• Suche
  • Lerntipps
    • Examensvorbereitung
    • Fallbearbeitung und Methodik
    • Für die ersten Semester
    • Mündliche Prüfung
  • Examensreport
    • 2. Staatsexamen
    • Baden-Württemberg
    • Bayern
    • Berlin
    • Brandenburg
    • Bremen
    • Hamburg
    • Hessen
    • Lösungsskizzen
    • Mecklenburg-Vorpommern
    • Niedersachsen
    • Nordrhein-Westfalen
    • Rheinland-Pfalz
    • Saarland
    • Sachsen
    • Sachsen-Anhalt
    • Schleswig-Holstein
    • Thüringen
    • Zusammenfassung Examensreport
  • Interviewreihe
    • Alle Interviews
  • Rechtsgebiete
    • Strafrecht
      • Klassiker des BGHSt und RGSt
      • StPO
      • Strafrecht AT
      • Strafrecht BT
    • Zivilrecht
      • AGB-Recht
      • Arbeitsrecht
      • Arztrecht
      • Bereicherungsrecht
      • BGB AT
      • BGH-Klassiker
      • Deliktsrecht
      • Erbrecht
      • Familienrecht
      • Gesellschaftsrecht
      • Handelsrecht
      • Insolvenzrecht
      • IPR
      • Kaufrecht
      • Kreditsicherung
      • Mietrecht
      • Reiserecht
      • Sachenrecht
      • Schuldrecht
      • Verbraucherschutzrecht
      • Werkvertragsrecht
      • ZPO
    • Öffentliches Recht
      • BVerfG Leitentscheidungen & Klassiker
      • Baurecht
      • Europarecht
      • Europarecht Klassiker
      • Kommunalrecht
      • Polizei- und Ordnungsrecht
      • Staatshaftung
      • Verfassungsrecht
      • Versammlungsrecht
      • Verwaltungsrecht
      • Völkerrrecht
  • Rechtsprechungsübersicht
    • Strafrecht
    • Zivilrecht
    • Öffentliches Recht
  • Karteikarten
    • Strafrecht
    • Zivilrecht
    • Öffentliches Recht
  • Suche
  • Menü Menü
Du bist hier: Startseite1 > Art. 8 GG

Schlagwortarchiv für: Art. 8 GG

Dr. Yannick Peisker

Versammlungsfreiheit: Auch die Infrastruktur unterfällt dem Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG

Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Startseite, Tagesgeschehen, Verfassungsrecht, Versammlungsrecht

Das BVerwG (Az. 6 C 9.20) befasste sich erneut mit dem Umfang der prüfungsrelevanten Versammlungsfreiheit. Es hatte zu prüfen, ob auch die infrastrukturellen Einrichtungen eines Protestcamps dem Schutzgehalt des Art. 8 Abs. 1 GG unterfallen. Erstmals stand nun eine höchstrichterliche Entscheidung an, nachdem die Vorinstanz Art. 8 Abs. 1 GG für einschlägig erachtete. Eine Entscheidung des BVerfG steht in diesen Fällen noch aus, es ließ in sämtlichen Eilentscheidungen eine abschließende Bewertung offen und bezeichnete dies ausdrücklich als weitgehend ungeklärt. Die Examensrelevanz dürfte daher nicht zu unterschätzen sein, bietet sich die Versammlungsfreiheit aufgrund der besonderen grundrechtlichen Verschränkungen mit dem Polizei- und Ordnungsrecht in zahlreichen Fallgestaltungen an.

I. Die zu entscheidende Sachlage

Die Klägerin meldete im August 2017 ein Klimacamp als öffentliche Versammlung unter freiem Himmel bei dem Polizeipräsidium Aachen an. Es ordnete auf Grundlage des § 15 VersG eine Ortsauflage an und wies einen benachbarten Sportplatz als Versammlungsfläche zu, dort durften Übernachtungszelte errichtet werden. Nachdem der Sportplatz belegt war, mietete die Klägerin privat ein Feld als weitere Fläche an und informierte die zuständige Behörde. Mit einer nach Beginn der Versammlung erlassenen weiteren Verfügung wurde dieses Feld als Versammlungsfläche abgelehnt, es bestehe kein Grund, diese Fläche dem vorsorglich als Versammlung bewerteten Klimacamp zugehörig zu erklären.

Hiergegen erhob die Klägerin Klage auf Feststellung, dass die Verfügung des Polizeipräsidiums Aachen rechtswidrig gewesen sei, soweit das Feld als Versammlungsfläche abgelehnt worden sei. Das VG Aachen hatte die Klage zunächst abgewiesen, das OVG Münster hat auf die Berufung hin die Entscheidung in Form eines Beschlusses nach § 130a VwGO geändert und dem Feststellungsantrag entsprochen. Nunmehr stand die Entscheidung des BVerwG über die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils an.

Die zulässige Revision wurde durch das BVerwG jedoch als unbegründet verworfen. Ausführungen zur Zulässigkeit können Sie hier nachlesen (Az. beim BVerwG 6 C 9.20). Vielmehr soll sich auf den wesentlichen materiellen Inhalt der Entscheidung beschränkt werden. Dies ist zum einen die Frage, ob das Klimacamp selbst eine Versammlung iSd. Art. 8 Abs. 1 GG war und darüber hinaus, ob auch die für das Klimacamp vorgesehenen Schlafplätze auf dem angemieteten Feld als infrastrukturelle Einrichtung vom Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG erfasst werden.

II. Protestcamps als Versammlung iSd. Art. 8 Abs. 1 GG

Bei einem Klimacamp handelt es sich um eine erst seit jüngerer Zeit auftretende Form des kollektiven Protests. Diese Protestcamps werden insbesondere durch ihre zeitliche Dauer geprägt, sie dauern von einigen Tagen bis hin zu mehreren Monaten oder sogar Jahren an. Aufgrund dieser besonderen zeitlichen Lage erwächst, anders als bei zeitlich eng begrenzten Versammlungen, ein spezifisches Bedürfnis nach Infrastruktureinrichtungen, wie etwa Sanitäreinrichtungen, Übernachtungsplätzen und Verpflegungseinrichtungen. Das Bundesverfassungsgericht, welches bisher nur im Eilrechtsschutz mit diesen Camps befasst war, hatte diese als versammlungsrechtlich weitgehend ungeklärt bezeichnet (BVerfG, Beschl. v. 28.6.2017 – 1 BvR 1387/17; Beschl. v. 21.9.2020 – 1 BvR 2152/20; Beschl. v. 30.8.2020 – 1 BvQ 94/20).

Zu der Eigenschaft des Klimacamps als Versammlung schreibt des BVerwG das Folgende:

bb. Vor dem Hintergrund des in Art. 8 GG wurzelnden Rechts des Veranstalters einer Versammlung, selbst unter anderem über deren Zeitpunkt und damit auch über deren Dauer zu bestimmen, sowie dem hieraus weithin abgeleiteten Grundsatz, dass es keine zeitlichen Höchstgrenzen für Versammlungen gibt […], steht allein der Charakter eines Protestcamps als einer auf längere Dauer angelegten Veranstaltung seiner rechtlichen Einordnung als Versammlung grundsätzlich nicht entgegen.

Im Rahmen der außerhalb des Selbstbestimmungsrechts des Veranstalters liegenden, den zuständigen Behörden und ggf. angerufenen Gerichten zustehenden rechtlichen Beurteilung, ob eine Veranstaltung den Versammlungsbegriff erfüllt […], kann eine andere Annahme in dem Fall eines Camps mit einer absehbar sehr langen, etwa auf viele Monate oder gar Jahre angelegten Dauer gerechtfertigt sein. Eine solche extrem lange Dauer kann ein Indiz dafür sein, dass mit dem Camp tatsächlich kein versammlungsspezifischer Zweck verfolgt wird. In diesem Zusammenhang kommt es auf die Erklärungen an, die der Veranstalter bei der Anmeldung oder im Rahmen von anschließenden Kooperationsgesprächen gegenüber der Versammlungsbehörde abgegeben hat. Der Veranstalter eines Protestcamps muss zwar nicht – gleichsam einem Schema gehorchend – mit der Anmeldung ein lückenloses Konzept mit konkreten Programmpunkten vorlegen […]. Seinen Angaben muss sich jedoch nach objektivem Verständnis ein auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteter kommunikativer Zweck entnehmen lassen. Da es sich bei einem Protestcamp um eine Dauerveranstaltung handelt, ist der Veranstalter gehalten, den versammlungsspezifischen Zweck im Sinne einer auf die voraussichtliche Dauer bezogenen Gesamtkonzeption zu substantiieren.

Zur Verhinderung von durch die Dauer eines Protestcamps hervorgerufenen, nicht hinnehmbaren Beeinträchtigungen von Rechten Dritter oder öffentlichen Belangen bedarf es keines Ansetzens an dem Versammlungsbegriff. Denn die Versammlungsbehörde kann das Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters über die Dauer einer als Versammlung zu qualifizierenden Veranstaltung nach § 15 Abs. 1 VersammlG bei einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung in angemessener Weise einschränken. Der Erlass einer die Dauer eines Protestcamps beschränkenden Verfügung stellt ein probates Mittel dar, um unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls eine praktische Konkordanz zwischen dem durch eine solche Veranstaltung ausgeübten Grundrecht der Versammlungsfreiheit und den Rechten Dritter sowie den betroffenen öffentlichen Belangen herzustellen. Dabei erlangen die letztgenannten Rechte und Belange im Rahmen der Abwägung ein umso höheres Gewicht, je länger ein Protestcamp absehbar dauern wird.“

BVerwG Urt. v. 24.5.2022 – 6 C 9.20, BeckRS 2022, 16178 Rn. 22-24

Das durchgeführte Klimacamp ist daher zurecht durch das OVG Münster als Versammlung eingeordnet worden. Unerheblich ist die zeitliche Dauer, diese lässt sich auf Ebene der Interessenabwägung in der Verhältnismäßigkeit berücksichtigen.

III. Schutz der Infrastruktur des Protestcamps

Auch die infrastrukturelle Einrichtung kann dem Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG unterfallen. Maßgeblich für die Zuordnung von infrastrukturellen Einrichtungen ist nach Auffassung des BVerwG, ob ein funktionaler bzw. symbolischer Bezug zur Versammlung selbst besteht. Wann ein solcher Bezug vorliegt, ist hingegen umstritten:

Nach einer Ansicht ist ein derartiger Bezug zu bejahen, wenn eine inhaltliche Verknüpfung der Infrastruktureinrichtung mit der konkreten Meinungskundgabe besteht. Nach anderer Auffassung soll hingegen ausreichend sein, wenn eine solche Einrichtung für die Versammlung logistisch erforderlich ist, ein inhaltlicher Bezug sei damit erst Recht möglich, nicht aber zwingend von Nöten.

Das BVerwG schließt sich mit seiner Entscheidung, wie bereits das OVG Münster, der letztgenannten Ansicht an, dies überzeugt. Denn wenn der Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG in Bezug auf die Versammlung nicht leerlaufen soll, dann müssen auch die infrastrukturellen Einrichtungen geschützt sein, die zur Durchführung der Versammlung logistisch erforderlich sind. Anderenfalls könnte die Versammlung bereits nicht durchgeführt werden. Man stelle sich etwa vor, dass eine mehrstündige Versammlung ohne Toilettenwagen oder Imbissstände durchgeführt wird. Diese sind für die Durchführung der Versammlung letztlich nicht weniger wichtig als das Rednerpult selbst (vgl. VGH Mannheim, Beschl. v. 16.12.1993 – 1 S 1957/93). Durch einen solchen logistischen Bezug zwischen der Einrichtung und der Durchführung der Versammlung selbst wird auch ausgeschlossen, dass Personen, die anderweitige Zwecke verfolgen und die Infrastruktur zu Versammlungszwecken nutzen, in den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG einbezogen werden. Sofern ein solcher Konnex zwischen der Einrichtung und der Durchführbarkeit der Versammlung besteht, ist auch die infrastrukturelle Einrichtung selbst einschließlich ihrer Nutzung vom Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG erfasst.

Auch Schlafplätze und Sanitäreinrichtungen sind für die Durchführung des Protestcamps von zentraler Bedeutung. Sie sind zur Durchführung eines mehrwöchigen Protestcamps logistisch zwingend erforderlich, anderenfalls könnte dieses nicht in der Form stattfinden. Sie unterfallen daher auch unmittelbar dem Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG.

IV. Ausblick: Geplantes Klimacamp in Hamburg

Die Entscheidung des BVerwG stammt zwar bereits aus dem Monat Mai, nichtsdestotrotz hat jüngst die Hamburger Versammlungsbehörde mit Bescheid vom 29. Juli 2022 ein Klimacamp im Stadtpark Hamburg nur mit vielen Auflagen bestätigt. Unter anderem soll – so der Veranstalter laut einem Bericht des Spiegels – das Übernachten sowie die Versorgung mit Essen und Trinken verboten sein, darüber hinaus soll das Camp in einem anderen Stadtpark stattfinden. Derzeit läuft ein Eilverfahren vor dem VG Hamburg, dieses hat die Erwägungen des BVerwG in jedem Falle zu berücksichtigen. Zwar ist Versammlungsrecht Landesrecht, sodass die Landesversammlungsgesetze einschlägig sind, die Ausführungen des BVerwG beziehen sich jedoch explizit auf Art. 8 Abs. 1 GG, welcher ohnehin umfassend durch die zuständigen Landesbehörden zu berücksichtigen ist. Die Ausführungen des BVerwG sind damit aktueller denn je – und werden es auch für die Zukunft sein. Dass das BVerfG den Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG hier reduziert und hinter dem BVerwG zurückbleibt, ist wohl kaum zu erwarten.

05.08.2022/von Dr. Yannick Peisker
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Yannick Peisker https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Yannick Peisker2022-08-05 06:26:052022-08-05 08:15:59Versammlungsfreiheit: Auch die Infrastruktur unterfällt dem Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG
Dr. Yannik Beden, M.A.

Die Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG: Definitionen und Streitstände

Examensvorbereitung, Lerntipps, Öffentliches Recht, Polizei- und Ordnungsrecht, Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Startseite, Versammlungsrecht, Verschiedenes

Das Recht auf Versammlung ist in seiner grundrechtlichen Dimension regelmäßig Prüfungsgegenstand, oftmals werden auch in verwaltungs- bzw. polizeirechtlichen Klausurkonstellationen Kenntnisse zum Versammlungsrecht vorausgesetzt. Einige Problemstellungen zur Versammlungsfreiheit gehören dabei zu „Klausurklassikern“, bei denen von jedem Prüfling Grundkenntnisse bis hin zu vertieften Kenntnissen erwartet werden. Neben den notwendigen Definitionen müssen auch eine Reihe von Meinungsstreitständen zu Problemstellungen, die überdurchschnittlich häufig abgefragt werden, bekannt sein. Der nachstehende Beitrag gibt einen Überblick zu den klausur- bzw. examensrelevantesten Definitionen und zeigt zudem – nicht abschließend – die wichtigsten Streitstände mit kurzen Erläuterungen zu den jeweils vertretenen Ansichten in Rechtsprechung und Literatur auf.
I. Definitionen
1. Versammlung
(1) Enger Versammlungsbegriff (BVerfG): Nach dem engen Versammlungsbegriff, den das BVerfG vertritt, ist eine Versammlung eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zwecks gemeinschaftlicher Erörterung und Kundgebung mit dem Ziel der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung (BVerfG v. 12.7.2001 – 1 BvQ 28/01 und BvQ 30/01, NJW 2001, 2459 (2460)).  
(2) Erweiterter Versammlungsbegriff: Nach dem erweiterten Versammlungsbegriff bedeutet Versammlung eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zwecks gemeinschaftlicher Meinungsbildung und Meinungsäußerung (so noch BVerwG v. 21.4.1989 – 7 C 50/88, NJW 1989, 2411 (2412)).
→ Im Gegensatz zum engen Versammlungsbegriff muss die kollektive Meinungsbildung nicht auf öffentliche Angelegenheiten gerichtet sein.
(3) Weiter Versammlungsbegriff: Nach dem weiten Versammlungsbegriff versteht man unter einer Versammlung eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen, zwischen denen durch einen gemeinsamen Zwecke eine innere Verbindung besteht
→ Der weite Versammlungsbegriff verzichtet auf das Merkmal der kollektiven Meinungsäußerung und Meinungsbildung und lässt jede Art von Verbundenheit der Teilnehmer ausreichen.
2. Friedlich
Friedlich ist eine Versammlung, die keinen gewalttätigen bzw. aufrührerischen Verlauf annimmt oder von vornherein auf die Begehung von Straftaten ausgerichtet ist. Entscheidend sind im Zweifel das Verhalten der Versammlungsleitung und/oder die Mehrzahl der Versammlungsteilnehmer.
3. Ohne Waffen
Die Versammlung findet ohne Waffen statt, wenn keine Waffen im Sinne von § 1 Abs. 2 WaffG mitgeführt werden und auch keine gefährlichen Werkzeuge, die zum Zwecke des Einsatzes mitgeführt werden, vorhanden sind.
4. Unter freiem Himmel
Die Begrifflichkeit aus dem allgemeinen Gesetzesvorbehalt nach Art. 8 Abs. 2 GG ist nicht wortwörtlich zu verstehen. Vielmehr muss nach Sinn und Zweck zwischen Versammlungen unter freiem Himmel und solchen in geschlossenen Räumlichkeiten differenziert werden: Die Versammlung „unter freiem Himmel“ birgt vergleichsweise eher die Gefahr einer unmittelbaren Konfrontation mit Unbeteiligten, sie hat ein größeres Konfliktpotential mit Blick auf Rechte Dritter. Die Versammlung in geschlossenen Räumen ruft hingegen üblicherweise weniger regelungsbedürftige Konflikte hervor. Entscheidend ist deshalb für die Versammlung unter freiem Himmel, dass eine erhöhte Gefährlichkeit dadurch besteht, dass ein unkontrollierter Zugang grundsätzlich für jedermann möglich ist. Davon ist auszugehen, wenn keine Eingangs- bzw. Zugangskontrollen existieren.
II. Problemstellungen / Streitstände
Im Zusammenhang mit der Versammlungsfreiheit werden einige Problemfälle wiederkehrend abgefragt. Oftmals geht es dabei nur um verfassungsrechtliche Spezifika, teilweise werden auch versammlungsrechtsspezifische Fragestellungen aufgeworfen. Die nachstehenden Klausurkonstellationen sind – ohne dass man sich in der Vorbereitung hierauf beschränken sollte – diejenigen, die jedem Prüfling für eine erfolgreiche Fallbearbeitung bekannt sein sollten.
1. Unmittelbare Grundrechtsbindung Privater
Ein echter Klausurklassiker dürfte mittlerweile die Fraport Entscheidung des BVerfG v. 22.2.2011 – 1 BvR 699/06, NJW 2011, 1201 sein. Zwei der zentralen Rechtsfragen des Urteils sind die Grundrechtsbindung öffentlich beherrschter (privater) Unternehmen sowie das Verständnis des Forums, das für die Versammlung genutzt wird.
Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt (aus dem Urteil entnommen) zugrunde:

