• Suche
  • Lerntipps
    • Karteikarten
      • Strafrecht
      • Zivilrecht
      • Öffentliches Recht
    • Examensvorbereitung
    • Fallbearbeitung und Methodik
    • Für die ersten Semester
    • Mündliche Prüfung
  • Examensreport
    • 2. Staatsexamen
    • Baden-Württemberg
    • Bayern
    • Berlin
    • Brandenburg
    • Bremen
    • Hamburg
    • Hessen
    • Lösungsskizzen
    • Mecklenburg-Vorpommern
    • Niedersachsen
    • Nordrhein-Westfalen
    • Rheinland-Pfalz
    • Saarland
    • Sachsen
    • Sachsen-Anhalt
    • Schleswig-Holstein
    • Thüringen
    • Zusammenfassung Examensreport
  • Interviewreihe
    • Alle Interviews
  • Rechtsgebiete
    • Strafrecht
      • Klassiker des BGHSt und RGSt
      • StPO
      • Strafrecht AT
      • Strafrecht BT
    • Zivilrecht
      • AGB-Recht
      • Arbeitsrecht
      • Arztrecht
      • Bereicherungsrecht
      • BGB AT
      • BGH-Klassiker
      • Deliktsrecht
      • Erbrecht
      • Familienrecht
      • Gesellschaftsrecht
      • Handelsrecht
      • Insolvenzrecht
      • IPR
      • Kaufrecht
      • Kreditsicherung
      • Mietrecht
      • Reiserecht
      • Sachenrecht
      • Schuldrecht
      • Verbraucherschutzrecht
      • Werkvertragsrecht
      • ZPO
    • Öffentliches Recht
      • BVerfG Leitentscheidungen & Klassiker
      • Baurecht
      • Europarecht
      • Europarecht Klassiker
      • Kommunalrecht
      • Polizei- und Ordnungsrecht
      • Staatshaftung
      • Verfassungsrecht
      • Versammlungsrecht
      • Verwaltungsrecht
      • Völkerrrecht
  • Rechtsprechungsübersicht
    • Strafrecht
    • Zivilrecht
    • Öffentliches Recht
  • Juri§kripten
  • Click to open the search input field Click to open the search input field Suche
  • Menü Menü
Du bist hier: Startseite1 > VGH Kassel

Schlagwortarchiv für: VGH Kassel

Dr. Jan Winzen

VGH Kassel: Hells Angels Vereinsverbot rechtmäßig (MC Charter Westend)

Öffentliches Recht, Rechtsprechung, Startseite, Verwaltungsrecht

Kürzlich ist die jüngste Entscheidung des VGH Kassel (8 C 2134/11.T) zum Vereinsverbot des Hells Angels MC Charter Westend (Frankfurt am Main) im Volltext veröffentlicht worden. Wir haben in der Vergangenheit bereits mehrmals zum Themenkomplex „Vereinsverbot“ berichtet (hier und hier). Die nun vorliegende Entscheidung des VGH gibt Anlass Grundkenntnisse zum Thema weiter zu vertiefen.
A. Sachverhalt
Der Sachverhalt ist in seinen Grundzügen schnell zusammengefasst. Der MC Charter Westend – ein nicht rechtsfähiger Verein – wendet sich gegen ein durch Verfügung des hessischen Innenministeriums im September 2011 ausgesprochenes Vereinsverbot. Gegenstand der Verfügung waren – neben dem Vereinsverbot – dessen Auflösung und, weitere Verbote betreffend, u.a. die Verbreitung und öffentliche Verwendung der Kennzeichen des Vereins sowie die Beschlagnahme und Einziehung des Vereinsvermögens. Zur Begründung wurde festgestellt (und näher ausgeführt), Zweck und Tätigkeit des verbotenen Vereins liefen den Strafgesetzen zuwider (§ 3 Abs. 1 Satz 1 VereinsG). Eine Anhörung vor Erlass der Verfügung hatte nicht stattgefunden.
B. Rechtliche Würdigung
I. Zulässigkeit
Im Rahmen der Zulässigkeit spricht das Gericht folgende Gesichtspunkte an (da es sich bei der Klägerin um einen nicht rechtsfähigen Verein handelt, der zudem durch die Verfügung auch aufgelöst wurde, sollte man zu diesen Themen auch in einer Klausurkonstellation (kurz) etwas sagen können):
1. Statthafte Klageart
Statthafte Klageart gegen die als Verwaltungsakt (§ 35 VwVfG) einzuordnende Verbotsverfügung des Innenministeriums ist die Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 1. Alt. VwGO).
2. Klagebefugnis
Die Klagebefugnis des Vereins wird durch seine Auflösung nicht beeinträchtigt. Nach der Rechtsprechung muss dem Verein, auch wenn er aufgelöst ist, eine auf die Rechtsverteidigung im Anfechtungsverfahren beschränkte Rechtsstellung – und damit korrespondierende Klagebefugnis – verbleiben (siehe dazu Rz. 29 der Entscheidungsgründe aber auch BVerfGE 13, 174, 175).
3. Beteiligten- und Prozessfähigkeit
Die Beteiligtenfähigkeit des MC Charter Westend folgt aus § 61 Nr. 2 VwGO. Danach sind Vereinigungen fähig am Verfahren beteiligt zu sein, soweit ihnen ein Recht zustehen kann. Da das BVerwG das Vorliegen einer Vereinigung in diesem Sinne bereits annimmt, wenn ein Mindestmaß an Organisation vorliegt (siehe etwa BVerwG, NVwZ 2004, 887), können nicht rechtsfähige Vereine, weil sie etwa über eine Satzung und ähnliche organisatorische Regelwerke verfügen, typischerweise Beteiligte eines Verwaltungsprozesses sein.
Die Prozessfähigkeit richtet sich nach § 62 VwGO. Für Vereinigungen handeln die gesetzlichen Vertreter (§ 62 Abs. 3 VwGO), im Fall des MS Charter Westend also dessen Vorstand.
II. Begründetheit
Die Klage ist begründet, soweit die Verbotsverfügung rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Ermächtigungsgrundlage: Art. 9 Abs. 2 GG iVm § 3 Abs. 1 Satz 1 VereinsG
Ermächtigungsgrundlage für die Verfügung des Innenministeriums ist Art. 9 Abs. 2 GG iVm § 3 Abs. 1 Satz 1 VereinsG.
[Anmerkung zum Hintergrund: An dieser Stelle ist es besonders wichtig, sich das Verhältnis von Art. 9 Abs. 2 GG und §§ 3 ff. VereinsG zu verdeutlichen. Aus dem Wortlaut des Art. 9 Abs. 2 GG, wonach Vereine, die einen der dort bezeichneten Verbotstatbestände verwirklichen, verboten „sind“ wurde in der Zeit nach Erlass des Grundgesetzes gefolgert, das Vereinsverbot trete kraft Gesetzes ein und jede Behörde könne die sich daraus ergebenden Folgerungen selbst ziehen. Aus Gründen der Rechtssicherheit und der Rechtsklarheit (Art. 20 Abs. 3 GG) schloss sich das BVerwG aber schon bald einer Auffassung in der Literatur an, die eine konstitutive Entscheidung einer zuständigen Behörde zur Feststellung des Verbots im Einzelfall verlangte (BVerwGE 4, 188, 189 f.). Es entspricht deshalb der heute einhelligen Meinung, dass die §§ 3 ff. VereinsG das in Art. 9 Abs. 2 GG vorgesehene Vereinsverbot ausgestalten und die insoweit zuständige Behörde das Verbot durch Verfügung feststellen muss (siehe etwa Scholz, in Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 67. Ergänzungslieferung 2013, Art. 9 GG, Rn. 132).]
2. Formelle Rechtmäßigkeit
a) Zuständigkeit
Es müsste – mit dem hessischen Innenministerium – die zuständige Behörde gehandelt haben.
Als Verbotsbehörden kommen in Betracht:

