Öffentliches Recht ÖII – Juni 2015 – 1. Staatsexamen NRW
Um die Gedächtnisprotokolle der Klausurrunde im Juni 2015 des 1. Staatsexamens in NRW zu komplettieren erhaltet ihr vorliegend auch die zweite gelaufene Klausur im Öffentlichen Recht. Vielen Dank für die Zusendungen an Marco. Ergänzungen und Korrekturanmerkungen sind wie immer gerne gesehen.
Unser Examensreport lebt von Eurer Mithilfe. Deshalb bitten wir Euch, uns Gedächtnisprotokolle Eurer Klausuren zuzuschicken, damit wir sie veröffentlichen können. Nur so können Eure Nachfolger genauso von der Seite profitieren, wie Ihr es getan habt. Unsere Adresse lautet examensreport@juraexamen.info. Weitere nützliche Hinweise findet ihr auch hier.
Sachverhalt
Die große kreisangehörige Stadt S verfügt über ein brachliegendes unbebautes Grundstück in einem allgemeinen Wohngebiet. Die Anwohner setzen sich dafür ein, dass die Stadt auf diesem Grundstück einen – bauplanungsrechtlich ohne weiteres zulässigen – Kinderspielplatz errichtet. Der Rat und der Bürgermeister von S halten jedoch nichts von diesem Vorhaben. Deshalb gründet sich eine Bürgerinitiative, deren Ziel es ist, ein Bürgerbegehren für den Bau des Spielplatzes zu initiieren. Zu dessen Vertretern werden A, B und C bestimmt.
A, B und C wenden sich an die Verwaltung, mit der Bitte um eine Kostenschätzung. Die Übermittlung besagter Kostenschätzung durch die Verwaltung erfolgt jedoch nicht.
Aufgabe 1: Können A, B und C gerichtlich die Übermittlung einer Kostenschätzung erwirken?
Fortsetzungsteil 1:
Nachdem Die Verwaltung inzwischen eine Kostenschätzung übermittelt hat, beginnen A, B und C mit dem Sammeln der erforderlichen 10.000 Unterschriften. Dem schriftlich begründeten Bürgerbegehren mit der Frage „Soll das gemeindeeigene Grundstück (Flurnummer X, Katastereintrag Y) mit einem Kinderspielplatz bebaut werden?“ sind 10.035 Unterschriften beigefügt. Bei der Prüfung durch die Verwaltung fällt auf, dass bei 25 Unterschriften die Angabe des Geburtsdatums fehlt. Allerdings wohnt unter den angegebenen Adressen jeweils nur eine einzige Person dieses Namens. Weitere 25 Unterschriften weisen neben dem fehlenden Geburtsdatum auch keine Angaben zur Hausnummer auf. Auch hier kann aber festgestellt werden, dass in den betroffenen Straßen jeweils nur eine einzige Person dieses Namens wohnt.
Aufgabe 2: Wie wird der Rat entscheiden? Prüfen Sie die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens.
Fortsetzungsteil 2:
Der Rat hat die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens festgestellt, entspricht ihm jedoch nicht. Im daraufhin durchgeführten Bürgerentscheid, spricht sich eine Mehrheit der Bürger für die Annahme des Begehrens aus. Wie sich
herausstellt, war jedoch die Kostenschätzung der Verwaltung unzutreffend. Die Kosten für Unterhalt und Wartung der Spielgeräte waren nicht bedacht worden. Wären die höheren Kosten bekannt gewesen, hätte eine Mehrheit gegen die Annahme gestimmt.
Aufgabe 3: Ist der Bürgerentscheid rechtmäßig?
Aufgabe 4: Kann die Kommunalaufsichtsbehörde – unabhängig von den bisherigen Fallgestaltungen – nach § 122 GO NRW gegen einen rechtswidrigen Bürgerentscheid vorgehen?
Bearbeitervermerk: Auf alle aufgeworfenen Rechtsfragen ist – ggf hilfsgutachterlich – einzugehen.
Ganz grob skizziert:
Frage 1: Kostenschätzung= Realakt, weil keine Regelungswirkung, allg. Leistungsklage. (alternativ: Kostenschätzung=VA, dann Verpflichtungsklage, aber Vorverfahren notwenig. (Die 123. Ergänzungslieferung des Hippel ist noch nicht verfügbar, so dass das Gesetz Stand 122. EL gilt, wo das Vorverfahren nur für Fälle bis zum Dez.2014 ausgenommen ist) Begründetheit ist problemlos, da §26 GO gebundene Entscheidung.
Frage 2: Insgesamt zulässig, kam auf das Wort ,,zweifelsfrei“ an.
Frage 3: Lädt zum Diskutieren ein. Wohl nicht rechtmäßig, Sinn u. Zweck eines Bürgerbegehrens, Art. 20 III GG…
Frage 4: Bürgerentscheid hat Wirkung wie Ratsbeschluß, daher wohl ja im Wege der Organleihe.
Vorverfahrenentbehrlichkeit ist bis Ende 2015 verlängert worden 😉
Frage 4 war wohl etwas komplizierter angesichts der Rechtsfolgen. Auch wenn der Entscheid die Wirkung eines Ratsbeschlusses hat, ist es keiner. Die Anweisung zur Beanstandung durch die Aufsichtsbehörde hat nach Gesetz die Folge, dass der Rat erneut beraten soll. Würde man das auf den Entscheid übertragen, so müsste die Bürgerschaft erneut beraten, was wohl nicht praktikabel ist. Andererseits kanns auch nicht sein, dass ein rechtswidriger Entscheid in der Welt ist, der grundsätzlich zu vollziehen ist, wobei sowohl Rat als auch BM gehindert sind etwas zu unternehmen. Daher i.E. wohl möglich
Im aktuellen Hippel ist das Vorverfahren aber noch drinn nach der oben genannten Form. Das Gesetz, das aktuell im Internet ist, ist nicht einschlägig, da noch nicht als Ergänzungslieferung vorhanden.
Bei Frage 1 musste man wohl in der Zulässigkeit diskutieren, ob das Bürgerbegehren ein kommunales Organ ist und daher ein Kommunalverfassungsstreit statthaft ist. Das OVG Koblenz hat das mal vertreten, die ganz h.M. lehnt eine solche Konstruktion aber ab.