Die Stadt Essen geriet im Sommer diesen Jahres in den Fokus einer juristischen Auseinandersetzung, als sie einen bereits geschlossenen Mietvertrag mit der AfD für deren Bundesparteitag in der Essener Stadthalle kündigte. Die Stadt begründete ihre Entscheidung mit Bedenken über mögliche rechtliche Verstöße während der Veranstaltung. Die AfD ging daraufhin vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen im Eilverfahren gegen die Kündigung vor und konnte sich mit Verweis auf das Gleichbehandlungsgebot der Parteien durchsetzen. Den Gerichtsbeschluss vom 14.06.2024 – 15 L 888/24 stellt unser Gastautor Micha Mackenbrock vor. Er hat an der Universität Bonn Rechtswissenschaft studiert und das erste Staatsexamen abgeschlossen. Nun ist er Mitarbeiter in einer mittelständigen Anwaltskanzlei und widmet sich seinem Promotionsvorhaben im Bereich Arbeitsrecht.
I. Der Sachverhalt
Die Stadt Essen betreibt eine Stadthalle, die „Grugahalle“. Dort finden Messen, Konzerte, Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften und auch politische Veranstaltungen statt. Die Stadt betreibt die Stadthalle dabei nicht unmittelbar, sondern ist „nur“ Mehrheitsgesellschafterin der die Stadthalle vermietenden „Messe Essen GmbH“ (nachstehend nur GmbH genannt). An dieser hält die Stadt insgesamt 80% der Gesellschaftsanteile. Anfang 2023 hatte die GmbH einen Mietvertrag mit der AfD abgeschlossen. Die AfD wollte die Stadthalle für ihren Bundesparteitag am 29. und 30. Juni nutzen.
Doch in der Zeit zwischen dem Abschluss des Mietvertrags und dem geplanten Bundesparteitag wachsen bei der Stadt Essen Zweifel, ob der AfD tatsächlich die Stadthalle zur Verfügung gestellt werden soll. Schließlich beschloss der Stadtrat im Mai 2024, dass die GmbH den Mietvertrag kündigen soll, falls die AfD eine Bedingung nicht erfüllt: Die AfD soll eine strafbewehrte Selbstverpflichtungserklärung dahingehend abgeben, dass Teilnehmer des Parteitags keine strafbaren Handlungen vornehmen. Damit wollte die Stadt insbesondere verhindern, dass auf dem Parteitag verbotene SA-Parolen gerufen werden. Die AfD gab diese Erklärung nicht ab, woraufhin die GmbH den Mietvertrag kündigte.
Die AfD wandte sich gegen die Kündigung im Eilverfahren vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen. Die Stadt Essen sollte verpflichtet werden sicherzustellen, dass die AfD Zugang zur Stadthalle gewährt bekommt.
II. Die Entscheidung
Das Gericht entschied im Sinne der AfD. ihr ist der Zugang zur Stadthalle gewähren, ohne dass sie zuvor eine strafbewehrte Selbstverpflichtung abgeben muss.
1. Kein Zugangsanspruch nach § 8 Gemeindeordnung NRW
In Betracht kommt ein Anspruch aus § 8 II, IV Gemeindeordnung NRW. Die Stadthalle ist eine kommunale öffentliche Einrichtung im Sinne von § 8 I Gemeindeordnung NRW, denn sie ist ein Gegenstand, der den Einwohnern beziehungsweise einen in der Zweckbestimmung festgelegten Personenkreis durch die Gemeinde für bestimmte öffentliche Zwecke zugänglich gemacht wird. Dass die Stadthalle dabei „nur“ von der GmbH und nicht von der Stadt Essen unmittelbar betrieben wird, ist unbeachtlich: „Auch eine von einer juristischen Person des Privatrechts betriebene Einrichtung kann eine gemeindliche Einrichtung sein. Um eine solche Einrichtung handelt es sich jedenfalls dann, wenn sie tatsächlich zu den von der Gemeinde verfolgten öffentlichen Zwecken zur Verfügung steht und wenn die Gemeinde die öffentliche Zweckbindung der Einrichtung nötigenfalls gegenüber der privatrechtlichen Betriebsgesellschaft durchzusetzen imstande ist. In diesen Fällen wandelt sich der Benutzungsanspruch in einen Verschaffungs- beziehungsweise. Einwirkungsanspruch.“ (VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 14.06.2024 – 15 L 888/24). Demnach würde die Stadt Essen dazu verpflichtet werden, auf die von ihr beherrschte GmbH dergestalt einzuwirken, dass diese der AfD die Stadthalle zur Verfügung stellt (sog. Einwirkungsanspruch).
Der Anspruch nach § 8 II, IV Gemeindeordnung NRW scheitert aber daran, dass der AfD-Bundesverband, welcher Einlass in die Stadthalle begehrt, seinen Sitz in Berlin, und nicht im Gemeindegebiet der Stadt Essen hat.
