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Schlagwortarchiv für: Schmähkritik

Dr. Lena Bleckmann

Neues zur Schmähkritik – Das BVerfG entscheidet zu Hasskommentaren bei Facebook

Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Verfassungsrecht

Dass die in sozialen  Medien mögliche Anonymität einige Nutzer zuweilen verleitet, unter ihrem Deckmantel Hass und Hetze zu verbreiten, dürfte inzwischen hinlänglich bekannt sein. Insbesondere Politiker sehen sich solchen Hasskommentaren besonders häufig ausgesetzt. Einzelne wissen sich jedoch zu wehren: Renate Künast, MdB und Mitglied der Partei Bündnis 90/Die Grünen, verlangte, nachdem ihr gegenüber auf Facebook Dinge geäußert wurden, die man ihr wohl kaum ins Gesicht gesagt hätte, von dem Unternehmen die Auskunft über die Bestandsdaten der jeweiligen Nutzer – zum Zwecke der Rechtsverfolgung wollte sie die Identität der Nutzer herausfinden.
Das Verfahren hat bereits erhebliche mediale Aufmerksamkeit erlangt. Zu mehreren Entscheidungen der Berliner Gerichte tritt nun ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19.12.2021, Az. 1 BvR 1073/20. Die wichtigsten Eckpunkte der Entscheidung des BVerfG sollen im Folgenden überblicksweise dargestellt werden.


I. Was bisher geschah
Im Instanzenzug war Künast nur teilweise erfolgreich – so gestattete das LG Berlin (Beschl. v. 21.1.2020 – 27 AR 17/19) die Auskunft über die Bestandsdaten der Nutzer in sechs Fällen, das KG Berlin (Beschl. v. 11.3.2020 – 10 W 13/20) später für weitere sechs Kommentare. Im Übrigen sahen die Gerichte die Schwelle zur strafbaren Beleidigung nicht überschritten. Voraussetzung für einen Auskunftsanspruch über die Daten nach § 14 Abs. 3 Telemediengesetz a.F., der hier noch einschlägig war, ist jedoch eine Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche wegen Verletzung absolut geschützter Rechte aufgrund rechtswidriger Inhalte, die von § 10a Abs. 1 des Telemediengesetzes oder § 1 Abs. 3 des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) in der damaligen Fassung erfasst werden, begehrt wird. Rechtswidrig i.d.S. sind insbesondere Äußerungen, die tatbestandlich eine Straftat gegen die persönliche Ehre nach §§ 185 ff. StGB darstellen.
Hinweis: Zur Wiederholung der Prüfung der §§ 185 ff. StGB siehe hier unseren Beitrag zu dem Thema.
Hinsichtlich von Äußerungen wie „Pädophilen-Trulla“, „Die ist Geisteskrank“, „Ich könnte bei solchen Aussagen diese Personen die Fresse polieren“ oder „Gehirn Amputiert“ führte das KG Berlin jedoch aus:
„Der Senat verkennt dabei keineswegs, dass es sich insoweit gleichfalls um erheblich ehrenrührige Bezeichnungen und Herabsetzungen der Ast. handelt. Unter Berücksichtigung der verfassungsgerichtlichen Vorgaben ist allerdings festzustellen, dass die Schwelle zum Straftatbestand der Beleidigung gem. § 185 StGB nicht überschritten wird. Denn es liegt kein Fall der abwägungsfreien Diffamierung (Angriff auf die Menschenwürde, Formalbeleidigung bzw. Schmähkritik) vor und die Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Ast. erreicht auch nicht ein solches Gewicht, dass die Äußerungen unter Einbeziehung des konkret zu berücksichtigenden Kontexts – anders als die zu Ziff. I. zu beurteilenden Äußerungen lediglich als persönliche Herabsetzung und Schmähung der Ast. erscheinen (…)“  (KG Berlin, Beschl. v. 11.3.2020 – 10 W 13/20)
Insbesondere aufgrund eines Bezugs zu dem Ausgangspost bejahte das KG für einzelne Äußerungen einen Sachbezug und stützte darauf die Ansicht, die Grenze der Beleidigung sei, da der Kommentar damit nicht ausschließlich der Diffamierung diene, nicht überschritten. In dem Ausgangspost wurde eine Äußerung Künasts aus einer Bundestagsdebatte derart verkürzt wiedergegeben, dass für den Leser der Eindruck entstehen konnte, Künast billige pädophile Praktiken.


 II. Die Entscheidung des BVerfG im Überblick
Künast zog schließlich vor das Bundesverfassungsgericht – und dort bekam sie nun Recht. Das BVerfG sieht die Beschwerdeführerin in ihrem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verletzt. Wie immer befasst sich das BVerfG nur mit der Verletzung spezifischen Verfassungsrechts. Dieses müssen die Fachgerichte bei der Entscheidung hinreichend berücksichtigen. Zentrale Frage ist daher: Haben die Fachgerichte das Allgemeine Persönlichkeitsrecht so interpretationsleitend berücksichtigt, dass sein „wertsetzender Gehalt auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt“  (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.12.2021 – 1 BvR 1073/20, Rn. 27).
In Fällen wie dem hier in Rede stehenden bewegt man sich im Spannungsbereich zwischen der Meinungsäußerungsfreiheit und dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Aufhänger für die Grundrechtsprüfung musste vorliegend insbesondere § 185 StGB sein. Ist dessen Tatbestand erfüllt, liegt eine rechtswidrige Äußerung i.S.d. § 1 Abs. 3 NetzDG in der damaligen Fassung vor, ebenso wie eine Verletzung eines Schutzgesetzes nach § 823 Abs. 2 BGB sowie die Verletzung des APR als absolut geschütztes Recht, was einen Unterlassungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 BGB analog eröffnet.
Für die Prüfung, ob denn eine strafbare Beleidigung nach § 185 StGB vorliegt, haben die Gerichte nun schrittweise vorzugehen. Zunächst muss der Inhalt der Äußerungen erfasst und bei Interpretationsspielraum gedeutet werden. Zur Erinnerung: Schon auf dieser ersten Stufe ist die Meinungsfreiheit des sich Äußernden zu berücksichtigen, bei mehreren möglichen Auslegungsmethoden ist meinungsfreundliche Auslegungsvariante zugrunde zu legen (vgl. auch Kahl/Ohlendorf, JuS 2008, 682, 684)
Ist der Sinngehalt der Äußerung ermittelt, erfordert die Feststellung einer Beleidigung i.S.d. § 185 StGB weiterhin grundsätzlich eine Abwägung von Meinungsfreiheit und Allgemeinem Persönlichkeitsrecht. Der strafrechtliche Schutz der persönlichen Ehre darf nicht zu einer unverhältnismäßigen Einschränkung des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 Var. 1 GG führen, zugleich muss ein hinreichender Schutz des Persönlichkeitsrechts gleichwohl gewährleistet sein. Mit den Worten des BVerfG:
„Die Belange der Meinungsfreiheit finden demgegenüber vor allem in § 193 StGB Ausdruck, der bei der Wahrnehmung berechtigter Interessen eine Verurteilung wegen ehrverletzender Äußerungen ausschließt und – vermittelt über  § 823 Absatz 2 BGB – auch im Zivilrecht zur Anwendung kommt. Diese Vorschriften tragen dem Umstand Rechnung, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht vorbehaltlos gewährleistet ist. Nach  Artikel 2 Absatz 1 GG wird es durch die verfassungsmäßige Ordnung einschließlich der Rechte anderer beschränkt. Zu diesen Rechten gehört auch die Freiheit der Meinungsäußerung aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 GG. Auch diese ist nicht vorbehaltlos garantiert. Sie findet nach Artikel 5 Absatz 2 GG ihre Schranken unter anderem in den allgemeinen Gesetzen und in dem Recht der persönlichen Ehre (…)“ (BVerfG, Beschl. v. 19.12.2021 – 1 BvR 1073/20, Rn. 26, Nachweise im Zitat ausgelassen).
Die Abwägung der betroffenen Rechtsgüter kann allerdings im Einzelfall entbehrlich sein – dies insbesondere dann, wenn ein Fall von Schmähkritik vorliegt. Schmähkritik liegt vor, „wenn eine Äußerung keinen irgendwie nachvollziehbaren Bezug mehr zu einer sachlichen Auseinandersetzung hat und es bei ihr im Grunde nur um das grundlose Verächtlichmachen der betroffenen Person als solcher geht“ (BVerfG, Beschl. v. 19.12.2021 – 1 BvR 1073/20, Rn. 29).
Einen solchen Fall von Schmähkritik hatte das KG Berlin nun abgelehnt, der Sachbezug insbesondere der Äußerung „Pädophilen-Trulla“ wurde ausdrücklich betont (a.a.O.). Hier kann die Prüfung nun allerdings nicht stehen bleiben. Denn: Dass eine Äußerung keine Schmähkritik darstellt, heißt noch nicht, dass es sich auch nicht um eine strafbare Beleidigung handelt. Das BVerfG moniert in der aktuellen Entscheidung aber nun eine solche Gleichsetzung von Beleidigung und Schmähkritik:
„Es mag die im Ausgangsverfahren vertretene Auffassung der Beschwerdeführerin gewesen sein, dass es sich bei der Äußerung um Schmähkritik handele. Dies dispensiert aber das Fachgericht nicht davon, bei Nichtvorliegen einer besonderen Anforderungen unterworfenen Schmähkritik die einfache Beleidigung, die eine Abwägung der betroffenen Rechtspositionen erfordert, in Betracht zu ziehen und zu prüfen. Vorliegend hat sich das Fachgericht aufgrund einer fehlerhaften Maßstabsbildung, die eine Beleidigung letztlich mit der Schmähkritik gleichsetzt, mit der Abwägung der Gesichtspunkte des Einzelfalls nicht auseinandergesetzt. Hierin liegt eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Beschwerdeführerin. Bereits dieser – praktisch vollständige – Abwägungsausfall muss zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung führen.“ (BVerfG, Beschl. v. 19.12.2021 – 1 BvR 1073/20, Rn. 45 f.)
Das Kammergericht hätte mithin nach der Ablehnung einer Schmähkritik noch eine weitere Abwägung der betroffenen Rechtsgüter – Meinungsfreiheit und Allgemeines Persönlichkeitsrecht – vornehmen müssen. Schon die Tatsache, dass dies nicht erfüllt ist, stellt nach Ansicht des BVerfG eine Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Beschwerdeführerin dar und führt daher zum Erfolg der Verfassungsbeschwerde. Welche Punkte in die vorzunehmende Abwägung mit einzubeziehen sind, ist im Beschluss des BVerfG unter den Randnummern 30 ff. nachzulesen.


