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Schlagwortarchiv für: Beweisverwertungsverbot

Charlotte Schippers

Rechtsprechungsübersicht Strafrecht und Strafprozessrecht 1. Halbjahr 2020

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Bei der Vorbereitung auf die schriftliche und vor allem mündliche Examensprüfung, aber auch auf Klausuren des Studiums, ist die Kenntnis aktueller Rechtsprechung unbedingt erforderlich. Neue Urteile und Beschlüsse werden immer wieder als ein Teil der Prüfung herangezogen oder bei besonders wichtigen Entscheidungen ausdrücklich abgefragt. Der folgende Überblick soll für die examensrelevanten Entscheidungen in Strafsachen des Jahres 2020 (und Ende 2019) als Stütze dienen und Ausgangspunkt für eine tiefere Auseinandersetzung sein.
 
Strafrecht

BGH, Urt. v. 26.11.2019 – 2 StR 557/18: Strafrechtliche Verantwortlichkeit von JVA-Beamten für den Mord eines Häftlings während eines Freigangs

Zu folgendem Fall urteilte der BGH Ende letzten Jahres: T, Häftling in einer JVA, beging während eines Freigangs mehrere Straftaten, u.a. tötete er bei einer Flucht vor der Polizei, indem er mit rasanter Geschwindigkeit als „Geisterfahrer“ auf die Gegenfahrbahn fuhr, eine im Gegenverkehr befindliche junge Frau. Wegen dieser Tat wurde er wegen Mordes rechtskräftig zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Relevant war hier nun die Strafbarkeit der zuständigen JVA-Beamten.
Die Vorinstanz hatte eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung gem. § 222 StGB angenommen, der BGH sprach die Beamten nun frei: In ihrer Entscheidung, den Strafgefangenen in den offenen Vollzug zu verlegen und ihm weitere Lockerungen in Form von Freigängen zu gewähren, liege keine Sorgfaltspflichtverletzung; den Beamten stehen Beurteilungsspielraum und Ermessen zu, sodass

„die getroffene Entscheidung bis zur Grenze des Vertretbaren hinzunehmen [ist]. Bei der Beurteilung der Sorgfaltswidrigkeit darf sich das Gericht weder von einer aus dem späteren Kenntnisstand rückschauenden Wertung (ex post) leiten lassen, dass sich eine Prognoseentscheidung im Ergebnis als ,falsch‘ erwiesen hat, noch seine eigene, abweichende Prognoseentscheidung als Maßstab anlegen. Maßgebend ist vielmehr die fachliche und rechtliche Vertretbarkeit der Entscheidung aus der Perspektive der Lockerungsentscheidung (ex ante). Eine im Ergebnis falsche Prognose erweist sich als pflichtwidrig, wenn die Missbrauchsgefahr aufgrund relevant unvollständiger oder unzutreffender Tatsachengrundlage oder unter nicht vertretbarer Bewertung der festgestellten Tatsachen verneint worden ist.“ (Rn. 25)

Der BGH erläutert in der Folge, die Angeklagten hätten sich aus der maßgeblichen ex-ante-Sicht den Anforderungen entsprechend verhalten.
Diese examensrelevante Entscheidung hat Tobias Vogt besprochen.
 

BGH, Beschl. v. 17.12.2019 – 1 StR 364/18: Unvermeidbarer Verbotsirrtum bei Auskunft eines Rechtsanwalts und einer unzuständigen Behörde?

Mit Betäubungsmitteldelikten beschäftigte der BGH sich Ende letzten Jahres und erhielt hierbei auch die Gelegenheit, sich zu den Anforderungen an die Unvermeidbarkeit eines Verbotsirrtums zu äußern. Kurz gefasst ging es um den Apotheker A, der mit anderen zusammen einen Versandhandel mit über das Internet bestellten verschreibungspflichtigen Medikamenten, die Abhängigkeitserkrankungen verursachen können, führte. Diese wurden an Kunden aus dem Ausland, überwiegend in die USA, geliefert. Über die für die Ausfuhr nach dem BtMG erforderliche Erlaubnis verfügte keiner der Beteiligten. Rechtsanwalt R, der A an die anderen vermittelt hatte, hatte ihm mitgeteilt, das Vertriebssystem sei von weiteren Rechtsanwälten geprüft. Dazu zeigte er ihm mehrere Blätter, die er als Gutachten bezeichnete, ohne sie ihm aber zum Lesen zu überlassen. Zudem erhielt A von der Landesapothekerkammer Rheinland-Pfalz die telefonische Auskunft, gegen den Versand von Medikamenten ins Ausland auf der Grundlage von Rezepten bestünden keine Bedenken.
Festgestellt wurde ein Verbotsirrtum gem. § 17 S. 1 StGB des A. Fraglich war nun, ob dieser vermeidbar war oder nicht. Zu den Anforderungen an die Unvermeidbarkeit führt der BGH aus:

„Unvermeidbar ist ein Verbotsirrtum erst dann, wenn der Täter alle seine geistigen Erkenntniskräfte eingesetzt und etwa aufkommende Zweifel durch Nachdenken oder erforderlichenfalls durch Einholung verlässlichen und sachkundigen Rechtsrats beseitigt hat. Dabei müssen sowohl die Auskunftsperson als auch die Auskunft aus der Sicht des Täters verlässlich sein; die Auskunft selbst muss zudem einen unrechtsverneinenden Inhalt haben. Eine Auskunft ist in diesem Sinne nur dann verlässlich, wenn sie objektiv, sorgfältig, verantwortungsbewusst und insbesondere nach pflichtgemäßer Prüfung der Sach- und Rechtslage erteilt worden ist. Bei der Auskunftsperson ist dies der Fall, wenn sie die Gewähr für eine diesen Anforderungen entsprechende Auskunftserteilung bietet, sie muss insbesondere sachkundig und unvoreingenommen sein und mit der Erteilung der Auskunft keinerlei Eigeninteresse verfolgen. Zudem darf der Täter nicht vorschnell auf die Richtigkeit eines ihm günstigen Standpunkts vertrauen und seine Augen nicht vor gegenteiligen Ansichten und Entscheidungen verschließen. Maßgebend sind die jeweils konkreten Umstände, insbesondere seine Verhältnisse und Persönlichkeit; daher sind zum Beispiel sein Bildungsstand, seine Erfahrung und seine berufliche Stellung zu berücksichtigen.“ (Rn. 21)

Daher ist auch der Rat eines Rechtsanwalts nicht ohne weiteres vertrauenswürdig. Der Rat muss, von notwendiger Sachkenntnis getragen, nach eingehender sorgfältiger Prüfung erfolgen. Sind die Auskünfte offenkundig mangelhaft, reicht das nicht zur Entlastung, notwendig ist bei komplexen Sachverhalten ein detailliertes, schriftliches Gutachten. Die durch R erteilten Hinweise, ohne die Möglichkeit, die Blätter durchzulesen, hätten durch A hinterfragt werden müssen, subsumiert der BGH.
Hinsichtlich der telefonischen Auskunft ist zu berücksichtigen, dass unzutreffende Auskünfte unzuständiger Behörden nur dann zur Unvermeidbarkeit des Irrtums führen können, wenn sich für den Täter die fehlende Zuständigkeit und Beurteilungskompetenz nicht aufdrängt (s. dazu BGH, Beschl. v. 2.2.2000 – 1 StR 597/99).

„Bei [A] handelt es sich um einen approbierten Apotheker mit langjähriger Berufserfahrung. Zur Ausbildung eines Apothekers gehören auch Grundkenntnisse im Betäubungsmittel- und Arzneirecht. Gerade aufgrund seiner beruflichen Stellung und der hiermit verbundenen Verpflichtungen war von [A] zu erwarten, dass ihm bekannt ist, dass der Handel mit Benzodiazepinen und NonBenzodiazepinen wegen der erhöhten Gefahr einer Abhängigkeitserkrankung bei dauerhaftem Konsum einer besonderen betäubungsmittelrechtlichen Kontrolle unterliegt und daher einer betäubungsmittelrechtlichen Erlaubnis bedarf. Jedenfalls hätte er dies bei gebotener Anstrengung von Verstand und Gewissen erkennen können. Gleichermaßen hätte er – unter Berücksichtigung seiner beruflichen Stellung und Erfahrung – erkennen können, dass er sich an das für die Erteilung von Erlaubnissen und Genehmigungen im Betäubungsmittelrecht zuständige BfArM [Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte] hätte wenden müssen.“ (Rn. 21)

Schließlich verneint der BGH, dass das BfArM ebenfalls dieselbe Auskunft gegeben hätte:

„Hat der Täter einer Erkundigungspflicht nicht genügt, so setzt die Feststellung von Vermeidbarkeit voraus, dass die Erkundigung zu einer richtigen Auskunft geführt hätte.“ (Rn. 21)

Insbesondere wegen der Ausführungen zu den Anforderungen an die Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums handelt es sich hierbei somit um eine wichtige und examensrelevante Entscheidung.
 

BGH, Beschl. v. 8.1.2020 – 4 StR 548/19: Erpressung bei Nötigung zur Begehung von Eigentumsdelikten?

T brauchte dringend Geld, um sich Marihuana kaufen zu können. Deswegen bedrohte er zwei 13-jährige Jungen mit einem Messer und forderte sie auf, für ihn in der Innenstadt Wertgegenstände zu stehlen. Wie beabsichtigt, hatten die beiden Jungen Angst vor ihm und waren von dem vorgehaltenen Messer so beeindruckt, dass sie sich nicht zu widersetzen wagten. Auf dem Weg in die Innenstadt konnten sie aber weglaufen.
Der BGH beschäftigte sich mit der Strafbarkeit des T wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung gem. §§ 253 Abs. 1, 255, 250 Abs. 2 Nr. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB. Die Erpressung scheitert am Vermögensnachteil der Genötigten – das abverlangte Verhalten liegt „nur“ in der Begehung strafbarer Handlungen, ein Vermögensschaden auf Seiten des Nötigungsopfers fehlt. Weiterhin wäre für eine Dreieckserpressung ein Näheverhältnis zwischen dem Genötigten und dem zu Schädigenden erforderlich, an dem es hier, wie der BGH knapp feststellt, fehlte (vgl. auch BGH,  Urt. v.  20. 4.1995 ‒ 4 StR 27/95). Somit kam hier nur eine Strafbarkeit wegen versuchter Nötigung in zwei tateinheitlichen Fällen gem. §§ 240 Abs. 1, 2, 3, 22, 23 Abs. 1 StGB infrage.
 