  • die oberste Landesbehörde (oder eine andere nach Landesrecht ausdrücklich zuständige Behörde), wenn sich die Tätigkeit des Vereins auf das Gebiet eines Bundeslandes beschränkt (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VereinsG);
  • der Bundesinnenminister, wenn sich die Tätigkeit des Vereins über das Gebiet eines Landes hinaus erstreckt (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VereinsG).

Da sich die Tätigkeit des MC Charter Westend auf das Gebiet des Landes Hessen beschränkte, war das hessische Innenministerium als oberste Landesbehörde zuständig.
b) Verfahren
Auch im Rahmen des Verfahrens nach §§ 3 ff. VereinsG ist grundsätzlich vor Erlass der Verbotsverfügung eine Anhörung des Adressaten erforderlich (§ 28 Abs. 1 VwVfG).
Eine Anhörung hat im vorliegenden Fall unstreitig nicht stattgefunden. Möglicherweise konnte das Innenministerium davon aber nach Maßgabe des § 28 Abs. 2 VwVfG absehen. Danach ist die Anhörung ausnahmsweise entbehrlich, wenn sie nach den Umständen des Einzelfalls nicht geboten ist, insbesondere wenn eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug oder im öffentlichen Interesse notwendig erscheint (§ 28 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG).
In Fällen, die ein Vereinsverbot betreffen, wird regelmäßig keine Anhörung erfolgen, wenn mit dem Vereinsverbot auch eine Beschlagnahme von Vereinsvermögen verbunden werden soll. Diese Beschlagnahme könnte nämlich durch den sog. Ankündigungseffekt einer Anhörung vereitelt werden. Man sollte deshalb die Rechtsprechung zu dieser Fallgestaltung kennen. Der VGH Kassel führt dazu (mwN) aus:

Der Beklagte hat sich in seiner Verfügung insoweit auf einen unerwünschten „Ankündigungseffekt“ einer behördlichen Anhörung bezogen, der es dem Kläger ermöglicht hätte „Vermögen und Beweismittel dem behördlichen Zugriff zu entziehen“, und damit ein wirksames Vorgehen gegen den Verein beeinträchtigt oder unmöglich gemacht hätte. Dieser Aspekt stellt einen nachvollziehbaren Gesichtspunkt dar, unter dem gemäß § 28 Abs. 2 Nr. 1 HVwVfG im öffentlichen Interesse auf eine Anhörung verzichtet werden durfte, selbst wenn ein mögliches Verbot des klägerischen Vereins schon einige Zeit vorher in der öffentlichen Diskussion gefordert oder erwogen worden war.

