Wir freuen uns, einen Gastbeitrag von Marilena Mroß veröffentlichen zu können. Die Autorin ist Studentin der Rechtswissenschaft an der Universität Hamburg und hat dort den Schwerpunkt Maritimes Wirtschaftsrecht belegt.
Seit Beginn der Flüchtlingskrise entlädt sich besonders viel Zorn und Feindseligkeit im Internet. Während das BKA im Jahr 2014 noch 1.119 Hasspostings zählte, waren es im vergangenen Jahr bereits 3.084[1]. Dabei gelangt längst nicht jede Pöbelei oder Drohung in die Polizeistatistik. Unter dem vermeintlich sicheren Deckmantel der Anonymität des Internets wüten viele Nutzer hemmungslos gegen Ausländer und Flüchtlinge. Nicht selten werden durch die Beiträge auch Straftatbestände verwirklicht. Dass Worten auch direkte Taten folgen können, lässt die zunehmende Zahl von Anschlägen auf Asylbewerberunterkünfte in Deutschland vermuten. Experten gehen davon aus, dass sich Neonazis durch Hetze zum Handeln ermuntert fühlen[2]. Die steigenden Flüchtlingszahlen machen aber auch Bürger aus der Mitte der Gesellschaft empfänglicher für derartige Botschaften.
Ein jüngst ergangenes Urteil des LG Würzburg gegen einen Internethetzer wird als Anlass für die folgenden Ausführungen genommen.
I. LG Würzburg, Urteil vom 17.10.2016
Am 17.10.2016 verurteilte das Landgericht Würzburg einen Mann wegen rechtsradikaler Hassparolen bei Facebook im Berufungsverfahren zu einer Gefängnisstrafe von eineinhalb Jahren[3]. Ein Amtsgericht hatte den Mann 2015 zu zwei Jahren und drei Monaten Gefängnis verurteilt[4], das Landgericht bestätigte die Haftstrafe, setzte sie aber herab.
Der Mann hatte auf Facebook Hassparolen veröffentlicht und zu Gewalt und Mord aufgerufen. Unter anderem hatte er gegen Flüchtlinge, Ausländer und Juden gehetzt.
II. Strafverfolgung von Internethetzern
Als Hetz- und Hasskommentar-Straftatbestände kommen v.a. die öffentliche Aufforderung zu Straftaten, § 111 StGB, Anstiftung zur Straftat (sofern ein Dritter der öffentlichen Aufforderung nachkommt)[5], Volksverhetzung und Gewaltverherrlichung, §§ 130, 131 StGB, Nötigung und Bedrohung, §§ 240, 241 StGB, sowie Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung, §§ 185 – 187 StGB, in Betracht. Beim Großteil der erfassten „Hasspostings“ im Jahr 2015 handelte es sich um Fälle der Volksverhetzung[6].
Auch im Falle des LG Würzburg wurde der Angeklagte (neben öffentlichen Aufrufs zu Straftaten) wegen Volksverhetzung verurteilt. Wer mit seinem Facebook-Profil Meldungen postet, die in rassistischer Weise hetzen, kann den Tatbestand des § 130 StGB erfüllen. In Deutschland gilt zwar grundsätzlich die durch Art. 5 I GG verfassungsrechtlich geschützte Meinungsfreiheit. Allerdings sind diesem Grundrecht durch Abs. 2 Alt. 1 Grenzen gesetzt, wenn die Meinungsäußerung gegen allgemeine Gesetze, wie § 130 StGB, verstößt[7].
1. Strafbarkeit aus § 130 I StGB
Gem. § 130 I, II StGB kommen als unmittelbare Angriffsobjekte Teile der Bevölkerung sowie zugehörige Einzelpersonen in Betracht. Bevölkerungsteile sind inländische Personenmehrheiten, die individuell nicht mehr überschaubar sind und sich von der Gesamtheit der Bevölkerung auf Grund bestimmter Merkmale unterscheiden, welche äußerer oder innerer Art sein können[8]. Darüber hinaus erfasst Abs. 1 seit 2011 nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppen, ist somit nicht mehr auf inländische Gruppierungen beschränkt[9]. Sowohl Ausländer[10] als auch Flüchtlinge[11] und Juden[12] bilden damit Personengruppen i.S.d. § 130 StGB.
Bei § 130 I StGB muss das Aufstacheln zum Hass, die Aufforderung zu Gewaltmaßnahmen bzw. der Angriff auf die Menschenwürde geeignet sein, den öffentlichen Frieden zu stören. § 130 III StGB verbietet das öffentliche Billigen, Leugnen oder Verharmlosen des Völkermordes, der unter der Nazi-Willkürherrschaft begangen wurde, sofern es geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.