Der Flughafen Frankfurt a. M. wird von der Fraport-AG, der Bekl. des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Bekl.), betrieben, in deren Eigentum auch das Flughafengelände steht. Zum Zeitpunkt des den Anlass für den Zivilrechtsstreit bildenden „Flughafenverbots“ gegenüber der Bf. im Jahr 2003 besaßen das Land Hessen‚ die Stadt Frankfurt a. M. und die Bundesrepublik Deutschland zusammen circa 70% der Aktien, während sich der Rest in privater Hand befand. Seit dem Verkauf der Bundesanteile halten das Land Hessen und die Stadt Frankfurt a. M., Letztere über eine 100%-ige Tochter, zusammen nunmehr rund 52% der Aktien. Die übrigen Anteile befinden sich in privatem Streubesitz. Bei Verhängung des Meinungskundgabe- und Demonstrationsverbots befanden sich auf dem Flughafen Frankfurt a. M. sowohl auf der „Luftseite“, dem nur mit Bordkarte zugänglichen Bereich hinter den Sicherheitskontrollen, als auch auf der „Landseite“, dem ohne Bordkarte zugänglichen Bereich vor den Sicherheitskontrollen, eine Vielzahl von Läden und Serviceeinrichtungen sowie eine Reihe von Restaurants, Bars und Cafés.
Die Benutzung des Flughafengeländes durch Flugpassagiere und andere Kunden regelte die Bekl. durch die vom Land Hessen genehmigte Flughafenbenutzungsordnung in der für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Fassung vom 1. 1. 1998. Diese enthielt in Teil II (Benutzungsvorschriften) unter anderem folgende Bestimmung:
4.2. Sammlungen, Werbungen, Verteilen von Druckschriften. Sammlungen, Werbungen sowie das Verteilen von Flugblättern und sonstigen Druckschriften bedürfen der Einwilligung des Flughafenunternehmers.
In der derzeit geltenden Fassung vom 1. 12. 2008 erklärt die Flughafenbenutzungsordnung Versammlungen in den Gebäuden des Flughafens ausdrücklich für unzulässig.
Die Bf. betrat gemeinsam mit fünf weiteren Aktivisten der „Initiative gegen Abschiebungen“ am 11. 3. 2003 den Terminal 1 des Flughafens, sprach an einem Abfertigungsschalter Mitarbeiter der Deutschen Lufthansa an und verteilte Flugblätter zu einer bevorstehenden Abschiebung. Mitarbeiter der Bekl. und Einsatzkräfte des Bundesgrenzschutzes beendeten die Aktion. Mit Schreiben vom 12. 3. 2003 erteilte die Bekl. der Bf. ein „Flughafenverbot“ und wies sie darauf hin, gegen sie werde Strafantrag wegen Hausfriedensbruchs gestellt, sobald sie „erneut hier unberechtigt angetroffen“ werde. Mit einem erläuternden Schreiben vom 7. 11. 2003 wies die Bekl. die Bf. unter Verweis auf ihre Flughafenbenutzungsordnung darauf hin, sie dulde „mit uns nicht abgestimmte Demonstrationen im Terminal aus Gründen des reibungslosen Betriebsablaufs und der Sicherheit grundsätzlich nicht“. 

Fraglich war zunächst, ob die Fraport AG als privates Unternehmen überhaupt unmittelbar an die Grundrechte gebunden ist. Ausgangspunkt ist dabei Art. 1 Abs. 3 GG, wonach die Grundrechte Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht binden. Zwischen Bürgern wirken die Grundrechte grundsätzlich nicht unmittelbar, sondern nur im Wege der sog. mittelbaren Drittwirkung, die im Zivilrecht wiederum durch „Einfallstore“ wie Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe stattfindet.
Was gilt aber, wenn ein privatrechtlich organisiertes Unternehmen sowohl im Eigentum Privater, als auch der öffentlichen Hand steht? Das BVerfG stellt in der Fraport Entscheidung fest: „Ein gemischtwirtschaftliches Unternehmen unterliegt dann der unmittelbaren Grundrechtsbindung, wenn es von den öffentlichen Anteilseignern beherrscht wird. Dies ist in der Regel der Fall, wenn mehr als die Hälfte der Anteile im Eigentum der öffentlichen Hand stehen. Insoweit kann grundsätzlich an entsprechende zivilrechtliche Wertungen angeknüpft werden“ (BVerfG v. 22.2.2011 – 1 BvR 699/06, NJW 2011, 1201 (1203)). Auf die konkreten Einwirkungsbefugnisse soll es hingegen nicht ankommen. Die Gegenansicht lehnt eine unmittelbare Grundrechtsbindung des Unternehmens insgesamt ab, vielmehr soll die Grundrechtsbindung und Grundrechtsverpflichtung nur den einzelnen öffentlich-rechtlichen Anteilseigner treffen. Im Übrigen kann danach allenfalls eine mittelbare Drittwirkung von Grundrechten in Betracht kommen. Anknüpfungspunkt für diese Ansicht ist der Wortlaut aus Art. 1 Abs. 3 GG. In tatsächlicher Hinsicht obläge es dann dem öffentlich-rechtlichen Anteilseigner, auf das privatrechtlich organisierte Unternehmen einzuwirken und dadurch seinen grundrechtlichen Pflichten nachzukommen. Vermieden werden soll dadurch in erster Linie eine übermäßige Belastung der privaten Anteilseigner. Dieses Argument wird seitens der Rechtsprechung entkräftet, indem auf die Freiwilligkeit einer Beteiligung am Unternehmen abgestellt wird. Den privatrechtlichen Akteuren stehe es danach frei, sich am Unternehmen zu beteiligen oder nicht, was auch dann gelte, wenn die Eigentumsverhältnisse erst nachträglich durch Eintritt der öffentlichen Hand verändert werden. In der Klausur sind beide Ansichten vertretbar, allerdings wird man mit Blick auf den Aufbau des Gutachtens im Zweifel besser fahren, wenn man der Ansicht des BVerfG folgt.
Zuletzt muss auch mit Blick auf das Forum, in dem eine Versammlung zulässig ist, nach den Vorgaben des BVerfG unterschieden werden: Art. 8 GG berechtigt nicht dazu, Versammlungen überall und uneingeschränkt abzuhalten. Das bedeutet allerdings im Umkehrschluss nicht, dass nur der öffentliche Straßenraum genutzt werden darf. Das Gericht weitet das Grundrecht in seiner örtlichen Dimension aus: „Entsprechendes gilt aber auch für Stätten außerhalb des öffentlichen Straßenraums, an denen in ähnlicher Weise ein öffentlicher Verkehr eröffnet ist und Orte der allgemeinen Kommunikation entstehen. Wenn heute die Kommunikationsfunktion der öffentlichen Straßen, Wege und Plätze zunehmend durch weitere Foren wie Einkaufszentren, Ladenpassagen oder sonstige Begegnungsstätten ergänzt wird, kann die Versammlungsfreiheit für die Verkehrsflächen solcher Einrichtungen nicht ausgenommen werden, soweit eine unmittelbare Grundrechtsbindung besteht oder Private im Wege der mittelbaren Drittwirkung in Anspruch genommen werden können. Dies gilt unabhängig davon, ob die Flächen sich in eigenen Anlagen befinden oder in Verbindung mit Infrastruktureinrichtungen stehen, überdacht oder im Freien angesiedelt sind.“ (BVerfG v. 22.2.2011 – 1 BvR 699/06, NJW 2011, 1201 (1204)).
2. Spontanversammlungen
Versammlungen sind nicht immer von langer Hand geplant, sie können auch spontan, etwa aufgrund eines aktuellen, möglicherweise unerwarteten Geschehens entstehen. Die Versammlungsfreiheit gem. Art. 8 GG schützt auch solche Versammlungen. § 14 Abs. 1 VersG sieht nun vor, dass öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel spätestens 48 Stunden vor Bekanntgabe bei der zuständigen Behörde unter Angabe des Gegenstands der Versammlung anzumelden sind.
Das Spannungsverhältnis zwischen Spontanversammlungen und der Anmeldepflicht aus § 14 Abs. 1 VersG muss im Wege der verfassungskonformen Auslegung gelöst werden: Die Pflicht zur rechtzeitigen Anmeldung von Spontanversammlungen bzw. Spontandemonstrationen entfällt, sofern sich diese aus aktuellem Anlass augenblicklich ergeben. Die versammlungsrechtlichen Bestimmungen sind auf Spontanversammlungen nach der Rechtsprechung des BVerfG nicht anwendbar, „soweit der mit der Spontanveranstaltung verfolgte Zweck bei Einhaltung dieser Vorschriften nicht erreicht werden könnte. Ihre Anerkennung trotz Nichtbeachtung solcher Vorschriften lässt sich damit rechtfertigen, dass Art. 8 Abs. 1 GG grundsätzlich die Freiheit garantiert, sich “ohne Anmeldung oder Erlaubnis” zu versammeln, dass diese Freiheit zwar nach Absatz 2 für Versammlungen unter freiem Himmel auf gesetzlicher Grundlage beschränkbar ist, dass solche Beschränkungen aber die Gewährleistung des Absatz 1 nicht gänzlich für bestimmte Typen von Veranstaltungen außer Geltung setzen dürfen, dass vielmehr diese Gewährleistung unter den genannten Voraussetzungen von der Anmeldepflicht befreit.“ (BVerfG Beschl. v. 14.5.1985 – 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81, NJW 1985, 2395 (2397)). 
3. Hervorrufen gewaltbereiter Gegendemonstration
Verursacht eine Versammlung eine Gegendemonstration, kollidieren regelmäßig verfassungsrechtlich geschützte Güter. Das Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters hinsichtlich des Ortes der Versammlung ist im Ausgangspunkt zwar von Art. 8 GG geschützt, allerdings kann es durch Rechte Dritter beschränkt sein. Die gegenläufigen Interessen müssen dabei austariert werden. Trifft eine Veranstaltung auf eine Gegendemonstration und sind damit Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung  – etwa aufgrund Konfrontationsgefahren – verbunden, so ist der zuerst angemeldeten Versammlung grundsätzlich Priorität einzuräumen (VGH München v. 16.9.2015 – 10 CS 15.2057). Etwas anderes gilt jedoch, wenn wichtige Gründe wie etwa die besondere Bedeutung des Ortes und des Zeitpunktes für die Verfolgung des jeweiligen Versammlungszwecks für eine andere Vorgehensweise sprechen. Maßgebend ist der Prioritätsgrundsatz jedenfalls, wenn die später angemeldete Versammlung allein oder überwiegend den Zwecke verfolgt, die zuerst angemeldete Versammlung an einem bestimmten Ort zu verhindern (BVerfG Beschl. v. 6.5.2005 – 1 BvR 961/05, NVwZ 2005, 1055 (1055)).
4. Auflösen der Versammlung bei einzelnen unfriedlichen Teilnehmern
Probleme bereiten Versammlungen oftmals, wenn sie zwar in ihrer Gesamtheit keinen aufrührerischen bis hin zu einem gewalttätigen Verlauf nehmen, allerdings einzelne Teilnehmer der Veranstaltung unfriedliches Verhalten aufweisen. Das Spannungsverhältnis ergibt sich daraus, dass diejenigen Teilnehmer der Versammlung, die sich friedlich verhalten, nicht in ihren verfassungsrechtlichen geschützten Positionen durch unfriedliches Verhalten anderer Teilnehmer beeinträchtigt bzw. beschränkt werden sollen. Das BVerfG geht davon aus, dass die Versammlungsfreiheit auch dann geschützt werden muss, wenn mit Ausschreitungen durch einzelne Teilnehmer oder eine Minderheit zu rechnen ist. Das gilt jedenfalls, soweit nicht zu befürchten ist, dass die Veranstaltung im Ganzen einen unfriedlichen Verlauf annehmen wird. Ein präventives Verbot der gesamten Versammlung ist nur unter Zugrundelegung eines strengen Maßstabs an die Gefahrenprognose möglich. Erforderlich ist deshalb eine „hohe Wahrscheinlichkeit“ des Schadenseintritts (vgl. Drosdzol, JuS 1983, 414 (415)). Zudem müssen alle sonstigen in Betracht kommenden Mittel zuvor ausgeschöpft worden sein (vgl. insgesamt hierzu BVerfG Beschl. v. 14.5.1985 – 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81, NJW 1985, 2395).   
5. Versammlungen mit musikalischen/künstlerischen Elementen
Sind politisch motivierte Veranstaltungen, die auch musikalische Darbietungen und kommerzielle Elemente enthalten, unter den Schutz der Versammlungsfreiheit zu fassen? Mit dieser Fragestellung befasste sich u.a. das VG Hannover, Beschl. v. 8.11.2013 – 10 B 7448/13. Bei einer dem linken Spektrum zuzuordnenden mit dem Leitthema „Für ein menschenwürdiges Leben – Gegen Sozialabbau und Behördenwillkür“ fanden neben Reden und Diskussion zu politischen Inhalten auch öffentliche Konzerte sowie der Verkauf von CDs und Merchandise Produkten statt. Legt man den engen Versammlungsbegriff des BVerfG an, ist fraglich, ob in einer solchen Konstellation noch von einer gemeinschaftlichen Erörterung und Kundgebung mit dem – ausschließlichen – Ziel der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gesprochen werden kann. Nach der Rechtsprechung bedarf es einer Schwerpunktbetrachtung: Der Schutz von Art. 8 GG entfällt jedenfalls dann, wenn die musikalischen und kommerziellen Bestandteile der Veranstaltung den eigentlichen Zweck – Einflussnahme auf die öffentliche Meinungsbildung – „an den Rand drängen“. Andererseits ist es nicht unüblich und für die Durchsetzung der kollektiven Meinungsbildung sogar oftmals förderlich, wenn Inhalte der Versammlung durch musikalische Begleitung unterstützt bzw. verstärkt werden. Dies gilt umso mehr, wenn die musikalische Darbietung einen Kontext zur politischen Diskussion aufweist.
 
Facebook: juraexamen.info
Instagram: @juraexamen.info

18.03.2019/0 Kommentare/von Dr. Yannik Beden, M.A.
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Yannik Beden, M.A. https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Yannik Beden, M.A.2019-03-18 09:30:192019-03-18 09:30:19Die Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG: Definitionen und Streitstände
Dr. Yannik Beden, M.A.

Mündliche Prüfung: Tornado-Kampfjet über Demonstrantenlager

Examensvorbereitung, Fallbearbeitung und Methodik, Lerntipps, Mündliche Prüfung, Öffentliches Recht, Öffentliches Recht, Polizei- und Ordnungsrecht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?, Startseite, Versammlungsrecht