III. Was aus der Entscheidung mitzunehmen ist
Was Klausur- und Examenskandidaten aus der Entscheidung mitnehmen sollten, lässt sich in wenigen Worten zusammenfassen: Schmähkritik und strafrechtlich relevante Beleidigung sind keine Synonyme. Die Ablehnung des Vorliegens von Schmähkritik befreit nicht von der Notwendigkeit einer Abwägung der betroffenen Rechtsgüter. Die Entscheidung enthält damit wenig grundlegend Neues. Sie sollte aber allemal als Anlass genommen werden, die Grundsätze der Meinungsfreiheit, des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts und ihres Verhältnisses zueinander zu wiederholen. Da strafrechtliche Erwägungen in Klausuren hier oft den Aufhänger bieten, sollten auch die §§ 185 ff. StGB in ihrer Relevanz nicht unterschätzt werden.

03.02.2022/1 Kommentar/von Dr. Lena Bleckmann
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Lena Bleckmann https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Lena Bleckmann2022-02-03 14:33:112022-08-03 08:36:07Neues zur Schmähkritik – Das BVerfG entscheidet zu Hasskommentaren bei Facebook
Dr. Maike Flink

Rechtsprechungsüberblick Öffentliches Recht (Quartal 2 und 3/2019) – Teil 1: Verfassungsrecht

Öffentliches Recht, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?, Startseite, Verfassungsrecht

Bei der Vorbereitung auf die schriftliche und vor allem mündliche Examensprüfung, aber auch auf Klausuren des Studiums, ist die Kenntnis aktueller Rechtsprechung von entscheidender Bedeutung. Der folgende Überblick ersetzt zwar keinesfalls die vertiefte Auseinandersetzung mit den einzelnen Entscheidungen, soll hierfür aber Stütze und Ausgangspunkt sein. Dargestellt wird daher eine Auswahl der examensrelevanten Entscheidungen der vergangenen Monate anhand der betreffenden Leitsätze, Pressemitteilungen und ergänzender kurzer Ausführungen aus den Gründen, um einen knappen Überblick aktueller Rechtsprechung auf dem Gebiet des Öffentlichen Rechts zu bieten.
 
BVerfG (Beschl. v. 23.7.2019 – 1 BvR 2433/17): Fälschliche Einordnung prozessualer Äußerung als Schmähkritik verletzt Meinungsfreiheit
Das BVerfG hat kürzlich die Anforderungen an das Vorliegen von Schmähkritik erneut konkretisiert. Dabei hat das Gericht herausgestellt, dass bei der Qualifizierung einer Aussage als Schmähkritik strenge Maßstäbe anzulegen sind. Erforderlich ist, dass die Äußerung tatsächlich auf die bloße Herabsetzung und Diffamierung einer anderen Person gerichtet ist, ohne sich inhaltlich mit der Sache auseinander zu setzen. Besonders hervorgehoben hat das BVerfG, dass auch Anlass und Kontext der Äußerung Berücksichtigung finden müssen um zu ermitteln, ob sie tatsächlich jedes sachlichen Bezugs entbehrt und auf eine persönliche Diffamierung gerichtet ist oder vielmehr ein Anlass für die jeweilige Aussage ausgemacht werden kann. So kann der Vergleich der Verhandlungsführung einer Richterin mit „einschlägigen Gerichtsverfahren vor ehemaligen nationalsozialistischen deutschen Sondergerichten“ oder einem „mittelalterlichen Hexenprozess“ nicht von vornherein als Schmähkritik eingeordnet werden. Das BVerfG formuliert dazu:

„Die Äußerungen entbehren […] nicht eines sachlichen Bezugs. Sie lassen sich wegen der auf die Verhandlungsführung und nicht auf die Richterin als Person gerichteten Formulierungen nicht sinnerhaltend aus diesem Kontext lösen und erscheinen auch nicht als bloße Herabsetzung der Betroffenen. Die Äußerungen lassen nicht ohne weiteres den Schluss zu, der Beschwerdeführer habe der Richterin eine nationalsozialistische oder „mittelalterliche“ Gesinnung unterstellen wollen. Historische Vergleiche mit nationalsozialistischer Praxis begründen für sich besehen nicht die Annahme des Vorliegens von Schmähkritik.“

Vgl. ausführlich unsere Entscheidungsbesprechung.
 
BVerfG (Beschl. v. 18.7.2019 – 1 BvL 1/18, 1 BvR 1595/18, 1 BvL 4/18) zur Verfassungskonformität der Mietpreisbremse
Ein großes mediales Echo hat auch die Entscheidung des BVerfG zur Verfassungskonformität der Mietpreisbremse hervorgerufen. So stellte das Gericht fest:

„Die Regulierung der Miethöhe bei Mietbeginn durch § 556d Abs. 1 BGB verstößt in dem Verfassungsbeschwerdeverfahren weder gegen die Garantie des Eigentums aus Art. 14 Abs. 1 GG noch gegen die Vertragsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG noch den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG.“

Schwerpunktmäßig hat das BVerfG sich in seinem Beschluss mit der Vereinbarkeit des § 556d Abs. 1 BGB mit Art. 14 Abs. 1 GG beschäftigt: Ein Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG ist jedoch abzulehnen, da die Regelung eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG darstellt. Sie verfolgt das legitime Ziel, „durch die Begrenzung der Miethöhe bei Wiedervermietung der direkten oder indirekten Verdrängung wirtschaftlich weniger leistungsfähiger Bevölkerungsgruppen aus stark nachgefragten Wohnquartieren entgegenzuwirken“. Indem sie Preisspitzen auf angespannten Wohnungsmärkten abschwächt, kann sie den Zugang einkommensschwacher Mieter zu Wohnraum schaffen und ist damit geeignet, den verfolgten Zweck zu erreichen, ohne dass vergleichbar wirksame, mildere Mittel zur Verfügung stehen. Letztlich ist die Regelung nach Ansicht des Gerichts auch angemessen, denn der Gesetzgeber hat die Belange von Mietern und Vermietern in einen sachgerechten Ausgleich gebracht. Den Interessen der Mieter kommt dabei besonderes Gewicht zu:

„Die Befugnis des Gesetzgebers zur Inhalts- und Schrankenbestimmung geht auf der anderen Seite umso weiter, je mehr das Eigentumsobjekt in einem sozialen Bezug und in einer sozialen Funktion steht […]. Das trifft auf die Miethöhenregulierung in besonderem Maße zu. Eine Wohnung hat für den Einzelnen und dessen Familie eine hohe Bedeutung […].“

Demgegenüber entsteht keine unverhältnismäßige Beeinträchtigung seitens der Betroffenen Vermieter, denn auch eine nachträgliche Verschlechterung der Nutzungsmöglichkeiten bestehender Eigentumspositionen kann zulässig sein. So führt das Gericht aus:

„Auf dem sozialpolitisch umstrittenen Gebiet des Mietrechts müssen Vermieterinnen und Vermieter […] mit häufigen Gesetzesänderungen rechnen und können nicht auf den Fortbestand einer ihnen günstigen Rechtslage vertrauen […]. Ihr Vertrauen, mit der Wohnung höchstmögliche Mieteinkünfte erzielen zu können, wird durch die Eigentumsgarantie nicht geschützt, weil ein solches Interesse seinerseits vom grundrechtlich geschützten Eigentum nicht umfasst ist.“

Eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung der Interessen der betroffenen Vermieter ist zudem abzulehnen, da die ortsübliche Vergleichsmiete dem Vermieter einen am örtlichen Markt orientierten Mietzins sichert und damit die Wirtschaftlichkeit der Vermietung erhalten bleibt.
 
