• Suche
  • Lerntipps
    • Karteikarten
      • Strafrecht
      • Zivilrecht
      • Öffentliches Recht
    • Examensvorbereitung
    • Fallbearbeitung und Methodik
    • Für die ersten Semester
    • Mündliche Prüfung
  • Examensreport
    • 2. Staatsexamen
    • Baden-Württemberg
    • Bayern
    • Berlin
    • Brandenburg
    • Bremen
    • Hamburg
    • Hessen
    • Lösungsskizzen
    • Mecklenburg-Vorpommern
    • Niedersachsen
    • Nordrhein-Westfalen
    • Rheinland-Pfalz
    • Saarland
    • Sachsen
    • Sachsen-Anhalt
    • Schleswig-Holstein
    • Thüringen
    • Zusammenfassung Examensreport
  • Interviewreihe
    • Alle Interviews
  • Rechtsgebiete
    • Strafrecht
      • Klassiker des BGHSt und RGSt
      • StPO
      • Strafrecht AT
      • Strafrecht BT
    • Zivilrecht
      • AGB-Recht
      • Arbeitsrecht
      • Arztrecht
      • Bereicherungsrecht
      • BGB AT
      • BGH-Klassiker
      • Deliktsrecht
      • Erbrecht
      • Familienrecht
      • Gesellschaftsrecht
      • Handelsrecht
      • Insolvenzrecht
      • IPR
      • Kaufrecht
      • Kreditsicherung
      • Mietrecht
      • Reiserecht
      • Sachenrecht
      • Schuldrecht
      • Verbraucherschutzrecht
      • Werkvertragsrecht
      • ZPO
    • Öffentliches Recht
      • BVerfG Leitentscheidungen & Klassiker
      • Baurecht
      • Europarecht
      • Europarecht Klassiker
      • Kommunalrecht
      • Polizei- und Ordnungsrecht
      • Staatshaftung
      • Verfassungsrecht
      • Versammlungsrecht
      • Verwaltungsrecht
      • Völkerrrecht
  • Rechtsprechungsübersicht
    • Strafrecht
    • Zivilrecht
    • Öffentliches Recht
  • Juri§kripten
  • Click to open the search input field Click to open the search input field Suche
  • Menü Menü
Du bist hier: Startseite1 > 1. Examen

Schlagwortarchiv für: 1. Examen

Redaktion

Gedächtnisprotokoll Zivilrecht II Februar 2025 NRW

Examensreport, Kreditsicherung, Nordrhein-Westfalen, Rechtsgebiete, Sachenrecht, Startseite, Verschiedenes, Zivilrecht

Wir freuen uns sehr, ein Gedächtnisprotokoll zur zweiten Klausur im Zivilrecht des Februar-Durchgangs 2025 in Nordrhein-Westfalen veröffentlichen zu können und danken Laura erneut ganz herzlich für die Zusendung. Selbstverständlich kann juraexamen.info keine Gewähr dafür geben, dass die in Gedächtnisprotokollen wiedergegebene Aufgabenstellung auch der tatsächlichen entspricht. Dennoch sollen Euch die Protokolle als Anhaltspunkt dienen, was euch im Examen erwartet.

Sachverhalt:

V verkauft und vermietet Drucker und Kopierer. Der K betreibt eine Druckerei und hat schon häufiger bei V gemietet und auch gekauft. Anfang Dezember 2023 möchte der K ein hochwertiges C2-Kopiergerät (nachfolgend Kopierer) kaufen. Der Wert des Druckers beträgt 20.000 Euro. V und K einigen sich darauf, dass der K den Kopierer in 4 Raten a 5.000 Euro kaufen kann. Er soll den Kopierer auch sofort mitnehmen können, aber er soll erst nach voller Kaufpreiszahlung dem K gehören. Die Raten sind Ende Februar 24, Ende Mai 24, Ende August 24 und Ende November 24 fällig. 

Mitte Dezember 2023 kommt es in der Buchhaltung durch einen Fehler eines Angestellten der V zu einer falschen Eintragung des Vertrages des K und dieser wird als Mietvertrag bis Ende Dezember 2024 vermerkt. Im Januar 2024 veräußert die V dann, auf Grund dieses Fehlers, den Kopierer ein zweites Mal an die D zum Preis von 15.000 Euro (der Wert am Ende der vermeintlichen Mietdauer). Die beiden vereinbaren, dass D sofort Eigentümerin werden soll, den Drucker aber erst am Ende der vermeintlichen Mietdauer erhalten soll. Dazu tritt V ihr alle möglichen Forderungen ab.

Im Februar 2024 ist der K knapp bei Kasse und bittet seinen Freund F um ein Darlehen in Höhe von 15.000 Euro. Zur Sicherung seiner Forderung möchte der F gerne eine Sicherheit in Form des Kopierers haben. Die beiden einigen sich auf die Eigentumsübertragung, der Kopierer soll aber beim K verbleiben. Das zinslose Darlehen soll der K bis Ende November zurückzahlen. Dabei denkt der K fälschlicherweise, dass ihm der Kopierer bereits gehört.

Im November 2024 hat der K das Darlehen nicht zurückgezahlt, weswegen der F die Herausgabe des Kopierers verlangt. Dem K ist bei der Durchsicht seiner Unterlagen jetzt aufgefallen, dass ihm der Kopierer noch gar nicht gehört. Er hat bereits 3 volle Raten an V gezahlt, und für die letzte Rate konnte er lediglich 4.000 Euro aufbringen, welche er bereits überwiesen hat. 

Mitte Dezember überweist der F dann 1.000 Euro an die V und gibt als Verwendungszweck „Restschuld K“ an und schreibt zeitgleich eine Mail an V, in welcher er sie darüber informiert, dass er die restliche Zahlung veranlasst hat. Beides geht noch am selben Abend bei der V ein, so dass sie es auch spätestens am nächsten Tag auf einem Überweisungsträger einsehen kann. 

Vier Tage später kommt die D zu der V und verlangt jetzt nach Ende der Mietdauer die Herausgabe. Erst jetzt fällt V die Überweisung des F auf und somit auch die doppelte Veräußerung durch den Fehler des vermeintlichen Mietvertrages. Sie überweist das Geld an F zurück und schreibt zeitgleich eine Mail jeweils an F und K, in der sie klar macht, dass sie mit der Zahlung des F nicht einverstanden sei, da der K schuldet.

Im Januar 2025 taucht nun die D bei K auf, die von dem Fehler des vermeintlichen Mietvertrages und auch den Zahlungen von K an V nichts weiß und fordert von ihm die Herausgabe der vermeintlichen Mietsache. Der K ist so überrumpelt von der bestimmenden, aber freundlichen D, dass er ihr ohne das Missverständnis zu erklären den Kopierer mitgibt.

Der F möchte jetzt die Herausgabe von der D. Beide sind der Meinung ihnen stünde das Eigentum am Kopierer zu. 

Frage: kann der F die Herausgabe von D verlangen? 

Bearbeiterhinweis. § 812 und § 823 sind NICHT zu prüfen!

26.02.2025/0 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2025-02-26 11:45:452025-02-26 14:42:39Gedächtnisprotokoll Zivilrecht II Februar 2025 NRW
Gastautor

Die examensrelevanten Probleme des § 224 I Nr. 4 StGB

Aktuelles, Examensvorbereitung, Lerntipps, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?, Startseite, Strafrecht, Strafrecht, Strafrecht BT, Uncategorized, Verschiedenes

Wir freuen uns im Folgenden einen Gastbeitrag von Christina Ott veröffentlichen zu können. Die Autorin hat Rechtswissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität München studiert und im vergangenen September ihr erstes Staatsexamen abgeschlossen.

Im vergangenen Jahr haben sich gleich zwei der Strafsenate des BGH mit der Frage beschäftigt, ob die gemeinschaftliche Körperverletzung i.S.v. § 224 I Nr. 4 StGB auch durch Unterlassen verwirklicht werden kann (BGH, Urt. v. 17.5.2023 – 6 StR 275/22 und BGH, Beschl. v. 17.1.2023 – 2 StR 459/21) – und sind dabei zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen.

Diese aktuellen Entscheidungen sollen zum Anlass genommen werden, neben dieser Problematik auch die weiteren examensrelevanten Fragestellungen im Rahmen von § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB zu thematisieren.

A. Strafgrund des § 224 I Nr. 4 StGB

Vor der Behandlung der einzelnen Problemkonstellationen ist es hilfreich, sich vor Augen zu führen, worin der Strafgrund des § 224 I Nr. 4 StGB liegt. Letztlich ermöglicht diese Orientierung am Sinn und Zweck des § 224 I Nr. 4 StGB die argumentative Bewältigung der verschiedenen Fragestellungen in der Klausur mithilfe einer teleologischen Auslegung.

§ 224 I Nr. 4 StGB bestraft die gemeinschaftlich begangene Körperverletzung, also eine Körperverletzung bei der mindestens zwei Personen einverständlich als Angreifer am Tatort gefahrerhöhend zusammenwirken (vgl. Wessels/Hettinger/Engländer, Strafrecht BT I, 46. Aufl. 2022, Rn. 237).