Anknüpfend an unsere Simulation einer mündlichen Examensprüfung im Strafrecht aus der letzten Woche soll diese Woche das Öffentliche Recht im Fokus stehen. Mit seinem Urteil vom 25.10.2017 – 6 C 46/16, NJW 2018, 716 hat sich das BVerwG zu besonders praxis- und examensrelevanten Fragestellungen des Polizeirechts sowie Versammlungsrechts geäußert. Neben klassischen Problemstellungen wie der Polizeifestigkeit des Versammlungsrechts und der Zulässigkeit von Gefahrerforschungsmaßnahmen bietet die Entscheidung auch Anlass, grundrechtlichen Fragestellungen vertieft nachzugehen. Zudem lässt sich der Fall – wie in der mündlichen Prüfung im Öffentlichen Recht üblich – problemlos prozessual einkleiden:  
Sehr geehrte Damen und Herren, bitte stellen Sie sich folgenden Sachverhalt vor, der einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom Herbst letzten Jahres zugrunde lag:
Vom 6. bis 8. Juni 2007 findet in Heiligendamm das jährliche Gipfeltreffen der acht großen Industriestaaten (G8) statt. In Abstimmung mit dem Innenministerium soll die Bundeswehr der Landespolizei unterstützende Hilfeleistungen im Rahmen der Vorbereitung des Gipfeltreffens erbringen. Zu diesem Zwecke führt die Bundeswehr im Mai 2007 mehrere Aufklärungsflüge durch. Diverse Überflüge in der Umgebung des Austragungsortes finden statt, bei denen Infrarot- und optische Kameras zu Anfertigung von Luftbildaufnahmen eingesetzt werden. Diese sollen mögliche Erddepots erkennen sowie etwaige Manipulationen an wichtigen Straßenzügen erfassen. Am 29. Mai 2007 errichten Gegner des Gipfeltreffens in der Gemeinde Reddelich ein Camp für die Unterkunft von bis zu 5000 Personen, die an Protestaktionen teilnehmen wollen. Teilnehmerin A hält sich vom 1. bis 6. Juni 2007 in diesem Camp auf und nahm von dort aus an diversen Veranstaltungen und Versammlungen im Zusammenhang zum G8 Gipfel in Heiligendamm teil.
Am 5. Juni 2007 überfliegt ein Kampfflugzeug der Bundeswehr vom Typ Tornado gegen 10:30 Uhr das Camp. A befindet sich zu dieser Zeit auch im Lager. Aufgrund der Witterungsbedingungen beträgt die Flughöhe lediglich ca. 114 Meter. Die Kampfflugzeuge verursachen zudem einen beträchtlichen Lärm, der von allen im Camp anwesenden Teilnehmer deutlich zu hören ist. Während des Überflugs werden Aufnahmen durch Kameras angefertigt, die an dem Kampfflugzeug befestigt sind. 19 Luftbilder werden anschließend durch Bundeswehrmitarbeiter für polizeiliche Zwecke ausgewählt und zur Auswertung an die Polizeidirektion zur Auswertung übermittelt. Bei einem Teil der Aufnahmen handelt es sich um Übersichtsaufnahmen und Ausschnittsvergrößerungen, auf denen das Camp Reddelich sowie Personengruppen abgebildet sind, die sich dort aufhalten.
A ist empört über die Vorkommnisse und möchte gerichtlich geklärt wissen, dass der Überflug des Kampfjets am 5. Juni 2007 sowie die Fertigung, Weitergabe und Verwertung der Bildaufnahmen sie in ihren Rechten verletzt.   
Herr Hoprecht, die Demonstrationsteilnehmerin A möchte nun gegen den Tiefflug des Kampfflugzeugs gerichtlich vorgehen. Ist der Weg zum Verwaltungsgericht eröffnet?
Mangels einer aufdrängenden Sonderzuweisung richtet sich die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs nach § 40 Abs. 1 VwGO. Es müsste sich zunächst um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nicht verfassungsrechtlicher Art handeln. Nach der sog. modifizierten Subjektstheorie ist eine Streitigkeit öffentlich-rechtlicher Natur, wenn die streitentscheidenden Normen dem Öffentlich Recht zuzuordnen sind. Das ist der Fall, wenn die Norm stets einen Träger öffentlicher Gewalt in seiner Funktion berechtigt oder verpflichtet. Streitentscheidend sind die Generalklausel des Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (hier § 13 MVSOG) und Art. 8 Abs. 1 GG. Erstere Norm berechtigt und verpflichtet stets die Polizeibehörde als Träger öffentlicher Gewalt, Art.8 Abs. 1 GG verpflichtet jedenfalls Träger öffentlicher Gewalt, vgl. Art. 1 Abs. 3 GG. Dies gilt auch für Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art 1 Abs. 1 GG (Recht auf informationelle Selbstbestimmung). Mangels doppelter Verfassungsunmittelbarkeit ist die Streitigkeit zudem nichtverfassungsrechtlicher Art. Eine abdrängende Sonderzuweisung ist nicht ersichtlich, sodass der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist.  
Herr Obermüller, welche Klage ist in unserem Fall statthaft?
In Betracht kommt eine Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO. Mit dieser kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden. Unter einem Rechtsverhältnis sind dabei rechtliche Beziehungen zu verstehen, die sich aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Norm für das Verhältnis von Personen untereinander oder einer Person zu einer Sache ergeben. Die Anwendung der Rechtsnorm auf einen bestimmten Sachverhalt muss zudem zwischen den Beteiligten streitig sein.
Zum Zeitpunkt, zu dem der Kampfjet über das Camp flog, hielt sich A in diesem auf. Zu diesem Zeitpunkt wurden auch Aufnahmen durch die am Flugzeug befestigten Kameras angefertigt, welche anschließend an die Polizei übermittelt wurden. Dieser Sachverhalt ist im Hinblick auf die möglicherweise berührten Grundrechte aus Art. 8 Abs. 1 sowie Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geeignet, im Sinne eines nach § 43 Abs. 1 VwGO feststellungsfähigen Rechtsverhältnisses rechtliche Beziehungen zwischen der Polizeibehörde, der die beschriebenen Handlungen zuzurechnen sind, und der A zu begründen.
Wie sieht es mit der Klagebefugnis der A aus, Herr Wormser?
In analoger Anwendung von § 42 Abs. 2 VwGO müsste die A auch klagebefugt sein. Klagebefugt ist danach, wer durch das Handeln der Behörde möglicherweise in seinen subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt ist. Es lässt sich nicht von vornherein ausschließen, dass der Tiefflug des Tornado Kampfjets über dem Camp, in dem sich die A befand, diese in ihren grundrechtlichen geschützten Rechtspositionen aus Art. 8 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verletzt. A ist demnach klagebefugt.
Herr Hoprecht, kommen wir kurz zum Feststellungsinteresse der A.
Das berechtigte Interesse i.S.v. § 43 Abs. 1 VwGO schließt jedes als schutzwürdig anzuerkennendes Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder auch ideeller Art ein. Entscheidend ist, dass die gerichtliche Feststellung geeignet ist oder jedenfalls erscheint, die Rechtsposition der Klägerin in diesen Aspekten zu verbessern. Ausreichend ist dabei, wenn die Art des mit der Klage gerügten Eingriffs die Anerkennung eines Feststellungsinteresses erfordert, also insbesondere, wenn die unmittelbare Belastung, die durch den in Rede stehenden Hoheitsakt erfolgte, sich auf eine Zeitspanne beschränkte, in der die Entscheidung des Gerichts gar nicht oder nur kaum zu erlangen gewesen wäre. Dies ist mit Blick auf die kurze Zeitspanne, in dem der Tiefflug des Kampfflugzeugs stattfand sowie einer möglichen Vorwirkung des aus Art. 8 Abs. 1 GG resultierenden Schutzes der Fall. Auf eine Wiederholungsgefahr oder ein Rehabilitationsinteresse kommt es nicht an.  
So ist es. Das soll uns für den prozessrechtlichen Teil erst einmal genügen. Kommen wir zur Begründetheit der Klage. Sie dürfen im Folgenden davon ausgehen, dass die Aufklärungsflüge der Bundeswehr der zuständigen Landespolizeibehörde als Unterstützungsleistung zugerechnet werden. Art. 87a II GG lassen wir vor außen vor. Herr Wabschke, auf welche Norm ließe sich die Maßnahme wohl stützen?
In Betracht kommt die polizeirechtliche Generalklausel, in Mecklenburg-Vorpommern also § 13 MVSOG. Danach haben die Polizei- und Ordnungsbehörden im Rahmen der geltenden Gesetze die nach pflichtgemäßem Ermessen notwendigen Maßnahmen zu treffen, um von der Allgemeinheit oder dem Einzelnen Gefahren abzuwehren, durch die die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedroht wird. Allerdings könnte es sich bei dem Demonstrantencamp auch um eine Versammlung handeln, sodass an eine Anwendung des VersG zu denken ist. Nach dem Grundsatz der Polizeifestigkeit des Versammlungsrechts wird das allgemeine Polizeirecht bei Maßnahmen gegen Versammlungen grundsätzlich durch die spezielleren Regelungen des VersG verdrängt.  
Da sprechen Sie einen guten Punkt an. Handelt es sich denn bei dem Demonstrantencamp um eine Versammlung?
Nach der Rechtsprechung des BVerfG handelt es sich bei Versammlungen um örtliche Zusammenkünfte mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung. Maßgeblich ist dabei, dass die Meinungsbildung und –Äußerung mit dem Ziel stattfinden, auf die Öffentlichkeit einzuwirken. Hinsichtlich des Camps mag es zwar durchaus möglich erscheinen, dass teilweise mit an den G8 Gipfel gerichtete Protestanliegen kommunikative Anliegen und Aktivitäten stattfanden. Zum Zeitpunkt der Flugaktivitäten durch den Tornado Kampfjet geschah dies jedoch nicht. Das Camp in Reddelich war demnach als solches keine Versammlung.
Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit ist jedoch in zeitlicher Hinsicht nicht auf die Durchführung der Versammlung begrenzt. Vielmehr entfaltet es bereits im Vorfeld schützende Wirkung. Art. 8 Abs. 1 GG schützt deshalb auch den Vorgang des Sichversammelns, mithin auch den Zugang sowie die Abreise zu einer Versammlung. Der Aufenthalt im Camp stand in unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang zu Demonstrationen, die anlässlich des Gipfeltreffens stattfinden sollen bzw. stattgefunden haben. Da auch keine alternativen Unterbringungsmöglichkeiten ersichtlich sind, war der Aufenthalt im Camp Reddelich zwingend, um an den Protesten teilnehmen zu können. Unter diesen Umständen schützt Art. 8 Abs. 1 GG bereits den Vorgang des Versammelns im Camp.
Was bedeutet das nun für unsere Ermächtigungsgrundlage, Herr Hoprecht?
Die polizeirechtliche Generalklausel umfasst nicht nur Maßnahmen, die auf die Beseitigung einer aus der ex-ante Perspektive zu bestimmenden konkreten Gefahr gerichtet sind. Ebenso zulässig sind sog. Gefahrerforschungsmaßnahmen. Diese zeichnen sich durch ihren vorläufigen Charakter aus und dienen der Aufklärung bzw. Wissensbeschaffung zur Vorbereitung weiterer polizeilicher Maßnahmen. Der Tiefflug, verbunden mit der Anfertigung von Bildaufnahmen, lässt sich als Teilakt einer Gefahrerforschungsmaßnahme der Bundeswehr, die der Polizeibehörde zuzurechnen ist, qualifizieren.
Sehr richtig, das lässt sich hören! Lassen Sie uns über die grundrechtliche Dimension des Falls sprechen. Herr Obermüller, wird in Art. 8 I GG eingegriffen?
Der Grundrechtsschutz ist nicht auf herkömmliche Eingriffe im Sinne des klassischen Eingriffsverständnisses begrenzt. Nach dem modernen Eingriffsbegriff können auch mittelbar faktische Beeinträchtigungen, die eine Ausübung grundrechtlich geschützten Verhaltens erschweren oder unmöglich machen, als Eingriff zu qualifizieren sein. Ein faktischer Eingriff in die Versammlungsfreiheit kann danach auch angenommen werden, wenn eine staatliche Maßnahme einschüchternd oder abschreckend wirkt oder geeignet ist, die freie (kollektive) Willensbildung und die Entschlussfreiheit der Personen, die sich versammlungsspezifisch betätigen, zu beeinflussen.
Blickt man auf die extreme Lärmentfaltung und den durchaus bedrohlichen Anblick der Tornado Kampfflugzeuge sowie der witterungsbedingten Tiefe, auf der die Jets flogen, ist von einem mittelbar faktischen Eingriff in Art. 8 Abs. 1 GG auszugehen. Gleiches ergibt sich aus der Überraschungswirkung des Tiefflugs sowie des engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhangs zu den geplanten Demonstrationen.  
À la bonne heure, Herr Obermüller! Ein durchschnittlicher Bürger würde bei diesem angsteinflößenden Erscheinungsbild sicherlich erschrecken. Herr Wabschke, wir gehen zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung des Eingriffs über.
Die Art und Weise der Durchführung der polizeilichen Gefahrerforschungsmaßnahme unter Berücksichtigung der konkreten Umstände muss dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Die Maßnahme muss einen legitimen Zweck verfolgen, hierzu geeignet, erforderlich und angemessen sein.
Der Überflug des Camps unter Verwendung von Kameras zur Aufnahme von diversen Bildaufnahmen beabsichtigte, festzustellen, ob etwaige Erddepots sowie Manipulationen an den für das Gipfeltreffen relevanten Straßenzügen vorhanden waren. Die Flugeinsätze und die damit verbundene bildliche Erfassung der örtlichen Gegebenheiten förderten die Durchsetzung dieser Zwecke und waren mithin geeignet. Ob mildere, gleich geeignete Mittel bestanden, muss mit Blick auf alternative Möglichkeiten zur Anfertigung der Aufnahmen beantwortet werden. Jedenfalls war es aufgrund der Witterungsbedingungen nicht möglich, die Aufnahmen bei erhöhter Flughöhe anzufertigen. Andere Flugzeugtypen, die eventuell weniger einschüchternd wirken, einsetzbar gewesen wären, kann nicht abschließend beantwortet werden. Bei der Angemessenheit der Maßnahme gilt es, die einschüchternde Wirkung, die der Tiefflug des Kampfflugzeugs auf die potentiellen Demonstrationsteilnehmer haben kann und die damit verbundene Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit der tatsächlichen Gefahrenlage sowie den Handlungsmöglichkeiten der Polizeibehörde gegenüberzustellen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Unterschreitung der Mindestflughöhe von 150 Metern auf Witterungsbedingungen zurückzuführen war, die außerhalb des Machtbereichs der Behörde liegen. Sofern die Polizeibehörde bereits Erkenntnisse über Aktivitäten von Personengruppen im Bereich des Camps hatte, die sich auf die Begehung künftiger gewaltsamer Ausschreitungen beziehen, ist auch dies in die Wertung mit einzubeziehen. Hinsichtlich der Schwere der Grundrechtsbeeinträchtigung ist anzumerken, dass zumindest für Art. 8 Abs. 1 GG ein rein mittelbar faktischer Eingriff vorlag, der hierüber hinaus auf die Vorfeldwirkung des durch die Versammlungsfreiheit vermittelten Schutzes beschränkt war. In der Gesamtbetrachtung war die Maßnahme auch angemessen, die Versammlungsfreiheit der A wurde nicht verletzt.   
Das lässt sich so vertreten. Schön, das soll uns für die Prüfung im Öffentlichen Recht genügen. Wie Sie sehen, ist die Polizeifestigkeit des Versammlungsrechts immer wieder ein praxisrelevantes Problem. Gleiches gilt für den Versammlungsbegriff und die Reichweite von Art. 8 I GG. Der Aufenthalt in einer Unterkunft für potentielle Demonstrationsteilnehmer kann mit Blick auf die Vorwirkung der Versammlungsfreiheit von Art. 8 I GG geschützt sein, wenn eine Teilnahme an der Versammlung ohne die Unterbringungsmöglichkeit schon gar nicht zu realisieren ist. Der Tiefflug von Kampfjets über ein derartiges Demonstrantencamp ist zudem als mittelbar-faktischer Eingriff zu qualifizieren.Wer sich zum Problemfeld des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG im Zusammenhang mit den im Fall angefertigten Bildaufnahmen beschäftigen möchte, sollte die Urteilsanmerkung von Roggan, NJW 2018, 723 lesen. Vielen Dank.
Facebook: juraexamen.info
Instagram: @juraexamen.info
 

10.12.2018/4 Kommentare/von Dr. Yannik Beden, M.A.
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Yannik Beden, M.A. https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Yannik Beden, M.A.2018-12-10 09:00:192018-12-10 09:00:19Mündliche Prüfung: Tornado-Kampfjet über Demonstrantenlager
Lukas Knappe

BVerfG: Notwendigkeit von Ausnahmen vom Stillegebot am Karfreitag

BVerfG Leitentscheidungen & Klassiker, Öffentliches Recht, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Verfassungsrecht

Das BVerfG hat in einem am heutigen Tage veröffentlichen Beschluss ( 1 BVR 458/10) , die Befreiungsfestigkeit des besonderen Stilleschutzes am Karfreitag für unvereinbar mit den Grundrechten erklärt. Zwar sei ein besonderer äußerer Ruhe- und Stilleschutz grundsätzlich nicht unverhältnismäßig, für besondere Fallgestaltungen, in denen eine dem gesetzlichen Stilleschutz zuwiderlaufende Veranstaltung aber dem Schutzbereich der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) oder der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) unterfalle, müsse der Gesetzgeber Ausnahmemöglichkeiten vorsehen. Der Schutz stiller Feiertage ist somit weiterhin zulässig, muss allerdings insbesondere im Hinblick auf die betroffenen Grundrechte aus Art. 4 und 8 GG durch Ausnahmeregelungen auch angemessen ausgestaltet sein.

Sachverhalt

Dem Beschluss liegt die Verfassungsbeschwerde einer als Weltanschauungsgemeinschaft anerkannten Körperschaft des öffentlichen Recht zugrunde, die sich ausweislich ihres Grundsatzprogramms als Gemeinschaft versteht, die die Interessen und Rechte von Konfessionslosen auf der Basis der Aufklärung und des weltlichen Humanismus vertritt. Die Gemeinschaft tritt dabei unter anderem für eine strikte Trennung von Kirche und Staat an. Für den Karfreitag des Jahres 2007 hatte der Beschwerdeführer  zu einer eintrittspflichtigen Veranstaltung in einem Münchener Theater aufgerufen, die unter dem Motto „Religionsfreie Zone München 2007“ stand und unter anderem Filmvorführungen („Atheistische Filmnacht“/„Freigeister-Kino“), ein Pralinenbuffet sowie Erläuterungen der Anliegen und die Vorstellung der Ziele der Weltanschauungsgemeinschaft umfasste. Untersagt wurde allerdings die zum Abschluss der Veranstaltung geplante „Heidenspaß-Party“, die der Beschwerdeführer als „Freigeister-Tanz“ mit einer Rockband angekündigt hatte.

Nach Ansicht der Ordnungsbehörde hätte der letzte Veranstaltungsteil gegen die Vorschriften des Bayerischen Feiertagsgesetzes (FTG) verstoßen. Dieses bestimmt den Karfreitag als „stillen Tag“, an dem über den allgemeinen Sonn- und Feiertagsschutz hinaus öffentliche Unterhaltungsveranstaltungen, die den ernsten Charakter des Tages nicht wahren, sowie musikalische Darbietungen jeder Art in Räumen mit Schankbetrieb verboten sind. Anders als bei den übrigen stillen Tagen, sind Befreiungsmöglichkeiten von diesem Handlungsverboten indes ausgeschloßen. Die vom Beschwerdeführer erhobenen Rechtsbehelfe blieben erfolglos.

Erwägungen des BVerfG

I. Betroffene Grundrechte

Die Ausgestaltung des Ausgestaltung des Karfreitags als stiller Feiertag greift jedenfalls in die grundgesetzlich gewährleistete allg. Handlungsfreiheit (Art. 2 I GG) sowie die  Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) ein, da die werktägliche Geschäftigkeit an diesem Tag grundsätzlich zu ruhen hat. Darüber hinaus betont das BVerfG, dass in besonders gelagerten Fallgestaltungen wie hier, auch die Versammlungsfreiheit (Art. 8 I GG) und die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit (Art. 4 I, II GG), in Form der Weltanschauungsfreiheit, berührt sein können.

2. Rechtfertigung

Diese grundrechtsbeschränkenden Wirkungen sind dem Grunde nach aber durch die verfassungsrechtliche Regelung zum Sonn- und Feiertagsschutz in Art. 140 GG i.V.m. Art. 139 WRV gerechtfertigt, da sie lediglich einen äußeren Ruherahmen schaffen und gerade keine innere Haltung vorschreiben.

a) Gemäß der durch Art. 140 GG inkorporierten Regelung des Art. 139 WRV bleiben der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt. Art. 139 WRV enthält also einen staatlichen Schutzauftrag zur Gewährleistung von Feiertagen. Die Auswahl der Feiertage sowie deren konkrete Ausgestaltung obliegt damit dem Gesetzgeber. Art. 139 WRV beinhaltet somit eine gesetzgeberische Ausgestaltungsbefugnis. Ziel der Regelung sind zunächst die persönliche Ruhe, die Erholung sowie die Zerstreuung.. Gleichzeitig soll aber allen Menschen unabhängig von ihrer religiösen Bindung, in den Worten des BVerfG auch die Möglichkeit zur „seelischen Erhebung“ gegeben werden.

Die Auswahl des Karfreitags als gesetzlicher Feiertag stützt sich somit auf die in Art. 139 WRV vorgesehene Ausgestaltungsbefugnis und ist überdies auch nicht neutralitätswidrig, da der Gesetzgeber dazu befugt ist, auch solche Tage auszuwählen, die aufgrund von Traditionen, kultureller oder weltanschaulich-religiöser Prägung für große Bevölkerungsteile wichtig sind. Darüber hinaus rechtfertigt Art. 139 WRV i.V.m. Art. 140 GG auch die besondere Unterschutzstellung eines ganz bestimmten Feiertages, da der Gesetzgeber zur näheren Ausgestaltung der Feiertage befugt ist und er dementsprechend die Möglichkeit hat, bestimmten Feiertagen eine besonderes Gewicht einzuräumen und über die Arbeitsruhe hinaus auch einen besonderen äußeren Ruhe- und Stilleschutz zu schaffen. Dabei unterliegt die Ausgestaltung aber den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.

b) Nach Auffassung des BVerfG ist die hier in Rede stehende Feiertagsregelung aber aufgrund des Fehlens einer Ausnahmeregelung für besonders gelagerte Ausnahmefälle als unverhältnismäßig einzuordnen: Dabei betonen die Richter allerdings, dass eine Regelung, die das Ziel verfolgt, einen Rahmen bereitzustellen, um sich an kulturelle, geschichtliche und religiöse Grundlagen zu erinnern, aber nicht per se als unverhältnismäßig zu betrachten ist. So komme dem Ruheschutz an Sonn- und Feiertagen ein besonderes Gewicht zu, da dieser durch die Verfassung selbst auferlegt ist und die belastenden Wirkungen, die von dem besonderen Stilleschutz ausgehen, angesichts der Begrenztheit der stillen Feiertage, auch nur von begrenztem Gewicht seien. In Fällen, in denen jedoch andere Grundrechte als die allg. Handlungsfreiheit sowie die Berufsfreiheit berührt sind – insbesondere die Versammlungsfreiheit sowie die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit – ist nach Auffassung der Richter allerdings eine Ausnahme geboten:

Das Verbot stößt hier nicht allein auf ein schlichtes wirtschaftliches Erwerbsinteresse oder allein auf ein Vergnügungs- und Erholungsinteresse von Veranstaltern, Künstlern und potenziellen Besuchern, sondern betrifft wegen der besonderen Bedeutung der Versammlungsfreiheit als wesentliches Element „demokratischer Offenheit“ (vgl. BVerfGE 69, 315 <346>) die Teilhabe am öffentlichen Meinungsbildungsprozess und damit eine ihrerseits für das Gemeinwesen gewichtige grundrechtliche Gewährleistung. Die Durchführung solcher Veranstaltungen stellt den grundsätzlichen Ruhe- und Stilleschutz am Karfreitag nicht gleichermaßen in Frage und hat ein anderes Gewicht. Entsprechendes gilt für Veranstaltungen, die dem Schutz der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit, insbesondere auch in der Ausprägung als Weltanschauungsfreiheit, unterfallen. In diesen Fällen kann sich der besondere Schutz der stillen Tage gegenüber den betroffenen Grundrechten nur nach Maßgabe einer Abwägung im Einzelfall durchsetzen. Maßgeblich ist hierfür insbesondere, in welchem Umfang die Veranstaltung zu konkreten Beeinträchtigungen führt. Auch hier kann im Einzelfall der Ruhe- und Stilleschutz überwiegen und erlaubt dann diese Beschränkungen. Es ist in diesen Fällen jedoch ein schonender Ausgleich zu suchen, der möglichst alle Interessen zur Geltung bringt.