BVerfG (Beschl. v. 9.7.2019 – 1 BvR 1257/19) zur Strafbarkeit des faktischen Leiters einer nicht angemeldeten Versammlung
Das BVerfG hatte die Vereinbarkeit der Strafnorm des § 26 Nr. 2 VersG mit Art. 8 Abs. 1 GG zu beurteilen. § 26 Nr. 2 VersG bestimmt: „Wer als Veranstalter oder Leiter eine öffentliche Versammlung unter freiem Himmel oder einen Aufzug ohne Anmeldung (§ 14) durchführt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.“ An der Verfassungskonformität der Norm bestehen dabei grundsätzlich keine Zweifel. Dies gilt nach der Ansicht des Gerichts auch, sofern sie dahingehend ausgelegt wird, dass auch der bloß faktische Versammlungsleiter einer nicht angemeldeten Veranstaltung als tauglicher Täter eingeordnet wird:

 „Denn eine solche Auslegung ist geeignet, einer Umgehung des Erfordernisses einer Anmeldung unter Benennung eines Versammlungsleiters entgegenzuwirken, die ansonsten nur gegenüber dem Veranstalter – der gerade bei nicht angemeldeten Versammlungen oftmals nicht ohne weiteres festgestellt werden kann – sanktioniert werden könnte. Sie verwirklicht somit die legitimen Ziele des gesetzlichen Anmeldeerfordernisses, ohne die Versammlungsfreiheit in übermäßiger Weise einzuschränken.“

Es bestehen auch keine Bedenken, dass dies zu einer Sanktionierung der bloßen Teilnahme an einer nicht angemeldeten Veranstaltung führen könnte, denn es ist nur derjenige als Versammlungsleiter einzuordnen, der den Ablauf der Versammlung, ihre Unterbrechungen und ihre Schließung bestimmt. 
Vgl. ausführlich unsere Entscheidungsbesprechung.
 
BVerfG (Beschl. v. 2.7.2019 – 1 BvR 385/16) zur Verfassungskonformität eines Vereinsverbots
Das BVerfG hat sich mit der Frage nach der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit eines Vereinsverbots am Maßstab von Art. 9 Abs. 2 GG beschäftigt. Gem. Art. 9 Abs. 2 GG ist ein Vereinsverbot dabei gerechtfertigt, wenn sich die jeweilige Vereinigung gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet, also insbesondere, wenn sie schwerwiegende völkerrechtswidrige Handlungen aktiv propagiert und fördert. Dabei gilt:

„Der Verbotstatbestand kann auch dann erfüllt sein, wenn die Vereinigung sich durch die Förderung Dritter gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet; Dazu gehört die finanzielle Unterstützung terroristischer Handlungen und Organisationen, wenn diese objektiv geeignet ist, den Gedanken der Völkerverständigung schwerwiegend, ernst und nachhaltig zu beeinträchtigen, und die Vereinigung dies weiß und zumindest billigt.“

30.09.2019/0 Kommentare/von Dr. Maike Flink
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Maike Flink https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Maike Flink2019-09-30 10:08:312019-09-30 10:08:31Rechtsprechungsüberblick Öffentliches Recht (Quartal 2 und 3/2019) – Teil 1: Verfassungsrecht
Dr. Maike Flink

BVerfG: Konkretisierungen der Anforderungen an das Vorliegen von Schmähkritik

Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Verfassungsrecht

Das BVerfG hat kürzlich in einer Entscheidung vom 14.6.2019 (1 BvR 2433/17) erneut zu den Anforderungen an das Vorliegen von Schmähkritik Stellung genommen und damit die bisherigen Maßstäbe konkretisiert. In den letzten Jahren war die Reichweite des Schutzes der Meinungsfreiheit im Hinblick auf sog. Schmähkritik immer wieder Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen, die regelmäßig ein großes Medienecho nach sich zogen. Vor diesem Hintergrund bedarf auch die in diesem Zusammenhang neueste Entscheidung – gerade mit Blick auf künftige Examensklausuren und die mündliche Prüfung – einer eingehenden Auseinandersetzung.
 
I. Sachverhalt
Was war passiert? Der Beschwerdeführer war Kläger eines Zivilprozesses beim Amtsgericht. Im Laufe des Prozesses ersuchte er das Gericht um die Ablehnung der mit dem Verfahren betrauten Richterin wegen Befangenheit. Diese ergab sich seiner Ansicht nach aus einer einseitigen Vernehmung eines Zeugen zu seinen Lasten, bei der die Richterin dem Zeugen die erwünschten Antworten nahezu in den Mund gelegt habe. Sein Gesuch begründete der Beschwerdeführer auch in zwei Schriftsätzen, in denen es wörtlich unter anderem hieß:

„Die Art und Weise der Beeinflussung der Zeugen und der Verhandlungsführung durch die Richterin sowie der Versuch, den Kläger von der Verhandlung auszuschließen, erinnert stark an einschlägige Gerichtsverfahren vor ehemaligen nationalsozialistischen deutschen Sondergerichten.“

Zudem führte er aus:

„Die gesamte Verhandlungsführung der Richterin erinnerte eher an einen mittelalterlichen Hexenprozess als an ein nach rechtsstaatlichen Grundsätzen geführtes Verfahren.“

Daraufhin wurde er durch das Amtsgericht gem. § 185 StGB zu einer Geldstrafe verurteilt. Die Berufung des Beschwerdeführers wurde durch das Landgericht ebenso verworfen wie die im Anschluss eingelegte Revision durch Oberlandesgericht. Die Gerichte stützen dies im Wesentlichen darauf, dass die Äußerungen des Beschwerdeführers zwar Werturteile seien, die dem Schutz der Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 S. 1 Fall 1 GG unterfielen. Allerdings handele es sich um Schmähkritik, sodass die Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers gegenüber dem Ehrschutz der Betroffenen zwingend zurücktreten müsse. Daraufhin erhob der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde wegen der Verletzung seiner Meinungsfreiheit gem. Art. 5 Abs. 1 S. 1 Fall 1 GG.
 
II. Rechtliche Würdigung
Fraglich ist daher, ob der Beschwerdeführer durch die angegriffenen Entscheidungen tatsächlich in seiner Meinungsfreiheit gem. Art. 5 Abs. 1 S. 1 Fall 1 GG verletzt ist.
 
1. Schutzbereich
Zunächst müssten die Äußerungen des Beschwerdeführers in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 S. 1 Fall 1 GG fallen. Geschützt werden Meinung, d.h. Werturteile, die geprägt sind durch ein Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens. Von einer Meinung zu unterscheiden sind bloße Tatsachenbehauptungen, also solche Äußerungen, die einem Wahrheitsbeweis zugänglich sind. Sie sind grundsätzlich nicht geschützt, es sei denn, sie sind ausnahmsweise untrennbar mit einer Wertung verbunden oder Voraussetzung für eine Meinung. Ist eine Äußerung als Meinung einzuordnen, so kommt es grundsätzlich nicht darauf an, ob diese in polemischer Weise kundgetan oder eine verletzende Formulierung gewählt wird. Auch Schmähkritik unterfällt dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit. Im vorliegenden Fall war die Äußerung des Beschwerdeführers als wertende Stellungnahme anzusehen: Er wollte keine historische Aussage treffen, dass es sich tatsächlich um ein „Gerichtsverfahren vor ehemaligen nationalsozialistischen deutschen Sondergerichten“ oder einen „mittelalterlichen Hexenprozess“ handele. Vielmehr zielte die gewählte Formulierung allein darauf ab, Missstände, die seiner Ansicht nach in der Verhandlungsführung bestanden, im Wege eines Vergleichs aufzuzeigen. Es handelt sich mithin um eine Meinung, der Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 1 Fall 1 GG ist eröffnet.
 