Grund für die erhöhte Strafandrohung im Vergleich zu § 223 StGB ist, dass bei einem Zusammenwirken mehrerer Personen der Angriff für das Opfer typischerweise gefährlicher wird und die Möglichkeit des Opfers, sich zur Wehr zu setzen, eingeschränkt wird (vgl. MüKoStGB/Hardtung, 4. Aufl. 2021, § 224 Rn. 36). Daher ist stets zu ermitteln, ob im konkreten Fall durch das einverständliche Zusammenwirken der Personen eine gesteigerte Durchsetzungsmacht besteht, die das Opfer in seiner Verteidigung hemmt oder eine erhöhte Eskalation- und damit Verletzungsgefahr für das Opfer zur Folge hat.

B. Aktuelle Rechtsprechung: Möglichkeit der Verwirklichung des § 224 I Nr. 4 StGB durch Unterlassen?

Aktuell und daher besonders klausurrelevant ist die Frage, ob § 224 I Nr. 4 StGB auch durch Unterlassen verwirklicht werden kann.

I. Allgemeines zu unechten Unterlassungsdelikten

Dabei ist zunächst festzuhalten, dass grundsätzlich als Tathandlung des § 224 StGB auch an ein Unterlassen angeknüpft werden kann. Dies ermöglicht § 13 StGB, der prinzipiell jeden Tatbestand des Besonderen Teils in ein sog. unechtes Unterlassungsdelikt umwandeln kann.

Die relevante Tathandlung des Täters liegt dann nicht in einem aktiven Handeln, sondern in der Nichtvornahme der objektiv erforderlichen und rechtlich gebotenen Handlung trotz physisch realer Handlungsmöglichkeit (vgl. Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht Allgemeiner Teil, 53. Aufl. 2023, Rn. 1172). Zudem ist gem. § 13 StGB erforderlich, dass der Täter rechtlich dafür einzustehen hat, dass der Erfolg nicht eintritt – mithin muss eine Garantenstellung vorliegen. Darüber hinaus verlangt § 13 StGB, dass das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestands durch ein Tun entspricht. Letzteres meint die sog. Modalitätenäquivalenz, die gegeben ist, wenn der Unwertgehalt, der bei einem aktiven Handeln gegeben ist, auch im Unterlassensbereich vorliegt (vgl. BeckOK-StGB/Heuchemer, 59. Ed., § 13 Rn. 116).

Zu klären ist jedoch, ob diese Grundsätze auch für § 224 I Nr. 4 StGB gelten.

II. Der Sachverhalt der Entscheidung des Sechsten Strafsenats (leicht gekürzt und vereinfacht)

Der Zuhälter A „übernahm“ die Prostituierte O, die an einer paranoiden Schizophrenie erkrankt war, um durch Os Prostitutionsausübung nicht unerhebliche Einkünfte zu erwirtschaften. Dieses Vorhaben sowie den Gesundheitszustand der O teilte A seiner Lebensgefährtin B mit. A und B war zudem bekannt, dass O infolge ihrer Krankheit fachärztliche Hilfe benötigt hätte.

Os Gesundheitszustand führte dazu, dass sie nicht in der Lage war, sich im zwischenmenschlichen Kontakt situationsadäquat zu verhalten und daher auch bei Treffen mit Freiern unkontrollierte Gefühlsausbrüche wie Lachen oder Weinen zeigte.

Nachdem sie deswegen von einem Freier ohne Inanspruchnahme sexueller Dienste zurückgefahren wurde, befand sich O in dem Haus des A und seiner Lebensgefährtin B.

Dort sollte B auf die O, deren psychischer Zustand sich weiter verschlechtert hatte, „aufpassen“ und überließ ihr zur Beruhigung einen Joint.

Nachdem es anschließend zu einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen B und O kam, rief B ihren Lebensgefährten A zur Hilfe. Gemeinsam verbrachten sie die schreiende O in die Garage des Hauses. Zum Zwecke der Überwachung blieben A und B in der Nähe der O und befanden sich oft auch gemeinsam bei ihr in der Garage. Beide erkannten, dass O fachärztliche Hilfe benötigte, entschieden sich jedoch in der Hoffnung, die „Einnahmequelle“ erhalten zu können, in einer gemeinsamen Absprache dafür, die O selbst zu versorgen. Os Zustand verschlechterte sich jedoch rapide, was dazu führte, dass sie wiederholt laut aufschrie, sich einnässte, übergab und krampfte. Dennoch wurde keine Hilfe gerufen, obwohl die ärztliche Verabreichung von Medikamenten Os Zustand nach kurzer Zeit hätte lindern können. Stattdessen verabreichte A der O auf Vorschlag der B eine unbekannte Menge an Salz, die in Wasser aufgelöst wurde. Zudem wurde O mindestens einmal gewürgt und ihr wurde der Mund zugehalten. Schließlich verstarb O in der Garage, wobei nicht geklärt werden kann, ob das Würgen oder das verabreichte Salz todesursächlich waren.

III. Die Entscheidung (BGH, Urt. v. 17.5.2023 – 6 StR 275/22)

Der Sechste Strafsenat des BGH hatte zu entscheiden, ob § 224 I Nr. 4 StGB auch durch Unterlassen verwirklicht werden kann.  Wäre dies der Fall, hätten A und B, denen aufgrund ihres vorherigen pflichtwidrigen und gefährdenden Handelns eine Garantenstellung aus Ingerenz zukam, durch das unterlassene Rufen eines Arztes §§ 224 I Nr. 4, 13 I StGB verwirklicht.

1. Auffassung des 2. Strafsenats

Nach Auffassung des 2. Strafsenats in einem ähnlich gelagerten Fall (BGH, Beschl. v. 17.1.2023 – 2 StR 459/21) und weiten Teilen der Literatur (vgl. BeckOK-StGB/Eschelbach, 59. Ed., § 224 Rn. 39; MüKoStGB/Hardtung, 4. Aufl. 2021, § 224 Rn. 38; NK-StGB/Paeffgen/Böse/Eidam, 6. Aufl. 2023, § 224 Rn. 26; Schönke/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben, StGB, 30. Aufl. 2019, § 224 Rn. 11b) kann § 224 I Nr. 4 StGB nicht durch Unterlassen verwirklicht werden. Bei der bloßen Anwesenheit mehrerer Garanten, die gemeinsam passiv bleiben, entspreche das Unterlassen entgegen dem Wortlaut des § 13 I Hs. 2 StGB gerade nicht der Verwirklichung durch ein Tun, da der Strafgrund des § 224 I Nr. 4 StGB nicht in gleicher Weise betroffen sei.

Strafzweck des § 224 I Nr. 4 StGB ist die besondere Gefahr für das Opfer, die aus einer Übermachtsituation resultiert, welche das Opfer psychisch und physisch in seiner Abwehr- und Fluchtmöglichkeit beeinträchtigt. Zudem soll die erhöhte Gefahr der Verursachung erheblicherer Verletzungen aufgrund der Mitwirkung mehrerer Personen an der Körperverletzung bestraft werden.

Eine solche erhöhte Gefahr bestünde allerdings nur, wenn die Beteiligten aktiv zusammenwirken, die bloße Anwesenheit mehrere Personen, die gemeinsam passiv bleiben, sei demgegenüber nicht ausreichend. Im Übrigen sei in der Rechtsprechung anerkannt, dass es schon nicht ausreicht, wenn dem Opfer neben einem aktiv handelnden Täter eine weitere Person gegenübersteht, die rein passiv bleibt, sodass es erst recht nicht ausreichen könne, wenn bei einer allein durch Unterlassen begangenen Körperverletzung ein weiterer Garant untätig bleibt.

2. Auffassung des 6. Strafsenats

In dem zuvor geschilderten Fall des Sechsten Senats war dieser jedoch anderer Auffassung und entschied, dass § 224 I Nr. 4 StGB unter engen Voraussetzungen auch durch Unterlassen verwirklicht werden kann. Dies sei der Fall, wenn sich die zur Hilfeleistung verpflichteten Garanten ausdrücklich oder konkludent zum Untätigbleiben verabreden und mindestens zwei von ihnen zumindest zeitweise am Tatort anwesend sind. Dabei argumentierte der BGH wie folgt (BGH, Urt. v. 17.5.2023 – 6 StR 275/22, Rn. 42):

a) Wortlaut

Hierfür spreche, dass der Wortlaut des § 224 I Nr. 4 StGB keine Einschränkung dahingehend enthalte, dass § 13 StGB als Vorschrift des Allgemeinen Teils keine Anwendung finde.

b) Sinn und Zweck

Vielmehr resultiere aus dem Sinn und Zweck des § 224 I Nr. 4 StGB, dass auch eine Verwirklichung durch Unterlassen über § 13 StGB als tatbestandsmäßig erachtet werden könne.