Eine Anhörung war demnach im vorliegenden Fall entbehrlich.
c) Form
Besondere Formvorschriften enthält § 3 Abs. 4 VereinsG (insb. Schriftform, Begründung, Zustellung).
3. Materielle Rechtmäßigkeit
Die Verbotsverfügung ist materiell rechtmäßig, wenn der Zweck und die Tätigkeit des Vereins den Strafgesetzen zuwider laufen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. VereinsG). Die Strafrechtswidrigkeit ist der traditionelle Vereinsverbotstatbestand (Groh, Vereinsgesetz, § 3 Rn. 7). Sie wird bejaht, wenn Mitglieder und Funktionsträger des verbotenen Vereins in einer dem Verein zurechenbaren und ihn prägenden Weise gegen Straftatbestände verstoßen haben (Rz. 41 der Entscheidungsgründe).
Im Folgenden sollen die wesentlichen Erwägungen des Gerichts soweit dargestellt werden, wie sie in einer Prüfungssituation bekannt sein sollten. Wer sich für die tatsächlichen Hintergründe im Detail interessiert, dem sei die Lektüre der Originalentscheidung dringend empfohlen.
[Anmerkung zum Hintergrund: Der VGH stellt in den Entscheidungsgründen immer wieder auf den prägenden Charakter von Straftaten der Vereinsmitglieder ab. Dies ist erforderlich, weil der Verein selbst nach allgemeinen Grundsätzen nicht straffähig ist, dies können nämlich wegen der insoweit erforderlichen Schuldzurechnungsfähigkeit nur natürliche Personen sein (die verbandsrechtliche Strafbarkeit wird rechtspolitisch in Deutschland regelmäßig unter dem Stichwort des „Unternehmensstrafrechts“ diskutiert, siehe dazu etwa kürzlich den Beitrag des nordrhein-westfälischen Justizministers Thomas Kutschaty in der Zeitschrift für Rechtspolitik (ZRP) 2013, Seite 74). Durch das Handeln seiner Mitglieder kann der Verein aber nach Ansicht der Rechtsprechung einen vom einzelnen Mitglied losgelösten Gruppenwillen mit eigener Zweckrichtung entwickeln, der, wenn er auf strafrechtliche Verstöße gerichtet ist, den Verbotstatbestand erfüllen kann (siehe dazu Rz. 42 der Entscheidungsgründe).]
Auf einer ersten Stufe bedarf es nun der Feststellung von Straftaten einzelner Vereinsmitglieder. Diese müssten dem Verein dann auf einer zweiten Stufe für Zwecke des Verbots nach § 3 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. VereinsG zuzurechnen sein.
a) Straftaten einzelner Vereinsmitglieder
Für die Beurteilung strafrechtlich relevanter Verhaltensweisen gilt im Rahmen des Vereinsrechts ein besonderer Maßstab. Die Verbotsbehörden und das Verwaltungsgericht prüfen nämlich die Strafgesetzwidrigkeit in eigener Kompetenz. Insbesondere bedarf es keiner dem Verbot nach § 3 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. VereinsG vorausgehenden strafrichterlichen Verurteilung einzelner Mitglieder. Auf dieser Grundlage würdigt der VGH im Rahmen der Entscheidungsgründe verschiedene Straftaten von Vereinsmitgliedern, namentlich ein Tötungsdelikt, eine damit in Zusammenhang gebrachte Strafvereitelung, die Beteiligung an einem Drogendelikt (1,3 Kg Kokain) und mindestens ein weiteres versuchtes Tötungsdelikt.
b) Zurechnung
Die Zurechenbarkeit der genannten Verhaltensweisen stützt das Gericht im Wesentlichen auf folgende Erwägungen:

  • Die Außenwirkung des Verhaltens der Vereinsmitglieder:

Die Strafgesetzwidrigkeit einer Vereinigung ist auch dann gegeben, wenn deren Mitglieder zwar spontan und aufgrund eines eigenen Entschlusses Straftaten begehen, dabei aber immer wieder geschlossen als Vereinigung auftreten, so dass sich die Straftaten nach außen als Vereinsaktivitäten darstellen und die Vereinigung diesen Umstand kennt und billigt oder jedenfalls widerspruchslos hinnimmt.

Hierzu führt das Gericht am Ende der Entscheidungsgründe noch Folgendes aus:

Auch die auf Seite 9 der Verbotsverfügung zutreffend beschriebenen Straftaten des Members M… haben einen Zurechnungszusammenhang zum Kläger, weil M… bei Begehung der Taten durch Tragen seiner „Kutte“ als Mitglied des Klägers erkennbar war. Verbotsrelevant ist insbesondere das mit Urteil des Amtsgerichts Bruchsal vom 21. April 2005 – 7 Ds 600 Js 30334/05 AK 10/06 – (a.a.O., Bl. 182 ff.) geahndete Vergehen nach dem Waffengesetz, weil der Kläger den bei ihm sichergestellten Revolver und die dazu gehörende Munition in Begleitung des Vizepräsidenten und dreier weiterer Mitglieder des Klägers anlässlich einer gemeinsam unternommenen Motorradfahrt verbotswidrig bei sich trug.

  • Die Billigung des Fehlverhaltens seiner Mitglieder durch den Verein:

Der Vereinigung zurechenbar sind ferner solche strafbaren Verhaltensweisen der Vereinsmitglieder, die die Vereinigung deckt, indem sie ihren Mitgliedern durch eigene Hilfestellung oder von ihr veranlasste Hilfe anderer Personen Rückhalt bietet und dadurch straffällig gewordenen Mitgliedern den Eindruck vermittelt, ihr Fehlverhalten sei von der Vereinigung und insbesondere von deren Führungspersonal gewünscht oder gebilligt. (…) Das Vorliegen einer derartigen, von der Vereinigung ihren Mitgliedern zugedachten Hilfestellung bestimmt sich nicht nach strafrechtlichen Deliktskategorien wie Teilnahme oder Begünstigung, die für eine Vereinigung mangels Straffähigkeit nicht relevant sein können. Es genügt vielmehr, dass vereinsintern den Mitgliedern oder nach außen der Öffentlichkeit, insbesondere den Opfern der Straftaten gegenüber, zum Ausdruck gebracht wird, die Vereinigung gewähre nach den Straftaten ihren straffällig gewordenen Mitgliedern jederzeit den erwarteten Schutz.

