Klausur: BVerfG zu Versammlungen auf Flughäfen (Fraport AG)
Heute hat das BVerfG Stellung zur Reichweite der Art. 5 und 8 GG genommen (v. 22.2.2011 – 1 BvR 699/06, hier das Urteil und hier die Pressemitteilung). Sie gelten nicht nur im öffentlichen Straßenraum, sondern auch in Bereichen, die öffentliche Unternehmen (hier die Fraport AG, aber z.B. auch die Deutsche Bahn AG) dem öffentlichen Verkehr zur Verfügung stellen. Eine wichtige Entscheidung: Zunächst zeigt sie, dass das BVerfG bei den Grundrechten ein funktionales Verständnis zu Grunde legt. Es hat die Reichweite der Grundrechte erweitert, weil die Erweiterung zur Sicherung der materiellen Reichweite der Freiheiten erforderlich schien. Die Grundrechte werden also dem Wandel der Zeit angepasst und ihre Effektivität wird gesichert. Zum Zweiten hat das BVerfG sich wieder einmal zur unmittelbaren Grundrechtsbindung öffentlicher Unternehmen (in privatrechtlicher Rechtsform – hier der Aktiengesellschaft) geäußert. Hier bleibt alles beim Alten: Die unmittelbare Bindung ist zu bejahen, wenn das Unternehmen von der öffentlichen Hand beherrscht wird.
Im Folgenden wird das Urteil klausurmäßig dargestellt. Die Ausschnitte sind teilweise – ihrer Kürze wegen – auch aus der Pressemitteilung entnommen.
Sachverhalt:
Die Betreibergesellschaft des Frankfuter Flughafes Fraport AG (zu 70% im Eigentum der öffentlichen Hand) hatte der Beschwerdeführerin (BF) gegenüber ein „Flughafenverbot“ erteilt; Meinungskundgabe und Demonstrationen wurden untersagt. Das Verbot bezog sich dabei auch auf die Bereiche des Flughafens, die frei zugänglich sind und in denen sich hauptsächlich Restaurants, Geschäfte oder ähnliche Einrichtungen befanden. Konkret hat die Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit einer drohenden Abschiebung Flugblätter verteilt, um der Sache damit öffentlich Gehör zu verschaffen. Der BF wurde daraufhin ihre Tätigkeit auf dem Flughafengelände untersagt. Der zivilgerichtliche Rechtsschutz der BF (AG, LG, BGH) blieb in der Folge ohne Erfolg. Die Befugnis zur Untersagung folgte vorliegend aus § 858 ff., 903, 1004 BGB und damit dem Hausrecht der Betreibergesellschaft. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die BF eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 GG.
Ist die Verfassungsbeschwerde begründet?
Lösung
Die Verfassungsbeschwerde ist begründet, wenn die Beschwerdeführerin in ihren in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechten verletzt ist.
A. Verletzung von Art. 8 Abs. 1 GG
Die Beschwerdeführerin könnte in ihrer Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG verletzt sein.
I. Eröffnung des Schutzbereichs
Dazu müsste zunächst der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG eröffnet sein.
1. Sachlicher Schutzbereich
Die Demonstration ist grundsätzlich eine Versammlung im Sinne sämtlicher Versammlungsbegriffe:
- Zusammenkunft einer Vielzahl von Menschen (mehr als zwei [e.A] oder drei [h.M.])
- Verbunden durch einen gemeinsamen (kommunikativen) Zweck (allg. Meinung)
- Friedlich (allg. Meinung)
- Gerichtet auf Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung (BVerfG)
2. „Örtlicher Schutzbereich“ – Flächen einer Aktiengesellschaft erfasst?