Die Neufassung des § 224 StGB hatte als Ziel, dem Schutz der körperlichen Unversehrtheit größeres Gewicht zu verleihen (vgl. Neufassung durch das Sechste Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 26. Januar 1998, BGBl. I S. 164). Unter Berücksichtigung dieses erstrebten effektiven Rechtsgüterschutzes sei daher zu bedenken, dass auch bei einer Begehung durch Unterlassen im Einzelfall eine erhöhte Gefahr erheblicher Verletzungen oder die Gefahr der Einschränkung des Opfers in seiner Verteidigungsmöglichkeit gegeben sein kann.

Nicht ausreichend sei jedoch die bloß gleichzeitige Passivität mehrerer Garanten im Sinne einer reinen Nebentäterschaft. Vielmehr sei erforderlich, dass sich die zur Hilfeleistung verpflichteten Garanten ausdrücklich oder konkludent zum Nichtstun verabreden und mindestens zwei der Täter zumindest zeitweilig am Tatort sind.

In diesem Fall bestärke die gemeinsame Verabredung den Tatentschluss der einzelnen Garanten und führe dazu, dass als gefahrsteigernder, gruppendynamischer Effekt die Wahrscheinlichkeit verringert wird, dass einer der Garanten die an ihn gestellten Handlungspflichten erfüllt.

Demnach nahm der BGH in Einklang mit der Vorinstanz an, dass A und B sich gem. §§ 224 I Nr. 4, 13 I StGB strafbar gemacht haben als sie gemeinsam verabredeten, die erforderliche ärztliche Hilfe nicht zu rufen.

3. Streitentscheid

Demnach liegen hinsichtlich dieser Problematik zwei divergierende Auffassungen zwischen den BGH-Senaten vor. Dies wirft zunächst die Frage auf, wie es überhaupt möglich ist, dass hinsichtlich derselben Thematik konträre Auffassungen durch den BGH vertreten werden. Gem. § 132 III 1 GVG muss nämlich an sich ein Senat, der von der Rechtsauffassung eines anderen Senats abweichen will, diesem die Frage vorlegen und ermitteln, ob der Senat an seiner Rechtsauffassung festhalten will. Bejaht der angefragte Senat dies, ist die Rechtsfrage gem. § 132 II GVG dem Großen Senat für Strafsachen vorzulegen, um eine einheitliche Rechtsprechung sicherzustellen.

Eine solche Vorlage ist hier jedoch unterblieben. Aufgrund des geringen zeitlichen Abstands der Entscheidungen ist allerdings davon auszugehen, dass der Sechste Senat seine Vorlagepflicht nicht bewusst missachtet hat, sondern schlichtweg noch keine Kenntnis von der gegenteiligen Entscheidung des 2. Senats und der daraus resultierenden Vorlagepflicht hatte (Wagner ZJS, 6/2023, 1414, 1419).

Mangels einheitlicher Rechtsprechung ist diese Frage aber umso klausur- und examensrelevanter, sodass der Streitentscheid im Folgenden ausgeführt wird:

a) Linie des 2. Strafsenats

Auf der einen Seite zeigt die Gesamtschau des § 224 StGB, dass über diese Qualifikation nicht die Gefahr im Sinne einer größeren Begehungswahrscheinlichkeit, sondern die Gefahr einer intensiveren Körperverletzung sanktioniert werden soll (vgl. Kudlich, JA 2023, 694, 696). Exemplarisch kann hier auf § 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB verwiesen werden: Der Schlag mit einem Baseballschläger birgt die Gefahr einer intensiveren Körperverletzung als der Schlag mit der bloßen Faust. Bei mehreren untätig bleibenden Garanten droht dem Opfer aber gerade nicht die Gefahr einer schwerwiegenderen oder intensiveren Körperverletzung: „zweimal Null [bleibt] eben Null“ (BeckOK-StGB/Eschelbach, 59. Ed., § 224 Rn. 39; Krehl, Anm. zu BGH Urt. v. 17.5.2023 − 6 StR 275/22, NStZ 2023, 607, 610).

b) Linie des Sechsten Strafsenats

Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass es sich bei § 224 I Nr. 4 StGB um ein abstraktes Gefährdungsdelikt handelt (MüKoStGB/Hardtung, 4. Aufl. 2021, § 224 Rn. 36). Entscheidend ist daher, ob es auch bei einer gemeinsamen Verabredung zu einem Untätigbleiben zu einer erhöhten Gefahr für das Opfer kommt.

Hierfür spricht, dass die gemeinsame Verabredung es für den einzelnen Täter schwerer macht, über seinen eigenen Schatten zu springen und dem Opfer doch zu helfen. Dies verschlechtert die Rettungschancen des Opfers in einer Weise, die der Situation entspricht, in der sich das Opfer mehreren aktiv handelnden Tätern gegenübersieht, da es darauf angewiesen ist, dass einer der Garanten die Verabredung mit den anderen missachtet oder alle Garanten tätig werden (Lichtenthäler, FD Strafrecht 2023, 458302).

Zudem liegt der erhöhte Unwertgehalt des § 224 I Nr. 4 StGB neben der Steigerung der drohenden Verletzungsintensität auch in der Einschränkung oder Beseitigung der Verteidigungsmöglichkeit des Opfers (BeckOK-StGB/Eschelbach, 59. Ed., § 224 Rn. 37). Daher ist zu ermitteln, ob sich das Opfer einer Übermachtsituation ausgesetzt fühlt und deshalb in seinen Abwehrmöglichkeiten eingeschränkt ist (Schönke/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben, StGB, 30. Aufl. 2019, § 224 Rn. 11b). Eine solche Übermacht erfordert jedoch nicht zwingend das aktive Zusammenwirken mehrerer Beteiligter, sondern kann auch bei mehreren verabredetermaßen untätigen Garanten bestehen: bei dem Garanten handelt es sich nämlich gerade um einen Verteidigungsmechanismus, den die Rechtsordnung dem Opfer zur Hilfe stellt. Verabreden sich nun aber mehrere Garanten zum Nichtstun, wird für die einzelnen Garanten durch die Abrede eine psychologische Hemmschwelle geschaffen, die das Potenzial hat, den Garanten als Verteidigungsmittel auszuschalten (Wagner ZJS, 6/2023, 1414, 1423).

Darüber hinaus überzeugt das Argument des Zweiten Senats, dass, wenn schon die nur passiv tätige Person neben einem aktiv handelnden Täter § 224 I Nr. 4 StGB nicht erfüllen kann, dies erst recht nicht bei mehreren untätig bleibenden Personen der Fall sein kann, nicht. Der Erst-recht-Schluss scheitert daran, dass die beiden Konstellationen schlichtweg nicht miteinander vergleichbar sind, da es sich um eine andere Form von Unrecht handelt (Lichtenthäler, FD Strafrecht 2023, 458302).

Im Übrigen erscheint es nicht sachgerecht, die Frage nach der erhöhten Gefährlichkeit pauschal anhand der Beteiligungsform zu bestimmen. Entscheidend müssen vielmehr die Umstände des Einzelfalls sein.

c) Zwischenergebnis

Daher überzeugt es, mit dem Sechsten Strafsenat grundsätzlich die Möglichkeit der Verwirklichung von § 224 I Nr. 4 StGB durch Unterlassen anzuerkennen.

d) Nähere Konkretisierung

Dies führt jedoch zu der Folgefrage, unter welchen Voraussetzungen eine solche Verwirklichung durch Unterlassen angenommen werden kann.

Der Sechste Strafsenat verlangt, dass sich die zur Hilfeleistung verpflichteten Garanten ausdrücklich oder konkludent zum Untätigbleiben verabreden und mindestens zwei von ihnen zumindest zeitweise am Tatort anwesend sind.

Insoweit ist es überzeugend, dass der Sechste Senat sowohl eine ausdrückliche als auch eine konkludente Verabredung ausreichen lässt, da dies den Anforderungen entspricht, die an den Tatentschluss von Mittätern gestellt werden (dazu Schönke/Schröder/Heine/Weißer, StGB, 30. Aufl. 2019, § 25 Rn. 72). Es wäre nicht einleuchtend, an die Vereinbarung mehrere Garanten, den Erfolg gemeinsam nicht abzuwenden, strengere Voraussetzungen zu stellen (vgl. Wagner ZJS, 6/2023, 1414, 1424).

Fraglich ist jedoch, ob mit dem Sechsten Senat zwingend zu verlangen ist, dass mindestens zwei der Garanten zeitweilig am Tatort sein müssen. Dieses Erfordernis entspricht grundsätzlich der herrschenden Meinung bei mehreren aktiv handelnden Beteiligten, da nur dann die von § 224 I Nr. 4 StGB zu sanktionierende Übermachtsituation gegeben ist (s. nur Matt/Renzikowski/Engländer, StGB, 2. Aufl. 2020, § 224 Rn. 12 f.; Lackner/Kühl/Heger/Heger, StGB, 30. Aufl. 2023, § 224 Rn. 7; BGH, Urt. v. 22.12.2005 – 4 StR 347/05).

