BGH: Mitwirkung einer Richterin während des gesetzlichen Mutterschutzes begründet absoluten Revisionsgrund
Das Prozessrecht (StPO und ZPO) wird während des Studiums häufig als sperrig und wenig bedeutsam wahrgenommen. Dies mag punktuell seine Berechtigung haben, spätestens im zweiten Examen ist es aber von herausragender Bedeutung. Aber auch in der mündlichen Prüfung und für mögliche Zusatzfragen sollten Grundkonstellationen und Fragen zwingend beherrscht werden. Aus diesem Grund lohnt sich die Lektüre einer aktuellen Entscheidung des BGH (BGH v. 7.11.2016 – 2 StR 9/15). Hierbei geht es gerade darum, wann ein Grund für die Revision vorgelegen hat.
I. Sachverhalt
Folgender Sachverhalt lag zugrunde:
In den Jahren 2012 und 2013 fand vor dem örtlichen und sachlich zuständigen LG die Verhandlung in der Hauptsache statt. Die entscheidende Strafkammer war (ordnungsemäß und ununterbrochen) mit drei Berufsrichtern und zwei Schöffen besetzt. Ein Ergänzungsrichter war nicht hinzugezogen worden. An der Hauptverhandlung und am Urteil wirkte eine Richterin mit, die im Lauf der Hauptverhandlung schwanger wurde. Die Hauptverhandlung wurde am 20.12.2013 bis zum 03.01.2014 unterbrochen. Im Fortsetzungstermin am 03.01.2014 war zu erkennen, dass die Schwangerschaft beendet war, sodass die Geburt zwischen 20.12.2013 und 03.01.2014 erfolgt sein musste. Auskünfte hierzu wurden auf Nachfrage der Verteidiger nicht erteilt. Die Hauptverhandlung wurde am 03.01.2014 mit der Verkündung von Beschlüssen fortgesetzt; danach unterbrach sie der Vorsitzende bis zum 31.01.2014. Die Verteidiger erhoben einen Besetzungseinwand, den die Strafkammer durch Beschluss zurückwies. Sie erklärte, dass die Besetzung des Gerichts ordnungsgemäß sei. Gegen das Urteil legte der Angeklagte das Rechtsmittel der Revision ein.
Vom BGH (als Revisionsinstanz) war nun u.a. das Vorliegen von Revisionsgründen zu prüfen.
II. Entscheidung des BGH
Der BGH bejahte hier das Vorliegen eines absoluten Revisionsgrundes iSd. § 338 StPO.
Folgende Punkte sind bei der Revision stets zu prüfen:
- Zulässigkeit der Revision (Insbesondere Frist für Revisionseinlegung und –begründung; Beschwer)
- Von Amts wegen zu beachtende Verfahrensvoraussetzungen/Verfahrenshindernisse
- Verfahrensfehler
- absolute Revisionsgründe (§ 338 StPO)
- relative Revisionsgründe (§ 337 StPO)
- Sachrüge (Überprüfung, ob Urteil in inhaltlicher Hinsicht richtig)
Zu klären war hier, ob ein absolurter Revisionsgrund nach § 338 Nr. 1 StPO vorgelegen hat, ob also eine fehlerhafte Besetzung des Gerichtes bestand. Dies kann allein aus dem Beschäftigungsverbot des § 6 MuSchG herrühren.
Das Gericht bejahte einen entsprechenden Fehler:
Nach Auffassung des BGH folgt aus § 6 Abs. 1 MuSchG in Verbindung mit Überleitungsregeln des Landesrechts ein absolutes Dienstleistungsverbot. Es steht danach nicht im Belieben der Richterin, ob sie von dem gesetzlichen Mutterschutz Gebrauch macht oder darauf verzichtet. § 6 Abs. 1 MuSchG will der Mutter gerade diesen Entscheidungsdruck für die Zeit nach der Entbindung nehmen. Die Fortsetzung einer Hauptverhandlung in der Mutterschutzfrist führt zu einem Besetzungsfehler des Gerichts, der einen absoluten Revisionsgrund im Sinne von § 338 Nr. 1 StPO begründet.