Fraglich ist jedoch, ob auch die Wahl des konkreten Ort der Versammlung von der Versammlungsfreiheit gedeckt ist. Art. 8 Abs. 1 GG gewährleistet auch das Recht, zu bestimmen, wo und wann eine Versammlung stattfinden soll:
„Art. 8 Abs. 1 GG gewährleistet auch das Recht, selbst zu bestimmen, wann, wo und unter welchen Modalitäten eine Versammlung stattfinden soll. Als Abwehrrecht, das auch und vor allem andersdenkenden Minderheiten zugute kommt, gewährleistet das Grundrecht den Grundrechtsträgern so nicht nur die Freiheit, an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen oder ihr fern zu bleiben, sondern zugleich ein Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung (vgl. BVerfGE 69, 315 <343>). Die Bürger sollen damit selbst entscheiden können, wo sie ihr Anliegen – gegebenenfalls auch in Blick auf Bezüge zu bestimmten Orten oder Einrichtungen – am wirksamsten zur Geltung bringen können. „(Rn. 64)
a) Erweiterung auf Flächen, die ein öffentliches Unternehmen dem öffentlichen Verkehr eröffnet hat
Dieses Recht ist jedoch nicht unbeschränkt. Es gibt kein Zutrittsrecht zu beliebigen Orten, insbesondere nicht zu solchen, die der Öffentlichkeit nicht allgemein zugänglich sind oder zu denen schon den äußeren Umständen nach nur zu bestimmten Zwecken Zugang gewährt wird, etwa zu öffentlichen Krankenhäusern oder Schwimmbädern (vgl. Rn. 65). Grundsätzlich in den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit fällt jedoch die Wahl von Veranstaltungsorten, wo allgemeiner öffentlicher Verkehr eröffnet ist. Dies betrifft – unabhängig von einfachrechtlichen Bestimmungen des Straßenrechts – zunächst den öffentlichen Straßenraum. Dieser ist das natürliche und geschichtlich leitbildprägende Forum, auf dem Bürger ihre Anliegen besonders wirksam in die Öffentlichkeit tragen und hierüber die Kommunikation anstoßen können (Rn. 67). Darin erschöpft sich die Verbürgung jedoch nicht:
„Entsprechendes gilt aber auch für Stätten außerhalb des öffentlichen Straßenraums, an denen in ähnlicher Weise ein öffentlicher Verkehr eröffnet ist und Orte der allgemeinen Kommunikation entstehen. Wenn heute die Kommunikationsfunktion der öffentlichen Straßen, Wege und Plätze zunehmend durch weitere Foren wie Einkaufszentren, Ladenpassagen oder sonstige Begegnungsstätten ergänzt wird, kann die Versammlungsfreiheit für die Verkehrsflächen solcher Einrichtungen nicht ausgenommen werden, soweit eine unmittelbare Grundrechtsbindung besteht oder Private im Wege der mittelbaren Drittwirkung in Anspruch genommen werden können. Dies gilt unabhängig davon, ob die Flächen sich in eigenen Anlagen befinden oder in Verbindung mit Infrastruktureinrichtungen stehen, überdacht oder im Freien angesiedelt sind. Grundrechtlich ist auch unerheblich, ob ein solcher Kommunikationsraum mit den Mitteln des öffentlichen Straßen- und Wegerechts oder des Zivilrechts geschaffen wird. Ein Verbot von Versammlungen kann auch nicht als Minus zu der Nichtöffnung des Geländes und damit als bloße Versagung einer freiwilligen Leistung angesehen werden. Vielmehr besteht zwischen der Eröffnung eines Verkehrs zur öffentlichen Kommunikation und der Versammlungsfreiheit ein unaufhebbarer Zusammenhang: Dort wo öffentliche Kommunikationsräume eröffnet werden, kann der unmittelbar grundrechtsverpflichtete Staat nicht unter Rückgriff auf frei gesetzte Zweckbestimmungen oder Widmungsentscheidungen den Gebrauch der Kommunikationsfreiheiten aus den zulässigen Nutzungen ausnehmen: Er würde sich damit in Widerspruch zu der eigenen Öffnungsentscheidung setzen.“ (Rn. 68)
Anmerkung: Hier erfolgt die entscheidende Erweiterung. Interessant sind die (von mir) hervorgehobenen Passagen, die für die Prüfung zwei Fallgruppen vorzeichnen: Fälle unmittelbarer Grundrechtsgeltung einer- und solche mittelbarer Wirkung andererseits.