Bei beiden Delikten handelt es sich um abstrakt-konkrete Gefährdungsdelikte. Diese erfordern keine konkrete Gefahr, wohl aber eine konkrete Eignung zur Herbeiführung einer Gefahr[13]. Die Handlung muss somit bei konkreter Betrachtung zur Friedensstörung geeignet sein. Hierfür genügen berechtigte Gründe für die Befürchtung, der Angriff werde das Vertrauen in die öffentliche Rechtssicherheit erschüttern – sei es auch nur bei der Bevölkerungsgruppe, gegen die er sich richtet[14]. Anhaltspunkt dafür kann bereits die Publikation für eine breite Öffentlichkeit sein[15]. Jedoch folgt aus der inflationären Einstellung fast jeder Nachricht in das Internet eine Abrufbarkeit für jedermann. Dies hat zur Folge, dass dem Tatbestandsmerkmal der Eignung zur Friedensstörung – auf die Wahrnehmbarkeitsbreite der Nachricht reduziert – nahezu jede eigene Bedeutung genommen[16] bzw. der Kreis tatbestandsmäßiger Handlungen ausufern würde. Somit lässt sich die Friedensstörungseignung nicht schon nur aus dem Zugänglichmachen über das Internet schließen. Stattdessen können bei der Beurteilung im Einzelfall ebenfalls die jeweiligen aktuellen Rahmenbedingungen, die Befindlichkeit der Bevölkerung und die politische Situation berücksichtigt werden.
2. Strafbarkeit aus § 130 II StGB
§ 130 II Nr. 1 StGB ist ein Schriften-Verbreitungsdelikt. Zunächst müsste es sich bei Postings im Internet um Schriften i.S.d. § 130 II Nr. 1 StGB handeln. Nach § 11 III StGB sind auch Datenträger den Schriften gleichgestellt. Bei den auf dem Computerbildschirm abgebildeten Zeichen handelt es sich mangels Dauerhaftigkeit der Darstellung nicht um Schriften[18]. Beim Veröffentlichen eines Posts wird dieser jedoch zumindest auf dem Internetserver des Anbieters, und damit einem Datenträger i.S.d. § 11 III StGB, gespeichert[19].
Weiter müsste diese Schrift durch Absetzen der Mitteilung verbreitet und/oder zugänglich gemacht worden sein. Zugänglichmachen liegt vor, wenn einem anderen die Möglichkeit eröffnet wird, sich durch sinnliche Wahrnehmung Kenntnis von dem Inhalt der Schrift zu verschaffen, wobei dies öffentlich erfolgen muss[20]. Durch das Posten der Nachricht wird anderen die Kenntnisnahme des Inhalts der Schrift ermöglicht, da die Nachricht aufgrund des sozialen Netzwerkcharakters von Facebook potentiell für die Nutzerschaft, und damit öffentlich, abrufbar ist[21]. Erfasst sind im Einzelfall auch geschlossene Benutzergruppen, soweit diese ohne größere Schwierigkeiten von jedermann betreten werden können[22].
Während früher für die Verbreitung neben dem Zugänglichmachen an einen größeren individuell nicht feststehenden Personenkreis auch die körperliche Übergabe der Schrift bzw. des Schriftenträgers nötig war, verzichtet die Rechtsprechung mittlerweile in Anpassung an die Internetmedien auf das Körperlichkeitserfordernis. Demnach liegt ein Verbreiten bereits vor, wenn eine Datei auf dem Rechner eines Internetnutzers abgespeichert wurde[23]. Noch weiter fasste der BGH den Begriff 2006, indem er bereits das Einstellen von Dateien in das Internet als Verbreiten bezeichnete[24]. Teile der Literatur kritisieren diese weite Auslegung des Begriffs: Bei seiner Begriffsbestimmung verwische der BGH die Grenzen zwischen Schrift bzw. dem Datenträger und dem jeweiligen Inhalt, obwohl die Internetpublikation regelmäßig bereits die Tatbestandsvariante des Zugänglichmachens erfüllt, sodass auch bei engerer Auslegung des Begriffs keine Strafbarkeitslücke vorhanden sei. Ferner verhindere die Begriffsbestimmung des BGH eine sinnvolle Abgrenzung zwischen „Verbreiten“ und „Zugänglichmachen“, obwohl Wortsinn und Systematik des § 130 II StGB eine inhaltliche Differenzierung nahelegen[25].
Bei der Freischaltung einer Statusmeldung/eines Kommentars im sozialen Netzwerk ist es der publizierenden Person grundsätzlich nicht möglich, den wahrnehmenden Personenkreis verbindlich zu begrenzen und so zu kontrollieren. Zwar wird die Statusmitteilung zunächst nur an die (zahlenmäßig bestimmten) befreundeten Profile geleitet und befindet sich damit kurzfristig in einer nicht allgemein, d.h. von jedermann zugänglichen Sphäre. Allerdings ist diese Kommunikationsform – Statusmitteilungen im Dienst Facebook – gerade auf die beliebige Weiterverbreitung angelegt (im Gegensatz zur „privaten Nachricht“), die Wahl des Publikationsmediums spricht damit für den Wunsch einer öffentlichen Kundgabe[26]. Beim Einstellen ins Internet liegt somit nach der Rechtsprechung neben dem Zugänglichmachen auch eine Verbreitung vor[27]. Ferner müsste die tatgegenständliche Schrift gem. Abs. 2 Nr. 1 lit. a – c volksverhetzenden Inhalt enthalten. Bei Abs. 2 ist die konkrete Eignung zur Friedensstörung nicht erforderlich, § 130 II StGB ist ein abstraktes Gefährdungsdelikt[28].
