Wir freuen uns, euch heute den ersten Beitrag zu unserem Aufsatzwettbewerb veröffentlichen zu können. Aus aktuellem Anlass haben wir uns entschlossen, den Beitrag bereits vor dem Ende des Wettbewerbs zu veröffentlichen.
Der Beitrag wurde von Markus verfasst, der zur Zeit in Berlin Jura studiert.
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In den letzten Tagen überschlagen sich die Ereignisse um die sog. „Mailbox-Affäre“, in der dem Bundespräsidenten vorgeworfen wird, am 12. Dezember 2011 dem „Bild“ Chefredakteur Diekmann mit einem Strafantrag gedroht zu haben, insoweit dessen Zeitung über den umstrittenen Hauskauf-Kredit berichtet. Eine Veröffentlichung in der „Bild“ erfolgte tags darauf.
Einzelne Staatsanwaltschaften sind derzeit damit beschäftigt, einen Anfangsverdacht (§ 170 StPO) gegen Wulff im Hinblick auf eine mögliche Strafbarkeit wegen Nötigung zu prüfen (vgl. http://www.zeit.de/news/2012-01/03/bundespraesident-anzeige-gegen-wulff-anfangsverdacht-der-noetigung-03141206)
Wenn der Bundespräsident – wie zuletzt in seinem publikumswirksamen Interview vom vergangenen Mittwoch – mitteilt, dass er „weder jetzt im Amt als Bundespräsident gegen irgendein Gesetz noch vorher“ verstoßen hat, scheint es umso interessanter auf Grundlage der bisherigen Medienberichten, eine Strafbarkeit zu prüfen (A) und auch der Frage nachzugehen, ob strafprozessuale Besonderheiten (B) existieren, die eine Strafverfolgung erschweren.
A: Prüfung einer möglichen Strafbarkeit
I. §§ 240 I i.V.m. 240 IV S. 2 Nr. 3 StGB
Eine Strafbarkeit wegen einer vollendeten Nötigung in einem besonders scheren Fall könnte sich daraus ergeben, dass Wulff dem „Bild“Chefredakteur mit einer Strafanzeige bei Veröffentlichung von Details zu seinem Hauskauf und dem damit verbundenen Kredit drohte.
Unabhängig von der Frage ob die Drohung mit einer Strafanzeige als empfindliches Übel i.S.d. § 240 StGB anzusehen ist, scheitert eine Strafbarkeit eines vollendeten Delikts an der Tatsache, dass Diekmann einer von Wulff (offenbar) gewünschten Unterlassung bzw. Verzögerung einer Berichterstattung nicht entsprach, sondern vielmehr ein entsprechender Artikel veröffentlicht wurde.
II. §§ 240 I, III i.V.m. IV S. 2 Nr. 3, 22 StGB
Eine Strafbarkeit könnte sich indessen jedoch – aus dem oben geschilderten Verhalten des Bundespräsidenten – wegen einer versuchten Nötigung in einem besonders schweren Fall ergeben.
1. Tatbestandsmäßigkeit
Die Nötigung war nicht „erfolgreich“, ist somit nicht vollendet. Die versuchte Nötigung ist gemäß §§ 240 III, 12 II, 23 I Var. 2 StGB strafbar.
a) Tatentschluss
Fraglich ist, ob der Bundespräsident einen Tatentschluss im Hinblick auf die Verwirklichung einer Nötigung besaß.
Diesen kann man bezüglich der Gewaltvariante des § 240 I StGB nicht bejahen, da Wulff wohl nicht bezweckte, dass seine Äußerungen bei Diekmann einen „körperlichen Zwang“ entfalten sollten, wie etwa einen Zustand „seelischer Erregung“ (BGHSt 23, 126 (127).
Was die Drohung mit einem empfindlichen Übel anbelangt, stellt sich die Frage, ob Wulff mit der Drohung eine Strafanzeige (§ 158 I StPO) zu erstatten, ein solches Übel herbeiführen wollte.
Drohung ist das Inaussichtstellen eines künftigen Übels auf dessen Eintritt sich der Drohende Einfluss zuschreibt.