Anmerkung: Entsprechend ist (bei der hier vorliegenden unmittelbaren Grundrechtsbindung) zweistufig zu prüfen:
- Eröffnung allgemeinen öffentlichen Verkehrs, Schaffung eines „öffentlichen Kommunikationsraumes“
- Unmittelbare Grundrechtsbindung
Anmerkung: Ob freilich daneben auch „Ansprüche“ auf Zulassung aus mittelbarer Grundrechtsbindung (dann durch die entsprechende Auslegung der zivilrechtlichen Normen) folgen, ist nicht eindeutig geklärt. Einerseits impliziert das der obige Abschnitt, der beide Fälle (unmittelbare und mittelbare Grundrechtsgeltung) erwähnt. Andererseits ist das zur Konkretisierung herangezogene amerikanische Konzept des public forum (dazu sogleich) nur auf Fälle beschränkt, die in Deutschland der unmittelbare Grundrechtsbindung unterfielen.
Sodann konkretisiert das BVerfG, wie weit das Konzept des „öffentlichen Kommunikationsraums geht“.
„Orte allgemeinen kommunikativen Verkehrs, die neben dem öffentlichen Straßenraum für die Durchführung von Versammlungen in Anspruch genommen werden können, sind zunächst nur solche, die der Öffentlichkeit allgemein geöffnet und zugänglich sind. Ausgeschlossen sind demgegenüber zum einen Orte, zu denen der Zugang individuell kontrolliert und nur für einzelne, begrenzte Zwecke gestattet wird. Wenn eine individuelle Eingangskontrolle wie an der Sicherheitsschleuse zum Abflugbereich für eine Einrichtung sicherstellt, dass nur bestimmte Personen – die Flugpassagiere, um ihre Reise anzutreten – Zutritt haben, ist dort kein allgemeiner Verkehr eröffnet. Die Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit kann an solchen Orten nicht beansprucht werden. „(Rn. 69)
„Zum anderen beantwortet sich die Frage, ob ein solcher außerhalb öffentlicher Straßen, Wege und Plätze liegender Ort als ein öffentlicher Kommunikationsraum zu beurteilen ist, nach dem Leitbild des öffentlichen Forums (vgl. zu ähnlichen Kriterien: Supreme Court of Canada, Committee for the Commonwealth of Canada v. Canada, <1991> 1 S. C. R. 139; Supreme Court of the United States, International Society for Krishna Consciousness <ISKCON> v. Lee, 505 U.S. 672 <1992>). Dieses ist dadurch charakterisiert, dass auf ihm eine Vielzahl von verschiedenen Tätigkeiten und Anliegen verfolgt werden kann und hierdurch ein vielseitiges und offenes Kommunikationsgeflecht entsteht. Abzugrenzen ist dies von Stätten, die der Allgemeinheit ihren äußeren Umständen nach nur zu ganz bestimmten Zwecken zur Verfügung stehen und entsprechend ausgestaltet sind. Wenn Orte in tatsächlicher Hinsicht ausschließlich oder ganz überwiegend nur einer bestimmten Funktion dienen, kann in ihnen – außerhalb privater Nutzungsrechte – die Durchführung von Versammlungen nach Art. 8 Abs. 1 GG nicht begehrt werden. Anders ist dies indes dort, wo die Verbindung von Ladengeschäften, Dienstleistungsanbietern, Restaurationsbetrieben und Erholungsflächen einen Raum des Flanierens schafft und so Orte des Verweilens und der Begegnung entstehen. Werden Räume in dieser Weise für ein Nebeneinander verschiedener, auch kommunikativer Nutzungen geöffnet und zum öffentlichen Forum, kann aus ihnen gemäß Art. 8 Abs. 1 GG auch die politische Auseinandersetzung in Form von kollektiven Meinungskundgaben durch Versammlungen nicht herausgehalten werden. Art. 8 Abs. 1 GG gewährleistet den Bürgern für die Verkehrsflächen solcher Orte das Recht, das Publikum mit politischen Auseinandersetzungen, gesellschaftlichen Konflikten oder sonstigen Themen zu konfrontieren. Solche Möglichkeiten, Aufmerksamkeit zu erzielen, sind als Grundlage der demokratischen Willensbildung mit der Versammlungsfreiheit gewollt und bilden ein konstituierendes Element der demokratischen Staatsordnung.“ (Rn. 70)
Anmerkung: Letztere Ausführungen zum „öffentlichen Forum“ sind hochinteressant, weil sie eine funktionale Betrachtung der Grundrechte darstellen. Allerdings ist public forum auch in den USA immer eine Frage der Nutzung staatlicher Einrichtungen.