Im vorliegenden Fall kommt diesem Kriterium besondere Bedeutung zu:

Zahlreiche Indizien sprechen dafür, dass der Kläger im Hinblick auf die hohe Kriminalitätsrate seiner Mitglieder und in Erwartung weiterer aus ihren Reihen begangener Straftaten eine Infrastruktur aufgebaut hatte, um diese Mitglieder vor strafrechtlicher Verfolgung ihrer Taten zu schützen, im Fall einer Inhaftierung durch regelmäßige, systematische Besuche die Freiheitsentziehung erträglicher zu machen und dadurch nicht nur den Inhaftierten, sondern auch den übrigen Mitgliedern deutlich zu machen, dass sie ohne Rücksicht auf Art und Schwere ihrer Straftaten mit einer nahezu bedingungslosen Solidarität ihres Charters rechnen konnten, wie sich insbesondere am Beispiel des wegen vollendeten Totschlags bestraften Mitglieds I gezeigt hat.

Den Einwand, es handele sich bei diesen Unterstützungsmaßnahmen um „Akte legitimer Solidarität zwischen Freunden“, erteilt das Gericht eine klare Absage. Auf mehreren Seiten wird dargelegt, wie nach Ansicht des Gerichts die Billigung des Verhaltens eines wegen Totschlags inhaftierten Mitglieds durch systematische Besuche in der JVA, die überproportionale Beteiligung des Vereinspräsidenten daran und die Fotomontage eines Gruppenfotos, zum Ausdruck gebracht wurde.

  • Die in dem Verhalten zum Ausdruck kommende Selbstbehauptung gegenüber konkurrierenden Organisationen.

Zu einer insoweit grundsätzlich zu berücksichtigenden Auseinandersetzung mit einer potentiell konkurrierenden Gruppierung nimmt das Gericht aus verfahrenstechnischen Gründen allerdings keine Stellung (dazu Rz. 55 ff. der Entscheidungsgründe).
Im Ergebnis folgt aus der Zurechnung des strafrechtswidrigen Verhaltens seiner Mitglieder nach Ansicht des VGH Kassel die Strafgesetzwidrigkeit des MS Charter Westend.
c) Rechtsfolgenseite
Auf entsprechendeEinwände des Vereins hin stellt der VGH – unter Verweis auf die Rechtsprechung des BVerwG klar, dass § 3 Abs. 1 VereinsG der Verbotsbehörde auf der Rechtfolgenseite weder ein Ermessen einräumt noch Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkte eine Rolle spielen:

Die Verbotsverfügung hat nicht die Funktion zu erfüllen, der Verbotsbehörde auf Rechtsfolgenseite der Norm die Ausübung von Ermessen unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu ermöglichen. Sie dient vielmehr – jedenfalls in der Regel – allein dazu, aus Gründen der Rechtssicherheit klarzustellen, dass eine Vereinigung einen oder mehrere Verbotsgründe erfüllt, und durch die entsprechende Feststellung die gesetzlich vorgesehene Sperre für ein Vorgehen gegen den Verein aufzuheben. Den Anforderungen des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist deshalb bereits auf der Tatbestandsseite der Norm bei der Prüfung Rechnung zu tragen, ob die Voraussetzungen des Verbotsgrundes vorliegen (Urteile vom 19. Dezember 2012 – BVerwG 6 A 6.11 – Rn. 56). Dass und warum hier eine Ausnahme von diesem Grundsatz in Betracht zu ziehen wäre, ist weder vom Kläger dargetan noch ersichtlich.

Das auf § 3 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. VereinsG gestützte Vereinsverbot ist damit rechtmäßig.
Die Anfechtungsklage ist folglich unbegründet.
Fazit
Vereinsverbote haben in der jüngeren Vergangenheit vermehrt Aufsehen erregt (wir hatten berichtet). Zumindest § 3 VereinsG sollte deshalb in seinen Grundzügen bekannt sein. Regelmäßig kommt es darauf an. Für den Verbotstatbestand der Strafgesetzwidrigkeit folgt die Prüfung einem Zweischritt. Zunächst bedarf es der Untersuchung strafrechtlich relevanter Verhaltensweisen einzelner Vereinsmitglieder. Dabei muss eine strafrichterliche Verurteilung noch nicht zwingend vorliegen. In einem zweiten Schritt ist zu untersuchen, ob das gefundene Fehlverhalten dem Verein zugerechnet werden kann. Der VGH Kassel prüft dabei, ob das Verhalten der Mitglieder eine den Verein prägende Wirkung entfaltet. Dabei fällt besonders ins Gewicht, ob sich strafgesetzwidriges Verhalten nach außen als Verhalten des Vereins darstellt und wie sich der Verein, vor allem auch in Person seiner Mitglieder in Leitungsfunktionen, zu dem Fehlverhalten seiner Mitglieder positioniert, namentlich ob er dieses unterstützt und billigt oder sich – etwa durch Ausschluss der betreffenden Mitglieder – davon distanziert.
Nicht erforderlich – darauf sei noch hingewiesen – ist zudem, dass die Strafgesetzwidrigkeit den Hauptzweck des Vereins (und schon gar nicht seinen satzungsmäßigen Zweck) ausmacht.
Ein Katalog, der in einer Prüfungssituation zur Orientierung herangezogen werden kann, findet sich übrigens in § 3 Abs. 5 VereinsG. Eine Einschränkung oder Erweiterung der – auch vom VGH dargestellten – Kriterien der Rechtsprechung bewirkt dieser Katalog nicht. Ausweislich der Gesetzesbegründung handelt es sich nur um die Schließung einer Regelungslücke im Hinblick auf die Zurechnung des Verhaltens der Vereinsmitglieder, die ihrerseits aber wieder auslegungsbedürftig ist, siehe BT-Drucks. 12/6853, Seite 45.]
Die gerichtliche Zuständigkeit des VGH Kassel in erster Instanz ergibt sich im Übrigen aus § 48 Abs. 2 VwGO.
 
