Buchempfehlung: „Vom Ethos der Juristen“ (von Ernst-Wolfgang Böckenförde)
Nachdem wir bereits das ein oder andere Buch abseits der gängigen Fachliteratur besprochen haben (s. zuletzt den Beitrag zum neuen Grisham-Roman „The Litigators“), folgt nun eine weitere Buchempfehlung. Unser Gastautor Martin Kalf stellt das Werk „Vom Ethos der Juristen“ des ehemaligen Verfassungsrichters Prof. Ernst-Wolfgang Böckenförde vor. Wir danken ihm herzlich für diesen Buchtipp!
Vom Ethos der Juristen
Hat der Juristenstand ein gemeinsames (Berufs-) Ethos? Dieser Fragestellung hat sich Professor Ernst-Wolfgang Böckenförde (Richter am BVerfG a.D.) 2009 in einem Vortrag an der Bucerius Law School gewidmet. Dieser kann nun bei Duncker & Humblot nachgelesen werden. Ethos – was meint das eigentlich? So beginnt die Abhandlung. Abzugrenzen ist das Ethos von der Ethik. Das Wort Ethos entstammt dem Griechischen und weist auf Wohnplätze und die dort geübten Gebräuche hin. Der Begriff umfasst die gewohnte Art zu handeln, zu reden, sich zu benehmen, also die gemeinsame Sitten und Sinnesart. Nach Böckenförde lässt sich das Ethos somit kennzeichnen als konkret bestimmte Handlungs- und Verhaltensform, die aus Lebenssituation, Beruf und praktischer Arbeit, gegebenem Umfeld und der Befähigung des Menschen zum sittlich-handelnden Wesen erwächst. Vollständig trennen lässt sich das Ethos von der Ethik nicht, weil gerade im Ethos die Ethik – normative Grundsätze und Anforderungen, die auf Handlungsanleitung abzielen – Konkretisierung und Anwendung findet.
Sind Juristen in ihrem Handeln und Verhalten aber von einem gemeinsamen Ethos bestimmt? Gibt es ein solches gemeinsames Band, das alle Juristen in ihrer spezifischen Tätigkeit verbindet? Diese Frage wirft Böckenförde auf, um sie im Ergebnis zu bejahen. Kern des gemeinsamen Ethos, also das, „(…) was den Juristen als Juristen kennzeichnet und ihn von einem beliebig verfügbaren Rechtstechniker, der zum Fachidioten wird, unterscheidet“, zeigt sich darin, dass Juristen – über die erforderlichen handwerklichen Kenntnisse und Fähigkeiten hinaus – ihre Arbeit mit dem gegebenen Recht spezifisch an der Suche danach ausrichten, was hier und jetzt konkret Recht ist. Von dieser Ausrichtung werden mehrere Konstanten juristischer Arbeit mitumfasst: Der Jurist bemüht sich um einen objektiven, also jede Parteilichkeit abwehrenden Standpunkt. Der Jurist versucht den jeweils zur Beurteilung anstehenden Sachverhalt und seine konkreten Probleme nicht nur isoliert, sondern im Zusammenhang mit der sozialen Wirklichkeit in ihrer Gestalt und ihrem Wandel zu betrachten. Der Jurist bemüht sich bei der Rechtsanwendung um den Ausgleich der widerstreitenden Interessen. Der Jurist respektiert – wegen der ihnen innewohnenden Befriedungsfunktion – die Regeln geordneter Verfahren und schließlich achtet er die Grundsätze der bestehenden Verfassungsordnung. All dies macht nach Böckenfördes Ansicht den Juristen als Juristen aus und bewahrt ihn – mit Martin Luther gesprochen – davor, „nur ein armes Ding“ zu sein. Der Jurist ist damit aktiver Akteur und nicht lediglich passiver Rechtsanwender; er verweist die Träger politischer, wirtschaftlicher und privater Macht in die Grenzen, die das Recht ihnen zieht. Um dies zu veranschaulichen, führt Böckenförde drei Beispiele an, die gerade die Art des Handelns von Juristen in unterschiedlichen Situationen darstellen. Auch versucht er den Grund für das gemeinsame Ethos philosophisch-anthropologisch zu deuten. So stellt er die These auf, dass dem Menschen eine Anlage und Fähigkeit zueigen ist, die ihn in seinem Erkennen und Handeln, soweit der zwischenmenschliche Bereich betroffen ist, nach dem fragen lässt, was gerecht und angemessen ist.
Das gemeinsame Ethos der Juristen ist vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Rechtstraditionen – wie sie im Recht der römischen Juristen, im kontinentaleuropäischen Gesetzesrecht und dem angelsächsischen common law ihren Ursprung haben, nach Böckenförde aber keine Selbstverständlichkeit. So führten die unterschiedlichen Rechtstraditionen zu spezifischen Erscheinungsformen des Ethos der Juristen: Das Ethos des römischen, des kontinentaleuropäischen und des anglo-amerikanischen, am case law orientierten Juristen ist zu unterscheiden. Diese stellt Böckenförde im Zusammenhang des jeweiligen rechtshistorischen Kontextes dar und argumentiert, wie ein gemeinsames Ethos erwachsen konnte.
Die Ausführungen Böckenfördes sind sehr lesenswert und allgemeinbildend. Mit Sicherheit werden sie so manchem aber auch Anlass zum kritischen Widerspruch geben. Zum verwertbaren Prüfungswissen gehören sie natürlich nicht; aber vielleicht ermutigt die kurz gehaltene Abhandlung den Prüfungskandidaten dazu, die Examensvorbereitung nicht nur als arbeitmäßige Belastung, sondern auch als Vorbereitung darauf zu verstehen, in einen Berufstand mit eigenem Ethos eintreten zu dürfen.
Vom Ethos der Juristen, von Ernst-Wolfgang Böckenförde, erschienen bei Duncker & Humblot; 46 Seiten, 1. Auflage (August 2010), broschiert, 10,00 €
(Buchempfehlung von Martin Kalf)
Es gibt wahrscheinlich einen allen Juristen gemeinsamen „Standesdünkel“ (Ethos), nicht lediglich Rechtsanwender zu sein („niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen“).
Herrn Böckenförde ist darin beizupflichten, dass ein Jurist keinesfalls zum Subsumtionsautomaten verkommen darf, da dies im destruktiven Rechtspositivismus endet. Ein guter Jurist muss immer auch ein gewisses überpositives Recht verinnerlicht haben, das sich nicht dem gesellschaftlichen Wandel unterwirft, sondern feste Grenzen setzt.
Interessant sind in diesem Kontext auch die „words of Justice“ der Law Faculty der Elite-Universität Harvard. Sie enthält viele sehr gute Aussprüche zum Ethos der Juristen.
U.a. auch diesen, die absolute Gerechtigkeit zusammenfassenden Satz:
“O ye who believe! Stand out firmly for justice, as witnesses To Allah, even as against Yourselves, or your parents, Or your kin, and whether It be (against) rich or poor: For Allah can best protect both.” (Koran Sure 4:136)
Weitere „words of Justice“ siehe hier: https://library.law.harvard.edu/justicequotes/explore-the-room/west/
Das scheint ja recht ehrenhaft, aber wenn es nicht um Ethos („Standesdünkel“) geht, scheint ja die Frage eines überpositiven Rechts nicht unumstritten (soweit nur von Interesse).