bb) Abweichende Meinung des Richters Schluckebier
S. dazu die Zusammenfassung aus der Pressemitteilung:
„Die Senatsmehrheit erweitert den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit und damit das Zutrittsrecht für Versammlungen auf sogenannte „öffentliche (gemeint: öffentlich zugängliche) Foren“. […]Schon aufgrund dieser Definition wären die Abfertigungshallen eines Großflughafens vom Schutzbereich auszunehmen gewesen, weil sie ganz überwiegend nur einer bestimmten Funktion dienen, nämlich der Abfertigung von Flugreisenden. […]Der Senat führt für die Ausweitung des Schutzbereichs im Kern nur die Erwägung an, es werde „heute die Kommunikationsfunktion der öffentlichen Straßen, Wege und Plätze“ zunehmend durch öffentliche Foren im Sinne der Definition der Senatsmehrheit „ergänzt“. Derzeit rechtfertigen die tatsächlichen Gegebenheiten indessen diese Wertung nicht. Seit langem sind in große Bahnhöfe oder Flughäfen Ladenpassagen und Gastronomiebetriebe eingegliedert, ohne dass sie bislang als eine beachtliche „Konkurrenz“ zum öffentlichen Straßenraum als Versammlungsort angesehen worden wären oder gar zu einer Entwertung des öffentlichen Straßenraums als Versammlungsort geführt hätten.“
b) Subsumtion
Somit ist vorliegend zu prüfen, ob 1. die Fraport AG unmittelbar grundrechtsgebunden ist und ob 2. das Terminalgebäude für den allgemeinen öffentlichen Verkehr geöffnet ist.
aa) Unmittelbare Grundrechtsbindung der Fraport AG
(1) Die Senatsmehrheit
S. dazu die Zusammenfassung aus der Pressemitteilung:
Die Fraport AG ist gegenüber der Beschwerdeführerin unmittelbar an die Grundrechte gebunden. Die Nutzung zivilrechtlicher Formen enthebt die staatliche Gewalt nicht von ihrer Bindung an die Grundrechte gemäß Art. 1 Abs. 3 GG. Von der öffentlichen Hand beherrschte gemischtwirtschaftliche Unternehmen unterliegen ebenso wie im Alleineigentum des Staates stehende öffentliche Unternehmen, die in den Formen des Privatrechts organisiert sind, einer unmittelbaren Grundrechtsbindung. Gemäß Art. 1 Abs. 3 GG binden die Grundrechte Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht. Sie gelten nicht nur für bestimmte Bereiche, Funktionen oder Handlungsformen staatlicher Aufgabenwahrnehmung, sondern binden die staatliche Gewalt umfassend und insgesamt. Dabei liegt Art. 1 Abs. 3 GG eine elementare Unterscheidung zugrunde: Während der Bürger prinzipiell frei ist, ist der Staat prinzipiell gebunden. Dementsprechend ist der Bürger seinerseits durch die Grundrechte nicht unmittelbar gebunden, sondern findet durch sie gegenüber dem Staat Anerkennung als freie Person, die in der Entfaltung ihrer Individualität selbst verantwortlich ist. Seine Inpflichtnahme durch die Rechtsordnung ist von vornherein relativ und prinzipiell begrenzt; der Staat schafft hierbei auch einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Grundrechtsträgern und bringt damit zwischen diesen die Grundrechte mittelbar zur Geltung. Demgegenüber handelt der Staat in treuhänderischer Aufgabenwahrnehmung für die Bürger und ist ihnen rechenschaftspflichtig. Seine Aktivitäten verstehen sich nicht als Ausdruck freier subjektiver Überzeugungen in Verwirklichung persönlicher Individualität, sondern bleiben in distanziertem Respekt vor den verschiedenen Überzeugungen der Staatsbürger und werden dementsprechend von der Verfassung umfassend und unmittelbar an die Grundrechte gebunden. Dies gilt auch, wenn er für seine Aufgabenwahrnehmung auf das Zivilrecht zurückgreift. [dazu im Urteil Rn. 48]