 

27.04.2013/0 Kommentare/von Dr. Jan Winzen
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Jan Winzen https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Jan Winzen2013-04-27 10:00:462013-04-27 10:00:46VGH Kassel: Hells Angels Vereinsverbot rechtmäßig (MC Charter Westend)
Dr. Jan Winzen

VGH Kassel: Entscheidung zur Frankfurter Wohnungsprostitution

Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Startseite, Verwaltungsrecht

Kürzlich ist das viel beachtete Urteil des hessischen VGH (Kassel)  vom 31.01.2013 (8 A 1245/12) zur Wohnungsprostitution in Frankfurt am Main veröffentlicht worden.
I. Sachverhalt
Der in erster Instanz vor dem VG Frankfurt am Main unterlegene Kläger begehrt die Aufhebung einer Untersagungsverfügung der Oberbürgermeisterin der Stadt Frankfurt am Main, mit der ihm verboten wurde, die Räumlichkeiten im Hinterhaus seines Grundstücks als bordellartigen Betrieb zur Verfügung zu stellen.
Untersuchungen des Ordnungsamts der Stadt Frankfurt am Main hatten ergeben,

dass in vom Kläger vermieteten, insgesamt 44,52 m² großen Räumen im Hinterhaus auf seinem Hausgrundstück A-Straße ein „XX-Massagestudio“ betrieben wurde, in dem gegen Entgelt sexuelle Handlungen mehrerer spärlich oder gar nicht bekleideter Frauen angeboten werden (sog. Handentspannung, auch den Genitalbereich erfassende Ganzkörpermassagen). Für diese Zwecke standen in dem freistehenden Hinterhaus drei – jeweils mit Bett, Nachttisch und Schrank ausgestattete – Zimmer zur Verfügung, außerdem befanden sich im Haus sanitäre Einrichtungen und eine Kochnische.

Das räumliche Umfeld des Hausgrundstücks ist bauplanungsrechtlich als Mischgebiet ausgewiesen. In der Nähe befinden sich u.a. zwei Kindertagesstätten (etwa 200 Meter Entfernung von dem betreffenden Grundstück), eine Realschule in etwa 100 Meter Entfernung, ein größeres Betriebsgelände der Frankfurter Entsorgungs- und Service GmbH, ein Müllheizkraftwerk der Stadt. Äußerlich war die Nutzungsart des Hauses nicht erkennbar. Die Untersuchungen des Ordnungsamtes hatten außerdem ergeben, dass für das Massagestudio in der Frankfurter Innenstadt (für Ortskundige: im Bereich Hauptwache) auf einer Werbetafel (unter Angabe von Lage und Kontaktdaten) und im Internet (unter Angabe intimer Details der dort tätigen Damen) geworben wurde.
Die Untersagungsverfügung stützte die Oberbürgermeisterin auf § 11 HSOG (Generalklausel) und einen Verstoß gegen die Verordnung des Regierungspräsidiums Darmstadt zum Schutze der Jugend und des öffentlichen Anstandes in Frankfurt am Main (Sperrgebietsverordnung) vom 23.12.1986, in der derzeit gültigen Fassung. Die Berufung des Klägers auf das klageabweisende erstinstanzliche Urteil des VG Frankfurt am Main wurde wegen besonderer Schwierigkeiten rechtlicher Art und grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 3 VwGO) zugelassen. Der VGH hat nunmehr das erstinstanzliche Urteil, die Untersagungsverfügung der damaligen Oberbürgermeisterin und ihren im Verwaltungsverfahren erlassenen Widerspruchsbescheid aufgehoben.
II. Die Entscheidung des VGH
Die (zulässige) Anfechtungsklage ist begründet, soweit der Verwaltungsakt (die Untersagungsverfügung) rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Hinreichende Ermächtigungsgrundlage: § 11 HSOG iVm der Sperrgebietsverordnung von 1986?
Als belastender Verwaltungsakt bedurfte der Erlass der Untersagungsverfügung einer Ermächtigungsgrundlage.
In Betracht kommt insoweit § 11 HSOG wegen eines Verstoßes gegen die öffentliche Sicherheit.
Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit sind, neben den Individualrechtsgütern (insbesondere individuelle Grundrechtspositionen), der Schutz der Unversehrtheit der objektiven Rechtsordnung sowie der Schutz des Bestands und der Veranstaltungen des Staates und anderer Hoheitsträger (zu den wichtigsten Begriffen des Polizei- und Ordnungsrechts siehe hier).

