientology“ und „Betrug“ bei Eingabe des Vor- und Zunamens des Klägers zu 2 in die Internet-Suchmaschine der Beklagten beinhalten eine Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts der Kläger, da ihnen ein fassbarer Aussagegehalt innewohnt, zwischen dem Kläger zu 2 und den negativ belegten Begriffen „Scientology“ und/oder „Betrug“ besteht ein sachlicher Zusammenhang.“

Entscheidend zur Bestimmung des Inhaltes der Aussage muss sein wie der Durchschnittsnutzer den Suchvorschlag versteht. M.E. stellt ein Durchschnittsnutzer bei Suchvorschlägen instinktiv eine Verbindung zwischen Suchwort und Vorschlag her. Eine inhaltliche Verbindung besteht zumindest bis eine weitere Suche das Gegenteil belegt. Es kann aber nicht angenommen werden, dass jeder User eine solche vornimmt. Dann bleibt die unwahre Aussage über die Verbindung zu „Scientology“ und „Betrug“ aber bestehen und beeinträchtigt den Kläger in seinem APR.
Daher liegt m.E. eine Beeinträchtigung des APR des Klägers durch die Suchvorschläge Googles vor (Gegenteil aber sicher gut vertretbar).
Aufgrund der Unwahrheit der Aussage besteht keine Duldungspflicht nach § 1004 Abs. 2.  (Anm.: In Fällen der Unklarheit müsste hier eine umfassende Güter-und Interessenabwägung stattfinden, zB Art. 12 GG vs. APR).
Google hat den Nutzer die Vorschläge unterbreitet, ist also Handlungsstörer.

„Diese Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts der Kläger ist der Beklagten auch unmittelbar zuzurechnen. Sie hat mit dem von ihr geschaffenen Computerprogramm das Nutzerverhalten ausgewertet und den Benutzern der Suchmaschine die entsprechenden Vorschläge unterbreitet.“

Als Rechtsfolge muss Google daher die persönlichkeitsrechtsverletzenden Suchvorschläge „Scientology“ und „Betrug“ löschen.
Der Kläger hat somit einen Anspruch gegen Google auf Löschung der Suchvorschläge „Scientology“ und „Betrug“ in Zusammenhang mit seinem Namen aus § 1004 Abs 1 S. 2 iVm. § 823 Abs. 1 BGB, Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG.
II. Schadensersatzanspruch wegen Persönlichkeitsverletzung
Hinsichtlich eines Schadensersatzanspruches stellte sich die praktisch spannende und interessante Frage, ob Google nun alle Suchvorschläge auf etwaige persönlichkeitsrechtsverletzende Inhalte durchsuchen muss und bei Verstößen haftet.
Als Anspruchsgrundlage kommt allein § 823 Abs.1 iVm. Art. 2 Abs. 1, 1 Abs.1 GG (APR) in Betracht. Eine Verletzung des APR liegt nach hier vertretener Meinung vor (s.o.).
Fraglich ist, ob auf aktives Tun oder Unterlassen abzustellen ist. Dies ist nach dem Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit zu beurteilen. Sicherlich kann Google nicht die Verwendung einer automatisierten Autocomplete-Funktion vorgeworfen werden. Vielmehr kommt ein schuldhaftes Unterlassen der Überprüfung bei Hinweisen auf verletzende Inhalte in Betracht.
Ein Unterlassen ist aber nur dann haftungsauslösend, wenn gegen eine Rechtspflicht zum Handeln verstoßen worden ist. Diese könnte sich aus einer Verkehrspflicht ergeben. Wenn Google die Möglichkeit bereit stellt über eine automatisierte Suchhilfe Inhalte schneller zu finden, muss diese so ausgestaltet sein, dass Dritte nicht in ihren Rechten verletzt werden. Eine Rechtspflicht zum Handeln besteht daher.
Allerdings muss ein Pflichtiger nur solche Maßnahmen ergreifen, die zumutbar und sinnvoll erscheinen. Insofern muss hier der Inhalt der Rechtspflicht Googles bestimmt werden.
Der BGH bezog in seiner Pressemitteilung wie folgt Stellung:

„Der Betreiber einer Suchmaschine ist regelmäßig nicht verpflichtet, die durch eine Software generierten Suchergänzungsvorschläge generell vorab auf etwaige Rechtsverletzungen zu überprüfen. Der Betreiber ist grundsätzlich erst verantwortlich, wenn er Kenntnis von der rechtswidrigen Verletzung des Persönlichkeitsrechts erlangt.“

Somit liegt eine Prüfpflicht erst vor, wenn Google Kenntnis von den verletzenden Inhalten hat. Dem ist m.E. zuzustimmen: Die Suchvorschlagsfunktion wäre praktisch nicht mehr rechtmäßig durchzuführen, da diese sich dynamisch an die Suchaufträge anderer Nutzer anpasst. Eine ständige Kontrolle erscheint nicht praktikabel.
Angesichts der in der Regel nur geringen Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts wäre eine solche schlicht unzumutbar (wenn nicht ohnehin schon unmöglich).
Mangels Verstoßes gegen eine Rechtspflicht scheidet ein Schadensersatzanspruch daher aus.
Anm.: Insoweit hat der BGH an die Vorinstanz verwiesen; evtl. hat Google durch die Weigerung schon gegen diese Prüfpflicht verstoßen. Wegen der unklaren Rechtslage wird aber wohl ein Verschulden iSd. § 823 Abs. 1 BGB abzulehnen sein.
Zukünftig kommt ein Schadensersatzanspruch allerdings in Betracht, wenn Google trotz Kenntnis der Inhalte diese nicht unverzüglich löscht. Dies ist nun die praktische Folge des Urteils: Google muss ein System zur Verfügung stellen, in dem Betroffene schnell und effizient auf verletzende Inhalte hinweisen können, damit Google diese unverzüglich löscht.
Fazit
Die Lösung des BGH stellt einen gerechten Interessenausgleich dar, der zum einen Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch den Unterlassungsanspruch beseitigt, zum anderen aber Google die Nutzung der Autocomplete-Funktion ohne die ständige Gefahr von Schadensersatzforderungen Dritter ermöglicht.
Für das Examen bietet sich der Fall aufgrund seiner Praxisnähe und zugleich vorhandenen Verbindung zum juristischen Grundwissen (§ 1004, APR, Verkehrssicherungspflichten) sowohl für schriftliche als auch mündliche Prüfungen an. Zumindest die Argumentation bei § 1004 und der Umfang der Verkehrssicherungspflicht sollte daher in Grundzügen bekannt sein.
 

23.05.2013/5 Kommentare/von Dr. Maximilian Schmidt
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Maximilian Schmidt https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Maximilian Schmidt2013-05-23 10:30:472013-05-23 10:30:47BGH: Unterlassungsanspruch bei persönlichkeitsrechtsverletzenden Suchergänzungsvorschlägen bei „Google“
Redaktion

Die Meinungs- und Medienfreiheit

Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Verfassungsrecht, Verschiedenes


Der Verlag De Gruyter stellt jeden Monat einen Beitrag aus der Ausbildungszeitschrift JURA – Juristische Ausbildung zwecks freier Veröffentlichung auf Juraexamen.info zur Verfügung.
Der heutige Beitrag

“Die Meinungs- und Medienfreiheit” von Prof. Dr. Walter Frenz

beleuchtet die Grundlagen dieser aus Art. 5 Abs. 1 zu entnehmenden Grundrechte. In einer „mediengewohnten“ Informationsgesellschaft gehört das Grundrecht der Meinungsfreiheit nahezu unausweichlich zu den am meisten diskutierten Verfassungsgütern. Vor allem, wenn es um die Kollision der Meinungsfreiheit mit anderen Grundrechten, wie insbesondere dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, geht, wecken die juristischen Auseinandersetzungen regelmäßig ein breites öffentliches Interesse. Aus gegebenem Anlass ist eine Auffrischung der Grundkenntnisse auch im Hinblick auf die im Zusammenhang mit §§ 169, 176 GVG denkbaren Fragestellungen sehr zu empfehlen. Der vorliegende Aufsatz vermittelt anhand wichtiger Judikate des Bundesverfassungsgerichts die wesentlichen Grundlagen zu Art. 5 Abs. 1 GG.
Den Beitrag findet Ihr hier.