III. Haftung von sozialen Medien
Weiter sollen auch die sozialen Medien selbst in Verantwortung genommen werden. Bereits im September 2015 hatte sich eine – auf Initiative des BMJV – gebildete Arbeitsgruppe von Internetanbietern, zivilgesellschaftlichen Organisationen und Einrichtungen der Medienkontrolle darauf geeinigt, dass gemeldete und strafbare Kommentare in der Regel innerhalb von 24 Stunden entfernt werden sollen[29]. Die Löschung erfolgt jedoch noch immer unzureichend, sodass viele Posts wesentlich länger online abrufbar bleiben[30]. Zur Debatte steht daher, die Internetkonzerne für die auf ihren Plattformen verbreiteten Inhalte haften zu lassen (z.B. Bußgeldzahlungen oder Schadensersatzzahlungen an die Opfer bei Nicht- bzw. verspätetem Löschen strafbewehrter Einträge)[31]. Für Plattformbetreiber könnte ferner – etwa bei volksverhetzenden Beiträgen ihrer Nutzer – eine Beihilfe gem. § 27 StGB in Betracht kommen, soweit sie konkrete Kenntnis von strafrechtlich relevanten Inhalten erlangen und diese nicht unverzüglich entfernen[32].
Facebook ist derzeit maßgeblicher Transporteur von Hassreden in Deutschland. Schwierigkeiten bereitet dem aus den USA stammenden Unternehmen die strafrechtliche Bewertung von Beiträgen insb. wegen Ungleichheiten der Rechtssysteme. Der deutsche Straftatbestand der Volksverhetzung i.S.d. § 130 StGB ist mit den US-amerikanischen Vorstellungen von „Free Speech“ nicht vereinbar. Facebook müsste, um eine rechtlich korrekte Bewertung zu gewährleisten, eine rechtliche Fragmentierung der Plattform vornehmen, um den jeweiligen, teilweise sehr unterschiedlichen Rechtsordnungen gerecht zu werden, statt global gültige Regeln aufzustellen.
IV. Fazit
Die bundesweite quantitative Zunahme an rechtsextremistischer Agitation im Netz führt zu dringendem Handlungsbedarf. Vermeintlich rechtsfreie Räume sind nicht hinnehmbar.
Das Bewusstsein der User, sich auch anonym und zuhause hinter dem eigenen Rechner strafbar zu machen, muss geschärft werden. Hierfür sind bundesweite Razzien gegen digitale Hetzer und erste Urteile, wie das des LG Würzburg, mit generalpräventiver Wirkung begrüßenswert. Auch die Mithilfe anderer User, sozial verantwortlich zu handeln und Hasspostings zu melden, ist unablässig. Dies führt natürlich nur dann zu den gewünschten Erfolgen, wenn die Internetunternehmen die gemeldeten strafbewehrten Posts dann auch unverzüglich löschen.
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[1] Bundesministerium des Innern, Politisch Motivierte Kriminalität im Jahr 2015, Bundesweite Fallzahlen, S. 5, abrufbar unter: https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Nachrichten/Pressemitteilungen/2016/05/
pmk-2015.pdf?__blob=publicationFile.
[2] Pressemitteilung des BKA „Gegen Hass und Hetze im Netz: Bundesweiter Einsatztag zur Bekämpfung von Hasspostings” vom 13.07.2016, S. 2, abrufbar unter https://www.bka.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/Presse_2016/pm160713_Hatespeech.html.
[3] LG Würzburg, AZ: 2 Ns 701 Js 20195/14.
[4] AG Kitzingen, AZ: 1 Ls 701 Js 20195/14.
[5] Problematisch allerdings bei unüberschaubaren Zahlen an verbundenen Facebookprofilen die Tatbestandvoraussetzung des „individualisierbaren Personen/-Adressatenkreises“.
[6] 2.261 von 3.084, vgl. Bundesministerium des Innern, Politisch Motivierte Kriminalität im Jahr 2015, Bundesweite Fallzahlen, S. 5.
[7] Schemmer, in Epping/Hillgruber, Beck’scher Online-Kommentar Grundgesetz, 30. Aufl. 2016, Art. 5 Rn. 97 ff., 113.
[8] Sternberg-Lieben, in Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 29. Aufl. 2014, § 130 Rn. 3.
[9] Kühl, in Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl. 2014, § 130 Rn. 2.
[10] NStZ-RR 12, 277; Hamm NStZ 95, 136.
[11] Bay NJW 94, 452; 95, 145; Frankfurt NJW 95, 143.
[12] BGHSt 16, 56; 21, 371; 29, 26.
[13] Schäfer, in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl. 2012, § 130 Rn. 9.
[14] BGHSt 16, 49, 56.
[15] BGHSt 29, 26, 27; 46, 212, 219.
[16] BGH NStZ 2007, 216, 217.
[17] OLG Brandenburg NJW 2002, 1440, 1441; AG Linz am Rhein NStZ-RR 1996, 358, 359; OLG Frankfurt NJW 1995, 143, 144.
[18] Römer, Verbreitungs- und Äußerungsdelikte im Internet, 2000, S. 84 f.
[19] Schulte/Kanz, Daumen hoch?! – Die Like-Funktion im sozialen Netzwerk Facebook aus strafrechtlicher Perspektive, ZJS 1/2013, S. 29, 30.