Die unmittelbare Grundrechtsbindung trifft nicht nur öffentliche Unternehmen, die vollständig im Eigentum der öffentlichen Hand stehen, sondern auch gemischtwirtschaftliche Unternehmen, wenn diese von der öffentlichen Hand beherrscht werden. Dies ist in der Regel der Fall, wenn mehr als die Hälfte der Anteile im Eigentum der öffentlichen Hand stehen. Die Annahme einer unmittelbaren Grundrechtsbindung nicht nur der Anteilseigner, sondern auch des betreffenden Unternehmens selbst entspricht seinem Charakter als verselbständigter Handlungseinheit und stellt eine effektive Grundrechtsbindung unabhängig davon sicher, ob, wieweit und in welcher Form der oder die Eigentümer gesellschaftsrechtlich auf die Leitung der Geschäfte Einfluss nehmen können und wie bei Unternehmen mit verschiedenen öffentlichen Anteilseignern eine Koordination der Einflussrechte verschiedener öffentlicher Eigentümer zu gewährleisten ist. Die Rechte der privaten Anteilseigner erfahren hierdurch keine ungerechtfertigte Einbuße: Ob diese sich an einem öffentlich beherrschten Unternehmen beteiligen oder nicht, liegt in ihrer freien Entscheidung, und auch wenn sich die Mehrheitsverhältnisse erst nachträglich ändern, steht es ihnen wie bei der Änderung von Mehrheitsverhältnissen sonst frei, hierauf zu reagieren. Ohnehin unberührt bleibt ihre Rechtsstellung als Grundrechtsträger insbesondere des Eigentumsgrundrechts unmittelbar gegenüber den öffentlichen Anteilseignern oder sonst gegenüber der öffentlichen Gewalt. [Dazu Rn. 49ff. des Urteils].
(2) Abweichende Meinung des Richters Schluckebier
S. dazu die Zusammenfassung aus der Pressemitteilung:
Die unmittelbare Grundrechtsbindung der Fraport AG als einer sogenannten gemischtwirtschaftlichen Aktiengesellschaft aufgrund einer Beherrschung durch verschiedene Träger staatlicher Gewalt, die je für sich – neben privaten Anteilseignern – nur Minderheitsgesellschafter sind, lässt sich nur dann begründen, wenn die öffentlichen Anteilseigentümer ihre addierten Anteile am Grundkapital einer rechtlich verbindlichen Koordination ihrer Einflusspotentiale unterworfen haben oder sonst ein Interessengleichlauf sichergestellt ist. Diese Voraussetzung für die Annahme einer Beherrschung wird hier mit dem Konsortialvertrag zwischen der Bundesrepublik, dem Land und einer Beteiligungsgesellschaft der Stadt erfüllt sein. Der Senat sieht indessen vom Erfordernis einer Koordinierung der Einflusspotentiale ab, die im Gesellschaftsrecht für die Annahme einer Beherrschung anerkannt ist, obwohl die „öffentlichen Anteilseigentümer“ – je nach politischer Mehrheit – hinsichtlich des Flughafens divergierende, möglicherweise sogar gegenläufige Interessen verfolgen können. Weiter erzeugt die Senatsmehrheit mit ihrer Annahme, gesellschaftsrechtliche Einwirkungsbefugnisse allein seien auch bei einer summierten Anteilsmehrheit von mehr als 50% nicht geeignet, die Grundrechtsbindung solcher Gesellschaften zu ersetzen, einen Widerspruch: Bestünden tatsächlich Einwirkungsdefizite, dürfte gerade deshalb die Aktiengesellschaft selbst nicht der vollziehenden Gewalt (Art. 1 Abs. 3 GG) zugeordnet werden. Zudem ist die vollziehende Gewalt als ausgeübte Staatsgewalt an die Legitimation durch das Volk gekoppelt (Art. 20 Abs. 2 GG), was bei unzureichenden Einwirkungsmöglichkeiten der staatlichen Träger nicht genügend gewährleistet wäre.