Allerdings überzeugt dies nicht in der Konstellation mehrerer untätig bleibender Garanten: Zwar kann nicht geleugnet werden, dass der gegenseitige psychische Druck aus der Verabredung noch größer ist, wenn auch die anderen Garanten anwesend sind und so eine gegenseitige „Kontrollmöglichkeit“ besteht. Jedoch soll auch sanktioniert werden, dass die gemeinsame Verabredung den einzelnen Garanten als potenzielle Verteidigungsmöglichkeit des Opfers „ausschaltet“. Diese Gefahr ist aber umso größer, wenn der andere Garant infolge der Verabredung gar nicht erst am Tatort anwesend ist und daher bereits rein theoretisch nicht seine Garantenpflicht erfüllen kann (Wagner ZJS, 6/2023, 1414, 1425).

4. Ergebnis

Daher kann festgehalten werden, dass für den Fall, dass sich mehrere Garanten ausdrücklich oder konkludent zum Nichtstun verabreden, § 224 I Nr. 4 StGB über § 13 I StGB durch Unterlassen verwirklicht werden kann.

IV. Behandlung in der Klausur

In der Klausur kann dieses Problem an verschiedenen Stellen thematisiert werden: Vertretbar erscheint zum einen eine Verortung unter dem Tatbestandsmerkmal „gemeinschaftlich“ bei der Frage, ob die Garanten tatsächlich „gemeinschaftlich“ unterlassen (Wagner ZJS, 6/2023, 1414, 1422). Ebenso kann das Problem im Rahmen der Entsprechungsklausel des § 13 I HS. 2 StGB thematisiert werden (so auch der Zweite Strafsenat).

Dadurch, dass sich hinsichtlich dieser Fragestellung nicht einmal die Richter am BGH einig sind, kann zudem inhaltlich jede der beiden Auffassungen in der Klausur argumentativ vertreten werden.

C. Anforderungen an die Art der Beteiligten

Neben dieser aktuellen Thematik existieren einige weitere Problemfelder im Rahmen von § 224 I Nr. 4 StGB, die im Folgenden thematisiert werden sollen.

Ein „Klausurklassiker“ ist dabei die Frage, welche Anforderungen an die Art der Beteiligung zu stellen sind.

I. Erfordernis einer Mittäterschaft

Einerseits könnte man verlangen, dass die Beteiligten Mittäter iSv § 25 II StGB sein müssen. Hierfür spricht zum einen Wortlaut des § 25 II StGB, der die Mittäterschaft als eine Situation definiert, in der mehrere die Straftat gemeinschaftlich begehen. Dies entspricht der Terminologie des § 224 I Nr. 4 StGB, der ebenfalls von der gemeinschaftlichen Begehung der Körperverletzung spricht.

Zum anderen kann als Argument für eine solche enge Auslegung das Erfordernis einer restriktiven Auslegung des § 224 StGB, der als Qualifikation einen Strafrahmen von bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe vorsieht, herangezogen werden.

II. Sowohl Mittäterschaft als auch Teilnahme

Andererseits könnte man neben der Mittäterschaft auch eine bloße Teilnahme (§§ 26, 27 StGB) für ausreichend erachten. Als Argument kann insoweit der Wortlaut des § 28 II StGB herangezogen werden, der den in § 224 I Nr. 4 StGB verwendeten Begriff der Beteiligten als Täter und Teilnehmer legaldefiniert.

III. Streitentscheid

Fraglich ist daher, welche der Ansichten vorzugswürdig ist.

In der Literatur lässt die Mehrheit sowohl Mittäterschaft als auch Teilnahme ausreichen, wobei sie sich überwiegend auf den zuvor erwähnten Wortlaut des § 28 II StGB stützt (Matt/Renzikowski/Engländer, StGB, 2. Aufl. 2020, § 224 Rn. 13, Schönke/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben, StGB, 30. Aufl. 2019, § 224 Rn. 11a, jeweils m.w.N.).

Dadurch, dass der Wortlaut aber mit Blick auf § 25 II StGB letztlich widersprüchlich ist, kann dies nicht als entscheidendes Argument überzeugen.

Vielmehr müssen Sinn und Zweck des § 224 I Nr. 4 StGB herangezogen werden: Für die Auffassung, die sowohl Mittäterschaft als auch Teilnahme ausreichen lässt, spricht, dass die Steigerung der Gefahr erheblicher Verletzungen sowie die Gefahr der Einschränkung der Verteidigungsmöglichkeit und -bereitschaft des Opfers unabhängig von der Form der Beteiligung bestehen.

Allerdings ist zu fordern, dass neben dem handelnden Täter ein weiterer Beteiligter aktiv am Tatort mitwirkt, da nur dann eine solche Übermachtsituation vorliegt wie sie § 224 I Nr. 4 StGB sanktioniert soll (vgl. BeckOK-StGB/Eschelbach, 59. Ed., § 224 Rn. 37). Nicht ausreichen kann daher die Anstiftung, welche die Tat erst bewirkt, da diese im Vorfeld der Tatausführung liegt und gerade keine Übermachtsituation gegenüber dem Opfer herbeiführt (so i.Erg. Schönke/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben, StGB, 30. Aufl. 2019, § 224 Rn. 11b).

IV. Ergebnis

Demnach ist keine Beschränkung des § 224 I Nr. 4 StGB auf eine mittäterschaftliche Begehung vorzunehmen. Diese Auslegung steht im Einklang mit der Rechtsprechung des BGH (z.B. BGH, Urt. v. 3.9.2002 – 5 StR 210/02) und erscheint daher auch in der Klausur vorzugswürdig.

D. Rein psychischer Beitrag ausreichend?

Eine weitere klausurrelevante Fragestellung im Rahmen des § 224 I Nr. 4 StGB ist, ob auch ein rein psychischer Beitrag ausreicht, um eine gemeinschaftliche Begehung der Körperverletzung anzunehmen.

Unstreitig erfasst ist die physische Unterstützung des Täters durch einen Gehilfen beispielsweise durch Festhalten des Opfers oder Verhinderung der Flucht (Schönke/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben, StGB, 30. Aufl. 2019, § 224 Rn. 11b), da durch diese das Opfer in seiner Gegenwehr gehemmt wird. Ob und unter welchen Voraussetzungen auch eine psychische Beihilfe ausreichen kann, ist demgegenüber umstritten.

I. Psychische Beihilfe nicht ausreichend

Einerseits könnte man darauf abstellen, dass für eine gemeinschaftliche Begehung iSv § 224 I Nr. 4 StGB ein gemeinsamer Willensentschluss hinsichtlich der Vornahme des Beteiligtenbeitrags und ein Opfer-gerichtetes Zusammenwirken zu fordern sei. Demnach würde die psychische Beihilfe durch Anfeuern nicht ausreichen, da in der bloßen Entgegennahme von Applaus kein gemeinsamer Willensentschluss liege (Jäger, JuS 2000, 31, 36).

II. Psychische Beihilfe kann ausreichen

Demgegenüber nimmt die Rechtsprechung an, dass auch eine psychische Beihilfe für die Bejahung einer gemeinschaftlichen Körperverletzung iSv § 224 I Nr. 4 StGB genügen kann (vgl. BGH, Urt. v. 22.12.2005 – 4 StR 347/05, NStZ 2006, 572; Urt. v. 3.9.2002 – 5 StR 210/02). Entscheidend sei allein, dass durch den am Tatort anwesenden Gehilfen die Wirkungen der Körperverletzung des Täters in einer Weise verstärkt werden, die geeignet ist, die Lage des Opfers zu verschlechtern (vgl. BGH, Beschl. v. 17.7.2012 – 3 StR 158/12).

III. Streitentscheid

Der ersten Ansicht ist insoweit zuzustimmen, als eine psychische Beihilfe, die den Täter durch Bestärken des Tatentschlusses oder Anfeuern lediglich motivierend unterstützt, nicht ausreichen kann, da in diesem Fall das Opfer nicht in seiner Gegenwehr gehemmt wird und es an der spezifischen Gefährlichkeit des § 224 I Nr. 4 StGB fehlt (Schönke/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben, StGB, 30. Aufl. 2019, § 224 Rn. 11b).

Allerdings überzeugt es nicht, die psychische Beihilfe per se auszuschließen, da auch bei dieser im Einzelfall der Schutzzweck des § 224 I Nr. 4 StGB tangiert sein kann.

Dies ist der Fall, wenn das Opfer mit einem Einschreiten des Gehilfen rechnet und aus diesem Grund in seiner Gegenwehr gehemmt werden kann. Dies kann zum einen angenommen werden, wenn der anfeuernde Gehilfe tatsächlich dazu bereit ist einzuschreiten und das Opfer dies erkennt, zum anderen aber auch dann, wenn der Gehilfe zwar objektiv nicht einschreiten will, dem Opfer allerdings seine Unterstützungsbereitschaft gegenüber dem Haupttäter suggeriert (BGH Urt. v. 3.9.2002 – 5 StR 210/02; MüKoStGB/Hardtung, 4. Aufl. 2021, § 224 Rn. 37).