BGH, Beschl. v. 22.1.2020 – 3 StR 526/19: Wohnungen i.S.d. § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB

Der BGH beschäftigte sich zur Klärung der Frage, ob die Wohnung eines Verstorbenen auch eine Wohnung i.S.d. § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB ist, mit folgendem (leicht abgewandeltem und gekürztem) Sachverhalt: Einbrecher E beschloss, vorrangig in die Häuser von Verstorbenen einzubrechen. Über entsprechende Todesfälle informierte er sich durch Traueranzeigen in der Tageszeitung. In der Folgezeit brach er, entsprechend seines Plans, unter Aufhebeln von Fenstern und Terassentüren in verschiedene Wohnungen von Verstorbenen ein.
In dem Beschluss bejahte der BGH, dass es sich bei den Immobilien, die noch voll eingerichtet und funktionsfähig waren, um Wohnungen im Sinne des § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB handelte mit einer lehrbuchartigen Gesetzesauslegung:

„Dafür spricht zunächst der Wortlaut der Vorschrift. Der Begriff „Wohnung“ bezeichnet eine für die private Lebensführung geeignete und in sich abgeschlossene Einheit von gewöhnlich mehreren Räumen. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch ist somit der Zweck der Stätte maßgebend, nicht deren tatsächlicher Gebrauch. […].
Diese Betrachtungsweise erfährt ihre Bestätigung in der Gesetzessystematik. Das Strafgesetzbuch sieht bei Einbruchdiebstählen eine Staffelung in Deliktsschwere und Strafmaß vor, die vom besonders schweren Fall des Diebstahls gemäß § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StGB über den Wohnungseinbruch im Sinne des § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB bis zum Einbruch in eine dauerhaft genutzte Privatwohnung nach § 244 Abs. 4 StGB reicht. Spätestens mit Einführung der letztgenannten Vorschrift im Jahr 2017 hat der Gesetzgeber deutlich gemacht, dass er die (dauerhafte) Nutzung der Wohnung nicht als tatbestandliche Voraussetzung des einfachen Wohnungseinbruchdiebstahls nach § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB verstanden wissen will. Die sprachliche Betonung dieses zusätzlichen Tatbestandsmerkmals in § 244 Abs. 4 StGB wäre sonst nicht geboten gewesen.“ (Rn. 16 f.)

Er argumentiert an dieser Stelle mit weiteren Delikten, namentlich § 123 Abs. 1 StGB, § 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB und § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB, die sich auch in der Klausur gut zur Begründung heranziehen lassen!

„Schließlich gebieten Sinn und Zweck der Qualifikation aus § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB die Einbeziehung von unbewohnten Immobilien, jedenfalls so lange sie nicht als Wohnstätte entwidmet sind. Die Vorschrift soll das Eigentum an höchstpersönlichen Gegenständen und die häusliche Integrität an sich schützen. Diese Rechtsgüter können auch dann verletzt sein, wenn sie neben den aktuellen Bewohnern weiteren Personen zuzuordnen sind, die einen Bezug zu den Räumlichkeiten aufweisen – etwa, weil sie sich häufig in ihnen aufhalten, weil es sich um ihr Elternhaus handelt oder weil sie in dem Haus private Gegenstände lagern.“

Somit bejahte der BGH den Wohnungseinbruchsdiebstahl.
 

OLG Hamm, Beschl. v. 7.4.2020 – 4 RVs 12/20: Verwendung einer fremden EC-Karte zum kontaktlosen Zahlen

Ein Dauerbrenner im Examen sind die EC-Karten-Fälle, sodass sich ein Blick auf die aktuelle Entscheidung des OLG Hamm zum kontaktlosen Zahlen mit einer fremden EC-Karte lohnt. Folgender Fall (leicht abgewandelt und gekürzt) wurde entschieden: T erhielt von seiner Bekannten B die auf der Straße gefundene Geldbörse des O, in der sich neben ein wenig Bargeld und diversen Papieren und Karten auch eine EC-Karte befand. Mit dieser Karte tätigte T Einkäufe, u.a. im H-Markt, durch kontaktloses Bezahlen – also Auflegen der Karte auf das Lesegerät –, die jeweils einen Wert von unter 25 Euro hatten, sodass die Eingabe der PIN nicht erforderlich war. Diese Tatsache war T bekannt und er nutzte sie bewusst aus.
Eine Strafbarkeit wegen Betrugs gem. § 263 StGB lehnte das OLG ab, denn eine Täuschung liege bei der Zahlung ohne PIN-Abfrage nicht vor. Nach lesenswerten Ausführungen zu den Elementen der kontaktlosen Zahlung, folgert das OLG:

„Vor dem Hintergrund dieser Zahlungsmodalitäten hatten die Kassenkräfte des H-Marktes vorliegend keinerlei Anlass, sich Vorstellungen über die Berechtigung des Angeklagten zur Kartenverwendung zu machen. Im Gegenteil liefen sie vielmehr Gefahr, bei positiver Kenntnis von der Nichtberechtigung wegen kollusiven Zusammenwirkens mit dem Kartenverwender ihren Zahlungsanspruch gegen die […] kartenausgebende[…] Bank zu verlieren, weshalb aus Händlersicht gerade kein Anreiz bestand, über die Berechtigung des Angeklagten nachzudenken und so womöglich bösgläubig zu werden. Auch traf den Betreiber des H-Marktes bzw. seine Kassenmitarbeiter nach den Händlerbedingungen gegenüber der […] kartenausgebende[n] Bank keine Pflicht, die Berechtigung des Angeklagten anderweitig zu überprüfen, etwa durch Ausweiskontrolle. Damit aber fehlt es an einer Grundlage für die Annahme, dass der Angeklagte als Kunde seine Berechtigung zur Kartennutzung nach der Verkehrsanschauung fälschlich konkludent erklärt hätte und dass die Kassenmitarbeiter wenigstens im Sinne eines sachgedanklichen Mitbewusstseins einer entsprechenden irrigen Vorstellung unterlegen wären.“ (Rn. 14)

Gleichfalls scheidet auch ein Computerbetrug nach § 263a StGB aus, insbesondere wird nicht die einzig in Betracht kommende Variante der unbefugten Verwendung von Daten erfüllt – die h.M. setzt nämlich für das Merkmal „unbefugt“ voraus, dass die Verwendung gegenüber einer natürlichen Person Täuschungscharakter hätte. Das scheidet hier aber aus, denn geprüft werden mit dem Vorhalten der Karte vor das Lesegerät nur die Einhaltung des Verfügungsrahmens, die Nicht-Eintragung in eine Sperrdatei und das Vorliegen der Voraussetzungen für das Absehen von der starken Kundenauthentifizierung.
In Betracht zieht das OLG nach Verneinung einiger anderer Delikte schließlich noch eine Urkundenunterdrückung nach § 274 I Nr. 2 StGB: Die Verwendung der Karte im kontaktlosen Bezahlvorgang stellt eine Löschung/Veränderung beweiserheblicher Daten dar:

„Der noch bestehende Verfügungsrahmen sowie die Umstände der bisherigen Kartennutzung seit der letzten PIN-Abfrage stellen Gedankenerklärungen dar, die durch die Speicherung im Autorisierungssystem bzw. auf dem Chip der ec-Karte perpetuiert sind. Weiterhin sind diese Daten auch beweiserheblich, weil sie für die Autorisierung weiterer Bezahlvorgänge mit der ec-Karte relevant sind. Nur wenn der Verfügungsrahmen noch nicht ausgeschöpft ist und in Bezug auf die Umstände der bisherigen Kartennutzung die Voraussetzungen […] für das Absehen von der PIN-Abfrage erfüllt sind, erteilt die kartenausgebende Bank im POS-Verfahren die Autorisierung der Zahlung (ohne PIN-Abfrage). Anders als im Hinblick auf die Transaktionsdaten ist in Bezug auf den Verfügungsrahmen und die Umstände der bisherigen Kartennutzung auch die Garantiefunktion des Urkundenbegriffs erfüllt. Es ist nämlich die kartenausstellende Bank als Aussteller dieser Daten ohne Weiteres erkennbar.“ (Rn. 37)

Verwirklicht wurde darüber hinaus auch § 303a Abs. 1 StGB.
Insgesamt ist das hier also eine wichtige und examensrelevante Entscheidung, die man sich genauer anschauen sollte!
 

BGH, Beschl. v. 14.4.2020 – 5 StR 93/20: Mordmerkmal der gemeingefährlichen Mittel in Abgrenzung zur „Mehrfachtötung“

Im April hat der BGH die Anforderungen an das Mordmerkmal der gemeingefährlichen Mittel (speziell für den Fall naturgemäß gemeingefährlicher Mittel) konkretisiert. Folgender Sachverhalt (gekürzt) lag dem zugrunde: T zündete in dem von ihm bewohnten Zimmer im 1. OG eines Wohnkomplexes eine auf seinem Bett liegende Wolldecke an, schloss die Zimmertür und verließ das Haus. Es war ihm bewusst, dass A und B sich im 1. OG aufhielten und C sich möglicherweise im Dachgeschoss befand. Mögliche Verletzungen oder den Tod der anderen nahm T in Kauf. A entdeckte den Brand und alarmierte B und C. Sie flüchteten und alarmierten die Feuerwehr. A und C erlitten Rauchgasvergiftungen. Die Feuerwehr konnte ohne Atemschutz nur bis zur Hälfte der Holztreppe ins OG vordringen; ab dort bestand akute Lebensgefahr. Der im Zimmer des T lodernde Vollbrand konnte schließlich gelöscht werden.
Maßgeblich war zunächst die Frage, ob ein gemeingefährliches Mittel vorliegt, wobei die Tatsache, dass T den Brand in seinem Zimmer gelegt hat, die Gemeingefährlichkeit des Mittels nicht grundsätzlich ausschließt, vielmehr wohnt Handlungen wie der vorliegenden aufgrund ihrer naturgemäß fehlenden Beherrschbarkeit die Gemeingefährlichkeit bereits inne:

„Es gibt nach ihrer Eigenart grundsätzlich gemeingefährliche Mittel, bei denen allenfalls im Einzelfall die Beherrschbarkeit bejaht oder bei der speziellen Art ihrer Handhabung die Gefahr für eine Vielzahl von Menschen ausnahmsweise verneint werden kann. Dazu zählen Brandsetzungsmittel und Explosionsstoffe. Bei ihnen hat der Täter die Folgen seines Tuns typischerweise nicht in der Hand […]. An der gemeingefährlichen Verwendung fehlt es bei an sich nicht beherrschbaren Mitteln nur dann, wenn der Täter im konkreten Fall davon ausgeht, es könne dadurch nur die zur Tötung ins Auge gefasste Person getroffen werden.“ (Rn. 9)

Wichtig war außerdem die Abgrenzung zu „Mehrfachtötungen“, wobei es nach früherer Rspr. darauf ankam, ob sich die Tat trotz Einsatzes eines naturgemäß gemeingefährlichen Mittels gegen einen individualisierten Kreis von Personen richtet – dann war das Vorliegen dieses Mordmerkmals zu verneinen (s. BGH, Beschl. v. 18.7.2018 – 4 StR 170/18). Daran zweifelte der BGH aber nun:

„Es erscheint wertungswidersprüchlich, den Täter, der von vornherein eine konkrete Vielzahl von Opfern durch ein in seinem Gefahrenpotential nicht beherrschbares Mittel tötet, gegenüber demjenigen zu privilegieren, der ohne diese Konkretisierung aufgrund der Gemeingefahr des Tötungsmittels auch nicht bereits individualisierte Opfer in Kauf nimmt. Ausgehend von der bisherigen Rechtsprechung müsste in Fällen nicht weiterer Aufklärbarkeit der Tätervorstellung der Zweifelssatz für die Annahme sprechen, dem Täter sei es gerade auf die Tötung aller in die Gefahrenlage einbezogenen Personen angekommen. Weder die Formulierung noch der Sinn und Zweck des Mordmerkmals gebieten nach Ansicht des Senats eine solche Auslegung. Das gesetzliche Tatbestandsmerkmal stellt lediglich auf die vom Vorsatz umfasste Art des Tatmittels, nicht auf die Konkretisierung des Opfers in der Vorstellung des Täters ab. Die Unbestimmbarkeit des Opferkreises folgt vielmehr aus der besonderen Art des Tötungsmittels, das nach Freisetzung der in ihm ruhenden Kräfte für den Täter nicht mehr beherrschbar ist. Entscheidend muss es deshalb darauf ankommen, ob für den Angeklagten nicht mehr berechenbar ist, wie viele Menschen durch das Tatmittel verletzt und getötet werden können, weil er den Umfang der Gefährdung nicht beherrscht […]. Hat es der Täter bewusst nicht in der Hand, wie viele Menschen in den von ihm geschaffenen Gefahrenbereich geraten und durch sein Verhalten gefährdet werden, tötet er nach Ansicht des Senats auch dann mit gemeingefährlichen Mitteln, wenn er mit dem für ihn unbeherrschbaren Mittel eigentlich nur eine bestimmte Zahl konkreter Menschen töten will […].“ (Rn. 11 f.)

Im vorliegenden Fall fehlte aber sowieso die Individualisierung des Opferkreises, sodass die Frage i.E. nicht abschließend beurteilt werden musste.
Für weitere Details sei auf die ausführliche Besprechung von Melanie Jänsch verwiesen.
 

BGH, Beschl. vom 19.5.2020 – 4 StR 140/20: Habgier bei angestrebter staatlicher Versorgung in einer JVA?

Einen versuchten Mord aus Habgier nahm der BGH in vorliegendem Fall an: Der vermögenslose und nicht krankenversicherte A nahm sich vor, eine schwere Straftat begehen, um langfristig Unterkunft, Verpflegung und Krankenversorgung in einer JVA zu erhalten. In dieser Absicht fuhr er mit seinem Fahrzeug mit mindestens 80 km/h gezielt von hinten auf den auf einem Fahrradweg radelnden B auf. A wollte ihn erheblich verletzen. Zudem hielt er den Eintritt seines Todes ernsthaft für möglich und nahm ihn billigend in Kauf. B wurde von seinem Fahrrad geschleudert und erlitt durch den Aufprall und den Sturz schwere Verletzungen.
Zur Erinnerung:

„Habgier bedeutet ein Streben nach materiellen Gütern oder Vorteilen, das in seiner Hemmungslosigkeit und Rücksichtslosigkeit das erträgliche Maß weit übersteigt und das in der Regel durch eine ungehemmte triebhafte Eigensucht bestimmt ist. Voraussetzung hierfür ist, dass sich das Vermögen des Täters ‒ objektiv oder zumindest nach seiner Vorstellung ‒ durch den Tod des Opfers unmittelbar vermehrt oder dass durch die Tat jedenfalls eine sonst nicht vorhandene Aussicht auf eine Vermögensvermehrung entsteht.“ (2. a))

A wollte nun durch seine Tat lediglich eine langfristige Versorgung durch eine staatliche Einrichtung und dadurch eben auch eine Verbesserung seiner Vermögenslage i.S.e. rücksichtslosen Gewinnstrebens erreichen. Dass sich hiermit eine Begehung aus Habgier begründen lässt, wird auch nicht durch die Nachteile der Inhaftierung widerlegt, da diese für A nicht maßgeblich waren und er vornehmlich aufgrund der Vermögensvorteile handelte. Weiter begründet der BGH das Mordmerkmal der Habgier:

„Für die Annahme einer Tötung aus Habgier ist ferner unerheblich, dass der erstrebte Vermögensvorteil nicht unmittelbar aus dem Vermögen des Opfers stammen sollte. Ebenso steht einem Mordversuch aus Habgier nicht entgegen, dass der Angeklagte eine staatliche Versorgung auch auf legale Weise durch Beantragung von Sozialleistungen hätte erreichen können. Einen funktionalen Zusammenhang zwischen Tötung und Vermögensvermehrung in dem Sinne, dass der Angriff auf das Leben aus Sicht des Täters unerlässliches Mittel zur Zielerreichung ist, setzt das Mordmerkmal nicht voraus; entscheidend ist vielmehr die Motivation des Täters.“ (2. b)).

 

BGH, Beschl. v. 19.5.2020 – 6 StR 85/20: Erpresste Bankkarte und leeres Bankkonto

Der BGH traf ebenfalls am 19. Mai dieses Jahres einen Beschluss, wobei er die Anforderungen an einen Vermögensnachteil i.S.d. § 253 StGB darstellte. Der Sachverhalt ist schnell erzählt: T bedrohte O mit einer Schreckschusspistole und forderte ihn auf, am Automaten Geld abzuheben. Das gelang O aber nicht, da sein Konto nicht ausreichend gedeckt war. Daraufhin zwang T ihn unter Drohung mit der Waffe zur Aushändigung der EC-Karte und der PIN. Eine Strafbarkeit wegen Erpressung scheitert aber am Vermögensschaden:

„Zwar ist der Nachteil für das Vermögen i.S. des § 253 StGB gleichbedeutend mit der Vermögensbeschädigung beim Betrug, so dass auch schon eine bloße Vermögensgefährdung einen Vermögensnachteil darstellt. Dabei kommt es aber entscheidend darauf an, ob im Einzelfall durch die Verfügung das Vermögen konkret gefährdet, also mit wirtschaftlichen Nachteilen ernstlich zu rechnen ist. Durch die Kenntnis der geheimen Zugangsdaten zu einem Bankkonto ist das Vermögen des Opfers grundsätzlich beeinträchtigt, wenn sich der Täter zudem im Besitz der zugehörigen Bankkarte befindet und ihm deshalb die jederzeitige Zugriffsmöglichkeit auf den Auszahlungsanspruch des Berechtigten gegenüber der die Karte akzeptierenden Bank eröffnet ist.“ (Rn. 4)

Das setzt aber voraus, dass tatsächlich mit wirtschaftlichen Nachteilen zu rechnen ist, was hier jedoch mangels Deckung des Kontos nicht der Fall ist.
Auch hierbei handelt es sich also um eine Entscheidung, die man sich in Anbetracht der Examensrelevanz der einschlägigen Delikte zu Gemüte führen sollte.
 

BGH, Beschl. v. 23.6.2020 – 5 StR 164/20: Mehrfacher Einsatz einer fremden EC-Karte an demselben Geldautomaten

Noch ein EC-Karten-Fall hat den BGH diesen Juni beschäftigt, in konkurrenzrechtlicher Hinsicht: T erlangte EC-Karte und PIN des O. Daraufhin hob er an einem Geldautomaten der örtlichen Sparkasse zunächst 400 € und etwa eine Minute später weitere 600 € ab.

„Bei mehrfachem unberechtigtem Einsatz einer fremden ec-Karte an demselben Geldautomaten innerhalb kürzester Zeit – mit von vornherein auf die Erlangung einer möglichst großen Bargeldsumme gerichtetem Vorsatz – stellen die einzelnen Zugriffe eine einheitliche Tat nach § 263a StGB im materiellrechtlichen Sinne dar.“ (Rn. 3)

 
Strafprozessrecht

BGH, Beschl. v. 11.3.2020 – 4 StR 307/19: Kein Strafklageverbrauch durch Einstellung durch die Staatsanwaltschaft gem. § 153 Abs. 1 StPO

In einem Beschluss dieses Jahr stellte der BGH klar, dass eine Verfahrenseinstellung der Staatsanwaltschaft nach § 153 Abs. 1 StPO ohne Zustimmung des Gerichts kein Verfahrenshindernis begründet und der Aburteilung der Tat daher nicht entgegensteht, es kommt nicht mal ein begrenzter Strafklageverbrauch infrage. Das ist insofern anders als bei einer gerichtlichen Verfahrenseinstellung nach § 153 Abs. 2 StPO, nach der eine Verfahrensfortführung nur unter den Voraussetzungen des § 153a Abs. 1 S. 5 StPO möglich ist.

„Denn anders als bei einem gerichtlichen Beschluss nach § 153 Abs. 2 StPO, der auf der Grundlage einer auch für ein Urteil ausreichenden Sachverhaltsaufklärung ergehen kann, handelt es sich bei der staatsanwaltschaftlichen Einstellung nach § 153 Abs. 1 StPO strukturell um eine Entscheidung, der unter dem Gesichtspunkt des Verfahrensschutzes nicht die einem Urteilsverfahren ähnliche Verlässlichkeit zuzumessen ist. […] Da die Staatsanwaltschaft die von ihr […] verfügte Wiederaufnahme des Verfahrens auf neue Erkenntnisse und Tatsachen, die den Verdacht einer vorsätzlichen Tatbegehung begründeten, gestützt hat, liegt auch kein Verstoß gegen das Willkürverbot vor.“ (Rn. 4)

Alles in allem also eine Entscheidung, die sich gut in einer StPO-Zusatzfrage z.B. abfragen lässt, da man hier gut den Vergleich der Einstellung nach § 153 Abs. 1 StPO und der nach Abs. 2 ziehen kann.
 