2. Eingriff
Durch die strafrechtliche Verurteilung auf Grundlage von § 185 StGB wird die Ausübung einer grundrechtlich geschützten Freiheit des Beschwerdeführers sanktioniert. Ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 1 Fall 1 GG liegt mithin ebenfalls vor.
 
3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
Möglicherweise könnte dieser Eingriff jedoch verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein. Das Grundrecht des Art. 5 Abs. 1 S. 1 Fall 1 GG wird nicht vorbehaltlos gewährleistet, sondern findet seine Schranken gem. Art. 5 Abs. 2 GG in den allgemeinen Gesetzen. Ein allgemeines Gesetz ist nach dem durch das BVerfG angewandten Kombinationsansatz nur ein Gesetz, das sich nicht gegen die grundrechtliche Betätigung als solche, d.h. insbesondere nicht inhaltlich gegen eine bestimmte Meinung richtet und dem Schutz eines schlechthin, ohne Rücksicht auf die Grundrechte des Art. 5 Abs. 1 GG schützenswerten Rechtsguts dient. Grundlage der strafrechtlichen Verurteilung ist § 185 StGB. Dieser stellt die Beleidigung unter Strafe und richtet sich damit nicht inhaltlich gegen eine bestimmte Meinung, sondern allgemein gegen beleidigende Äußerungen. Dies dient dem Ehrschutz des Betroffenen, der seinerseits durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG abgesichert ist und damit ein schlichtweg schützenswertes Rechtsgut darstellt. Es handelt sich mithin bei § 185 StGB um ein allgemeines Gesetz.
Erforderlich ist jedoch darüber hinaus, dass eine Gewichtung der Beeinträchtigung der Meinungsfreiheit des Äußernden und der persönlichen Ehre des durch die Äußerung Betroffenen vorgenommen wird. Dabei kommt der Meinungsfreiheit ein besonderes Gewicht zu, sofern es um Äußerungen geht, die Maßnahmen der öffentlichen Gewalt betreffen. Es gehört nämlich zum Kernbereich der Meinungsfreiheit, die öffentliche Gewalt ohne Furcht vor Sanktionen auch scharf kritisieren zu können. Insofern führt das Gericht aus:

„Die Meinungsfreiheit erlaubt es insbesondere nicht, den Beschwerdeführer auf das zur Kritik am Rechtsstaat Erforderliche zu beschränken und ihm damit ein Recht auf polemische Zuspitzung abzusprechen.“

Allerdings bilden insofern Formalbeleidigungen und Schmähkritik einen Sonderfall: Ist eine Äußerung einer der genannten Kategorien zuzuordnen, so ist ausnahmsweise keine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht erforderlich, vielmehr tritt die Meinungsfreiheit in einem solchen Fall stets zurück. Dies stellt indes eine sehr einschneidende Folge dar, sodass strenge Anforderungen an die Annahme von Formalbeleidigungen und Schmähkritik zu stellen sind. Schmähkritik ist nur bei einer Äußerung anzunehmen, die auf die bloße Herabsetzung und Diffamierung einer anderen Person gerichtet ist, ohne sich inhaltlich mit der Sache auseinanderzusetzen. Erforderlich ist daher insbesondere, dass Anlass und Kontext der Äußerung berücksichtigt werden. Die Äußerungen des Beschwerdeführers sind vor diesem Hintergrund nicht als Schmähkritik einzuordnen. Denn der Beschwerdeführer hat mit seinen Vergleichen nicht die Richterin persönlich diffamieren und herabwürdigen wollen. Vielmehr war allein ihre Verhandlungsführung Anlass für die getätigten Aussagen. Das BVerfG formuliert dazu:

„Die Äußerungen entbehren […] nicht eines sachlichen Bezugs. Sie lassen sich wegen der auf die Verhandlungsführung und nicht auf die Richterin als Person gerichteten Formulierungen nicht sinnerhaltend aus diesem Kontext lösen und erscheinen auch nicht als bloße Herabsetzung der Betroffenen. Die Äußerungen lassen nicht ohne weiteres den Schluss zu, der Beschwerdeführer habe der Richterin eine nationalsozialistische oder „mittelalterliche“ Gesinnung unterstellen wollen. Historische Vergleiche mit nationalsozialistischer Praxis begründen für sich besehen nicht die Annahme des Vorliegens von Schmähkritik.“

Insbesondere könne es nicht darauf ankommen, dass die Formulierungen für die Verteidigung der Rechtsansichten des Beschwerdeführers nicht erforderlich gewesen sei, da der Beschwerdeführer nicht darauf beschränkt sein dürfe, seine Meinung nur im Rahmen des Erforderlichen zu äußern. Damit handelt es sich bei der Äußerung des Beschwerdeführers nicht um Schmähkritik. Die Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers tritt nicht bereits aus diesem Grund hinter die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen zurück. Vielmehr bedarf es einer umfassenden Abwägung der widerstreitenden Interessen. Geht diese zugunsten des Beschwerdeführers aus, so ist der Eingriff verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt, es läge eine Verletzung von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG vor. Umgekehrt gilt: Der Eingriff wäre gerechtfertigt, wenn die Abwägung ein Überwiegen der Interessen der Betroffenen ergibt. In diesem Fall wäre der Beschwerdeführer nicht in seiner Meinungsfreiheit verletzt.
 
III. Ausblick 
Das Gericht hatte sich allein mit der Frage zu befassen, ob es sich bei den Äußerungen des Beschwerdeführers um Schmähkritik handelte und schon aus diesem Grund seine Meinungsfreiheit hinter den Persönlichkeitsrechten der Betroffenen zurücktreten muss. Die Klausurbearbeitung darf indes an dieser Stelle nicht stehen bleiben: Zwar bildet die Herausarbeitung der Voraussetzungen der Schmähkritik einen Schwerpunkt, der umfassend erörtert werden muss. Zwingend daran anschließen muss sich aber – sofern das Vorliegen von Schmähkritik zutreffend abgelehnt wurde – eine umfangreiche Abwägung der Meinungsfreiheit und der Persönlichkeitsrechte der Betroffenen. Die Entscheidung sollte daher Anlass geben, neben den Anforderungen an die Annahme von Schmähkritik auch die klassische Fallkonstellation der Kollision von Meinungsfreiheit und Allgemeinem Persönlichkeitsrecht zu wiederholen, da diese stets beliebter Stoff sowohl für Zwischenprüfungs- als auch für Examensklausuren ist.

21.08.2019/1 Kommentar/von Dr. Maike Flink
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Maike Flink https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Maike Flink2019-08-21 09:33:352019-08-21 09:33:35BVerfG: Konkretisierungen der Anforderungen an das Vorliegen von Schmähkritik
Tom Stiebert

BVerfG: Nicht alles, was schlecht ist, ist Schmähkritik

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Spätestens seit dem juristischen Proseminar Jan Böhmermanns (wir haben ausführlich darüber berichtet) ist nicht nur Juristen das Schlagwort „Schmähkritik“ ein Begriff. Eine solche kann sich bekanntlich nicht auf den grundrechtlichen Schutz der Presse- und Meinungsfreiheit berufen. Dies hat entscheidende Auswirkungen für die Strafbarkeit einer Äußerung.
Aus diesem Grund hatte sich das BVerfG in einem aktuellen Beschluss vom 8. Februar 2017 (veröffentlicht am 5. April 2017 – 1 BvR 2973/14) mit der Reichweite der Schmähkritik zu befassen.
1. Sachverhalt
Zugrunde lag folgender Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer war Versammlungsleiter einer ordnungsgemäß angemeldeten Demonstration aus dem rechten Spektrum in Köln. Die Demonstration stieß auf zahlreiche Gegendemonstranten. Unter diesen war auch ein Bundestagsabgeordneter der Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vor Ort, um die Durchführung des Aufzuges aktiv zu verhindern. Er bezeichnete die Teilnehmer der Demonstration mehrfach wörtlich und sinngemäß als „braune Truppe“ und „rechtsextreme Idioten“. Der Beschwerdeführer äußerte sich über den Bundestagsabgeordneten wörtlich wie folgt:
„Ich sehe hier einen aufgeregten grünen Bundestagsabgeordneten, der Kommandos gibt, der sich hier als Obergauleiter der SA-Horden, die er hier auffordert. Das sind die Kinder von Adolf Hitler. Das ist dieselbe Ideologie, die haben genauso angefangen.“
Das Amtsgericht verurteilte den Beschwerdeführer wegen Beleidigung in Form einer Schmähkritik zu einer Geldstrafe. Auf die Berufung des Beschwerdeführers verwarnte das Landgericht den Beschwerdeführer und behielt sich die Verurteilung zu einer Geldstrafe vor. Die Revision zum Oberlandesgericht blieb erfolglos. Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die gerichtlichen Entscheidungen und rügt im Wesentlichen die Verletzung seiner Meinungsfreiheit. Er berief sich insbesondere darauf, die Eingruppierung als Schmähkritik sei hier zu Unrecht erfolgt. Es handle sich um eine grundrechtlich geschützte Äußerung.
2. Wann beginnt Schmähkritik
Zunächst muss aber erst geklärt werden, wann grundsätzlich Schmähkritik vorliegt: Das BVerfG legt dazu dar (Beschluss v. 26.6.1990):

Eine herabsetzende Äußerung nimmt vielmehr erst dann den Charakter der Schmähung an, wenn in ihr nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Sie muß jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik in der Herabsetzung der Person bestehen.