2. Gleichbehandlungsanspruch der Parteien
Doch auch außerhalb des Anwendungsbereichs von § 8 Gemeindeordnung NRW kann die Gemeinde dazu verpflichtet sein, einer Partei die Stadthalle zur Verfügung zu stellen: Eine solche Pflicht kann sich aus dem Gleichbehandlungsanspruch der Parteien gemäß § 5 I 1 PartG i.V.m. Art. 3 I, III 1, Art. 21 GG ergeben. Die in Rede stehende GmbH hat die Stadthalle in der Vergangenheit regelmäßig an politische Parteien im Sinne von § 2 I PartG vermietet. § 5 I 1 PartG verpflichtet Träger öffentlicher Gewalt dazu, alle Parteien bei der Zurverfügungstellung von Einrichtungen und andere öffentlichen Leistungen gleich zu behandeln. Und auch aus Art. 3 I, III 1, Art. 21 GG ergibt sich für alle politischen Parteien ein Gleichbehandlungsanspruch. Das Recht auf Chancengleichheit einer Partei ist verletzt, „wenn ein Träger öffentlicher Gewalt die Nutzung einer öffentlichen Einrichtung einer Partei verweigert, obwohl er sie anderen Parteien einräumt oder eingeräumt hat“ (VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 14.06.2024 – 15 L 888/24). Demnach wird die Entscheidungsfreiheit einer Gemeinde, ob und wem sie Zugang zu ihren öffentlichen Einrichtungen gewährt, begrenzt.
Abweichungen von der bisherigen Vergabepraxis bedürfen zu ihrer Rechtfertigung eines sachlichen Grundes. Hier wurde in der Vergangenheit die Stadthalle an politische Parteien vermietet, ohne dass diese zuvor eine strafbewehrte Selbstverpflichtungserklärung abgeben mussten. Dem Grunde nach hat somit auch die AfD einen Anspruch dahingehend, dass ihr die Stadthalle bedingungslos vermietet wird.
3. Keine Rechtfertigung für Ungleichbehandlung der AfD
a) Strafbare Äußerungen
Die Stadt Essen begründet ihr Entscheidung damit, dass zu erwarten sei, die AfD könnte die Stadthalle für strafbare Handlungen, insbesondere verbotene SA-Parolen, missbrauchen. An eine derartige Gefahrenprognose seien aber hohe Anforderungen zu stellen, so das VG Gelsenkirchen. Eine Versagung des Zugangs zu einer öffentlichen Einrichtung greift in den Anspruch aus Art. 3 I, III 1, Art. 21 GG ein, sodass eine solche nur dann in Betracht kommt, wenn eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine Rechtsverletzung bestehe.
Die hier von der Stadt Essen vorgelegte Prognose genügt dieser Anforderung nicht. Zwar legt sie mündliche und schriftliche Äußerungen einzelner AfD-Mitglieder vor, welche sich in der Vergangenheit strafbar geäußert haben. Das alleine genüge aber nicht als Anhaltspunkt dafür, dass sich auf dem AfD-Bundesparteitag in der Stadthalle erneut entsprechend geäußert werden würde. Insbesondere habe die Stadt Essen vorab keine Kenntnis von dem Inhalt der für den Parteitag geplanten Reden und könne dahingehend nur Mutmaßungen anstellen.
b) Gegendemonstrationen
Auch die Befürchtung der Stadt, dass es wegen dem Parteitag zu (möglicherweise sogar gewalttätigen) Gegendemonstrationen kommen wird, rechtfertige nicht die Versagung der Zulassung zu einer öffentlichen Einrichtung. Es sei Aufgabe der Polizei- und Ordnungsbehörden, Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren und eingetretene Störungen zu beseitigen, so das VG Gelsenkirchen.
4. Ergebnis
Die AfD hat aus § 5 I 1 PartG i.V.m. Art. 3 I, III 1, Art. 21 GG einen Anspruch gegen die Stadt Essen dahingehend, dass die Stadt auf die von ihr beherrschte GmbH so einwirkt, dass diese der AfD die Stadthalle für ihren Bundesparteitag zur Verfügung stellt, ohne dass diese eine strafbewehrte Selbstverpflichtungserklärung abgeben muss.
III. Einordnung der Entscheidung
Die Entscheidung kam wenig überraschend. Selbst die von der Stadt Essen und der GmbH mit der Sache anvertrauten Rechtsanwaltskanzleien prognostizierten eine gerichtliche Niederlage. Zudem wehrte sich die Stadt Essen im Nachgang nicht gegen den Beschluss des VG Gelsenkirchen und legte keine Beschwerde vor dem Oberverwaltungsgericht NRW ein. Die Stadt Essen und mit ihr viele Menschen hätten sich wohl ein anderes Ergebnis gewünscht. Doch mit dem Beschluss des VG wurde einmal mehr die Gleichbehandlung aller Parteien gestärkt, welche nicht von dem Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig im Sinne von Art. 21 II GG eingestuft worden sind.