Neuer Klausurbaustein für die Verfassungsbeschwerde: Tod des Beschwerdeführers
Einordnung der Problematik und Sachverhalt
In der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Vereinbarkeit der Strafbarkeit der Volksverhetzung (Stichwort: § 130 IV StGB als ausnahmsweise zulässiges Sonderrecht, 1 BvR 2150/08) mit dem Grundgesetz gab es neben der Problematik rund um Meinungs- und Versammlungsfreiheit noch einen weiteren interessanten Aspekt, der zwar für die breite Öffentlichkeit weniger wichtig, dafür aber umso klausurrelevanter ist. Die Urteilsverfassungsbeschwerde des ehemaligen NPD-Vize Jürgen Rieger, über dessen Tod wir bereits im Hinblick auf den von der NPD in Wunsiedel geplanten Gedenkmarsch berichtet hatten, richtete sich letztlich gegen § 130 StGB. Jürgen Rieger und die NPD hatten einen Gedenkmarsch für Rudolf Heß geplant. Dieser wurde mit der Begründung untersagt, es bestehe eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit, da § 130 IV StGB durch diesen Gedenkmarsch verletzt werde. Das BVerwG hatte dieses Versammlungsverbot letztinstanzlich bestätigt. Hiergegen richtete sich die Verfassungsbeschwerde Jürgen Riegers als Versammlungsleiter. Noch vor Urteilsverkündung starb er.
Lösung des BVerfG
Zunächst stellt das BVerfG fest, dass die Rechtsfolgen für den Tod des Beschwerdeführers nicht gesetzlich normiert sind. Angesichts des höchstpersönlichen Charakters der Verfassungsbeschwerde sei jedoch grundsätzlich von einer Erledigung auszugehen, sodass das Verfahren eingestellt werden könne. Vorliegend sei jedoch angesichts der überragenden Bedeutung des Verfahrens, seiner Präjudizwirkung, der Entscheidungsreife und der zahlreichen vorangegangenen instanzgerichtlichen Entscheidungen eine Ausnahme möglich. Die Verfassungsbeschwerde habe auch die Funktion, das objektive Verfassungsrecht zu wahren, auszulegen und fortzubilden.
Im Folgenden das entsprechende Zitat, BVerfG vom 4.11.2009 – 1 BvR 2150/08, Rn. 42 ff.: “Über die Verfassungsbeschwerde kann trotz des Todes des Beschwerdeführers entschieden werden.
Darüber, welche Folgen der Tod des Beschwerdeführers auf ein anhängiges Verfassungsbeschwerdeverfahren hat, ist gesetzlich nichts bestimmt. Zwar ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anerkannt, dass sich eine Verfassungsbeschwerde zur Durchsetzung höchstpersönlicher Rechte des Beschwerdeführers im Falle seines Todes erledigt (vgl. BVerfGE 6, 389 <442 f.>; 12, 311 <315>; 109, 279 <304>; BVerfGK 9, 62 <69>). Dieser Grundsatz gilt indes nicht ausnahmslos. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits früh betont, dass sich diese Frage letztlich nur für den einzelnen Fall unter Berücksichtigung der Art des angegriffenen Hoheitsakts und des Standes des Verfassungsbeschwerdeverfahrens entscheiden lässt (vgl. BVerfGE 6, 389 <442>).
Vorliegend wurde der Beschwerdeführer unter mehrmaliger Ablehnung seiner Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz auf den Rechtsweg in der Hauptsache verwiesen, um die sich stellenden schwierigen Fragen zunächst von den Fachgerichten klären zu lassen und sie dann gegebenenfalls dem Bundesverfassungsgericht in aufbereiteter Form einer Prüfung zuzuführen. Er hat mit Blick auf die grundsätzliche Bedeutung des Verfahrens und als Versammlungsveranstalter im Interesse zahlreicher Betroffener daraufhin den Rechtsweg durch drei Instanzen erfolglos durchlaufen und Verfassungsbeschwerde erhoben. Beim Tod des Beschwerdeführers hatten die Bundesregierung und die Landesanwaltschaft Bayern unter Bezugnahme auf die grundlegende Bedeutung der Entscheidung etwa für den öffentlichen Frieden bereits ausführlich Stellung genommen; die Sache war entscheidungsreif, der Senat hatte sie beraten, und das Verfahren stand unmittelbar vor seinem Abschluss. Zudem soll die erstrebte Entscheidung über die höchstpersönliche Betroffenheit des Beschwerdeführers hinaus Klarheit über die Rechtslage für Meinungsäußerungen bei einer Vielzahl zukünftiger Versammlungen und öffentlichen Auftritten schaffen und hat folglich allgemeine verfassungsrechtliche Bedeutung.
Da die Verfassungsbeschwerde auch die Funktion hat, das objektive Verfassungsrecht zu wahren, auszulegen und fortzubilden (vgl. BVerfGE 98, 218 <242 f.>), kann das Bundesverfassungsgericht unter diesen Umständen auch nach Versterben des Beschwerdeführers über seine Verfassungsbeschwerde entscheiden.”
Jetzt schon ein Klassiker ,-)
Als Ergänzung: Dieses Problem kam heute (26.01.2010) in Köln im Examen dran…!!!
Das war mal schnell. Zumindest deutlich schneller als sonst. Das Urteil ist noch nicht einmal in allen Fachzeitschriften drin gewesen…