BGH, Beschl. v. 27.5.2020 – 5 StR 166/20: Entzug des letzten Wortes bei Missbrauch

Kurz gehalten ist der Beschluss des BGH zu dem Fall, dass der Angeklagte eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragte, weil ihm nicht ausreichend Gelegenheit zum letzten Wort (§ 258 StPO) gegeben worden sei, als ihm nach fünf Tagen das Wort entzogen wurde:

„Nach zehn Tagen Beweisaufnahme konnte er fünf Tage lang Ausführungen zu seiner Verteidigung machen. Dass er durch die Vorsitzende dabei 31 mal darauf hingewiesen wurde, dass seine Ausführungen Wiederholungen und Weitschweifigkeiten enthalten, und ihm schließlich eine Frist zur Beendigung seiner Ausführungen gesetzt wurde, lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Denn ein Vorsitzender darf nach § 238 Abs. 1 StPO einschreiten, wenn sich die Ausführungen des Angeklagten in seinem letzten Wort mit nicht zur Sache gehörenden Umständen befassen, fortwährende Wiederholungen oder andere unnütze Weitschweifigkeiten enthalten oder sonst einen Missbrauch seines letzten Wortes darstellen. Nach mehrmaligen erfolglosen Ermahnungen ist auch der Entzug des letzten Wortes möglich.“ (Rn. 7)

 

Weitere Beiträge

Folgende Beiträge beschäftigen sich nicht mit Entscheidungen aus dem hier betrachteten Zeitraum, sind aber dieses Jahr erschienen und behandeln Examensrelevantes:
 
Unsere ausführliche Besprechung des Beschlusses des OLG Karlsruhe vom 13.3.2019 (1 Rv 3 Ss 691/18) zur Manipulation von Warenetiketten, wobei das Gericht über einen examensrelevanten Fall entschied, der sich im Kontext der Vermögens- und auch Urkundendelikte bewegt: Der Täter tauschte zwei Warenetiketten aus und zahlte an der Kasse in der Folge einen „falschen“ geringeren Preis, was der Kassiererin nicht auffiel. Er machte sich dadurch strafbar wegen Betrugs, woran sich im Hinblick auf den Vermögensschaden auch nichts dadurch ändert, dass er von einer Ladendetektivin beobachtet und vor Verlassen des Ladens aufgehalten wurde:

„Dass der von dem Täter erstrebte Vermögensvorteil erlangt oder auch nur erreichbar ist, ist hingegen wegen der überschießenden Innentendenz zur Tatbestandsvollendung nicht erforderlich. Danach ist erst recht dann von Vollendung auszugehen, wenn der Täter die rechtswidrig erstrebte Vermögensposition – wie hier Eigentum und Besitz an der Schlauchtrommel – bereits erlangt hat, diese aber noch nicht gegen die unmittelbar drohende Erhebung berechtigter Rückgabeansprüche des Geschädigten sichern konnte, weil er sich noch in dessen Herrschaftsbereich aufhält und seine Tat von einem im Auftrag des Geschädigten handelnden, eingriffsbereiten Dritten beobachtet wurde.“ (Rn. 22)

Eine Urkundenunterdrückung hat der Täter ebenfalls verwirklicht, denn das Etikett i.V.m. der Ware stellt eine zusammengesetzte Urkunde dar, die durch das Abreißen des Etiketts, um das Austauschen zu ermöglichen, vernichtet wurde. Eine Urkundenfälschung kam im konkreten Fall aber nicht in Betracht.
 
Der Beitrag von Dr. Lorenz Bode, in dem er klausurtaktische Hinweise zu dem Beschluss des BGH vom 6.6.2019 (STB 14/19) zu Beweisverwertungsverboten und Widerspruchslösung gibt. Hier wurde die Pflicht, dass Beweisverwertungsverbote im Ermittlungsverfahren „unabhängig von einem Widerspruch des Beschuldigten von Amts wegen zu beachten“ sind, „auch wenn der zugrundeliegende Verfahrensmangel eine für ihn disponible Vorschrift betrifft“, festgeschrieben.
 
Keine Gerichtsentscheidung, aber eine brandaktuelle Frage wird im Beitrag von Tobias Vogt behandelt: Es geht um die Strafbarkeit durch Ansteckung mit dem Coronavirus, die im Kontext einer Anzeige gegen eine Strafrichter wegen versuchter Körperverletzung, nachdem dieser auf die Durchführung einer Gerichtsverhandlung bestand, auch im Grundsatz betrachtet wird. Hierbei kommt die Möglichkeit einer Strafbarkeit wegen gefährlicher Körperverletzung, §§ 223, 224 StGB, in Betracht, die aber wohl häufig am fehlenden Vorsatz scheitern wird. Dann ist aber an eine fahrlässige Körperverletzung, § 229 StGB, denkbar. Bei tödlichem Verlauf ist natürlich an die Tötungsdelikte zu denken, auch ist immer der Versuch zu berücksichtigen.

03.08.2020/1 Kommentar/von Charlotte Schippers
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Charlotte Schippers https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Charlotte Schippers2020-08-03 08:16:002020-08-03 08:16:00Rechtsprechungsübersicht Strafrecht und Strafprozessrecht 1. Halbjahr 2020
Gastautor

Beweisverwertungsverbote und Widerspruchslösung: Kurze klausurtaktische Hinweise zu BGH, Beschl. v. 6.6.2019 – StB 14/19

Examensvorbereitung, Fallbearbeitung und Methodik, Lerntipps, Rechtsprechung, Referendariat, Schon gelesen?, Startseite, StPO, Strafrecht

Wir freuen uns, heute eine Gastbeitrag von Dr. Lorenz Bode veröffentlichen zu können. Lorenz Bode absolviert momentan sein Rechtsreferendariat.
 
Bei diesem – für die amtliche Entscheidungssammlung BGHSt vorgesehenen – Beschluss handelt es sich um eine sorgsam begründete, höchst examensrelevante Entscheidung, die es verdient, einmal im Volltext[1] gelesen zu werden. Sie betrifft insofern auch einen Aspekt, der in besonderer Weise für Referendare interessant ist:
Der BGH statuiert in einem dem Beschluss vorangestellten Leitsatz die Pflicht, dass Beweisverwertungsverbote im Ermittlungsverfahren „unabhängig von einem Widerspruch des Beschuldigten von Amts wegen zu beachten“ sind, „auch wenn der zugrundeliegende Verfahrensmangel eine für ihn disponible Vorschrift betrifft“.
Diese „Segelanweisung“ aus Karlsruhe enthält zugleich eine wichtige Klarstellung für die klausurmäßige Behandlung von Beweisverwertungsverboten mit Widerspruchsobliegenheit. Da Beweisverwertungsverbote im Ermittlungsverfahren – wie der BGH nunmehr ausdrücklich vorgibt – stets „unabhängig von einem Widerspruch des Beschuldigten“ und „von Amts wegen“ zu prüfen sind, entfaltet auch die sog. Widerspruchslösung[2] in eben jenem Verfahrensstadium noch keine unmittelbare Wirkung. Dies gilt einerseits mit Blick auf die Frage, ob die Widerspruchslösung nach aktueller Rechtsprechung[3] überhaupt auf den identifizierten Gesetzesverstoß Anwendung findet. Andererseits bleibt ein Widerspruchserfordernis grundsätzlich sowohl für die staatsanwaltschaftliche Entschließung zur Erhebung der öffentlichen Klage, also im Rahmen der Beurteilung, ob hinreichender Tatverdacht (vgl. §§ 170 Abs. 1, 203 StPO) besteht,[4] als auch bei der Anordnung einzelner Zwangsmittel unerheblich.[5]
Damit sind wichtige Weichen für die Staatsanwaltsklausur im Examen gestellt, was sich wie folgt auf den Punkt bringen lässt:

  1. Zur Begründung eines Verwertungsverbots kommt es auf die Beanstandung des Gesetzesverstoßes nicht an.
  2. Eine derartige Pflicht zur Beanstandung kann erst im Hauptverfahren bestehen.
  3. Hinweise im Sachverhalt, aus denen sich ergibt, dass der Beschuldigte bzw. sein Verteidiger einer Beweisverwertung rein vorsorglich schon im Ermittlungsverfahren widersprochen hat, müssen keineswegs zwingend zum Anlass genommen werden, eine umfassende Prognose über die (erneute) Widerspruchserklärung in der Hauptverhandlung anzustellen.
  4. Es genügt jedenfalls (und spart Zeit), im Gutachten auf die höchstrichterlich anerkannte Praxis hinzuweisen, nach der Beweisverwertungsverbote im Ermittlungsverfahren bereits von Amts wegen zu beachten sind.

[1]  Im Volltext auf juris abrufbar.
[2]  Vgl. nur Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 136 Rn. 25.
[3]  Jüngst dazu BGH, StV 2018, 772 mit treffender Anmerkung von Beining, HRRS 2018, 413; siehe ferner Kudlich, HRRS 2011, 114.
[4]  Vgl. auch BGH, StV 1997, 511.
[5]  Aus Verteidigersicht gilt hier freilich ein anderer Maßstab, vgl. dazu etwa Burhoff, StraFo 2003, 267; bei weiterführendem Interesse: Klemke/Elbs, Einführung in die Praxis der Strafverteidigung, 4. Aufl. 2019, Rn. 460.