10.04.2013/0 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2013-04-10 10:00:192013-04-10 10:00:19Die Meinungs- und Medienfreiheit
Christian Muders

LG Tübingen: Keine Verletzung des Persönlichkeitsrechts durch Wikipedia-Artikel

Deliktsrecht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Startseite, Zivilrecht, ZPO

Anm. zu LG Tübingen, Urteil v. 18.06.2012 – 7 O 525/10
1. Um was geht es?
Geklagt hatte ein außerplanmäßiger Professor an der Universität Tübingen gegen die Wikimedia-Foundation Inc., eine Stiftung nach dem Recht des amerikanischen Bundesstaates Florida, die in San Francisco ansässig ist. Anlass war ein Beitrag auf der deutschen Internetseite der Beklagten, in welchem sowohl über den Kläger selbst als auch über dessen berufliches Wirken berichtet wird. Insbesondere wird dort auf seinen Lebenslauf, seine Mitgliedschaft in katholischen Studentenverbindungen und seine Schriften Bezug genommen. Einer Veröffentlichung dieses Beitrages hatte der Kläger im Vorfeld nicht zugestimmt und forderte mit Schreiben vom 25.10.2010 die Beklagte auf, den Beitrag zu entfernen und eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben. Hierauf reagierte die Beklagte nicht. Da der Kläger der Auffassung war, er werde durch den Eintrag in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt, erhob er vor dem LG Tübingen Klage mit dem Antrag, es zu unterlassen, auf der Internetseite über seine persönlichen Daten zu berichten.
2. Was sagt das Gericht?
Das Gericht hat die Klage als unbegründet abgewiesen.
a) Zulässigkeit
Dabei ist es zunächst auf seine internationale Zuständigkeit eingegangen und hat diese unter Hinweis auf den Gerichtsstand der unerlaubten Handlung bejaht:

Nach § 32 ZPO ist für Klagen aus unerlaubter Handlung das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Handlung begangen ist. Begehungsort ist dabei sowohl der Handlungs- als auch der Erfolgsort, wobei neben Ansprüchen auf Schadensersatz auch Unterlassungsansprüche erfasst werden. Zur Entscheidung über Klagen wegen der Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch im Internet abrufbare Veröffentlichungen sind die deutschen Gerichte nach § 32 ZPO dann international zuständig, wenn die beanstandeten Inhalte objektiv einen deutlichen Bezug zum Inland aufweisen und eine Kollision der widerstreitenden Interessen im Inland tatsächlich schon eingetreten sein kann oder noch eintreten kann. Dies ist dann der Fall, wenn die Kenntnisnahme der Veröffentlichung im Inland im Gegensatz zur bloßen Abrufbarkeit der Veröffentlichung näher liegt und die vom Kläger behauptete Beeinträchtigung seines Persönlichkeitsrechts durch eine Kenntnisnahme auch im Inland eintreten kann. Aufgrund des Wirkens des Klägers im Inland liegt eine Kenntnisnahme des Eintrages im Inland deutlich näher als eine solche im Ausland. Der Kläger hat vorgetragen, dass die Internetseite vor allem in Hinblick auf seine Stellung als außerplanmäßiger Universitätsprofessor und seine anstehenden Bewerbungen im Inland abgerufen wird.

b) Begründetheit
Im Folgenden hat das LG Tübingen allerdings einen materiellen Anspruch auf Unterlassung bzw. Beseitigung des Wikipedia-Artikels abgelehnt und insoweit dem Vortrag des Klägers bereits die Schlüssigkeit abgesprochen.
aa) Hierbei bejaht das Gericht zunächst die Anwendbarkeit des deutschen Rechts und verweist dazu auf die Regelungen des EGBGB:

Auf die geltend gemachte Rechtsverletzung ist deutsches Recht anwendbar. Das anwendbare Recht ergibt sich aus den Art. 40 ff. EGBGB, denn außervertragliche Schuldverhältnisse sind nach Art. 1 Abs. 2 lit. g der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.07.2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (ROM II-VO) vom Anwendungsbereich der ROM II-VO ausgenommen. Art. 40 EGBGB unterfällt dabei auch der Persönlichkeitsschutz einschließlich der sich daraus herleitenden Unterlassungsansprüche. Der Kläger übte jedenfalls sein Bestimmungsrecht aus Art. 40 Abs. 1 S. 2 EGBGB in der Klageschrift aus. Er berief sich in dieser ausdrücklich auf deutsche Normen. Zudem trug er vor, dass er im Inland außerordentlicher Professor ist, sich neu bewerben will und die Internetseite mit dem betreffenden Eintrag in Deutschland abrufbar ist, die Verletzung seines Persönlichkeitsrechts also im Inland eintritt.

bb) Eine mögliche Anspruchsgrundlage für den Kläger erblickt das Gericht sodann in dem sog. „quasinegatorischen“ Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch analog § 1004 i.V.m. § 823 BGB. Von der erstgenannten Norm werden ihrem Wortlaut nach zwar nur Beeinträchtigungen des Eigentumsrechts (abzüglich des Entzugs, für welchen § 985 BGB gilt) erfasst, nach wohl allgemeiner Ansicht sind indes auch sonstige absolute Rechte in entsprechender Anwendung der Vorschrift vor Verletzungen geschützt. Denn es erscheint widersinnig, bei erfolgtem Eingriff zwar einen grundsätzlichen Anspruch des Geschädigten auf Naturalrestitution zu bejahen, ihm aber das Recht zu verwehren, bereits (zuvor) den drohenden Eingriff selbst abwehren zu können. Hierbei nimmt das Gericht zunächst das Vorliegen eines Eingriffs in ein von § 823 Abs. 1 BGB geschütztes absolutes Recht des Klägers an und zwar in Gestalt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, welches durch die Veröffentlichung personenbezogener Daten tangiert werde:

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht, welches ein sonstiges Recht im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB ist, sichert dem Einzelnen einen autonomen Bereich privater Lebensgestaltung, in dem er seine Individualität entwickeln und wahren kann (vgl. Palandt/Sprau, 71. Auflage 2012, § 823, Rn.112). Hieran anknüpfend ist vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung geschützt. Dieses verleiht dem Einzelnen die Befugnis, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden. Hierunter fällt auch das Recht des Klägers grundsätzlich selbst darüber zu bestimmen, ob und welche Informationen über seine Person auf der streitigen Internetseite der Beklagten veröffentlicht werden. (…) Infolge des Bereithaltens der beanstandeten Inhalte zum Abruf im Internet liegt auch ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers durch die Beklagte vor. Der Kläger hat hierzu vorgetragen, dass er über den Eintrag auf der Seite http://de.wikipedia.org und darüber, ob dessen persönliche Daten wie Beruf, Lebenslauf und Mitgliedschaft in katholischen Studentenverbindungen, veröffentlicht werden, nicht selbst entschieden hat. Vielmehr stellte die Beklagte den Eintrag ohne sein Mitwirken ein und dieser ist grundsätzlich jedem interessierten Internetnutzer zugänglich.

cc) Im Folgenden verneint die Kammer allerdings eine Rechtswidrigkeit dieses Eingriffs. Bei dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht handelt es sich – was etwa auch für das Recht des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs gilt – um ein sog. Rahmenrecht, welches erst durch die Rechtsanwendung im Einzelfall konturiert werden kann. Wichtigste Konsequenz hieraus ist, dass bei einem tatbestandsmäßigen Verhalten, also einem bejahten Eingriff in das geschützte Rechtsgut, die Rechtswidrigkeit nicht indiziert wird, so dass bei einem Fehlen besonderer Rechtfertigungsgründe stets von einem grundsätzlich schadensersatzpflichtigen Unrecht auszugehen wäre. Vielmehr ist die Rechtswidrigkeit bei solchen Rahmenrechten immer positiv zu begründen, indem eine Abwägung zwischen den widerstreitenden Interessen der Parteien erfolgt. Hier ist auf Seiten des Beeinträchtigenden insbesondere die Intensität des festgestellten Eingriffs zu berücksichtigen, auf Seiten des Eingreifenden ist zu fragen, ob dieser rechtlich besonders geschützte Interessen geltend machen kann. Bei Eingriffen in das allgemeine Persönlichkeitsrecht kommen insoweit v.a. die grundgesetzlich verbürgte Meinungs-, Kunst- und Pressefreiheit in Betracht.
(1) Das LG Tübingen prüft im Folgenden daher zunächst die Folgen der Veröffentlichung für den Kläger, denen es aber einen nur geringen Beeinträchtigungsgrad zuspricht:

Weder entfaltet der abrufbereite Eintrag über den Kläger eine erhebliche Breitenwirkung, noch ist er Anknüpfungspunkt, um den Kläger sozial auszugrenzen oder zu isolieren. Dies gilt sowohl bezüglich seiner persönlichen Daten wie Beruf oder Lebenslauf als auch hinsichtlich der Mitgliedschaft in katholischen Studentenverbindungen. Der Inhalt des Eintrages besteht zwar aus persönlichen Inhalten, es werden jedoch lediglich bestimmte zutreffende Stationen oder Vorgänge im Leben des Klägers beschrieben. Die Inhalte sind ferner zwar abrufbereit im Internet verfügbar, allerdings werden diese nur dann zur Kenntnis genommen, wenn sich ein Nutzer aktiv informieren möchte. Anders als beispielsweise bei einer Zeitungsveröffentlichung ist hier nicht von einer breiten Ausstrahlungswirkung des Beitrages auszugehen, mit welchem potentiell die gesamte Bevölkerung informiert werden soll, sondern hier beschränkt sich die Kenntnisnahme auf Personen, welche den Kläger kennen und sich über ihn informieren möchten. Zudem bestehen keine Anhaltspunkte, dass der Kläger durch den Beitrag sozial ausgegrenzt oder isoliert zu werden droht.