[20] Rackow, in Heintschel-Heinegg, Beck’scher Online Kommentar StGB, 32 Aufl. 2016, § 130 Rn. 27.
[21] Schulte/Kanz, Daumen hoch?! – Die Like-Funktion im sozialen Netzwerk Facebook aus strafrechtlicher Perspektive, ZJS 1/2013, S. 34.
[22] LG Wuppertal NStZ 08, 464.
[23] BGHSt 47, 55, 58.
[24] BGH NStZ 2007, 216, 217.
[25] Lindemann/Wachsmuth, JR 2002, 204, 207 ff; Hilgendorf/Valerius, Computer- und Internetstrafrecht, 2. Aufl. 2012, Rn. 303.
[26] Schulte/Kanz, Daumen hoch?! – Die Like-Funktion im sozialen Netzwerk Facebook aus strafrechtlicher Perspektive, ZJS 1/2013, S. 29.
[27] BGH NStZ 2007, 216, 217; BayObLG NJW 2000, 2911, 2912.
[28] Ostendorf, in Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 4. Aufl. 2013, § 130 Rn. 21.
[29] Task Force „Umgang mit rechtswidrigen Hassbotschaften im Internet“; dazu ausführlich: https://www.bmjv.de/WebS/NHS/DE/Home/home_node.html.
[30] Pressemitteilung des BMJV „Löschung von strafbaren Hasskommentaren im Netz noch nicht ausreichend“ vom 26.09.2016, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2016/09262016_
Hasskriminalitaet.html;jsessionid=796BC57F6B2E785D7DB82CBBAF4AE044.1_cid289.
[31] So z.B. EU-Digitalkommissar Günter Oettinger und Unions-Fraktionschef Volker Kauder.
[32] Aktuell wird eine derartige Strafanzeige des Anwalts Chan-jo Jun gegen Facebook Manager bei der Staatsanwaltschaft München geprüft.
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Das OLG Hamm hat am 1.10.2015 entschieden, dass das in der Öffentlichkeit hörbare Singen des sog. U-Bahn-Liedes mit
dem Text ʺEine U-Bahn, eine U-Bahn, eine U-Bahn bauen wir, von Jerusalem bis nach Auschwitz, eine U-Bahn bauen wir!ʺ den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllen kann. Ein Lied, das rund um Fußballstadien Deutschland leider immer wieder von einigen wenigen angestimmt wird. Nun wurde die entsprechende Pressemitteilung veröffentlicht, die Anlass zur kritischen Diskussion des Falles sein soll und zeigt, dass das (moralisch?) richtige Ergebnis manchmal doch schwierig zu begründen ist.
Zum Sachverhalt aus der Pressemitteilung:
Die 1970 und 1973 geborenen Angeklagten aus Gottmadingen besuchten im April 2014 das Bundesligaspiel Borussia Dortmund gegen den FSV Mainz, aufgrund getragener Trikots als Fans des Vereins Borussia Dortmund erkennbar. Nach dem Ende des Spiels sangen sie Arm in Arm im Bereich des Vorplatzes am Nordausgang des Stadions in der Nähe einer Gruppe Mainzer Fans für die umstehenden Personen deutlich hörbar das sog. U-Bahn-Lied mit dem oben zitierten Text.
Die Angeklagten wurden wegen Volksverhetzung nach § 130 Abs. 2 StGB verurteilt. Dieser lautet:
Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich oder in einer Versammlung billigt, leugnet oder verharmlost.
§ 130 Abs. 3 StGB war nicht nur bereits Gegenstand einer Vielzahl von Einzelfallentscheidungen, sondern auch das BVerfG hat sich im Hinblick auf die Verfassungskonformität mit ihm beschäftigt (s. etwa BVerfG v. 06.4.2006 – 1 BvQ 10/06; v. 13.4.1994 – 1 BvR 23/94). Für die Klausur sollte beachtet werden, dass das BVerfG relativ streng wertet, da häufig der Schutzbereich der Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 GG eröffnet ist. Der Tatbestand des § 130 Abs. 3 StGB wird auch in der Literatur eher kritisch gesehen (s. Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl. 2014).
Das OLG begründet die Strafbarkeit nun damit, dass durch das Singen des Liedes zum einen eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten
Art in einer Weise verharmlost wird und zum anderen hierdurch der öffentliche Frieden gestört wird. Beides kann man mit guten Gründen anders sehen. Insoweit sollen für eine Prüfung Anknüpfungspunkte der Argumentation aufgeworfen werden, ohne das Ergebnis zu determinieren.
1. Das OLG begründet die Verharmlosung damit, dass durch die von den Sängern zum Ausdruck gebrachte Möglichkeit das Konzentrationslager wieder aufzubauen, der Unrechtsgehalt der unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Taten begrenzt werden:
Dadurch erscheine der Völkermord der Nationalsozialisten an den Juden in seinem Unrechtsgehalt
begrenzt, mithin nicht schwerwiegend und der Gedanke einer Wiederholung als billigenswert. Aus Sicht eines verständigen Zuhörers erscheine das als eine Verharmlosung der Verbrechen der Nationalsozialisten.Es gebe keine Begleitumstände, die das Lied in einen anderen Kontext, z.B. den einer Fanrivalität, stellen könnten. Das Lied sei
zwar in der Nähe einer Gruppe Mainzer Fans gesungen worden, sein Inhalt aber nicht an diese gerichtet gewesen, Mainz sei nicht Jerusalem und Jerusalem sei am Spiel nicht beteiligt gewesen.
