Strafrecht SII – April 2015 – 1. Staatsexamen Berlin / Brandenburg und NRW
Nachfolgend erhaltet ihr auch ein Gedächtnisprotokoll der zweiten gelaufenen Klausur im Strafrecht des 1. Staatsexamens in Berlin, Brandenburg und der ersten gelaufenen Klausur des 1. Staatsexamens in NRW im April 2015. Vielen Dank dafür. Ergänzungen und Korrekturanmerkungen sind wie immer gerne gesehen.
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Sachverhalt
A ist notorisch pleite und geht gerne mal im Supermarkt billig einkaufen.
Eines Tages im X-Supermarkt findet er Gefallen an einem Döschen Handcreme. Für 20€ ist ihm diese aber zu teuer. Daraufhin reißt er eine Keksverpackung an einer Stelle auf, nimmt einen Keks heraus und isst diesen sofort auf. Die Lücke füllt er mit der Handcreme und verschließt die Verpackung nur notdürftig.
An der Kasse legt er die Verpackung aufs Band, bezahlt und verlässt den Laden.
Einige Tage später im Z-Supermarkt. Der Supermarkt hat seit neustem SB-Scannerkassen – dann wird erklärt, wie diese funktionieren – an denen man mit Kreditkarte und Bargeld zahlen kann.
Eine freundliche Mitarbeiterin, die auf Wunsch beim Scannen hilft, aber den einzelnen Scan- und Bezahlvorgang nicht kontrolliert, steht an diesen Kassen. Dem A gefällt eine Computerzeitschrift im Wert von 9,90€. Da ihm diese jedoch zu teuer ist, scannt er an der Kasse den Strichcode einer Tageszeitung im Wert von 1,10€, welche er danach wieder zurücklegt. An der Kasse bezahlt er die 1,10€ und verlässt den Laden. Bei diesem Vorgang wurde er von dem Hausdetektiv H beobachtet, welcher den A auf dem Kundenparkplatz direkt vor dem Supermarkt stellt.
Auf die Frage nach dem Kassenbon schlägt der A mit der Faust den H, um mit der Zeitschrift zu fliehen. Der H geht dabei zu Boden, sodass er den A nicht aufhalten kann.
A wird einige Zeit später aufgrund der Vorkommnisse (Handcreme, Keks und Computerzeitschrift) angeklagt. Der A hält seine Beweisposition zu Recht für schlecht und beantragt eine Untersuchung mittels Polygraph. Er erklärt, dass er dadurch beweisen könne, zum Tatzeitpunkt nicht in den Läden gewesen zu sein und somit als Täter ausscheide. Schließlich sei er nicht so innerlich erregt wie es der Täter bei der Beantwortung der Fragen zur Tat wäre. A glaubt den Polygraph überlisten zu können.
Das Gericht lehnt den Antrag per Beschluss ab und begründet dies zutreffend damit, dass zum derzeitigen Stand der Forschung eine solche Untersuchung (noch) keine zuverlässigen Ergebnisse bezüglich Schuld/Unschuld liefern könne.
Darüberhinaus äußert das Gericht Bedenken bezüglich der Freiheit der Willensbetätigung und –entschließung des Beschuldigten
Bearbeitervermerk
1. Prüfen sie gutachterlich wie sich A strafbar gemacht hat. Die §123; §303a StGB sowie der 23. Abschnitt des StGB sind nicht zu prüfen. Weiterhin sind Regelbeispiele und Strafverfolgungshindernisse nicht zu prüfen.
2. War die Ablehnung des Antrages rechtmäßig?
Mein Lösungsvorschlag:
Bzgl der Kekscreme 😉
§ 242 (-)1. fremde bewegliche Sache (+): k2. Wegnahme? fremderGewahrsam ursprünglich des Supermarktleitersb) neuen Gewahrsam begründet, nicht mit Hineinlegen der Creme in die Verpackung (keine Gewahrsamsenklave) oder in den Einkaufswagen (noch im Gewahrsam des Ursprungsgewahrsamsinhabers), sondern erst mit Passieren der Kasse (hM). c) Bruch des Gewahrsams, Einverständnis der Kassiererin?
Nicht am gemsamten Einkaufswageninhalt sondern bzgl. jedes einzelnen Gegenstandes. Einverständnis in Wegnahme der Keksverpackung („als solche“, also mit Inhalt), gegeben, § 242 (-),
§ 263 (+) Wegen Täuschung über Inhalt der Keksverpackung und des somi in Wahrheit zu entrichtenden Preises.
Verfügung ist die Überlassung des Kekskartons samt Inhalt welches zum Verlust der Creme führt. Rest trivial.
§303 an Keksverpackung und Keks.
Selbstbedienungskasse (Der Playboyfall).
§ 263 a Stgb? (-)
Keine Vermögensminderung sondern nur Vorbereitungshandlung dazu.