(2) Auf der anderen Seite sieht das LG die Veröffentlichung der Wikimedia Foundation auf der deutschsprachigen Internetseite sowohl vom Schutzbereich der grundgesetzlichen Informations- als auch der Pressefreiheit erfasst:

Auf Seiten der Beklagten ist ferner zu berücksichtigen, dass es sich bei Wikipedia um eine weltweite freie Online-Enzyklopädie handelt (…). Insofern besteht ein erhebliches öffentliches Interesse nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG, 10 Abs. 1 S. 1 EMRK an den von der Beklagten bereitgehaltenen Einträgen, um sich umfassend informieren zu können. (…) Weiterhin kann die Beklagte die Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 GG für sich in Anspruch nehmen. Diese schützt grundsätzlich die Verbreitung von Informationen, wobei unter anderem auch das Recht eingeräumt wird, wahre Tatsachen zu publizieren. Mit dieser Gewährleistung korrespondiert insbesondere das Interesse der Öffentlichkeit an einer ausreichenden Versorgung mit Informationen. Zudem kommt diesen beiden Rechten schon aufgrund ihres Charakters als demokratische Grundrechte ein hoher Stellenwert zu, sodass gewichtige Gründe erforderlich sind, welche ein Überwiegen eines kollidierenden Rechtsgutes rechtfertigen.

(3) Schlussendlich betont das Gericht nochmals die geringe Intensität des Eingriffs beim Kläger:

Jedenfalls aber muss beachtet werden, dass es sich bei den Einträgen jeweils um wahre Tatsachen handelt und der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers nur als sehr gering zu qualifizieren ist. Er ist lediglich der Sozialsphäre zuzuordnen, denn hier ist nur der Bereich des menschlichen Lebens betroffen, in dem sich der Betroffenen als Teil einer sozialen Gesellschaft zeigt und wahrgenommen wird. Äußerungen, welche diese Sphäre betreffen, sind jedoch grundsätzlich hinzunehmen, denn das Persönlichkeitsrecht verleiht seinem Träger keinen Anspruch darauf, nur so in der Öffentlichkeit dargestellt zu werden, wie es ihm genehm ist. Zu den hinzunehmenden Folgen gehören auch solche Beeinträchtigungen des Einzelnen, die sich aus nachteiligen Reaktionen Dritter auf die Offenlegung der wahren Tatsachen ergeben (BVerfG, NJW 2011, 47; BVerfG NJW 1998, 2889).

dd) Im Anschluss an diese Prüfung setzt sich das Gericht noch ausführlich mit der Frage auseinander, ob die Beklagte hypothetisch überhaupt als „Störer“ im Hinblick darauf in Betracht kommt, dass nicht sie selbst, sondern die Nutzer der Plattform die Artikel im Internet einstellen und verändern. Angesprochen ist damit die Frage der Passivlegitimation, auch wenn diese bei Verneinung eines rechtswidrigen Eingriffs eigentlich dahinstehen kann. Die Kammer geht dabei ausführlich auf die spezielle Norm des § 10 TMG ein, wonach eine Verantwortlichkeit von Dienstanbietern i.S.d. § 2 TMG solange nicht besteht, wie sie keine Kenntnis von einer Rechtsverletzung haben bzw. – nur bei SE-Ansprüchen – ihnen keine Tatsachen oder Umstände bekannt sind, aus denen die rechtswidrige Handlung offensichtlich wird. Jedenfalls mit der erfolglosen Aufforderung des Klägers an die Wikimedia Foundation vom 25.10.2010, den Beitrag zu entfernen, dürfte allerdings die geforderte Kenntnis bei der Beklagten vorliegen.
3. Warum ist die Entscheidung interessant?
a) Die Entscheidung betrifft allgemeine Fragen des quasinegatorischen Unterlassungsanspruchs und ist insofern für Klausur oder mündliche Prüfung durchaus geeignet. Der Reiz liegt dabei nicht zuletzt auch in der Gelegenheit, übergreifende rechtliche Zusammenhänge, namentlich den Einfluss der Grundrechte als „objektive Werteordnung“, bei der Beurteilung zivilrechtlicher Fragen abprüfen zu können. Hinzu kommt die Beschäftigung mit speziellen Fragen des Internetrechts, namentlich die Anwendung der Norm des § 10 TMG.
b) Im Hinblick auf den Inhalt der Entscheidung ist zunächst auf einen Widerspruch des LG Tübingen zwischen Zulässigkeits- und Begründetheitsprüfung hinzuweisen: Nimmt das Gericht nämlich an, dass es bereits an einem schlüssigen Vortrag des Anspruchs fehlt, ist streng genommen auch die Zuständigkeit des Spruchkörpers nach § 32 ZPO zu verneinen: Denn nach dieser Vorschrift ist ein Gericht nur dann zuständig, wenn an dessen Ort eine „unerlaubte Handlung“ begangen wurde. Das tatsächliche Vorliegen einer solchen Handlung ist damit streng genommen bereits für die Frage der Zuständigkeit entscheidend, nicht nur für die Frage der Begründetheit des Anspruchs, so dass es sich sozusagen um ein „doppelfunktionales Merkmal“ handelt. Bei solchen Merkmalen wird im Rahmen der Zulässigkeit gemeinhin aber wenigstens gefordert, dass der Kläger die Tatsachen, welche das Vorliegen einer unerlaubten Handlung begründen sollen, schlüssig darlegt, während erst die Frage des tatsächlichen Vorliegens (bei Bestreiten des Gegners) ein Problem der Sachentscheidung, also der Begründetheit ist (vgl. Musielak-Heinrich, ZPO, 9. Aufl. 2012, § 32 Rn. 19; MüKo/ZPO-Patzina, 4. Aufl. 2013, § 32 Rn. 39, jew. m.w.N.). Da das Gericht vorliegend bereits eine schlüssige Darlegung der anspruchsbegründenden Tatsachen verneint, wäre insofern tatsächlich durch Prozessurteil zu entscheiden gewesen, d.h. die Kammer hätte die Klage mangels eigener Zuständigkeit (schon) als unzulässig abweisen müssen.
c) Daneben erscheint auch die Ansicht des Gerichts zweifelhaft, wonach im Rahmen der Abwägung des Eingriffs u.a. das Grundrecht der Pressefreiheit zugunsten der Beklagten zu berücksichtigen sein soll. Denn die Wikimedia Foundation ist als Stiftung eine juristische Person, die aber nur nach Maßgabe des Art. 19 Abs. 3 GG Grundrechtsträger sein kann. Die vorgenannte Norm begrenzt die Grundrechtsfähigkeit indes ausdrücklich auf inländische juristische Personen, d.h. solche, die ihren tatsächlichen Sitz im Inland haben, was im Hinblick auf das Diskriminerungsverbot nach Art. 18 AEUV allenfalls bezüglich Vereinigungen im EU-Ausland durchbrochen wird, zu denen eine Körperschaft mit Sitz in Amerika aber jedenfalls nicht zählt. Demgemäß bleibt von der Grundrechtsargumentation des LG Tübingen eigentlich nur die von diesem ebenfalls in Bezug genommene Informationsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG übrig, welche das Gericht nicht auf die Beklagte selbst, sondern (allgemein) Dritte bezieht, die sich über deren Plattform informieren wollen. Ebenfalls in Erwägung zu ziehen ist zudem ein Schutz nach Art. 10 EMRK, der die Meinungsfreiheit grundsätzlich auf alle Personen, auch juristische Vereinigungen, erstreckt, die von der Hoheitsgewalt eines Vertragsstaates betroffen werden (vgl. dazu Meyer-Ladewig, EMRK, 3. Aufl. 2011, Art. 1 Rn. 16) – auf die Frage, ob es sich hierbei um eine in- oder ausländische juristische Person handelt, kommt es also grundsätzlich nicht an.
d) Zu denken ist schließlich daran, den Schutz der Pressefreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG nicht auf die Beklagte selbst, sondern die beteiligten Nutzer zu projizieren  welche die Artikel bei Wikipedia hochladen und gestalten: Ist nämlich bereits deren Verhalten unter dem Grundrecht der Pressefreiheit zulässig, kann die Beklagte kaum eine „mittelbare“ Verhinderungspflicht dergestalt treffen, demselben Einhalt zu gebieten. Allerdings wird auch die Eigenschaft des einzelnen „Wikipedianers“ als presseberechtigter Grundrechtsträger mit dem Argument in Frage gestellt, dass bei Wikipedia keine einzelnen Autoren für einen Beitrag verantwortlich seien, sondern die Artikel Produkt eines „Schwarms“ seien, der weder durch die Vor- noch Nachkontrolle einer zentralen Redaktion begleitet werde (so Ziegelmayer, LTO v. 13.12.2012). Diese Annahme ist indes nicht unangreifbar, denn die Organisation von Wikipedia ist durchaus in grobe personelle Hierarchien – namentlich durch sog. Administratoren – gegliedert, welche über die Vorgänge auf der Plattform wachen, und der Begriff des „Schwarms“ ist selbstverständlich nur ein Bild für den Schaffensprozess, das aber nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass durchweg grundrechtsberechtigte Personen aus Fleisch und Blut die einzelnen Artikel gestalten und verändern. Nimmt man dennoch an, dass aufgrund der vorgebrachten Argumente das Grundrecht der Pressefreiheit insgesamt zu versagen ist, bleibt jedenfalls die allgemeine Meinungsfreiheit zugunsten der einzelnen Nutzer übrig, deren Schutzbereich unabhängig von organisatorischen Vorkehrungen im vorgenannten Sinne besteht (so auch Ziegelmayer, a.a.O.).

