Grundlagen StPO: Ermittlung von Beweisverwertungsverboten
Das Strafprozessrecht kommt bei Vielen im Studium zu kurz und dürfte eines der Gebiete sein, bei denen im Examen am häufigsten „auf Lücke“ gesetzt wird. Dabei lassen sich mit den häufigen StPO-Zusatzfragen am Ende der Klausur noch ein paar Punkte sammeln und für ihre Beantwortung genügen oft schon Grundlagenkenntnisse und Argumentationsgeschick. Ein beliebter Gegenstand solcher Zusatzfragen ist die Ermittlung von Beweisverwertungsverboten bei rechtswidriger Beweiserlangung. Dieser Beitrag soll einen Überblick über die Herangehensweise und die wichtigsten Stichpunkte zu diesem Thema geben.
I. Grundlage für ein Beweisverwertungsverbot
Zunächst ist zu unterscheiden, ob ein sog. Beweiserhebungsverboteinschlägig ist, oder ein bloßes Verwertungsverbot.
Beweiserhebungsverbote sind ausdrücklich normiert und verbieten die Erhebung zu einzelnen Beweisthemen oder unter Verwendung bestimmter Beweismittel oder ‑methoden. Verstößt eine Maßnahme gegen ein Beweiserhebungsverbot, können die hieraus gewonnen Erkenntnisse auch im Prozess nicht verwendet werden und weitere Überlegungen erübrigen sich. Die wichtigsten Beweiserhebungsverbote finden sich in § 100d Abs. 1 StPO (Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung), § 136a Abs. 3 S. 2 StPO (unzulässige Vernehmungsmethoden) und § 160a Abs. 1 S. 2 StPO (Erkenntnisse aus Maßnahmen gegen Berufsgeheimnisträger).
Schwieriger gestaltet sich die Ermittlung von Beweisverwertungsverboten. Hier ist zwischen selbständigen und unselbständigen Beweisverwertungsverboten zu unterscheiden.
- Selbständige Beweisverwertungsverbote
Solche regeln den Fall, dass Erkenntnisse unabhängig von der Rechtmäßigkeit ihrer Erlangung im Prozess nicht verwendet werden dürfen. Diese Verbote können ausdrücklich normiert sein oder aus den Grundrechtenhergeleitet werden.
Bsp: Trotz Rechtmäßigkeit der Maßnahme dürfen Erkenntnisse aus dem Bereich privater Lebensgestaltung gemäß § 100d Abs. 2 S. 1 StPO nicht verwendet werden. Auch rechtmäßig mitgehörte Selbstgespräche des Betroffenen sind unverwertbar, dies ergibt sich u.a. aus Art. 2 Abs. 1 GG (vgl. hierzu auch BGH, Urt. v. 22.12.2011 – 2 StR 209/10).
- Unselbständige Beweisverwertungsverbote
Diese sind indes die Folge rechtswidriger Beweisgewinnung und häufiger Klausurfall. Zu Beginn der Prüfung ist daher stets die Rechtmäßigkeit der in Frage stehenden Maßnahme zu überprüfen. Erst wenn diese verneint wurde stellt sich die Frage der Verwertbarkeit der erlangten Erkenntnisse.
Häufige Ursachen der Rechtswidrigkeit: Missachtung eines Richtervorbehalts; fehlerhafte Belehrung; fehlende Ermächtigungsgrundlage.
Wichtig: Aus der Rechtswidrigkeit allein folgt nie die Unverwertbarkeit! Ein solches allgemeines Beweisverwertungsverbot ist der StPO fremd und verstößt gegen den Amtsermittlungsgrundsatznach § 244 Abs. 2 StPO – hiernach hat das Gericht die Beweisaufnahme auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die von Bedeutung sind. Ein unselbständiges Beweisverwertungsverbot ist daher die Ausnahme, die sachlich begründet werden muss.
II. Vorgehen bei festgestellten Beweisermittlungsfehlern
Ist für den jeweiligen Verstoß ein ausdrückliches Verwertungsverbot normiert (selbständiges Verwertungsverbot, s.o.), erübrigen sich weitere Überlegungen, die Verwertung des Beweises scheidet aus.
Ist das hingegen nicht der Fall, ist eine Einzelfallentscheidung geboten. Hier wird die von der Rechtsprechung entwickelte Abwägungslehre zugrunde gelegt. Folgende Punkte sind zu prüfen:
– „Rechtskreistheorie“:Schützt die verletzte Verhaltensnorm überhaupt den Rechtskreis des Betroffenen? Wenn nicht, scheidet ein Verwertungsverbot aus.
– Interessenabwägungzwischen Ausmaß des staatlichen Aufklärungsinteresses und den Rechten des Betroffenen. Kriterien sind hierbei u.a. die Intensität des Tatverdachts, die Schwere der Straftat und die Schwere des Beweiserhebungsfehlers. Auch die Möglichkeit einer rechtmäßigen Alternativerlangung ist von Bedeutung – wäre es den Strafverfolgungsorganen auch möglich gewesen, das Beweismittel auf rechtmäßige Weise zu erlangen, spricht dies gegen ein Verwertungsverbot.