b) Eröffnung des Terminals für den öffentlichen Verkehrs
„Der Frankfurter Flughafen ist in wesentlichen Bereichen als Ort allgemeinen kommunikativen Verkehrs ausgestaltet. Zwar gilt dies nicht für den gesamten Flughafen. So ist eine Berufung auf die Versammlungsfreiheit für die Sicherheitsbereiche, die nicht allgemein zugänglich sind, ebenso ausgeschlossen wie für solche Bereiche, die nur bestimmten Funktionen (zum Beispiel der Gepäckausgabe) dienen. Jedoch umfasst der Flughafen auch große Bereiche, die als Orte des Flanierens und des Gesprächs, als Wege zum Einkaufen und zu Gastronomiebetrieben ausgestaltet sind und hierfür einen allgemeinen Verkehr eröffnen. Unter der Rubrik „Einkaufen und Erleben“ wirbt die Beklagte, die sich als „City in the City“ versteht, im Internet: „Airport Shopping für alle!“, „Auf 4.000 Quadratmetern zeigt sich der neue Marktplatz in neuem Gewand und freut sich auf Ihren Besuch!“. Hier sind ersichtlich Orte als allgemein zugängliche öffentliche Foren ausgestaltet, deren Verkehrsflächen Versammlungen damit grundsätzlich offenstehen.“ (Rn. 72)
d) Ergebnis
Schutzbereich (+)
II. Eingriff
Die angegriffenen Entscheidungen greifen in die Versammlungsfreiheit ein. Grundsätzlich finden als Rechtsgrundlagen für Eingriffe durch die Versammlungsbehörden und die Vollzugspolizei auch im Frankfurter Flughafen die Vorschriften des Versammlungsgesetzes Anwendung. Daneben können Eingriffe durch die Flughafenbetreiberin aber auch auf das privatrechtliche Hausrecht gemäß § 903 Satz 1, § 1004 BGB als ein die Versammlungsfreiheit beschränkendes Gesetz im Sinne des Art. 8 Abs. 2 GG gestützt werden. Versammlungen an Orten allgemeinen kommunikativen Verkehrs sind Versammlungen unter freiem Himmel im Sinne des Art. 8 Abs. 2 GG. Dies gilt unabhängig davon, ob die der Allgemeinheit geöffneten Orte als solche in der freien Natur oder in geschlossenen Gebäuden liegen. Maßgeblich ist, dass Versammlungen an solchen Orten ihrerseits in einem öffentlichen Raum, das heißt inmitten eines allgemeinen Publikumsverkehrs stattfinden und von diesem nicht räumlich getrennt sind.
III. Rechfertigung
1. Schranke
Ist hier die Schranke des Art. 8 Abs. 2 anwendbar? Ja, weil Versammlung unter freiem Himmel (Rn. 75), da keine Zugangskontrolle, sondern im allgemeinen Publikumsverkehr (Rn. 76). Schranke sind hier §§ 903, 1004, 823 BGB (Rn. 79). Diese sind verfassungsgemäß und können neben dem VersG angewandt werden und stellen ebenfalls eine Ausgestaltung des VersG dar:
[Die Existenz des noch weitergeltenden Bundes-VersG] lässt unberührt, dass die öffentliche Hand, wenn sie in den Formen des Privatrechts handelt, Beschränkungen der Versammlungsfreiheit zusätzlich auf die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches, hier § 903 Satz 1, § 1004 BGB, stützen kann. Auch diese Vorschriften füllen in diesem Fall Art. 8 Abs. 2 GG aus. Dem steht nicht entgegen, dass es sich insoweit nicht um versammlungsbezogene Vorschriften handelt und damit deren Reichweite