  • Verstoß gegen die Sperrgebietsverordnung

Ein Verstoß gegen die objektive Rechtsordnung – und damit eine Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit – könnte in einem Verstoß gegen die Sperrgebietsverordnung liegen. § 1 der Sperrgebietsverordnung enthält ein allgemeines Prostitutionsverbot für bestimmte Frankfurter Stadtgebiete. Die §§ 3 und 4 enthalten Ausnahmen von dem allgemeinen Prostitutionsverbot (sog. Toleranzzonen). Im Übrigen, also auch für das Grundstück des Klägers, gilt § 2:

In dem übrigen Stadtgebiet ist es mit Ausnahme der in den Abs. 3 und 4 bezeichneten Gebiete verboten, auf öffentlichen Straßen, Wegen, Plätzen, in öffentlichen Anlagen und an sonstigen Orten, die von dort aus eingesehen werden können, sowie in Prostituiertenwohnheimen, Prostituiertenunterkünften und ähnlichen Einrichtungen (unter anderem in sogenannten Massagesalons und sonstigen überwiegend von Prostituierten genutzten Häusern) der Prostitution nachzugehen.

Dass die als „Massagesalon“ genutzten Räumlichkeiten des Klägers mit dem Wortlaut dieser Frankfurter Sperrgebietsverordnung nicht vereinbar sind, dürfte jedem klar sein. Fraglich ist allerdings, ob eine Sperrgebietsverordnung aus dem Jahre 1986 (die zuletzt 1993 überarbeitet wurde) auch heute noch uneingeschränkt zur Unterbindung der Wohnungsprostitution herangezogen werden kann. Wie vom Kläger schon im Verwaltungsverfahren geltend gemacht, hat sich die gesellschaftliche Akzeptanz der Prostitution einem Wandel unterzogen. Dieser Wandel hat sich auf Bundesebene in dem Erlass des Prostitutionsgesetzes im Jahre 2002 auch rechtlich manifestiert. Dass Sperrgebietsverordnungen gleichwohl im Grundsatz weiterhin zulässig und zur Gefahrenabwehr auch notwendig sind, zeigt der bundesrechtliche Hintergrund:

  • Bundesgesetzliche Ermächtigungsgrundlage Art. 297 Abs. 1 EGStGB

Die bundesgesetzliche Ermächtigungsgrundlage für die Sperrgebietsverordnung enthält Art. 297 Abs. 1 EGStGB und lautet (auszugsweise):

Die Landesregierung kann zum Schutze der Jugend oder des öffentlichen Anstandes
(…)
durch Rechtsverordnung verbieten, der Prostitution nachzugehen.

  • Bundesrechtskonforme Auslegung

Der VGH ist der Ansicht, dass diese Verordnungsermächtigung vor dem beschriebenen Hintergrund einer Einschränkung bedarf:

Die weitgehende Legalisierung der Prostitution durch das am 1. Januar 2002 in Kraft getretene Prostitutionsgesetz hat allerdings eine Beschränkung der Ermächtigungsreichweite bei der Anwendung dieser Vorschrift zur Folge, die im vorliegenden Fall entscheidungsrelevant ist.

Was bedeutet dieser Befund nun für das rechtliche Schicksal der Sperrgebietsverordnung und den Bestand der Untersagungsverfügung? Der VGH rezitiert dazu eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28. April 2009 – 1 BvR 224/07, die sich mit den Auswirkungen des Prostitutionsgesetzes auf Art. 297 Abs. 1 EGStGB befasst. Danach ist die

weiterhin gültige Verordnungsermächtigung in Art. 297 Abs. 1 S.1 Nr. 2 EGStGB nicht obsolet; dieses Gesetz und der darin manifestierte Wandel der gesellschaftlichen Akzeptanz der Prostitution verbieten es jedoch, bei der Anwendung dieser Bestimmung allein ihre Ausübung außerhalb ausgewiesener Toleranzzonen ohne konkrete Bewertung daraus resultierender schädlicher Auswirkungen auf die Nachbarschaft, insbesondere auf dort lebende Jugendliche und Kinder, als Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung einzustufen.

Der Schutz des öffentlichen Anstandes, den Art. 297 Abs. 1 EGStGB bezweckt, meint eben nicht den Schutz herrschender sittlicher Moralvorstellungen. Vielmehr dient die Verordnungsermächtigung der Gefahrenabwehr. Sie verfolgt das Ziel, das Zusammenleben der Menschen zu ordnen, soweit ihr Verhalten sozialrelevant ist. Soziale Relevanz hat ein Verhalten, wenn es nach außen in Erscheinung tritt und (deshalb) das Allgemeinwohl beeinträchtigen kann. Bei Handlungen und Zuständen, die eine enge Beziehung zum Geschlechtsleben haben, sind Belange des Allgemeinwohls nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts insbesondere dann beeinträchtigt, wenn andere Personen, die von diesen Handlungen und Zuständen unbehelligt bleiben wollten, erheblich belästigt werden. Dies gilt insbesondere für die Begleitumstände der Prostitution.
Für den vorliegenden (wie für jeden vergleichbaren) Fall bedeutet dies,

dass eine öffentlich nicht wahrnehmbare Prostitutionsausübung, wie sie hier vorliegt, nicht mehr durch den Vollzug einer Sperrgebietsverordnung unterbunden werden kann, die keine konkrete Belästigung der Öffentlichkeit durch Begleiterscheinungen der Prostitution voraussetzt.