Diese Argumentation ist durchaus angreifbar. Dass die „Fans“ hier nach dem Abpfiff vor den Stadiontoren gegnerische Fans provozieren wollten und ihre „Überlegenheit“ zum Ausdruck bringen wollten, liegt auf der Hand. Die vom OLG vorgenommene Auslegung widerspricht daher der vom BVerfG geforderten grundrechtsfreundlichen Auslegung, nach der diejenige noch möglich Auslegung gewählt werden muss, die vom Schutzbereich der Grundrechte erfasst ist (s. etwa BVerfG NJW 2001, 61, 62). Daneben führt der letzte zitierte, durchaus eingänge Satz des OLG Hamm aus der Pressemitteilung zu der Frage: Wenn „Fans“ das „U-Bahn-Lied“ gegen Beitar Jerusalem singen, liegt dann etwa keine Verharmlosung des Holocaust vor? Schließlich ist die ja die „richtige“ Stadt genannt und man könnt eine Auslegung i.S. einer Fanrivalität annehmen. Ein völlig sinnwidriges Ergebnis. Besser wäre es daher davon auszugehen, dass unabhängig vom Äußerungskontext das „U-Bahn-Lied“ eine Verharmlosung des Holocaust darstellt und dies gerade zwischen rivalisierenden „Fans“. Vielleicht wollte das OLG Hamm dies sogar so sagen – der Wortlaut der Entscheidung ist insoweit jedoch mehr als missverständlich.
Andere Gerichte gehen übrigens davon aus, dass gerade durch die Heranziehung des Holocausts die besonders grausame Vernichtung des Gegner gewünscht wird, so dass deswegen keine Verharmlosung vorliegt – so etwa das OLG Rostock ( v 23.7.2007 – 1 Ss 080/06 I 42/06, 1 Ss 80/06 I 42/06 –, Rn. 10, juris):
Infolgedessen lässt sich der Text des Liedes dahin interpretieren, dass den „Gegnern“ eine – als solche erkannte und als historische Wahrheit akzeptierte – besonders grausame und menschenverachtende Vernichtung gewünscht wird, wobei offen bleiben kann, ob dies (lediglich) im übertragenen – sportlichen – Sinn zu deuten ist. „Auschwitz“ ist schlagwortartiges Synonym für diese Vernichtung. Einer solchen – angesichts des Gesamtgeschehens sogar nahe liegenden – Deutung stünde ein qualitatives oder quantitatives Bagatellisieren jedoch entschieden entgegen. Dass das Geschehen in „Auschwitz“ gutgeheißen werden sollte, ist ebensowenig – jedenfalls nicht „ohne Deuteln“ – zu erkennen: Vielmehr bedingt – wie hier – gerade dessen Einzigartigkeit eine sprachlich verknappte (synonyme) Ausdrucksform, ohne dass damit gleichzeitig eine – dem Schutzgut zuwiderlaufende – positive Zustimmung hinsichtlich des dem Synonym zugrunde liegenden Geschehens verbunden wäre.
Nimmt man diese Auslegung ernst, kann es hinsichtlich der Verharmlosung wohl nicht – wie das OLG Hamm annimmt – darauf ankommen, ob ausdrücklich die gegnerische Mannschaft in den Liedtext aufgenommen wird. Vielmehr ist der Sinnzusammenhang maßgeblich, der sich bei engem zeitlich-örtlichem Geschehensablauf auch aus dem Kontext des Textes ergeben kann.
2. Das OLG Hamm nimmt zudem an, dass durch den Gesang der öffentliche Friede gestört worden sei.
Das Singen des Liedes durch die Angeklagten sei geeignet gewesen, den öffentlichen Frieden zu stören. Insoweit genüge schon die konkrete Eignung. Bei der in der Liedform in die Öffentlichkeit getragenen ʺJudenhetzeʺ bestehe ohne weiteres die Gefahr, dass die Botschaft der Angeklagten von Zuhörern, die diese billigten, weitergetragen werde, so dass das psychische Klima aufgeheizt und Unfrieden in der Bevölkerung erregt werde.