IV. Ergebnis

Demnach erscheint es vorzugswürdig, auch eine psychische Beihilfe für die Bejahung von § 224 I Nr. 4 StGB ausreichen zu lassen, wenn diese im Einzelfall dazu führt, dass das Opfer in seiner Verteidigungsbereitschaft gehemmt werden kann.

E. Wahrnehmung der Beteiligten durch das Opfer

Ebenfalls relevant ist die Frage, ob für das Vorliegen einer gemeinschaftlich begangenen Körperverletzung i.S.v. § 224 I Nr. 4 StGB zu fordern ist, dass das Opfer die mehreren Beteiligten wahrnehmen muss.

I. Erfordernis der Wahrnehmung

Hierfür könnte sprechen, dass das Opfer ansonsten nicht in seiner Gegenwehr und Verteidigungsbereitschaft gehemmt ist (vgl. Lackner/Kühl/Heger/Heger, StGB, 30. Aufl. 2023, § 224 Rn. 7). Stellt man entscheidend auf diesen Strafzweck des § 224 I Nr. 4 StGB ab, wäre bei einer fehlenden Wahrnehmung der mehreren Beteiligten durch das Opfer § 224 I Nr. 4 StGB abzulehnen.

II. Wahrnehmung durch das Opfer unerheblich

Allerdings ist zu berücksichtigen, dass § 224 I Nr. 4 StGB auch die erhöhte abstrakte Gefahr erheblicherer Verletzungen für das Opfer bestrafen will. Diese Gefahr besteht jedoch unabhängig davon, ob das Opfer die Mitwirkung der anderen Person wahrnimmt. Entscheidend ist allein die Schaffung einer Übermachtsituation, welche objektiv zu beurteilen ist (MüKoStGB/Hardtung, 4. Aufl. 2021, § 224 Rn. 36: Es kommt auf die abstrakte Gefährdung an.). Dieser Auffassung schließt sich auch der BGH an, indem er darauf verweist, dass für die Beurteilung der erhöhten Gefährlichkeit der Körperverletzung nur die konkrete Tatsituation, nicht die Kenntnis durch das Opfer entscheidend sei (BGH, Urt. v. 22.12.2005 – 4 StR 347/05, NStZ 2006, 572 Rn. 7).

Demnach erscheint es auch in einer Klausur vorzugswürdig, § 224 I Nr. 4 StGB zu bejahen, auch wenn das Opfer die mehreren Beteiligten nicht wahrnimmt.

F. Fazit

Die thematisierten Problemkonstellationen zeigen, dass letztlich alle Fragestellungen im Rahmen von § 224 I Nr. 4 StGB anhand des Schutzzwecks der Norm mithilfe einer teleologischen Auslegung beantwortet werden können. Auch in unbekannten Konstellationen ist daher stets danach zu fragen, ob das einverständliche Zusammenwirken der Personen zu einer gesteigerten Gefährlichkeit für das Opfer führt, da ihm eine intensivere Körperverletzung droht oder es in seiner Verteidigungsbereitschaft gehemmt oder eingeschränkt werden kann.

20.02.2024/6 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2024-02-20 09:00:002024-03-06 16:01:16Die examensrelevanten Probleme des § 224 I Nr. 4 StGB
Alexandra Ritter

Die verschiedenen gerichtlichen Verfahren vor dem EuG und dem EuGH – Teil 1

Europarecht, Europarecht Klassiker, Examensvorbereitung, Lerntipps, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Startseite, Uncategorized, Verschiedenes

Der folgende Beitrag beschäftigt sich mit den Klagen vor den europäischen Gerichten in der Form, wie sie im ersten Examen oder in Vorlesungen zum Europarecht geprüft werden können. Das Europarecht ist in Ausbildung und Praxis nicht mehr wegzudenken. Dennoch wird häufig berichtet, dass gerade in der Examensvorbereitung im Rahmen von Repetitorien diesem Rechtsgebiet verhältnismäßig wenig Zeit und Mühe zugewendet wird. Nicht selten sind Examenskandidat:innen daher enttäuscht, wenn doch eine Klausur aus dem Europarecht gestellt wird und wenn diese dann noch eine prozessuale Einkleidung verlangt, geraten einige in Verzweiflung. Dieser Beitrag soll daher einen Überblick über die Verfahren vor den europäischen Gerichten bieten, in Gestalt von erläuterten Prüfungsschemata für die Zulässigkeitsprüfung und einem Einstieg in die Begründetheitsprüfung. Denn gerade wegen der soeben geschilderten Lage, kann man sich mit einer guten Klausur im Europarecht von den übrigen Kandidat:innen abheben und überdurchschnittliche Noten erreichen.

Besonders hilfreich bei Zusammenstellung der folgenden Darstellungen waren der Beitrag „Europarecht im Examen – Rechtsschutz vor den europäischen Gerichten“ von Professor Dr. Matthias Ruffert gemeinsam mit den wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen Grischek und Schramm in der JuS 2022, 814, sowie die Prüfungsschemata von Professor Dr. Matthias Pechstein, der diese frei zugänglich hier auf der Internetseite seines Lehrstuhls an der Europauniversität Viadrina Frankfurt (Oder) zur Verfügung stellt.

Dies ist der erste von zwei Teilen. In Teil 1 werden die Nichtigkeitsklage und das Vertragsverletzungsverfahren dargestellt. In Teil 2 folgen das Vorabentscheidungsverfahren und die Schadensersatzklage (Unionsrechtlicher Amtshaftungsanspruch).

A)           Nichtigkeitsklage, Art. 263 AEUV

Die Nichtigkeitsklage dient der Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Rechtssetzungsakten auf Unionsebene, von Handlungen des Rates, der Kommission und der Europäischen Zentralbank und von Handlungen der Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union mit Wirkung gegenüber Dritten, Art. 263 Abs. 1 AEUV. Sie ähnelt daher der abstrakten Normenkontrolle vor dem BVerfG, während das Vorabentscheidungsverfahren gewisse Ähnlichkeiten zur konkreten Normenkontrolle vor dem BVerfG aufweist.

I.              Zulässigkeit

Bei prozessualer Einkleidung teilt sich die Prüfung schlicht in die bekannten Teile „Zulässigkeit“ und „Begründetheit“ auf. Die Nichtigkeitsklage ist zulässig, wenn die folgenden Voraussetzungen vorliegen.

1.             Zuständigkeit

Die Zuständigkeit für Verfahren vor den europäischen Gerichten richtet sich nach den Art. 256 ff. AEUV. Im Falle der Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV ist gem. Art. 256 Abs. 1 UAbs. 1 S. 1 AEUV grundsätzlich das Gericht (EuG) zuständig. Abweichendes kann sich jedoch aus der Satzung des EuGH (EuGH-Satzung) oder durch die Übertragung an Fachgerichte nach Art. 257 AEUV ergeben.

Nach Art. 51 EuGH-Satzung ist der EuGH zuständig für Nichtigkeitsklagen von Mitgliedstaaten oder Unionsorganen. Das EuG bleibt zuständig für Nichtigkeitsklagen von natürlichen und juristischen Personen (und bestimmte Klagen der Mitgliedstaaten).

2.             Parteifähigkeit

Die aktive Parteifähigkeit kommt den in Art. 263 Abs. 2 bis 4 AEUV Genannten zu: das Europäische Parlament, der Rat oder die Kommission (Abs. 2); der Rechnungshof, die Europäischen Zentralbank und der Ausschuss der Regionen (Abs. 3); natürliche und juristische Personen (Abs. 4).

Die passive Parteifähigkeit kommt den in Art. 263 Abs. 1 S. 1 AEUV Genannten zu: der Rat, die Kommission, das Europäische Parlament, die Europäische Zentralbank, der Europäische Rat, die Einrichtungen und sonstige Stellen der Union.

1.             Klagegegenstand

Ob ein tauglicher Klagegegenstand vorliegt, richtet sich danach, ob es sich um eine Organklage oder Klage eines Mitgliedstaates (Art. 263 Abs. 2 und 3 AEUV) handelt oder um eine Individualklage (Art 263 Abs. 4 AEUV). In jedem Fall muss es sich um Handlungen mit Rechtswirkung handeln. Keine tauglichen Klagegenstände sind daher bloße Empfehlungen, Stellungnahmen oder interne Handlungen.

a)             Organklage oder Klage eines Mitgliedstaates

Bei der Organklage oder Klage eines Mitgliedstaates können

  • Verordnungen,
  •  Richtlinien,
  • Beschlüsse und
  • alle anderen Handlungen der Unionsorgane, soweit sie dazu bestimmt sind, Rechtswirkungen nach außen zu erzeugen,

tauglicher Klagegegenstand sein.

b)            Individualklagen

Bei Individualklagen sind

  • an den Kläger gerichtete Handlungen (Beschluss i. S. v. Art. 288 Abs. 4 S. 2 AEUV),
  • Rechtsakte mit Verordnungscharakter, (= Normativakte, die keine Gesetzgebungsakte sind), die keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen und
  • Sonstige Handlungen (mit Rechtswirkung nach außen)

taugliche Klagegenstände.