3. Anwendung im konkreten Einzelfall

Die hier vom  Beschwerdeführer geplante „Heidenspaß-Party“ hätte nicht versagt werden dürfen.

a) Zum einen ordnet das BVerfG – obgleich durchaus Zweifel daran bestehen  –  die Party dem  Schutzbereich der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit in ihrer Ausprägung als Weltanschauungsfreiheit zu, da es sich beim Beschwerdeführer um eine Weltanschauungsgemeinschaft handele und vom Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1, 2 GG nicht nur kultische Handlungen sowie die Beachtung und Ausübung religiöser Gebote und Gebräuche, sondern auch die religiöse Erziehung, freireligiöse und atheistische Feiern und andere Äußerungen des religiösen und weltanschaulichen Lebens sowie allgemein die Pflege und Förderung des jeweiligen Bekenntnisses geschützt seien, wobei es maßgeblich auf die Eigendefinition und das Selbstverständnis der jeweiligen Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft ankomme. Der Beschwerdeführer habe hier als atheistische Weltanschauungsgemeinschaft geltend gemacht, dass der Wunsch, am Karfreitag zu tanzen, Element der aktiven Betätigung seines weltanschaulichen Bekenntnisses sei, welches maßgeblich von einer Gottlosigkeit geprägt sei so dass der „Freigeister-Tanz“ im Hinblick auf den ersten Teil der Veranstaltung noch als weltanschauliche Ausrichtung verstanden werden könne. Das BVerfG   überträgt damit seine weite Rechtsprechung zur Religionsausübungsfreiheit auch auf das Forum Externum der Weltanschauungsfreiheit.  Der Beschluss verdeutlicht damit erneut, dass maßgeblich für Art. 4 Abs. 1, 2 GG das ist, was nach dem subjektiven Empfinden als Ausübung der Glaubens- bzw. Weltanschauungsfreiheit anzusehen ist.

b) Darüber hinaus kommt dem Beschwerdeführer nach Auffassung des BVerfG trotz des Zweifels, ob es sich bei der Party im Schwerpunkt nicht um eine  Vergnügungsveranstaltung handelt, auch der Schutz der Versammlungsfreiheit zu. So erstrecke sich der Schutzbereich auch auf solche Veranstaltungen, die  ihre kommunikativen Zwecke unter Einsatz von Musik und Tanz verwirklichen würden, sofern diese  Mittel zur kommunikativen Entfaltung gezielt eingesetzt werden, um auf die öffentliche Meinungsbildung einzuwirken. Von der Versammlungsfreiheit sollen solche Veranstaltungen beispielsweise auch dann erfasst, wenn sie sich dafür einsetzen, dass bestimmte Musik- und Tanzveranstaltungen auch in Zukunft ermöglicht werden. Bei der hier in Rede stehenden Party ist nach Auffassung der Richter zu berücksichtigen, dass diese in ein Gesamtkonzept eingebettet war, das gewichtige Elemente der Meinungskundgabe enthielt und  sie somit als provokative Kundgabe der Zielsetzung der Gemeinschaft, eine strikte Trennung von Kirche  und Staat zu erreichen, angelegt war.

c) Sofern man wie das BVerfG die Party dem Schutzbereich von Art. 4 I, II GG sowie Art. 8 I GG zuordnet, hätten die Behörden eine Abwägung im Einzelfall vornehmen und eine Befreiung erteilen müssen. Dafür spricht, dass die Veranstaltung in einem geschlossenen Raum stattfinden sollte und an dem konkreten Ort auch nur geringe Auswirkungen auf den öffentlichen Ruhe- und Stillecharakter des Tages gehabt hätte. Zudem hätte die Ordnungsbehörden auch gerade die Möglichkeit gehabt, dies durch Auflagen sicherzustellen. Schließlich  konnte die Veranstaltung angesichts des thematischen Bezuges auch gerade nur an dem entsprechenden Tag abgehalten werden.

 
 

01.12.2016/0 Kommentare/von Lukas Knappe
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Lukas Knappe https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Lukas Knappe2016-12-01 09:41:562016-12-01 09:41:56BVerfG: Notwendigkeit von Ausnahmen vom Stillegebot am Karfreitag
Dr. Christoph Werkmeister

Aktuelle verwaltungsrechtliche Themen

Öffentliches Recht, Tagesgeschehen, Verwaltungsrecht

In den letzten Tagen sind eine Reihe von öffentlich-rechtlichen Problemkreisen durch Presse und Judikatur gegangen. Kandidaten, für die bald die mündliche Prüfung ansteht, sollten sich deshalb mit den im Folgenden genannten Problemkreisen einmal kurz auseinandergesetzt haben. Daneben ist bei den folgenden Sachverhalten zumindest denkbar, dass diese – wenigstens als Aufhänger – auch in Klausuren Eingang finden.
Di Fabio: Beamtenstreik ist und bleibt rechtswidrig

Das Streikverbot für Beamte duldet nach Ansicht des ehemaligen Bundesverfassungsrichters Udo di Fabio keine Ausnahmen. Warnstreik-Aktionen von verbeamteten Lehrern im Jahr 2010 seien mit den Grundsätzen des Berufsbeamtentums nicht vereinbar und Sanktionen des Dienstherren gegen die Betroffenen deshalb rechtens, sagte di Fabio am 31.10.2012 in Berlin bei der Präsentation eines vom dbb Beamtenbund und Tarifunion in Auftrag gegebenen Gutachtens (Quelle: Beck aktuell). Wir berichteten bereits ausführlich über die höchst examensträchtige Problematik des Streikrechts von Beamten (siehe dazu unbedingt hier).

VerfGH Bayern: Volksbegehren gegen Studiengebühren in Bayern zulässig

Der bayerische Verfassungsgerichtshof in München hat ein Volksbegehren der Freien Wähler gegen die Studiengebühren in Bayern zugelassen und folgt dabei der Argumentation der Antragsteller, dass «Haushaltsfragen» nicht das Thema seien (Quelle: Beck aktuell). Fragestellungen rund um Volksentscheide und plebleszitäre Elemente der Demokratie waren bereits mehrfach Aufhänger für Examensklausuren (siehe zu diesen Themen deshalb umfassender hier).

VG Gießen: Verbot einer Tanzveranstaltung am Karfreitag rechtmäßig

Das VG Gießen hat entschieden, dass die Verbotsverfügung des Regierungspräsidiums Gießen vom 03.04.2012, mit dem eine vom Kläger angemeldete „Tanzdemo“ unter dem Motto „Tanzen gegen das Tanzverbot an den Osterfeiertagen“ verboten worden war, rechtens war (siehe zu dieser Entscheidung die umfassende Pressemitteilung des Gerichts). Eine ähnliche Fragestellung, die auch bereits Gegenstand von Examensklausuren war, wurde im Jahr 2009 vom BVerfG entschieden (siehe dazu unseren Beitrag hier).

04.11.2012/0 Kommentare/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2012-11-04 11:26:542012-11-04 11:26:54Aktuelle verwaltungsrechtliche Themen
Gastautor

OVG Münster: Blockadetraining stellt keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar

Öffentliches Recht, Öffentliches Recht, Polizei- und Ordnungsrecht, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?, Startseite, Verwaltungsrecht

In der vergangenen Woche hat das OVG Münster einen interessanten Fall zum Versammlungsrecht entschieden (OVG Münster, Urteil vom 18.09.2012 – 5 A 1701/11), der Stoff für Examens- und Semesterabschlussklausuren im Polizeirecht bietet, da er eine sorgfältige Auseinandersetzung mit den einzelnen Tatbestandsmerkmalen des § 15 Abs. 1 VersammlG erfordert.
I. Sachverhalt
Der Kläger gehörte einem Bündnis an, das es sich zum Ziel gesetzt hatte, einen am 8. und 9. April 2011 in Stolberg abgehaltenen Aufmarsch von Neonazis zu verhindern. Zu diesem Zweck führte das Bündnis im Vorfeld zahlreiche Maßnahmen zur Mobilisierung der Bevölkerung durch, so auch sog. „Blockadetrainings“, bei denen gemeinsam für die Blockade des Naziaufmarsches im April 2011 geübt werden sollte. Für den 5. Februar 2011 hatte der Kläger als Versammlungsleiter ein solches „Blockadetraining“ angemeldet. Der Kläger beschrieb die geplante Veranstaltung im Gespräch mit der zuständigen Behörde wie folgt:
Es habe sich in Stolberg das „Blockadebündnis“ gebildet, weil zum Teil die Meinung vertreten werde, allein das Blockieren der Stolberger Innenstadt sei nicht mehr ausreichend. Zum Ablauf der Versammlung gab er an, nach einer Begrüßung seien keine Reden geplant. Vielmehr würden so genannte Trainer Einzelheiten über solche Demonstrationen erklären und ggf. durchspielen. Während der für drei Stunden angesetzten Kundgebung sei eine „Trainingsdauer“ von etwa 1,5 bis 2 Stunden geplant. Ziel sei vor allem das Knüpfen von Kontakten und das Kennenlernen untereinander. Die mittlerweile etwa 100 erwarteten Teilnehmer aus der Region sollten auch erfahren, dass man sich an Spielregeln halten müsse und es nicht darum gehe, auf „Aktion“ aus zu sein. Geplant sei, durch Menschenmassen friedlich zu blockieren und nicht gegen die Polizei tätig zu werden. Es solle nicht provoziert werden. Die Friedlichkeit stehe im Vordergrund.
Dem Kläger wurden daraufhin Auflagen verschiedenen Inhalts erteilt, u.a. wurde untersagt, den Versammlungsteilnehmern Taktiken und Techniken zu vermitteln, die sie befähigen sollen, nicht verbotene zukünftige Versammlungen oder Aufzüge zu verhindern, zu sprengen oder zu vereiteln.
Dagegen wandte sich der Kläger am 24. Februar 2011 zunächst erfolglos mit einer Klage zum zuständigen VG Aachen, das die Auflagen für rechtmäßig erklärte und die Klage abwies. Anders entschied jedoch das OVG Münster.
II. Die Prüfung des Falls
1. Zulässigkeit
Statthafte Klageart ist nach h.M. die Fortsetzungsfeststellungsklage gem.§ 113 Abs. 1 S. 4 VwGO analog. Die Vorschrift ist hier nach h.M. analog anzuwenden, da sich die Verwaltungsakte abweichend von dem Regelfall des § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO bereits vor Klageerhebung erledigt haben (a.A.: Feststellungsklage). Die Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage wird im Wesentlichen geprüft wie die der Anfechtungs- bzw. Verpflichtungsklage mit dem Zusatz, dass ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse erforderlich ist. Ein solches besteht dann, wenn trotz der Erledigung ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts besteht. Der Kläger gab hier an, auch zukünftig derartige Veranstaltungen in Stolberg durchführen zu wollen, wodurch Wiederholungsgefahr gegeben war.
2. Begründetheit
Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist begründet, wenn die Verwaltungsakte rechtswidrig waren und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt wurde (§ 113 Abs. 1 S. 4 VwGO analog).
Als Ermächtigungsgrundlage kommt § 15 Abs. 1 VersammlG in Betracht, nach dem die Behörde eine Versammlung von bestimmten Auflagen abhängig machen kann, wenn eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung besteht. Die formell rechtmäßig ergangenen Auflagen sind dann auch in materieller Hinsicht rechtmäßig, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage erfüllt sind und die Behörde ihr Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt hat.
Öffentliche Versammlung:
Erste Voraussetzung ist, dass es sich bei dem Blockadetraining überhaupt um eine öffentliche Versammlung handelt. Diese Frage hat das OVG in seiner Entscheidung völlig übergangen und die Versammlungsqualität stillschweigend vorausgesetzt. In einer Klausur läge hier jedoch ein Schwerpunkt: Fraglich ist nämlich, ob eine derartige Trainingsmaßnahme bereits Versammlungscharakter hat. Eine Versammlung ist die Zusammenkunft mehrerer Personen zu einem gemeinsamen Zweck. Die qualitativen Anforderungen an den gemeinsamen Zweck sind umstritten. Nach dem herrschenden engen Versammlungsbegriff ist ein Beitrag zur kollektiven Meinungsbildung erforderlich. Eine Versammlung lag hier also nur dann vor, wenn Zweck des Blockadetrainings neben dem Einüben von Blockadetechniken auch die Kundgabe der ablehnenden Haltung gegen nationalsozialistisches Gedankengut war. Hier ist Argumentation gefragt. Dagegen spricht, dass keine Reden geplant waren, sondern vorwiegend Schulungen zur Vermittlung von Blockadetechniken. Die ganz überwiegenden Argumente sprechen jedoch für die Annahme einer Versammlung: Die Veranstaltung diente der Mobilisierung der Bevölkerung gegen die Naziaufmärsche. Die Teilnehmer der Veranstaltung sollten sich kennenlernen und über ihre Positionen austauschen. Außerdem sollte mit dem Training ein Zeichen gesetzt werden, dass Stolberg sich intensiv mit dem geplanten Aufmarsch auseinandersetzt und bereits im Vorfeld alles tut, um wirksam gegen rechtsextreme Gesinnung eintreten zu können.
Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung:
Zu prüfen ist ferner eine unmittelbare Gefahr für das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit und zwar in Form der Unversehrtheit der Rechtsordnung: Das Blockadetraining könnte ein verbotener Aufruf zu einer rechtswidrigen Tat (nämlich die Verhinderung einer nicht verbotenen Versammlung) gem. § 111 StGB iVm § 21 VersammlG oder § 111 StGB iVm § 2 Abs. 2 VersammlG oder § 116 OWiG iVm § 2 Abs. 2 VersammlG sein. Außerdem könnte die Versammlung selbst gegen § 2 Abs. 2 VersammlG verstoßen. Das OVG sah aber keinen der Tatbestände als erfüllt an.
§ 111 StGB i.V.m. § 21 VersammlG:
Der Straftatbestand ist nach Auffassung des OVG Münster aus mehreren Gründen nicht erfüllt. Erstens habe die Maßnahme nicht die Qualität einer „Aufforderung“ zu einer Straftat i.S.d. § 111 StGB und zweitens erfülle die geplanten Blockaden, für die trainiert werden sollte, nicht den Tatbestand des § 21 VersammlG:

„Nach gefestigter höchstrichterlicher und obergerichtlicher Rechtsprechung setzt der Tatbestand der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten eine bestimmte Erklärung an die Motivation anderer voraus, bestimmte Straftaten zu begehen. Sie muss den Eindruck der Ernstlichkeit vermitteln. § 111 StGB erfasst als strafwürdig nur solche Äußerungen und Verhaltensweisen, die den öffentlichen Frieden konkret gefährden, weil sie ihrem Inhalt nach erkennbar auf rechtsgutgefährdende Handlungen hin angelegt sind. Hierzu gehören Meinungsäußerungen, die bei dem Angesprochenen Handlungsbereitschaft auslösen, Hemmschwellen herabsetzen oder Dritte unmittelbar einschüchtern. Die lediglich abstrakte Befürwortung einer Straftat ist hingegen noch nicht strafbar.“
„[…] Überdies ist § 111 StGB – wie alle Strafrechtsnormen – unter Beachtung der Wertentscheidungen der Grundrechte auszulegen und anzuwenden. Soweit die Erfüllung dieses Straftatbestands durch eine Aussage in Rede steht, die mit einem Blockadetraining auf einer Kundgebung konkludent geäußert wird, sind die Grundrechte der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 GG und der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG maßgebend.[…] Handelt es sich bei der umstrittenen Äußerung um einen Beitrag im Zusammenhang mit einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage, so spricht eine Vermutung zu Gunsten der Freiheit der Rede.“
„[…] Zum anderen konnte ein strafbares Auffordern zu einer Straftat in der motivierenden Wirkung des geplanten Blockadetrainings auch deshalb nicht liegen, weil sich die Teilnahme an der für Anfang April 2011 geplanten Blockade, die das Veranstalterbündnis anstrebte, zunächst noch als nicht strafbar darstellte. Das Veranstalterbündnis plante nämlich eine im Grundsatz von der Versammlungsfreiheit geschützte Form der friedlichen Blockade. Die Grenze zum strafbaren Rechtsbruch wäre erst in dem Moment überschritten worden, in dem darüber hinaus im Sinne von § 21 VersammlG eine nicht verbotene rechtsextreme Versammlung in Verhinderungsabsicht grob gestört worden wäre. Eine tatbestandliche grobe Störung liegt jedoch erst in der Bildung einer unüberwindlichen Blockade von nicht unerheblicher Dauer, die nicht ohne Weiteres umgangen werden kann.“

§ 111 StGB i.V.m. § 2 Abs. 2 VersammlG:
Kommt nicht in Betracht, da § 2 Abs. 2 VersammlG kein Strafgesetz und damit keine rechtswidrige Tat i.S.d. § 111 StGB ist.
§ 116 OWiG i.V.m. § 2 Abs. 2 VersammlG:
Verstöße gegen § 2 Abs. 2 VersammlG erfüllen auch keinen Busgeldtatbestand i.S.d. § 116 OWiG.
§ 2 Abs. 2 VersammlG:
Das Blockadetraining stellt selbst auch keine Verhinderungsmaßnahme i.S.d. § 2 Abs. 2 VersammlG dar.

„Der eindeutige Wortlaut verbietet nur Störungen „bei“ öffentlichen Versammlungen und Aufzügen. Damit sind Vorbereitungsmaßnahmen mehrere Wochen vor Beginn einer konkreten Versammlung ausdrücklich nicht von dem Verbot umfasst.“

Auch die Tatsache, dass u.U. polizeiwidrige Techniken eingeübt werden sollten, rechtfertigt nach dem OVG Münster kein anderes Ergebnis, da es hier jedenfalls an einer unmittelbaren Gefahr i.S.d. § 15 Abs. 1 VersammlG fehlt.
III. Ergebnis:
Mangels einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit konnten die Auflagen nicht auf § 15 Abs. 1 VersammlG gestützt werden. Die Klage ist daher zulässig und begründet.
 