§242 (+)
§ 252 (+)
§ 223 (+)
Stimme zu, paar Ergänzungen:
– § 303 an der Packung könnte man wegen der unerheblichen Einwirkung, denke ich, auch ablehnen
– Für den Keks ist vor § 303 noch § 242 zu diskutieren, aber iE nur sicheres Wissen, keine Absicht bzgl der Aneignung
– Die Handcreme hab ich auch nach § 263 gelöst – § 242 geht aber auch, wenn man ein Verfügungsbewusstsein ablehnt (bei § 263 dann die Dreieckskonstellation Täter – Kassiererin – Supermarktinhaber erwähnen (unproblematisch))
– Bei § 263a muss man erst mal Var. 3 auslegen und dann mit der hM debattieren, ob man auch ggü einem Menschen hätte täuschen müssen. Das kann man auch schon ablehnen, wenn man argumentiert, ein Verkäufer hätte nicht überprüft, ob der registrierte Artikel auch dem auf dem Kassenband entspricht. Wenn man die Tathandlung bejaht, dann aber kein unmittelbarer Vermögensschaden (der kommt ja erst durch das Verlassen des Ladens = Wegnahme)
– Bei § 242 dann: Fremd? Ja! Wegnahme? Am besten Vergleich mit dem Geldabheben am Bankautomat: hier an SB-Kasse kein nach außen hin ordnungsgemäßes Bedienen, daher eher kein faktisches Einverständnis
– Schließlich noch § 240, tritt aber natürlich hinter § 252 zurück
Fall lief ebenso in MV im April..
ich habe bzgl der kekscreme 242 bejaht, hatten wir so im rep, 263 ist es meiner meinung nach erst wenn der vollständige inhalt ausgetauscht wird – aber beides vertretbar
Jemand nen Ansatz zum StPO Teil?
Hab 244 III geprüft (völlig ungeeignetes Beweismittel). Der Lügendetektor liefert zwar keine 100 % sicheren Daten. Aber das macht ihn m.E. nicht „völlig“ ungeeignet, wenn der Angeklagte den Einsatz beantragt. Zum einen kann eine entsprechende Berücksichtigung iRd Beweiswürdigung stattfinden. Und zum anderen ist 244 bzgl der Einschränkungen der Verteidigungsmittel sowohl aufgrund des Wortlauts der Norm als auch bzgl. einer umfassenden Verteidigungsmoglichkeit des Angeklagten eng auszulegen. Daher habe ich die „völlige“ Ungeeignetheit verneint und die Ablehnung als rechtswidrig angesehen.
Sehe ich anders. Für den BGH ist der Lügendetektor ein völlig ungeeignetes Beweismittel – bereits zwei Entscheidungen dazu! Es gibt zwar vereinzelt wissenschaftliche Ansichten, die sich mit Verweis auf Validitätsstudien doch offen zeigen für die Beweiseignung. Wegen des klaren Hinweises im Sachverhalt („keine zuverlässigen Ergebnisse“) war in der Klausur dafür aber gar kein Argumentationsspielraum. Ich denke also, es kam nur darauf an § 244 III 2 Var 4 zu sehen und deshalb den Beweisantrag abzulehnen.
(Man konnte es natürlich noch etwas ausschmücken: Subjektstellung des Angeklagten, darf also Anträge stellen / Sachverständigengutachten als eines der möglichen Beweismittel / Überlistungsabsicht irrelevant, da Angeklagter nicht der Wahrheitspflicht unterliegt etc…)
Dass eine andere Ansicht möglich ist und diese insbesondere vom BGH vertreten wird, ist ja ok. Und ja, der Hinweis im Sachverhalt. Aus besagten Gründen habe ich trotzdem die „völlige“ Ungeeignetheit verneint. Ich denke, dass mit entsprechender Argumentation beide Ansichten vertretbar sind.
Laut Wikipedia scheint der BGH hier etwa besonders auf grds. Unzulässigkeit verbotener Vernehmungs-methoden abzustellen. Die Daten soll der Betroffene hier nämlich grds. nicht willensgesteuert und daher in einer Form erzwungen abgeben. Bei günstigem Ergebnis für den Betroffenene könnte man zwar eine Art willentliche Einwilligung annehmen.
Dies könnte aber andere U.U. indirekt quasi zwingen, ein günstiges Ergebnis zu liefern, oder sich selbst etwas zu belasten o.ä.
Es scheint hiernach vielleicht allerdings noch eher jüngere (unterinstanzrechtliche) Rspr. mit anderen insoweitigen Wertungen zu geben.
Jedenfalls wenn der Angeklagte selbst den Antrag stellt, wird ein verbotene Vernehmungsmethode in der Literatur teilweise verneint und für die Zulässigkeit plädiert. Ohne entsprechenden Antrag ist der Lügendetektor dagegen wohl nach einhelliger Auffassung unzulässig.