06.04.2020/3 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2020-04-06 09:00:282020-04-06 09:00:28Beweisverwertungsverbote und Widerspruchslösung: Kurze klausurtaktische Hinweise zu BGH, Beschl. v. 6.6.2019 – StB 14/19
Dr. Lena Bleckmann

Grundlagen StPO: Ermittlung von Beweisverwertungsverboten

Examensvorbereitung, Lerntipps, Rechtsgebiete, Startseite, StPO, Strafrecht, Verschiedenes

Das Strafprozessrecht kommt bei Vielen im Studium zu kurz und dürfte eines der Gebiete sein, bei denen im Examen am häufigsten „auf Lücke“ gesetzt wird. Dabei lassen sich mit den häufigen StPO-Zusatzfragen am Ende der Klausur noch ein paar Punkte sammeln und für ihre Beantwortung genügen oft schon Grundlagenkenntnisse und Argumentationsgeschick. Ein beliebter Gegenstand solcher Zusatzfragen ist die Ermittlung von Beweisverwertungsverboten bei rechtswidriger Beweiserlangung. Dieser Beitrag soll einen Überblick über die Herangehensweise und die wichtigsten Stichpunkte zu diesem Thema geben.
I. Grundlage für ein Beweisverwertungsverbot
Zunächst ist zu unterscheiden, ob ein sog. Beweiserhebungsverboteinschlägig ist, oder ein bloßes Verwertungsverbot.
Beweiserhebungsverbote sind ausdrücklich normiert und verbieten die Erhebung zu einzelnen Beweisthemen oder unter Verwendung bestimmter Beweismittel oder ‑methoden. Verstößt eine Maßnahme gegen ein Beweiserhebungsverbot, können die hieraus gewonnen Erkenntnisse auch im Prozess nicht verwendet werden und weitere Überlegungen erübrigen sich. Die wichtigsten Beweiserhebungsverbote finden sich in § 100d Abs. 1 StPO (Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung), § 136a Abs. 3 S. 2 StPO (unzulässige Vernehmungsmethoden) und § 160a Abs. 1 S. 2 StPO (Erkenntnisse aus Maßnahmen gegen Berufsgeheimnisträger).
Schwieriger gestaltet sich die Ermittlung von Beweisverwertungsverboten. Hier ist zwischen selbständigen und unselbständigen Beweisverwertungsverboten zu unterscheiden.

  1. Selbständige Beweisverwertungsverbote

Solche regeln den Fall, dass Erkenntnisse unabhängig von der Rechtmäßigkeit ihrer Erlangung im Prozess nicht verwendet werden dürfen. Diese Verbote können ausdrücklich normiert sein oder aus den Grundrechtenhergeleitet werden.
Bsp: Trotz Rechtmäßigkeit der Maßnahme dürfen Erkenntnisse aus dem Bereich privater Lebensgestaltung gemäß § 100d Abs. 2 S. 1 StPO nicht verwendet werden. Auch rechtmäßig mitgehörte Selbstgespräche des Betroffenen sind unverwertbar, dies ergibt sich u.a. aus Art. 2 Abs. 1 GG (vgl. hierzu auch BGH, Urt. v. 22.12.2011 – 2 StR 209/10).

  1. Unselbständige Beweisverwertungsverbote

Diese sind indes die Folge rechtswidriger Beweisgewinnung und häufiger Klausurfall. Zu Beginn der Prüfung ist daher stets die Rechtmäßigkeit der in Frage stehenden Maßnahme zu überprüfen. Erst wenn diese verneint wurde stellt sich die Frage der Verwertbarkeit der erlangten Erkenntnisse.
Häufige Ursachen der Rechtswidrigkeit: Missachtung eines Richtervorbehalts; fehlerhafte Belehrung; fehlende Ermächtigungsgrundlage.
Wichtig: Aus der Rechtswidrigkeit allein folgt nie die Unverwertbarkeit! Ein solches allgemeines Beweisverwertungsverbot ist der StPO fremd und verstößt gegen den Amtsermittlungsgrundsatznach § 244 Abs. 2 StPO – hiernach hat das Gericht die Beweisaufnahme auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die von Bedeutung sind. Ein unselbständiges Beweisverwertungsverbot ist daher die Ausnahme, die sachlich begründet werden muss.
II. Vorgehen bei festgestellten Beweisermittlungsfehlern
Ist für den jeweiligen Verstoß ein ausdrückliches Verwertungsverbot normiert (selbständiges Verwertungsverbot, s.o.), erübrigen sich weitere Überlegungen, die Verwertung des Beweises scheidet aus.
Ist das hingegen nicht der Fall, ist eine Einzelfallentscheidung geboten. Hier wird die von der Rechtsprechung entwickelte Abwägungslehre zugrunde gelegt. Folgende Punkte sind zu prüfen:
– „Rechtskreistheorie“:Schützt die verletzte Verhaltensnorm überhaupt den Rechtskreis des Betroffenen? Wenn nicht, scheidet ein Verwertungsverbot aus.
– Interessenabwägungzwischen Ausmaß des staatlichen Aufklärungsinteresses und den Rechten des Betroffenen. Kriterien sind hierbei u.a. die Intensität des Tatverdachts, die Schwere der Straftat und die Schwere des Beweiserhebungsfehlers. Auch die Möglichkeit einer rechtmäßigen Alternativerlangung ist von Bedeutung – wäre es den Strafverfolgungsorganen auch möglich gewesen, das Beweismittel auf rechtmäßige Weise zu erlangen, spricht dies gegen ein Verwertungsverbot.
– Zwingend zur Unverwertbarkeit führen hingegen Willkür undbewusste, planmäßige Verstößeder Strafverfolgungsorgane sowie Verstöße gegen grundlegende Rechte. So führen z.B. Verstöße gegen Belehrungspflichten beim Beschuldigten wegen Verletzung des nemo-tenetur-Grundsatzes fast immer zu Beweisverwertungsverboten. Auch die bewusste Missachtung eines Richtervorbehalts kann zur Unverwertbarkeit führen.
III. Mögliche Ergebnisse
Wird ein unselbständiges Beweisverwertungsverbot nach der Interessenabwägung bejaht, muss der Beweis im Prozess unberücksichtigt bleiben. Andernfalls ist es dennoch möglich, die Rechtswidrigkeit der Beweiserlangung zu berücksichtigen. Dies kann z.B. im Rahmen der Beweiswürdigung durch das Gericht oder im Rahmen der Strafzumessung erfolgen.

  1. Weitere Probleme im Zusammenhang mit Beweisverwertungsverboten   

a. Fortwirkung von Beweisverwertungsverboten
Von Fortwirkungspricht man, wenn ein früherer Verfahrensfehler Auswirkungen auf spätere Verfahrenshandlungen hat. Das Problem stellt sich häufig beim Verstoß gegen Belehrungspflichten. Wurde der Beschuldigte nicht ordnungsgemäß belehrt und legt ein Geständnis ab, ist dieses wegen des Verstoßes gegen § 136 Abs. 1 S. 2 StPO und den nemo-tenetur-Grundsatznicht verwertbar. Fraglich ist dann, wie es sich auswirkt, wenn der Beschuldigte erneut, diesmal mit ordnungsgemäßer Belehrung, vernommen wird und erneut gesteht. Insoweit ist anerkannt, dass der Verstoß bei der ersten Vernehmung fortwirkt. Der Beschuldigte geht nun davon aus, dass Leugnen ohnehin keinen Zweck mehr habe. Die Selbstbelastungsfreiheit ist weiterhin beeinträchtigt. Auch die Erkenntnisse aus der zweiten Vernehmung wären somit nicht verwertbar. Etwas anderes gilt nur, wenn eine sog. Qualifizierte Belehrungvorgenommen wird: Der Beschuldigte wird hierbei darauf hingewiesen, dass die Erkenntnisse aus der ersten Vernehmung nicht verwertbar sind. In diesem Fall wird die Fortwirkung durchbrochen.  
b. Vorhalt unzulässiger Erkenntnisse
Wurden indes Erkenntnisse auf anderem Wege erlangt, als durch fehlerhafte Vernehmung – etwa durch eine rechtswidrige Durchsuchung – sind die Grundsätze zur qualifizierten Belehrung allerdings nicht ohne weiteres übertragbar (siehe hierzu aktuell BGH, Urt. v. 3.5.2018 – 3 StR 390/17). Gesteht der Beschuldigte, weil ihm Erkenntnisse vorgehalten werden, die auf rechtswidrigem Wege erlangt wurden, findet eine Abwägung nach den oben aufgeführten Kriterien statt.
c. Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten
Von der anerkannten Möglichkeit der Fortwirkung zu unterschieden ist die Fernwirkung eines Verwertungsverbots. Hierbei geht es um die Frage, ob neue Beweismittel, die infolge von Erkenntnissen erhoben werden, die aufgrund eines Verwertungsverbots selbst nicht verwendet werden dürfen, auch von diesem Verbot erfasst werden.
Bsp: Bei einer rechtswidrigen Überwachung nach § 100d Abs. 2 S. 1 StPO wird ein Gespräch angehört, aus dem sich ein Versteck weiterer Beweismittel ergibt. Können diese im Prozess verwendet werden?
Nach der nur vereinzelt vertretenen „Fruit of the poisonous tree“-Lehrebesteht hier eine Fernwirkung, sodass auch die aufgefundenen Beweismittel nicht verwendet werden können.
Dem wird von der hM entgegengehalten, dass ein Fehler zu Beginn des Strafverfahrens dieses im Ganzen verhindern könnte. Ausnahmen können sich nur im Zusammenhang mit besonders schwerwiegenden Verstößen ergeben.
Fazit
Beweisverwertungsverbote sind ein immer wiederkehrendes Thema in Examensklausuren mit strafprozessrechtlichem Einschlag. Bei der ersten Lektüre kann der Eindruck entstehen, dass zur richtigen Lösung solcher Problemstellungen die Kenntnis einer Vielzahl von Entscheidungen notwendig ist. Zwar ist die Rechtsprechung zu dem Thema tatsächlich sehr umfangreich, in der Klausur im ersten Staatsexamen geht es allerdings nicht um die Kenntnis aller Einzelfälle, sondern um die systematische Problemlösung. Mit der hier vorgeschlagenen Vorgehensweise und etwas Fingerspitzengefühl für den Einzelfall sollte dies ohne Probleme gelingen.

31.01.2019/1 Kommentar/von Dr. Lena Bleckmann
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Lena Bleckmann https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Lena Bleckmann2019-01-31 09:00:092019-01-31 09:00:09Grundlagen StPO: Ermittlung von Beweisverwertungsverboten
Nicolas Hohn-Hein

BVerfG: Zum Beweisverwertungsvebot bei „verfassungswidriger“ Ermächtigungsgrundlage

BVerfG Leitentscheidungen & Klassiker, Öffentliches Recht, Rechtsprechung, Verfassungsrecht

In einer kürzlich ergangenen Entscheidung (Beschluss vom 7. Dezember 2011 – 2 BvR 2500/09, 2 BvR 1857/10) hat sich das Bundesverfassungsgericht unter anderem mit der Frage beschäftigt, ob eine polizeilich-präventive Maßnahme (akustische Wohnraumüberwachung) im Strafprozess verwertet werden kann, obwohl die dazugehörige Ermächtigungsgrundlage zu diesem Zeitpunkt nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen des BVerfG entsprach. Der materiell-strafrechtliche Aspekt der verfassungswidrigen (Art. 103 Abs.2 GG) Verurteilung des BGH wegen Eingehungsbetrugs wird im Folgenden jedoch außen vor gelassen und in einem späteren Beitrag näher behandelt.