Die Äußerung ist damit auszulegen und zu werten. Es ist zu prüfen, ob sie allein der Schmähung dient oder auch einen sachlichen Kern beinhaltet.
3. Wie ist das im konkreten Fall?
Hier ist man zunächst geneigt eine Strafbarkeit anzunehmen, scheint der Beschwerdeführer doch ob seiner wenig sachlichen Äußerung wenig schutzwürdig. Betrachtet man dies aber einmal juristisch genauer, stellt sich dies, wie auch das BVerfG bestätigt, abweichend dar: Das BVerfG prüft hier zurecht eine Verletzung der Meinungsfreiheit und zurecht nicht unmittelbar die Klassifizierung der Äußerung.

Das Bundesverfassungsgericht ist auf eine Nachprüfung begrenzt, ob die Fachgerichte die Grundrechte ausreichend beachtet haben (vgl. BVerfGE 93, 266 <296 f.>; 101, 361 <388>). Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit sind auch dann verkannt, wenn eine Äußerung unzutreffend als Tatsachenbehauptung, Formalbeleidigung oder Schmähkritik eingestuft wird.

Inhaltlich legt es dar:

Unter den Schutz der Meinungsfreiheit fallen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Werturteile und Tatsachenbehauptungen, wenn und soweit sie zur Bildung von Meinungen beitragen (vgl. BVerfGE 85, 1 <15>). Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit ist allerdings nicht vorbehaltlos gewährt. Es findet seine Schranken in den allgemeinen Gesetzen.

Es weist dabei explizit darauf hin, dass der Schutz recht weit reicht und erst bei der Schmähung endet:

Zu beachten ist hierbei indes, dass Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht nur sachlich-differenzierte Äußerungen schützt, sondern gerade Kritik auch pointiert, polemisch und überspitzt erfolgen darf; insoweit liegt die Grenze zulässiger Meinungsäußerungen nicht schon da, wo eine polemische Zuspitzung für die Äußerung sachlicher Kritik nicht erforderlich ist (vgl. BVerfGE 82, 272 <283 f.>; 85, 1 <16>). Einen Sonderfall bilden hingegen herabsetzende Äußerungen, die sich als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellen. Dann ist ausnahmsweise keine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht notwendig, weil die Meinungsfreiheit regelmäßig hinter dem Ehrenschutz zurücktreten wird (vgl. BVerfGE 82, 43 <51>; 90, 241 <248>; 93, 266 <294>).

Da somit der grundrechtliche Schutz entfällt, muss hier restriktiv vorgegangen werden:

Diese für die Meinungsfreiheit einschneidende Folge gebietet es aber, hinsichtlich des Vorliegens von Formalbeleidigungen und Schmähkritik strenge Maßstäbe anzuwenden (vgl. BVerfGE 93, 266 <294>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 29. Juni 2016 – 1 BvR 2646/15 -, juris). Wegen seines die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts ist der Begriff der Schmähkritik von Verfassungs wegen eng zu verstehen. Auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik macht eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Eine Äußerung nimmt diesen Charakter erst dann an, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern – jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik – die Diffamierung der Person im Vordergrund steht (vgl. BVerfGE 82, 272 <283 f.>; 85, 1 <16>; 93, 266 <294>).

Diese Maßstäbe hatten die Strafgerichte hier verkannt, indem sie die Äußerung als Schmähkritik ansahen, nicht aber ihren Kontext würdigten:

Die angegriffenen Entscheidungen verkennen, dass der Beschwerdeführer mit seiner Äußerung auch das Handeln des Geschädigten kommentierte, der sich maßgeblich an der Blockade der vom Beschwerdeführer als Versammlungsleiter angemeldeten Versammlung beteiligte und die Teilnehmenden auch seinerseits – wie die Gerichte als wahr unterstellt haben – als „braune Truppe“ und „rechtsextreme Idioten“ beschimpft hatte. Es ging dem Beschwerdeführer nicht ausschließlich um die persönliche Herabsetzung des Geschädigten. Bereits die unzutreffende Einordnung verkennt Bedeutung und Tragweite der durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Meinungsfreiheit.

Darauf hingewiesen wird dabei auch, dass die Äußerung als Reaktion auf eine vergleichbare Provokation erfolgte. Auch dies ist zu beachten (vgl. hierzu unseren Beitrag zu einer ähnlichen Thematik).
4. Was lernen wir daraus?
Lernen kann man aus diesem Fall zweierlei: Zum einen erkennen wir juristisch die Reichweite der Meinungsfreiheit, die immer wieder Bestandteil von Entscheidungen des BVerfG und damit fast notwendig auch von Examensklausuren ist.
Zum anderen macht der Beschluss aber auch deutlich, dass auch unangenehme Äußerungen im Sinne des toleranten Rechtsstaats hinzunehmen sind, sofern eine hohe Schwelle nicht überschritten ist. Man denke sich den Fall anders herum – hier hätte vielleicht intuitiv das Ergebnis anders ausgesehen. Bei Justitia, die nicht zu Unrecht blind ist, kann dies aber keine Rolle spielen. Die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut, sodass Meinungen von allen Seiten – schön oder unschön, appetitlich oder unappetitlich – hinzunehmen sind.

07.04.2017/0 Kommentare/von Tom Stiebert
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tom Stiebert https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tom Stiebert2017-04-07 09:35:252017-04-07 09:35:25BVerfG: Nicht alles, was schlecht ist, ist Schmähkritik
Lukas Knappe

BVerfG: „Durchgeknallte Staatsanwältin“ – Zur Einordnung einer Meinungsäußerung als Formalbeleidigung sowie Schmähkritik

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Das BVerfG hat in einem Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 29. Juni zur Reichweite der Meinungsfreiheit Stellung bezogen und die Anforderungen an die Einordnung einer Meinungsäußerung als Formalbeleidigung sowie Schmähkritik präzisiert (1 BvR 2646/15). Der Kammerbeschluss ist in der vergangenen Woche veröffentlicht wurden und bietet eine gute Möglichkeit, das Grundrecht der Meinungsfreiheit sowie dessen Grenzen zu wiederholen. Das BVerfG stellt in dem Beschluss insbesondere heraus, dass der Begriff der Schmähkritik angesichts der Wertigkeit der grundgesetzlich garantierten Meinungsfreiheit eng auszulegen sei und auch lediglich auf Ausnahmefälle beschränkt sei.

Sachverhalt

Die dem Kammerbeschluss zugrunde liegende Verfassungsbeschwerde richtete sich gegen die strafrechtliche Verurteilung eines Rechtsanwalts wegen Beleidigung gemäß § 185 StGB. Der Beschwerdeführer hatte in einem medial sehr präsenten strafrechtlichen Ermittlungsverfahren den ersten Vorsitzenden eines gemeinnützigen Vereins anwaltlich vertreten, der beschuldigt wurde, Spendengelder zu veruntreuen.  Im Rahmen einer nicht öffentlichen Sitzung erließ das zuständige Amtsgericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft einen Haftbefehl gegen den Beschuldigten. Da der Beschwerdeführer der Ansicht war, sein Mandant werde zu Unrecht verfolgt, griff der die Staatsanwältin im Laufe der Sitzung verbal an und verließ zugleich die Sitzung noch vor ihrer offiziellen Schließung. Am Abend desselben Tages führte er ein Telefongespräch mit einem Journalisten und bezeichnete im Laufe dieses Telefonats in seiner Wut die zuständige Staatsanwältin als

„dahergelaufene Staatsanwältin“, „durchgeknallte Staatsanwältin“, „widerwärtige, boshafte, dümmliche Staatsanwältin“, „geisteskranke Staatsanwältin“.