– Zwingend zur Unverwertbarkeit führen hingegen Willkür undbewusste, planmäßige Verstößeder Strafverfolgungsorgane sowie Verstöße gegen grundlegende Rechte. So führen z.B. Verstöße gegen Belehrungspflichten beim Beschuldigten wegen Verletzung des nemo-tenetur-Grundsatzes fast immer zu Beweisverwertungsverboten. Auch die bewusste Missachtung eines Richtervorbehalts kann zur Unverwertbarkeit führen.
III. Mögliche Ergebnisse
Wird ein unselbständiges Beweisverwertungsverbot nach der Interessenabwägung bejaht, muss der Beweis im Prozess unberücksichtigt bleiben. Andernfalls ist es dennoch möglich, die Rechtswidrigkeit der Beweiserlangung zu berücksichtigen. Dies kann z.B. im Rahmen der Beweiswürdigung durch das Gericht oder im Rahmen der Strafzumessung erfolgen.
- Weitere Probleme im Zusammenhang mit Beweisverwertungsverboten
a. Fortwirkung von Beweisverwertungsverboten
Von Fortwirkungspricht man, wenn ein früherer Verfahrensfehler Auswirkungen auf spätere Verfahrenshandlungen hat. Das Problem stellt sich häufig beim Verstoß gegen Belehrungspflichten. Wurde der Beschuldigte nicht ordnungsgemäß belehrt und legt ein Geständnis ab, ist dieses wegen des Verstoßes gegen § 136 Abs. 1 S. 2 StPO und den nemo-tenetur-Grundsatznicht verwertbar. Fraglich ist dann, wie es sich auswirkt, wenn der Beschuldigte erneut, diesmal mit ordnungsgemäßer Belehrung, vernommen wird und erneut gesteht. Insoweit ist anerkannt, dass der Verstoß bei der ersten Vernehmung fortwirkt. Der Beschuldigte geht nun davon aus, dass Leugnen ohnehin keinen Zweck mehr habe. Die Selbstbelastungsfreiheit ist weiterhin beeinträchtigt. Auch die Erkenntnisse aus der zweiten Vernehmung wären somit nicht verwertbar. Etwas anderes gilt nur, wenn eine sog. Qualifizierte Belehrungvorgenommen wird: Der Beschuldigte wird hierbei darauf hingewiesen, dass die Erkenntnisse aus der ersten Vernehmung nicht verwertbar sind. In diesem Fall wird die Fortwirkung durchbrochen.
b. Vorhalt unzulässiger Erkenntnisse
Wurden indes Erkenntnisse auf anderem Wege erlangt, als durch fehlerhafte Vernehmung – etwa durch eine rechtswidrige Durchsuchung – sind die Grundsätze zur qualifizierten Belehrung allerdings nicht ohne weiteres übertragbar (siehe hierzu aktuell BGH, Urt. v. 3.5.2018 – 3 StR 390/17). Gesteht der Beschuldigte, weil ihm Erkenntnisse vorgehalten werden, die auf rechtswidrigem Wege erlangt wurden, findet eine Abwägung nach den oben aufgeführten Kriterien statt.
c. Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten
Von der anerkannten Möglichkeit der Fortwirkung zu unterschieden ist die Fernwirkung eines Verwertungsverbots. Hierbei geht es um die Frage, ob neue Beweismittel, die infolge von Erkenntnissen erhoben werden, die aufgrund eines Verwertungsverbots selbst nicht verwendet werden dürfen, auch von diesem Verbot erfasst werden.
Bsp: Bei einer rechtswidrigen Überwachung nach § 100d Abs. 2 S. 1 StPO wird ein Gespräch angehört, aus dem sich ein Versteck weiterer Beweismittel ergibt. Können diese im Prozess verwendet werden?
Nach der nur vereinzelt vertretenen „Fruit of the poisonous tree“-Lehrebesteht hier eine Fernwirkung, sodass auch die aufgefundenen Beweismittel nicht verwendet werden können.
Dem wird von der hM entgegengehalten, dass ein Fehler zu Beginn des Strafverfahrens dieses im Ganzen verhindern könnte. Ausnahmen können sich nur im Zusammenhang mit besonders schwerwiegenden Verstößen ergeben.
Fazit
Beweisverwertungsverbote sind ein immer wiederkehrendes Thema in Examensklausuren mit strafprozessrechtlichem Einschlag. Bei der ersten Lektüre kann der Eindruck entstehen, dass zur richtigen Lösung solcher Problemstellungen die Kenntnis einer Vielzahl von Entscheidungen notwendig ist. Zwar ist die Rechtsprechung zu dem Thema tatsächlich sehr umfangreich, in der Klausur im ersten Staatsexamen geht es allerdings nicht um die Kenntnis aller Einzelfälle, sondern um die systematische Problemlösung. Mit der hier vorgeschlagenen Vorgehensweise und etwas Fingerspitzengefühl für den Einzelfall sollte dies ohne Probleme gelingen.
Für Beweiserhebungsverbote, soll ein Verwertungsverbot bestehen. Für rechtswidirge Beweiserhebung in solcher Allgemeinheit nicht o.ä.
Was genau soll Unterschied von „verbotener Beweiserhebung“ und nur „rechtswidriger Beweiserlangung“ sein können und wo soll hiergeneralieirbar eine Grenze klar feststellbar verlaufen?
Sollen „nur rechtswidrige“ Beweiserhebungen also nicht allgemein verboten und daher unter Umständen zulässig und daher also vielleicht nicht rechtswidrig sein können?