Hier können ebenfalls Bedenken angemeldet werden. Mit der Eignungsformel wird die Volksverhetzung nach § 130 Abs. 1 und Abs. 3 StGB zu einem abstrakt-konkreten Gefährdungsdelikt. Diesem Tatbestandsmerkmal kommt in erster Linie die Funktion eines eingrenzenden Korrektivs zu, mit dem der begrifflichen Weite vor allem des Verharmlosens und Leugnens Rechnung getragen werden kann (Schäfer, in: MüKoStGB, 2. Aufl. 2012, § 130 Rn. 86). Notwendig ist daher eine konkrete Eignung zur Friedensstörung; sie darf nicht nur abstrakt bestehen und muß – wenn auch aufgrund generalisierender Betrachtung – konkret festgestellt sein (BGH, Urteil vom 12. Dezember 2000 – 1 StR 184/00 –, BGHSt 46, 212-225). Letztlich muss das Vertrauen in die öffentliche Rechtssicherheit erschüttert werden können (BGHSt 29, 26). Ob diese durchaus engen Voraussetzungen tatsächlich erfüllt sind, ist anhand einer Betrachtung der konkreten Tatumstände zu ermitteln. Zunächst spricht für eine Störung des öffentlichen Frieden sicherlich, dass ein Kernunrecht unter der Herrschaft des Nationalsozialismus verharmlost wird. Demgegenüber handelt es sich ersichtlich um einen – wenn auch zu missbilligenden, armseligen und denkbar dummen – Fangesang, der gerade der Rivalität typischen Herabsetzung des Gegners dient. Ein Bezug zu einer tatsächlichen, künftig drohenden oder angestrebten Deportation von Juden liegt nicht vor. Eine Aufstachelung zur Wiederholung ist ebenfalls nur schwer ersichtlich. Auch insoweit ist der Schutzbereich der Meinungsfreiheit zu berücksichtigen und der konkret gesungene Text in den Gesamtkontext zu stellen: Meinten die „Fans“ tatsächlich eine aus Jerusalem vorzunehmende Deportation? Wohl kaum.
3. Das OLG Hamm hat im Sinne der Fußballfans, Stadionbesucher und Freunden echten Fußballliedgutes entschieden. Dennoch bleiben Zweifel, ob das Urteil den ohnehin sehr schwammigen Tatbestand des § 130 StGB nicht überdehnt hat. Jedenfalls zeigt der Fall, dass § 130 StGB für das juristische Staatsexamen nahezu unverzichtbar ist, da das Verhältnis von Strafrecht und Grundrechten, insbesondere der Meinungsfreiheit, immer weider neu ausgelotet werden muss. Hingewiesen sei noch einmal auf Entscheidungen des OLG Rostock (v. 23. 7.2007 – 1 Ss 80/06 I 42/06) sowie des OLG Braunschweig (v. 6.3.2007 – Ss 2/07), die die Strafbarkeit ablehnen, sofern die gegnerische Mannschaft ausdrücklich in Bezug genommen wird.
Das VG Berlin hat kürzlich eine äußerst examensrelevante Entscheidung zum Versammlungsrecht gefällt (Beschluss vom 16.08.2012 – VG 1 L 217.12). Eine vergleichbare Konstellation haben wir auch bereits anlässlich einer Demonstration in Bonn mit gleichem Ergebnis begutachtet.
Sachverhalt
Das Verwaltungsgericht Berlin hat den Eilantrag dreier islamischer Moschee-Vereine zurückgewiesen. Beantragt war, der „Bürgerbewegung Pro Deutschland“ zu untersagen, während der am kommenden Samstag stattfindenden Demonstrationen vor deren religiösen Einrichtungen sogenannte „Mohammed-Karikaturen“ zu zeigen.
Die „Bürgerbewegung Pro Deutschland“ hat für den 18. August 2012 Versammlungen vor den religiösen Einrichtungen der Antragsteller mit dem Versammlungsthema „Der Islam gehört nicht zu Deutschland – Islamisierung stoppen“ angemeldet. Die Versammlungsbehörde hat der Anmelderin jeweils Versammlungsorte im Abstand von ca. 50 m vor den Einrichtungen der Antragsteller zugewiesen. Die Anmelderin hat angekündigt, im Kontext der Versammlungen die sog. „Mohammed-Karikaturen“ zeigen zu wollen.
Wesentliche Entscheidungsgründe
Die 1. Kammer des Verwaltungsgerichts führte zur Begründung aus, es fehle an der für ein polizeiliches Einschreiten erforderlichen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. Es stehe nämlich nicht fest, dass das Zeigen von „Mohammed-Karikaturen“ strafrechtlich relevant sei. Für die Erfüllung des Straftatbestandes des § 166 StGB fehle es erkennbar an einer „Beschimpfung“ im Sinne des Verächtlichmachens des religiösen Bekenntnisses. Zudem fielen die Karikaturen unter die Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG.
Durch das Zeigen der Karikaturen allein werde auch nicht zum Hass oder zu Gewaltmaßnahmen gegen einzelne Bevölkerungsgruppen aufgefordert, so dass auch der Tatbestand der Volksverhetzung (§ 130 StGB) nicht erfüllt sei.
Gegen den Beschluss kann beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg Beschwerde eingelegt werden. (Quelle: Pressemitteilung des VG Berlin).
Examensrelevanz
Die Entscheidung des VG ist als äußerst examensrelevant einzustufen. Angesichts der Tatsache, dass sich die Sache bislang nur in erster Instanz im einstweiligen Rechtsschutz abspielte, ist noch mit weiteren Entscheidungen (und dementsprechend weiteren Argumentationsansätzen) zu dem Themenkreis zu rechnen.
Sofern man im Falle der Prüfung die §§ 166, 130 StGB als mögliche betroffene Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit schon einmal sieht und diskutiert, dürfte ein Großteil bereits geschafft sein.
Wenn darüber hinaus problematisiert wird, dass durch die Karikaturen auch Gewaltakte von Dritten provoziert werden, gilt es klarzustellen, dass die Versammelnden hierbei nicht als Störer, möglicherweise in Form eines Zweckveranlassers, in Betracht (s. dazu hier) kommen. Die Gefahr für die öffentliche Sicherheit geht damit nur von den potentiellen Gewalttätern aus, jedoch nicht von der Versammlung selbst.