2.             Richtiger Beklagter

Richtiger Beklagter der Nichtigkeitsklage ist das Unionsorgan, das den streitgegenständlichen Rechtsakt erlassen hat.

3.             Klageberechtigung

a)             Privilegierte Klageberechtigte

In Art. 263 Abs. 2 AEUV werden die sog. „privilegiert Klageberechtigten“ genannt. Sie sind ohne Weiteres klageberechtigt. Dazu gehören:

  • Die Mitgliedstaaten
  • Das Europäische Parlament
  • Der Rat
  • Die Kommission

b)            Teilprivilegierte Klageberechtigte

Art. 263 Abs. 3 benennt die sog. „teilprivilegierten Klageberechtigten“. Sie sind klageberechtigt, wenn die Nichtigkeitsklage dazu dient, die eigenen organschaftlichen Rechte und Befugnisse zu schützen. Dazu gehören:

  • Der Rechnungshof
  • Die Europäische Zentralbank
  • Der Ausschuss der Regionen

c)             Natürliche und juristische Personen

Auch natürliche und juristische Personen können klageberechtigt sein. Hierbei ist gem. Art. 263 Abs. 4 AEUV zu differenzieren:

Art. 263 Abs. 4 Var. 1 AEUV: Ist die natürliche oder juristische Person Adressat einer angefochtenen Handlung, ist sie uneingeschränkt klageberechtigt.

Art. 263 Abs. 4 Var. 2 AEUV: Ist die natürliche oder juristische Person unmittelbar und individuell durch den angegriffenen Rechtsakt betroffen, müssen folgende Voraussetzungen vorliegen:

Betroffenheit: Ein tatsächliches Interesse des Klägers ist beeinträchtigt.

Unmittelbar: Der Rechtsakt selbst greift in das tatsächliche Interesse des Klägers ein und es bedarf keiner weiteren durchführenden Maßnahme, es sei denn die durchführende Maßnahme ist gewiss, muss zwingend ergehen oder wurde bereits erlassen. Nicht hierunter fallen bspw. Richtlinien, die noch von Mitgliedstaaten umgesetzt werden müssen und diesen dabei Umsetzungsspielraum zusteht.

Individuell: Der streitige Rechtsakt berührt den Kläger wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, ihn aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände und betrifft ihn daher in ähnlicher Weise individualisiert wie einen Adressaten (sog. Plaumann-Formel).

Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV: Bei Rechtsakten mit Verordnungscharakter genügt die unmittelbare Betroffenheit. Hierunter fallen aber keine Gesetzgebungsakte, also auch keine Verordnungen iSv Art. 288 Abs. 2 AEUV (EuGH v. 3.10.2013 – C-583/11 P, Inuit Tapiriit Kanatami u. a.), diese fallen bereits unter Art. 263 Abs. 4 Var. 2 AEUV.

4.             Klagegründe

Als Klagegrund muss einer der in Art. 263 Abs. 2 AEUV genannten Gründe geltend gemacht werden:

  • Unzuständigkeit
  • Verletzung wesentlicher Formvorschriften
  • Verletzung der Verträge oder einer bei seiner Durchführung anzuwendenden Rechtsnorm
  • Ermessensmissbrauch

5.             Form der Klageerhebung

Die Klageschrift muss Art. 21 Abs. 1 S. 2 EuGH-Satzung sowie Art. 38 VerfO-EuGH bzw. Art. 76 VerfO-EuG genügen.

6.             Frist

Art. 263 Abs. 6 AEUV bestimmt für die Klageerhebung eine Frist von zwei Monaten. Die Frist beginnt je nach Fall mit Bekanntgabe der betreffenden Handlung, ihrer Mitteilung an den Kläger oder in Ermangelung dessen mit dem Zeitpunkt der Kenntniserlangung.

7.             Rechtsschutzbedürfnis

Das Rechtsschutzbedürfnis ist in der Regel nicht problematisch. Es kann jedoch fehlen, wenn der fehlerhafte Rechtsakt zum Zeitpunkt der Klageerhebung bereits aufgehoben oder der Mangel vollständig beseitigt ist. Ein Rechtsschutzbedürfnis kann dann dennoch angenommen werden, wenn

  • eine konkrete Wiederholungsgefahr besteht,
  • Rechtsfragen von grundlegender Bedeutung für das Funktionieren der Union betroffen sind oder
  • die Verurteilung des Unionsorgans die Grundlage für einen Amtshaftungsanspruch des Klägers gegen die Union begründen kann (Art. 340 Abs. 2 AEUV).

II.           Begründetheit

Die Nichtigkeitsklage ist begründet, wenn der Klagegrund (Art. 263 Abs. 2 EUV) tatsächlich gegeben ist und die Handlung damit rechtswidrig war. In der Klausur wird der geltende gemachte Klagegrund im Obersatz benannt. Danach sollte die Prüfung die im Sachverhalt gegebenen Informationen strukturiert abarbeiten. Häufig wird Gegenstand der Klausur sein, dass eine Verletzung der Verträge oder einer bei seiner Durchführung anzuwendenden Rechtsnorm im Raum steht. Das können die Grundfreiheiten und europäischen Grundrechte sein, aber auch andere unionsrechtliche Grundsätze wie z.B. der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit gem. Art. 4 Abs. 3 EUV kann Gegenstand der Prüfung sein

Folge einer begründeten Nichtigkeitsklage ist gem. Art. 264 Abs. 1 AEUV, dass der EuGH die angefochtene Handlung für nichtig erklärt, wobei gem. Art. 264 Abs. 2 AEUV die ganze oder teilweise Fortgeltung des Rechtsakts erklärt werden kann.

Bei der Nichtigkeitsklage muss für den Einstieg in die Prüfung kaum etwas auswendig gelernt werden, den Art. 258 ff und Art. 263 AEUV lassen sich alle wesentlichen Informationen entnehmen. Zudem ist die Zulässigkeitsprüfung verhältnismäßig kurz, lediglich für den Fall, dass eine natürliche oder juristische Person klagt, kann sie etwas länger werden.

B)           Vertragsverletzungsverfahren, Art. 258

Das Vertragsverletzungsverfahren ist ein Instrument der Europäischen Kommission als „Hüterin der Verträge“ die Einhaltung des Unionsrechts durch die Mitgliedstaaten durchzusetzen.

I.              Zulässigkeit

Die Anrufung des EuGH im Vertragsverletzungsverfahren ist zulässig, wenn die folgenden Voraussetzungen vorliegen.

1.             Zuständigkeit

Für das Vertragsverletzungsverfahren ist gem. Art. 256 Abs. 1 UAbs. 1 AEUV iVm Art. 51 EuGH-Satzung der EuGH zuständig.

2.             Parteifähigkeit

Bei dem Vertragsverletzungsverfahren ist ausschließlich die Kommission aktiv parteifähig, Art. 258 Abs. 1 AEUV.

Die passive Parteifähigkeit kommt ausschließlich den Mitgliedstaaten zu, Art. 258 Abs. 1 AEUV.

3.             Vorverfahren

Bevor die Europäische Kommission den EuGH anrufen kann, muss ein Vorverfahren ordnungsgemäß durchgeführt werden, Art. 258 Abs. 1 AEUV.

a)             Mahnschreiben

In einem ersten Schritt muss die Europäische Kommission ein Mahnschreiben mit den folgenden Angaben an den Mitgliedstaat senden:

  • Ankündigung über die Einleitung des formalen Vorverfahrens,
  • Mitteilung der Tatsachen, die nach Ansicht der Europäischen Kommission den Vertragsverstoß begründen sowie der verletzten Bestimmungen des Unionsrechts,
  • Aufforderung, sich im Rahmen einer von der Europäischen Kommission bestimmten Frist zu den Vorwürfen zu äußern.

b)            Stellungnahme

Die Europäische Kommission erlässt daraufhin eine begründete Stellungnahme, in der sie erneut eine Frist zur Abhilfe der Vertragsverletzung setzt.

c)             Nichtbefolgung

Der Mitgliedstaat darf auch innerhalb der zweiten Frist das betreffende Verhalten nicht eingestellt haben (Art. 258 Abs. 2 AEUV).

4.             Klagegegenstand

Der Klagegegenstand ist die Behauptung der Europäischen Kommission, der Mitgliedstaat habe durch ein ihm zurechenbares Verhalten gegen eine Verpflichtung aus den Verträgen verstoßen. Der Klagevorwurf darf nicht gegenüber dem in der Stellungnahme beschriebenen Umfang erweitert werden. Den Prüfungsmaßstab bildet das gesamte Unionsrecht, also sowohl Primär- als auch Sekundärrecht sowie das in die Unionsrechtsordnung integrierte Völkerrecht.

5.             Klageberechtigung

Die Europäische Kommission ist klageberechtigt, wenn sie von der Vertragsverletzung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht überzeugt ist.