In dem mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Urteil verurteilte das Landgericht den nicht vorbestraften Beschwerdeführer wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 120 €. Die Äußerungen seien ehrverletzend gewesen. Durch sie wären der Staatsanwältin nicht nur in übertriebener Weise negative Eigenschaften und Verhaltensweisen zugeschrieben worden, sondern der Rechtsanwalt habe auch ihren personalen Geltungswert abgesprochen. Eine Rechtfertigung nach § 193 StGB komme nicht in Betracht. Die Äußerungen seien hinsichtlich Anlass, Kontext und Zweckrichtung nicht mehr in dem „Kampf um das Recht“ zu verorten, sondern vielmehr Ausdruck einer persönlichen Fehde gegen die Staatsanwältin. Dies ergebe sich insbesondere daraus, dass die Aussagen sich nicht auf konkrete Handlungen der Staatsanwältin beziehen würde, sondern diese insgesamt als Person in den Vordergrund stellen. Darüber hinaus habe der Beschwerdeführer auch gar keinen Anlass gehabt, sich gegenüber Journalisten über die Staatsanwältin in einer derartigen Form zu beschweren, da dieser ihn lediglich um objektive Informationen zu dem „Spendenskandal“ aus der Sicht des Mandanten des Beschwerdeführers gebeten habe. Dieses Urteil wurde schließlich revisionsrechtlich bestätigt.

Rechtliche Würdigung

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG fallen unter den unter den Schutz der in Art 5 Abs. 1 S. 1 GG grundrechtlich gewährleisteten Meinungsfreiheit nicht nur sachlich-differenzierte Äußerungen, sondern gerade auch pointiert, polemisch bzw. überspitzt vorgetragene Kritik. Die Meinungsfreiheit finde allerdings insbesondere ihre Grenze in herabsetzenden Äußerungen, die als Formalbeleidigungen oder Schmähungen zu qualifizieren sind. In einem derartigen Fall ist dann ausnahmsweise keine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht mehr erforderlich.

2. Für die gerichtliche Einordnung einer Meinungsäußerung als Formalbeleidigung bzw. Schmähkritik gelten nach der Rechtsprechung des BVerfG jedoch strenge Maßstäbe: Wegen seines die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts ist der Begriff der Schmähkritik eng zu verstehen und auf Ausnahmefälle beschränkt. Schmähkritik liegt nicht schon bei einer polemisch bzw. ausfällig vorgetragenen Kritik vor, sondern kann erst angenommen werden, wenn die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Es handelt sich also um Fälle, in denen die Person als solche herabgewürdigt wird, ihr also der personale bzw. soziale Geltungsanspruch abgesprochen wird. In diesem Zusammenhang ist jedoch zudem zu berücksichtigen, dass Schmähkritik bzw. Formalbeleidigungen bei einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage nur in absoluten Ausnahmefällen vorliegen.

3. Vor dem Hintergrund dieser verfassungsrechtlichen Maßgaben kommt das BVerfG zu dem Ergebnis, dass das Landgericht im konkreten Fall die Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit verkannt hat:

Zwar sind die in Rede stehenden Äußerungen ausfallend scharf und beeinträchtigen die Ehre der Betroffenen. Die angegriffenen Entscheidungen legen aber nicht in einer den besonderen Anforderungen für die Annahme einer Schmähung entsprechenden Weise dar, dass ihr ehrbeeinträchtigender Gehalt von vornherein außerhalb jedes in einer Sachauseinandersetzung wurzelnden Verwendungskontextes stand. Der Beschwerdeführer reagierte auf einen Anruf von einem mit dem Verfahrensstand vertrauten Journalisten, der ihn in seiner Eigenschaft als Strafverteidiger zu dem Ermittlungsverfahren gegen seinen Mandanten und dessen Inhaftierung befragte. In diesem Kontext ist es jedenfalls möglich, dass sich die inkriminierten Äußerungen auf das dienstliche Verhalten der Staatsanwältin vor allem mit Blick auf die Beantragung des Haftbefehls bezogen. Für die Annahme einer Schmähkritik reicht es unter diesen Umständen nicht, wenn das Landgericht nur darauf abstellt, dass die Äußerungen dabei nicht relativiert oder auf ganz bestimmte einzelne Handlungen der betreffenden Staatsanwältin Bezug nahmen. Es hätte insoweit in Auseinandersetzung mit der Situation näherer Darlegungen bedurft, dass sich die Äußerungen von dem Ermittlungsverfahren völlig gelöst hatten oder der Verfahrensbezug nur als mutwillig gesuchter Anlass oder Vorwand genutzt wurde, um die Staatsanwältin als solche zu diffamieren.

4. Die Gerichte hätten den Beschwerdeführer dementsprechend nicht wegen Beleidigung verurteilen dürfen, ohne eine Abwägung zwischen seiner Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht der Staatsanwältin vorzunehmen. Vor diesem Hintergrund sei nicht auszuschließen, dass die Gerichte im Zuge einer Abwägung zu einer anderen Entscheidung gekommen wären. Allerdings lässt das BVerfG noch eine Hintertür offen: So hebt es hervor, dass auch Rechtsanwälte grundsätzlich nicht dazu berechtigt seien, aus Verärgerung über Maßnahmen der Staatsanwaltschaft, eine Staatsanwältin bzw. einen Staatsanwalt diese gegenüber der Presse zu beschimpfen. Insoweit müsse sich im Rahmen der Abwägung grundsätzlich das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Betroffenen durchsetzen. Wie hier die Abwägung allerdings im konkreten Fall ausfälle, obliege jedoch der Würdigung der Fachgerichte.

 

12.08.2016/1 Kommentar/von Lukas Knappe
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Lukas Knappe https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Lukas Knappe2016-08-12 09:33:522016-08-12 09:33:52BVerfG: „Durchgeknallte Staatsanwältin“ – Zur Einordnung einer Meinungsäußerung als Formalbeleidigung sowie Schmähkritik
Lukas Knappe

LG Hamburg: Einstweilige Verfügung gegen Jan Böhmermann

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Das Landgericht Hamburg hat am gestrigen Tage auf Antrag des Präsidenten der Republik Türkei, Recep Tayyip Erdoğan, eine einstweilige Verfügung gegen den Fernsehmoderator Jan Böhmermann erlassen und diesem die Äußerung bestimmter Passagen seines in der Sendung „Neo Magazin Royale“ am 31. März vorgetragenen Gedichts mit dem Titel „Schmähkritik“ untersagt (Az. 324 O 255/16). Das Gericht erachtet große Teile des Gedichts für schmähend und ehrverletzend. Damit liegt eine erste zivilgerichtliche Entscheidung vor, die die zivilrechtliche Zulässigkeit der Weiterverbreitung der Aussagen durch den Fernsehmoderators zum Gegenstand hat, die gewissermaßen eine Staats- und Regierungskrise ausgelöst hatten. Es geht hier also um die Geltendmachung eines zivilrechten Unterlassungsanspruchs gegen den Fernsehmoderator im Rahmen eines Eilverfahrens gemäß § 935 ZPO. Im Folgenden sollen kurz die wichtigsten Aussagen aus der bislang verfügbaren Pressemitteilung, die auch eine genaue Übersicht über die zulässigen und unzulässigen Passagen enthält, dargestellt werden.

Maßstab der gerichtlichen Prüfung

Das Gericht misst die Äußerungen Böhmermanns an der Kunst- und Meinungsfreiheit und nimmt im Rahmen der einstweiligen Verfügung eine Abwägung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG iVm. Art. 1 Abs.1 GG) des Antragstellers vor. Dabei äußert sich das Gericht vor allem zum Wesen sowie zu den Besonderheiten von Satire, der Übertreibungen und Verzerrungen gerade immanent seien:

Der Entscheidung liegt eine Abwägung zwischen der Kunst- und Meinungsfreiheit einerseits und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Antragstellers zugrunde. Als Satire vermittle das angegriffene Gedicht ein Zerrbild von der Wirklichkeit, mit der sich der Antragsgegner mithilfe des Gedichts auseinandersetze. Bei dieser Kunstform, der Übertreibungen und Verzerrungen wesenseigen seien, müsse für die rechtliche Beurteilung zwischen dem Aussagegehalt und dem vom Verfasser gewählten satirischen Gewand, der Einkleidung, unterschieden werden. Zudem seien die konkrete Präsentation und der Zusammenhang zu berücksichtigen, in den das Gedicht gestellt worden sei. In Form von Satire geäußerte Kritik am Verhalten Dritter finde ihre Grenze, wo es sich um eine reine Schmähung oder eine Formalbeleidigung handele bzw. die Menschenwürde angetastet werde.

Anwendung im konkreten Fall

Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe erachtet das Gericht bestimmte Passagen des Gedichts für unzulässig und ordnet diese als schmähenden sowie eheverletzenden Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht ein. Trotz dessen, dass es sich beim Antragsteller um eine Person des politischen Lebens handle, die sich aufgrund ihres öffentlichen Wirkens auch harsche Kritik gefallen müsse, überschritten Teile des Gedichts das vom Antragsteller hinzunehmende Maß. Nach Auffassung des Gerichts werden in dem Gericht durch bestimmte Passagen nämlich rassistisch einzuordnende Vorurteile sowie sexuelle Bezüge aufgegriffen, die nicht mehr hinnehmbar seien.