Weiterhin kann der Vollständigkeit halber noch angebracht werden, dass sich die Versammelnden nicht bloß auf Art. 8 Abs. 1 GG, sondern ebenso noch auf Art. 5 Abs. 3 GG, also die Kunstfreiheit, berufen können.
In Ergänzung zu unseren Artikeln zum Tod des Beschwerdeführers und zum NPD Gedenkmarsch befasst sich der folgende Artikel mit dem Beschuss des BVerfG vom 04.11.2009 – 1 BvR 2150/08, insbesondere im Hinblick auf § 130 StGB, dessen Auslegung, Verfassungsmäßigkeit und Bedeutung im Rahmen von Art. 5 GG.
Vorab bleibt noch festzuhalten, dass man den § 130 StGB fürs Examen zumindest kennen und sich die wesentlichen Definitionen zu Gemüte geführt haben sollte, insbesondere da es einem in der Klausur schwer fallen wird, die Tatbestandsmerkmale des § 130 StGB improvisatorisch zu definieren. Die Definitionen finden sich wie immer in jedem Lehrbuch oder Kommentar. Im Rahmen der Prüfung ist insbesondere zu beachten, dass im Rahmen des § 130 Abs. 1 StGB ein reines „Geeignetsein“ ausreicht; § 130 Abs. 3 StGB erfasst die sog. „Auschwitzlüge“.
Der Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ist im vorliegenden Fall als berührt anzusehen. Hier lohnt im Rahmen einer Klausur eine genaue Analyse des Sachverhalts, denn liegen im Zusammenhang mit einer Demonstration oder sonstigen Kundgabe erwiesene oder bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen vor, endet in diesen Fällen der Schutz von Art. 5 Abs.1 Satz 1 GG. In einem solchen Fall sollte aber schon eine sorgfältige Abgrenzung zwischen Werturteilen und Tatsachenbehauptungen erfolgen. Auch ist durch § 130 Abs. 4 StGB in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 I GG eingegriffen, da bestimmte Meinungsäußerungen unter Strafe stehen.
Das BVerfG nimmt in der Folge ausführlich Stellung zur Einschränkbarkeit von Art. 5 I GG, hier durch § 130 StGB. Eingriffe sind in diesem Zusammenhang nur denkbar auf Grund eines allgemeinen Gesetzes gem. Art. 5 Abs. 2 Alternative 1 GG. Zu beachten ist, dass unter „Gesetzen“ auch materielle Gesetze, also Verordnungen oder Satzungen zu verstehen sind. Ein Gesetz ist dann als „allgemein“ zu bezeichnen, wenn es sich nicht gegen eine Meinung als solche richtet. Von einem „unzulässigen Sonderrecht“ kann dann ausgegangen werden, wenn das beschränkende Gesetz nicht offen genug gefasst ist und sich von vorneherein nur gegen eine bestimmte Haltung richtet. Bedeutend sind vorliegend die Ausführungen des Senats zu nationalsozialistischem Gedankengut; es wird verdeutlich, dass dieses als “ als radikale Infragestellung der geltenden Ordnung“ nicht schon von vorneherein aus dem Schutzbereich des Art. 5 I GG herausfällt, denn das Grundgesetz vertraue auf „die Kraft der freien Auseinandersetzung als wirksamste Waffe auch gegen die Verbreitung totalitärer und menschenverachtender Ideologien.
Mit diesen sehr eindringlichen Ausführungen betont das BVerfG den freiheitlichen Geist des Grundgesetzes, um im Folgenden konkret auf § 130 Abs.4 StGB einzugehen. In diesem Zusammenhang stellt das BVerfG (erstmal überraschend) fest, dass § 130 Abs. 4 StGB kein allgemeines Gesetz im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG darstelle, da es explizit auf nationalsozialistische Ideologie abstelle. Dennoch sei die Bestimmung auch als nicht allgemeines Gesetz mit Art. 5 Abs. 1 und 2 vereinbar. Das BVerfG macht vorliegend eine explizite Ausnahme und begründet diese mit dem Schrecken und Terror des nationalsozialistischen Regimes und dem Grundgesetz als „Gegenentwurf“ zu diesem. Hier lohnen sich meiner Meinung nach besonders die Originalausführungen des Senats, sehr eindringlich und gut verständlich.
Darüber stellt der Senat fest, dass § 130 StGB mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vereinbar ist. Zweck sei die Erhaltung des öffentlichen Friedens, zu beachten sei in diesem Zusammenhang auch die nicht zu beanstandende Einschätzung des Gesetzgebers. Ebenso genügt § 130 IV StGB im Ergebnis auch der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, insbesondere, da kein Pauschalverbot bestehe.
Weiterhin genügt § 130 IV StGB dem Bestimmtheitsgebot aus Art. 103 Abs. 2 GG, insbesondere im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal der „Störung des öffentlichen Friedens“. In diesem Zusammenhang ist insbesondere hervorzuheben, dass der Senat das genannte Tatbestandsmerkmal als „Korrektiv“ ansieht, denn der Gesetzgeber hätte auch schon den Tatbestand des Absatzes IV ohne die „Störung“ unter Strafe stellen können.
