Buchempfehlung: Der Fall Dreyfus (Louis Begley)
Rechtsgeschichte spannend erzählt
Die Dreyfus-Affäre – im Rahmen der rechtsgeschichtlichen Vorlesungen für die Zwischenprüfung stolpert fast jeder Jurastudent einmal über dieses unrühmliche Kapitel der französischen Justizgeschichte. Doch was verbirgt sich hinter der Dreyfus-Affäre? In der mündlichen Prüfung kann hierzu eine Frage schon mal gestellt werden. Doch auch unabhängig von der Prüfungsrelevanz sollte der Fall Dreyfus jedem ein Begriff sein, veranschaulicht dieser doch auf eindruckvollste Weise den Wert eines Rechtsstaats für jeden Einzelnen.
Zeitlose Lehren
Der Artillerie-Hauptmann Alfred Dreyfus war ein französischer Jude, der in die Mühle der französichen Justiz geriet und im Jahre 1894 durch ein Pariser Kriesgericht wegen eines Verbrechens verurteilt wurde, das er nicht begangen hatte. Der Vorwurf, er habe brisante Militärgeheimnisse an die Deutschen verraten und damit Landesverrat begangen, war vollkommen aus der Luft gegriffen und basierte auf einem Komplott seiner Kontrahenten. Belastbare Beweise fehlten von Anfang an, gleichwohl schenkte niemand ihm Glauben. In der französischen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts war der Antisemistismus weit verbreitet, insofern stand der Artillerie-Hauptmann von Anfang an unter Generalverdacht. Darüber hinaus stammte Dreyfus aus einer wohlhabenden Familie, hatte Elite-Universitäten besucht und ihm stand eine vielversprechenden Militärkarriere bevor. Hierdurch hatte er den Neid und die Missgunst anderer auf sich gezogen, was ihm zum Verhängnis wurde. Infolge der Verurteilung wurde er über Jahre hinweg aus Frankreich auf die Teufelsinsel vor der Küste von Französich-Guayana verbannt, wo er in Isolationshaft unter ständiger Bewachung und unter widrigsten Lebensumständen leben musste. Glücklicherweise hatte Dreyfus neben seiner Familie einflussreiche Freunde, die- von seiner Unschuld überzeugt- von Anfang an für eine Wiederaufnahme des Verfahrens kämpften. Unter anderem intervenierte auch der französische Schriftsteller Émile Zola mehrfach zu Gunsten Dreyfus‘ und nahm wegen seiner publizistischen Tätigkeit selbst ein Strafverfahren gegen sich selbst hierfür in Kauf. Auf diese Weise bekam der Justizskandal Dreyfus schnell internationale Bedeutung. Am Ende obsiegten die „Dreyfusarden“. Die Beweismittel gegen Dreyfus entpuppten sich als offensichtliche Fälschungen. Zurück blieb ein rehabilitierter, aber gebrochener Mann, der sich von den während seiner Isolationshaft erlittenen Krankheiten und der psychischen Belastung Zeit seines Lebens niemals erholen konnte. Sein Leben war durch den „Justizirrtum“ des Pariser Militärgerichts trotz der wiedergewonnenen Freiheit zerstört.
Wer mehr über diesen Justizskandal erfahren möchte, dem ist die Lektüre des Buchs „Der Fall Dreyfus – Teufelsinsel, Guantánamo, Alptraum der Geschichte“ des amerikanischen Schriftstellers und Juristen Louis Begley sehr zu empfehlen. Die Darstellung Begleys (sie erschien ursprünglich 2009 unter dem Titel Why The Dreyfus Affair Matters bei Yale University Press) arbeitet den Fall Dreyfus minutiös auf und liest sich flüssig und spannend wie ein Krimi. Begley, weltbekannt geworden durch das Buch „Lügen in Zeiten des Krieges“ (1991), sieht Parallelen zwischen dem Fall Dreyfus und der Inhaftierung mutmaßlicher Terroristen im US-Gefangenenlager Guantánamo. Damals wie heute werden nach Begley elementarste Rechtsstaatsgebote mit Füßen getreten. Durch diesen konkreten aktuellen Bezug wird für den Leser auf schockierende Weise deutlich: Why The Dreyfus Affair Matters.
Der Fall Dreyfus – Teufelsinsel, Guantánamo, Alptraum der Geschichte, von Louis Begley, erschienen bei Suhrkamp, 248 Seiten, 1. Auflage (2009), broschiert, 9,99 €
Dies ist eine Buchempfehlung von Martin Kalf. Wir danken ihm herzlich für diesen Buchtipp!
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