Diese Grenze sei nach Auffassung der Kammer durch bestimmte Passagen des Gedichts überschritten worden, die schmähend und ehrverletzend seien. Zwar gelte für die Einkleidung eines satirischen Beitrages ein großzügiger Maßstab, dieser berechtige aber nicht zur völligen Missachtung der Rechte des Antragstellers. Durch das Aufgreifen rassistisch einzuordnender Vorurteile und einer religiösen Verunglimpfung sowie angesichts der sexuellen Bezüge des Gedichts überschritten die fraglichen Zeilen das vom Antragsteller hinzunehmende Maß.

Die übrigen Teile setzten sich dagegen in zulässiger Weise satirisch mit aktuellen Vorgängen in der Türkei auseinander. Der Antragsgegner trage als Staatsoberhaupt politische Verantwortung und müsse sich aufgrund seines öffentlichen Wirkens selbst harsche Kritik an seiner Politik gefallen lassen. Hinzunehmen sei auch, dass der Antragsgegner sich in satirischer Form über den Umgang des Antragstellers mit der Meinungsfreiheit lustig mache.

Überraschender Weise enthält die Pressemitteilung jedoch keine Aussagen zum Gesamtkontext des Gedichts. So hatte sich Böhmermann in der besagten Sendung mit der Reaktion des türkischen Präsidenten auf einen Beitrag des NDR-Satire-Magazins „extra 3“ satirisch auseinandergesetzt und dabei ein Gespräch mit Ralf Kabelka geführt, in dem es unter anderem um die hohe Wertigkeit der unter Art. 5 GG fallenden Kunst- und Meinungsfreiheit sowie die Abgrenzung zur Schmähkritik ging. Böhmermann erläuterte, dass unter den Begriff der Schmähkritik Fälle fielen, „wo man auch in Deutschland, in Mitteleuropa, Sachen macht, die nicht erlaubt sind„. Dies sei allerdings erst der Fall, wenn man eine Person herabwürdige. Sodann erklärte der Moderator: „Ist vielleicht ein bisschen kompliziert, vielleicht erklären wir es an einem praktischen Beispiel ganz kurz„. Sodann trug er das besagte Gericht vor. Unter Berücksichtigung dieses Gesamtkontexts könnte das Gedicht insoweit auch gewissermaßen ein praktischer Lehrbeitrag sein, um die Grenzen zwischen zulässiger Satire sowie unzulässiger Schmähkritik einem breiten Publikum ohne juristische Kenntnisse zu veranschaulichen ( zu diesem „quasi-edukatorischen Gesamtkontext“ auch Thiele, Erlaubte Schmähkritik?). Das Gericht geht darauf jedoch nicht ein. Insbesondere vor diesem Hintergrund ist beispielsweise gerade fraglich, ob und inwieweit sich der Fall Böhmermann, von der berühmten Strauß-Karikatur unterscheiden lässt, die den damaligen bayerischen Ministerpräsidenten als kopulierendes Schwein dargestellt hatte (1 BvR 313/85).

Zudem ist zweifelhaft, inwieweit sich einzelne Aussagen des Gedichts überhaupt isoliert betrachten lassen und damit aus dem Kontext des Gesamtgedichts herausgelöst werden können. Auch dazu enthält die Pressemitteilung keine Aussage.

Konsequenzen

Der Fernsehmoderator darf somit bestimmte Passagen seines Gedichts nicht mehr wiederholen. Die Entscheidung des Landgerichts Hamburg ist allerdings noch nicht rechtskräftig. Böhmermann kann daher gegen die Unterlassungsverfügung Widerspruch einlegen, über den dann mündlich zu verhandeln wäre. Der türkische Präsident hat hingegen die Möglichkeit, gegen die teilweise Zurückweisung seines Antrages sofortige Beschwerde einlegen, über die dann das Oberlandesgericht zu entscheiden hätte.

18.05.2016/6 Kommentare/von Lukas Knappe
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Lukas Knappe https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Lukas Knappe2016-05-18 14:20:122016-05-18 14:20:12LG Hamburg: Einstweilige Verfügung gegen Jan Böhmermann
Tom Stiebert

Jura und Jan Böhmermann: Von Schmähkritik zur Richtlinienkompetenz

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Aktuell wird man unweigerlich medial von der Diskussion über eine Strafbarkeit Jan Böhmermanns bzgl. seines Erdogan-Gedichts verfolgt. Mittlerweile hat dies auch zu diplomatischen Verwerfungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei geführt.
Juristisch ist der Fall recht spannend und für eine schwierige mündliche Prüfung geeignet, da er in einem unbekannten Terrain (§ 104 ff. StGB) spielt und bei der Argumentation juristisches Fingerspitzengefühl gefragt ist.
Dabei stellt sich zum einen die Frage, ob überhaupt eine Strafbarkeit gegeben ist, Stichwort Schmähkritik (entsprechend dem Titel des Gedichts) vs. Satire, und zum anderen unter welchen Voraussetzungen eine Verfolgung der – unterstellten – Straftat möglich ist.
Entscheidend ist der komplette Inhalt des Beitrags. Eine Darstellung findet sich hier.
I. Strafbarkeit nach § 103 StGB
1. Grundrechtlicher Schutz
Hierzu müsste eine Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes erfolgt sein. Der Begriff der Beleidigung ist hierbei so wie bei § 185 StGB auszulegen. Der Begriff des Staatsoberhauptes gleicht dem des § 102 StGB. Entscheidend ist damit, ob eine Repräsentation des Staates durch die Person vorliegt.
Ferner müsste aber eine Beleidigung vorgelegen haben. Dies erfordert die Kundgabe der Nicht- oder Missachtung. Zu beachten sind dabei sämtliche Umstände des Einzelfalles. Dabei wird offensichtlich, dass die Strafbarkeit der Beleidigung stets auch einen Eingriff in die grundsätzlich geschützte Meinungs- und Pressefreiheit bzw. Kunstfreiheit darstellt. Die Grenzen zwischen Meinungs- und Pressefreiheit bzw. Kunstfreiheit sind hier fließend, handelt es sich bei der Satire doch um eine Hybridform, die Aspekte aller drei geschützten Rechte enthält.
Grundsätzlich handelt es sich bei Satire um eine Meinungsäußerung (ausführlich hierzu NJW 1995, 809). Durch die freie Gestaltung der kritisierten Titel tritt aber (zumindest nach dem offenen Kunstbegriff) auch der künstlerische Aspekt hinzu. Kerninhalt der Satire ist das Arbeiten mit Übertreibungen oder Verfremdungen. Dieses Kriterium beinhaltet aber gleichwohl die Voraussetzung, dass eine inhaltliche Aussage damit verbunden sein muss, die durch die gewählte Darstellungsform nur verzerrt wird. Es ist damit zu ermitteln, welche Aussage mit dem Mittel der Satire dargestellt wird. Ist die Satire hingegen allein als Provokation anzusehen, dann ist sie nicht mehr von den genannten Grundrechten gedeckt, denn es wird keine Meinung mehr kundgetan, sodass der Schutzbereich nicht eröffnet wäre. Es handelt sich dann insofern nur um Scheinsatire. Ungeachtet dessen verbietet sich eine zu strenge Betrachtung. Vielmehr muss jede noch mögliche Deutung als wahrscheinlich angesehen werden, ansonsten würden die Grundrechte zu wenig beachtet.
Bejaht man also allein eine Provokation in Form der Schmähkritik, so greift bereits der grundrechtliche Schutz nicht. Dies dürfte hier aber abzulehnen sein. Aus einem einfachen Grund: Das Gedicht selbst – der Titel ist ja schon eindeutig – ist natürlich losgelöst vom Kontext als Schmähkritik anzusehen. Der Kontext und die Begleitumstände dürfen aber bei der Prüfung nicht außen vorgelassen werden. Der Beitrag wurde hier mit einer langen Vorrede, die gerade die Grenze von Schmähkritik und Satire anlässlich des extra3-Songs problematisierte – angekündigt. Bewusst sollte auf die – aus Sicht aller – übertriebene Reaktion des türkischen Präsidenten hingewiesen werden. Der Aussagegehalt der Äußerung kann daher jedenfalls lauten: Die Reaktion war übertrieben, es geht noch viel schlimmer. DAS hier wäre wirklich schlimm.
Ein solcher Aussagegehalt deckt sich auch mit dem Inhalt der Sendung, die eben genau die Vorkommnisse zu extra3 problematisierte. Damit ist jedenfalls eine Deutung als Satire denkbar. Der Finger wird hier bewusst in die Wunde gelegt und die – aus Sicht des Autors – übertriebene Reaktion Erdogans problematisiert. Der Schutz des Grundgesetzes greift daher.
Die Abwägung fällt hier zugunsten der Meinungs- und Pressefreiheit aus.
2. Ausnahme Schmähkritik
Eine Abwägung würde dort zu Lasten der Satire ausfallen, wenn diese als Schmähkritik anzusehen wäre, wenn also nicht die satirische Äußerung im Vordergrund stünde.
Eine Eingruppierung als Schmähkritik verbietet sich hier aber. Das BVerfG legt dazu dar (Beschluss v. 26.6.1990):

Eine herabsetzende Äußerung nimmt vielmehr erst dann den Charakter der Schmähung an, wenn in ihr nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Sie muß jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik in der Herabsetzung der Person bestehen

Dies ist hier – auch aufgrund des Kontextes – nicht gegeben. Es sollte sich bewusst und überspitzt und pointiert mit dem dargelegten Sachverhalt auseinandergesetzt werden. Die Äußerung beruht daher auf einem sachlichen Grund und ist zulässig.
 