Sachverhalt (verkürzt)
A, B und C sind Mitglieder einer bekannten Terrorgruppe. Um sich finanzielle Mittel für ihre Operationen zu beschaffen, beschließen sie, Lebensversicherungen abzuschließen. Sodann wollen sie den Tod des C fingieren und die Versicherungssume einstreichen.

Im Juni 2004 wird die Polizei des Landes L auf A, B und C aufmerksam und lässt  über mehrere Monate deren Wohnraum akustisch überwachen. Die richterliche Anordnung dieser Überwachungsmaßnahmen erging auf Grundlage des § 29 des Rheinland-Pfälzischen Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes (POG RP). Noch im selben Jahr, am 3. März 2004, hatte das Bundesverfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit der parallelen Regelungen in der StPO zur akustischen Wohnraumüberwachung festgestellt, da ein ausreichender Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung nicht gesichert sei. Eine entsprechende Anpassung der polizeilich-präventiven Regelung des § 29 POG RP tritt erst 2005 in Kraft.

In dem gegen A, B und C laufenden Strafverfahren werden gleichwohl die aus der Überwachung erlangten Erkenntnisse verwertet, sodass es letztinstanzlich zu einer Verurteilung kommt. A, B und C erheben Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidung. § 29 POG RP sei immerhin nicht verfassungskonform gewesen, da er inhaltlich nicht den Vorgaben des BVerfG (Urteil vom 3. März 2004 – 1 BvR 2378/98 und 1 BvR 1084/99) entsprochen habe, sodass es zu einer Beweisverwertung nicht hätte kommen dürfen. Dies verletze ihr Recht auf eine faires Strafverfahren sowie ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht.

Ist die Verfassungsbeschwerde begründet?

 Kollision des § 29 POG RP mit BVerfG-Rechtssprechung führt nicht automatisch zu Beweisverwertungsverbot
Das BVerfG stellt klar, dass allein aus der (sehr wahrscheinlichen) Verfassungswidrigkeit einer Ermächtigungsgrundlage (hier: Ermächtigung zur akustischen Wohnraumüberwachung) noch kein Beweisverwertungsverbot (BVV) in einem Strafverfahren geschlossen werden kann. Ein BVV ist (jedenfalls bei selbständigen BVV) erst anhand einer Abwägungsentscheidung durch das Gericht zu bestimmen, nämlich ob im konkreten Fall der Kernbereich privater Lebensgestaltung ausreichend Berücksichtigung gefunden hat. Vorliegend argumentiert das BVerG in diesem Zusammenhang anhand des Rechts auf ein faires Verfahren („fair trial“) und lehnt eine BVV ab. Darüber hinaus hatten die Beschwerdeführer schon nicht ausreichend dargelegt, worin genau die Eingriffe in den Kernbereich bestanden haben

Das Recht auf ein faires Verfahren hat seine Wurzeln im Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit den Freiheitsrechten und Art. 1 Abs. 1 GG und gehört zu den wesentlichen Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Verfahrens. Am Recht auf ein faires Verfahren ist die Ausgestaltung des Strafprozesses zu messen, wenn und soweit keine spezielle verfassungsrechtliche Gewährleistung existiert. Das Recht auf ein faires Verfahren enthält keine in allen Einzelheiten bestimmten Ge- oder Verbote; vielmehr bedarf es der Konkretisierung je nach den sachlichen Gegebenheiten. Eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren liegt erst vor, wenn eine Gesamtschau auf das Verfahrensrecht auch in seiner Auslegung und Anwendung durch die Fachgerichte ergibt, dass rechtsstaatlich zwingende Folgerungen nicht gezogen worden sind oder rechtsstaatlich Unverzichtbares preisgegeben worden ist.

Im Rahmen dieser Gesamtschau sind nicht nur die Rechte des Beschuldigten, insbesondere prozessuale Rechte und Möglichkeiten mit der erforderlichen Sachkunde wahrnehmen und Übergriffe der staatlichen Stellen oder anderer Verfahrensbeteiligter angemessen abwehren zu können, sondern auch die Erfordernisse einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege in den Blick zu nehmen. Das Rechtsstaatsprinzip gestattet und verlangt die Berücksichtigung der Belange einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege, ohne die der Gerechtigkeit nicht zum Durchbruch verholfen werden kann. Es besteht daher die verfassungsrechtliche Pflicht des Staates, eine funktionstüchtige Strafrechtspflege zu gewährleisten. Diese muss dem Schuldgrundsatz Rechnung tragen, der sich aus der Garantie der Würde und Eigenverantwortlichkeit des Menschen (Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG) sowie aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) ergibt. Danach ist jede strafende Ahndung einer Tat ohne Schuld des Täters ausgeschlossen. […]

 Die Verwertbarkeit rechtswidrig erhobener oder erlangter Informationen ist am Recht auf ein faires Verfahren zu messen.

 Es existiert keine andere verfassungsrechtliche Gewährleistung, aus der sich ein vollständiger Maßstab für die Verwertbarkeit von rechtswidrig erhobenen oder verwendeten Informationen ergibt. Soweit es um die Verwertung personenbezogener Informationen geht, ist zwar auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht berührt. Die Frage eines Verwertungsverbots kann sich aber auch in Bezug auf Informationen stellen, deren Gewinnung oder Verwertung nicht oder nicht nur das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Angeklagten berührt. Insbesondere müssen dem Angeklagten – unabhängig von der Frage, ob die Verwertung einer Information sein allgemeines Persönlichkeitsrecht berührt – hinreichende Möglichkeiten verbleiben, auf Gang und Ergebnis des Verfahrens Einfluss zu nehmen. Außerdem sind Mindesterfordernisse an eine zuverlässige Wahrheitserforschung zu wahren. Wegen der umfassenderen Schutzwirkung des Rechts auf ein faires Verfahren sind die Auswirkungen eines Rechtsverstoßes bei der Informationserhebung oder -verwendung daher in erster Linie an dieser Gewährleistung zu messen.

 Ein Beweisverwertungsverbot stellt von Verfassungs wegen eine begründungsbedürftige Ausnahme dar, weil es die Beweismöglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden zur Erhärtung oder Widerlegung des Verdachts strafbarer Handlungen einschränkt und so die Findung einer materiell richtigen und gerechten Entscheidung beeinträchtigt. Grundrechtsverletzungen, zu denen es außerhalb der Hauptverhandlung gekommen ist, führen daher nicht zwingend dazu, dass auch das auf dem Inbegriff der Hauptverhandlung beruhende Strafurteil gegen Verfassungsrecht verstößt. Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist ein Beweisverwertungsverbot geboten, wenn die Auswirkungen des Rechtsverstoßes dazu führen, dass dem Angeklagten keine hinreichenden Möglichkeiten zur Einflussnahme auf Gang und Ergebnis des Verfahrens verbleiben, die Mindestanforderungen an eine zuverlässige Wahrheitserforschung nicht mehr gewahrt sind oder die Informationsverwertung zu einem unverhältnismäßigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht führen würde. Zudem darf eine Verwertbarkeit von Informationen, die unter Verstoß gegen Rechtsvorschriften gewonnen würden, nicht bejaht werden, wo dies zu einer Begünstigung rechtswidriger Beweiserhebungen führen würde. Ein Beweisverwertungsverbot kann daher insbesondere nach schwerwiegenden, bewussten oder objektiv willkürlichen Rechtsverstößen, bei denen grundrechtliche Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen worden sind, geboten sein.

 Vorliegend wurde durch das Urteil des BGH diesen Grundsätzen nicht widersprochen.

 Rechtsgrundlage für die Beweisverwertung in einem strafgerichtlichen Urteil ist § 261 StPO. Dem Wortlaut dieser Vorschrift lassen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass die Verwertung rechtswidrig erhobener oder erlangter Informationen nicht oder nur eingeschränkt zulässig ist. Die Strafprozessordnung enthält keine allgemeinen Regelungen zu der Frage, welche Rechtsfolgen eine rechtswidrige Erhebung oder Verwendung von Informationen nach sich zieht; dies ist nur ausnahmsweise geregelt (vgl. § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO). Auch Verwendungs- und Verwertungsverbote, die nicht an eine rechtswidrige Informationserhebung oder -verwendung anknüpfen, sind jeweils nur für Einzelfälle ausdrücklich angeordnet (vgl. etwa § 100a Abs. 4 Satz 2, § 100c Abs. 5 Satz 3, Abs. 6 Satz 2, § 100d Abs. 5 Nr. 1, § 100i Abs. 2 Satz 2, […]).

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs führt ein Rechtsverstoß bei der Beweiserhebung nicht ohne Weiteres zur Unverwertbarkeit der dadurch erlangten Erkenntnisse. Es bedarf in jedem Einzelfall einer Abwägung der für und gegen die Verwertung sprechenden Gesichtspunkte. Für die Verwertbarkeit spricht stets das staatliche Aufklärungsinteresse, dessen Gewicht im konkreten Fall vor allem unter Berücksichtigung der Verfügbarkeit weiterer Beweismittel, der Intensität des Tatverdachts und der Schwere der Straftat bestimmt wird. Auf der anderen Seite muss berücksichtigt werden, welches Gewicht der Rechtsverstoß hat. Dieses wird im konkreten Fall vor allem dadurch bestimmt, ob der Rechtsverstoß gutgläubig, fahrlässig oder vorsätzlich begangen wurde, welchen Schutzzweck die verletzte Vorschrift hat, ob der Beweiswert beeinträchtigt wird, ob die Beweiserhebung hätte rechtmäßig durchgeführt werden können und wie schutzbedürftig der Betroffene ist. Verwertungsverbote hat der Bundesgerichtshof insbesondere bei grober Verkennung oder bewusster Missachtung der Rechtslage angenommen.[…]

 Dies deckt sich auch mit den Anforderungen der Europäischen Menschenrechtskonvention. Danach ist die Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweise an den Maßstäben des fairen Verfahrens nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK zu messen. Ob ein Verfahren fair war, ist nach Prüfung der Gesamtumstände zu entscheiden (vgl. […] EGMR, Urteil vom 1. Juni 2010 – 22978/05 -, Gäfgen/Deutschland, NJW 2010, S. 3145 <3148 ff.>). […]

Das BVerfG sieht die sog. Abwägungslösung des BGH als verfassungskonformes Instrument an, mit dem ein BVV bestimmt werden kann.