Autorin des Beitrags ist Lioba Sternberg. Sie hat Jura in Bonn und Rom studiert und ist derzeit Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Arbeitsrecht und Recht der Sozialen Sicherheit bei Prof. Dr. Thüsing LL.M. Ihr Promotionsvorhaben hat ein Thema aus dem Bereich des Sozialversicherungsrechts zum Gegenstand.

03.10.2012/3 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2012-10-03 11:00:322012-10-03 11:00:32OVG Münster: Blockadetraining stellt keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar
Dr. Christoph Werkmeister

OVG Koblenz: Nutzungsuntersagung für NPD-Parteiheim

Öffentliches Recht, Rechtsprechung, Verwaltungsrecht

An dieser Stelle möchte ich nur kurz auf eine aktuelle Entscheidung des OVG Koblenz aufmerksam machen (Beschluss v. 17.02.2012, Az. 8 B 10078/12.OVG). In der Sache ging es um ein gegenüber einem NPD-Kreisverband erlassenes Nutzungsverbot wegen eines Gebäudes, das ohne Baugenehmigung als Parteiheim genutzt wurde. Der Beschluss an sich ist rechtlich sowie tatsächlich wenig brisant. Dennoch haben Sachverhalte, die Vorgänge mit Bezug zu rechts- oder linksextremen Parteien aufweisen, stets einen gewissen Einfluss auf eine Vielzahl von mündlichen Prüfungsgesprächen. In der letzten Zeit berichteten wir zudem sehr häufig über derartige Fälle. Aus diesem Grund sei zumindest für alle mündlichen Prüfungskandidaten die Lektüre der einschlägigen Pressemitteilung des OVG Koblenz (s. dazu hier) und auch der weiterführenden verwandten Artikel (s. dazu hier) wärmstens ans Herz gelegt.

26.02.2012/0 Kommentare/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2012-02-26 11:14:252012-02-26 11:14:25OVG Koblenz: Nutzungsuntersagung für NPD-Parteiheim
Dr. Christoph Werkmeister

VG Karlsruhe zur Zulässigkeit von Fackeln bei einer Mahnwache

Öffentliches Recht, Polizei- und Ordnungsrecht, Rechtsprechung

Das VG Karlsruhe entschied kürzlich über die Zulässigkeit versammlungsrechtlicher Auflagen der Stadt Pforzheim im Hinblick auf das Mitführen von Fackeln bei einer Mahnwache einer rechten Gruppierung (Az. 2 K 378/12). Ermächtigungsgrundlage für derlei Auflagen ist – abgesehen von den Bundesländern mit eigenen Versammlungsgesetzen – grundsätzlich § 15 Abs. 1 VersG. Hiernach können Auflagen erlassen werden, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. 
Die Stadt hatte das Verbot ausschließlich mit einer Verletzung der öffentlichen Ordnung begründet. Der Begriff der öffentlichen Ordnung wird nach dem BVerfG definiert als die Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebiets angesehen wird (vgl. BVerfGE 69, 315, 352). 
Die Versammlung sollte am 23.02.2012 stattfinden, wobei dieses Datum in Pforzheim den offiziellen Gedenktag an das Bombardement der Stadt darstellt.

Das VG führt aus, dass die angegriffene Auflage sich nicht auf eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Ordnung stützen lasse. Sei eine Versammlung – wie vorliegend – inhaltlich unterhalb der Strafbarkeitsschwelle nach dem StGB ausgerichtet, komme eine Beschränkung der Versammlungsfreiheit nur dann in Betracht, wenn über ihren bloßen Inhalt hinaus Besonderheiten der gemeinschaftlichen Kundgabe und Erörterung bzw. besondere Begleitumstände der Demonstration gegeben seien. Dies sei beispielsweise dann der Fall, wenn die befürchtete Gefahr auf besonderen, beispielsweise provokativen oder aggressiven Begleitumständen beruhe, die einen Einschüchterungseffekt sowie ein Klima der Gewaltdemonstration und potentieller Gewaltbereitschaft erzeugten.
Das bloße Mitführen von Fackeln verstoße nicht schon als solches gegen die öffentliche Ordnung, sondern erst dann, wenn diese als typische Symbole der Darstellung nationalsozialistischer Machtausübung in aggressiv-kämpferischer Weise eingesetzt würden.   Aufgrund der konkreten Gegebenheiten sei vorliegend nicht ersichtlich, dass der Antragsteller die Fackeln als typische Symbole der Darstellung nationalsozialistischer Machtausübung in aggressiv-kämpferischer Weise einsetzen werde und hierdurch ein Einschüchterungseffekt sowie ein Klima der Gewaltdemonstration und potentieller Gewaltbereitschaft entstünden.
Die geplante Mahnwache finde nicht in der Innenstadt und damit im unmittelbaren Bereich der zeitgleich stattfindenden Lichterkette zum Gedenken der Bürger an den Jahrestag des Bombardement von Pforzheim, sondern in einiger Entfernung vom Stadtzentrum statt. Eine unmittelbare Konfrontation mit den im Zentrum dem Bombenangriff gedenkenden Bürgern sei nicht zu befürchten. Auch eine Berücksichtigung der Erfahrungen aus den vergangenen Jahren, in denen der Antragsteller stets Fackeln bei der stillen Mahnwache mitgeführt habe, lasse derzeit keinen Raum für die Annahme, dass durch die Verwendung von Fackeln nationalsozialistische Veranstaltungsrituale aufgegriffen würden, die bei der Bevölkerung Assoziationen an paramilitärische Aufmärsche hervorrufen könnten. 
Eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Ordnung sei auch nicht unter dem  Aspekt des Symbolschutzes des 23. Februar erkennbar. Der 23. Februar besitze keinen unmittelbaren Bezug zu den NS-Verbrechen dergestalt, dass sich der angemeldeten Mahnwache des Antragstellers eine Provokation für die Menschen, die der Opfer des Nazi-Regimes gedenken, entnehmen ließe. Dabei werde nicht verkannt, dass der 23. Februar für die Bürger der Antragsgegnerin ein offizieller Gedenktag der Stadt sei, der dem friedlichen Gedenken an die Opfer des Bombenangriffs auf die Stadt Pforzheim diene, Quelle: Pressemitteilung des VG Karlsruhe).

20.02.2012/0 Kommentare/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2012-02-20 15:50:582012-02-20 15:50:58VG Karlsruhe zur Zulässigkeit von Fackeln bei einer Mahnwache
Nicolas Hohn-Hein

BVerfG: Zweite-Reihe-Rechtsprechung bestätigt. Sitzblockade zudem „Versammlung“ nach Art. 8 I GG

BVerfG Leitentscheidungen & Klassiker, Öffentliches Recht, Öffentliches Recht, Verfassungsrecht

In einer aktuellen Entscheidung (1 BvR 388/05 – Beschluss vom 7.03.2011) hat sich das BVerfG zur sog. Zweite-Reihe-Rechtsprechung und dem strafrechtlichen Gewaltbegriff geäußert. Außerdem geht es um die Reichweite des Schutzbereichs der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 I GG.
Sachverhalt
K hatte zusammen mit 40 weiteren Personen im März 2004 an einer Demonstration gegen den bevorstehenden Irak-Krieg teilgenommen. Mittels einer Sitzblockade auf einer Straße, die zu einem amerikanischen Luftwaffenstützpunkt führte und vorwiegend von amerikanischem Militärpersonal benutzt wurde, sollte der Verkehr erheblich gestört werden. Dies war den Demonstranten auch gelungen. Durch die Blockade waren die ankommenden und auch darauffolgenden Fahrzeuge an der Weiterfahrt gehindert worden, sodass sich ein Stau für einige Stunden gebildet hatte und es zu erheblichen Wartezeiten für die Betroffenen gekommen war. Erst nachdem die Polizei die Demonstranten nach mehrmaliger Aufforderung zum Verlassen der Fahrbahn zwangweise weggetragen hatte, konnte der Verkehr wieder normal fließen. In dem darauffolgenden Strafverfahren gegen die Teilnehmer der Sitzblockade wurde u.a. K wegen gemeinschaftlicher, vorsätzlicher Nötigung nach § 240 Abs.2 StGB in letzter Instanz vom Landgericht L rechtskräftig verurteilt.
Als Begründung wurde vom Gericht u.a. angeführt, die Demonstranten hätten die vor ihnen anhaltenden Fahrzeuge an der Weiterfahrt gehindert und damit Gewalt ausgeübt. Außerdem habe die Blockade darauf abgezielt, Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit für deren politische Ziele zu erregen. Dies sei jedoch dann nicht zulässig, wenn dabei Zwangswirkungen auf Dritte ausgeübt werden. Jedenfalls hätten die Betroffenen (US-amerikanische Staatsbürger und Soldaten) gar keinen Einfluss auf Entscheidungen der politischen Führung gehabt.
K sieht sich in seinen Grundrechten aus Art. 103 Abs.2 GG und Art. 8 Abs.1 GG verletzt. Die Demonstration sei gerade ohne Gewaltanwendung vonstatten gegangen, da K und seine Mitstreiter lediglich auf dem Boden gesessen und gar nichts getan hätten. Zudem habe man gegen eine eventuelle deutsche Beteiligung am Irak-Krieg demonstriert. Dass es bei der Blockade zu Behinderungen bestimmter Personen gekommen sei, sei Sinn der Aktion und damit gewollt gewesen. Gemessen an dem verfolgten Zweck seien die entstandenen Behinderungen aus seiner Sicht völlig unerheblich gewesen. K erhebt deshalb Verfassungsbeschwerde beim BVerfG gegen die Entscheidung des Landgerichts. Von der Zulässigkeit der Klage ist auszugehen.
Kleine Geschichte der sog. Zweite-Reihe-Rechtsprechung des BVerfG
Bei der Frage, ob gegen das Analogieverbot nach Art. 103 GG verstoßen wurde, indem die Sitzblockade als eine Anwendung von „Gewalt“ angesehen worden ist, verweist das BVerfG weitgehend auf die Entwicklung des Gewaltbegriffs und der sog. Zweite-Reihe-Rechtsprechung und stellt die wesentlichen Argumente dar. Die Entscheidung ist diesbezüglich zu Wiederholungszwecken sehr lesenswert. Im Folgenden sollen nur die wesentlichen Textstellen hervorgehoben werden.

Nach Art. 103 Abs. 2 GG darf eine Tat nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Für die Rechtsprechung folgt aus dem Erfordernis gesetzlicher Bestimmtheit ein Verbot analoger oder gewohnheitsrechtlicher Strafbegründung. Dabei ist „Analogie“ nicht im engeren technischen Sinne zu verstehen. Ausgeschlossen ist jede Auslegung einer Strafbestimmung, die den Inhalt der gesetzlichen Sanktionsnorm erweitert und damit Verhaltensweisen in die Strafbarkeit einbezieht, die die Tatbestandsmerkmale der Norm nach deren möglichem Wortsinn nicht erfüllen. Der mögliche Wortsinn des Gesetzes zieht der richterlichen Auslegung eine Grenze, die unübersteigbar ist. Da Art. 103 Abs. 2 GG Erkennbarkeit und Vorhersehbarkeit der Strafandrohung für den Normadressaten verlangt, ist dieser Wortsinn aus der Sicht des Bürgers zu bestimmen Das Bundesverfassungsgericht hatte in der Vergangenheit mehrfach Gelegenheit, die Auslegung des in § 240 Abs. 1 StGB geregelten Gewaltbegriffs durch die Strafgerichte anhand von Art. 103 Abs. 2 GG zu überprüfen. Während das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 11. November 1986 infolge Stimmengleichheit den sogenannten „vergeistigten Gewaltbegriff“ im Ergebnis noch unbeanstandet ließ, gelangte es nach erneuter Überprüfung in seinem Beschluss vom 10. Januar 1995 zu der Auffassung, dass eine auf jegliche physische Zwangswirkung verzichtende Auslegung des § 240 Abs. 1 StGB mit Art. 103 Abs. 2 GG unvereinbar ist. Für die Konstellation einer Sitzblockade auf einer öffentlichen Straße mit Demonstranten auf der einen und einem einzigen Fahrzeugführer auf der anderen Seite stellte es fest, dass eine das Tatbestandsmerkmal der Gewalt bejahende Auslegung die Wortlautgrenze des § 240 Abs. 1 StGB überschreitet, wenn das inkriminierte Verhalten des Demonstranten lediglich in körperlicher Anwesenheit besteht und die Zwangswirkung auf den Genötigten nur psychischer Natur ist.
In der Folge entwickelte der Bundesgerichtshof anlässlich von Sitzblockaden auf öffentlichen Straßen mit Demonstranten auf der einen und einem ersten Fahrzeugführer sowie einer Mehrzahl von sukzessive hinzukommenden Fahrzeugführern auf der anderen Seite die sogenannte Zweite-Reihe-Rechtsprechung. Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs benutzt ein Demonstrant bei einer Sitzblockade auf einer öffentlichen Straße den ersten aufgrund von psychischem Zwang anhaltenden Fahrzeugführer und sein Fahrzeug bewusst als Werkzeug zur Errichtung eines physischen Hindernisses für die nachfolgenden Fahrzeugführer. Diese vom zuerst angehaltenen Fahrzeug ausgehende physische Sperrwirkung für die nachfolgenden Fahrzeugführer sei den Demonstranten zurechenbar.
In seinem Beschluss vom 24. Oktober 2001 bekräftigte das Bundesverfassungsgericht seine in dem Beschluss vom 10. Januar 1995 angenommene Rechtsauffassung zu der Wortlautgrenze des Gewaltbegriffs. Dabei erkannte es eine Auslegung des Gewaltbegriffs in § 240 Abs. 1 StGB als mit Art. 103 Abs. 2 GG für vereinbar an, derzufolge das Abstellen von Fahrzeugen auf einer Bundesautobahn als Gewalt zu qualifizieren ist, weil dadurch aufgrund körperlicher Kraftentfaltung ein unüberwindliches Hindernis errichtet wird, das Zwangswirkung entfaltet. […]Die Zweite-Reihe-Rechtsprechung begegnet unter dem Aspekt des Art. 103 Abs. 2 GG jedenfalls mit Rücksicht auf § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB keinen Bedenken. Danach ergibt sich die Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens der Demonstranten gemäß § 240 Abs. 1 StGB im Ergebnis nicht aus deren unmittelbarer Täterschaft durch eigenhändige Gewaltanwendung, sondern aus mittelbarer Täterschaft durch die ihnen zurechenbare Gewaltanwendung des ersten Fahrzeugführers als Tatmittler gegenüber den nachfolgenden Fahrzeugführern. Diese Auslegung der strafbarkeitsbegründenden Tatbestandsmerkmale „Gewalt durch einen anderen“ sprengt nicht die Wortsinngrenze des Analogieverbots.

Auf den vorliegenden Fall bezogen, finden die aufgestellten Kriterien damit Anwendung. Die Sitzblockade hat zwar auf die in der ersten Reihe stehenden Fahrzeuge lediglich psychischen Zwang ausgeübt, indem deren Fahrzeugführer die eventuelle Verletzung der Demonstranten durch die Weiterfahrt nicht gewagt haben. Die darauffolgenden Fahrzeugführer sind dagegen Opfer einer Nötigung in mittelbarer Täterschaft geworden. Dass diejenigen in der ersten Reihe nach § 34 StGB gerechtfertig waren, steht der Annahme einer mittelbaren Täterschaft nach allgemeiner Auffassung nicht entgegen. Damit sei auch in dieser Hinsicht nicht gegen Art. 103 GG verstoßen worden.
Auch Sitzblockaden von Art. 8 I GG geschützt
Mit Blick auf eine jüngere Entscheidung zu „nonverbalem Protest“ (wir berichteten), stellt sich hier die Frage, ob eine Sitzblockade noch als Versammlung im Sinne von Art. 8 I GG einzustufen ist. Das Landgericht hatte dies noch abgelehnt. Das BVerfG hält den Schutzbereich auch bei Sitzblockaden für eröffnet.

Eine Versammlung ist eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung. Dazu gehören auch solche Zusammenkünfte, bei denen die Versammlungsfreiheit zum Zwecke plakativer oder aufsehenerregender Meinungskundgabe in Anspruch genommen wird. Der Schutz ist nicht auf Veranstaltungen beschränkt, auf denen argumentiert und gestritten wird, sondern umfasst vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nicht verbalen Ausdrucksformen, darunter auch Sitzblockaden. Bei einer Versammlung geht es darum, dass die Teilnehmer nach außen – schon durch die bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und des Umgangs miteinander oder die Wahl des Ortes – im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen. Eine Versammlung verliert den Schutz des Art. 8 GG grundsätzlich bei kollektiver Unfriedlichkeit. Unfriedlich ist danach eine Versammlung, wenn Handlungen von einiger Gefährlichkeit wie etwa aggressive Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen oder sonstige Gewalttätigkeiten stattfinden, nicht aber schon, wenn es zu Behinderungen Dritter kommt, seien diese auch gewollt und nicht nur in Kauf genommen. Der Schutz des Art. 8 GG besteht zudem unabhängig davon, ob eine Versammlung anmeldepflichtig und dementsprechend angemeldet ist. Er endet mit der rechtmäßigen Auflösung der Versammlung

Weit auszulegender, sachlicher Bezug
Das BverfG stellt klar, dass die Versammlungsfreiheit nicht deswegen eingeschränkt werden kann, weil die Versammlung nicht unmittelbar an dem Ort stattfindet, der einen engen räumlichen Bezug zu dem gewöhnlichen Aufenthalts- oder Arbeitsort der Entscheidungsträger hat oder sich unmittelbar gegen diese richtet. Es reicht insofern ein „weiter“ Sachbezug.

Schließlich hat das Landgericht mit verfassungsrechtlich nicht tragfähiger Begründung den Sachbezug zwischen dem Protestgegenstand und den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen verneint. Der Argumentation des Landgerichts, dass die unter Umständen betroffenen US-amerikanischen Staatsbürger und Soldaten die Irakpolitik der US-amerikanischen Regierung nicht beeinflussen könnten, so dass die Aktion von ihrem Kommunikationszweck her betrachtet ungeeignet gewesen sei, scheint die Annahme zugrunde zu liegen, dass ein derartiger Sachbezug nur dann besteht, wenn die Versammlung an Orten abgehalten wird, an denen sich die verantwortlichen Entscheidungsträger und Repräsentanten für die den Protest auslösenden Zustände oder Ereignisse aktuell aufhalten oder zumindest institutionell ihren Sitz haben. Eine derartige Begrenzung auf Versammlungen im näheren Umfeld von Entscheidungsträgern und Repräsentanten würde jedoch die Inanspruchnahme des Grundrechts der Versammlungsfreiheit mit unzumutbar hohen Hürden versehen und dem Recht der Veranstalter, grundsätzlich selbst über die ihm als symbolträchtig geeignet erscheinenden Orte zu bestimmen, nicht hinreichend Rechnung tragen. Überdies besteht vorliegend umso weniger Anlass an dem Sachbezug zwischen dem Protestgegenstand der Aktion und den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen zu zweifeln, als sich unter den betroffenen Fahrzeugführern nicht nur US-amerikanische Staatsbürger, sondern auch Mitglieder der US-amerikanischen Streitkräfte befanden, die, wenn nicht in die unmittelbare Durchführung, so doch jedenfalls in die Organisation der kritisierten militärischen Intervention im Irak eingebunden waren.