II. Strafbarkeitsvoraussetzung des § 104a StGB
Besondere Beachtung verdient zudem der § 104a StGB. Bei juris findet sich zu dieser Norm eine einzige Fundstelle. Die Bedeutung ist daher offenkundig gering. Gerade aus diesem Grund eignet er sich für eine freie Argumentation in der mündlichen Prüfung, die auch öffentlich-rechtliche Erwägungen berücksichtigt.
Es muss ein „Strafverlangen der ausländischen Regierung“ vorliegen und „die Bundesregierung die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilt“ haben.
Gerade letztere Voraussetzung ist problematisch und führt zu politischen Verwerfungen, stellt sich doch die Frage, wie weit die Bundesregierung hier dem türkischen Präsidenten entgegenkommen darf und sollte.
1. Zuständigkeit
Fraglich ist zunächst, wer überhaupt für die Erteilung der Ermächtigung zuständig ist. Dies dürfte – so die Kommentarliteratur – aufgrund der Ressortzuständigkeit der Bundesminister des Auswärtigen sein (Art. 65 S. 2 GG). Fraglich ist aber, ob die Bundeskanzlerin bei Vorliegen eines Dissens aufgrund ihrer Richtlinienkompetenz (Art. 65 S. 1 GG) vorrangig entscheiden darf. Dies dürfte wohl zu verneinen sein. Die Richtlinienkompetenz ist bereits qua ihres Wortlauts auf das Innenverhältnis zum Minister beschränkt, sodass eine Weisung der Kanzlerin ergehen dürfte. Nach außen könnte der zuständige Minister aber weiterhin wirksam tätig werden, müsste aber natürlich die Entlassung aus dem Ministeramt als Konsequenz fürchten.
2. Abwägungsgründe
Fraglich ist zuletzt, welche Erwägungen bei der Erteilung der Ermächtigung anzustellen sind. Zunächst ergibt sich aus der Bindung an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG), dass die Ermächtigung dann nicht erteilt werden darf, wenn eine Strafbarkeit nach der Überzeugung des zuständigen Ministers sicher ausscheidet. Auch die mögliche Gefährdung der Beziehungen zur Türkei könne dann nicht beachtet werden.
Schwerer zu beantworten ist – mangels Literatur hierzu – die Frage, ob bei einer möglichen Strafbarkeit dennoch die Ermächtigung untersagt werden kann. Dies dürfte wohl im Einzelfall zulässig sein. Die Norm des § 104a StGB stellt auch auf den Schutz diplomatischer Beziehungen ab. Aus diesem Grund ist im Einzelfall zum Schutz eine Verweigerung möglich.
Primär dient der Vorbehalt der Ermächtigung aber dazu, die Einmischung ausländischer Staaten in das deutsche Strafrecht zu verhindern. Der deutsche Staat möchte stets das Letztentscheidungsrecht bzgl. seiner Rechtsordnung haben.
III. Fazit
Spannende juristische Fragen stellen sich zweifelsohne. Eine einfache Beantwortung ist – gerade ob der komplizierten Abwägung – nicht möglich. Dennoch sollte ein sorgfältiges Judiz nicht durch die mediale Keule ersetzt werden.

11.04.2016/15 Kommentare/von Tom Stiebert
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tom Stiebert https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tom Stiebert2016-04-11 15:55:052016-04-11 15:55:05Jura und Jan Böhmermann: Von Schmähkritik zur Richtlinienkompetenz
Dr. Christoph Werkmeister

BVerfG: Bezeichnung als „durchgeknallt“ ist keine Schmähkritik

Öffentliches Recht, Verfassungsrecht

BVerfG, Beschluss vom 12.05.2009 – 1 BvR 2272/04
Zum Sachverhalt
Michael Neumann – ein Mitherausgeber der Zeit – hatte sich in einer Talk-Show über die damals in den Medien viel beachtete Drogenaffäre des Moderators Michel Friedmann geäußert. In diesem Kontext bezeichnete er den damals ermittelnden Staatsanwalt als „durchgeknallt“. Wegen dieser Äußerung hatte ihn das Amtsgericht Tiergarten wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 9.000 Euro verurteilt.

Das Gericht hatte das Urteil damit begründet, dass hier eine sog. Schmähkritik vorliege. Eine solche Schmähkritik ist nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG generell unzulässig – eine Abwägung im Einzelfall im Sinne einer Verhältnismäßigkeitsprüfung braucht dann nicht mehr zu erfolgen.
Die Schmähkritik im Prüfungsschema
Eine solche Ausnahme ergibt sich dann entweder daraus, dass bereits der Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG verneint wird, da eine Schmähkritik nicht mehr erfasst sein soll. Alternativ kann aber auch bei der Rechtfertigung ein solcher Ausschluss angenommen werden. Wichtig ist im Gutachten nur, dass ihr das Problem aufwerft und diskutiert. Einen „absolut richtigen“ Standort im Prüfungsschema gibt es hierbei nicht, so dass vieles vertretbar ist.
Begriff der Schmähkritik ist eng zu definieren
Das BVerfG hat die Entscheidungen aufgehoben. Sie verletzten das Grundrecht des Beschwerdeführers auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG. Die Gerichte hätten die Bezeichnung als „durchgeknallt“ zu Unrecht als generell unzulässige Schmähkritik angesehen und deshalb die hier gebotene Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Geschädigten und der Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers nicht vorgenommen.
Weil der Begriff der Schmähkritik eine besonders gravierende Ehrverletzung bezeichne, bei der noch nicht einmal eine Abwägung mit der Meinungsfreiheit stattfinde, sondern die Meinungsfreiheit absolut verdrängt werde, sei dieser Begriff äußerst eng zu definieren.
Der Sachzusammenhang ist zu berücksichtigen
Es muss eine polemische und überspitzte Kritik – also die Diffamierung der Person – im Vordergrund stehen. Auch wenn dieser Äußerung als solcher ehrverletzender Gehalt zukommt, müsse bei Beurteilung der Zusammenhang berücksichtigt werden, in dem die Äußerung gefallen ist. Die umstrittene Äußerung ist hier im Zusammenhang mit einer Sachauseinandersetzung um die generelle Ausübung staatlicher Strafverfolgungsbefugnisse gefallen.
Die Bezeichnung als „durchgeknallt“ weist im Übrigen auch nicht einen derart schwerwiegenden diffamierenden Gehalt auf, dass der Ausdruck für sich genommen in jedem denkbaren Sachzusammenhang als bloße Herabsetzung des Betroffenen erscheint. Eine solche Betrachtung ist nur bei der Benutzung von besonders herabsetzender Fäkalsprache geboten (Beispiel: „Er war ein Arschloch“).
Examensrelevanz

In beinahe jedem Examenstermin ist eine der zwei Ö-Rechts-Klausuren eine Verfassungsbeschwerdeklausur. Wer hier die Schemata und Standardprobleme im Rahmen der Meinungsfreiheit nicht perfekt beherrscht, wird definitiv unterm Strich landen, da diese Probleme zum absoluten Standardwissen gehören. Hier zeichnet sich nicht derjenige aus, der viel auswendig gelernt hat, da die Entscheidung in jedem Einzelfall anderer Argumentation bedarf. Vielmehr ist eine sachgerechte Argumentation bei der Frage, ob Schmähkritik vorliegt und bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung wichtig. Dass der Rest tadellos beherrscht wird, wird einfach nur vorausgesetzt und darf angesichts des geringen Schwierigkeitsgrads auch erwartet werden.
27.06.2009/0 Kommentare/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2009-06-27 11:58:242009-06-27 11:58:24BVerfG: Bezeichnung als „durchgeknallt“ ist keine Schmähkritik

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