Die Abwägungslösung des Bundesgerichtshofs und die von ihm herangezogenen Kriterien entsprechen den verfassungsrechtlichen Anforderungen, die sich aus dem Recht auf ein faires Verfahren ergeben.[…] Das Bundesverfassungsgericht prüft die von den Fachgerichten vorgenommene Abwägung nicht im Einzelnen nach. Die Beurteilung der Frage, welche Folgen ein möglicher Rechtsverstoß hat und ob er zu einem Beweisverwertungsverbot führt, obliegt in erster Linie den zuständigen Fachgerichten. Das Bundesverfassungsgericht beschränkt sich auf die Kontrolle, ob die Fachgerichte in verfassungsrechtlich erheblicher Weise den Schutzbereich einer verletzten Norm und eines betroffenen Grundrechts verkannt, die weiteren Anforderungen für die Annahme eines Verwertungsverbots nach einem Rechtsverstoß bei der Informationserhebung oder -verwendung überspannt und rechtsstaatliche Mindeststandards gewahrt haben.

 Hier hat der BGH alle entscheidenden Gesichtspunkte bei der Abwägung berücksichtigt, denn

 [d]ie Ermächtigungsgrundlage des § 29 Abs. 1 POG RP 2004 ist hinreichend bestimmt. Ihre Tatbestandsvoraussetzung „zur Abwehr einer dringenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ entspricht dem Wortlaut des Art. 13 Abs. 4 Satz 1 GG; daraus ergibt sich eine ausreichende Beschreibung der Eingriffsvoraussetzungen und Einschränkung der Eingriffsbefugnisse. Insbesondere ermöglicht die Vorschrift keine allgemeine Vorsorge für die Verhütung oder Verfolgung künftiger Straftaten, da die Begrenzung des Eingriffs auf die Abwehr „dringender“ Gefahren neben dem Ausmaß auch die Wahrscheinlichkeit des Schadens in Bezug nimmt.

 Die Fachgerichte sind in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 POG RP 2004 vorlagen. Insbesondere beruht die Annahme, dass die Maßnahme zur Abwehr einer dringenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit erfolgte, auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage und einem zutreffenden Prüfungsmaßstab.[…]

Keine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art.2 Abs.1 i.V.m. Art.1 Abs.1 GG
Das BVerfG bejaht zwar einen Eingriff in das APR, sieht diesen aber vor dem Hintergrund des (insgesamt verfassungsgemäßen)
§ 261 StPO gerechtfertigt. Im Folgenden führt das Gericht aus, warum Art.2 Abs.1 i.V.m. Art.1 Abs.1 GG durch § 261 StPO beschränkt werden darf.

Die Beschränkung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist zum Schutz überwiegender Allgemeininteressen zulässig durch ein Gesetz oder auf Grundlage eines Gesetzes, das Voraussetzungen und Umfang der Beschränkung hinreichend klar umschreibt und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügt.[…]

Das Gewicht des in der Verwertung liegenden Eingriffs hängt maßgeblich davon ab, welchen Grad an Persönlichkeitsrelevanz die betroffenen Informationen haben und auf welchem Weg sie erlangt wurden. Die Eingriffsintensität ist insbesondere dann gesteigert, wenn die ursprüngliche Erhebung der verwerteten Informationen mit einem Eingriff in Art. 10 oder Art. 13 GG verbunden war. Demgegenüber hat das mit der Beschränkung verfolgte Ziel besonderes Gewicht, wenn ihm Verfassungsrang zukommt.[…]

Als Rechtsgrundlage für die Verwertung personenbezogener Informationen entspricht § 261 StPO dem Gebot der Normenbestimmtheit und Normenklarheit. Nach §§ 155, 264 StPO erfolgt die Informationsverwertung allein zur Sachverhaltsaufklärung und -feststellung, soweit dies im Rahmen der angeklagten prozessualen Tat für die richterliche Entscheidungsfindung erforderlich ist. Eine größere Regelungsdichte ist nicht erforderlich 

§ 261 StPO entspricht bei verfassungskonformer Anwendung, die in Ausnahmefällen ein Verwertungsverbot anerkennt, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Unverhältnismäßige Eingriffe sind bereits durch die Verfahrensstruktur regelmäßig ausgeschlossen; verbleibenden Ausnahmefällen kann durch ein Verwertungsverbot begegnet werden.

Die Verwertung personenbezogener Informationen in strafgerichtlichen Urteilen dient Zwecken, die Verfassungsrang haben. Sie erfüllt die verfassungsrechtliche Pflicht des Staates, eine funktionstüchtige Strafrechtspflege zu gewährleisten; zentrales Anliegen des Strafprozesses ist die vollständige Ermittlung des wahren Sachverhalts. Abschließendes und notwendiges Element dieser Sachverhaltsaufklärung ist die nach der Beweiserhebung erfolgende tatrichterliche Überzeugungsbildung auf Grundlage der zur Verfügung stehenden – gerade auch personenbezogenen – Informationen.

In Strafverfahren wird, soweit es um die Verwertung rechtmäßig erhobener Daten geht, die Verhältnismäßigkeit der Informationsverwertung im Urteil in aller Regel bereits durch Beschränkungen der vorangehenden Informationserhebung gewährleistet, da zahlreiche Ermittlungsmaßnahmen und Beweiserhebungen nur unter einschränkenden Voraussetzungen zulässig sind. Dies ist insbesondere der Fall, wenn diese in Grundrechte mit qualifiziertem Schrankenvorbehalt eingreifen. Außerdem muss bei jeder strafprozessualen Eingriffsmaßnahme im Einzelfall der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt sein.

Die Informationsverwertung ist in aller Regel auch dann verhältnismäßig, wenn – wie im vorliegenden Ausgangsverfahren – die Informationen ursprünglich zu einem anderen Zweck erhoben wurden und somit der weiteren Verwendung im Strafverfahren eine Zweckänderung vorangegangen ist. Eine solche Zweckänderung unterliegt materiellen Beschränkungen. Der Verwendungszweck, zu dem die Erhebung erfolgt ist, und der veränderte Verwendungszweck dürfen nicht miteinander unvereinbar sein. Eine solche Unvereinbarkeit läge vor, wenn mit der Zweckänderung grundrechtsbezogene Beschränkungen des Einsatzes bestimmter Erhebungsmethoden umgangen würden, die Informationen also für den geänderten Zweck nicht oder nicht in dieser Art und Weise hätten erhoben werden dürfen („hypothetischer Ersatzeingriff“;[…]

§ 261 StPO verstößt auch nicht gegen das Zitiergebot Art. Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG, da letzteres auf § 261 StPO keine Anwendung finde.

Fazit
Der Beschluss beschäftigt sich mit der sehr examensrelevanten Frage, wann ein Beweisverwertungsverbot gegeben ist. Das BVerfG bekennt sich in seiner Entscheidung recht instruktiv zur Abwägungslösung des BGH, selbst wenn die angewendete Ermächtigungsvorschrift, aus der die im Prozess verwerteten Informationen stammen, zum Zeitpunkt der Maßnahme sehr wahrscheinlich verfassungswidrig war. Auch hier kommt es auf eine verfassungskonforme Auslegung der Norm an und auf die Frage, ob im konkreten Fall der Kernbereich privater Lebensgestaltung bei der Rechtsanwendung ausreichend geschützt worden war.

Der BGH hat sich vor kurzem in einer wichtigen Entscheidung ebenfalls zu der Verwertung abgehörter Selbstgespräche geäußert. Daneben war Blutentnahme nach einer Trunkenheitsfahrt ohne Richtervorbehalt (und anschließender Verwertung der Ergebnisse im Strafverfahren) bereits Gegenstand einer Examensklausur im Strafrecht (1. Examen, Oktober 2011, NRW), sowie eines Aktenvortrags (2. Examen, Oktober 2011, NRW). Sehr gut dargestellt auch in der August-Ausgabe (2011) bei FAMOS („Fall des Monats“). Ein guter Zeitpunkt also, den Stoff rund um Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverboten nochmal zu wiederholen.

04.01.2012/0 Kommentare/von Nicolas Hohn-Hein
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Nicolas Hohn-Hein https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Nicolas Hohn-Hein2012-01-04 17:28:532012-01-04 17:28:53BVerfG: Zum Beweisverwertungsvebot bei „verfassungswidriger“ Ermächtigungsgrundlage
Dr. Christoph Werkmeister

BGH zu Beweisverwertungsverboten bei Selbstgesprächen

Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?, StPO, Strafrecht, Strafrecht

Ich weiß auch nicht, warum gerade in der Weihnachtszeit auf einmal so viele examensrelevante Konstallationen von den deutschen Gerichten entschieden werden müssen…
Gleichwohl konkretisierte der BGH heute seine Rechtsprechung zur Frage der Verwertbarkeit von Selbstgesprächen als Beweismittel im Strafprozess (Urt. v. 22.12.2011, Az. 2 StR 509/10).
Beweisvertungsverbot im Einzelfall

Der BGH entschied, dass die Selbstgespräche im zu entscheidenden Fall nicht hätten zur Überführung der Angeklagten im Strafprozess verwendet werden dürfen. Insoweit bestand nach Auffassung des Gerichts ein Beweisverwertungsverbot. Mit der heimlichen Aufzeichnung und Verwertung des nichtöffentlich geführten Selbstgesprächs war ein Eingriff in den nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG absolut geschützten Kernbereich der Persönlichkeit verbunden.

Maßgeblich für die Bewertung war nach den BGH eine Abwägung und Gesamtbetrachtung der maßgeblichen Umstände des konkreten Falles. Nicht jedes Selbstgespräch einer Person sei ohne Weiteres dem vor staatlichen Eingriffen absolut geschützten Kernbereich der Persönlichkeit zuzuordnen. Andererseits müsse nach den Grundätzen des Schutzes der Menschenwürde und der Freiheit der Person ein Kernbereich privater Lebensgestaltung und Lebensäußerung verbleiben, in welchen der Staat auch zur Aufklärung schwerer Straftaten nicht eingreifen dürfe.

