In Ergänzung zu unseren Artikeln zum Tod des Beschwerdeführers und zum NPD Gedenkmarsch befasst sich der folgende Artikel mit dem Beschuss des BVerfG vom 04.11.2009 – 1 BvR 2150/08, insbesondere im Hinblick auf § 130 StGB, dessen Auslegung, Verfassungsmäßigkeit und Bedeutung im Rahmen von Art. 5 GG.
Vorab bleibt noch festzuhalten, dass man den § 130 StGB fürs Examen zumindest kennen und sich die wesentlichen Definitionen zu Gemüte geführt haben sollte, insbesondere da es einem in der Klausur schwer fallen wird, die Tatbestandsmerkmale des § 130 StGB improvisatorisch zu definieren. Die Definitionen finden sich wie immer in jedem Lehrbuch oder Kommentar. Im Rahmen der Prüfung ist insbesondere zu beachten, dass im Rahmen des § 130 Abs. 1 StGB ein reines „Geeignetsein“ ausreicht; § 130 Abs. 3 StGB erfasst die sog. „Auschwitzlüge“.
Der Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ist im vorliegenden Fall als berührt anzusehen. Hier lohnt im Rahmen einer Klausur eine genaue Analyse des Sachverhalts, denn liegen im Zusammenhang mit einer Demonstration oder sonstigen Kundgabe erwiesene oder bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen vor, endet in diesen Fällen der Schutz von Art. 5 Abs.1 Satz 1 GG. In einem solchen Fall sollte aber schon eine sorgfältige Abgrenzung zwischen Werturteilen und Tatsachenbehauptungen erfolgen. Auch ist durch § 130 Abs. 4 StGB in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 I GG eingegriffen, da bestimmte Meinungsäußerungen unter Strafe stehen.
Das BVerfG nimmt in der Folge ausführlich Stellung zur Einschränkbarkeit von Art. 5 I GG, hier durch § 130 StGB. Eingriffe sind in diesem Zusammenhang nur denkbar auf Grund eines allgemeinen Gesetzes gem. Art. 5 Abs. 2 Alternative 1 GG. Zu beachten ist, dass unter „Gesetzen“ auch materielle Gesetze, also Verordnungen oder Satzungen zu verstehen sind. Ein Gesetz ist dann als „allgemein“ zu bezeichnen, wenn es sich nicht gegen eine Meinung als solche richtet. Von einem „unzulässigen Sonderrecht“ kann dann ausgegangen werden, wenn das beschränkende Gesetz nicht offen genug gefasst ist und sich von vorneherein nur gegen eine bestimmte Haltung richtet. Bedeutend sind vorliegend die Ausführungen des Senats zu nationalsozialistischem Gedankengut; es wird verdeutlich, dass dieses als “ als radikale Infragestellung der geltenden Ordnung“ nicht schon von vorneherein aus dem Schutzbereich des Art. 5 I GG herausfällt, denn das Grundgesetz vertraue auf „die Kraft der freien Auseinandersetzung als wirksamste Waffe auch gegen die Verbreitung totalitärer und menschenverachtender Ideologien.
Mit diesen sehr eindringlichen Ausführungen betont das BVerfG den freiheitlichen Geist des Grundgesetzes, um im Folgenden konkret auf § 130 Abs.4 StGB einzugehen. In diesem Zusammenhang stellt das BVerfG (erstmal überraschend) fest, dass § 130 Abs. 4 StGB kein allgemeines Gesetz im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG darstelle, da es explizit auf nationalsozialistische Ideologie abstelle. Dennoch sei die Bestimmung auch als nicht allgemeines Gesetz mit Art. 5 Abs. 1 und 2 vereinbar. Das BVerfG macht vorliegend eine explizite Ausnahme und begründet diese mit dem Schrecken und Terror des nationalsozialistischen Regimes und dem Grundgesetz als „Gegenentwurf“ zu diesem. Hier lohnen sich meiner Meinung nach besonders die Originalausführungen des Senats, sehr eindringlich und gut verständlich.
Darüber stellt der Senat fest, dass § 130 StGB mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vereinbar ist. Zweck sei die Erhaltung des öffentlichen Friedens, zu beachten sei in diesem Zusammenhang auch die nicht zu beanstandende Einschätzung des Gesetzgebers. Ebenso genügt § 130 IV StGB im Ergebnis auch der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, insbesondere, da kein Pauschalverbot bestehe.
Weiterhin genügt § 130 IV StGB dem Bestimmtheitsgebot aus Art. 103 Abs. 2 GG, insbesondere im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal der „Störung des öffentlichen Friedens“. In diesem Zusammenhang ist insbesondere hervorzuheben, dass der Senat das genannte Tatbestandsmerkmal als „Korrektiv“ ansieht, denn der Gesetzgeber hätte auch schon den Tatbestand des Absatzes IV ohne die „Störung“ unter Strafe stellen können.