In eine auf Art. 297 Abs. 1 EGStGB gestützte Sperrgebietsverordnung ist also das Erfordernis einer konkreten Belästigung der Öffentlichkeit durch Begleiterscheinungen der Prostitution hineinzulesen. Mittel zu diesem Zweck ist eine bundesrechtskonforme Auslegung der Verordnung.
2. Formelle Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung
Zur formellen Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung musste der VGH keine Ausführungen machen. Natürlich ließen sich an dieser Stelle in einer Klausur die üblichen Probleme einbauen (zur unterlassenen Anhörung siehe etwa hier).
3. Materielle Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung
Der VGH legt § 2 Sperrgebietsverordnung bundesrechtskonform unter Berücksichtigung der Kriterien des Bundesverfassungsgerichts aus und prüft, ob die außerhalb der Toleranzzonen liegende Prostitutionsausübung in den Räumlichkeiten des Klägers eine konkrete Belästigung der Öffentlichkeit darstellt.

  • Definition: weitere Konkretisierung durch das Bundesverfassungsgericht

Wann eine solche konkrete Belästigung der Öffentlichkeit anzunehmen ist, hat das Bundesverfassungsgericht in der genannten Entscheidung weiter veranschaulicht. Danach kann eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange vorliegen, wenn die Eigenart des betroffenen Gebietes durch eine besondere Schutzbedürftigkeit und Sensibilität, z.B. als Gebiet mit hohem Wohnanteil sowie Schulen, Kindergärten, Kirchen und sozialen Einrichtungen gekennzeichnet ist und wenn eine nach außen in Erscheinung tretende Ausübung der Prostitution typischerweise damit verbundene Belästigungen Unbeteiligter und milieubedingte Unruhe, wie zum Beispiel das Werben von Freiern und anstößiges Verhalten gegenüber Passantinnen und Anwohnerinnen, befürchten lässt.

  • Subsumtion des VGH

Der VGH verneint im vorliegenden Fall eine konkrete Belästigung der Öffentlichkeit mit folgenden Argumenten:
Prostitution tritt nach außen nicht in Erscheinung
Die Wohnungsprostitution wird in Räumlichkeiten ausgeübt, die sich in einem der Straße abgewandten Hinterhaus befinden. Wegen der beschränkten Zahl der dort tätigen Prostituierten tritt zudem allenfalls geringer Publikumsverkehrs auf. Vor diesem Hintergrund tritt die Prostitution ohne jeden Hinweis auf die konkrete Nutzung des Gebäudes schon nicht – wie vom Bundesverfassungsgericht gefordert –nach außen in Erscheinung.
Jugendschutz nicht tangiert – nicht jede Möglichkeit der Kenntnisnahme ausgeschlossen
Kindertagesstätten und Realschule sind von dem betreffenden Grundstück so weit entfernt, dass die konkreten, äußerlich wahrnehmbaren Begleiterscheinungen der dortigen Prostitutionsausübung – wie etwa die An- und Abfahrt von Kunden – von den dort betreuten Kindern und Jugendlichen nicht als solche wahrgenommen werden können. Anders wäre es allenfalls dann, wenn sie anders – namentlich durch die Werbetafel in der Innenstadt – von der Prostitutionsausübung erfahren würden. Im Hinblick auf die Kinder der Kindertagesstätte besteht diese Möglichkeit aber schon faktisch nicht. Eine zufällige Kenntnisnahme von der Prostitutionsausübung im Massagestudio kommt für die Realschüler zwar grundsätzlich in Betracht. Die Ermächtigung in Art. 297 EGStGB verfolgt aber nach Ansicht des Gerichts auch nicht den Zweck, Jugendliche vor jeder Kenntnisnahme von dem Phänomen der Prostitution zu bewahren.
Kein seelischer Schaden zu befürchten
Der VGH geht offenbar davon aus, dass öffentliche Belange beeinträchtigt werden, wenn bei Kenntniserlangung von der betriebenen Prostitution die Gefahr eines seelischen Schadens Jugendlicher bestünde. Bezogen auf Jugendliche (jedenfalls solche aus einer Großstadt wie Frankfurt am Main (!)) verneint er dies aber im vorliegenden Fall:
Dass die in erster Linie „gefährdeten“ Schülerinnen und Schüler der nahe gelegenen L.-Realschule bei Kenntnisnahme von der Werbung für das „C.-Massagestudio“ seelischen Schaden nehmen könnten, ist auszuschließen, da Kinder und Jugendliche in dieser Altersgruppe – zumal in einer Großstadt wie Frankfurt – jederzeit durch allgemein zugängliche Quellen und geradezu zwangsläufig mit Prostitution konfrontiert werden und sich im Zuge ihres Reifeprozesses mit diesem mittlerweile gesellschaftlich als unvermeidlich akzeptierten Phänomen auch auseinandersetzen sollten.
III. Fazit
Entscheidungen zum behördlichen Einschreiten gegen Wohnungsprostitution im Lichte der gewandelten gesellschaftlichen Anschauung der Prostitution sind keine Seltenheit. Wir berichteten kürzlich etwa zu einem Fall, in dem es um die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit eines „nichtmedizinischen“ Massagesalons in einem reinen Wohngebiet ging. Da sich die Räumlichkeiten im vorliegenden Fall in einem bauplanungsrechtlich als Mischgebiet (§ 6 BauNVO) ausgewiesenen Bereich befinden, wäre ein bauordnungsrechtliches Einschreiten gemessen an den insoweit entwickelten Kriterien wohl nicht in Betracht gekommen (siehe dazu ebenfalls die bereits zitierte Entscheidung). In einer Klausur ließe sich je nach Konstellation eine solche Prüfung aber gut einbauen. Die Oberbürgermeisterin der Stadt Frankfurt am Main musste auf die Generalklausel (in Hessen: § 11 HSOG) zurückgreifen und zur Konkretisierung die Gebote und Verbote der Sperrgebietsverordnung heranziehen. Diese ist allerdings bundesrechtskonform dahin auszulegen, dass die Wohnungsprostitution nur untersagt werden darf, wenn eine konkrete Belästigung der Öffentlichkeit durch Begleiterscheinungen der Prostitution vorliegt. Der VGH verneint zwar im vorliegenden Fall eine solche Beeinträchtigung, seine Argumente zeigen aber, dass ein anders gelagerter Sachverhalt durchaus eine abweichende Entscheidung zugelassen hätte. Es bedarf also in einer Klausur stets einer sorgfältigen Auswertung sämtlicher angebotener Fakten.
Interessant in diesem Zusammenhang ist vielleicht auch noch ein Blick auf die wesentlichen Inhalte des viel zitierten Prostitutionsgesetzes: Diese umfassen einen rechtswirksamen Anspruch der Prostituierten auf das vereinbarte Entgelt (§ 1 ProstG), dessen fehlende Abtretbarkeit und den weitgehenden Ausschluss von Einwendungen gegen den Anspruch (§ 2 ProstG) sowie den Zugang zur Sozialversicherung (§ 3 ProstG). Darüber hinaus wurde die Strafbarkeit der Förderung der Prostitution und der Zuhälterei durch Art. 2 ProstG eingeschränkt. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich zudem, dass der Gesetzgeber davon ausgeht, dass die Vereinbarung über ein Entgelt für sexuelle Leistungen und auch die Tätigkeit selbst nicht gegen die guten Sitten verstoßen, vgl. BT-Drucks. 14/5958, Seite 4, 6.
 