6.             Form und Zeitpunkt der Klageerhebung

Hinsichtlich der Form gilt das Schriftformerfordernis, vgl. Art. 21 EuGH-Satzung iVm Art. 38 VerfO-EuGH.

Des Weiteren gibt es keine besondere Klagefrist, jedoch ist eine Verwirkung denkbar, wenn die Klageerhebung rechtsmissbräuchlich verzögert wird.

7.             Rechtsschutzbedürfnis

Maßgeblich für das Rechtsschutzbedürfnis ist der Zeitpunkt, in dem die Frist der Stellungnahme (zweite Frist) abläuft. Wenn in diesem Zeitpunkt die gegen den Mitgliedstaat erhobenen Vorwürfe nicht vollständig ausgeräumt sind, besteht das Rechtsschutzbedürfnis. Anderen falls ist das Klageziel erreicht und die Klage mangels Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig abzuweisen.

II.           Begründetheit

Die Klage ist begründet, wenn die vom Kläger behaupteten Tatsachen zutreffen, das angegriffene Verhalten dem beklagten Mitgliedstaat zurechenbar ist und sich hieraus ein Verstoß gegen eine Bestimmung des Unionsrechts ergibt.

Wie auch bei der Nichtigkeitsklage folgt hier eine strukturierte Prüfung dahingehend, ob das Verhalten des Mitgliedstaates mit den Normen des Unionsrechts vereinbar ist. In Klausuren wird häufig der gestellte Sachverhalt Anhaltspunkt dafür liefern, welche Normen des Unionsrechts in die Prüfung eingehen sollen. In der Praxis verletzen Mitgliedstaaten das Unionsrecht häufig durch nicht rechtzeitige oder nicht richtige Umsetzung von Richtlinien in nationales Recht – aber auch eine Verletzung der Grundfreiheiten kann Gegenstand der Klausur sein.

Ist die Klage der Europäischen Kommission begründet, stellt der EuGH also eine Verletzung fest, ist der Mitgliedstaat verpflichtet, Maßnahmen zu treffen, um der Verletzung abzuhelfen, Art. 260 Abs. 1 AEUV. Kommt der Mitgliedstaat dem nicht nach, kann die Europäische Kommission gem. Art. 260 Abs. 2 AEUV einen Antrag beim EuGH stellen und dieser die Zahlung eines Pauschalbetrags oder eines Zwangsgelds verhängen.

C)           Staatenklage, Art. 259 AEUV

Die Staatenklage ist eine Form des Vertragsverletzungsverfahrens, bei dem die Europäische Kommission erst tätig wird, nachdem ein Mitgliedstaat den EuGH angerufen hat, weil er der Auffassung ist, dass ein anderer Mitgliedstaat gegen eine Verpflichtung aus den Verträgen verstoßen hat. Die zu prüfenden Voraussetzungen entsprechen denjenigen des unter B) dargestellten Vertragsverletzungsverfahrens mit wenigen Modifikationen:

Aktive Parteifähigkeit: aktiv parteifähig sind nur Mitgliedstaaten, Art. 259 Abs. 1 AEUV.

Vorverfahren: Auch hier muss ein Vorverfahren ordnungsgemäß durchgeführt werden, das in Art. 259 Abs. 2 bis 4 AEUV geregelt ist. Es entspricht weitgehend dem oben geschilderten Verfahren, ist aber so modifiziert, dass beide beteiligten Mitgliedstaaten einbezogen werden.

Klagegegenstand: Der Klagegegenstand ist die Behauptung des klagenden Mitgliedstaates, der beklagte Mitgliedstaat habe durch ein ihm zurechenbares Verhalten gegen eine Verpflichtung aus den Verträgen verstoßen. Der Prüfungsmaßstab ist derselbe.

Klageberechtigung: Der klagende Mitgliedstaat ist klageberechtigt, wenn er von der Vertragsverletzung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht überzeugt ist.

30.08.2023/von Alexandra Ritter
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Alexandra Ritter https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Alexandra Ritter2023-08-30 08:17:022023-09-04 13:03:07Die verschiedenen gerichtlichen Verfahren vor dem EuG und dem EuGH – Teil 1
Dr. Lena Bleckmann

Grundlagen StPO: Ermittlung von Beweisverwertungsverboten

Examensvorbereitung, Lerntipps, Rechtsgebiete, Startseite, StPO, Strafrecht, Verschiedenes

Das Strafprozessrecht kommt bei Vielen im Studium zu kurz und dürfte eines der Gebiete sein, bei denen im Examen am häufigsten „auf Lücke“ gesetzt wird. Dabei lassen sich mit den häufigen StPO-Zusatzfragen am Ende der Klausur noch ein paar Punkte sammeln und für ihre Beantwortung genügen oft schon Grundlagenkenntnisse und Argumentationsgeschick. Ein beliebter Gegenstand solcher Zusatzfragen ist die Ermittlung von Beweisverwertungsverboten bei rechtswidriger Beweiserlangung. Dieser Beitrag soll einen Überblick über die Herangehensweise und die wichtigsten Stichpunkte zu diesem Thema geben.
I. Grundlage für ein Beweisverwertungsverbot
Zunächst ist zu unterscheiden, ob ein sog. Beweiserhebungsverboteinschlägig ist, oder ein bloßes Verwertungsverbot.
Beweiserhebungsverbote sind ausdrücklich normiert und verbieten die Erhebung zu einzelnen Beweisthemen oder unter Verwendung bestimmter Beweismittel oder ‑methoden. Verstößt eine Maßnahme gegen ein Beweiserhebungsverbot, können die hieraus gewonnen Erkenntnisse auch im Prozess nicht verwendet werden und weitere Überlegungen erübrigen sich. Die wichtigsten Beweiserhebungsverbote finden sich in § 100d Abs. 1 StPO (Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung), § 136a Abs. 3 S. 2 StPO (unzulässige Vernehmungsmethoden) und § 160a Abs. 1 S. 2 StPO (Erkenntnisse aus Maßnahmen gegen Berufsgeheimnisträger).
Schwieriger gestaltet sich die Ermittlung von Beweisverwertungsverboten. Hier ist zwischen selbständigen und unselbständigen Beweisverwertungsverboten zu unterscheiden.

  1. Selbständige Beweisverwertungsverbote

Solche regeln den Fall, dass Erkenntnisse unabhängig von der Rechtmäßigkeit ihrer Erlangung im Prozess nicht verwendet werden dürfen. Diese Verbote können ausdrücklich normiert sein oder aus den Grundrechtenhergeleitet werden.
Bsp: Trotz Rechtmäßigkeit der Maßnahme dürfen Erkenntnisse aus dem Bereich privater Lebensgestaltung gemäß § 100d Abs. 2 S. 1 StPO nicht verwendet werden. Auch rechtmäßig mitgehörte Selbstgespräche des Betroffenen sind unverwertbar, dies ergibt sich u.a. aus Art. 2 Abs. 1 GG (vgl. hierzu auch BGH, Urt. v. 22.12.2011 – 2 StR 209/10).

  1. Unselbständige Beweisverwertungsverbote

Diese sind indes die Folge rechtswidriger Beweisgewinnung und häufiger Klausurfall. Zu Beginn der Prüfung ist daher stets die Rechtmäßigkeit der in Frage stehenden Maßnahme zu überprüfen. Erst wenn diese verneint wurde stellt sich die Frage der Verwertbarkeit der erlangten Erkenntnisse.
Häufige Ursachen der Rechtswidrigkeit: Missachtung eines Richtervorbehalts; fehlerhafte Belehrung; fehlende Ermächtigungsgrundlage.
Wichtig: Aus der Rechtswidrigkeit allein folgt nie die Unverwertbarkeit! Ein solches allgemeines Beweisverwertungsverbot ist der StPO fremd und verstößt gegen den Amtsermittlungsgrundsatznach § 244 Abs. 2 StPO – hiernach hat das Gericht die Beweisaufnahme auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die von Bedeutung sind. Ein unselbständiges Beweisverwertungsverbot ist daher die Ausnahme, die sachlich begründet werden muss.
II. Vorgehen bei festgestellten Beweisermittlungsfehlern
Ist für den jeweiligen Verstoß ein ausdrückliches Verwertungsverbot normiert (selbständiges Verwertungsverbot, s.o.), erübrigen sich weitere Überlegungen, die Verwertung des Beweises scheidet aus.
Ist das hingegen nicht der Fall, ist eine Einzelfallentscheidung geboten. Hier wird die von der Rechtsprechung entwickelte Abwägungslehre zugrunde gelegt. Folgende Punkte sind zu prüfen:
– „Rechtskreistheorie“:Schützt die verletzte Verhaltensnorm überhaupt den Rechtskreis des Betroffenen? Wenn nicht, scheidet ein Verwertungsverbot aus.
– Interessenabwägungzwischen Ausmaß des staatlichen Aufklärungsinteresses und den Rechten des Betroffenen. Kriterien sind hierbei u.a. die Intensität des Tatverdachts, die Schwere der Straftat und die Schwere des Beweiserhebungsfehlers. Auch die Möglichkeit einer rechtmäßigen Alternativerlangung ist von Bedeutung – wäre es den Strafverfolgungsorganen auch möglich gewesen, das Beweismittel auf rechtmäßige Weise zu erlangen, spricht dies gegen ein Verwertungsverbot.
– Zwingend zur Unverwertbarkeit führen hingegen Willkür undbewusste, planmäßige Verstößeder Strafverfolgungsorgane sowie Verstöße gegen grundlegende Rechte. So führen z.B. Verstöße gegen Belehrungspflichten beim Beschuldigten wegen Verletzung des nemo-tenetur-Grundsatzes fast immer zu Beweisverwertungsverboten. Auch die bewusste Missachtung eines Richtervorbehalts kann zur Unverwertbarkeit führen.
III. Mögliche Ergebnisse
Wird ein unselbständiges Beweisverwertungsverbot nach der Interessenabwägung bejaht, muss der Beweis im Prozess unberücksichtigt bleiben. Andernfalls ist es dennoch möglich, die Rechtswidrigkeit der Beweiserlangung zu berücksichtigen. Dies kann z.B. im Rahmen der Beweiswürdigung durch das Gericht oder im Rahmen der Strafzumessung erfolgen.