22.12.2012/0 Kommentare/von Christian Muders
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Christian Muders https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Christian Muders2012-12-22 12:00:082012-12-22 12:00:08LG Tübingen: Keine Verletzung des Persönlichkeitsrechts durch Wikipedia-Artikel
Dr. Marius Schäfer

VG Aachen: Teilnahme an Auswahlverfahren für Polizeidienst auch mit Unterarm-Tätowierungen

Öffentliches Recht, Rechtsprechung, Verfassungsrecht

Sachverhalt (verkürzt)
Das VG Aachen hat mit noch nicht veröffentlichtem Urteil (1 K 1518/12) vom 29.11.2012 entschieden, dass ein Bewerber, welcher sich für den Vorbereitungsdienst im Rahmen der Einstellung für den gehobenen Polizeivollzugsdienst beworben hat, nicht schon deshalb als für den Polizeidienst ungeeignet abgelehnt bzw. nicht schon von vornherein vom Auswahlverfahren ausgeschlossen werden darf, weil dieser an beiden Armen große Tätowierungen von der Schulter bis zu den Unterarmen aufweist. Die Teilnahme am Auswahlverfahren ist für jeden Bewerber Voraussetzung für dessen Einstellung in den gehobenen Polizeivollzugsdienst und das am 01.09.2012 beginnende Studium an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung. In diesem Sinne folgt das Urteil einer Entscheidung (1 L 277/12) gleichen Rubrums vom 31.07.2012, welche durch das VG Aachen bereits im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 123 I 2 VwGO erfolgt ist.
Rechtliche Würdigung
Entscheidungen der Verwaltungsgerichte zur Geeignetheit eines Beamten aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes häufen sich in den letzten Jahren, sodass damit fast zwangsläufig auch eine gewisse Klausurrelevanz verbunden ist. Es gilt hier stets die Grundrechte des Beamten – oder in diesem Falle des Bewerbers – in Einklang mit den im öffentlichen Dienst vorherrschenden Strukturprinzipien zu bringen.
In diesem Fall könnten der Einstellung eines auffällig tätowierten Bewerbers für den Polizeivollzugsdienst die in Art. 33 GG verankerten Strukturprinzipien des öffentlichen Dienstrechts entgegenstehen. Betroffen ist, mit der Berücksichtigung für das Auswahlverfahren und der vom Kläger beabsichtigten Einstellung in den Polizeivollzugsdienst, insbesondere der Zugang zu einem öffentlichen Amt. Zwar enthält das in Art. 33 II GG begründete Leistungsprinzip für jeden Bewerber in diesem Zusammenhang das Recht, bei seiner Bewerbung um ein öffentliches Amt allein nach den hier genannten Voraussetzungen – d.h. Eignung, Befähigung und fachliche Leistung – beurteilt und unter gleichen Zugangsmöglichkeiten eingestellt zu werden,[1] doch bleibt insofern fraglich, inwieweit das äußere Erscheinungsbild des Klägers diesem eine Eignung für das öffentlich-rechtliche Dienstverhältnis versagen könnte. Vom Begriff der Eignung umfasst sind die Persönlichkeit sowie auch solche charakterlichen Eigenschaften, die für ein bestimmtes Amt von Bedeutung sind.[2] Zu beachten ist dabei, dass die Auswahlkriterien des Art. 33 II GG in gleicher Weise auch für ein vorgeschaltetes Auswahlverfahren gelten, mit dem der Dienstherr das Vorliegen der Eignungsvoraussetzungen möglichst zuverlässig in Erfahrung bringen möchte.[3]
So führte das Landesamtes für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei Nordrhein-Westfalen (LAFP) aus, dass eine deutlich sichtbare Tätowierung nicht mit der Neutralität eines Polizeibeamten in Einklang zu bringen sei. Ausgehend von einem Erlass des Innenministeriums aus dem Jahre 1995, welche durch einen weiteren Erlass im August des Jahres 2012 bestätigt wurde, stellten derartige Tätowierungen, die beim Tragen von Hemden mit kurzen Ärmeln zu sehen seien, mithin einen Eignungsmangel dar. Von daher berief sich die Einstellungsbehörde darauf, dass der Kläger anhand seines äußeren Erscheinungsbildes nicht dem in Art. 33 II GG enthaltenen Leistungsprinzip gerecht werde und sich somit auch nicht für einen Zugang zum Polizeivollzugsdienst qualifizieren könne.
Gegenüber einem so begründeten, generellen Ausschluss vom Auswahlverfahren zur Einstellung in den Vorbereitungsdienst des Polizeivollzuges, können die Grundrechte des Bewerbers allerdings nicht unbeachtet bleiben. Zum einen könnte sich der Kläger auf sein Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 I GG berufen, denn dessen erkennbare Tätowierungen sind gerade ein nach außen kundgegebener Ausdruck seiner Persönlichkeit. Andererseits könnte der Bewerber auch geltend machen, dass eine verfassungsrechtlich unzulässige Vorenthaltung des in Art. 12 I GG verbürgten Grundrechts auf freie Wahl des Berufes bzw. des in Art. 33 II GG grundrechtsgleich gewährleisteten Rechts auf Zugang zu einem öffentlichem Amt verletzt wurde, indem die Einstellungsbehörde die Eignung des Bewerbers fehlerhaft beurteilt hat und diesem so die Teilnahme am erforderlichen Auswahlverfahren versagt hat. Diese verfassungsrechtliche Gewährleistung ist überdies auch einfachgesetzlich in den §§ 8, 9 BeamtStG i.V.m. § 15 III 1 LBG NRW enthalten.
Unter dem Aspekt, dass eine Einschränkung von Grundrechten möglich ist, um die Funktionsfähigkeit des Polizeivollzugsdienstes zu erhalten, ist sodann eine Verhältnismäßigkeitsprüfung anzustellen, um die Grundrechte des Bewerbers in Einklang mit den Strukturprinzipien des Beamtentums zu bringen. Insoweit könnte der Einstellungsbehörde bei der Beurteilung hinsichtlich der Eignung eines an beiden Armen tätowierten Bewerbers, eine ermessensfehlerhafte Entscheidung im Rahmen des Auswahlermessens zur Last zu legen sein.
Die Versagung der Teilnahme am Auswahlverfahren müsste einen legitimen Zweck verfolgen und an sich auch geeignet sein, diesen legitimen Zweck zu erreichen. Sinngemäß stellt die Einstellungsbehörde hier darauf ab, dass vor allem Polizeibeamten eine Geltung in der Öffentlichkeit zukomme, dessen Auftreten es erforderlich mache, eine gewisse Neutralität und Einheitlichkeit des Staates und seiner Beamten zu bewahren und auszudrücken. Der Respekt gegenüber einem Polizeibeamten könnte von daher vermindert sein, wenn dieser deutlich sichtbare Tätowierungen zur Schau stellt und so eine überzogene Individualität nach außen Preis gibt, mit dem die Toleranz anderer übermäßig beansprucht wird. Um jedoch die Funktionstüchtigkeit des Polizeivollzugsdienstes dahingehend zu sichern, dass den Beamten in der Öffentlichkeit das gleiche Maß an erforderlicher Geltung zukommt, erscheint es durchaus als geeignet, tätowierten Bewerbern bereits die Teilnahme am Auswahlverfahren zu versagen. Allerdings dürfen darüber hinaus keine milderen aber gleich geeigneten Mittel zur Verfügung stehen oder eine unzureichende Abwägung mit den Grundrechten des Bewerbers erfolgt sein.
Das VG führte im Ergebnis hierzu aus, dass eine generelle Versagung der Teilnahme, mit ablehnendem Bescheid des LAFP, zu beanstanden sei, soweit die Behörde die Prüfung einer Entscheidungsrelevanz der individuellen Tätowierung nicht vorgenommen hat. Vielmehr müsse aus einer solchen Einzelprüfung hervorgehen, dass es dem Bewerber an einer geeigneten Persönlichkeit oder charakterlichen Eigenschaft mangele. Es gehe aus dem Bescheid insofern nicht klar hervor, inwieweit es diesbezüglich überhaupt an der Eignung des Bewerbers fehle, zumal das Grundrecht des Bewerbers aus Art. 2 I GG nicht hinreichend beachtet wurde, denn eine Versagung – unter Verweis auf einen 15 Jahre alten Erlass – werde dem vollzogenen gesellschaftlichen Wandel hinsichtlich der Akzeptanz von Tätowierungen in der Öffentlichkeit nicht mehr in anzustellendem Maße gerecht. Schließlich komme auch ein milderes Mittel in Betracht, welches vorrangig zu berücksichtigen wäre, um dem Ausdruck des Persönlichkeitsrechts des Beamten sowie der Funktionsfähigkeit des Polizeivollzugsdienstes gerecht zu werden: Der Dienstherr kann den Beamten auch im Sommer anweisen, ein Hemd mit langen Ärmeln zu tragen, um so die Tätowierungen ggf. zu verdecken. Damit ist es nicht erforderlich, dem Bewerber im vorgeschalteten Auswahlverfahren eine Teilnahme hieran zu versagen, ohne hinreichende Versagensgründe für dessen Eignung darzulegen, welche sich nicht von vornherein aus dessen auffälliger Tätowierung ergeben. Generell könne eine solche Tätowierung nicht als Eignungsmangel herangezogen werden, sodass sich das Auswahlermessen des LAFP jedenfalls dahingehend reduziere, den Kläger zumindest zum Auswahlverfahren zuzulassen.
Bewertung
Eine Entscheidung des VG Aachen, welche im Ergebnis überzeugt und sich ohne weiteres in einer Klausur wiederfinden könnte. Angesichts der Abwägung der Grundrechte des Bewerbers mit der Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes sollte das Augenmerk in Bezug auf die Verhältnismäßigkeitsprüfung insbesondere auf den gesellschaftlichen Wert der Tätowierung als Ausdruck des Persönlichkeitsrechtes nach Art. 2 I GG sowie die Möglichkeit eines Eignungsmangels im Sinne des Art. 33 II GG gelegt werden.