für Versammlungen durch den Gesetzgeber inhaltlich nicht näher präzisiert ist. Da die öffentliche Hand hier wie jeder Private auf die allgemeinen Vorschriften des Zivilrechts zurückgreift, ihr also keine spezifisch hoheitlichen Befugnisse eingeräumt werden und sie ihre Entscheidungen grundsätzlich auch nicht einseitig durchsetzen kann, sind die sonst an Eingriffsgesetze zu stellenden Anforderungen zurückgenommen. Auch das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG kann gegenüber solchen unspezifischen Bestimmungen eine Warnfunktion nicht erfüllen und findet keine Anwendung. Grundrechtseingriffe in Art. 8 Abs. 1 GG, die sich allein auf die allgemeinen Befugnisse des Privatrechts stützen, sind damit nicht schon deshalb verfassungswidrig, weil es an einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage fehlt. Dies ist die Konsequenz dessen, dass der Staat überhaupt in den Formen des Privatrechts handeln darf. (Rn. 82)
Anmerkung: Als Grundrechtsgebundenes öffentliches Unternehmen kann sich die Fraport AG nicht auf eigene Grundrechte berufen, Rn. 46. Wäre Art. 8 Abs. 2 GG nicht anwendbar gewesen, hätte man also Art. 14 GG nicht als kollidierendes Verfassungsrecht zur Beschränkung heranziehen können. Jedoch hätte man für Beschränkungen, die der Sicherheit dienen, auf die Grundrechte der Fluggäste verweisen können. Ob dagegen die Funktionsfähigkeit des Flugverkehrs als solche ein Gut von Verfassungsrang ist, kann man dagegen bezweifeln.
2. Schranken-Schranke
a) Die Senatsmehrheit
S. dazu die Zusammenfassung aus der Pressemitteilung:
„Der Eingriff ist nicht gerechtfertigt, weil das von den Zivilgerichten bestätigte Verbot unverhältnismäßig ist. Grundsätzlich können die zivilrechtlichen Befugnisse nicht so ausgelegt werden, dass sie über die den Versammlungsbehörden verfassungsrechtlich gesetzten Grenzen hinausreichen. Danach kommt die Untersagung einer Versammlung nur dann in Betracht, wenn eine unmittelbare, aus erkennbaren Umständen herleitbare Gefahr für mit der Versammlungsfreiheit gleichwertige, elementare Rechtsgüter vorliegt. Dies hindert indes nicht, dass dem besonderen Gefahrenpotential von Versammlungen in einem Flughafen in spezifischer Weise begegnet und die Rechte anderer Grundrechtsträger berücksichtigt werden können. Hierbei rechtfertigt die besondere Störanfälligkeit eines Flughafens in seiner primären Funktion als Stätte zur Abwicklung des Luftverkehrs auch Einschränkungen, die nach Maßgabe der Verhältnismäßigkeit im öffentlichen Straßenraum nicht hingenommen werden müssen. Auch kann die Flughafenbetreiberin nach Maßgabe der verfassungsrechtlichen Anforderungen für die Wahrnehmung des Versammlungsrechts im Flughafen transparente Regeln schaffen, die an die räumlichen Gegebenheiten und insbesondere an die spezifischen Funktionsbedingungen wie Gefahrenlagen angepasst sind. Solche Regeln lassen die hoheitlichen Befugnisse der Versammlungsbehörden und der Einsatzkräfte der Vollzugspolizei vor Ort unberührt.