  1. Weitere Probleme im Zusammenhang mit Beweisverwertungsverboten   

a. Fortwirkung von Beweisverwertungsverboten
Von Fortwirkungspricht man, wenn ein früherer Verfahrensfehler Auswirkungen auf spätere Verfahrenshandlungen hat. Das Problem stellt sich häufig beim Verstoß gegen Belehrungspflichten. Wurde der Beschuldigte nicht ordnungsgemäß belehrt und legt ein Geständnis ab, ist dieses wegen des Verstoßes gegen § 136 Abs. 1 S. 2 StPO und den nemo-tenetur-Grundsatznicht verwertbar. Fraglich ist dann, wie es sich auswirkt, wenn der Beschuldigte erneut, diesmal mit ordnungsgemäßer Belehrung, vernommen wird und erneut gesteht. Insoweit ist anerkannt, dass der Verstoß bei der ersten Vernehmung fortwirkt. Der Beschuldigte geht nun davon aus, dass Leugnen ohnehin keinen Zweck mehr habe. Die Selbstbelastungsfreiheit ist weiterhin beeinträchtigt. Auch die Erkenntnisse aus der zweiten Vernehmung wären somit nicht verwertbar. Etwas anderes gilt nur, wenn eine sog. Qualifizierte Belehrungvorgenommen wird: Der Beschuldigte wird hierbei darauf hingewiesen, dass die Erkenntnisse aus der ersten Vernehmung nicht verwertbar sind. In diesem Fall wird die Fortwirkung durchbrochen.  
b. Vorhalt unzulässiger Erkenntnisse
Wurden indes Erkenntnisse auf anderem Wege erlangt, als durch fehlerhafte Vernehmung – etwa durch eine rechtswidrige Durchsuchung – sind die Grundsätze zur qualifizierten Belehrung allerdings nicht ohne weiteres übertragbar (siehe hierzu aktuell BGH, Urt. v. 3.5.2018 – 3 StR 390/17). Gesteht der Beschuldigte, weil ihm Erkenntnisse vorgehalten werden, die auf rechtswidrigem Wege erlangt wurden, findet eine Abwägung nach den oben aufgeführten Kriterien statt.
c. Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten
Von der anerkannten Möglichkeit der Fortwirkung zu unterschieden ist die Fernwirkung eines Verwertungsverbots. Hierbei geht es um die Frage, ob neue Beweismittel, die infolge von Erkenntnissen erhoben werden, die aufgrund eines Verwertungsverbots selbst nicht verwendet werden dürfen, auch von diesem Verbot erfasst werden.
Bsp: Bei einer rechtswidrigen Überwachung nach § 100d Abs. 2 S. 1 StPO wird ein Gespräch angehört, aus dem sich ein Versteck weiterer Beweismittel ergibt. Können diese im Prozess verwendet werden?
Nach der nur vereinzelt vertretenen „Fruit of the poisonous tree“-Lehrebesteht hier eine Fernwirkung, sodass auch die aufgefundenen Beweismittel nicht verwendet werden können.
Dem wird von der hM entgegengehalten, dass ein Fehler zu Beginn des Strafverfahrens dieses im Ganzen verhindern könnte. Ausnahmen können sich nur im Zusammenhang mit besonders schwerwiegenden Verstößen ergeben.
Fazit
Beweisverwertungsverbote sind ein immer wiederkehrendes Thema in Examensklausuren mit strafprozessrechtlichem Einschlag. Bei der ersten Lektüre kann der Eindruck entstehen, dass zur richtigen Lösung solcher Problemstellungen die Kenntnis einer Vielzahl von Entscheidungen notwendig ist. Zwar ist die Rechtsprechung zu dem Thema tatsächlich sehr umfangreich, in der Klausur im ersten Staatsexamen geht es allerdings nicht um die Kenntnis aller Einzelfälle, sondern um die systematische Problemlösung. Mit der hier vorgeschlagenen Vorgehensweise und etwas Fingerspitzengefühl für den Einzelfall sollte dies ohne Probleme gelingen.

31.01.2019/1 Kommentar/von Dr. Lena Bleckmann
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Lena Bleckmann https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Lena Bleckmann2019-01-31 09:00:092019-01-31 09:00:09Grundlagen StPO: Ermittlung von Beweisverwertungsverboten

Über Juraexamen.info e.V.

Deine Online-Zeitschrift für Jurastudium, Staatsexamen und Referendariat.

Wir sind ein gemeinnütziger Verein aus Bonn und auf Eure Unterstützung angewiesen, sei es als Mitglied oder durch Gastbeiträge. Über Zusendungen und Nachrichten freuen wir uns daher sehr!

Werbung

Anzeige

Neueste Beiträge

  • Das Entsperren und Auslesen von Smartphones zu Zwecken der Strafverfolgung
  • Noch nicht gezeugt und doch schon Gläubiger einer Grundschuld?!
  • BGH: Des Maklers Müh‘ ist oft vergebene Müh’

Weitere Artikel

Auch diese Artikel könnten für dich interessant sein.

Sören Hemmer

Das Entsperren und Auslesen von Smartphones zu Zwecken der Strafverfolgung

Rechtsprechung, StPO, Strafrecht, Strafrecht, Uncategorized

Dürfen sich Ermittlungspersonen Zugang zu dem Smartphone von Beschuldigten per Fingerscan oder Gesichtserkennung verschaffen? Diese Frage ist nicht nur praktisch bedeutsam und umstritten. Sie dürfte sich zudem als Gegenstand einer […]

Weiterlesen
18.08.2025/0 Kommentare/von Sören Hemmer
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Sören Hemmer https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Sören Hemmer2025-08-18 07:36:092025-08-19 08:27:29Das Entsperren und Auslesen von Smartphones zu Zwecken der Strafverfolgung
Gastautor

Noch nicht gezeugt und doch schon Gläubiger einer Grundschuld?!

Aktuelles, Erbrecht, Examensvorbereitung, Lerntipps, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Sachenrecht, Schon gelesen?, Startseite, Uncategorized, Zivilrecht, Zivilrecht, Zivilrecht

In rechtswissenschaftlichen Klausuren wird die richtige Verwendung lateinischer Fachbegriffe erwartet. Mit einem im Grenzbereich von allgemeinem Zivil-, Erb- und Sachenrecht ergangenen Beschluss vom 26. Juni 2025 (Az.: V ZB 48/24), […]

Weiterlesen
11.08.2025/0 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2025-08-11 12:59:372025-08-11 12:59:38Noch nicht gezeugt und doch schon Gläubiger einer Grundschuld?!
Alexandra Alumyan

BGH: Des Maklers Müh‘ ist oft vergebene Müh’

AGB-Recht, Aktuelles, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schuldrecht, Startseite, Zivilrecht, Zivilrecht

Ein Studienplatz im Ausland, heiß begehrt – und teuer vermittelt. Doch was, wenn der Bewerber es sich anders überlegt? Der BGH hat mit seinem Urteil vom 5.6.2025 (Az.: I ZR […]

Weiterlesen
16.07.2025/0 Kommentare/von Alexandra Alumyan
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Alexandra Alumyan https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Alexandra Alumyan2025-07-16 08:10:182025-07-21 05:16:02BGH: Des Maklers Müh‘ ist oft vergebene Müh’

Mitmachen

Du hast Lust, Autor bei uns zu werden? Wir freuen uns!

Mitmachen

  • Über JE
  • Das Team
  • Spendenprojekt
  • Gastautor werden
  • Mitglied werden
  • Alumni
  • Häufige Fragen
  • Impressum
  • Kontakt
  • Datenschutz

© juraexamen.info e.V.

Nach oben scrollen Nach oben scrollen Nach oben scrollen