[1] Jarass/Pieroth, Art.33, Rn. 7.
[2] Sachs, Art. 33, Rn. 28.
[3] OVG NRW, Beschluss vom 6. März 2007 – 6 B 48/07.

19.12.2012/1 Kommentar/von Dr. Marius Schäfer
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Marius Schäfer https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Marius Schäfer2012-12-19 10:00:412012-12-19 10:00:41VG Aachen: Teilnahme an Auswahlverfahren für Polizeidienst auch mit Unterarm-Tätowierungen
Dr. Christoph Werkmeister

Ausstrahlung von „Frauentausch“ wegen APR-Verletzung untersagt

Deliktsrecht, Rechtsprechung
Das LG Berlin hat mit Entscheidung vom 26.07.2012 (Az. 27 O 14/12) der Produktionsfirma der TV-Serie „Frauentausch“ untersagt, eine Folge dieser Serie selbst oder durch Dritte zu veröffentlichen oder zu verbreiten.
Geklagt hatte eine Frau, die mit ihrer Familie an der Produktion mitgewirkt hatte und sich durch die Art der Darstellung in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt sah.
Verbot trotz Einwilligung

Nach Auffassung des Landgerichts hat die Klägerin zwar vor Produktion der Sendung eine Einwilligungserklärung gegenüber der Produktionsfirma abgegeben. Darin sei von einer „TV-Dokumentations-Serie“ die Rede gewesen, die vorrangig einen Dokumentationscharakter haben sollte. Tatsächlich seien die Aufnahmen dann so nachbearbeitet worden, dass die Klägerin gezielt lächerlich gemacht worden sei. Sie sei als überforderte und geistig verwirrte, bei ihren Kindern unbeliebte Mutter der praktisch veranlagten, sympathischen und ordentlichen Tauschmutter gegenüber gestellt worden. Mit derartigen nachträglichen Bearbeitungen zum ausschließlichen Zweck der Verspottung habe sie nicht rechnen müssen.

Schmerzensgeld bei APR-Verletzung nur im Ausnahmefall

Bezüglich der Forderung von Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 15.000 Euro hat das LG Berlin die Klage dagegen abgewiesen. Die Missachtung des Persönlichkeitsrechts sei nicht so schwerwiegend, dass eine finanzielle Entschädigung geboten sei.

 

18.08.2012/0 Kommentare/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2012-08-18 07:30:122012-08-18 07:30:12Ausstrahlung von „Frauentausch“ wegen APR-Verletzung untersagt
Dr. Johannes Traut

Bimmelbingo – BVerwG und zivilrechtliche Weiterungen

Bereicherungsrecht, Deliktsrecht, Öffentliches Recht, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Verwaltungsrecht, Völkerrrecht, Zivilrecht

Gestern hat sich das BVerwG mit einem medienwirksamen und sowohl zivil- also auch öffentlich-rechtlich interessanten Fall beschäftigt. Als Teil der Show „TV Total“ wurden Beiträge mit so genanntem „Bimmelbingo“ ausgestrahlt. Das Gericht beschrieb das (in der Pressemitteilung, die auch den übrigen Ausführungen zu Grunde liegt) „Spiel“ so:

 „Ein Kamerateam [klingelte] unangekündigt nachts an Wohnungstüren, um deren Bewohner zu wecken und sie dadurch zur Mitwirkung an der Sendung zu bewegen, dass ihnen für drastisch ihre Verärgerung ausdrückende „Begrüßungssätze“ ein Geldgewinn in Aussicht gestellt wurde. Hierbei wurden regelmäßig zunächst das Klingelschild mit dem Familiennamen und später die mit Namen angesprochenen Bewohner in Schlafbekleidung gezeigt. In zwei Sendebeiträgen war durch sofortiges Zuschlagen der Haustür, Herunterlassen von Jalousien oder Drohung mit der Polizei deutlich erkennbar, dass kein Einverständnis mit dem Wecken und den Filmaufnahmen bestand.“

Dieser Sachverhalt lässt sich sowohl öffentlich-rechtlich als auch zivilrechtlich werten.
I. Öffentlich-rechtlich: Medienaufsicht
Zunächst wird hier der öffentlich-rechtliche Aspekt, mit dem sich das BVerwG zu befassen hatte, beleuchtet.
1. Beanstandung nach § 58 Medienstaatsvertrag
Die Landesmedienanstalt war der Ansicht, die Ausstrahlung, jedenfalls der Beiträge, in denen klar erkennbar war, dass die Gefilmten mit den Aufnahmen nicht einverstanden waren, sei rechtswidrig gewesen. Sie hätten das „allgemeine Persönlichkeitsrecht der Betroffenen und ihr Recht am eigenen Bild verletzt [..] sowie das Wachklingeln und die Störung der Nachtruhe [seien] geeignet gewesen, die körperliche Unversehrtheit sowie das Wohlbefinden der Betroffenen bis hin zur Zufügung erheblicher Schäden zu beeinträchtigen“.
Jedenfalls der erste Aspekt – die Verletzung des Persönlichkeitsrechts bzw. des Rechts am eigenen Bild als Spezialfall desselben – ist M.E. evident zutreffend. Das Recht am eigenen Bild umfasst insbesondere die Befugnis zu bestimmen, ob man überhaupt abgebildet wird. Begibt man sich nicht selbst in die Öffentlichkeit oder hat sonst keinen Anlass gesetzt, so kann die Ausstrahlung des Bildes ohne Einwilligung des Betroffenden nicht rechtmäßig sein.
Ob freilich die Störung der Nachtruhe die körperliche Unversehrheit verletzt, mag dahinstehen. Ich halte das wiederum bei einer einmaligen Aktion für eher fernliegend. Der BGH nimmt jedenfalls für § 823 Abs. 1 BGB – dazu noch später – eine Bagatellschwelle an (vgl. BGH NJW 1953, 1440; vgl. BVerwGE 46, 1). Man muss insofern zwischen der ärgerlichen Störung und einer gesundheitlichen Beeinträchtigung klar unterscheiden. Die Störung der Nachruhe stellt M.E. eher einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht dar, da so die selbstbestimmte Lebensführung – wann man schläft oder wacht – gestört ist, als dass gesundheitliche Konsequenzen drohen. Im Ergebnis reicht freilich jedenfalls die Verletzung des Rechts am eigenen Bild aus, um das Handeln des TV-Senders rechtswidrig zu machen.
Damit war die Beanstandung nach § 58 Abs. 1 des Medienstaatsvertrages Berlin Brandenburg (MStV) rechtmäßig. Dieser erlaubt die Beanstandung – d.h. die Anordnung den Rechtsverstoß zu beheben und künftig zu unterlassen – von Sendungen, die gegen die Pflichten des Senders aus dem MStV verstoßen. Er verweist damit insbesondere auf § 46 des MStV, der wiederum auf § 41 des Rundfunkstaatsvertrages verweist, in dessen Abs. 1 die Bindung der Sendeanstalten bei der Programmgestaltung an die „verfassungsmäßige Ordnung“ festgeschrieben wird.
Das alles war vor dem BVerwG nicht streitig. Die Betreiberin von ProSieben hatte nicht gegen die Beanstandung als solche geklagt, sondern nur gegen die infolge der Beanstandung ausgesprochene Abschöpfung der damit verbundenen Einnahmen.
2. Rechtsfolge: Abschöpfung des Gewinns
Nach § 58 Abs. 3 MStV können im Fall der Beanstandung einer Sendung die „erzielten Entgelte“ abgeschöpft werden:

 (3) Dem Veranstalter kann aufgegeben werden, die durch Werbung im Zusammenhang mit der beanstandeten Sendung erzielten Entgelte an die Medienanstalt abzuführen. Der Veranstalter hat der Medienanstalt die hierfür erforderlichen Angaben zu machen.

Diese Norm wurde mit dem Argument angegriffen, sie enthalte eine Strafvorschrift, für welche die Länder Berlin und Brandenburg keine Gesetzgebungskompetenz hätten, weil der Bund seine konkurrierende Zuständigkeit erschöpfend genutzt hätte (Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG).

Das BVerwG verwies darauf, dass die Norm keine Strafvorschrift sei. Anders als der Verfall nach dem StGB (§§ 73ff) betreffe sie nicht ausschließlich die Folgen einer Straftat, sondern allgemein die Folgen rechtswidrigen Verhaltens, das sich auch aus anderen Normen ergeben könne. Sie sei daher eine „Maßnahme der Medienaufsicht, durch die nicht strafrechtliches Unrecht sanktioniert, sondern die Einhaltung der rundfunkrechtlichen Bindungen, denen die privaten Rundfunkveranstalter unterliegen, effektiv sichergestellt werden soll.“

Soweit daneben ein Verfall nach strafrechtlichen Grundsätzen in Betracht komme, könne die Anstalt darauf achten, dass keine doppelte Inanspruchnahme drohe. Deshalb sei die Regelung auch verhältnismäßig. Dass sie für öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten nicht gelte, stelle keinen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG dar, da für diese gänzlich andere Regeln und Aufsichtsmechanismen existierten.
II. Zivilrechtlich: Entschädigung und Gewinnabschöpfung ?
Gänzlich unbeleuchtet gelassen hat das BVerwG naturgemäß die – vielleicht noch interessantere – zivilrechtliche Perspektive.
1. Entschädigung nach § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG
Zivilrechtlich erfüllt die Verletzung des Rechts am eigenen Bild den Tatbestand des § 823 Abs. 1 BGB. Diese Norm schützt auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht, darunter das Recht am eigenen Bild als besondere Ausprägung, wobei die Verletzung dieses Rechts jedenfalls fahrlässig erfolgte.
Damit sind Schadensersatzansprüche nach § 823 Abs. 1 BGB dem Grunde nach gegeben. Weil es sich um die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts handelt, kann dafür eine Entschädigung in Geld gefordert werden – wohl nicht gem. § 253 Abs. 2 BGB analog als Schmerzensgeld, sondern „direkt“ auf Grundlage der Art. 1 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG als „Entschädigungsanspruch“ (vgl. BGHZ 128, 1, 15 = NJW 1995, 861 – Caroline von Monaco I; BGH NJW 1996, 984, 985 – Caroline von Monaco II; NJW 1996, 985, 987; NJW 2005, 58, 59; ausführlicher bei Stiebert, Zivilrechtliche Analyse des Gäfgen Urteils (LG Frankfurt v. 4.8.2011 – 2-04 O 521/05)).
Die Entschädigung, die hierfür gefordert werden kann, muss nach der Rspr. des BGH „fühlbar“ sein. Sie muss nicht nur den Gewinn, der aus der Persönlichkeitsverletzung erlangt wurde, schmälern, sondern auch der Höhe nach ein Gegenstück dazu bilden, dass hier das Persönlichkeitsrecht zum Zwecke der Gewinnerzielung verletzt worden ist. Nur so kann eine ausreichende Präventionswirkung erreicht werden. Es geht insofern zwar nicht um Gewinnabschöpfung, wohl ist aber die Höhe des Gewinns als Bemessungsfaktor in die Entschädigungshöhe einzubeziehen (BGH NJW 1996, 984 – Caroline von Monaco I).
2. Gewinnabschöpfung nach § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 2 BGB
Noch interessanter ist aber eine mögliche Eingriffskondiktion nach § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 2 BGB, weil sie eine echte Gewinnabschöpfung zulässt. Die Ausstrahlung von Bildern der unfreiwillig Gefilmten lässt sich durchaus als Eingriff in den Zuweisungsgehalt des Rechts am eigenen Bild begreifen. Wie dessen Name schon sagt, geht dieses dahin zu bestimmen wie das eigene Bild verwendet wird (vgl. MüKo/Schwab, § 812 Rn. 271) und ist auch einfachrechtlich geschützt in §§ 22 ff KUG.
Deshalb gilt grundsätzlich: Wenn Abbildungen einer Person von anderen unbefugt kommerziell verwertet werden, ist der Abgebildete unter dem Gesichtspunkt der Eingriffskondiktion berechtigt, den Wert der unbefugten Nutzung (§ 818 Abs. 2) herauszuverlangen (MüKo/Schwab, § 812 Rn. 273 unter Verweis auf BGHZ 20, 345, 354f.; BGHZ 81, 75, 80 ff; BGHZ 169, 340, 344 und andere). Dabei ist unerheblich, ob er das Recht selbst vermarkten wollte oder nicht.
Damit wäre hier „das Erlangte“ herauszugeben. Die Ausnahme, dass es am Zuweisungsgehalt nach Ansicht mancher fehlen soll, wenn ein Bild (etwa mangels Seltenheit) nicht kommerziell verwertbar ist (so etwa MüKo/Schwab, § 812 Rn. 273), ist vorliegend nicht gegeben. Denn offensichtlich sind die Aufnahmen, weil man damit eine populäre Sendung füllen kann, von Wert. Sie sind auch nicht ohne Weiteres durch Bilder, die man legal machen dürfte, zu ersetzen. Denn es kommt dem Filmenden ja gerade darauf an, dass die Betroffenen nicht gefilmt werden wollen und entsprechend unwirsch reagieren.
Es liegt nahe, dass die Werbeeinahmen des Senders jedenfalls anteilig aus der Nutzung der Rechte der Gefilmten „erlangt“ wurden. Sie bestimmen damit den Wert der aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht gezogenen „Nutzungen“. Danach bemisst sich auch der Wertersatz der Nutzungen nach § 818 Abs. 2 BGB. M.E. können die Betroffenen damit dem Grunde nach einen Anteil der Werbeeinahmen bzw. deren Wertersatz herausverlangen, gem. § 818 Abs. 2 BGB. Schon wegen der Rspr. des BGH zu dem Entschädigungsanspruch nach § 823 Abs. 1 BGB wird man hier zu einem eher höheren Wert kommen müssen, da § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB ja gerade die Gewinnabschöpfung erlaubt und so in den Fällen medialer Vermarktung eher weiter geht als § 823 Abs. 1 BGB. Andererseits ist freilich der Beitrag, den Bilder von verschlafenen Unbekannten an dem Erfolg einer Sendung wie TV Total haben, geringer als Bilder einer Prominenten wie Caroline von Monaco in peinlicher Situation. Im Endeffekt bleibt die Bemessung Tatfrage.
3. Anrechnung der Abschöpfung nach § 58 Abs. 3 MStV?
Eine Anrechnung der möglicherweise bereits gezahlten Entgeltabschöpfung nach § 58 Abs. 3 MStV kommt M.E. jedenfalls im Ergebnis nicht in Betracht. Rechte der Bürger sollen durch diese Norm nicht beeinträchtigt werden. Andererseits soll die Norm auch nicht – wie das BVerwG für die Kollision mit strafrechtlichen Sanktionen andeutet – zu einer Doppelbelastung der Sendeanstalt führen.
Daher wäre wohl ein möglicher privatrechtlicher Anspruch von der Medienaufsicht bei der Bemessung des nach § 58 Abs. 3 MStV geltend gemachten Betrages zu berücksichtigen gewesen. Wird der privatrechtliche Anspruch erst im Nachhinein geltend gemacht, so kommt M.E. nach den allgemeinen Regeln des Verwaltungsrechts ein Widerruf bzw. eine Rücknahme nach §§ 48, 49 VwVfG in Betracht. Da der MStV eine Doppelbelastung wohl nicht möchte, wäre insofern das Ermessen auf Null reduziert.
III. Zusatzfrage: Was sind Staatsverträge und wie wirken sie?
Für die mündliche Prüfung vielleicht noch interessant: Es könnte danach gefragt werden

  • was überhaupt Staatsverträge (Rundfunkstaatsvertrag, MStV) sind und
  • wie es kommt, dass sie unmittelbare Wirkung im nationalen Recht haben. Immerhin handelt es sich ja um Staatsverträge, nicht um Gesetze.