27.03.2013/2 Kommentare/von Dr. Jan Winzen
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Jan Winzen https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Jan Winzen2013-03-27 09:00:242013-03-27 09:00:24VGH Kassel: Entscheidung zur Frankfurter Wohnungsprostitution

Über Juraexamen.info e.V.

Deine Online-Zeitschrift für Jurastudium, Staatsexamen und Referendariat.

Wir sind ein gemeinnütziger Verein aus Bonn und auf Eure Unterstützung angewiesen, sei es als Mitglied oder durch Gastbeiträge. Über Zusendungen und Nachrichten freuen wir uns daher sehr!

Werbung

Anzeige

Neueste Beiträge

  • Verkehrspflichten in der zivilrechtlichen Klausur
  • Gedächtnisprotokoll Öffentliches Recht II April 2025 NRW
  • Tätowierungen als Einstellungshindernis im Polizeidienst?

Weitere Artikel

Auch diese Artikel könnten für dich interessant sein.

Gastautor

Verkehrspflichten in der zivilrechtlichen Klausur

Aktuelles, Deliktsrecht, Examensvorbereitung, Fallbearbeitung und Methodik, Karteikarten, Lerntipps, Rechtsgebiete, Startseite, Uncategorized, Verschiedenes, Zivilrecht, Zivilrecht

Im Ausgangspunkt ist klar: „Ein allgemeines Verbot, andere nicht zu gefährden, wäre utopisch“ (vgl. nur BGH, Urt. v. 19.1.2021 – VI ZR 194/18) Damit ist allerdings nicht geklärt, welche Anforderungen […]

Weiterlesen
12.06.2025/0 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2025-06-12 09:39:522025-06-12 09:39:53Verkehrspflichten in der zivilrechtlichen Klausur
Redaktion

Gedächtnisprotokoll Öffentliches Recht II April 2025 NRW

Aktuelles, Examensreport, Nordrhein-Westfalen, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Uncategorized, Verfassungsrecht

Wir freuen uns sehr, ein Gedächtnisprotokoll zur zweiten Klausur im Öffentlichen Recht des April-Durchgangs 2025 in Nordrhein-Westfalen veröffentlichen zu können und danken Tim Muñoz Andres erneut ganz herzlich für die […]

Weiterlesen
04.06.2025/0 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2025-06-04 08:43:322025-06-04 08:44:08Gedächtnisprotokoll Öffentliches Recht II April 2025 NRW
Miriam Hörnchen

Tätowierungen als Einstellungshindernis im Polizeidienst?

Aktuelles, Examensvorbereitung, Öffentliches Recht, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Startseite, Verwaltungsrecht

Die vom VG Berlin zu beantwortende Frage, ob die Ablehnung einer Bewerbung für den Polizeidienst wegen sichtbarer Tätowierungen rechtswidrig erfolgt, wirft eine Vielzahl examensrelevanter Fragestellungen auf: Aufgrund der Eilbedürftigkeit im […]

Weiterlesen
03.06.2025/0 Kommentare/von Miriam Hörnchen
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Miriam Hörnchen https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Miriam Hörnchen2025-06-03 08:45:032025-06-06 10:50:46Tätowierungen als Einstellungshindernis im Polizeidienst?

Mitmachen

Du hast Lust, Autor bei uns zu werden? Wir freuen uns!

Mitmachen
  • Über JE
  • Das Team
  • Spendenprojekt
  • Gastautor werden
  • Mitglied werden
  • Alumni
  • Häufige Fragen
  • Impressum
  • Kontakt
  • Datenschutz

© juraexamen.info e.V.

Nach oben scrollen Nach oben scrollen Nach oben scrollen