Fazit
K war damit in seinem Grundrecht aus Art. 8 I GG verletzt. Gemessen an den behandelten Themen könnte die Entscheidung fast 1 zu 1 als Vorlage für eine Klausur dienen. Sowohl allgemeine Kenntnisse zur Prüfung einer Urteilsverfassungsbeschwerde und dem Versammlungsbegriff, als auch vertieftes Wissen bezüglich der klassischen Rechtsprechung zu Sitzblockaden kann so abgeprüft werden.

03.04.2011/1 Kommentar/von Nicolas Hohn-Hein
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Nicolas Hohn-Hein https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Nicolas Hohn-Hein2011-04-03 12:29:092011-04-03 12:29:09BVerfG: Zweite-Reihe-Rechtsprechung bestätigt. Sitzblockade zudem „Versammlung“ nach Art. 8 I GG
Dr. Johannes Traut

Klausur: BVerfG zu Versammlungen auf Flughäfen (Fraport AG)

BVerfG Leitentscheidungen & Klassiker, Öffentliches Recht, Öffentliches Recht, Verfassungsrecht

Heute hat das BVerfG Stellung zur Reichweite der Art. 5 und 8 GG genommen (v. 22.2.2011 – 1 BvR 699/06, hier das Urteil und hier die Pressemitteilung). Sie gelten nicht nur im öffentlichen Straßenraum, sondern auch in Bereichen, die öffentliche Unternehmen (hier die Fraport AG, aber z.B. auch die Deutsche Bahn AG) dem öffentlichen Verkehr zur Verfügung stellen. Eine wichtige Entscheidung: Zunächst zeigt sie, dass das BVerfG bei den Grundrechten ein funktionales Verständnis zu Grunde legt. Es hat die Reichweite der Grundrechte erweitert, weil die Erweiterung zur Sicherung der materiellen Reichweite der Freiheiten erforderlich schien. Die Grundrechte werden also dem Wandel der Zeit angepasst und ihre Effektivität wird gesichert. Zum Zweiten hat das BVerfG sich wieder einmal zur unmittelbaren Grundrechtsbindung öffentlicher Unternehmen (in privatrechtlicher Rechtsform – hier der Aktiengesellschaft) geäußert. Hier bleibt alles beim Alten: Die unmittelbare Bindung ist zu bejahen, wenn das Unternehmen von der öffentlichen Hand beherrscht wird.
Im Folgenden wird das Urteil klausurmäßig dargestellt. Die Ausschnitte sind teilweise – ihrer Kürze wegen – auch aus der Pressemitteilung entnommen.
Sachverhalt:
Die Betreibergesellschaft des Frankfuter Flughafes Fraport AG (zu 70% im Eigentum der öffentlichen Hand)  hatte der Beschwerdeführerin (BF) gegenüber ein „Flughafenverbot“ erteilt; Meinungskundgabe und Demonstrationen wurden untersagt. Das Verbot bezog sich dabei auch auf die Bereiche des Flughafens, die frei zugänglich sind und in denen sich hauptsächlich Restaurants, Geschäfte oder ähnliche Einrichtungen befanden. Konkret hat die Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit einer drohenden Abschiebung Flugblätter verteilt, um der Sache damit öffentlich Gehör zu verschaffen. Der BF wurde daraufhin ihre Tätigkeit auf dem Flughafengelände untersagt. Der zivilgerichtliche Rechtsschutz der BF (AG, LG, BGH) blieb in der Folge ohne Erfolg. Die Befugnis zur Untersagung folgte vorliegend aus § 858 ff., 903, 1004 BGB und damit dem Hausrecht der Betreibergesellschaft. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die BF eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 GG.
Ist die Verfassungsbeschwerde begründet?
Lösung
Die Verfassungsbeschwerde ist begründet, wenn die Beschwerdeführerin in ihren in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechten verletzt ist.
A. Verletzung von Art. 8 Abs. 1 GG
Die Beschwerdeführerin könnte in ihrer Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG verletzt sein.
I. Eröffnung des Schutzbereichs
Dazu müsste zunächst der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG eröffnet sein.
1. Sachlicher Schutzbereich
Die Demonstration ist grundsätzlich eine Versammlung im Sinne sämtlicher Versammlungsbegriffe:

  • Zusammenkunft einer Vielzahl von Menschen (mehr als zwei [e.A] oder drei [h.M.])
  • Verbunden durch einen gemeinsamen (kommunikativen) Zweck (allg. Meinung)
  • Friedlich (allg. Meinung)
  • Gerichtet auf Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung (BVerfG)

2. „Örtlicher Schutzbereich“ – Flächen einer Aktiengesellschaft erfasst?
Fraglich ist jedoch, ob auch die Wahl des konkreten Ort der Versammlung von der Versammlungsfreiheit gedeckt ist. Art. 8 Abs. 1 GG gewährleistet auch das Recht, zu bestimmen, wo und wann eine Versammlung stattfinden soll:

„Art. 8 Abs. 1 GG gewährleistet auch das Recht, selbst zu bestimmen, wann, wo und unter welchen Modalitäten eine Versammlung stattfinden soll. Als Abwehrrecht, das auch und vor allem andersdenkenden Minderheiten zugute kommt, gewährleistet das Grundrecht den Grundrechtsträgern so nicht nur die Freiheit, an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen oder ihr fern zu bleiben, sondern zugleich ein Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung (vgl. BVerfGE 69, 315 <343>). Die Bürger sollen damit selbst entscheiden können, wo sie ihr Anliegen – gegebenenfalls auch in Blick auf Bezüge zu bestimmten Orten oder Einrichtungen – am wirksamsten zur Geltung bringen können. „(Rn. 64)

a) Erweiterung auf Flächen, die ein öffentliches Unternehmen dem öffentlichen Verkehr eröffnet hat
Dieses Recht ist jedoch nicht unbeschränkt. Es gibt kein Zutrittsrecht zu beliebigen Orten, insbesondere nicht zu solchen, die der Öffentlichkeit nicht allgemein zugänglich sind oder zu denen schon den äußeren Umständen nach nur zu bestimmten Zwecken Zugang gewährt wird, etwa zu öffentlichen Krankenhäusern oder Schwimmbädern (vgl. Rn. 65). Grundsätzlich in den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit fällt jedoch die Wahl von Veranstaltungsorten, wo allgemeiner öffentlicher Verkehr eröffnet ist. Dies betrifft – unabhängig von einfachrechtlichen Bestimmungen des Straßenrechts – zunächst den öffentlichen Straßenraum. Dieser ist das natürliche und geschichtlich leitbildprägende Forum, auf dem Bürger ihre Anliegen besonders wirksam in die Öffentlichkeit tragen und hierüber die Kommunikation anstoßen können (Rn. 67). Darin erschöpft sich die Verbürgung jedoch nicht:

„Entsprechendes gilt aber auch für Stätten außerhalb des öffentlichen Straßenraums, an denen in ähnlicher Weise ein öffentlicher Verkehr eröffnet ist und Orte der allgemeinen Kommunikation entstehen. Wenn heute die Kommunikationsfunktion der öffentlichen Straßen, Wege und Plätze zunehmend durch weitere Foren wie Einkaufszentren, Ladenpassagen oder sonstige Begegnungsstätten ergänzt wird, kann die Versammlungsfreiheit für die Verkehrsflächen solcher Einrichtungen nicht ausgenommen werden, soweit eine unmittelbare Grundrechtsbindung besteht oder Private im Wege der mittelbaren Drittwirkung in Anspruch genommen werden können. Dies gilt unabhängig davon, ob die Flächen sich in eigenen Anlagen befinden oder in Verbindung mit Infrastruktureinrichtungen stehen, überdacht oder im Freien angesiedelt sind. Grundrechtlich ist auch unerheblich, ob ein solcher Kommunikationsraum mit den Mitteln des öffentlichen Straßen- und Wegerechts oder des Zivilrechts geschaffen wird. Ein Verbot von Versammlungen kann auch nicht als Minus zu der Nichtöffnung des Geländes und damit als bloße Versagung einer freiwilligen Leistung angesehen werden. Vielmehr besteht zwischen der Eröffnung eines Verkehrs zur öffentlichen Kommunikation und der Versammlungsfreiheit ein unaufhebbarer Zusammenhang: Dort wo öffentliche Kommunikationsräume eröffnet werden, kann der unmittelbar grundrechtsverpflichtete Staat nicht unter Rückgriff auf frei gesetzte Zweckbestimmungen oder Widmungsentscheidungen den Gebrauch der Kommunikationsfreiheiten aus den zulässigen Nutzungen ausnehmen: Er würde sich damit in Widerspruch zu der eigenen Öffnungsentscheidung setzen.“ (Rn. 68)

Anmerkung: Hier erfolgt die entscheidende Erweiterung. Interessant sind die (von mir) hervorgehobenen Passagen, die für die Prüfung zwei Fallgruppen vorzeichnen: Fälle unmittelbarer Grundrechtsgeltung einer- und solche mittelbarer Wirkung andererseits.
Anmerkung: Entsprechend ist (bei der hier vorliegenden unmittelbaren Grundrechtsbindung) zweistufig zu prüfen:

  1. Eröffnung allgemeinen öffentlichen Verkehrs, Schaffung eines „öffentlichen Kommunikationsraumes“
  2. Unmittelbare Grundrechtsbindung

Anmerkung: Ob freilich daneben auch „Ansprüche“ auf Zulassung aus mittelbarer Grundrechtsbindung (dann durch die entsprechende Auslegung der zivilrechtlichen Normen) folgen, ist nicht eindeutig geklärt. Einerseits impliziert das der obige Abschnitt, der beide Fälle (unmittelbare und mittelbare Grundrechtsgeltung) erwähnt. Andererseits ist das zur Konkretisierung herangezogene amerikanische Konzept des public forum (dazu sogleich) nur auf Fälle beschränkt, die in Deutschland der unmittelbare Grundrechtsbindung unterfielen.
Sodann konkretisiert das BVerfG, wie weit das Konzept des „öffentlichen Kommunikationsraums geht“.

„Orte allgemeinen kommunikativen Verkehrs, die neben dem öffentlichen Straßenraum für die Durchführung von Versammlungen in Anspruch genommen werden können, sind zunächst nur solche, die der Öffentlichkeit allgemein geöffnet und zugänglich sind. Ausgeschlossen sind demgegenüber zum einen Orte, zu denen der Zugang individuell kontrolliert und nur für einzelne, begrenzte Zwecke gestattet wird. Wenn eine individuelle Eingangskontrolle wie an der Sicherheitsschleuse zum Abflugbereich für eine Einrichtung sicherstellt, dass nur bestimmte Personen – die Flugpassagiere, um ihre Reise anzutreten – Zutritt haben, ist dort kein allgemeiner Verkehr eröffnet. Die Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit kann an solchen Orten nicht beansprucht werden. „(Rn. 69)

„Zum anderen beantwortet sich die Frage, ob ein solcher außerhalb öffentlicher Straßen, Wege und Plätze liegender Ort als ein öffentlicher Kommunikationsraum zu beurteilen ist, nach dem Leitbild des öffentlichen Forums (vgl. zu ähnlichen Kriterien: Supreme Court of Canada, Committee for the Commonwealth of Canada v. Canada, <1991> 1 S. C. R. 139; Supreme Court of the United States, International Society for Krishna Consciousness <ISKCON> v. Lee, 505 U.S. 672 <1992>). Dieses ist dadurch charakterisiert, dass auf ihm eine Vielzahl von verschiedenen Tätigkeiten und Anliegen verfolgt werden kann und hierdurch ein vielseitiges und offenes Kommunikationsgeflecht entsteht. Abzugrenzen ist dies von Stätten, die der Allgemeinheit ihren äußeren Umständen nach nur zu ganz bestimmten Zwecken zur Verfügung stehen und entsprechend ausgestaltet sind. Wenn Orte in tatsächlicher Hinsicht ausschließlich oder ganz überwiegend nur einer bestimmten Funktion dienen, kann in ihnen – außerhalb privater Nutzungsrechte – die Durchführung von Versammlungen nach Art. 8 Abs. 1 GG nicht begehrt werden. Anders ist dies indes dort, wo die Verbindung von Ladengeschäften, Dienstleistungsanbietern, Restaurationsbetrieben und Erholungsflächen einen Raum des Flanierens schafft und so Orte des Verweilens und der Begegnung entstehen. Werden Räume in dieser Weise für ein Nebeneinander verschiedener, auch kommunikativer Nutzungen geöffnet und zum öffentlichen Forum, kann aus ihnen gemäß Art. 8 Abs. 1 GG auch die politische Auseinandersetzung in Form von kollektiven Meinungskundgaben durch Versammlungen nicht herausgehalten werden. Art. 8 Abs. 1 GG gewährleistet den Bürgern für die Verkehrsflächen solcher Orte das Recht, das Publikum mit politischen Auseinandersetzungen, gesellschaftlichen Konflikten oder sonstigen Themen zu konfrontieren. Solche Möglichkeiten, Aufmerksamkeit zu erzielen, sind als Grundlage der demokratischen Willensbildung mit der Versammlungsfreiheit gewollt und bilden ein konstituierendes Element der demokratischen Staatsordnung.“ (Rn. 70)

Anmerkung: Letztere Ausführungen zum „öffentlichen Forum“ sind hochinteressant, weil sie eine funktionale Betrachtung der Grundrechte darstellen. Allerdings ist public forum auch in den USA immer eine Frage der Nutzung staatlicher Einrichtungen.
bb) Abweichende Meinung des Richters Schluckebier
S. dazu die Zusammenfassung aus der Pressemitteilung:

„Die Senatsmehrheit erweitert den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit und damit das Zutrittsrecht für Versammlungen auf sogenannte „öffentliche (gemeint: öffentlich zugängliche) Foren“. […]Schon aufgrund dieser Definition wären die Abfertigungshallen eines Großflughafens vom Schutzbereich auszunehmen gewesen, weil sie ganz überwiegend nur einer bestimmten Funktion dienen, nämlich der Abfertigung von Flugreisenden. […]Der Senat führt für die Ausweitung des Schutzbereichs im Kern nur die Erwägung an, es werde „heute die Kommunikationsfunktion der öffentlichen Straßen, Wege und Plätze“ zunehmend durch öffentliche Foren im Sinne der Definition der Senatsmehrheit „ergänzt“. Derzeit rechtfertigen die tatsächlichen Gegebenheiten indessen diese Wertung nicht. Seit langem sind in große Bahnhöfe oder Flughäfen Ladenpassagen und Gastronomiebetriebe eingegliedert, ohne dass sie bislang als eine beachtliche „Konkurrenz“ zum öffentlichen Straßenraum als Versammlungsort angesehen worden wären oder gar zu einer Entwertung des öffentlichen Straßenraums als Versammlungsort geführt hätten.“

b) Subsumtion
Somit ist vorliegend zu prüfen, ob 1. die Fraport AG unmittelbar grundrechtsgebunden ist und ob 2. das Terminalgebäude für den allgemeinen öffentlichen Verkehr geöffnet ist.
aa) Unmittelbare Grundrechtsbindung der Fraport AG
(1) Die Senatsmehrheit
S. dazu die Zusammenfassung aus der Pressemitteilung:

Die Fraport AG ist gegenüber der Beschwerdeführerin unmittelbar an die Grundrechte gebunden. Die Nutzung zivilrechtlicher Formen enthebt die staatliche Gewalt nicht von ihrer Bindung an die Grundrechte gemäß Art. 1 Abs. 3 GG. Von der öffentlichen Hand beherrschte gemischtwirtschaftliche Unternehmen unterliegen ebenso wie im Alleineigentum des Staates stehende öffentliche Unternehmen, die in den Formen des Privatrechts organisiert sind, einer unmittelbaren Grundrechtsbindung. Gemäß Art. 1 Abs. 3 GG binden die Grundrechte Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht. Sie gelten nicht nur für bestimmte Bereiche, Funktionen oder Handlungsformen staatlicher Aufgabenwahrnehmung, sondern binden die staatliche Gewalt umfassend und insgesamt. Dabei liegt Art. 1 Abs. 3 GG eine elementare Unterscheidung zugrunde: Während der Bürger prinzipiell frei ist, ist der Staat prinzipiell gebunden. Dementsprechend ist der Bürger seinerseits durch die Grundrechte nicht unmittelbar gebunden, sondern findet durch sie gegenüber dem Staat Anerkennung als freie Person, die in der Entfaltung ihrer Individualität selbst verantwortlich ist. Seine Inpflichtnahme durch die Rechtsordnung ist von vornherein relativ und prinzipiell begrenzt; der Staat schafft hierbei auch einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Grundrechtsträgern und bringt damit zwischen diesen die Grundrechte mittelbar zur Geltung. Demgegenüber handelt der Staat in treuhänderischer Aufgabenwahrnehmung für die Bürger und ist ihnen rechenschaftspflichtig. Seine Aktivitäten verstehen sich nicht als Ausdruck freier subjektiver Überzeugungen in Verwirklichung persönlicher Individualität, sondern bleiben in distanziertem Respekt vor den verschiedenen Überzeugungen der Staatsbürger und werden dementsprechend von der Verfassung umfassend und unmittelbar an die Grundrechte gebunden. Dies gilt auch, wenn er für seine Aufgabenwahrnehmung auf das Zivilrecht zurückgreift. [dazu im Urteil Rn. 48]
Die unmittelbare Grundrechtsbindung trifft nicht nur öffentliche Unternehmen, die vollständig im Eigentum der öffentlichen Hand stehen, sondern auch gemischtwirtschaftliche Unternehmen, wenn diese von der öffentlichen Hand beherrscht werden. Dies ist in der Regel der Fall, wenn mehr als die Hälfte der Anteile im Eigentum der öffentlichen Hand stehen. Die Annahme einer unmittelbaren Grundrechtsbindung nicht nur der Anteilseigner, sondern auch des betreffenden Unternehmens selbst entspricht seinem Charakter als verselbständigter Handlungseinheit und stellt eine effektive Grundrechtsbindung unabhängig davon sicher, ob, wieweit und in welcher Form der oder die Eigentümer gesellschaftsrechtlich auf die Leitung der Geschäfte Einfluss nehmen können und wie bei Unternehmen mit verschiedenen öffentlichen Anteilseignern eine Koordination der Einflussrechte verschiedener öffentlicher Eigentümer zu gewährleisten ist. Die Rechte der privaten Anteilseigner erfahren hierdurch keine ungerechtfertigte Einbuße: Ob diese sich an einem öffentlich beherrschten Unternehmen beteiligen oder nicht, liegt in ihrer freien Entscheidung, und auch wenn sich die Mehrheitsverhältnisse erst nachträglich ändern, steht es ihnen wie bei der Änderung von Mehrheitsverhältnissen sonst frei, hierauf zu reagieren. Ohnehin unberührt bleibt ihre Rechtsstellung als Grundrechtsträger insbesondere des Eigentumsgrundrechts unmittelbar gegenüber den öffentlichen Anteilseignern oder sonst gegenüber der öffentlichen Gewalt. [Dazu Rn. 49ff. des Urteils].