Vorliegend könnte man meinen, dass Wulff mit seiner Aussage eine bloße Warnung gegenüber Diekmann äußern wollte, die vom Tatbestand des § 240 StGB nicht erfasst wäre. Als Abgrenzungskriterium fungiert hierbei die Frage, ob sich der Täter Einfluss auf das angedrohte Übel zuschreibt (vgl. MüKo, § 240, Rn. 70ff.).
Bei dem Straftatbestand der Nötigung handelt es sich nicht um ein reines Antragsdelikt, dass ausschließlich auf Antrag des „Verletzten“ – wie z.B. der Hausfriedensbruch i.S.d. § 123 StGB – verfolgt wird. Demnach kann ein Ermittlungsverfahren nach §§ 160 I, 163 I StPO auch von Amts wegen durch die Strafverfolgungsbehörden eingeleitet werden, soweit nach kriminalistischer Erfahrung das Vorliegen einer Straftat möglich ist (§ 152 II StPO).
Vorliegend ist bereits fraglich, welche Straftatbestände die Journalisten durch die Recherche bzw. Veröffentlichung erfüllt haben sollen, so dass nicht angenommen werden kann, dass ein entsprechendes Ermittlungsverfahren von Amts wegen eingeleitet worden wäre (sog. Legalitätsprinzip).
Wulff konnte mit seiner Drohung mithin davon ausgehen, auf die strafrechtliche Verfolgung Einfluss nehmen zu können. Eine bloße Warnung ist somit zu verneinen.
Die Drohung mit einer Strafanzeige wird von der Rechtsprechung als Drohung mit einem empfindlichen Übel i.S.d. § 240 StGB angesehen (BGHSt 5, 254). Dem könnte man zwar entgegenhalten, dass es sich um eine bloße Unannehmlichkeit handelte, zumal die Strafanzeige wohl mangels hinreichenden Tatverdachts nicht zu einer Anklage geführt hätte (§ 170 II StPO). Dagegen spricht jedoch, dass bei einer solchen Annahme die Vorschrift des § 154 c StPO leer laufen würde, nach der von der Strafverfolgung abgesehen werden kann, wenn eine „Nötigung […] durch die Drohung begangen wurde, eine Straftat zu offenbaren“.
Da Wulff davon ausging Einfluss auf die Einleitung eines Strafverfahrens nehmen zu können und mit einer Strafanzeige drohte, ist anzunehmen, dass ein Tatentschluss bezüglich der Drohung mit einem empfindlichen Übel vorlag.
Auch der Nötigungserfolg des Unterlassens bzw. Verschiebens der Berichterstattung war vom „endgültigen Willen“ des Bundespräsidenten umfasst.
b) Unmittelbares Ansetzen
Indem Wulff bei Diekmann anrief und auf die Mailbox sprach, hat er subjektiv die Schwelle zum Jetzt-gehts-los überschritten und objektiv so zur tatbestandsmäßigen Handlung angesetzt, dass weitere Zwischenschritte zur Rechtsgutverletzung nicht mehr erforderlich waren.
2. Rechtswidrigkeit / Schuld
Eine Rechtfertigung der Tat könnte sich aus Notwehrgründen i.S.d. § 32 StGB ergeben. Hierbei fällt jedoch die Konstruktion eines gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriffs schwer. Selbst wenn man in der bevorstehenden Berichterstattung einen gegenwärtigen Angriff auf die Privatsphäre des Bundespräsidenten erblicken mag, ist die Annahme der Rechtswidrigkeit höchst zweifelhaft, zumal sich (bislang) nicht klären lässt, was sich die Journalisten zu Schulde haben kommen lassen.
Die Tat ist aus Notwehrgründen nicht gerechtfertigt.
Auch eine Rechtfertigung aufgrund eines Notstands i.S.d. § 34 StGB erscheint zumindest vor dem Hintergrund fraglich, dass es sich bei dem Bundespräsidenten um eine Person der Zeitgeschichte handelt. Eine Abwägung käme demnach zu dem Ergebnis, dass das Interesse an einer Veröffentlichung des Artikels gegenüber den Interessen des Bundespräsidenten vorrangig zu beachten wäre.