Dem kann mit guter Argumentation aber entgegengetreten werden:
Ein Beschäftigungsverbot sich auch nicht aus § 6 Abs. 1 Satz 1 MuSchG. Bei dieser Vorschrift handele es sich nicht um eine Regelung über die Besetzung des Gerichts. Der Richterin stehe aufgrund ihrer Unabhängigkeit die Ausübung des Richteramts in der Zeit des gesetzlichen Mutterschutzes frei; ihr könne ein überobligationsmäßiger Einsatz nicht untersagt werden. Der Rechtskreis der Angeklagten sei vom Schutzzweck des § 6 Abs. 1 MuSchG nicht berührt.
Entscheidend ist also, welche Wirkung das Verbot des § 6 MuSchG haben soll. Auch wenn die Urteilsgründe noch nicht vorliegen, zeigt sich ein sehr weites Verständnis des BGH von § 6 MuSchG. Eine drittschützende Wirkung dieser Vorschrift wird offensichtlich bejaht. Mit anderen Worten: Die Mitwirkung eines notwendigen Prozessbeteiligten ist unwirksam, wenn individuelle Verbote der Mitwirkung bestehen. Es kommt nicht allein auf die prozessuale Wirksamkeit (die hier gegeben ist) sondern auch auf darüberhinausgehende Vorschriften an.
III. Bewertung und Relevanz
Dem sehr weiten Verständnis des BGH ist hier nicht zwingend zuzustimmen. Jedenfalls bedarf es aber einer ausführlichen Diskussion in der Klausur und prüfung. Der Fall, der sehr leicht verständlich ist, sollte zwingend wiederholt werden, um Grundprinzipien des Revisionsrecht zu repetieren und auch in diesem Randbereich fit zu sein. Im zweiten Examen wird der Fall mit garantie laufen, aber auch im Ersten Examen eignet er sich perfekt für eine etwas atypische Zusatzfrage zur StPO.
Keine Ahnung und ohne näheres Nachlesen, nur ganz spontan: muss eine Entscheidung nicht mit gerade auf einem Fehler beruhen, damit dies erfolgreich angreifbar gerügt sein kann? Vorliegend kann eine Entscheidung m.E. nur bei einer Entscheidung mit einer einzigen Stimme Mehrheit durch den entscheidenden Spruchkörper gerade auf einem entsprechenden eventuellen Besetzungsfehler beruhen. Jedenfalls nach der obigen Darstellung scheinen Anhaltspunkte für eine entsprechende Entscheidung(-smehrheit) eher nur unklar vorliegen zu können.
„Ein Blick ins Gesetz soll die Rechtsfindung erleichtern können“, Stichwort: „absolute Revisionsgründe“.
Eine Frage kann sein, inwieweit ein Gericht bei vorgeschriebener Besetzungsmitteilung und anfangs vorschriftsmäßiger Besetzung ohne Besetzungsänderung im Verfahrenverlauf unvorschriftmäßig besetzt werden kann. M.E. eher nicht. U.U. kann daher § 338 Nr. 2 StPO eher einschlägig scheinen. Hier kann fraglich bleiben, inwieweit zunächst ausschließlich dem Schutz einer Schwangeren dienende Vorschriften im Sinne von § 338 Nr. 2 StPO zu Gunsten eines Strafverurteilten zum gesetzlichen Ausschluss von der Ausübung des Richteramtes führen können. M.E. können hier vom Sinn und Zweck eher nur Ausschlussgründe gemeint sein, welche gerade zum Nachteil eines Verurteilten eine Eignung zur Ausübung des Richteramtes ausschließen können, wenn sich ein Verurteilter zu eigenen Gunsten darauf berufen können soll. Das kann beim Berufsausübungsverbot während einer Schwangerschaft eben zweifelhaft bleiben.