(2) Abweichende Meinung des Richters Schluckebier
S. dazu die Zusammenfassung aus der Pressemitteilung:

Die unmittelbare Grundrechtsbindung der Fraport AG als einer sogenannten gemischtwirtschaftlichen Aktiengesellschaft aufgrund einer Beherrschung durch verschiedene Träger staatlicher Gewalt, die je für sich – neben privaten Anteilseignern – nur Minderheitsgesellschafter sind, lässt sich nur dann begründen, wenn die öffentlichen Anteilseigentümer ihre addierten Anteile am Grundkapital einer rechtlich verbindlichen Koordination ihrer Einflusspotentiale unterworfen haben oder sonst ein Interessengleichlauf sichergestellt ist. Diese Voraussetzung für die Annahme einer Beherrschung wird hier mit dem Konsortialvertrag zwischen der Bundesrepublik, dem Land und einer Beteiligungsgesellschaft der Stadt erfüllt sein. Der Senat sieht indessen vom Erfordernis einer Koordinierung der Einflusspotentiale ab, die im Gesellschaftsrecht für die Annahme einer Beherrschung anerkannt ist, obwohl die „öffentlichen Anteilseigentümer“ – je nach politischer Mehrheit – hinsichtlich des Flughafens divergierende, möglicherweise sogar gegenläufige Interessen verfolgen können. Weiter erzeugt die Senatsmehrheit mit ihrer Annahme, gesellschaftsrechtliche Einwirkungsbefugnisse allein seien auch bei einer summierten Anteilsmehrheit von mehr als 50% nicht geeignet, die Grundrechtsbindung solcher Gesellschaften zu ersetzen, einen Widerspruch: Bestünden tatsächlich Einwirkungsdefizite, dürfte gerade deshalb die Aktiengesellschaft selbst nicht der vollziehenden Gewalt (Art. 1 Abs. 3 GG) zugeordnet werden. Zudem ist die vollziehende Gewalt als ausgeübte Staatsgewalt an die Legitimation durch das Volk gekoppelt (Art. 20 Abs. 2 GG), was bei unzureichenden Einwirkungsmöglichkeiten der staatlichen Träger nicht genügend gewährleistet wäre.

b) Eröffnung des Terminals für den öffentlichen Verkehrs

„Der Frankfurter Flughafen ist in wesentlichen Bereichen als Ort allgemeinen kommunikativen Verkehrs ausgestaltet. Zwar gilt dies nicht für den gesamten Flughafen. So ist eine Berufung auf die Versammlungsfreiheit für die Sicherheitsbereiche, die nicht allgemein zugänglich sind, ebenso ausgeschlossen wie für solche Bereiche, die nur bestimmten Funktionen (zum Beispiel der Gepäckausgabe) dienen. Jedoch umfasst der Flughafen auch große Bereiche, die als Orte des Flanierens und des Gesprächs, als Wege zum Einkaufen und zu Gastronomiebetrieben ausgestaltet sind und hierfür einen allgemeinen Verkehr eröffnen. Unter der Rubrik „Einkaufen und Erleben“ wirbt die Beklagte, die sich als „City in the City“ versteht, im Internet: „Airport Shopping für alle!“, „Auf 4.000 Quadratmetern zeigt sich der neue Marktplatz in neuem Gewand und freut sich auf Ihren Besuch!“. Hier sind ersichtlich Orte als allgemein zugängliche öffentliche Foren ausgestaltet, deren Verkehrsflächen Versammlungen damit grundsätzlich offenstehen.“ (Rn. 72)

d) Ergebnis
Schutzbereich (+)
II. Eingriff
Die angegriffenen Entscheidungen greifen in die Versammlungsfreiheit ein. Grundsätzlich finden als Rechtsgrundlagen für Eingriffe durch die Versammlungsbehörden und die Vollzugspolizei auch im Frankfurter Flughafen die Vorschriften des Versammlungsgesetzes Anwendung. Daneben können Eingriffe durch die Flughafenbetreiberin aber auch auf das privatrechtliche Hausrecht gemäß § 903 Satz 1, § 1004 BGB als ein die Versammlungsfreiheit beschränkendes Gesetz im Sinne des Art. 8 Abs. 2 GG gestützt werden. Versammlungen an Orten allgemeinen kommunikativen Verkehrs sind Versammlungen unter freiem Himmel im Sinne des Art. 8 Abs. 2 GG. Dies gilt unabhängig davon, ob die der Allgemeinheit geöffneten Orte als solche in der freien Natur oder in geschlossenen Gebäuden liegen. Maßgeblich ist, dass Versammlungen an solchen Orten ihrerseits in einem öffentlichen Raum, das heißt inmitten eines allgemeinen Publikumsverkehrs stattfinden und von diesem nicht räumlich getrennt sind.
III. Rechfertigung
1. Schranke
Ist hier die Schranke des Art. 8 Abs. 2 anwendbar? Ja, weil Versammlung unter freiem Himmel (Rn. 75), da keine Zugangskontrolle, sondern im allgemeinen Publikumsverkehr (Rn. 76). Schranke sind hier §§ 903, 1004, 823 BGB (Rn. 79). Diese sind verfassungsgemäß und können neben dem VersG angewandt werden und stellen ebenfalls eine Ausgestaltung des VersG dar:

[Die Existenz des noch weitergeltenden Bundes-VersG] lässt unberührt, dass die öffentliche Hand, wenn sie in den Formen des Privatrechts handelt, Beschränkungen der Versammlungsfreiheit zusätzlich auf die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches, hier § 903 Satz 1, § 1004 BGB, stützen kann. Auch diese Vorschriften füllen in diesem Fall Art. 8 Abs. 2 GG aus. Dem steht nicht entgegen, dass es sich insoweit nicht um versammlungsbezogene Vorschriften handelt und damit deren Reichweite für Versammlungen durch den Gesetzgeber inhaltlich nicht näher präzisiert ist. Da die öffentliche Hand hier wie jeder Private auf die allgemeinen Vorschriften des Zivilrechts zurückgreift, ihr also keine spezifisch hoheitlichen Befugnisse eingeräumt werden und sie ihre Entscheidungen grundsätzlich auch nicht einseitig durchsetzen kann, sind die sonst an Eingriffsgesetze zu stellenden Anforderungen zurückgenommen. Auch das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG kann gegenüber solchen unspezifischen Bestimmungen eine Warnfunktion nicht erfüllen und findet keine Anwendung. Grundrechtseingriffe in Art. 8 Abs. 1 GG, die sich allein auf die allgemeinen Befugnisse des Privatrechts stützen, sind damit nicht schon deshalb verfassungswidrig, weil es an einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage fehlt. Dies ist die Konsequenz dessen, dass der Staat überhaupt in den Formen des Privatrechts handeln darf. (Rn. 82)

Anmerkung: Als Grundrechtsgebundenes öffentliches Unternehmen kann sich die Fraport AG nicht auf eigene Grundrechte berufen, Rn. 46. Wäre Art. 8 Abs. 2 GG nicht anwendbar gewesen, hätte man also Art. 14 GG nicht als kollidierendes Verfassungsrecht zur Beschränkung heranziehen können. Jedoch hätte man für Beschränkungen, die der Sicherheit dienen, auf die Grundrechte der Fluggäste verweisen können. Ob dagegen die Funktionsfähigkeit des Flugverkehrs als solche ein Gut von Verfassungsrang ist, kann man dagegen bezweifeln.
2. Schranken-Schranke
a) Die Senatsmehrheit

S. dazu die Zusammenfassung aus der Pressemitteilung:

„Der Eingriff ist nicht gerechtfertigt, weil das von den Zivilgerichten bestätigte Verbot unverhältnismäßig ist. Grundsätzlich können die zivilrechtlichen Befugnisse nicht so ausgelegt werden, dass sie über die den Versammlungsbehörden verfassungsrechtlich gesetzten Grenzen hinausreichen. Danach kommt die Untersagung einer Versammlung nur dann in Betracht, wenn eine unmittelbare, aus erkennbaren Umständen herleitbare Gefahr für mit der Versammlungsfreiheit gleichwertige, elementare Rechtsgüter vorliegt. Dies hindert indes nicht, dass dem besonderen Gefahrenpotential von Versammlungen in einem Flughafen in spezifischer Weise begegnet und die Rechte anderer Grundrechtsträger berücksichtigt werden können. Hierbei rechtfertigt die besondere Störanfälligkeit eines Flughafens in seiner primären Funktion als Stätte zur Abwicklung des Luftverkehrs auch Einschränkungen, die nach Maßgabe der Verhältnismäßigkeit im öffentlichen Straßenraum nicht hingenommen werden müssen. Auch kann die Flughafenbetreiberin nach Maßgabe der verfassungsrechtlichen Anforderungen für die Wahrnehmung des Versammlungsrechts im Flughafen transparente Regeln schaffen, die an die räumlichen Gegebenheiten und insbesondere an die spezifischen Funktionsbedingungen wie Gefahrenlagen angepasst sind. Solche Regeln lassen die hoheitlichen Befugnisse der Versammlungsbehörden und der Einsatzkräfte der Vollzugspolizei vor Ort unberührt.
Das vorliegende Verbot untersagt der Beschwerdeführerin jedoch ohne konkrete Gefahrenprognose auf unbegrenzte Zeit die Durchführung jeglicher Versammlungen in allen Bereichen des Flughafens, sofern diese nicht vorher nach Maßgabe einer grundsätzlich freien Entscheidung von der Fraport AG erlaubt werden. Dies ist mit der Versammlungsfreiheit nicht vereinbar.“

b) Abweichende Meinung des Richters Schluckebier
S. dazu die Zusammenfassung aus der Pressemitteilung:

„Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu Art. 8 GG erkennt der Senat zwar die besondere Sensibilität des von ihm eröffneten Versammlungsraums. Die von ihm hieraus gezogenen Schlüsse gehen jedoch nicht weit genug. Eine bloß geringfügige Beeinträchtigung kann in den Abfertigungshallen eines Großflughafens schnell in eine erhebliche, weitgreifende Betriebsstörung umschlagen, die dann zumal beim Erforderlichwerden der Schließung bestimmter Bereiche wegen der dichten Vernetzung des Luftverkehrs auf viele andere Flughäfen und deren Passagiere überwirken kann. [wird ausgeführt]“

B. Verletzung von Art. 5 Abs. 1 GG
Dazu noch die folgende Ergänzung:
I. Schutzbereich

“ Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG schützt das Äußern einer Meinung nicht nur hinsichtlich ihres Inhalts, sondern auch hinsichtlich der Form ihrer Verbreitung (vgl. BVerfGE 54, 129 <138 f.>; 60, 234 <241>; 76, 171 <192>). Hierzu gehört namentlich das Verteilen von Flugblättern, die Meinungsäußerungen enthalten. Geschützt ist darüber hinaus auch die Wahl des Ortes und der Zeit einer Äußerung. Der sich Äußernde hat nicht nur das Recht, überhaupt seine Meinung kundzutun, sondern er darf hierfür auch die Umstände wählen, von denen er sich die größte Verbreitung oder die stärkste Wirkung seiner Meinungskundgabe verspricht (vgl. BVerfGE 93, 266 <289>).
Allerdings verschafft auch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG dem Einzelnen keinen Anspruch auf Zutritt zu ihm sonst nicht zugänglichen Orten. Die Meinungsäußerungsfreiheit ist dem Bürger nur dort gewährleistet, wo er tatsächlich Zugang findet. Anders als im Fall des Art. 8 Abs. 1 GG ist dabei die Meinungskundgabe aber nicht schon ihrem Schutzbereich nach auf öffentliche, der Kommunikation dienende Foren begrenzt. Denn im Gegensatz zur kollektiv ausgeübten Versammlungsfreiheit impliziert die Ausübung der Meinungsfreiheit als Recht des Einzelnen in der Regel keinen besonderen Raumbedarf und eröffnet auch nicht einen eigenen Verkehr, der typischerweise mit Belästigungen verbunden ist. Vielmehr haben die Meinungsäußerungsfreiheit und das aus ihr folgende Recht der Verbreitung von Meinungen keinen spezifischen Raumbezug. Als Individualrecht steht sie dem Bürger vom Grundsatz her überall dort zu, wo er sich jeweils befindet.“ (Rn. 97f.)

II. Eingriff
(+)
III. Rechtfertigung
1. Schranke
Art. 5 Abs. 2 GG – „allgemeine Gesetze“ Sonderrechts- oder Abwägungslehre? h.M.: beides. §§ 903, 1004 BGB? (+)
2. Schranken-Schranke

„Nach diesen Maßstäben ist die Beklagte nicht generell daran gehindert, zur Gewährleistung der Funktionsfähigkeit des Flughafenbetriebs in bestimmten Bereichen wie beispielsweise auf der Luftseite hinter den Sicherheitskontrollen oder im Bereich von Rollbändern das Verteilen von Flugblättern erlaubnispflichtig zu machen oder gegebenenfalls auch ganz zu untersagen. Demgegenüber ist ein Verbot von Meinungskundgaben überhaupt oder auch eine umfassende Erlaubnispflicht, die das bloße Verteilen von Flugblättern einschließt, jedenfalls in den Bereichen, die als Räume öffentlicher Kommunikation ausgestaltet sind, unverhältnismäßig. [.. wie bei Fußgängerzonen…]“ (Rn. 106)

C. Ergebnis
Die Beschwerdeführerin ist in ihren Grundrechten aus Art. 5 und 8 GG verletzt. Die Verfassungsbeschwerde ist begründet.

22.02.2011/5 Kommentare/von Dr. Johannes Traut
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Johannes Traut https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Johannes Traut2011-02-22 14:53:212011-02-22 14:53:21Klausur: BVerfG zu Versammlungen auf Flughäfen (Fraport AG)
Dr. Simon Kohm

Kurzüberblick: BVerfG zu Versammlungen auf Flughäfen

Öffentliches Recht, Verfassungsrecht

Mit einer besonders examensrelevanten Thematik hatte sich das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom heutigen Tage (22.02.2011), Az. 1 BvR 699/06 zu befassen. Der Fall könnte 1:1 als Examensklausur im Öffentlichen Recht gestellt werden.
Zum Sachverhalt: Die Betreibergesellschaft des Frankfuter Flughafes Fraport AG (zu 70% im Eigentum der öffentlichen Hand)  hatte der Beschwerdeführerin gegenüber ein „Flughafenverbot“ erteilt; Meinungskundgabe und Demonstrationen wurden untersagt. Das Verbot bezog sich dabei auch auf die Bereiche des Flughafens, die frei zugänglich sind und in denen sich hauptsächlich Restaurants, Geschäfte oder ähnliche Einrichtungen befanden. Konkret hat die Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit einer drohenden Abschiebung Flugblätter verteilt, um der Sache damit öffentlich gehör zu verschaffen. Der BF wurde daraufhin ihre Tätigkeit auf dem Flughafengelände untersagt. Der zivilgerichtliche Rechtsschutz der BF (AG, LG, BGH) blieb in der Folge ohne Erfolg. Die Befugnis zur Untersagung folge vorliegend aus § 858 ff., 903, 1004 BGB und damit dem Hausrecht der Betreibergesellschaft. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die BF eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 GG.
Wir hatten bereits über den Fall berichtet, vorliegend soll die Argumentation des BVerfG nachvollzogen werden: Das BVerfG hat vorliegend entscheiden, dass die BF in ihrem Recht aus Art. 8 Abs. 1 GG verletzt ist.
Das  BVerfG führt aus, dass die Fraport AG der Grundrechtsbindung unterliege. Allein die Tatsache, dass hier privatrechtliche Nutzungsverhältnisse geschaffen würden, können zu keinem anderen Ergebnissen führen (keine Flucht ins Privatrecht). Die Fraport sei gem. Art. 1 Abs. 3 an die Grundrechte gebunden. Das gelte auch für gemischwirtschaftliche Unternehmen (vorliegend 70% Staatseigentum). Erforderlich sei allerdings, dass das Unternehmen von der öffentlichen Hand beherrscht werde. Entscheidend dafür seien die Mehrheitsverhältnisse und die Eingriffsmöglichkeiten. Hier müsste auf den Sachverhalt Bezug genommen werden. Ohne zu tief ins Gesellschaftsrecht einzusteigen, kann dies bei einer Quote von 70% sicher bejaht werden. Bezug genommen werden muss also nicht auf die mittelbare Wirkung der Grundrechte.
Zum Schutzbereich von Art. 8 Abs. 1 GG führt das BverfG aus, dass das Versammlungsrecht grundsätzlich für die Meinungsbildung in einer freiheitlich demokratischen Grundordnung unerlässlich ist. Geschützt sie die gemeinsame (körperliche) Meinungsäußerung nach außen. Dazu gehöre auch das Recht, Ort, Zeit und Art und Weise der Kundgabe selbst wählen zu dürfen. Indes müsse nicht zu jedem beliebigen Ort Zugang verschafft werden. Dies gilt insbesondere für solche Örtlichkeiten, die der Allgemeinheit nicht offen stehen oder schon auf Grund ihrer Natur her nicht geeignet sind, Versammlungen aufzunehmen. Das BverfG hält aber explizit fest, dass Versammlungen an den Orten erlaubt sein müssen, an denen ein allgemeiner, öffentlicher Verkehrs auszumachen sei. Entscheidend für diese Abgrenzung sei das „Leitbild des öffentlichen Forums“, so das BVerfG. Es komme also darauf an, ob der besagte Ort dazu genutzt werde, allgemeine Kommunikation auszutuschen bzw. dass dort gerade eine solche Kommunikation stattfinde. Dies sei dann der Fall, wenn durch die Schaffung von Örtlichkeiten wie Geschäften oder Gastronomie ein Umfeld geschaffen werden, dass zum Flanieren einlade. Hier werde ein Ort der Begegnung und Kommunikation geschaffen.
Im konkreten Fall bejaht der Senat diese Voraussetzungen, jedenfalls für die genannten öffentlich zugänglichen Bereiche. Die Sicherheitsbereiche seien hier ausgeschlossen. Überzeugend ist dabei vor allem die Bezugnahme des Senats auf die Werbung des Flughafens:
„City in the City“, „Airport Shopping für alle!“, „Auf 4.000 Quadratmetern zeigt sich der neue Marktplatz in neuem Gewand und freut sich auf Ihren Besuch!“
Hier wir bewusst ein Raum der Begegnung und Kommunikation geschaffen, der auch öffentlich zugänglich ist. Damit sieht das BVerfG vorliegend den Schutzbereich des Grundrechts als berührt an. Noch einmal herausgestellt werden muss die Problematik: Dass es sich hier bei der Kundgabe von Meinungen und dem Verteilen von Flugblättern grundsätzlich um eine Versammlung im Sinne von Art. 8 Abs. 1 GG handelte, ist wohl unstreitig. Einzig und allein der Ort, an dem diese stattfinden sollte, musste vorliegend näher beleuchtet werden.
Ansonsten hält das BVerfG fest:

  • Die Ermächtigungsgrundlagen des BGB können vorliegend als gesetzliche Grundlage dienen. Bei der Auslegung sind allerdings die Grenzen des Art. 8 Abs. 1 GG zu beachten.
  • Es liegt eine Versammlung „unter freiem Himmel vor“. Zu den Räumlichkeiten hat ein allgemeines Publikum Zugang.
  • Auch Art. 5 Abs. 1 GG sieht das BVerfG vorliegend als verletzt an. Das individuelle Recht der Meinungskundgabe stehe jedem Bürger grundsätzlich dort zu, wo er sich gerade befinde. Die Schutzbereichsberührung sei darin zu sehen, dass der BF der Zugang zum Flughafen untersagt werde, wenn sie dort (im Flughafen) Flugblätter verteile und damit ihre Meinung kundtue.