Staatsverträge sind vertragliche Vereinbarungen zwischen Ländern oder Ländern und dem Bund, die sich auf Gegenstände der Gesetzgebung beziehen. Sonstige vertragliche Vereinbarungen zwischen Ländern oder Bund und Ländern, die sich auf den Bereich exekutiven Handelns beziehen, werden als sogenannte Verwaltungsabkommen bezeichnet (vgl. etwa Rudolf, Handbuch des Staatsrechts, 3. Aufl. 2008, § 141 Rn. 57).
Derartige vertragliche Regelungen sind – wenn schon nicht nach Völkerrecht, so doch zumindest in Anlehnung an dieses – zulässig, weil die Länder auch im Bund eigene Staatlichkeit besitzen und daher auch Verträge mit anderen Staaten schließen können. Das ist im Grundgesetz nicht ausdrücklich angesprochen, die Art. 32 und 59 GG betreffen nur die auswärtigen Beziehungen zu anderen Staaten (d.h. zu Staaten außerhalb des Bundes). Historisch war die Befugnis der Länder zum Abschluss von Verträgen jedoch stets anerkannt und an zahlreichen Stellen im Grundgesetz ist vorausgesetzt, dass die Länder Verträge untereinander oder mit dem Bund schließen können, vgl. etwa Art. 29 Abs. 7; Art. 130 Abs. 3 GG. Es ist übrigens auch anerkannt, dass auch Verträge von Ländern mit anderen Staaten zulässig sind, vgl. Art. 32 Abs. 3 GG. Gleichzeitig enthalten zahlreiche Landesverfassungen Regelungen zum Abschluss derartiger Verträge, vgl. Art. 50 S. 1 BadWürttVerf; Art. 72 Ab. 2 BayVerf; Art. 43 Abs. 1 S. 1 BerlinVerf; Art. 103 Abs. 1 S. 1 HessVerf; Art. 47 Abs. 1 MecklenbVorpVerf; Art. 26 Abs. 1 NiedersachsVerf; Art. 101 S. 1 RheinlPfalzVerf; Art. 95 Abs. 1 SaarlVerf; Art. 65 Abs. 1 SachsVerf; Art. 69 Abs. 1 S. 1 SachsAnhVerf; Art. 30 Abs. 1 S. 1 SchlHolVerf; Art. 77 Abs. 1 S. 1 ThürVerf (aus Rudolf, Handbuch des Staatsrechts, 3. Aufl. 2008, § 141 Rn. 61).
Die rechtlichen Regeln, die für diese Verträge gelten, sind grundsätzlich die allgemeinen des Völkerrechts, die innerhalb des Bundesstaates jedoch durch das GG, insbesondere dessen Kompetenzverteilung, überlagert werden (vgl. Maunz/Dürig/Herzog/Scholz-Herzog/Grzeszick, GG, 64. Erg.-Lfg. 2012, Art. 20 Rn. 155 m.w.N.).
Die Wirkung derartiger Staatsverträge richtet sich nach den allgemeinen Regeln. Selbst wenn sie unmittelbar anwendbar, also self-executing sind, binden sie grundsätzlich nur die Vertragsparteien, nicht aber den Bürger. Dessen Bindung wird erst durch das Zustimmungsgesetz herbeigeführt, in dessen Rang dann die vertraglichen Regelungen gelten (Rudolf, Handbuch des Staatsrechts, 3. Aufl. 2008, § 141 Rn. 62). Auch insofern gilt nichts anderes als bei völkerrechtlichen Verträgen des Bundes.

24.05.2012/0 Kommentare/von Dr. Johannes Traut
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Johannes Traut https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Johannes Traut2012-05-24 09:49:512012-05-24 09:49:51Bimmelbingo – BVerwG und zivilrechtliche Weiterungen
Zaid Mansour

Fotografierverbot von SEK-Polizeibeamten rechtswidrig – BVerwG Urteil vom 28.03.2012 – 6 C 12.11

Öffentliches Recht, Öffentliches Recht, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht

Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner heutigen Entscheidung geurteilt, dass ein von der Polizei gegenüber Zeitungsmitarbeitern ausgesprochenes Verbot der Anfertigung von Fotos der an einem Einsatz beteiligten Beamten eines Spezialeinsatzkommandos rechtswidrig war.
A. Sachverhalt (vereinfacht)
Die in zivil gekleideten Beamten des Einsatzkommandos waren damit beauftragt, den mutmaßlichen Sicherheitschef einer russischen Gruppierung, die dem Bereich der organisierten Kriminalität zuzuordnen ist (russische Mafia), aus der Untersuchungshaft bei einer Augenarztpraxis in der Fußgängerzone der Stadt X in NRW vorzuführen.
Der Einsatz wurde von zwei Journalisten, darunter ein Fotoreporter, bemerkt. Als sich der Fotoreporter anschickte Bilder der Einsatzfahrzeuge und der am Einsatz beteiligten Beamten anzufertigen, wurde er von dem Einsatzleiter in formell rechtmäßiger Weise aufgefordert sein Vorhaben zu unterlassen. Der Journalist unterließ es daraufhin, Bilder anzufertigen. Begründet wurde das Verbot damit, dass die beteiligten Einsatzkräfte durch eine Veröffentlichung der Bilder hätten enttarnt werden können, was ihrer Einsetzbarkeit in Zukunft nicht zuträglich gewesen wäre. Zudem hätten sie auch persönlich durch etwaige Racheakte gefährdet werden können.
Der Zeitungsverlag, für den die Journalisten tätig, sind klagte vor dem zuständigen Verwaltungsgericht gegen das Fotografierverbot.
B. Rechtliche Würdigung
I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs
Die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs nach § 40 I VwGO ist zu bejahen, da die streitentscheidende Norm vorliegend dem Polizeirecht, mithin einer Materie des öffentlichen Rechts, zuzuordnen ist.
II. Zulässigkeit
1. Im Rahmen einer Klausurbearbeitung des Falles stellt sich zunächst bei der Zulässigkeitsprüfung die Frage nach der statthaften Klageart. Hierbei könnte angenommen werden, dass eine Anfechtungsklage statthaft sei. Dazu müsste es sich bei dem Fotografierverbot um einen Verwaltungsakt gehandelt haben. Ein solcher lag vorliegend mithin vor, insbesondere war das Verhalten des Einsatzleiters darauf gerichtet eine einzelfallbezogene Rechtsfolge zu setzen. Es sollte dem Bearbeiter allerdings auffallen, dass sich die rechtliche Beschwer dieses Verwaltungsaktes durch Zeitablauf erledigt hat (§ 43 Abs. 2 VwVfG NW) und folglich eine Fortsetzungsfeststellungsklage in analoger Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft ist.
2. Der Zeitungsverlag ist als Drittbetroffener möglicherweise in seinem aus der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) folgenden Recht auf Informationsbeschaffung durch eigenes Personal verletzt und folglich klagebefugt.
3. Ein Vorverfahren i. S. von § 68 VwGO ist jedenfalls in NRW nach § 110 Abs. 1 JustG NW nicht erforderlich. Darüber hinaus hätte es seine Aufgabe (Selbstkontrolle der Verwaltung und Zweckmäßigkeitsprüfung) vorliegend ohnehin nicht mehr erfüllen können.
4. Die Klageerhebung bei vorprozessualer Erledigung des Verwaltungsakts vor Eintritt der Bestandskraft unterliegt keiner Fristbindung.
5. Das erforderliche Fortsetzungsfestellungsinteresse, welches in Fällen vorprozessualer Erledigung mit dem Feststellungsinteresse in § 43 Abs. 1 VwGO identisch ist und alle schützenswerten Interessen rechtlicher, wirtschaftlicher und ideeller Art umfasst, ergibt sich vorliegend aus der Tatsache, dass sich polizeiliche Maßnahmen typischerweise kurzfristig erledigen und die Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG die Möglichkeit der Klageeröffnung gebietet (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.07.1999 – 6 C 7.98; s. auch BVerwG, Urt. v. 06.02.1986 – 5 C 4/84). Des Weiteren ist ein Fortsetzungsfestellungsinteresse auch aufgrund der möglich erscheinenden Verletzung des Zeitungsverlags in seiner Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG vorliegend zu bejahen.
III. Begründetheit
Die Klage ist begründet, wenn und soweit die polizeiliche Maßnahme rechtswidrig war und der Kläger (der Zeitungsverlag) dadurch in seinen Rechten verletzt ist (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog). Die polizeiliche Maßnahme war rechtmäßig, wenn sie auf einer Ermächtigungsgrundlage basierte von der in formell und materiell rechtmäßiger Weise Gebrauch gemacht wurde.
1. Als Ermächtigungsgrundlage kommt vorliegend, mangels Einschlägigkeit spezieller Befugnisnormen, die polizeiliche Generalklausel aus § 8 Abs. 1 PolG NW in Betracht.
2. Die polizeiliche Maßnahme ist laut Sachverhalt in formell rechtmäßiger Weise ergangen.
3. Voraussetzung für ein polizeiliches Einschreiten ist das Vorliegen einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung. Maßgeblich ist dabei die Prognose aus der ex-ante Perspektive.
Eine Gefahr ist zu bejahen, wenn bei ungehindertem Geschehensablauf ein Schadenseintritt für ein Schutzgut der öffentlichen Sicherheit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Als Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit gelten, die objektive Rechtsordnung, Individualrechte des Einzelnen sowie die Funktionsfähigkeit von Einrichtungen und Veranstaltungen des Staates und anderer Hoheitsträger.
Vorliegend sah der Einsatzleiter eine Enttarnung der am Einsatz beteiligten Beamten und eine Gefährdung von Leib und Leben eben jener durch das Anfertigen von Fotografien des Einsatzes, sowie eines damit einhergehenden Verlustes der zukünftigen Einsatzfähigkeit des Sondereinsatzkommandos als wahrscheinlich an. Aus der Sicht eines einsichtigen und unbefangenen Polizeibeamten lässt sich damit das Vorliegen einer Gefahr für Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit, namentlich den Individualrechten der beteiligten Polizeibeamten, sowie
(mit Blick auf die eventuelle Gefährdung der Einsatztauglichkeit für zukünftige Einsätze) der Funktionsfähigkeit staatlicher Veranstaltungen, bejahen.
Die Einschreitungsvoraussetzungen der polizeilichen Generalklausel sind damit im vorliegenden Fall zu bejahen.
4. Das vom Einsatzleiter ausgesprochene Anfertigungsverbot müsste auch dem aus dem Rechtsstaatsprinzip erwachsenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen. Die Maßnahme müsste hinsichtlich der Erreichung des mit ihr verfolgten legitimen Zwecks also geeignet, erforderlich und angemessen sein.
Das Verbot Bilder vom Einsatz anzufertigen ist nicht schlichtweg untauglich die damit verfolgten Zwecke zu erreichen und folglich geeignet.
Weiterhin müsste die Maßnahme erforderlich gewesen sein, was dann der Fall ist, wenn es kein milderes, gleich geeignetes Mittel zur Zweckerreichung gab. Dazu heißt es in der Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts:

„[…]Die Polizei durfte nicht schon das Anfertigen der Fotografien untersagen. Der Einsatz von Polizeibeamten, namentlich ein Einsatz von Kräften des Spezialeinsatzkommandos stellt im Sinne der einschlägigen Bestimmung des Kunsturhebergesetzes ein zeitgeschichtliches Ereignis dar, von dem Bilder auch ohne Einwilligung der abgelichteten Personen veröffentlicht werden dürfen. Ein berechtigtes Interesse der eingesetzten Beamten kann dem entgegenstehen, wenn die Bilder ohne den erforderlichen Schutz gegen eine Enttarnung der Beamten veröffentlicht werden. Zur Abwendung dieser Gefahr bedarf es aber regelmäßig keines Verbots der Anfertigung von Fotografien, wenn zwischen der Anfertigung der Fotografien und ihrer Veröffentlichung hinreichend Zeit besteht, den Standpunkt der Polizei auf andere, die Pressefreiheit stärker wahrende Weise durchzusetzen. Eine solche Lage war hier gegeben.“

Danach hätte ein Hinweis der Einsatzleitung auf die bei ohne Unkenntlichmachung der Polizeibeamten bestehenden Gefahr genügt, um einer Enttarnung und den damit einhergehenden Gefahren entgegenzuwirken.
Im Ergebnis war das Verbot der Anfertigung von Bildern rechtswidrig und verletzte den Zeitungsverlag in seinen Rechten. Folglich ist die Fortsetzungsfeststellungsklage begründet.
Anmerkung: Die Bearbeitung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Vielmehr soll den Lesern ein Leitfaden für die Lösung des Falles, wie er beispielsweise im Rahmen einer mündlichen Prüfung auftauchen könnte, gegeben werden.

29.03.2012/9 Kommentare/von Zaid Mansour
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Zaid Mansour https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Zaid Mansour2012-03-29 15:20:532012-03-29 15:20:53Fotografierverbot von SEK-Polizeibeamten rechtswidrig – BVerwG Urteil vom 28.03.2012 – 6 C 12.11
Seite 1 von 212

Über Juraexamen.info

Deine Zeitschrift für Jurastudium, Staatsexamen und Referendariat. Als gemeinnütziges Projekt aus Bonn sind wir auf eure Untersützung angewiesen, sei es als Mitglied oder durch eure Gastbeiträge. Über Zusendungen und eure Nachrichten freuen wir uns daher sehr!

Werbung

Anzeige

Neueste Beiträge

  • BGH zur Halterhaftung nach dem StVG
  • Basiswissen Kriminologie – über Genese, bekannte Persönlichkeiten und die relativen Straftheorien
  • Die mündliche Prüfung im ersten Staatsexamen

Weitere Artikel

Auch diese Artikel könnten für dich interessant sein.

Redaktion

BGH zur Halterhaftung nach dem StVG

Rechtsprechung, Startseite

Wir freuen uns, nachfolgenden Gastbeitrag von Simon Mantsch veröffentlichen zu können. Er studiert Rechtswissenschaften an der Universität Bonn und ist als Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Flick Gocke Schaumburg tätig. In einer kürzlich veröffentlichten […]

Weiterlesen
16.03.2023/1 Kommentar/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2023-03-16 08:30:022023-03-16 08:33:08BGH zur Halterhaftung nach dem StVG
Alexandra Ritter

Die mündliche Prüfung im ersten Staatsexamen

Lerntipps, Mündliche Prüfung, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Startseite, Strafrecht, Uncategorized, Verschiedenes, Zivilrecht

Viele Jahre bereitet man sich durch Studium und Repetitorium darauf vor und irgendwann ist es soweit: man schreibt das erste Staatsexamen. Sechs Klausuren und eine mündliche Prüfung (so zumindest in […]

Weiterlesen
06.03.2023/2 Kommentare/von Alexandra Ritter
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Alexandra Ritter https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Alexandra Ritter2023-03-06 09:00:002023-03-13 08:18:47Die mündliche Prüfung im ersten Staatsexamen
Gastautor

Basiswissen Kriminologie – über Genese, bekannte Persönlichkeiten und die relativen Straftheorien

Rechtsgebiete, Startseite, Strafrecht, Strafrecht AT, Verschiedenes

Wir freuen uns, nachfolgenden Gastbeitrag von Sabrina Prem veröffentlichen zu können. Die Autorin ist Volljuristin. Ihr Studium und Referendariat absolvierte sie in Düsseldorf. Was genau verbirgt sich eigentlich hinter dem Begriff „Kriminologie“? […]

Weiterlesen
06.03.2023/1 Kommentar/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2023-03-06 09:00:002023-03-15 09:06:21Basiswissen Kriminologie – über Genese, bekannte Persönlichkeiten und die relativen Straftheorien

Support

Unterstütze uns und spende mit PayPal

Jetzt spenden
  • Über JE
  • Das Team
  • Spendenprojekt
  • Gastautor werden
  • Mitglied werden
  • Alumni
  • Häufige Fragen
  • Impressum
  • Kontakt
  • Datenschutz

© 2022 juraexamen.info

Nach oben scrollen