BAG: Anwendbarkeit KSchG – Betriebsgröße und Leiharbeitnehmer
Das Arbeitsrecht hat für das Examen eine nicht zu unterschätzende Bedeutung: Auch wenn hier keine Spezialkenntnisse gefordert werden können, so ist doch ein fundiertes Wissen der Grundsätze notwendig. Besonders gern geprüft werden insbesondere Fragen zum Kündigungsschutzrecht. Für diesen Themenbereich sollte ein Urteil des Bundesarbeitsgericht vom 24. Januar 2012 (2 AZR 140/12) bekannt sein (hier die Pressemitteilung).
Es ging hier um die Frage, wann das Kündigungsschutzgesetz überhaupt anwendbar ist und damit eine besondere soziale Rechtfertigung nach § 1 KSchG vorliegen muss. Zur Erinnerung: Eine Kündigung ist bei Anwendung des KSchG nur dann gerechtfertigt, wenn sie durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist (vgl. § 1 Abs. 2 KSchG). Ist das Kündigungsschutzgesetz nicht anwendbar, so ist nur eine allgemeine Missbrauchskontrolle durchzuführen. Eine Kündigung wird damit erleichtert.
Ausgangspunkt: § 23 KSchG
Letztlich ist dieser besondere Kündigungsschutz eine Ausnahme zum Grundsatz der Privatautonomie; es wird hier ein Zwang zum Aufrechterhalten eines Arbeitsverhältnisses begründet. Um aber kleinere Betriebe nicht zu stark zu belasten, ist das Kündigungsschutzgesetz erst ab einer Anzahl von zehn Arbeitnehmern anwendbar – Kleinbetriebe sollen also privilegiert werden. Geregelt ist dies etwas versteckt in § 23 Abs. 1 S. 3 KSchG. Dieser bestimmt:
In Betrieben und Verwaltungen, in denen in der Regel zehn oder weniger Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten beschäftigt werden, gelten die Vorschriften des Ersten Abschnitts mit Ausnahme der §§ 4 bis 7 und des § 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 nicht für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis nach dem 31. Dezember 2003 begonnen hat.
Eine Ausnahme besteht nur für Arbeitnehmer, die vor dem 1.1.2004 beschäftigt waren; hier liegt die Grenze bei nur fünf Arbeitnehmern. Hintergrund davon ist, dass die Kleinbetriebsausnahme zu diesem Zeitpunkt von fünf auf zehn Arbeitnehmer erhöht wurde, Altfälle davon aber nicht betroffen sein sollten. § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG bestimmt daher:
Die Vorschriften des Ersten Abschnitts gelten mit Ausnahme der §§ 4 bis 7 und des § 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 nicht für Betriebe und Verwaltungen, in denen in der Regel fünf oder weniger Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten beschäftigt werden.
Berechnung im Einzelnen
Zu klären ist dabei, welche Arbeitnehmer bei der Ermittlung dieser Grenzwerte zu berücksichtigen sind. Eine allgemeine Berechnungsregel hierzu enthält § 23 Abs. 1 S. 4 KSchG:
Bei der Feststellung der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer nach den Sätzen 2 und 3 sind teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von nicht mehr als 20 Stunden mit 0,5 und nicht mehr als 30 Stunden mit 0,75 zu berücksichtigen.
Geklärt werden muss aber, wer eigentlich als Arbeitnehmer anzusehen ist. Klar ist nur, dass die zur Berufsbildung Beschäftigten nach der klaren Formulierung nicht zu berücksichtigen sind.
Im konkreten Fall war zu klären, ob Leiharbeitnehmer bei dieser Berechnung zu berücksichtigen sind. Dabei muss klar sein, dass der Leiharbeitnehmer ein Arbeitsverhältnis nur mit dem Verleiher, nicht aber zum Entleiher hat. Dennoch übt der Entleiher teilweise das Direktionsrecht aus, das sonst dem Arbeitgeber zusteht. Grund für die Überlassung ist ein Überlassungsvertrag zwischen Entleiher und Verleiher, eine vertragliche Beziehung zwischen Leiharbeitnehmer und Entleiher liegt hingegen nicht vor. Aus diesem Grund ist der Leiharbeitnehmer kein Arbeitnehmer des Entleihers. Dem Wortlaut des § 23 KSchG nach ist er also nicht bei der Ermittlung der Betriebsgröße zu berücksichtigen.
Das Bundesarbeitsgericht bejaht eine Berücksichtigung in seinem Urteil aber dennoch und begründet dies mit dem Telos der Regelung. Dies gilt zumindest dann, wenn der Personalbedarf, der durch die Überlassung gedeckt wird, „in der Regel besteht“. Das BAG legt in der Pressemitteilung dar:
Der Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern steht nicht schon entgegen, dass sie kein Arbeitsverhältnis zum Betriebsinhaber begründet haben. Die Herausnahme der Kleinbetriebe aus dem Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes soll der dort häufig engen persönlichen Zusammenarbeit, ihrer zumeist geringen Finanzausstattung und dem Umstand Rechnung tragen, dass der Verwaltungsaufwand, den ein Kündigungsschutzprozess mit sich bringt, die Inhaber kleinerer Betriebe typischerweise stärker belastet. Dies rechtfertigt keine Unterscheidung danach, ob die den Betrieb kennzeichnende regelmäßige Personalstärke auf dem Einsatz eigener oder dem entliehener Arbeitnehmer beruht.
Leiharbeitnehmer sind damit zumindest im Einzelfall bei der Berechnung zu berücksichtigen. Das Bundesarbeitsgericht schränkt damit die Privilegierung des § 23 KSchG teilweise ein.
Examensrelevanz
Die Entscheidung des BAG sollte für das Examen auf jeden Fall bekannt sein, gerade weil die Anwendbarkeit des KSchG immer als Vorfrage bei einer Kündigung zu berücksichtigen ist. Auch die Grundsätze der Arbeitnehmerüberlassung sollten bekannt sein. In einer Klausur sollte man sich von dieser unbekannten Materie nicht abschrecken lassen. Vertieftes Wissen ist hier gerade nicht erforderlich, sondern es genügt – wie so oft – ein solides Rechtsverständnis.
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