Insgesamt eine wichtige, interessante und gleichsam examensrelevante Entscheidung, bei der sich die Lektüre der originalentscheidung lohnt. Das Bundesverfassungsgericht man dezidierte Ausführungen zum „allgemeinen Gesetz“, zum „nicht allgemeinen Gesetz“ zum Freiheitsgedanken des Grundgesetzes und dessen Verhältnis zum nationalsozialistischen Gedankengut. Wenn man sich diese Ausführungen grob merken und in der Klausur dann, richtig verortet wiedergeben kann, wird man sicher gut punkten können. Mit den Ausführungen zum „nicht allgemeinen Gesetz“ muss man sich ganz sicher in einer Klausur auseinandersetzen. Die „Ausnahmeregelung“ des BVerfG in diesem Zusammenhang ist sicher diskussionsbedürftig. Interessant, aber aus meiner Sicht problematisch sind die Ausführungen des Senats zum Bestimmtheitsgrundsatz, denn § 130 IV StGB wurde nun mal in der vorliegenden Fassung erlassen, eine hypothetische Betrachtung in diesem Zusammenhang erscheint jedenfalls ebenso diskussionswürdig wie die Ausführungen zum“nicht allgemeinen Gesetz“.
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Einordnung der Problematik und Sachverhalt
In der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Vereinbarkeit der Strafbarkeit der Volksverhetzung (Stichwort: § 130 IV StGB als ausnahmsweise zulässiges Sonderrecht, 1 BvR 2150/08) mit dem Grundgesetz gab es neben der Problematik rund um Meinungs- und Versammlungsfreiheit noch einen weiteren interessanten Aspekt, der zwar für die breite Öffentlichkeit weniger wichtig, dafür aber umso klausurrelevanter ist. Die Urteilsverfassungsbeschwerde des ehemaligen NPD-Vize Jürgen Rieger, über dessen Tod wir bereits im Hinblick auf den von der NPD in Wunsiedel geplanten Gedenkmarsch berichtet hatten, richtete sich letztlich gegen § 130 StGB. Jürgen Rieger und die NPD hatten einen Gedenkmarsch für Rudolf Heß geplant. Dieser wurde mit der Begründung untersagt, es bestehe eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit, da § 130 IV StGB durch diesen Gedenkmarsch verletzt werde. Das BVerwG hatte dieses Versammlungsverbot letztinstanzlich bestätigt. Hiergegen richtete sich die Verfassungsbeschwerde Jürgen Riegers als Versammlungsleiter. Noch vor Urteilsverkündung starb er.
Lösung des BVerfG
Zunächst stellt das BVerfG fest, dass die Rechtsfolgen für den Tod des Beschwerdeführers nicht gesetzlich normiert sind. Angesichts des höchstpersönlichen Charakters der Verfassungsbeschwerde sei jedoch grundsätzlich von einer Erledigung auszugehen, sodass das Verfahren eingestellt werden könne. Vorliegend sei jedoch angesichts der überragenden Bedeutung des Verfahrens, seiner Präjudizwirkung, der Entscheidungsreife und der zahlreichen vorangegangenen instanzgerichtlichen Entscheidungen eine Ausnahme möglich. Die Verfassungsbeschwerde habe auch die Funktion, das objektive Verfassungsrecht zu wahren, auszulegen und fortzubilden.
Im Folgenden das entsprechende Zitat, BVerfG vom 4.11.2009 – 1 BvR 2150/08, Rn. 42 ff.: “Über die Verfassungsbeschwerde kann trotz des Todes des Beschwerdeführers entschieden werden.
Darüber, welche Folgen der Tod des Beschwerdeführers auf ein anhängiges Verfassungsbeschwerdeverfahren hat, ist gesetzlich nichts bestimmt. Zwar ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anerkannt, dass sich eine Verfassungsbeschwerde zur Durchsetzung höchstpersönlicher Rechte des Beschwerdeführers im Falle seines Todes erledigt (vgl. BVerfGE 6, 389 <442 f.>; 12, 311 <315>; 109, 279 <304>; BVerfGK 9, 62 <69>). Dieser Grundsatz gilt indes nicht ausnahmslos. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits früh betont, dass sich diese Frage letztlich nur für den einzelnen Fall unter Berücksichtigung der Art des angegriffenen Hoheitsakts und des Standes des Verfassungsbeschwerdeverfahrens entscheiden lässt (vgl. BVerfGE 6, 389 <442>).