Was die Prüfung der Verwerflichkeitsklausel i.S.d. § 240 II StGB angeht, müsste eine verwerfliche Zweck-Mittel-Relation in dem Verhalten von Wulff erblickt werden.
Bereits das Mittel der Drohung mit einer – nach hier vertretener Auffassung – rechtswidrigen Strafanzeige, die für Wulff zugleich eine mögliche Strafbarkeit nach §§ 164, 145d StGB nach sich ziehen kann, ist als sittlich missbilligenswert anzusehen.
Auch der Zweck eine zulässige Berichterstattung durch die „Bild“ Zeitung zu unterbinden bzw. zu verschieben ist vor dem Hintergrund der sich aus Art. 5 I GG ergebenden Pressefreiheit, als verwerflich anzusehen.
Die erforderliche Zweck-Mittel-Relation i.S.d. § 240 II StGB kann demnach bejaht werden.
An der Schuld des Bundespräsidenten bestehen keine Zweifel.
4. Rücktritt
Ein Rücktritt von der versuchten Nötigung könnte er in der Aussage Wulffs gesehen werden, dass der Anruf bei dem Chefredakteur der ‚Bild‘-Zeitung ein schwerer Fehler war, der ihm leidtue und für den er sich entschuldige.
Dieses Verhalten war für einen Rücktritt jedoch bereits deshalb ungeeignet, da aus der Sicht des Bundespräsidenten eine Erfolgsherbeiführung aus tatsächlichen Gründen nicht bzw. nicht mehr möglich war (fehlgeschlagener Versuch).
5. Strafzumessungsgründe
Die Drohung des Bundespräsidenten könnte zudem als besonders schwerer Fall der Nötigung i.S.d. § 240 III S. 2 Nr. 3 StGB qualifiziert werden, insoweit er seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger missbraucht hat.
Der Bundespräsident ist ein Amtsträger i.S.d. § 11 I Nr. 2b (MüKo, § 11 StGB, Rn. 11 m.w.N.).
Die bisherigen medialen Ausführungen über den „Drohanruf“ lassen jedoch nicht erkennen, dass Wulff gesetzes- oder pflichtwidrig seine Befugnisse missbraucht hat (Var. 1) oder ihm nicht zustehende Befugnisse sich angemaßt und als Nötigungsmittel eingesetzt hat (Var. 2). Die „bloße“ Drohung als Amtsträger reicht für eine Bejahung des besonders schweren Falles jedoch nicht aus.
Ein besonders schwerer Fall i.S.d. § 240 III S. 2 Nr. 3 StGB wäre demnach zu verneinen. Für einen atypischen Fall i.S.d. § 240 III S. 1 StGB sind zudem keine Anhaltspunkte ersichtlich.
5. Ergebnis
Der Bundespräsident hat sich durch seinen Anruf bei der „Bild“-Zeitung wegen einer versuchten Nötigung nach §§ 240 I, III i.V.m. IV S. 2 Nr. 3, 22 StGB strafbar gemacht.
B: Prozessuales
Der Bundespräsident unterliegt nach Art. 60 IV i.V.m. Art. 46 II GG der strafrechtlichen Immunität, so dass bis zur Beendigung seiner Amtszeit eine strafrechtliche Verfolgung der versuchten Nötigung ausgeschlossen ist. Indessen ist jedoch eine Immunitätsaufhebung, infolge des ausdrücklichen Verweises in Art. 60 GG auf Art. 46 GG, durch den Bundestag möglich.
Würde eine solche nicht erteilt werden, steht einer Verjährung der Straftat nach § 78 II Nr. 5 StGB zumindest entgegen, dass bereits Strafanzeigen gestellt wurden, die die Verjährung ruhen lassen, § 78b II Nr. 2 StGB.
Ein Strafverfahren könnte demnach nach Ende der Amtszeit gegen den Bundespräsidenten fortgeführt werden.
C: Fazit
Eine Strafbarkeit des Bundespräsidenten wegen einer versuchten Nötigung kann bislang (auf Grundlage der medialen Berichterstattung) nicht ausgeschlossen werden.
Die Aussage von Wulff, sich keines Rechtsverstoßes strafbar gemacht zu haben, ist somit kaum haltbar.