Eine überzeugende und detaillierte Auseinandersetzung mit dem Schutzbereich der Versammlungsfreiheit, wie ich finde. Es lohnen sich einmal die Originalausführungen des BVerfG (Rn. 61 f.). Die Examensrelevanz ist als hoch zu bezeichnen.

22.02.2011/1 Kommentar/von Dr. Simon Kohm
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Simon Kohm https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Simon Kohm2011-02-22 12:29:092011-02-22 12:29:09Kurzüberblick: BVerfG zu Versammlungen auf Flughäfen
Samuel Ju

VG Berlin: Keine Filmaufnahmen bei friedlichen Demos!

Öffentliches Recht, Öffentliches Recht, Verfassungsrecht

Mit der Frage, ob Filmaufnahmen durch die Polizei bei friedlichen Demonstrationen einen Eingriff in die Grundrechte der Versammlungsteilnehmer darstellen, hatte sich das VG Berlin (1 K 905.09) in einem Urteil vom 5.7.2010 aufeinanderzusetzen. In dem vorliegenden Sachverhalt hatte die Klägerin mit einer Feststellungsklage begehrt, die Rechtswidrigkeit der Filmaufnahmen festzustellen. Der Sachverhalt könnte in der Klausur im Öffentlichen Recht jedoch auch problemlos im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde abgeprüft werden. Gegenstand dieses Artikels soll daher nur die Frage sein, ob die Klägerin durch die Filmaufnahmen in ihren Grundrechten verletzt ist.
Sachverhalt (vereinfacht)
Die Klägerin veranstaltete zusammen mit anderen Interessenverbänden einen Aufzug vom Hauptbahnhof zum Brandenburger Tor mit mindestens 25.000 Teilnehmern. Am Platz des 18. März sollte noch eine Abschlusskundgebung stattfinden. Auf der Route des Aufzuges kam es zu keinen Zwischenfällen. Die Veranstaltung verlief – wie erwartet – ruhig und friedlich. Während des Aufzuges vom Hauptbahnhof zum Brandenburger Tor fuhren Einsatzkräfte der Polizei mit einem Kleintransporter weniger Meter vor dessen Spitze her und filmten den Aufzug mit mehreren auf dem Dach des Transporters montierten Kameras. Die so gewonnen Bilder wurden ohne Zeitverzögerung an die Einsatzleitstelle der Polizei übertragen. Einzelne Personen waren auf den Monitoren gut erkennbar. Auf Nachfrage teilten die Polizeibeamten diesem mit, dass eine Speicherung der Aufnahmen nicht stattfinde. Am Zielort der Kundgebung wurde der Übertragungswagen so aufgestellt, dass er einen Großteil der Versammlung mit seinen Kameras abdecken konnte.
Die Klägerin sieht sich durch die Videoaufnahmen in ihren Grundrechten verletzt.
I. Versammlungsfreiheit, Art.8 I GG
1. Schutzbereich
a) Persönlicher Schutzbereich: (+)
b) Sachlicher Schutzbereich: jede örtliche Zusammenkunft von mehreren Personen zur gemeinschaftlichen, auf Teilhabe an öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung (+)
Der Aufzug als Versammlung, die sich fortbewegt, ist ebenfalls geschützt. (vgl. § 19 VersG).
2. Eingriff
Ein Eingriff in den Schutzbereich eines Grundrechts ist jedes staatliche Handeln, dass die Ausübung bzw. Wahrnehmung des Grundrechts zumindest erschwert. Zwar wird nach dem klassischen Eingriffsbegriff unter einem Grundrechtseingriff ein staatliches Handeln durch Rechtsakt verstanden, das unmittelbar und gezielt (final) durch ein erforderlichenfalls zwangsweise durchzusetzendes Ge- oder Verbot, also imperativ zu einer Verkürzung grundrechtlicher Freiheiten führt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2002 – 1 BvR 670/91 -, BVerfGE 105, 279, 300). Der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts folgend, ist jedoch ein moderner Eingriffsbegriff zu Grunde zu legen. Dieser moderne Eingriffsbegriff, der sich jedenfalls für die speziellen Grundrechte durchgesetzt hat, lässt für einen Eingriff jedes staatliche Handeln genügen, das dem Einzelnen ein Verhalten, das in den Schutzbereich eines Grundrechts fällt, ganz oder teilweise unmöglich macht (BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2002 – 1 BvR 670/91 -, BVerfGE 105, 279, 299 – 301).
Fraglich ist hier, ob die Videoüberwachung ohne Speicherung als Maßnahme mit Eingriffsqualität zu werten ist.
VG Berlin + BVerfG: Eingriff (+)
Nach der Rechtsprechung des BVerfG liegt hier ein Eingriff durch die Videoüberwachung wegen seiner Abschreckungswirkung.
Dazu das VG Berlin:

Wenn der einzelne Teilnehmer der Versammlung damit rechnen muss, dass seine Anwesenheit oder sein Verhalten bei einer Veranstaltung durch Behörden registriert wird, könnte ihn dies von einer Teilnahme abschrecken oder ihn zu ungewollten Verhaltensweisen zwingen, um den beobachtenden Polizeibeamten möglicherweise gerecht zu werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Februar 2007 – 1 BvR 2368/06 –, DVBl 2007, 497 – 502). Durch diese Einschüchterung der Teilnehmer könnte mittelbar auf den Prozess der Meinungsbildung und demokratischen Auseinandersetzung eingewirkt werden (VG Münster, Urteil vom 21. August 2009 – 1 K 1403/08 – juris Rn. 13). Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen. Wer damit rechnet, dass etwa die Teilnahme an einer Versammlung oder einer Bürgerinitiative behördlich registriert wird und dass ihm dadurch Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf eine Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte (Art. 8, 9 GG) verzichten. Dies würde nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl, weil Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungsfähigkeit und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens ist (BVerfG, Urteil vom 15. Dezember 1983 – 1 BvR 209/83 -, BVerfGE 65, 1, 43 – Volkszählung; BVerfG, Beschluss vom 17. Februar 2009 – 1 BvR 2492/08 –, BVerfGE 122, 342, 369).
Es macht hier keinen Unterschied, ob die durch die Polizei gefertigten Aufnahmen auch gespeichert wurden, denn das Beobachten der Teilnehmer stellt bereits einen Eingriff in die Versammlungsfreiheit dar. Das polizeiliche Handeln knüpft einzig und allein an die Wahrnehmung des Versammlungsrechts durch die Teilnehmer an. Demnach ist die Anfertigung von Übersichtsaufnahmen nach dem Kamera-Monitor-Prinzip auch geeignet, bei den Teilnehmern ein Gefühl des Beobachtetseins hervorzurufen und diese – wenn auch ungewollt – in ihrem Verhalten zu beeinflussen oder von der Teilnahme an der Versammlung abzuhalten. Ob die Aufnahmen tatsächlich auch gespeichert wurden, kann der einzelne Versammlungsteilnehmer nicht wissen.

Der Rechtsprechung des BVerfG folgend – der sich hier auch das VG Berlin anschließt – würde die Beobachtung der Versammlung im Kamera-Monitor-Verfahren einen Eingriff in die Versammlungsfreiheit darstellen.
a.A. in der Literatur: Eingriff bei Filmaufnahmen ohne Speicherung (-)
Eine teilweise vertretene Ansicht in der Literatur verneint bei der Überwachung einer Versammlung einen Eingriff. Die Überwachung sei zu Koordinierungszwecken der Polizei erforderlich. Die Bejahung eines Eingriffs führe zu einer Versubjektisierung des Eingriffsbegriffs. Außerdem müsste man dann auch die Anwesenheit der Polizei bereits als einen Eingriff werten. Zudem zeige die Neuregelung des § 12a VersG, dass eine Überwachung nicht als Eingriff zu werten sei. Anders sei dies nur bei der Speicherung der Videoaufnahmen. Da laut Sachverhalt jedoch die Videoaufnahmen nicht gespeichert wurde, läge dieser Ansicht folgend kein Eingriff vor.
Streitentscheid:
Gegen die Ansicht der Literatur spricht jedoch, dass man nicht bereits einen Eingriff in die Grundrechte der Klägerin ablehnen muss, nur weil die Videobeachtung zur Koordinierung der Sicherheitskräfte erforderlich ist. Es ist nicht eine Frage des Eingriffs, sondern eine Frage, ob die Filmaufnahmen als Eingriff hier verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist.
Das VG Berlin hierzu:

Die Tatsache, dass die Einsatzkräfte der Polizei erklärte, es fände keine Aufzeichnung der Bilder statt, ändert nichts an der Beurteilung der Sachlage. Zum einen wurde dies nicht allen Versammlungsteilnehmern kundgetan. Zum anderen bleibt die einschüchternde Wirkung des für alle Teilnehmer deutlich sichtbaren und ständig vorausfahrenden Übertragungswagens erhalten. Der einzelne Versammlungsteilnehmer muss ständig damit rechnen, durch eine Vergrößerung des ihn betreffenden Bildausschnittes (Heranzoomen) individuell und besonders beobachtet zu werden. Mit den heutigen technischen Möglichkeiten ist dies generell möglich, so dass ein prinzipieller Unterschied zwischen Übersichtsaufnahmen und personenbezogenen Aufnahmen nicht mehr besteht (BVerfG, Beschluss vom 17. Februar 2009 – 1 BvR 2492/08 –, BVerfGE 122, 342, 368 – 369; VG Münster, Urteil vom 21. August 2009 – 1 K 1403/08 – juris Rn. 16). Hinzu kommt, dass die technische Möglichkeit, die Übersichtsaufnahmen auch zu speichern, dem Grunde nach besteht und jederzeit mittels Knopfdruck erfolgen kann – auch versehentlich. Insofern verweist der Beklagte zu Unrecht darauf, dass hier kein Unterschied zu einem die Sachlage beobachtenden Polizeibeamten vor Ort vorliege. Dieser würde die Versammlungsteilnehmer – in der Regel abseits stehend – wohl kaum in derselben Weise irritieren, wie ein nur wenige Meter vor ihnen herfahrender Übertragungswagen, der fortlaufend mehrere Kameras auf sie gerichtet hat.

Wegen der erheblichen Einschüchterungswirkung, die von ungewollten Verhaltensweisen bis hin zum vollständigen Verzicht der Teilnahme an der Versammlung führen kann, ist hier, der Rechtsprechung folgend auch bei Filmaufnahmen ohne Speicherung ein Eingriff folglich zu bejahen.
3. Rechtfertigung aufgrund der Grundrechtsschranke des Art.8 II GG
Als Rechtsgrundlage kommt hier die §§ 12a i.V.m. 19a VersG in Betracht. Danach darf die Polizei Bild- und Tonaufnahmen von Teilnehmern bei oder im Zusammenhang mit öffentlichen Versammlungen nur anfertigen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass von ihnen erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen. Diese Voraussetzungen liegen hier jedoch nicht vor, da zum Zeitpunkt des Aufzuges keine tatsächlichen Anhaltspunkte erkennbar waren, dass von den Versammlungsteilnehmern erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgingen. Eine Gefahrenprognose im Vorfeld des Aufzuges am 5. September 2009 in Berlin, welche ein polizeiliches Eingreifen erforderlich gemacht hätte, ist nicht ersichtlich.
Weitere Rechtsgrundlagen liegen hier nicht vor. Insbesondere ist kein Rückgriff auf das allgemeine Polizeirecht möglich, da dieser nur zum Schutz der Versammlung oder aber als milderes Mittel gegenüber einer tatbestandlich zulässigen Auflösung möglich ist. Diese Fälle liegen hier nicht vor.
Zwischenergebnis: Eingriff in die Versammlungsfreiheit gem. Art. 8 Abs. 1 GG damit (+)
II. Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, Art.2 I i.V.m Art.1 I GG
1. Schutzbereich
Dieses Grundrecht umfasst die aus dem Gedanken der Selbstbestimmung folgende Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden (BVerfG, Urteil vom 15. Dezember 1983 – 1 BvR 209/83 -, BVerfGE 65, 1, 41 – 42 – Volkszählung).
2. Eingriff
Das VG Berlin bejaht vorliegend auch einen Eingriff:

Bereits die Beobachtung der Versammlungsteilnehmer im Kamera-Monitor-Verfahren, ohne eine Speicherung der Daten, stellt einen Eingriff dar, denn die Beobachtung, Auswertung und Speicherung der Daten stellt aus der Sicht der betroffenen Versammlungsteilnehmer einen einheitlichen Lebenssachverhalt dar (OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 8. Mai 2009 – 16 A 3375/07 – juris Rn. 39 – Videoüberwachung einer Universitätsbibliothek). Es besteht jederzeit die Möglichkeit, ohne weiteres von der Übersichtsaufnahme in die Nahaufnahme überzugehen und somit den Einzelnen individuell zu erfassen. Durch die so aufwandslose Möglichkeit der Erhebung personenbezogener Daten liegt eine faktische Beeinträchtigung des grundrechtlichen Schutzgegenstandes vor, die einer Grundrechtsgefährdung als Eingriff gleichkommt.

3. Rechtfertigung
Auch hier ist keine Rechtsgrundlage vorhanden (s.o).
Zwischenergebnis: Mithin ist ein Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gem. Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG gegeben.
Gesamtergebnis:
Die Klägerin ist durch die Videoaufnahmen – auch ohne Speicherung – in Ihren Grundrechten aus Art. 8 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verletzt.
Die Leitsätze des VG Berlin als Zusammenfassung:
1. Die Beobachtung einer Versammlung durch die Polizei mittels Kameras und die Übertragung der Bilder in die Einsatzleitstelle ohne die Einwilligung der Versammlungsteilnehmer stellt einen Eingriff in die Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.Vm. Art. 1 Abs. 1 GG) dar. Dies gilt auch, wenn keine Speicherung der Bilder erfolgt.
2. Das bloße Beobachten und Anfertigen von Übersichtsaufnahmen durch die Polizei, verbunden mit der technischen Möglichkeit des gezielten Heranzoomens einzelner Teilnehmer einer Versammlung, überschreitet die Schwelle zum Eingriff in den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG). Der einzelne Versammlungsteilnehmer könnte durch das Gefühl des Beobachtetseins ungewollt eingeschüchtert und zu bestimmten, aus seiner Sicht den beobachtenden Polizeibeamten gerecht werdenden Verhaltensweisen veranlasst oder sogar von der Teilnahme an der Versammlung abgehalten werden. Für den Teilnehmer ist es nicht erkennbar, ob neben der Übertragung der Bilder in Echtzeit auch eine Speicherung der Daten erfolgt.
3. Die §§ 12a und 19a des Versammlungsgesetzes stellen keine Rechtsgrundlage für das Anfertigen von Übersichtsaufnamen zur Lenkung und Leitung während einer Versammlung dar, sofern nicht eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung vorliegt. Das Anfertigen von Übersichtsaufnahmen während einer Versammlung bedarf einer gesetzlichen Grundlage.
Quelle für Zitierungen in der Lösung und die Leitsätze: Entscheidungsdatenbank Berlin-Brandenburg

18.11.2010/2 Kommentare/von Samuel Ju
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Samuel Ju https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Samuel Ju2010-11-18 08:46:042010-11-18 08:46:04VG Berlin: Keine Filmaufnahmen bei friedlichen Demos!

Über Juraexamen.info

Deine Zeitschrift für Jurastudium, Staatsexamen und Referendariat. Als gemeinnütziges Projekt aus Bonn sind wir auf eure Untersützung angewiesen, sei es als Mitglied oder durch eure Gastbeiträge. Über Zusendungen und eure Nachrichten freuen wir uns daher sehr!

Werbung

Anzeige

Neueste Beiträge

  • BGH zur Halterhaftung nach dem StVG
  • Basiswissen Kriminologie – über Genese, bekannte Persönlichkeiten und die relativen Straftheorien
  • Die mündliche Prüfung im ersten Staatsexamen

Weitere Artikel

Auch diese Artikel könnten für dich interessant sein.

Redaktion

BGH zur Halterhaftung nach dem StVG

Rechtsprechung, Startseite

Wir freuen uns, nachfolgenden Gastbeitrag von Simon Mantsch veröffentlichen zu können. Er studiert Rechtswissenschaften an der Universität Bonn und ist als Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Flick Gocke Schaumburg tätig. In einer kürzlich veröffentlichten […]

Weiterlesen
16.03.2023/1 Kommentar/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2023-03-16 08:30:022023-03-16 08:33:08BGH zur Halterhaftung nach dem StVG
Alexandra Ritter

Die mündliche Prüfung im ersten Staatsexamen

Lerntipps, Mündliche Prüfung, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Startseite, Strafrecht, Uncategorized, Verschiedenes, Zivilrecht

Viele Jahre bereitet man sich durch Studium und Repetitorium darauf vor und irgendwann ist es soweit: man schreibt das erste Staatsexamen. Sechs Klausuren und eine mündliche Prüfung (so zumindest in […]

Weiterlesen
06.03.2023/2 Kommentare/von Alexandra Ritter
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Alexandra Ritter https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Alexandra Ritter2023-03-06 09:00:002023-03-13 08:18:47Die mündliche Prüfung im ersten Staatsexamen
Gastautor

Basiswissen Kriminologie – über Genese, bekannte Persönlichkeiten und die relativen Straftheorien

Rechtsgebiete, Startseite, Strafrecht, Strafrecht AT, Verschiedenes

Wir freuen uns, nachfolgenden Gastbeitrag von Sabrina Prem veröffentlichen zu können. Die Autorin ist Volljuristin. Ihr Studium und Referendariat absolvierte sie in Düsseldorf. Was genau verbirgt sich eigentlich hinter dem Begriff „Kriminologie“? […]

Weiterlesen
06.03.2023/1 Kommentar/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2023-03-06 09:00:002023-03-15 09:06:21Basiswissen Kriminologie – über Genese, bekannte Persönlichkeiten und die relativen Straftheorien

Support

Unterstütze uns und spende mit PayPal

Jetzt spenden
  • Über JE
  • Das Team
  • Spendenprojekt
  • Gastautor werden
  • Mitglied werden
  • Alumni
  • Häufige Fragen
  • Impressum
  • Kontakt
  • Datenschutz

© 2022 juraexamen.info

Nach oben scrollen