Vorliegend wurde der Beschwerdeführer unter mehrmaliger Ablehnung seiner Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz auf den Rechtsweg in der Hauptsache verwiesen, um die sich stellenden schwierigen Fragen zunächst von den Fachgerichten klären zu lassen und sie dann gegebenenfalls dem Bundesverfassungsgericht in aufbereiteter Form einer Prüfung zuzuführen. Er hat mit Blick auf die grundsätzliche Bedeutung des Verfahrens und als Versammlungsveranstalter im Interesse zahlreicher Betroffener daraufhin den Rechtsweg durch drei Instanzen erfolglos durchlaufen und Verfassungsbeschwerde erhoben. Beim Tod des Beschwerdeführers hatten die Bundesregierung und die Landesanwaltschaft Bayern unter Bezugnahme auf die grundlegende Bedeutung der Entscheidung etwa für den öffentlichen Frieden bereits ausführlich Stellung genommen; die Sache war entscheidungsreif, der Senat hatte sie beraten, und das Verfahren stand unmittelbar vor seinem Abschluss. Zudem soll die erstrebte Entscheidung über die höchstpersönliche Betroffenheit des Beschwerdeführers hinaus Klarheit über die Rechtslage für Meinungsäußerungen bei einer Vielzahl zukünftiger Versammlungen und öffentlichen Auftritten schaffen und hat folglich allgemeine verfassungsrechtliche Bedeutung.
Da die Verfassungsbeschwerde auch die Funktion hat, das objektive Verfassungsrecht zu wahren, auszulegen und fortzubilden (vgl. BVerfGE 98, 218 <242 f.>), kann das Bundesverfassungsgericht unter diesen Umständen auch nach Versterben des Beschwerdeführers über seine Verfassungsbeschwerde entscheiden.”
Und täglich klagt die NPD…
„Neonazis vor Gericht – eine unendliche Geschichte“ hieß bereits einer unserer Beiträge. Dieser Geschichte wird nun ein weiteres Kapitel hinzugefügt. Nachdem vor kurzem der bisherige Vizevorsitzende und einflussreiche Finanzier der NPD, Jürgen Rieger (Rechtsanwalt), gestorben war, plante die NPD für ihn einen Gedenkmarsch in der kleinen Stadt Wunsiedel. Das Landratsamt Wunsiedel wollte jedoch, dass im Fichtelgebirge weiterhin die Farbe grün dominiert und hatte daher die braune Versammlung mit Bescheid vom 09.11.2009 verboten. Dagegen ging die NPD natürlich vor und zwar – wie eigentlich immer bei kurzfristigen Versammlungen – mittels eines Antrags auf einstweiligen Rechtschutz. Das VG Bayreuth lehnte dieses Gesuch ab, in zweiter Instanz (Beschwerde) jedoch erhielt die NPD vor dem BayVGH (VGH München, Beschluss vom 14.11.2009 – 10 CS 09.2811) zumindest teilweise Recht.
VGH München: Vollständiges Verbot hier mit Rücksicht auf BVerfG-Rspr nicht möglich
Die Behörde hatte die Versammlung verboten, da sie befürchtete, dass die Versammlung in Wirklichkeit eine Kundgebung zugunsten von Rudolf Heß sei und der Tod von Jürgen Rieger nur als Tarnung verwendet würde. Diese Annahme, dass es sich um eine Tarnveranstaltung handle, habe die Versammlungsbehörde aber nach Ansicht des BayVGH nicht hinreichend belegen können. Zutreffend sei zwar, dass eine Gedenkkundgebung für Rudolf Heß ein Verbot rechtfertigen würde, da dann eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit bejaht werden könne. Eine Heß-Gedenkveranstaltung sei jedoch nicht angemeldet worden. Maßgebend für die Entscheidung könne nur das von außen wahrnehmbare Gesamterscheinungsbild der geplanten Veranstaltung sein. Um eine Kundgebung zugunsten von Rudolf Heß zu verhindern, genüge es, den Versammlungsteilnehmern entsprechende Auflagen zu erteilen. Jürgen Rieger sei nicht an den Verbrechen der Nazis beteiligt gewesen, sodass ein Gedenkmarsch für seine Person (strafrechtlich wie versammlungsrechtlich) unbedenklich sei.
Restriktive Auslegung des VersG wegen hoher Grundrechtsrelevanz
Der Entscheidung des VGH München ist zuzustimmen. Sie steht im Einklang mit der Rechtsprechung des BVerfG. Die Rechtsgrundlagen des Versammlungsgesetzes (hier das neue bayerische VersG) müssen in Anbetracht der wichtigen Grundrechtspositionen (Art. 5 I GG und vor allem Art. 8 I GG) der Versammlungsteilnehmer restriktiv interpretiert werden. So betonte das BVerfG in einem lang anhaltenden Konflikt mit dem OVG Münster nachdrücklich, bei dem es auch um Neonazi-Demos ging, dass lediglich eine Gefahr für die öffentliche Ordnung nicht ausreicht, um eine Versammlung zu verbieten. Die verfassungsfeindliche Gesinnung kann einer Partei auch nicht einfach unterstellt werden – eine entsprechende Beurteilung ist allein dem BVerfG vorbehalten (Art. 21 Abs. 2 S. 2 GG).