Der Grundsatz, dass „die Gedanken frei“ und dem staatlichen Zugriff nicht zugänglich sind, beschränkt sich nicht allein auf innere Denkvorgänge , sondern erfasst auch ein in – unbewussten oder bewussten, unwillkürlich oder willkürlich geführten – Selbstgesprächen formuliertes Aussprechen von Gedanken, bei welchem sich die Person als „allein mit sich selbst“ empfindet.

Wichtige Kriterien für die Entscheidung, ob Äußerungen in Selbstgesprächen diesem innersten, unantastbaren Bereich der Persönlichkeit zuzuordnen sind, sind namentlich

  • die Eindimensionalität der Selbstkommunikation, also die Äußerung ohne kommunikativen Bezug;
  • die Nichtöffentlichkeit der Äußerungssituation und das Maß des berechtigten Vertrauens der Person darauf, an dem jeweiligen Ort vor staatlicher Überwachung geschützt zu sein;
  • die mögliche Unbewusstheit der verbalen Äußerung;
  • die Identität der Äußerung mit den inneren Gedanken ,
  • die Äußerungsform als bruchstückhafter, auslegungsfähiger oder –bedürftiger Ausschnitt eines „Gedankenflusses“.

Aus dem Umstand, dass eine Äußerung innerhalb des nach Art. 13 GG geschützten Bereichs der Wohnung fällt, lässt sich nach der gesetzlichen Systematik zwar ein verstärkendes Indiz für die Zuordnung zum geschützten Kernbereich ableiten. Auch außerhalb der Wohnung ist dieser Kernbereich aber absolut geschützt, wenn andere der genannten Gesichtspunkte in der Wertung überwiegen. So lag es im zu entscheidenden Fall. Der gegen die Zuordnung zum Kernbereich der Persönlichkeit sprechende Sozialbezug der Äußerungen, der in ihrem möglichen oder tatsächlichen Bezug auf eine schwere Straftat lag, trat dagegen zurück.

Andere Linie als bei Tagebüchern

In der Flüchtigkeit und Bruchstückhaftigkeit des in Selbstgesprächen gesprochenen Worts ohne kommunikativen Bezug liegen nach Ansicht des BGH  rechtlich Unterschiede etwa zu Eintragungen in Tagebüchern.

Aufzeichnungen in einem Tagebuch können nach Rechtsprechung des BGH und BVerfG zwar zum Kernbereich privater Lebensgestaltung gehören, so dass sie unverwertbar sind. Führt jedoch jemand Aufzeichnungen über äußere Geschehensabläufe, beispielsweise über den Hergang einer von ihm verübten Straftat, können diese Aufzeichnungen verwertet werden, wenn die Interessen der Strafrechtspflege an der Aufklärung dieser Straftat die Interessen des Tagebuchführers überwiegen.

22.12.2011/1 Kommentar/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2011-12-22 20:43:262011-12-22 20:43:26BGH zu Beweisverwertungsverboten bei Selbstgesprächen
Samuel Ju

BGH Urteil zum Verwertungsverbot für verdecktes Verhör eines inhaftierten Beschuldigten

Schon gelesen?, StPO, Strafrecht, Strafrecht

Über das Strafrecht Online Blog von RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D bin ich auf eine aktuelle Entscheidung des BGH zum Verwertungsverbot bei einem verdeckten Verhör eines inhaftierten Beschuldigten durch einen als Besucher getarnten nicht offen ermittelnden Polizeibeamten unter Zwangseinwirkung aufmerksam geworden. Das Urteil eignet sich sowohl für die StPO-Zusatzfrage in der Strafrecht Examensklausur als auch für die mündliche Prüfung.
Sachverhalt
Der nach seiner Übersiedlung aus der DDR nach Westberlin zu gewissem Wohlstand gelangte Angeklagte scheute wegen befürchteter finanzieller Nachteile die Scheidung von seiner Ehefrau. Er bot in den Jahren 1998 bis 2005 mehreren Personen Geld, um sie dazu zu bewegen, seine Frau zu töten. Dies führte zur Verurteilung des Angeklagten wegen versuchter Anstiftung zum Mord zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren.
In der Haftanstalt Tegel ließ sich der Angeklagte von einem Mitgefangenen davon überzeugen, die Ehefrau – gegen einen erheblichen finanziellen Vorteil beim Kauf einer Immobilie – von seinen angeblichen Gefolgsleuten, Mitgliedern der „Bandidos“, auf professionelle Weise durch einen fingierten Autounfall umbringen zu lassen. Der Mitgefangene offenbarte sich der Gefängnisleitung und arbeitete mit der Polizei zusammen. Nach deren Einschätzung ergab ein aufgezeichnetes Gespräch (§ 100f StPO) der beiden Gefangenen während eines Hofgangs kein eindeutiges Tatbekenntnis des Angeklagten. Um dieses zu erreichen, verlangte ein als Gesandter des Mitgefangenen auftretender nicht offen ermittelnder Polizeibeamter von dem Angeklagten bei einem Besuch in der JVA unter Vorlage zweier Bilder – seine Ehefrau und eine ähnlich aussehende Frau zeigend – zu bekennen, welche der Frauen die zu tötende sei. Der Angeklagte, der es zunächst abgelehnt hatte, über diese Angelegenheit überhaupt zu sprechen, identifizierte die zu tötende Frau, nachdem der Polizeibeamte geäußert hatte, dass notfalls beide Frauen umgebracht würden. Auf dieses von dem Polizeibeamten als Zeuge bekundeten Tatbekenntnis des Angeklagten hat das Schwurgericht Berlin maßgeblich die Verurteilung des Angeklagten wegen Annahme des Erbietens zur Begehung eines Mordes (§ 30 Abs. 2 StGB) zu der Freiheitsstrafe von sieben Jahren gestützt.
Entscheidung
Auf die Revision des Angeklagten hat der 5. (Leipziger) Strafsenat des Bundesgerichtshofs diese Verurteilung auf eine die Verwertung dieses Tatbekenntnisses gestützte Verfahrensrüge aufgehoben. Das verdeckte Verhör durch den nicht offen ermittelnden Polizeibeamten in der Haft sei wegen des von dem Beamten aufgebauten Aussagezwangs unverwertbar. Das Verhalten des Polizeibeamten habe die objektive Voraussetzungen einer Nötigung mit einem empfindlichen Übel (§ 240 Abs. 1 StGB) wegen der Verantwortlichkeit des Angeklagten für ein nicht gewolltes zweites Tötungsverbrechen erfüllt. Hierdurch sei in den Kernbereich des dem Angeklagten zustehenden Rechts auf Selbstbelastungsfreiheit (nemo tenetur se ipsum accusare) und damit in sein Recht auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 6 Abs. 1 MRK) eingegriffen worden.
Hier findet ihr das Urteil im Volltext.
Beschluss vom 18. Mai 2010 – 5 StR 51/10 LG Berlin – (540) 1 Kap Js 179/07 Ks (13/08) – Urteil vom 13. Februar 2009

14.06.2010/0 Kommentare/von Samuel Ju
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Samuel Ju https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Samuel Ju2010-06-14 21:48:362010-06-14 21:48:36BGH Urteil zum Verwertungsverbot für verdecktes Verhör eines inhaftierten Beschuldigten
Dr. Simon Kohm

BAG – Heimliches Mithören von Telefongesprächen und Beweisverwertungsverbot

Arbeitsrecht, Zivilrecht, ZPO

Vorliegend hatte sich das BAG im Kern mit dem Problem des heimlichen Abhörens von Telefongesprächen zu befassen, insbesondere im Hinblick auf ein eventuelles Verwertungsverbot der daraus gewonnen Beweise.
Aufhänger bildete vorliegend eine Klage einer Arbeitnehmerin (AN) gegen ein Zeitarbeitsunternehmen (AG). Im Rahmen dieses Prozesses ging es unter anderem um eine angebliche Aufforderung der Personaldisponentin der AG, die AN solle trotz ihrer Arbeitsunfähigkeit zur Arbeit kommen, andernfalls müsse sie mit einer Kündigung rechnen. Solch eine Aussage würde eine unzulässige Maßregelung iSv. §612a BGB darstellen. Problematisch gestaltete sich nun die Beweiserhebung hinsichtlich dieser Aussage, die von der AG bestritten wurde. Die AN gab an, dass eine Freundin besagtes Telefongespräch mitgehört habe und so ihre (der AN) Angaben iRe. Zeugenaussage bestätigen könne. Die Instanzgerichte haben die Klage der AN unter Hinweis auf ein Beweisverwertungsverbot bzgl. der Aussage der Freundin zurückgewiesen.
Das BAG führt unter Berücksichtigung der Rechtssprechung des BverfG aus, dass jedenfalls dann ein Beweisverwertungsverbot zu bejahen ist, wenn der Angerufenen es einem Dritten bewusst ermöglicht, das Gespräch ohne Wissen des Anrufers mitzuhören. Dies gebiete das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Anrufers, Art 1 I, 2 I GG. Denn jeder kann grundsätzlich selbst entscheiden, wer das eigene, gesprochene Wort zu Ohren bekommen soll.
Etwas anderes gelte nur dann, wenn der Angerufene nichts dazu beigetragen habe, dass das Gespräch mitgehört wurde. In diesem Fall überwiegen das Interesse des Angerufenen an einer Durchsetzung seiner (im Einzelfall grundrechtlich geschützten) Rechtspositionen und das Interesse der Allgemeinheit an einer materiellrechtlich richtigen Entscheidung regelmäßig das Allgemeine Persönlichkeitsrecht des Anrufers.
Zum tatsächlichen Ablauf wurden durch die Instanzgerichte noch keine Feststellungen getroffen.
Relevanz: Gerade im Hinblick auf das wichtige und sehr prüfungsrelevante Allgemeine Persönlichkeitsrecht kann auch für Studenten auf die vorliegende Entscheidung hingewiesen werden.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23. April 2009 – 6 AZR 189/08 –

26.04.2009/0 Kommentare/von Dr. Simon Kohm
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Simon Kohm https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Simon Kohm2009-04-26 14:50:132009-04-26 14:50:13BAG – Heimliches Mithören von Telefongesprächen und Beweisverwertungsverbot

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