Insgesamt eine wichtige, interessante und gleichsam examensrelevante Entscheidung, bei der sich die Lektüre der originalentscheidung lohnt. Das Bundesverfassungsgericht man dezidierte Ausführungen zum „allgemeinen Gesetz“, zum „nicht allgemeinen Gesetz“ zum Freiheitsgedanken des Grundgesetzes und dessen Verhältnis zum nationalsozialistischen Gedankengut. Wenn man sich diese Ausführungen grob merken und in der Klausur dann, richtig verortet wiedergeben kann, wird man sicher gut punkten können. Mit den Ausführungen zum „nicht allgemeinen Gesetz“ muss man sich ganz sicher in einer Klausur auseinandersetzen. Die „Ausnahmeregelung“ des BVerfG in diesem Zusammenhang ist sicher diskussionsbedürftig. Interessant, aber aus meiner Sicht problematisch sind die Ausführungen des Senats zum Bestimmtheitsgrundsatz, denn § 130 IV StGB wurde nun mal in der vorliegenden Fassung erlassen, eine hypothetische Betrachtung in diesem Zusammenhang erscheint jedenfalls ebenso diskussionswürdig wie die Ausführungen zum“nicht allgemeinen Gesetz“.
NPD, Mahler & Co. – leider juristische Dauerbrenner
Ein aktuelles BGH-Urteil soll hier Anlass sein, den Themenkomplex „Neonazis und examensrelevante Probleme“ einmal näher zu beleuchten. Da viele der Prozesse rund um NPD, Mahler, Antifa-Symbole, Demjanjuk & Co. die Medien interessieren und öffentliche Diskussionen anstoßen, lohnt es sich gerade auch im Hinblick auf die mündliche Prüfung, sich mit den prominentesten Fällen auseinander zu setzen. Besonders berühmt sind wohl die Fälle zum (gescheiterten) NPD-Verbotsverfahren (damals spielten der BND und Minister Otto Schily eine unrühmliche Rolle) sowie der spektakuläre Streit zwischen dem OVG Münster und dem BVerfG um die rechtlichen Anforderungen für Demonstrationsverbote und Auflagen (hier war das OVG Münster lange Zeit großzügiger als das BVerfG, welches für ein Verbt idR einen Verstoß gegen Straftatbestände fordert). In der mündlichen Prüfung bietet sich auch ein Ausflug zu den Nürnberger Prozessen an. Aktuell sind die Verurteilung Horst Mahlers wegen Volksverhetzung (s. hierzu der Spiegel-Artikel) und das juristische Gezerre um die Auslieferung John Demjanjuks in den Medien gewesen.
Neuer Fall: Verwendung von Nazi-Parolen in fremder Sprache („Blood and Honour“) grdsl. nicht strafbar
Bei vielen der braunen Geschichten geht es juristisch und gesellschaftspolitisch häufig um dasselbe Problem: Was kann unsere Demokratie, unser Rechtsstaat noch tolerieren und wann muss er intervenieren? Wo endet die Meinungsfreiheit? Wie weit darf die Versammlungsfreiheit gehen? Wie wehrhaft soll die BRD gegenüber Verfassungsfeinden auftreten, ohne die Grundrechte zu beschneiden?
In diesem Spannungsfeld bewegt sich auch der vom BGH entschiedene Fall vom 13.08.2009 (3 StR 228/09). Der Angeklagte hatte in diesem Fall 100 T-Shirts besessen, die auf der Vorderseite mit dem Schriftzug „Blood & Honour/C18“ und „support your local section“ bedruckt waren. Auf der Rückseite konnte man den Spruch „Blood & Honour is our voice Combat 18 is our choice“ lesen. Dabei ist es wichtig zu wissen, dass „Blood & Honour“ eine international aktive, rechtsextremistische Vereinigung ist, deren deutsche Unterorganisation verboten ist. „Blut und Ehre“ war der – wenig kindgerechte – Leitspruch der Hitlerjugend.
Der BGH hat nun entschieden, dass der fremdsprachige Gebrauch einer NS-Parole nicht unter den Straftatbestand des § 86a StGB fällt. § 86a StGB sanktioniert das Verwenden von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen. Nach § 86a II StGB sind Kennzeichen namentlich Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grußformen. Gleichermaßen strafbar sei, so der BGH, auch der Gebrauch von Kennzeichen, die den Originalen zum Verwechseln ähnlich seien. Der Leitspruch der HJ werde hier aber durch die englische Übersetzung stark verfremdet, so dass eine Strafbarkeit insofern entfallen müsse (anders noch die Vorinstanz!). Die Parole sei nicht nur durch ihren Sinngehalt, sondern gerade auch durch die deutsche Sprache charakteristisch geprägt.
Dennoch Strafbarkeit nach § 86a StGB hier möglich
Allerdings kann hier i.E. dennoch eine Strafbarkeit nach § 86a StGB gegeben sein, denn auch die Organisation „Blood & Honour“ ist in Deutschland verboten. Dies hatte die Vorinstanz übersehen. Außerdem monierte der BGH, dass eine Prüfung der §§ 85 und 86 StGB in Bezug auf die 100 T-Shirts hätte erfolgen müssen.