Das vorliegende Verbot untersagt der Beschwerdeführerin jedoch ohne konkrete Gefahrenprognose auf unbegrenzte Zeit die Durchführung jeglicher Versammlungen in allen Bereichen des Flughafens, sofern diese nicht vorher nach Maßgabe einer grundsätzlich freien Entscheidung von der Fraport AG erlaubt werden. Dies ist mit der Versammlungsfreiheit nicht vereinbar.“
b) Abweichende Meinung des Richters Schluckebier
S. dazu die Zusammenfassung aus der Pressemitteilung:
„Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu Art. 8 GG erkennt der Senat zwar die besondere Sensibilität des von ihm eröffneten Versammlungsraums. Die von ihm hieraus gezogenen Schlüsse gehen jedoch nicht weit genug. Eine bloß geringfügige Beeinträchtigung kann in den Abfertigungshallen eines Großflughafens schnell in eine erhebliche, weitgreifende Betriebsstörung umschlagen, die dann zumal beim Erforderlichwerden der Schließung bestimmter Bereiche wegen der dichten Vernetzung des Luftverkehrs auf viele andere Flughäfen und deren Passagiere überwirken kann. [wird ausgeführt]“
B. Verletzung von Art. 5 Abs. 1 GG
Dazu noch die folgende Ergänzung:
I. Schutzbereich
“ Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG schützt das Äußern einer Meinung nicht nur hinsichtlich ihres Inhalts, sondern auch hinsichtlich der Form ihrer Verbreitung (vgl. BVerfGE 54, 129 <138 f.>; 60, 234 <241>; 76, 171 <192>). Hierzu gehört namentlich das Verteilen von Flugblättern, die Meinungsäußerungen enthalten. Geschützt ist darüber hinaus auch die Wahl des Ortes und der Zeit einer Äußerung. Der sich Äußernde hat nicht nur das Recht, überhaupt seine Meinung kundzutun, sondern er darf hierfür auch die Umstände wählen, von denen er sich die größte Verbreitung oder die stärkste Wirkung seiner Meinungskundgabe verspricht (vgl. BVerfGE 93, 266 <289>).
Allerdings verschafft auch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG dem Einzelnen keinen Anspruch auf Zutritt zu ihm sonst nicht zugänglichen Orten. Die Meinungsäußerungsfreiheit ist dem Bürger nur dort gewährleistet, wo er tatsächlich Zugang findet. Anders als im Fall des Art. 8 Abs. 1 GG ist dabei die Meinungskundgabe aber nicht schon ihrem Schutzbereich nach auf öffentliche, der Kommunikation dienende Foren begrenzt. Denn im Gegensatz zur kollektiv ausgeübten Versammlungsfreiheit impliziert die Ausübung der Meinungsfreiheit als Recht des Einzelnen in der Regel keinen besonderen Raumbedarf und eröffnet auch nicht einen eigenen Verkehr, der typischerweise mit Belästigungen verbunden ist. Vielmehr haben die Meinungsäußerungsfreiheit und das aus ihr folgende Recht der Verbreitung von Meinungen keinen spezifischen Raumbezug. Als Individualrecht steht sie dem Bürger vom Grundsatz her überall dort zu, wo er sich jeweils befindet.“ (Rn. 97f.)
II. Eingriff
(+)
III. Rechtfertigung
1. Schranke
Art. 5 Abs. 2 GG – „allgemeine Gesetze“ Sonderrechts- oder Abwägungslehre? h.M.: beides. §§ 903, 1004 BGB? (+)
2. Schranken-Schranke
„Nach diesen Maßstäben ist die Beklagte nicht generell daran gehindert, zur Gewährleistung der Funktionsfähigkeit des Flughafenbetriebs in bestimmten Bereichen wie beispielsweise auf der Luftseite hinter den Sicherheitskontrollen oder im Bereich von Rollbändern das Verteilen von Flugblättern erlaubnispflichtig zu machen oder gegebenenfalls auch ganz zu untersagen. Demgegenüber ist ein Verbot von Meinungskundgaben überhaupt oder auch eine umfassende Erlaubnispflicht, die das bloße Verteilen von Flugblättern einschließt, jedenfalls in den Bereichen, die als Räume öffentlicher Kommunikation ausgestaltet sind, unverhältnismäßig. [.. wie bei Fußgängerzonen…]“ (Rn. 106)
C. Ergebnis
Die Beschwerdeführerin ist in ihren Grundrechten aus Art. 5 und 8 GG verletzt. Die Verfassungsbeschwerde ist begründet.
Lief bereits gestern in der mündlichen. Also heiß!
Ja, ich saß vorgestern in der Mündlichen und die Entscheidung wurde ganze 20 von 30 Minuten abgeprüft! Ein Glück, dass ich am Tag vorher das Urteil noch auszugsweise gelesen hatte ;-9
Kam heute in BaWü in der 1.ÖffR
Wieso ist das eine Versammlung unter freiem Himmel?!
Weil Du den Begriff nicht wörtlich nehmen darfst. Es kommt auf die Öffentlichkeit des Versammlungsortes an.